Die Meinung der anderen - Tali Sharot - E-Book

Die Meinung der anderen E-Book

Tali Sharot

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Beschreibung

Meinung, Macht und Manipulation

Ein Unternehmer überzeugt Investoren, Milliarden in ein windiges Biotechnologie-Startup zu stecken. Einem Arzt gelingt es nicht, seinen Patienten zu einer wichtigen Impfung zu bewegen. Was entscheidet also, ob uns das Denken anderer beeinflusst? Und wie beeinflussen wir die anderen? Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Tali Sharot findet anhand eigener Forschungsergebnisse verblüffende Antworten auf diese Fragen und analysiert die Hirnmechanismen, die hinter unseren Ansichten stecken. Sie zeigt, wie wir andere Menschen prägen können — und von ihnen geprägt werden.

Wir nehmen ständig Einfluss auf andere Menschen: im Klassenzimmer, in der Teamsitzung oder in den Sozialen Medien. Und wir werden beeinflusst – meist unbewusst und mehr als uns lieb ist. Anhand eigener psychologischer, neurowissenschaftlicher und verhaltensökonomischer Forschungen belegt Tali Sharot, dass wir dieses Wechselspiel kaum durchschauen: Allzu oft sind wir steinzeitlichen Instinkten und Reflexen unterworfen – und daher zum Scheitern verdammt, wenn wir andere zu etwas bewegen wollen. Doch Sharot zeigt auch, wie wir andere Menschen positiv beeinflussen können und wie uns das Verständnis des Gehirns dabei hilft: Ein ebenso spannender wie unterhaltsamer neuer Blick auf die Grundlagen unseres Verhaltens.

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Zum Buch

Wir nehmen ständig Einfluss auf andere Menschen: im Klassenzimmer, in der Teamsitzung oder in den sozialen Medien. Und wir werden beeinflusst – meist unbewusst und mehr als uns lieb ist. Doch was bestimmt, ob andere Einfluss auf Ihr Verhalten nehmen und auf das, woran Sie glauben? Da gelingt es einem Unternehmer, Investoren zu überzeugen, Milliarden in ein windiges Biotechnologie-Start-up zu stecken – einem Arzt jedoch nicht, seinen Patienten zu einer wichtigen Impfung zu bewegen. Was entscheidet also, ob Sie das Denken anderer beeinflussen oder ob Sie überhört werden?

Anhand eigener psychologischer, neurowissenschaftlicher und verhaltensökonomischer Forschungen belegt Tali Sharot, dass wir dieses Wechselspiel kaum durchschauen: Allzu oft sind wir steinzeitlichen Instinkten und Reflexen unterworfen – und daher zum Scheitern verdammt, wenn wir andere zu etwas bewegen wollen. Doch Sharot zeigt auch, wie wir andere Menschen positiv beeinflussen können und wie uns das Verständnis des Gehirns dabei hilft: ein ebenso spannender wie unterhaltsamer neuer Blick auf die Grundlagen unseres Verhaltens.

Zur Autorin

Tali Sharot wurde an der New York University in Psychologie und Neurowissenschaft promoviert und ist Professorin am Institut für experimentelle Psychologie der University of London. Sie ist Leiterin des dortigen Affective Brain Lab, das untersucht, wie Affekte und Emotionen unsere Wahrnehmungen und unser Verhalten beeinflussen. Ihre weiteren Forschungsschwerpunkte sind Gedächtnis, Optimismus und Entscheidungsfindung. 2012 erschien Das optimistische Gehirn: Warum wir nicht anders können, als positiv zu denken.

Tali Sharot

DIE MEINUNG DER ANDEREN

Wie sie unser Denken und Handeln bestimmt – und wie wir sie beeinflussen

Aus dem Englischen von Susanne Kuhlmann-Krieg

Siedler

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die englischsprachige Originalausgabe erscheint 2017 unter dem Titel »The Influential Mind. What the Brain Reveals About Our Power to Change Others« bei Henry Holt and Company, New York, einem Imprint von Macmillan Publishers.

Erste AuflageMai 2017Copyright © 2017 by Tali Sharot Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by Siedler Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: Rothfos + Gabler, HamburgSatz: Ditta Ahmadi, BerlinGrafik: Peter Palm, BerlinISBN 978-3-641-18111-6V001www.siedler-verlag.de

Für Josh

Inhalt

VORWORTEine Pferdespritze Ein erstaunlicher wie rätselhafter Fall von Beeinflussung

KAPITEL 1Können Beweise an Überzeugungen rütteln? Über die Macht der Bestätigung und die Ohnmacht von Zahlen

KAPITEL 2Wie wir uns überreden ließen, nach den Sternen zu greifen Die unglaubliche Kraft von Emotionen

KAPITEL 3Motiviert Angst zum Handeln? Vergnügt voran oder vor Angst gelähmt?

KAPITEL 4Machtgewinn durch Loslassen Das Vergnügen, etwas tun zu können, und die Angst vor Kontrollverlust

KAPITEL 5Was wollen Menschen wirklich wissen? Der Wert von Information und die Bürde des Wissens

KAPITEL 6Was passiert mit unserem Denken, wenn Gefahr im Verzug ist? Der Einfluss von Stress und die Fähigkeit, ihn zu überwinden

KAPITEL 7 Warum stehen Babys auf iPhones? Die Macht sozialen Lernens und das Streben nach Einzigartigkeit

KAPITEL 8Ist »einstimmig« so beruhigend, wie es klingt? Wie sich einer unklugen Menge kluge Antworten abgewinnen lassen

AUSBLICK Die Zukunft Ihr Geist in meinem Körper?

ANHANG

Dank

Stichwortverzeichnis

Anmerkungen

Register

VORWORTEine Pferdespritze Ein erstaunlicher wie rätselhafter Fall von Beeinflussung

Sie und ich haben etwas gemeinsam. Vielleicht haben Sie sich nie die Zeit genommen, darüber nachzudenken, vielleicht denken Sie auch an nichts anderes. Sie tun es als Partner, Elternteil oder Freund. Ob Sie Arzt, Lehrer, Vermögensberater, Journalist oder Manager sind, oder ob Sie irgendeinen anderen Beruf ausüben.

