Die Manipulation der Pharmaindustrie - Tino Seidemann - E-Book

Die Manipulation der Pharmaindustrie E-Book

Tino Seidemann

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Beschreibung

Was macht mich wirklich krank? Wie man sich zwischen Tipps und Trends auf das Wesentliche konzentriert Die Gesundheit ist das höchste Gut – darüber sind sich alle einig. Gleichzeitig wirken viele Faktoren des Alltags gesundheitsschädigend: zu viel Arbeit, ungesunde Ernährung, zu wenig Schlaf. In der Folge fühlen sich viele Menschen ausgezehrt und sehnen sich nach schneller Linderung ihrer Beschwerden. Der Griff zum Wundermittel wie Schmerzmittel scheint da kurzfristig vielversprechend, aber kann die Pharmaindustrie ihre Versprechen wirklich halten? Tino Seidemann beantwortet diese Frage in seinem Buch. Als Apotheker und Gesundheitsberater kennt er sich mit den Marketingstrategien der Pharmaindustrie aus und bietet eine Orientierungshilfe für alle, die ihre Beschwerden nachhaltig lindern und ein besseres Verständnis für ihre Gesundheit erlangen möchten. Anhand persönlicher Geschichten, Daten und Statistiken macht er deutlich, wo man ansetzen kann, um Körper und Geist wirklich etwas Gutes zu tun. Du wirst in diesem Buch lernen: •Wie die Pharmaindustrie auf Marketing und Verkaufspsychologie setzt •Was den Apothekerberuf wirklich ausmacht •Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der Forschung im Bereich der Arzneimittel •Wie du bessere Entscheidungen für deine Gesundheit triffst Neben fundierten Informationen findest du Checklisten, Videos und Übungsaufgaben, damit du in Zukunft kritisch hinterfragen kannst, was du wirklich brauchst, um dich wieder fit und ausgeglichen zu fühlen. Außerdem steht dir ein kostenloses Audiobook zur Verfügung. Du möchtest mehr über Medikamente, Pharmakologie, die Pharmaindustrie und den Apothekerberuf lernen? Dann wirst du in "Die Manipulation der Pharmaindustrie: Medizin aus der Apotheke: Sind Medikamente eher Fluch oder Segen?" spannende Einblicke erhalten!

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Die Ratschläge im Buch sind sorgfältig erwogen und geprüft. Alle Angaben in diesem Buch erfolgen ohne jegliche Gewährleistung oder Garantie seitens des Autors und des Verlags. Die Umsetzung erfolgt ausdrücklich auf eigenes Risiko. Eine Haftung des Autors bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden oder sonstige Schäden, die durch die Nutzung oder Nichtnutzung der Informationen bzw. durch die Nutzung fehlerhafter und/oder unvollständiger Informationen verursacht wurden, ist ausgeschlossen. Verlag und Autor übernehmen keine Haftung für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der Inhalte und ebenso nicht für Druckfehler. Es kann keine juristische Verantwortung und keine Haftung in irgendeiner Form für fehlerhafte Angaben und daraus entstehende Folgen vom Verlag bzw. Autor übernommen werden.

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

1. Auflage 2024

© 2024 by Remote Verlag, ein Imprint der Remote Life LLC,

3833 Powerline Rd., Suite 301-C, 33309 Fort Lauderdale, Fl., USA

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektmanagement: Remote Verlag

Lektorat und Korrektorat: Katrin Gönnewig, Miriam Buchmann, Fabian Galla

Umschlaggestaltung: Verena Klöpper

Foto Cover: Tsunami_Designer auf depositphotos.com

Foto NIR-Gerät Mareen Fischinger/Westend61 auf AdobeStock

Satz und Layout: Verena Klöpper

Abbildungen im Innenteil: © Tino Seidemann

ISBN Print: 978-1-960004-03-1

ISBN E-Book: 978-1-960004-04-8

www.remote-verlag.de

INHALT

VORWORT

TEIL 1 DER WERDEGANG DES APOTHEKERS

DIE MACHT DER WERBUNG

DER TRAUM VOM APOTHEKERBERUF

VOM SCHÜLER ZUM STUDENTEN

DIE PHARMAZEUTISCHE AUSBILDUNG

TEIL 2 DIE APOTHEKE

ENDLICH IN DER APOTHEKE

VOLLE VERANTWORTUNG

DIE APOTHEKENTEAMS

FLUCH ODER SEGEN?

ALLES FÜR DEINE SICHERHEIT

BELIEBTE MEDIKAMENTE UND IHRE WIRKUNGEN

DIE KUNST DER GUTEN BERATUNG

CHECKPOINT APOTHEKE

DAS DRAMA DER RABATTVERTRÄGE

GÜNSTIGE VS. TEURE REZEPTE

PRIVATREZEPT

GRÜNES REZEPT

KASSENREZEPT

MEHRKOSTEN UND LUXUSMEDIKAMENTE

MEDIKAMENTENMANGEL UND SEINE FOLGEN

GEHEIMNISSE AUS DEM LABOR

GUTE APOTHEKE ODER SAFTLADEN?

DU WIRST BEGRÜSST

DU FÜHLST DICH WILLKOMMEN

DAS TEAM IST GUT GELAUNT

DIE MITARBEITER STELLEN RÜCKFRAGEN

DAS LABOR IST SAUBER UND GEPFLEGT

DIE APOTHEKE HAT EIN NIR-GERÄT

DIE APOTHEKE BESTEHT DEINE TESTKÄUFE

DIE APOTHEKE IST MIT ZERTIFIKATEN AUSGEZEICHNET

DIE APOTHEKE IST GUT BESUCHT

ES GIBT EINE STAMMBESETZUNG STATT IMMER NEUER GESICHTER

DU WIRST DORT ALS PATIENT STATT ALS KUNDE WAHRGENOMMEN

DIE GEFAHR IM NETZ

IN KÜRZE

TEIL 3 DIE MANIPULATION

SO WIRST DU MANIPULIERT!

INFORMATION UND AUFKLÄRUNG

SCHUTZTECHNIKEN

STELLE VIELE RÜCKFRAGEN

STELL DICH DUMM

MODERNES INTERNETMARKETING

DAS ERFOLGSREZEPT DER BESTEN

DIE ABZOCKER

VORSICHT MANIPULATION!

RECHTSCHREIBUNG

SIGNALFARBEN

WIEDERHOLUNGEN

VERKNAPPUNG

FORMULIERUNGEN

ÜBERTREIBUNGEN

DEUTSCHE ERFINDER

DAS OPFER

DAS FEINDBILD

EXOTISCHE UND NATÜRLICHE INHALTSSTOFFE

DER INFLUENCER

KUNDENMEINUNGEN

MANGELNDE NACHVOLLZIEHBARKEIT

WISSENSCHAFTLICH BEWIESEN

IN KÜRZE

TEIL 4 DIE WISSENSCHAFT

SO GEHT WISSENSCHAFT

DIE DUNKLE SEITE DER WISSENSCHAFT

STUDIENTYPEN

DIE EXPERTENMEINUNG

FALLSTUDIE

FALL-KONTROLLSTUDIE

KOHORTENSTUDIE

RANDOMISIERTE KONTROLLIERTE KLINISCHE STUDIE

SYSTEMATISCHER REVIEW

METAANALYSE

DIE GEBURT EINES MEDIKAMENTS

MISSION ZULASSUNG

IN KÜRZE

TEIL 5 DIE PHARMAINDUSTRIE

EXPERIMENTIERFREUDIGE SKANDALE

JEDER WILL DER ZWEITE SEIN

KLEINE SPENDE, GROSSE WIRKUNG!

DIE ZULASSUNG MACHT ES MÖGLICH

DER SCHEIN TRÜGT

MEDIZINISCHE NAHRUNGSMITTEL?