Wir haben gemeinsam, dass wir ständig Einfluss auf andere Menschen nehmen. Wir lehren unsere Kinder, nehmen unsere Patienten an die Hand, beraten unsere Kunden, helfen unseren Freunden und halten im Internet unsere Follower auf dem Laufenden. Wir tun das, weil jeder von uns über ganz eigene Erfahrungen, Kenntnisse und Fertigkeiten verfügt, die andere möglicherweise nicht haben. Aber wie gut beherrschen wir dieses Tun wirklich?

Mir scheint, dass die Menschen, die am meisten zu sagen hätten, oder die den besten Rat geben können, nicht notwendigerweise den größten Einfluss haben. Die jüngere Geschichte ist voll rätselhafter Begebenheiten: vom Unternehmer, der Investoren dazu bringt, Milliarden in ein windiges Biotechnologieunternehmen zu stecken, bis zum Politiker, der seine Bürger nicht dazu bringen kann, sich für die Zukunft des Planeten einzusetzen. Was also entscheidet, ob Sie das Denken anderer beeinflussen oder ob Sie überhört werden? Und was entscheidet, ob andere Einfluss auf Ihr Verhalten nehmen und darauf, woran Sie glauben?

Diesem Buch liegt die Annahme zugrunde, dass Ihr Gehirn Sie zu dem macht, der Sie sind. Jeder Gedanke, der Ihnen jemals durch den Kopf gegangen ist, jedes Gefühl, dass Sie je gespürt, jede Entscheidung, die Sie getroffen haben, wurde von aktiven Neuronen in Ihrem ureigenen Gehirn geschaffen. Trotzdem gehört Ihr Gehirn, das da hoch oben auf Ihrer Wirbelsäule sitzt, Ihnen nicht ganz allein. Es ist das Ergebnis eines Codes, der seit Jahrmillionen ab-, um- und neu geschrieben wurde. Wenn wir diesen Code und seine Beschaffenheit verstehen, werden wir die Reaktionen anderer Menschen besser vorhersehen können und begreifen, warum manche herkömmlichen Ansätze, andere Menschen zu beeinflussen, scheitern, während andere erfolgreich sind.

Während der letzten zwanzig Jahre habe ich in meinem Labor menschliches Verhalten untersucht. Meine Kollegen und ich haben Dutzende Experimente durchgeführt, um herauszufinden, was Menschen dazu bringt, Entscheidungen zu revidieren, Überzeugungen zu wechseln und ihre Erinnerungen umzuschreiben. Wir haben Anreize, Gefühle, Kontexte und soziale Umgebungen systematisch manipuliert und dann unseren Probanden ins Gehirn geschaut, ihre körperlichen Reaktionen aufgezeichnet und ihr Verhalten dokumentiert. Es hat sich gezeigt, dass so manche Strategie, von der die meisten glauben, dass sie andere dazu bringt, ihr Denken und Handeln zu verändern, nicht funktioniert. Mein Anliegen mit diesem Buch ist es, die systematischen Fehler aufzuzeigen, die wir machen, wenn wir versuchen, Menschen zum Umdenken zu bewegen, und zu klären, was in jenen Fällen passiert, in denen es uns gelingt.

Ich kehre hierfür zunächst vor meiner eigenen Tür und berichte, wie ich um ein Haar dazu gebracht worden wäre, meine jahrelange wissenschaftliche Ausbildung über Bord zu werfen – und zwar durch einen Mann, dessen unerwartet großer Einfluss gerade viele Menschen aus der Fassung gebracht hat.

Am Abend des 16. September 2015 saß ich ab etwa acht Uhr in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa und verfolgte auf CNN das zweite Fernsehduell zu den Vorwahlen der Republikaner für das Rennen um das Präsidentenamt 2016. Der Wahlkampf gehörte schon jetzt zu den interessantesten der Geschichte und war voll unerwarteter Wendungen und Überraschungen. Außerdem erwies er sich als fesselnde Studie über das Wesen des Menschen. In der Ronald Reagan Presidential Library im kalifornischen Simi Valley trafen elf republikanische Bewerber aufeinander, darunter zwei der führenden Kandidaten der Partei, der Kinderneurochirurg Ben Carson und der Immobilien-Tycoon Donald Trump. Irgendwann im Laufe der Diskussionen um Steuern und Einwanderungsgesetze kam das Gespräch auf Autismus.

»Dr. Carson«, begann der Moderator, »Donald Trump hat öffentlich mehrfach einen Zusammenhang zwischen Impfstoffen – Impfstoffen gegen Kinderkrankheiten – und der Entstehung von Autismus hergestellt, wogegen die medizinische Welt vehement zu Felde zieht, wie Sie wissen. Sie sind Kinderneurochirurg. Sollte Mr. Trump nicht aufhören, so etwas zu behaupten?«

»Nun, lassen Sie es mich so sagen«, antwortete Dr. Carson, »es gab zahlreiche Studien dazu, und keine einzige hat gezeigt, dass zwischen Impfungen und Autismus irgendein Zusammenhang besteht.«

»Sollte er aufhören zu behaupten, dass Impfstoffe Autismus hervorrufen?«, fragte der Moderator.

»Ich habe es ihm gerade erklärt. Er kann es nachlesen, wenn er möchte. Ich glaube, er ist ein intelligenter Mensch und wird die richtige Entscheidung treffen, wenn er sich mit den harten Fakten vertraut gemacht hat«, sagte Dr. Carson.

Auch wenn ich mit Dr. Carson nicht immer einer Meinung bin, so musste ich ihm in diesem Punkt recht geben. Zufällig kannte ich die einschlägige Literatur – nicht nur als Neurowissenschaftlerin, sondern auch als Mutter zweier Kleinkinder, damals zweieinhalb Jahre und sieben Wochen alt. Ich war deshalb vollkommen erstaunt über meine Reaktion auf das, was Trump als nächstes sagte.

»Ich möchte darauf antworten«, erklärte Trump. »Autismus ist zu einer Seuche geworden … Er ist komplett außer Kontrolle geraten … Sie nehmen dieses wunderbare kleine Baby und verpassen ihm eine Spritze – ich meine, sie sieht aus, als sei sie für ein Pferd gemacht und nicht für ein Kind. Und wir hatten so viele Fälle … Leute, die für mich arbeiten. Neulich erst, da wurde ein zwei, vielleicht zweieinhalb Jahre altes süßes Kind zum Impfen gebracht … und eine Woche später bekam es irre hohes Fieber, wurde sehr, sehr krank und jetzt ist es Autist.«1

Meine Reaktion darauf kam prompt und direkt aus meinem Bauch. In meinem Kopf entstand das Bild einer Krankenschwester, die mit einer Pferdespritze auf mein kleines Kind losgeht, und das Bild ließ mich nicht los. Dass ich sehr genau wusste, dass die Spritze, die zum Impfen verwendet wird, viel, viel kleiner ist, spielte keine Rolle – ich geriet in Panik.

»O nein«, dachte ich. »Was, wenn mein Kind krank wird?« Dass mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, schockierte mich. Dennoch regierte mit einem Schlag die Angst, ein Gefühl, das allen Eltern nur allzu vertraut ist.

»Aber wissen Sie«, erklärte Dr. Carson, »Tatsache ist, dass wir extrem gut dokumentierte Belege dafür haben, dass Autismus nichts mit Impfungen zu tun hat.«

Egal. Belege, von mir aus. Dr. Carson hätte hundert Studien anführen können, und es hätte den Sturm in meinem Kopf nicht gebremst. Ich war ganz und gar eingenommen von dem Monstrum von Nadel, das mein Kind ganz sicher krank machen würde.

Das alles entbehrte jeglicher Logik. An einem Pult stand ein Neurochirurg und Kinderarzt, der mit von Experten begutachteten medizinischen Studien und jahrzehntelanger klinischer Praxis ausgestattet war; am anderen ein Geschäftsmann, dessen Argumente sich auf eine einzige Beobachtung und sein Bauchgefühl reduzierten. Und trotzdem überzeugte mich ungeachtet meiner vielen Jahre an medizinischer Ausbildung Letzterer. Warum?

Ich wusste sehr wohl, warum. Und eben diese Erkenntnis brachte mich zurück auf den Boden der Realität.

Während Carson an den »zerebralen« Teil meines Selbst appellierte, zielte Trump auf den Rest. Und er tat das nach allen Regeln der Kunst – der Kunst, um die es in diesem Buch geht.

Trump machte sich mein Bedürfnis nach Kontrolle zunutze und meine Furcht davor, diese zu verlieren. Er präsentierte mir den Fehler eines anderen und schürte Emotionen, die es schafften, das Aktivitätsmuster meines Gehirns mit seinem zu synchronisieren, und in mir die Bereitschaft weckten, seinen Standpunkt zu teilen. Und schließlich warnte er vor den schlimmen Folgen, die es haben würde, wenn man sich seinem Rat verschlösse. Wie ich in diesem Buch ausführen werde, ist das Erzeugen von Angst oftmals kein sonderlich geeignetes Mittel, jemanden auf seine Seite zu ziehen; tatsächlich ist es in den meisten Fällen weit wirksamer, Hoffnungen zu wecken. Unter zwei Bedingungen wirken Ängste allerdings sehr gut: wenn das, was Sie zu erreichen versuchen, Untätigkeit ist und wenn derjenige, den Sie vor sich haben, bereits von Angst ergriffen ist. In diesem Fall waren beide Kriterien erfüllt, da Trump sich gegen das Impfen stark machte und sein Zielpublikum – frischgebackene Eltern – geradezu klassische Nervenbündel sind.

Dass ich wusste, wie Trump mein Denken beeinflusste, ermöglichte mir, innezuhalten und die Situation neu zu bewerten. Ich würde meine Meinung nicht ändern – mein kleiner Sohn würde seine Impfungen erhalten, genau wie seine Schwester vor ihm. Aber ich fragte mich, wie viele junge Eltern sich durch seine Argumente wohl überzeugen ließen. Ich dachte auch darüber nach, was geschehen wäre, wenn Dr. Carson es besser verstanden hätte, die Nöte, Sehnsüchte und Emotionen der Menschen anzusprechen – statt davon auszugehen, dass sie schon die richtige Entscheidung treffen würden, wenn sie die Fakten erst einmal kannten.2 Dr. Carson sprach zu Millionen und verpasste eine einmalige Gelegenheit, etwas zu bewirken. Wir alle kennen solche Gelegenheiten; Sie sprechen meist vielleicht nicht zu Millionen, aber tagtäglich zu anderen Menschen: zu Hause, bei der Arbeit, online, offline.

Tatsächlich haben Menschen ein Faible dafür, Informationen zu verbreiten und ihre Meinung kundzutun. Sie können das täglich online beobachten: An jedem einzelnen Tag werden vier Millionen neue Blogeinträge geschrieben, 80 Millionen Fotos auf Instagram hochgeladen und 616 Millionen Tweets ins Netz gestellt – das sind 7130 Tweets pro Sekunde! Hinter jedem Tweet, Post und hochgeladenen Foto steht ein Mensch wie du und ich. Warum verbringen Millionen Menschen tagtäglich Millionen kostbarer Augenblicke damit, Informationen zu teilen?

Es scheint, als sei bereits die Gelegenheit, andere am eigenen Wissen teilhaben zu lassen, Lohn genug. Eine Untersuchung der Harvard University kam zu dem Schluss, dass Menschen sogar bereit sind, auf Geld zu verzichten, um anderen ihre Meinung zu übermitteln.3 Nun reden wir hier nicht über wohlformulierte Einsichten: Es geht um die Meinung einzelner Menschen zu trivialen Fragen wie der, ob Barack Obama Wintersport mag oder ob Kaffee gesünder ist als Tee. Eine Untersuchung mit bildgebenden Verfahren zeigte, dass das Belohnungszentrum im Gehirn stark aktiviert wird, sobald Menschen Gelegenheit bekommen, die Perlen ihrer Weisheit mit anderen zu teilen. Wir werden von einer Welle des Wohlbehagens erfasst, wenn wir unsere Gedanken teilen, und das bringt uns dazu zu kommunizieren. Es ist ein eleganter Schachzug des menschlichen Gehirns, denn es sorgt dafür, dass Wissen, Erfahrungen und Ideen nicht mit demjenigen zu Grabe getragen werden, der sie als Erster hatte, und dass wir als Gesellschaft von den geistigen Erzeugnissen vieler profitieren.