MYTHOS HOMÖOPATHIE

IN KÜRZE

TEIL 6 DEINE GESUNDHEIT

SO GEHT GESUNDHEIT

DIE FINSTERE BEDROHUNG

DIE KRAFT DES GEISTES

WISSEN IST MACHT

WÄHLE DEINE FREUNDE WEISE

IN KÜRZE

SCHLUSSWORT

DANKSAGUNG

ÜBER DEN AUTOR

LITERATURVERZEICHNIS

VORWORT

Die Macht der Medien ist allgegenwärtig. Lifestyle-Drugs, Nahrungsergänzungsmittel, Diätpillen und Heilkräuter aller Art verfolgen uns unaufhörlich in der Werbung. Selbst ohne Fernseher kann es sehr schwer sein, den Einflüsterungen zu entgehen, die uns täglich buchstäblich vor Augen geführt werden, denn auch in Zeitschriften, im Radio, im Internet und nicht zuletzt in unserem sozialen Umfeld begegnen uns immer wieder Empfehlungen zu den verschiedensten Heilmitteln. Schmerzmittel, Magentropfen, Energiespender, Schlafhilfen – »Big Pharma« erwirtschaftet jährlich Umsätze in Höhe von mehreren Milliarden Euro. Laut Statista 2021 stieg der Umsatz auf dem deutschen Pharmagesamtmarkt von 2006 bis 2022 kontinuierlich von 25,3 auf 56,5 Milliarden Euro an.1 Wenn uns Medikamente gesund machen sollen, wie kann es dann sein, dass wir immer mehr davon benötigen und konsumieren?

Womit verbinden wir überhaupt einen Apotheker? Wahrscheinlich nicht mit guten Gesundheitstipps. Schließlich verdient er sein Geld mit kranken Menschen.

Was ist eine Lüge? Vielleicht denkst du jetzt an den Witz mit der Antwort: »Der Arzt wünscht gute Besserung!« Und was ist die größte Lüge von allen? Wenn dir der Apotheker sagt »Bitte bleiben Sie gesund!« Keine (kranken) Kunden, kein Geld! So ist es wenig überraschend, dass die Apotheke oft als Teil der gierigen Pharmalobby betrachtet wird, die ihre gutgläubigen Kunden um möglichst viel Geld erleichtern möchte. Wäre es nicht im Interesse der Apotheke und der gesamten Pharmalobby, die Bevölkerung so sehr mit Arzneimitteln einzudecken, dass es ihr dadurch sogar noch schlechter geht als zuvor? Schließlich gibt es Medikamente mit massiven Nebenwirkungen und manchmal führen die falschen Arzneimittel zum Tod, wenn sie nicht einfach nur wirkungslos sind.

Als Apotheker habe ich Situationen erlebt, die diese Vorurteile bestätigen. Ich habe auch in einigen Apotheken gearbeitet, deren Geschäftsinteressen nicht mehr mit meinen Vorstellungen einer heilberuflichen Tätigkeit übereinstimmen. Heute stehe ich immer noch hinter dem Verkaufstresen und berate Menschen zu gesundheitlichen Fragen. Zumindest möchte ich es. Jeden Tag erlebe ich, wie sich Patienten nach exotischen Produkten und neuen Markteinführungen erkundigen, von denen weder ich noch meine Kollegen jemals etwas gehört haben. Die Patienten können mit erschreckender Genauigkeit nacherzählen, wie die Werbespots gestaltet waren, in denen die Arzneimittel vorgestellt werden, um ihren Produktwunsch zu erfüllen. Doch damit nicht genug! Die verstörendsten Vorfälle in der öffentlichen Apotheke erlebe ich in den Momenten, in denen Patienten alle Hemmungen verlieren, aggressiv werden, wutentbrannt zur Tür hinausstürmen und ihrem Ärger lautstark darüber Luft machen, dass wir ihnen ihr Wunscharzneimittel verweigert haben. Leider sind dies keine Einzelfälle.

Mit diesem Werk möchte ich zur gesundheitlichen Aufklärung beitragen und für die Ideale einstehen, die der Berufsstand der deutschen Apothekerschaft laut deutscher Gesetzgebung wahren und fördern soll. Es ist mir ein Bedürfnis, zu einem besseren Verständnis meines Berufes zu verhelfen, und den Verbraucher vor Manipulation und Irreführung zu schützen, damit der Apotheker den Gesundheitsdienst in unserer Gesellschaft in einer Weise ausüben kann, die den wahren ethischen Ansprüchen an einen Heilberufler gerecht wird. Mit diesem Buch möchte ich dir, verehrte Leserin, verehrter Leser, einen Einblick in die Welt der Heilmittel geben und zu meinen akademischen Wurzeln zurückkehren, um zu mehr Aufklärung und Bewusstsein im Umgang mit der eigenen Gesundheit beizutragen.

Zum Schluss des Vorwortes noch ein Hinweis: Ich benutze wegen der besseren Lesbarkeit in diesem Buch in der Regel nur die weibliche oder männliche Form. Selbstverständlich schließe ich damit aber immer alle Geschlechter ein.

Und jetzt wünsche ich dir viel Spaß beim Lesen.

Dein Tino

DIE MACHT DER WERBUNG

Wer kennt sie nicht? Diese Werbung, die immer zur besten Sendezeit kommt. Egal ob vor dem spannenden Wochenendkrimi, vor einem erstmals ausgestrahlten Kino-Blockbuster oder kurz vor dem Ende deiner Lieblingssoap: Dir wird ein Ausschnitt gezeigt, in dem dir ein neues Produkt mit ganz fantastischen Eigenschaften demonstriert wird. Es sieht gut aus, vielleicht sorgt es dann auch noch dafür, dass du gut aussiehst, es riecht gut, klingt gut, fühlt sich gut an und löst eines deiner dringendsten Probleme, manchmal sogar mehrere auf einmal.

Seien wir ehrlich: Wenn wir Werbung im Fernsehen sehen, haben wir doch eher schon automatisch eine sehr abwehrende Haltung ihr gegenüber. Viele Menschen greifen geradezu reflexartig zur Fernbedienung und zappen weg, direkt zur nächsten Werbung. Woher kommt das? Weil sie uns stört. Du fieberst gerade mit deinen größten Helden mit, die in der Wildnis um ihr Überleben kämpfen, erfährst gleich das ganz große Geheimnis hinter der Verschwörung um den amerikanischen Präsidenten im Actionthriller oder den Mega-Skandal um den mächtigsten Konzern der Welt oder wirst Zeuge einer ganz großen Überraschung, wie der schüchterne Held endlich die Welt rettet, während du gebannt vor dem Fernseher sitzt, die Chipstüte in der Hand zerquetschst – und plötzlich versucht jemand, dir etwas zu verkaufen! Fühlt sich das nicht an, als ob du am gegnerischen Torhüter vorbeischnellst, gerade dabei bist, in letzter Minute das Siegtor für deine Mannschaft im großen Finale zu schießen und direkt vor dem Schuss mit einer so brutalen Blutgrätsche umgefegt wirst, dass du nicht mehr weiterspielen kannst? Natürlich gehe ich jetzt nicht davon aus, dass du dir extra Dauerwerbesendungen anschaust, um dort gezielt etwas einzukaufen. In diesem Fall weißt du, was du tust. Dabei ist die Werbung im Fernsehen noch gar nichts gegen das, was uns in Form von Werbeanzeigen im Internet begegnet, sei es auf YouTube, Instagram, Facebook und Co. Dass Werbetricks ein großes Problem sind, hat sich sogar schon am Anfang meiner Karriere gezeigt.

Als ich zum Dritten Staatsexamen der Pharmazie bei der Bezirksregierung Düsseldorf erschien, kam ich extra eine Stunde früher, zeigte der Dame am Empfang meine Vorladung und setzte mich in einen kleinen Aufenthaltsraum mit Glastüren. Kurz darauf sah ich schon die drei Prüfer in Richtung des Prüfungssaals gehen. In der Hoffnung, mich etwas zu beruhigen, unterhielt ich mich mit der Begleitung eines anderen Prüflings, einem Jurastudenten. Wer weiß, vielleicht bekam ich sogar noch ein paar nützliche Informationen für den zweiten Teil der anstehenden Prüfung, immerhin ging es hier um Rechtsgebiete für Apotheker. Schließlich wurde ich von einem der Prüfer abgeholt und zum Prüfungssaal begleitet. Ich erkannte den etwas beleibteren Mann wieder. Mit ihm war ich 2012 zur Orchideenexkursion nach Mallorca geflogen. In der Hoffnung, einige Zusatzpunkte zu ergattern, sprach ich ihn darauf an. Er erinnerte sich tatsächlich, wenn auch nur an die Exkursion und nicht an mich, zumindest kam es mir so vor. Nun gut, es gibt schlechtere Voraussetzungen für eine Prüfung. Ich begleitete ihn in den Prüfungssaal, atmete tief durch, legte meinen Regenschirm ab und setzte mich. Die Prüfungskommission im Dritten Staatsexamen besteht immer aus drei Apothekern. Diese Herren würden in weniger als einer Stunde entscheiden, ob ich es nach all den Jahren endlich zum Apotheker schaffte. Nachdem die Formalitäten mit Identitätsprüfung und Beteuerung der Prüfungstauglichkeit durchgeführt waren, stieg meine Anspannung.

Der erste Prüfer fragte: »Herr Seidemann, sind Sie denn, trotz Examensvorbereitung, dazu gekommen, Fernsehen zu schauen?«

Völlig verwirrt, als wäre gerade ein krähender rosa Stier an mir vorbeigaloppiert, antwortete ich wahrheitsgemäß mit: »Ääääh, nein.«

Der Prüfer redete weiter: »Wissen Sie, im Fernsehen läuft gerade eine Werbung, in der ein neues Produkt vorgestellt wird, und glaubt man dieser Werbung, dann ist dieses Produkt ganz wunderbar bei trockener, brennender, juckender Scheide.«

Völlig verdutzt schaute ich meinen Prüfer an und fragte mich, ob ich ins falsche Gebäude teleportiert worden war. In der Hoffnung, ein guter Apotheker zu werden und meinen Traumberuf gewissenhaft ausüben zu können, habe ich mich über Monate intensiv vorbereitet und fünf Wochen lang überhaupt kein TV gesehen, sondern mich in meinem Zimmer verbarrikadiert und stattdessen Bücher, Ordner und Schnellhefter gewälzt. Und jetzt saß ich hier in der entscheidenden, letzten Prüfung und wurde ausgerechnet zu einer Werbung befragt? Was war das für eine verkehrte Welt? Sollte es am Ende etwa daran scheitern, dass ich ein bestimmtes Arzneimittel nicht kannte, nur weil ich nicht in den Fernseher geschaut habe? Das durfte doch nicht wahr sein!

Mein Prüfer legte nach: »Kennen Sie das Problem der Scheidentrockenheit?«

Ich bejahte seine Frage.

»Glauben Sie, dass es ein Problem ist, das viele Frauen haben?«

Ich bestätigte erneut.

»Und finden Sie, dass es etwas ist, was die Frauen auch sehr belastet?«

Auch bei dieser Frage stimmte ich zu.

»Und was halten Sie von der Problematik insgesamt? Wie kommt sie zustande?«

Jetzt endlich begann der wahre, der pharmazeutische Teil meiner Abschlussprüfung. Wir sprachen noch eine Weile über die Pille, Antibiotika, Thrombosen, Diabetes, Wechseljahre und Privatrezepte. Dass der Herr bei drei meiner Antworten den Daumen hob, zeigte mir zumindest, dass ich immerhin ein paar Pluspunkte für mich verbuchen konnte, bis er schließlich noch einmal auf die Werbung zu sprechen kam. Voller Verzweiflung gestand ich den Prüfern, dass ich die Wirksamkeit und Eignung dieses seltsamen Produktes nicht beurteilen kann, weil ich weder die Werbung noch das Produkt kenne, woraufhin der Prüfer überraschenderweise antwortete: »Ich auch nicht.«

Damals hatte ich die Situation in ihrer Tiefe nicht verstanden, doch heute weiß ich genau, warum er mich so seltsam durch die Prüfung führte. Die Prüfer aus der öffentlichen Apotheke sind dafür bekannt, Prüfungssituationen aus der Apotheke zu simulieren, was im Anfangsteil, bei dem es um pharmazeutische Praxis geht, äußerst sinnvoll ist. Die Diskussion über die mysteriöse Werbung war genau so eine Situation, wie sie jeden Tag in der Apotheke vorkommt: Die Patienten kommen herein und erkundigen sich nach irgendeinem neuen Trend oder einem konkreten Produkt, das sie kürzlich in der Werbung gesehen oder im Internet gefunden haben. Später sollte ich in meiner weiteren Berufspraxis mit Erschrecken feststellen, dass unsere Patienten allzu häufig gar nicht dazu in der Lage sind, den konkreten Produktnamen zu benennen, sondern uns stattdessen eindrucksvoll die Werbung beschreiben, in der das neue Arzneimittel vorgestellt wurde. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um über etwas aufzuklären, was ich aus Sicht des Verbrauchers so wichtig finde, dass es als Grundfach in der Schule gelehrt werden sollte. Ich spreche von Manipulation.

Lass mich direkt zu Beginn mit ein paar Begrifflichkeiten aufräumen: Grundsätzlich ist Manipulation an sich nichts Schlechtes. Das Wort erhält nur durch unsere eigene Bewertung diesen negativen Charakter. Sicher verwende auch ich in diesem Buch das ein oder andere Mittel, um deine Aufmerksamkeit ein wenig zu fesseln. Selbst Heilung ist eine Form der Manipulation. Auch ein freundliches Lächeln manipuliert unsere Mitmenschen durchaus, denn es kann sich gravierend auf ihre Stimmung auswirken. Wenn wir etwas manipulieren, verändern wir, neutral betrachtet, einfach nur eine Situation, die uns nicht gefällt, zu unserem Vorteil. Oder sagen wir lieber: zum Besseren. Wir können durch geschickte Manipulation die Wahrnehmung anderer Menschen sogar so gut beeinflussen, dass wir sie dazu bewegen können, die für sie beste Entscheidung zu treffen. Vielleicht führt eine geschickte Manipulation der Umstände und der Situation sogar dazu, dass sowohl für den Manipulator als auch den Manipulierten das bestmögliche Ergebnis erzielt wird. Zumindest bin ich schon so manchem Versicherungsmakler begegnet, der das in dieser oder ähnlicher Form behauptet. Zu einer Schandtat wird Manipulation erst dann, wenn sich der Manipulierende einen Vorteil auf Kosten des Manipulierten erschleicht. In besonders schweren Fällen sprechen wir hier von Betrug, der nach § 263 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar ist. Natürlich bin ich kein Jurist und kenne die Grauzonen nicht so gut, dass ich die Einzelfälle ausreichend voneinander abgrenzen kann.

Als Apotheker hingegen habe ich schon viele Werbespots (zu ideal ausgesuchten Sendezeiten) gesehen, die mich ebenso wie viele meiner Kollegen zu Wutanfällen gebracht haben. Hilfesuchende Patienten mit gesundheitlichen Problemen wurden durch Clips für neuartige Arzneimittel, Medizinprodukte und vor allem Nahrungsergänzungsmittel effektiv mit den wildesten Gesundheitsversprechen manipuliert. Sie wurden aus Gutgläubigkeit, oder häufig sogar aus Verzweiflung, dazu gebracht, in blindem Vertrauen zur Werbung die entsprechenden Produkte zu kaufen. Produkte, die sie am Ende häufig nur um ihr hart verdientes Geld bringen und nicht das halten, was in der Werbung versprochen wird. Schlimmer noch, die Auswahl des falschen Produktes kann sogar dazu führen, dass es die eigene Gesundheit schädigt und das womöglich dauerhaft! Da ist es gut, wenn du jemanden mit guten Fachkenntnissen an deiner Seite hast. Eine Vertrauensperson, die dir zur Seite steht und dich gewissenhaft berät.

Während meines beruflichen Werdeganges habe ich mich mit vielen Gesprächspartnern unterhalten, die den Apothekerberuf für einen Ausbildungsberuf halten. Zugegeben, es gibt viele Situationen, in denen ich heute noch den Eindruck habe, dass ich in der Apotheke eher ein Schubladenzieher bin, der einfach nur Preise vergleicht, Rabatte gewährt und Packungen aus dem Regal sucht. Und selbst die werden in manchen Apotheken schon von Kommissionierautomaten (Bereitstellungsrobotern) nach vorne zur Kasse geliefert. Aber der Beruf erfordert ein intensives Fachwissen, das an der Universität vermittelt wird. Ich wusste nicht, welche Anforderungen daran galten. Um ehrlich zu sein, begann mein beruflicher Werdegang genau dadurch. Aus Neugier.