Damit es dazu kommt, reicht Teilen allein natürlich nicht: Wir müssen eine Reaktion provozieren, also das erzeugen, was Steve Jobs einmal als »Delle im Universum« bezeichnet hat. Jedes Mal, wenn wir unsere Meinungen und unser Wissen mit anderen teilen, geschieht das mit dem Vorsatz, den oder die Betreffenden zu beeinflussen. Die beabsichtigte Veränderung muss keineswegs groß sein. Vielleicht besteht unser Anliegen darin, Bewusstsein für ein soziales Thema zu schaffen, vielleicht wollen wir Verkaufszahlen erhöhen, die Art und Weise verändern wie Menschen Kunst oder Politik betrachten, die Ernährung unseres Kindes verbessern, die Wahrnehmung anderer in Bezug auf uns selbst steuern, Menschen darüber aufklären, wie die Welt sein könnte, die Produktivität unseres Teams steigern; vielleicht wollen wir aber auch nur unseren Partner dazu bringen, weniger zu arbeiten und mit uns in Urlaub in die Tropen zu fahren.

Hier beginnt das Problem: Wir gehen diese Aufgabe aus dem Inneren unseres eigenen Ichs heraus an. Wenn wir versuchen, Einfluss zu nehmen, haben wir zu allererst uns selbst im Blick. Wir bauen auf das, was wir einleuchtend finden: unseren geistigen Zustand, unsere Sehnsüchte und Ziele. Aber natürlich wollen wir das Verhalten und die Überzeugungen desjenigen beeinflussen, den wir vor uns haben. Dazu müssen wir verstehen, was in seinem Kopf vor sich geht, und uns an dem Funktionieren seines Gehirns orientieren.

Nehmen wir beispielsweise Dr. Carson. Ein ausgebildeter Arzt und Wissenschaftler wie er lässt sich von Daten überzeugen, die belegen, dass Impfungen nicht zu Autismus führen. Er ging deshalb davon aus, dass besagte Daten auch jedermann sonst überzeugen würden. Menschen sind aber nicht so gemacht, dass sie auf Informationen leidenschaftslos reagieren. Zahlen und Statistiken sind nötig und wunderbar, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, aber sie reichen nicht aus, um Überzeugungen zu ändern, und sind so gut wie nutzlos, wenn es darum geht, zum Handeln anzuspornen. Das gilt unabhängig davon, ob Sie eine einzelne Person oder viele zu überzeugen versuchen – einen ganzen Saal mit potenziellen Investoren oder nur Ihren Lebenspartner. Denken Sie an den Klimawandel; Berge von Daten deuten darauf hin, dass Menschen eine Rolle bei der Erderwärmung spielen, dennoch glauben fünfzig Prozent der Bevölkerung nicht daran.4 Denken Sie an die amerikanische Politik: Keine Zahl wird einen eingefleischten Republikaner davon überzeugen, dass ein demokratischer Präsident die Nation vorangebracht hat, und umgekehrt. Wie steht es mit unserer Gesundheit? Hunderte Untersuchungen zeigen, dass Sport gut für uns ist und dass die Menschen das auch glauben; trotzdem bringt dieses Wissen wenig, wenn es darum geht, Leute aufs Laufband zu scheuchen.

Tatsächlich macht uns der Tsunami an Informationen, der täglich über uns hereinbricht, mitunter sogar weniger empfänglich für die Aussagekraft von Daten, denn wir haben uns längst daran gewöhnt, mit einem einzigen Mausklick Belege für wirklich alles zu bekommen, woran wir glauben möchten. Und so werden unsere Überzeugungen durch unsere Wünsche und Sehnsüchte geformt. Genau jene Beweggründe und Gefühle sind es, die wir ansprechen müssen, wenn wir etwas verändern wollen – sei es bei uns selbst oder bei anderen.

In diesem Buch beschreibe ich unsere natürlichen Reflexe, die unsere Versuche steuern, andere zu beeinflussen – jene Verhaltensweisen, in die wir automatisch verfallen, wenn wir die Überzeugungen und das Verhalten anderer zu verändern suchen. Viele dieser Automatismen – angefangen bei dem Versuch, Menschen durch Angstmacherei zum Handeln zu bewegen, über das sture Beharren darauf, dass der andere unrecht hat, bis hin zu dem Versuch, die Kontrolle an sich zu reißen – vertragen sich nicht damit, wie unser Verstand arbeitet. Die Hauptaussage dieses Buches lautet, dass jeder Versuch, die Meinung von anderen zu beeinflussen, nur dann erfolgreich sein wird, wenn er sich mit den Elementen verträgt, die unser Denken maßgeblich steuern. Jedes Kapitel wird sich auf einen von sieben entscheidenden Faktoren konzentrieren – unser vorhandenes Grundrepertoire an Überzeugungen (der sogenannte Überzeugungs-Bias),5 unsere Emotionen, Anreize, die uns zum Handeln veranlassen, unsere vorhandene oder nicht vorhandene Handlungsmacht, unsere Neugier, unsere Gemütslage und »die anderen« – und erläutern, wie der betreffende Faktor dem Versuch, Einfluss zu nehmen, hinderlich oder förderlich sein kann.

Machen wir uns mit diesen Faktoren vertraut, sind wir, anders als jemand, der das nicht tut, imstande, unser Verhalten kritisch zu beurteilen – unabhängig davon, ob wir beeinflusst werden oder selbst Einfluss auf andere nehmen wollen. Die meiste Zeit über werde ich die Position desjenigen vertreten, der Einfluss zu nehmen versucht, aber auch die Beziehung von der anderen Seite betrachten und die Perspektive desjenigen schildern, auf den Einfluss ausgeübt wird. Was geht in seinem Kopf vor, wenn er die Meinung eines anderen Menschen hört? Denn natürlich werden Sie, wenn Sie die eine Seite der Medaille verstanden haben, die andere ebenfalls besser verstehen.

Wir haben noch eine Menge Forschung zu leisten, bis wir die Faktoren, die unser Denken beeinflussen, voll und ganz durchschauen, aber das Teilwissen, über das wir bereits verfügen, ist schon jetzt von unschätzbarem Wert. Weiß man beispielsweise, wie der Bewegungsapparat mit dem Belohnungssystem gekoppelt ist, erkennt man unschwer, wann Menschen eher durch Zuckerbrot und wann durch die Peitsche zu motivieren sind. Wenn man weiß, wie Stress auf das Gehirn wirkt, liegt es auf der Hand, warum Menschen auf negative Nachrichten nach einem Terroranschlag so immens überreagieren.

Im gesamten Buch schalten wir unablässig zwischen den Korridoren Ihres Gehirns, in dem Neuronen miteinander kommunizieren, und den Korridoren meines Labors hin und her, in dem ich die Reaktionen von Körper und Geist meiner Probanden untersuche. Wir machen darüber hinaus Ausflüge in die Ferne, besuchen ein Krankenhaus an der Ostküste der Vereinigten Staaten, das es binnen eines Tages geschafft hat, seine Belegschaft von totaler Gleichgültigkeit in Bezug auf das Sterilisieren der Hände bei der Arbeit auf knapp neunzig Prozent Einhaltung der Regeln zu bekommen, außerdem ein Altenheim in Connecticut, in dem sich die Gesundheit der Bewohner dadurch beträchtlich verbesserte, dass man ihnen das Gefühl gab, einen Teil ihres Lebens kontrollieren zu können, lernen ein Mädchen im Teenageralter kennen, das unwissentlich bei vielen Tausend Leuten psychosomatische Reaktionen hervorrief, und etliches mehr. Meine Frage lautet jedes Mal: warum? Warum zeigte die eine Strategie Wirkung, eine andere hingegen nicht? Warum reagieren wir auf John, aber nicht auf Jake? Wenn Sie wissen, was Menschen dazu bringt, so zu reagieren, wie sie es tun, sind Sie in der Lage, den jeweiligen Herausforderungen zu begegnen, die sich Ihnen tagtäglich stellen.

KAPITEL 1Können Beweise an Überzeugungen rütteln? Über die Macht der Bestätigung und die Ohnmacht von Zahlen

Thelma und Jeremiah sind glücklich verheiratet. Bei den meisten Themen sind sie ein Herz und eine Seele: Sie sind sich einig, wie sie ihre Kinder erziehen und was sie mit ihrem Geld anstellen wollen. Sie teilen dieselben politischen und religiösen Überzeugungen, haben denselben Humor und dieselben kulturellen Vorlieben, ja sogar denselben Beruf – beide sind Anwälte. Das ist keine Überraschung: Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass der beste Garant für eine langlebige Ehe weder Leidenschaft noch Freundschaft sind, sondern Ähnlichkeiten. Entgegen jener landläufigen Redensart ziehen sich Gegensätze nämlich keineswegs an – beziehungsweise hören irgendwann auf, es zu tun.1

Bei einem Thema aber sind Thelma und Jeremiah uneins. Auch das verwundert nicht. Die meisten Paare, so einig sie sich im Großen und Ganzen auch sein mögen, haben über Jahre hinweg irgendein strittiges Thema. Vielleicht die Frage, ob sie Kinder wollen, und wenn ja, wie viele, wie das Verhältnis von Arbeit und Freizeit auszusehen hat, ob man sich als Haustier eine Echse oder lieber ein Meerschweinchen zulegen soll.

Bei Thelma und Jeremiah geht es um die Frage, wo sie sich als Familie niederlassen wollen. Thelma ist in Frankreich geboren und aufgewachsen, Jeremiah in den USA. Beide halten jeweils ihr Land für den besten Ort, um Kinder großzuziehen.

Thelma und Jeremiah stehen damit nicht allein. In Umfragen nennen die meisten Menschen auf die Frage, welches für sie der ideale Ort sei, um zu leben, arbeiten, Kinder großzuziehen und sich zur Ruhe zu setzen, ihr Heimatland. Nur dreizehn Prozent der Erwachsenen weltweit sind dazu bereit, ihr Land auf Dauer zu verlassen. Das Gras, so scheint es, ist genau dort am grünsten, wo sie selbst sind. Wenn Menschen umsiedeln müssen, neigen sie dazu, nach nebenan zu ziehen: die Franzosen nach Großbritannien, die Österreicher in die Schweiz.2

Unglücklicherweise lässt sich ein Problem wie das von Thelma und Jeremiah nicht dadurch lösen, dass man dem anderen auf halber Strecke entgegenkommt. So wie ein halbes Kind keine Lösung für Paare ist, die sich nicht einigen können, ob sie ihrer Zweisamkeit Zuwachs bescheren wollen, können Thelma und Jeremiah ihre Zelte nicht auf halber Strecke zwischen Europa und Nordamerika im Atlantik aufschlagen. Die einzige Lösung für die beiden besteht daher darin, den anderen davon zu überzeugen, dass der eigene Standpunkt der richtige ist.