DER TRAUM VOM APOTHEKERBERUF

Im 11. Jahrgang meiner Schule musste ich mir einen Platz für ein Schülerpraktikum suchen und wusste überhaupt nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Schon seit Monaten hatte ich Angst davor, weil ich keine Ahnung hatte, wohin die Reise gehen sollte. Bisher wurden mir mein Leben und mein Stundenplan immer vorgegeben, doch jetzt musste ich mir selbst aussuchen, was ich tun soll, und mich auch noch selbst um eine Stelle bemühen. Was zum Geier sollte ich nur tun? Wo sollte ich nur hin? Es war, als hätte ich mich verloren. Ich fühlte mich völlig überfordert, ratlos, verlassen und hilflos. Ich wusste nur, dass ich keine Lust hatte, Beamter zu werden, wie mein Vater nicht müde wurde, es mir immer wieder einzureden. Mit gesenktem Kopf ging ich still und allein jeden Tag zum Schulbus, der direkt vor der Apotheke meines Heimatdorfes abfuhr. Missmutig setzte ich mechanisch einen Fuß vor den anderen, weil ich keine Lust hatte, aufzustehen, zur Schule zu gehen, wieder eine Mathestunde über mich ergehen lassen zu müssen oder gar mir so einen blöden Praktikumsplatz zu suchen. Und dann passierte es!

Kennst du dieses Gefühl, wenn du urplötzlich einen Geistesblitz hast? Ich kann dir nicht erklären, wie es dazu kam, jedenfalls riss ich meinen Kopf hoch und sprach laut aus, dass ich doch mein Praktikum in der Apotheke machen kann. Wäre das nicht spannend? Schließlich hatte ich eine Apotheke in meinem Leben nur selten von innen gesehen. Und wenn, dann nur ein paarmal, weil ich mit meiner Mutter vom Kinderarzt gekommen war. Wir waren zur Kasse gegangen, hatten die Rezepte abgegeben und dann unsere Packungen bekommen. Der größte Unterschied zum Supermarkt gegenüber war, dass der Drucker immer so laut mit einem typischen, aggressiven Geräusch ratterte. Aber da musste es doch noch mehr geben. Etwas, von dem es sich lohnte, es herauszufinden. Schließlich können wir unsere Medizin nur dort abholen und eben nicht einfach so im Laden mitnehmen, wenn wir gleichzeitig eine Packung Pudding im Sonderangebot sehen. Ich meine, was bitte machen die denn überhaupt? Was immer dort hinter den Kulissen geschieht, es hat etwas mit Gesundheit zu tun und es geht um Medikamente. Gesundheit und Medikamente in Gestalt von chemischen Wirkstoffen? Wenn ich so drüber nachdenke … Ich interessiere mich sehr für Medizin. Was ist, wenn ich oder jemand, der mir nahesteht, in Not ist und dringend medizinische Hilfe braucht? Arzt wollte ich nicht werden. Ich kann überhaupt kein Blut sehen und mir graut es davor, eine Operation durchzuführen. Außerdem will gefühlt jeder Arzt werden, ist doch irgendwie langweilig. Aber einem Apotheker mal auf den Zahn fühlen? Medikamente sind chemische Wirkstoffe und für Chemie hatte ich mich schon immer interessiert.

Der Apothekerberuf wäre die beste Möglichkeit, beides miteinander zu vereinen. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn ich irgendwo mitten in der Wildnis bin, nur von Pflanzen umgeben, und eine Verletzung behandeln muss, weil ich keine Hilfe bekomme. Wie cool wäre das, wenn ich dann genau wüsste, welche Pflanze ich nehmen kann, um mich selbst zu versorgen oder jemand anderem zu helfen? In mir meldete sich das brennende Verlangen, mehr über Gifte zu erfahren. Was sie in unserem Körper machen und erst recht, genau zu wissen, welches das richtige Gegenmittel ist, mit dem ich Menschenleben retten kann. Selbst der beste Arzt kann ohne Medikamente schließlich niemanden effektiv behandeln. Ich spürte förmlich, wie in mir eine Faszination für Heilpflanzen zum Leben erwachte, denn ich weiß, dass es auch viele pflanzliche Medikamente gibt, wie diesen leckeren Hustensaft, den ich als kleines Kind heimlich aus dem Medizinschrank genommen und genascht hatte. Ja, sich damit auszukennen, würde mir im Leben wirklich etwas bringen. Und wenn die Stunde der Not gekommen ist, will ich dann wirklich meine Gesundheit, mein Leben in die Hände eines Wildfremden legen? Mein Vater, der ein gesundes Misstrauen hat, wenn es um Angebote und Waren geht, hatte mir schon als Kind beigebracht, beim Einkaufen genau aufzupassen und die Angebote immer unter die Lupe zu nehmen. Schließlich will jeder nur an unser hart verdientes Geld und bietet so oft nichts als den größten Mist an. Und gerade bei Medikamenten sollte ich mich darauf verlassen, was mir jemand anderes empfiehlt? Möglicherweise nur, um selbst Geld zu machen, während ich davon nicht gesund werde und am Ende sogar noch Geld verliere? Nein, das wollte ich selbst beurteilen können! Ich wollte ein echter Experte im Umgang mit heilender Chemie werden. Ich wollte zu einem Meister der Zaubertränke werden und wo könnte ich einen besseren Einblick darüber bekommen als im Apothekerberuf? Sicher würde ich in der Apotheke mehr darüber erfahren. Damit stand mein Entschluss fest. Ich wollte mein Praktikum in der Apotheke vor Ort machen.

Rückblickend frage ich mich, ob es mein Schicksal gewesen ist und mir das Universum, der Äther, die Macht, Gott persönlich oder irgendeine andere spirituelle Kraft dieses Zeichen gab.

VOM SCHÜLER ZUM STUDENTEN

Während meiner Zeit in der Apotheke hatte ich keine nennenswerten Erwartungen und konnte demnach auch nicht großartig enttäuscht werden. Es war einfach nur ein Praktikum, bei dem ich tat, was mir aufgetragen wurde, und das genügte mir. Hauptsache, es ging weiter und ich wurde mit der Schule fertig. Das Team kümmerte sich gut um mich und die Apothekerin ließ mich Aufgaben im Rahmen ihrer Möglichkeiten erledigen. An meinem letzten Tag gab mir meine Chefin sogar 50 Euro, obwohl ich ihr gesagt hatte, dass es uns verboten war, Bezahlung anzunehmen, und schenkte mir einen kleinen Stoffeisbär, der einen blauen Schal trug.

Am ersten Tag brachte mir die anwesende Pharmazeutisch-technische Assistentin (PTA) einige Grundlagen bei, die mich teils interessierten, teils völlig überforderten. Für meinen Praktikumsbericht konnte ich schon notieren, dass sich der Patient vorne in der Freiwahl selbst bedienen darf, die »interessanteren« Medikamente jedoch hinter der Kasse in der Sichtwahl stehen, weil er sie nur sehen, aber nicht anfassen kann. Sie erwähnte auch, dass die Rezepte vorne an der Kasse taxiert werden, womit ich damals nichts anfangen konnte und mich fragte, ob ich jemals verstehen würde, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Keine Bange, dazu kommen wir noch.

Ich saß täglich am Hintereingang und tat das, was die Pharmazeutisch-kaufmännischen Assistenten (PKAs) machen. Ich verbuchte die ankommenden Medikamentenpackungen, spülte Labormaterial, sortierte Akten und heftete Dokumente darin ab. Während meiner Arbeit durfte ich ganze Vorratsgläser an Pfefferminzpastillen vernaschen. Besonders die Botengänge, bei denen ich Medikamente ausliefern durfte, haben mir gefallen und gaben mir die Gelegenheit für einen Tapetenwechsel, wenn die Arbeit von Zeit zu Zeit doch etwas eintönig wurde. Regelmäßig kam der freundliche ältere Vater der Inhaberin vorbei und fragte mich, ob ich wüsste, was der berühmte Satz des Sokrates auf Latein, einem meiner besten Schulfächer, bedeute: »Scio ut nescio.« – »Ich weiß, dass ich nichts weiß!«

Da ich meine Pflicht tun und einen Praktikumsbericht vorbereiten musste, lud mich meine Chefin gegen Ende meines Praktikums in ihr Büro ein und beantwortete mir alle meine Fragen aus einem von der Schule vorgegebenen Katalog, die ich für meinen Bericht brauchte. Ich erfuhr sehr viel über die Anforderungen und Voraussetzungen für die Arbeit in einer Apotheke, dass sie nur von einer Apothekerin bzw. einem Apotheker geführt werden dürfe, was ihre typischen Dienstleistungen und andere Tätigkeitsfelder seien und dass sich das Berufsfeld dahingehend entwickeln werde, dass es immer weniger einzelne Apotheken und dafür immer mehr Apothekenzusammenschlüsse geben werde (das sagte sie mir schon 2007!). Auf meine Nachfrage bestätigte sie mir, dass sie sich im Bedarfsfall auch selbst ein Arzneimittel aus ihrer Apotheke nehmen könne, ohne es sich vom Arzt verschreiben lassen zu müssen, was ich ebenfalls sehr interessant fand.