Man sollte annehmen, dass gerade sie für diese Aufgabe prädestiniert sind. Wie bereits erwähnt, sind beide Anwälte. Ihre tägliche Arbeit besteht darin, Geschworene oder den Richter dazu zu bringen, sich auf ihre Seite zu schlagen. Folglich gehen beide ihre Eheprobleme auf dieselbe Weise an wie einen juristischen Streitfall. Sie liefern der anderen Seite Fakten und Zahlen, die ihre Position stärken und die Gegenseite abschmettern sollten. Jeremiah legt Thelma Daten vor, denen zufolge die Lebenskosten in den Vereinigten Staaten geringer sind als in Frankreich, während Thelma Jeremiah mit Zahlen füttert, denen zufolge Anwälte in Frankreich besser verdienen. Jeremiah mailt Thelma einen Artikel, in dem es heißt, dass das amerikanische Bildungssystem besser sei, wohingegen Thelma einen anderen auftreibt, der klar belegt, dass Kinder in Frankreich glücklicher sind. Beide erachten die »Beweise« des jeweils anderen als nicht sehr belastbar und lassen sich nicht umstimmen. Mit den Jahren verfestigt sich ihre jeweilige Überzeugung immer mehr.

So wie Thelma und Jeremiah würden viel von uns handeln. Wir spüren einen inneren Drang, in einem Streitfall oder einer Diskussion Munition zu liefern, die klar macht, warum wir recht haben und die andere Seite nicht. Wir präsentieren wortgewandt unsere logischen Argumente und untermauern sie mit Fakten, die für uns höchst überzeugend klingen. Aber denken Sie an das letzte Mal, als Sie mit Ihrem Partner gestritten oder an einem Abendessen teilgenommen haben, das sich zu einer politischen Late-Night-Debatte ausgewachsen hat. Haben Sie es geschafft, die Überzeugungen der anderen ins Wanken zu bringen? Haben die anderen sich Ihre gut durchdachten Argumente und sorgsam überprüften Zahlen zu Herzen genommen? Wenn Ihre Erinnerung Sie nicht täuscht, sind Sie vermutlich zu der Erkenntnis gelangt, dass Fakten und Logik leider Gottes nicht die wirksamsten Mittel sind, wenn es darum geht, an Meinungen zu rütteln. Im Streitfall liegen unsere Instinkte daneben.

Die Ohnmacht von Zahlen

Ihr Gehirn ist wie das der meisten anderen Menschen darauf programmiert, an Informationen Vergnügen zu finden. Das macht unser gegenwärtiges digitales Zeitalter zu einem permanenten Freudenfest für Ihren Geist. Das Zeitalter des Ackerbaus hat unsere Ernährung revolutioniert und das industrielle Zeitalter unsere Lebensqualität dramatisch verbessert, aber keine andere Epoche hat unseren Kopf mit so viel Stimulation versorgt wie das Informationszeitalter. Es scheint, als habe es das menschliche Gehirn letztlich fertiggebracht, sich seinen eigenen Vergnügungspark zu schaffen, vollgestopft mit Fahrgeschäften, maßgeschneidert für ... sich selbst.

Betrachten Sie einmal die Zahlen: Weltweit gibt es drei Milliarden Internetnutzer, täglich produzieren wir schätzungsweise 2,5 Millionen Gigabytes an Daten, starten vier Milliarden Suchanfragen bei Google und schauen zehn Milliarden YouTube-Videos. In der kurzen Zeit, die Sie gebraucht haben, um den letzten Satz zu lesen, wurden rund um den Erdball 530243 Google-Anfragen eingegeben und 1184390 YouTube-Videos aufgerufen.3

Man könnte annehmen, die digitale Revolution habe ideale Voraussetzungen dafür geschaffen, Einfluss auf die Überzeugungen anderer Menschen zu nehmen. Wenn Menschen ein Faible für Informationen haben – welch bessere Möglichkeit kann es geben, ihr Denken und Handeln zu beeinflussen, als ihnen Daten vorzusetzen? Mit endlosen Datenmengen in Reichweite unserer Fingerkuppen und leistungsstarken Computern zu unserer ständigen Verfügung können wir uns nach Belieben kundig machen, um unser Wissen zu erweitern, und die frisch gewonnenen Zahlen und Erkenntnisse mit anderen teilen. Dies liegt auf der Hand, oder?

Das heißt, so lange, bis Sie versuchen, Ihre sorgfältig zusammengetragenen Daten und sorgsam durchdachten Schlussfolgerungen demjenigen vorzusetzen, den Sie zu beeinflussen trachten. In dem Augenblick geht Ihnen sehr schnell auf, dass Daten oftmals ganz und gar nicht der Königsweg sind, wenn es darum geht, Ihren Standpunkt rüberzubringen und eine Einstellung zu verändern.

Diese Erkenntnis war für die Wissenschaftlerin in mir ein herber Schlag. Als Kognitionsforscherin arbeite ich an der Schnittstelle zwischen Psychologie und Neurowissenschaften. Wie die meisten Wissenschaftler habe ich für Daten eine Menge übrig. Manche Leute sammeln kostbare Steine, andere Erstausgaben von Büchern, wieder andere Briefmarken, Schuhe, Oldtimer oder Porzellanpuppen. Meine Rechner enthalten Hunderte Ordner mit mehreren Tausend Dateien, jede davon besteht aus Zahlen und nochmals Zahlen. Jede Zahl steht für eine Beobachtung: die Reaktion eines Menschen auf ein Entscheidungsproblem oder seine Reaktion auf einen anderen Menschen. Andere Daten sagen etwas über die Aktivität im Gehirn eines Menschen oder über Dichte und Anzahl seiner Nervenfasern. Nun sind Zahlen für sich genommen nutzlos. Dass ich Daten so mag, liegt daran, dass sich all die vielen Zahlenreihen zu etwas Wunderbarem verwandeln lassen: zu aussagekräftigen Grafiken, die uns hier und da eine aufregende neue Erkenntnis darüber vermitteln, was Sie und mich, Homo sapiens, so ticken lässt, wie wir es tun.

Sie können sich demnach meine Bestürzung vorstellen, als mir klar wurde, dass all diese Zahlen aus den vielen Experimenten und Beobachtungen darauf hindeuteten, dass Menschen in Wirklichkeit weder durch Tatsachen noch durch Zahlen oder Daten zu motivieren sind. Menschen sind nun weder dumm noch von lächerlicher Sturheit. Vielmehr ist die Verfügbarkeit großer Datenmengen, analytischer Werkzeuge und leistungsstarker Computer eine Erscheinung der letzten Jahrzehnte, während die Gehirne, die wir zu beeinflussen versuchen, das Produkt von Jahrmillionen sind. Obwohl wir also Daten ungemein schätzen, ist die Währung, in der unser Gehirn besagte Daten bewertet und auf deren Grundlage es Entscheidungen trifft, eine ganz andere als die Währung, von der viele von uns gerne hätten, dass unser Gehirn sie verwendet. Problematisch an diesem Ansatz, der primär auf Information und Logik setzt, ist der Umstand, dass er genau das ignoriert, was Sie und mich menschlich macht: unsere Beweggründe, unsere Ängste, unsere Hoffnungen und Wünsche. Wie wir sehen werden, stellt dies eine große Hürde dar: Es bedeutet, dass Daten nur sehr beschränkt in der Lage sind, die Meinung der anderen zu verändern. Fest verwurzelte Ansichten können Veränderungen gegenüber extrem resistent sein – selbst wenn wissenschaftliche Beweise die besagten Überzeugungen widerlegen.

Die Macht der Bestätigung

Die drei Wissenschaftler Charles Lord, Lee Ross und Mark Lepper rekrutierten 48 amerikanische Studenten, von denen sich die eine Hälfte vehement für die Todesstrafe aussprach, während die andere ebenso vehement dagegen war. Sie legten den Probanden zwei wissenschaftliche Untersuchungen vor: die eine lieferte Belege für die präventive Wirkung der Todesstrafe, die andere Daten, die ihr diesbezüglich Unwirksamkeit bescheinigten. Beide Studien waren erfunden. Lord, Ross und Lepper hatten sie sich ausgedacht, aber die Studenten wussten das natürlich nicht. Fanden die Probanden die Studien überzeugend? Waren sie der Ansicht, die Daten lieferten ausreichend Beweise, um jemanden dazu zu bringen, seine Meinung zu ändern? Aber ja!

Aber nur, wenn die Studie ihrer jeweiligen Position entsprach. Diejenigen Studenten, die voller Eifer für die Todesstrafe plädierten, empfanden die Studie, die deren Effizienz belegte, als sehr gut gemacht. Zugleich fanden sie, dass die Studie der Gegenseite schlampig durchgeführt war und nicht überzeugte. Diejenigen, die von vornherein gegen die Todesstrafe gewesen waren, beurteilten die Untersuchungen genau anders herum. Demzufolge verließen die Befürworter der Todesstrafe das Labor mit mehr Feuer denn je für ihre Sache und diejenigen, die dagegen gewesen waren, standen der Todesstrafe hernach noch ablehnender gegenüber. Statt die Probanden zu befähigen, beide Seiten der Medaille zu sehen, hatte das Ganze alle Beteiligten nur noch stärker polarisiert.4

Auf allen möglichen Gebieten – bei Themen wie Abtreibung und Homosexualität ebenso wie bei der Frage der Ermordung John F. Kennedys – kann ein Mehr an Information Polarisierung fördern.5 Mein Kollege Cass Sunstein (der unter der Regierung Obama das Office of Information and Regulatory Affairs des Weißen Hauses leitete und gegenwärtig Professor an der Harvard University ist) und ich wollten wissen, ob das auch auf die Einstellung zum Klimawandel zutrifft.6 Wir befragten zunächst eine Gruppe freiwilliger Versuchsteilnehmer über ihre Ansichten zum Klimawandel, beispielsweise ob sie glaubten, dass wir es mit einem von Menschen gemachten Phänomen zu tun haben, oder ob sie das Pariser Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen befürworteten. Auf der Basis ihrer Antworten teilten wir sie in zwei Gruppen ein: solche, die fest vom menschlichen Einfluss auf den Klimawandel überzeugt waren, und solche, die davon nichts wissen wollten. Dann erklärten wir allen Probanden, dass Klimaforscher mit einer Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um etwa 3,3 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 rechneten, und baten sie um ihre eigene Einschätzung zum Temperaturanstieg bis 2100.

Dann kam der eigentliche Test. Der einen Hälfte der Versuchspersonen wurde mitgeteilt, dass prominente Wissenschaftler in den zurückliegenden Wochen die Daten neu bewertet hätten und zu dem Schluss gekommen seien, dass die Situation weit weniger dramatisch sei als gedacht und einen Temperaturanstieg von lediglich 0,5 bis 2,7 Grad erwarten lasse. Der anderen Hälfte wurde gesagt, dass renommierte Wissenschaftler die Daten neu bewertet und festgestellt hätten, dass die Situation sehr viel dramatischer sei als zuvor gedacht und einen Temperaturanstieg von 3,8 bis 6,1 Grad wahrscheinlich mache. Dann wurden alle Teilnehmer um eine neue persönliche Einschätzung gebeten.

Änderten die Probanden im Licht des Expertenurteils ihre Einschätzungen? Wieder stellten wir fest, dass die Probanden ihre Meinung nur dann änderten, wenn die erhaltene Information mit ihrer ursprünglichen Weltsicht übereinstimmte. Diejenigen, die vom menschlichen Einfluss auf den Klimawandel nicht überzeugt waren, ließen sich durch die tröstliche Nachricht, die Situation sei weniger schlimm als befürchtet, beeinflussen (ihre Schätzung fiel um etwa ein halbes Grad), während die alarmierenden schlechten Nachrichten für ihre neue persönliche Einschätzung komplett folgenlos blieben. Diejenigen, die vom Gegenteil überzeugt waren, zeigten genau das umgekehrte Muster – sie ließen sich durch die Nachricht mitziehen, dass die Wissenschaft die Situation noch schlechter als bis dahin gedacht einschätze, aber weit weniger von der Mitteilung, dass Wissenschaftler die Situation nunmehr für doch nicht so dramatisch hielten.