Schließlich war der Tag gekommen, an dem mein Betreuungslehrer vorbeikam und mir unter anderem die entscheidende Frage stellte: »Ist das eine mögliche Option für die spätere Berufswahl?« Ich antwortete nur: »Auf jeden Fall!« Zumal das Abitur eine notwendige Voraussetzung für diesen Beruf ist und ich froh war, mir die jahrelange Tortur nicht umsonst anzutun.

In diesem Sinn bestand ich zwei Jahre später mein Abitur und ging am 1. Juli 2009 mitten im Hochsommer zur Bundeswehr, um meinen Grundwehrdienst zu leisten, und das freiwillig. Selbst jetzt wollte ich mich immer noch nicht auf einen Studienplatz festlegen, da ich nicht wollte, dass mein Studium vom Wehrdienst unterbrochen wurde. Als einziger potenzieller Akademiker in meiner Familie, ohne Erfahrung oder Vorwissen hinsichtlich der Studienplatzvergabe und des Bewerbungsprozesses, erschien es mir damals nicht sinnvoll, mich vor meinem Dienst um einen Studienplatz zu bewerben, obwohl er mir einmal zugesagt bis zum Ende des Wehrdienstes von Gesetzes wegen unbedingt erhalten bleiben musste. Nein, ich wollte es noch aufschieben, bis es so weit war. Zumal ich noch über eine militärische Laufbahn nachgedacht hatte. Letzten Endes bekam ich dafür die Quittung. Obwohl ich damit rechnete, dass sowohl mein Studienplatz für das Pharmaziestudium als auch meine freiwillige Wehrdienstverlängerung zu 95 Prozent bewilligt werden würden und sich sogar ein Offizier für meinen Antrag eingesetzt hatte, wurden beide Anträge abgelehnt und ich rutschte nun in die Arbeitslosigkeit.

Warum es nicht geklappt hat? Mein Abitur war mit einem Durchschnitt von 2,1 zu schlecht. Ich hätte für das Pharmaziestudium im Sommersemester einen Durchschnitt von 1,9 gebraucht. Meine zweite Bewerbung im Wintersemester 2010/2011 wurde ebenfalls abgelehnt. Dieses Mal hätte ich sogar einen Schnitt von 1,5 benötigt. Ich erhielt eine Wartezeit von 15 Semestern, doch ich hatte Glück. Nach zwei Wochen erhielt ich von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf die schicksalhafte Benachrichtigung, dass mir ein Studienplatz im Nachrückverfahren angeboten würde und ich zwei Wochen Zeit hätte, diesen anzunehmen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen! Sehr zur Enttäuschung meines Vaters brach ich die laufende Bewerbung bei der Polizei dankbar ab und schrieb mich offiziell für das Pharmaziestudium ein.

DIE PHARMAZEUTISCHE AUSBILDUNG

Von da an gab es kein Zurück mehr. Auf dem Weg zum Apotheker müssen drei Staatsexamina bestanden werden. Im ersten Semester galt es, die Hauptklausur in Allgemeiner und Anorganischer Chemie zu bestehen, um ins zweite Semester zu kommen. Nach der damaligen Studienordnung gab es in jedem Semester drei verpflichtende Klausurversuche, zu denen wir nur mit ärztlichem Attest fehlen durften. Nach sechs gescheiterten Klausurversuchen verlor der Pharmaziestudent, zumindest in Düsseldorf, seinen Prüfungsanspruch und war an dieser Uni gescheitert. Schon im ersten Semester erfuhr ich, warum selbst Einser-Abiturienten froh waren, wenn sie in ihren Prüfungen punktgenau die Bestehensgrenze erreichten. Der Stundenplan ist schon im ersten Semester so kompakt, dass es sich für mich als Kardinalfehler erwiesen hat, nicht sofort am ersten Tag mit Vollgas zu lernen. Volle fünf Tage Lehrveranstaltungen, prall gefüllt mit Stoff, aufwendigen Seminarvor- bzw. -nachbereitungen, Hausarbeiten, Vorträgen und praktischen Lehrveranstaltungen und Pflichtpraktika, die explizit in der vorlesungsfreien Zeit erfolgen mussten, da sie im regulären Studienplan aus zeitlichen Gründen gar nicht untergebracht werden können. Ab dem vierten Semester mussten wir unsere in der Praxis durchgeführten Laborversuche vor den Mitstudenten vortragen, weil wir gar nicht die Zeit hatten, den kompletten Stoff selbst durchzuarbeiten, sodass wir uns im Grunde selbst unterrichten mussten. Ich habe es einmal sogar erlebt, dass ein Sondertermin gefunden werden musste, um unsere Leistungsnachweise persönlich im Sekretariat, unter dem Vorbehalt der absoluten Ausnahme, abzuholen, weil an genau diesem Tag, just während der Öffnungszeit von 10 bis 11 Uhr, bereits die nächste Prüfung stattfand. Das ist damit gemeint, wenn es heißt, dass im Pharmaziestudium eine Prüfung von der nächsten gejagt wird. Deshalb ist folgender Witz in unserer Branche weit verbreitet: Ein Chemiker, ein Mediziner und ein Pharmazeut bekommen ein Telefonbuch in die Hände gedrückt. Der Chemiker fragt: »Wofür?«, der Mediziner: »Warum?«, der Pharmazeut: »Bis wann?«

Im vierten Semester begann der Auftakt direkt am ersten Tag mit einer Prüfung, in der wir drei Teedrogen korrekt benennen sollten. Dafür hatten wir in den Semesterferien eine Liste mit 123 Teedrogen auswendig lernen dürfen, bei der zu jeder einzelnen der deutsche und der lateinische Name, die Stammpflanze, die zugehörige Pflanzenfamilie, die enthaltenen chemischen Inhaltsstoffgruppen und deren Anwendungsgebiet (Indikation) abgefragt wurde. Enthielt der Name einen Rechtschreibfehler, gab es keine Punkte für die korrekte Benennung. Im siebten Semester mussten wir im Fach Arzneimittelanalytik eine Liste mit 74 verschiedenen Wirkstoffen auswendig lernen und deren chemische Strukturen aus dem Gedächtnis zeichnen, darunter beispielsweise das Krebsmedikament Imatinib.

Ab dem siebten Semester bekamen wir auch keine Punkte mehr für die entsprechende Aufgabe, wenn sich in der gezeichneten Formel ein einziger falscher Buchstabe oder Strich befand. Einer meiner Mitstudenten fiel im Zweiten Staatsexamen in Pharmakologie durch, weil er unter anderem nur sechs von zehn Nebenwirkungen der Opioide nennen konnte. Wie du dir vorstellen kannst, brauche ich von dem Stoff, den ich in acht Semestern Regelstudienzeit durchgearbeitet habe, gerade einmal einen verschwindend geringen Bruchteil.

In dieser Zeit hatten die Studenten meistens ab 8:30 Uhr Vorlesungen und Seminare bis 12:00 Uhr und, abhängig vom Semester, nur 30 Minuten Pause, bevor sie bis um 18:30 Uhr im Labor verschwanden. Für viele reichten diese 30 Minuten nicht aus, um sich in der Hauptmensa in der Schlange anzustellen und sich ein Mittagessen zu gönnen, da sie wieder pünktlich im Labor zu erscheinen hatten. Die Pause war vorbei, bevor sie überhaupt an der Theke ankamen. Während der Laborarbeit dürfen die Studenten lediglich einen einzigen Tag fehlen und das nur mit ärztlichem Attest. Beim zweiten Fehltag liegt es im Ermessen des verantwortlichen Professors, ob eine Ersatzleistung in Form einer Hausarbeit zusammen mit einem Attest erbracht werden darf, um weiterhin am Labor teilzunehmen. Fehlt der Student ein drittes Mal, muss er das Semester definitiv wiederholen, da er nicht mehr auf die erforderliche Anzahl der vorgeschriebenen praktischen Pflichtstunden kommt, egal ob er ein Attest vorweisen kann oder nicht. Im Pharmaziestudium ist es deshalb ziemlich einfach, eine Ehrenrunde zu drehen. Du musst nur zur richtigen Zeit, etwa während der Laborarbeit, krank werden. Wenn du sehr lange für das Studium brauchst, sagt es nichts über deinen IQ aus, denn es kann selbst den Besten oder gar den Hochbegabten passieren. Viele Kommilitonen waren erleichtert, dass sie nach dem Semester endlich wieder zum Arzt gehen konnten, und ich selbst hatte mich während des laufenden Semesters auch nicht getraut, krank zu werden. Ich bin zum ersten Mal im ersten Semester »sitzengeblieben«, was wir an der Uni »trocknen« nennen, weil ich die Chemieklausur unterschätzt und zu wenig gelernt hatte. Zu allem Überfluss war ich durch die ersten beiden Prüfungen durchgefallen und zum Termin der dritten Chemieprüfung krank. Da im selben Semester keine weiteren Prüfungsversuche angeboten wurden, durfte ich die dritte Prüfung erst im folgenden Semester nachholen. Aber es kam noch dicker: Da nach drei erfolglosen Versuchen das Labor noch einmal komplett wiederholt werden musste und die Laborarbeit vor der Klausurphase abgeschlossen war, konnte ich für den Fall, dass ich durch die dritte Klausur durchfallen würde, direkt das Semester noch ein weiteres Mal wiederholen. Und als Bonus durfte ich diese entscheidende Klausur an meinem 21. Geburtstag schreiben.

Zu meiner Zeit hatte der verantwortliche Professor das Motto »Pharmazeuten verrechnen sich nicht!« vorgegeben. In den chemischen Rechenaufgaben wurde jeder Fehler gnadenlos mit null Punkten nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip bestraft. Entweder du hattest die Aufgabe richtig gelöst oder du hättest gar nicht erst den Stift ansetzen müssen. Permanent betonten unsere Professoren, dass durch einen Fehler ein Patient sterben könne. So kam es, dass für einen einzigen Fehler bis zu vier Punkte abgezogen wurden. Das klingt zwar nicht nach viel, jedoch gibt es in der Pharmazie, wegen der hohen Verantwortung der späteren Apotheker, viele Klausuren, bei denen für die einzelnen Aufgaben 0,125 Punkte vergeben werden. Oft entscheiden schon 0,25 Punkte über Bestehen oder Durchfallen. Nachdem ich diese schicksalhafte Klausur knapp bestanden hatte, schwor ich mir, dass mir so etwas nie wieder passiert, und fortan lernte ich wie ein Besessener. Dieses Studium war meine ultimative Chance. Würde ich scheitern, wäre ich wieder meinem Vater ausgeliefert, der wissen wollte, ob ich überhaupt Zukunftsaussichten als Apotheker habe und mich mit meiner Berufserlaubnis (Approbation) immer noch bei der Polizei bewerben kann. So weit würde ich es niemals kommen lassen! Fortan entsagte ich vielen Partys, Studentenveranstaltungen und Einladungen und konzentrierte mich nur noch darauf, die nächste Klausur zu bestehen. Koste es, was es wolle! Dadurch führte ich ein sehr asketisches Studentenleben.

Im Sommersemester 2014 kam ich mitten im Hochsommer von der Mensa und ging schnurstracks ins Labor. Auf dem Weg ging ich über den überfüllten Campus und sah überall Gruppen von Kommilitonen, die mir gut gelaunt entgegenkamen, miteinander redeten, lachten, auf den Grünflächen oder der Sonnenterrasse der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an einem kleinen Teich Cola, Eistee und andere Getränke genossen oder Eis aßen. Du kannst dir vorstellen, dass es meiner Laune nicht besonders zuträglich war, den Rest des Tages bis 18:30 Uhr im Labor im dicken Baumwollkittel zu verbringen und danach noch ein Versuchsprotokoll zu schreiben. Ich ging zum Spind, zog mir meine Arbeitskleidung an und stand wenige Minuten später als Erster vor der Labortür. Da der Versuch sehr aufwendig war, haben wir ihn mit mehreren Gruppen zusammen unter der Aufsicht der Laborleiterin durchgeführt. Ihr Büro befand sich direkt gegenüber vom Labor, weshalb sie sofort meine Laune und damit auch meine Motivation ablesen konnte. Als ich ihr auf Nachfrage von meinen Beobachtungen erzählte, erwiderte sie: »Aber Herr Seidemann, da sind Sie doch vollkommen frei. Sie können sich jetzt dazugesellen und das Ganze dann im nächsten Semester machen.«

Für mich persönlich war mit Abstand das sechste Semester, Pharmazeutische Technologie, am schlimmsten. Es war eines der Fächer, die sich über zwei Semester erstreckten und füllte gleich zwei randvolle Ordner mit vierfach bedruckten Seiten, die ich kaum schließen konnte. Einige Mitstudenten berichteten, dass sie ihre Laborgruppe öfter sahen als ihre eigenen Ehepartner. Während dieses Semesters befasste ich mich mit Laborversuchen, die mich etwa so sehr begeisterten, wie nach Gold in der Kanalisation zu suchen. Unter anderem mussten wir den gefürchteten Isotonie-Versuch durchführen, bei dem es darum ging, einen Konzentrationsausgleich für Augentropfen zu berechnen. Hatten wir uns bei diesem Versuch verrechnet, war das ein Grund, durch das Staatsexamen durchzufallen, was vom zuständigen Professor während der Vorlesung in aller Deutlichkeit betont wurde, da sowohl zu niedrig als auch zu hoch konzentrierte Augentropfen zur Erblindung des Patienten führen können. Leider gab es dafür im wahren Leben schon ein trauriges Fallbeispiel. Im Jahr 2012 erlitten drei Säuglinge schwere Augenschäden, weil sie im Perinatalzentrum des Wuppertaler Krankenhauses Augentropfen erhielten, die um den Faktor 1.000 zu hoch konzentriert waren.2

Im Schnitt habe ich täglich acht Stunden zur Examensvorbereitung aufgewendet. Es wurde damit quasi zu meinem Job. Ich lernte eines Abends sogar, als zwei meiner Freunde in unserem Wohnheim eine Party veranstalteten und ich gegen Bezahlung die Garderobe im Waschkeller übernahm, während alle anderen an der Bar standen oder das Tanzbein schwangen. Ansonsten schottete ich mich weitgehend vom studentischen Leben ab, ernährte mich hauptsächlich von Toastbrot und Fertiggerichten und verschanzte mich in meinem Zimmer. Da ich meistens mit dem Bauch auf dem Bett lag, während ich über meinen Büchern brütete, hatte ich nach zwei Monaten mit spürbaren Beschwerden zu kämpfen. Meine Augen brannten und wurden immer schlechter. Mit den tiefen Augenringen sah ich aus wie ein Zombie. Ich hatte Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Nackenschmerzen, einen völlig versteiften Körper und jede Menge schlaflose Nächte.

Ich erinnere mich noch daran, wie ich mitten in der Nacht aufwachte, als ich mich auf meine Pharmakologie-Nachprüfung vorbereitete. Alles um mich herum war schwarz, ich wusste weder, wie ich heiße noch wo ich gerade war oder was passierte. Als ich langsam aus dem Delirium erwachte, war das Erste, woran ich denken konnte: »Mirtazapin, tetrazyklisches Antidepressivum«. In diesem Moment registrierte ich, dass in meinem Leben etwas aus dem Ruder lief, doch ich sprach mir Mut zu, indem ich mich daran erinnerte, dass ich nur noch einen weiteren Monat lernen musste und es dann endlich geschafft hatte. Damit war ich nicht allein.

Eines Tages kam eine Frau zu mir in die Apotheke und zeigte mir die Blutwerte ihrer Tochter, deren Vitamin-D-Werte unten im tiefsten Gruselkeller steckten. Den Namen, den ich auf dem Befund las, konnte ich einem Gesicht zuordnen. Die junge Dame war noch vor wenigen Monaten von mir persönlich im vierten Semester betreut worden, als sie im Labor Pflanzeninhaltsstoffe untersuchte. Laut dem Bericht der Mutter hatte sie gerade ihr Erstes Staatsexamen bestanden und war jetzt bis auf Weiteres krankgeschrieben. Die Mutter betonte, dass es der Studentin aktuell überhaupt nicht gut gehe, und fragte ungläubig: »Was ist das denn für ein Studium?«

Ich schildere dir das alles nicht, um damit zu prahlen, sondern um zu veranschaulichen, dass wir weit mehr sind als einfache Verkäufer, die wie Roboter nur Schubladen ziehen, Preise nennen und Geld kassieren. Jedoch sollte ich nach dem Abschluss meines Studiums schon bald erkennen, warum wir überwiegend nur als Schubladenzieher wahrgenommen werden.

ENDLICH IN DER APOTHEKE

Nun war ich an meinem großen Ziel angekommen. Auch wenn ich noch das praktische Jahr bis zum Dritten und letzten Staatsexamen vor mir hatte, um Apotheker zu werden, stand ich jetzt endlich in der Apotheke und hoffte, mein Wissen in die Praxis umsetzen zu können. Mein neuer Job war es von nun an, der Gesundheit der Bevölkerung zu dienen, indem ich sie ordnungsgemäß mit Arzneimitteln versorgte. Das sind nicht meine Worte, sondern die Formulierung in § 1 der Bundes-Apothekerordnung.

Voller Vorfreude darüber, den Patienten mein ganzes Wissen zu vermitteln und ihnen nach bestem Wissen und Gewissen dabei zu helfen, ihre Arzneimittel richtig einzunehmen, stand ich hinter dem Verkaufstisch in der Apotheke und brannte förmlich vor Tatendrang, als ein Patient zur Tür hereinkam. Ich begrüßte ihn mit einem gut gelaunten »Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?« und konnte es kaum erwarten, endlich zu zeigen, was ich an der Universität gelernt hatte. Der Patient kam wortlos zum Tresen. Er holte sein Portemonnaie heraus, senkte den Blick darauf, während er hineingriff und mit trister, lustloser Stimme sagte: »Geben Sie mir das günstigste Ibuprofen, das Sie haben!« Ich war ausgebremst, als wäre ich gerade beim 100-Meter-Lauf losgesprintet und der Schiedsrichter hätte mich wegen Fehlstarts zurückgepfiffen. An der Uni hatte ich gerade die entscheidenden Prüfungen hinter mir, in denen ich im Detail erklären musste, wie Medikamente gegen Beschwerden wirken, wann sie eingesetzt werden, welche nicht kombiniert werden dürfen und welche Patienten sie nicht einnehmen dürfen, weil sie die Grunderkrankung nur noch verschlimmern. Jetzt stand ich hier und der Patient interessierte sich nur für den Preis? Das war meine erste Woche in der öffentlichen Apotheke. Ich kannte die Preise nicht auswendig. Auch mit dem Kassensystem im Computer war ich noch nicht gut genug vertraut, um in der Liste nachzuschauen. Einer einfachen Preisliste! Am Ende nahm der Patient sein Ibuprofen, bezahlte und wandte sich zum Gehen. Ich wollte ihn noch darauf hinweisen, dass er zwei Stunden warten muss, wenn er zusätzlich Acetylsalicylsäure (ASS) eingenommen hat, aber er hörte mir nicht zu. Während er hinausging, sagte er nur: »Ja, alles klar!« Die ganzen chemischen Formeln, die lateinischen Fachbegriffe, meine Botanik-Kenntnisse, das Wissen zur Verarbeitung von Wirkstoffen – das alles war plötzlich nichts mehr wert! Normalerweise müsste ich nach meiner strengen Ausbildung zuallererst fragen:

»Für wen ist das Medikament?«

»Welche Beschwerden haben Sie genau?«

»Wie lange haben Sie die Beschwerden schon?«

»Welche anderen Medikamente nehmen Sie ein?«

»Welche Grunderkrankungen liegen bei Ihnen vor?«

Stattdessen klärte mich meine Chefin immer wieder auf, was den Kunden gar nicht interessiert und welche Fragen ich stellen soll, um das Gespräch vom Preis abzulenken. Moment mal – KUNDEN? Bisher wurde mir beigebracht, dass Patienten in die Apotheke kommen! Hilfsbedürftige Menschen, die gesundheitliche Probleme haben und dringend fachkundigen Rat benötigen. Im weiteren Verlauf meines beruflichen Werdegangs sagte mir meine Chefin sogar, dass die Politik es ihr immer schwerer mache, die Leute aus der Apotheke gehen zu lassen, ohne ihnen etwas verkaufen zu müssen. Die Frage, ob jedem Patienten unbedingt etwas verkauft werden soll, kommt auch bei Kollegen regelmäßig in Bewerbungsgesprächen vor, denn dieser Druck aus dem Gesundheitsministerium sorgt für höhere Ausgaben der Apotheken, die durch Preise kompensiert werden müssen, die an die Patienten weitergegeben werden.

Als ich schließlich als fertiger Apotheker meine Approbation in den Händen hielt, verschärfte sich die Lage noch weiter. In einer anderen Apotheke hatte ich gern einen bestimmten Hustensaft empfohlen und bekam von der Geschäftsleitung die Vorgabe, ein anderes Produkt zu empfehlen. Das hat mich erneut völlig aus der Fassung gebracht. Bitte bedenke, dass die Empfehlungsvorgabe ein ganz ausgezeichnetes Produkt mit höchsten Erfolgsquoten ist, das sich nicht nur durch eine hohe Wirksamkeit, sondern noch dazu durch eine besonders gute Verträglichkeit auszeichnet und sogar in medizinischen Leitlinien erwähnt wird. Ein echtes Top-Produkt!

Doch warum durfte ich nicht einfach meinen persönlichen Favoriten empfehlen, von dem ich überzeugt war? Du ahnst es sicher schon. Die Geschäftsleitung hatte eine Vereinbarung mit dem Hersteller. Je mehr davon verkauft wurde, umso mehr Geld gab es zusätzlich. Unter unabhängiger Beratung stelle ich mir etwas anderes vor. Doch eines der Erlebnisse, die mich sehr daran zweifeln ließen, ob ich wirklich im Dienst der Gesundheit stand, ereignete sich, als ein Patient hereinkam und mich fragte, was er sich denn kaufen solle, um seinen Gutschein im Wert von zehn Euro noch einzulösen, bevor dieser verfalle. Ist das wahr? Er hatte keine Beschwerden, sondern wollte nur etwas haben, weil es umsonst oder besonders günstig war? Und es kommt noch besser. Sein Wunschprodukt sollte möglichst genau zehn Euro kosten. Mehr nicht. Nach jahrelangem harten Studium war ich lediglich gut genug, um Preise zu vergleichen. Ich wollte extra in die Apotheke, weil mich die Profitmentalität der Pharmaindustrie gestört hat. Ich wollte den Menschen mit all meinem Wissen helfen und sie aufklären, damit es ihnen besser geht. Jetzt stehe ich hier an exakt dem Ort, an dem ich nach so vielen harten Prüfungen, drei Staatsexamina, unzähligen Nächten des Lernens und noch mehr Momenten der Unsicherheit bis zur Verkündung der Prüfungsergebnisse endlich sein wollte – und auch hier geht es nur um das Geld? Leider sollte dieses Erlebnis nur ein Vorgeschmack auf meine weitere Zukunft sein.

Schließlich verlor ich meinen Glauben vollends, als ich in einer weiteren Apotheke erlebt hatte, wie Menschen wie Wasser aus einem gebrochenen Staudamm in das Geschäft hineinströmten und mir Einkaufslisten mit Arzneimitteln vorlasen, bei denen sie mir genau vorgaben, auf welche Produkte sie ihre 20-Prozent-Gutscheine und auf welche sie weniger Rabatt einlösen möchten, um möglichst viel Geld zu sparen. Braucht jemand tatsächlich bis zu neun freiverkäufliche Arzneimittel auf einmal, nur weil sie gerade bis zum Jahresende noch günstiger sind? Doch das ist aus meiner Sicht nicht das Schlimmste. Am schlimmsten ist, dass viele Patienten sich Arzneimittel kaufen, weil sie in der Werbung vorgestellt wurden oder ein Angehöriger oder ein Bekannter sie empfohlen hat. Kaum einer fragt sich, ob die Medikamente mit Risiken behaftet sind, die ihn zufälligerweise betreffen könnten. Schließlich verließ ich den Betrieb, denn für mich war klar: Das ist keine Apotheke, das ist ein Discounter!

Dann gibt es noch Apotheken, in denen ich darauf gedrillt wurde, neue Stammkunden zu akquirieren. Grundsätzlich gilt die Faustregel: Je aggressiver die Werbung, umso energischer wirst du zum Kauf aufgefordert und der interne Druck auf die Mitarbeiter steigt. In derartigen Apotheken konnte ich eine auffällige Personalfluktuation beobachten. Die Kollegen kamen und gingen. Selbstverständlich gab es in diesem Betrieb viele Dinge, die mir sogar sehr gut gefielen und die ich für sehr empfehlenswert halte, jedoch wurden meine Kundenkartenquoten mit der Zeit so streng überwacht, dass ich mich dort einfach nicht mehr wohlfühlte und kündigte.

Doch auch hier gibt es noch eine Steigerung, in Gestalt einer Apotheke, in die ich inkognito einen Abstecher gemacht hatte, um mir ein Bild davon zu machen. Schon von außen sah die Apothekenfiliale wie ein riesiges Lager aus und im Laden war es noch schlimmer. In der Sichtwahl gab es nur die Medikamente, die definitiv nicht in die Selbstbedienung gehörten, und der Abstand zwischen den einzelnen Schaltern war so verführerisch groß, als ob du regelrecht dazu eingeladen wurdest, sie dir einfach aus dem Regal zu nehmen. Ganze Regale stapelten sich im Selbstbedienungsbereich, vollgestopft mit verschiedensten Cremes und Kapseln. Wie im Supermarkt wurden die Kunden durch ein Labyrinth von Gängen durch den ganzen Laden geleitet, um zur Kasse zu kommen. Das Gefühl nach diesem kurzen Besuch war für mich höchst unangenehm. Nach weniger als sieben Schritten in diesem Geschäft kam es mir vor, als ob ich einen Jahrmarkt für Gesundheitswaren besucht hätte. Für mich war es einfach nur eine Herabwürdigung des Berufsstandes, der Bedeutung der öffentlichen Apotheke und meiner Arbeit als Apotheker. Das sehe im Übrigen nicht nur ich so, sondern auch zahlreiche Kollegen. Als ich in der Bewerbungsphase regelmäßig den Stellenmarkt der Apothekerkammer verfolgt hatte, suchte genau diese Apothekenkooperation in gleich mehreren Filialen auffällig lange nach Verstärkung, selbst unter Berücksichtigung des allgegenwärtigen Fachkräftemangels.

VOLLE VERANTWORTUNG

Solche Apothekenzusammenschlüsse werden schnell als Ketten verstanden. Es handelt sich dabei jedoch um Kooperationen, da es nach geltendem Recht keine Apothekenketten geben darf. Bei bestimmten Rechtsformen gibt es ein Mutterunternehmen mit mehreren abhängigen Tochterunternehmen. Sind die Tochterunternehmen Apotheken, haften diese nur für ihren eigenen Betrieb, ohne die Muttergesellschaft in Anspruch zu nehmen. Dadurch kann das Mutterunternehmen Haftungsrisiken minimieren oder sogar vollständig abgeben. In der öffentlichen Apotheke garantieren wir persönlich für die Qualität und die Sicherheit der dort abgegebenen Produkte. Das ist der Grund, warum in Deutschland das Fremd- und Mehrbesitzverbot gilt. Das bedeutet, dass eine Apotheke hierzulande nur von einem Apotheker geführt und in Besitz genommen werden und ein einzelner Apotheker nicht mehr als vier Apotheken gleichzeitig besitzen darf. Nur so kann sichergestellt werden, dass er in der Lage ist, die Abläufe in der Apotheke effektiv zu steuern und die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass der Apotheker persönlich haftet, weshalb Apotheken nicht als GmbH eröffnet werden dürfen. Beschränkte Haftung ist keine ausreichende Motivation, um gute Arbeit zu leisten, darum möchte der Gesetzgeber, dass wir voll haften und deshalb die richtigen Fragen stellen müssen. Um das sicherzustellen, wird im Studium und vonseiten der Apothekerkammer sehr viel Wert auf die Beratung gelegt, die gesetzlich vorgeschrieben ist.

Wie in den obigen Beispielen ist es allerdings eher die Regel als die Ausnahme, dass Patienten nur ihre Wunschpackung abholen möchten und gar keine Beratung wünschen. Oft fühlen sie sich sogar genervt und bevormundet, wenn wir zu viele Fragen stellen, und drohen damit, in eine andere Apotheke zu gehen. Das ist eine der härtesten Lektionen, die mir das wahre Leben erteilt hat. Dabei ist die Beratung nicht nur für die Patienten existenziell wichtig, sondern auch für das Apothekenpersonal selbst. Als Verbraucher hast du in der Vor-Ort-Apotheke den großen Vorteil, dass wir viel strenger kontrolliert werden als die Anbieter im Internet. Dazu gehören jährliche Kontrollen (Revision) durch die Aufsichtsbehörde und Testkäufe (Pseudocustomer) durch die Apothekerkammer. In NRW werden Revisionen von Amtsapothekern durchgeführt. Diese amtlichen Kontrollen müssen nicht nur von der Apotheke selbst bezahlt werden, sondern sind nicht selten eine emotionale Zerreißprobe für die Teams, denn der Amtsapotheker sucht nach Fehlern und du weißt selbst: Wer sucht, der findet. Der Testkäufer gibt sich als normaler Patient aus und das Team erfährt erst nach Abgabe eines Medikaments, dass es sich gerade um einen Testkauf handelte, bei dem heimlich genau die Beratungspunkte geprüft wurden, die offiziell durch den Leitfaden der Bundesapothekerkammer vorgegeben werden.

Mir wurde schon mindestens einmal gekündigt, weil ich angeblich zu viele Fragen gestellt hatte und die »Kunden« sich deshalb über mich beschwert haben sollen. Das ist der Spagat, den ich als Apotheker machen muss: Auf der einen Seite den bestmöglichen Service bieten und auf der anderen die Interessen der Apotheke durchsetzen, die im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben stehen müssen, zumal ich für fahrlässige Gesundheitsschäden am Patienten hafte und im Extremfall sogar meine Approbation verlieren kann. Deshalb nehme ich meine Arbeit sehr ernst und sage im Zweifel auch entschieden »Nein!« Natürlich beschweren sich die Patienten dann zwangsläufig, wenn sie ihren Willen nicht bekommen.

Wenn wir uns die Berufsordnung für Apothekerinnen und Apotheker der Apothekerkammer Nordrhein anschauen, finden wir in § 1 Absatz 2 diesen Satz: »Die Apothekerin und der Apotheker sind verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben. Sie müssen dem Vertrauen, welches ihnen im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebracht wird, entsprechen.« Diese Aussage steht stellvertretend für die übergeordnete Bundes-Apothekerordnung und ist der Grundsatz meiner Arbeit. Sie ist das Fundament meiner Ausbildung. Und weil ich daran glaube, habe ich mir fest vorgenommen, nicht mehr in solchen Apotheken zu arbeiten, die ein Problem mit dem haben, was ich öffentlich sage oder schreibe. Andernfalls würden sie damit zugeben, dass sie gegen genau diesen Grundsatz verstoßen, nur an Profit orientiert sind und nicht der Gesundheit unserer Gesellschaft dienen. Daran möchte ich nicht teilhaben. Ich war bisher in mehreren Apotheken tätig und beim Großteil kann ich glücklicherweise bestätigen, dass die Kollegen ihren Beruf in der Tat gewissenhaft und vorbildlich ausüben.

Schon mehrere von ihnen haben mir offenbart, dass sie sich bewusst da