Wenn Sie jemanden mit neuen Daten versorgen, wird er alle Belege bereitwillig übernehmen, die seine vorgefasste Meinung bestätigen, Gegenbeweise hingegen kritisch beäugen (man bezeichnet das als Überzeugungs-Bias). Da wir sehr häufig widersprüchlichen Informationen und Meinungen ausgesetzt sind, führt diese Tendenz zu einer Polarisierung, die mit der Zeit immer stärker wird, je mehr Informationen wir erhalten.7

Indem man Menschen mit Informationen konfrontiert, die ihrer Meinung widersprechen, kann man sie sogar dazu veranlassen, sich völlig neue Gegenargumente zurechtzulegen, um ihre ursprüngliche Haltung zusätzlich zu bestärken – in der Psychologie wird das als »Bumerang-Effekt« bezeichnet. Thelma beispielsweise fand an dem Artikel von Jeremiah, in dem es hieß, das amerikanische Bildungssystem sei dem französischen überlegen, jede Menge auszusetzen. »Der Artikel ist von einem Amerikaner geschrieben«, dachte sie bei sich, »was wissen die überhaupt von Bildung? Die Amerikaner lehren ›moderne Literatur‹ und ›neuere‹ Geschichte, ignorieren aber die alten Schriften und den Überlieferungsschatz der Alten Welt.«

Ist Ihnen aufgefallen, was Thelma getan hat? Sie wischte nicht nur unliebsame Belege vom Tisch, sondern führte plötzlich neue Begründungen dafür auf, dass das französische Bildungssystem besser sein müsse – fuhr Argumente auf, die sie zuvor nie in Betracht gezogen hatte. Das führte natürlich dazu, dass sie noch fester an ihrer ursprünglichen Überzeugung festhielt. Mit Belegen konfrontiert zu werden, die ihren fest verwurzelten Ansichten offensichtlich widersprachen, verursachte ihr Unbehagen, und dieses ungute Gefühl vertrieb sie, indem sie die gegensätzliche Meinung wegargumentierte und ihre eigene bestärkte. Schuld daran ist der Umstand, dass sich Thelma durch die Heirat mit Jeremiah sogar noch stärker Frankreich zugehörig fühlte. Hätte sie François, ihren Liebsten vom Lycée geheiratet, wäre ihr Blick auf ihr Heimatland weniger idealisierend ausgefallen, nehme ich an.

Google ist (immer) auf meiner Seite

Die eine Wahrheit, auf die wir uns alle einigen können, gibt es nicht. 1789 schrieb Benjamin Franklin in einem Brief an Jean-Baptiste Le Roy die berühmt gewordenen Worte: »Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern.« Franklin hatte diesen Satz von dem englischen Schriftsteller Daniel Defoe, der in seinem Buch Die politische Geschichte des Teufels 1726 geschrieben hatte: »Dinge, so sicher wie Tod und Steuern, lassen sich mit mehr Überzeugung glauben.«8 Zwar wird die Floskel »Tod und Steuern« häufig bemüht, doch ist keines von beiden eine Wahrheit, zu der wir uns alle einmütig bekennen würden. Manche Menschen glauben, der Tod ließe sich überwinden – vielleicht durch Kryonik oder eine andere Ingenieurskunst. Selbst wenn wir es als gegeben nehmen, dass das Leben endlich ist, gibt es viele verschiedene Ansichten darüber, was uns danach erwartet. Und ganz sicher gibt es eine stattliche Zahl an Steuerhinterziehern und »Steuergegnern«, die nichts von der Vorstellung halten, dass Steuern notwendig sind. Wenn wir uns schon nicht darauf einigen können, dass Tod und Steuern sicher sind, dann können Sie sich vorstellen, dass wir uns im Hinblick auf eine Menge anderer »Wahrheiten« erst recht uneins sein werden.

Ob ein Leben in Frankreich besser ist als ein Leben in den Vereinigten Staaten, ist Ansichtssache. Ob die Todesstrafe als Gesetz moralisch richtig ist oder nicht, ist ebenfalls eine subjektive Einschätzung. Was aber passiert, wenn es bei der Uneinigkeit um harte Fakten geht? Betrachten wir beispielsweise die Frage nach Barack Obamas Geburtsort. Die Kontroverse darüber, wo der ehemalige amerikanische Präsident geboren wurde, begann 2008 mit anonymen E-Mails, in denen angezweifelt wurde, dass Barack Obama wirklich von Geburt amerikanischer Staatsbürger sei.9 Wäre Obama nicht in den Vereinigten Staaten zur Welt gekommen, hätte er nicht für das Präsidentenamt kandidieren können. Bald darauf tauchten im Internet »Beweise« auf, die diesen Vorwurf angeblich belegten. Das Thema entfachte einen derartigen Medienrummel, dass Obama beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen und seine Geburtsurkunde vorzulegen. Aber selbst ein beglaubigtes Dokument aus den Händen eines US-Präsidenten reichte nicht hin, die Meinung der Menschen zu ändern. Umfragen zeigten, dass ein ansehnlicher Prozentsatz amerikanischer Bürger noch immer nicht überzeugt war, dass der Präsident das Recht gehabt hatte, das Amt zu bekleiden.10

»Es gibt da eine Maschinerie, ein Netz aus Desinformationen, die in einem Zeitalter der Neuen Medien unablässig frisch gestreut werden können«, sagte Obama im Jahr 2010.11 Es war seine Reaktion auf das Bekanntwerden der Tatsache, dass auch zwei Jahre nach den Präsidentschaftswahlen zwanzig Prozent der Amerikaner (genau ein Fünftel!) noch immer nicht glaubten, dass er in den USA geboren wurde. Mit »Maschinerie« und »Netz« meinte Obama höchstwahrscheinlich jene Technologie, die der Verbreitung von Falschinformationen den Boden bereitete.

Die Mühelosigkeit, mit der wir in unserer heutigen Welt an »Daten« und »Beweise« kommen, mit der wir jede beliebige Meinung in Misskredit bringen können – nur um zur selben Zeit neue Informationen aufzutun, die unsere eigene stützen –, hat nie gekannte Ausmaße angenommen. In weniger als einer Sekunde erscheinen Artikel, die behaupten, dass Erdbeeren ungesund seien (weil ihre dünne Schale angeblich leicht von unliebsamen chemischen Substanzen durchdrungen wird) und Butter im Kaffee gut für Sie ist. Letzteres firmiert unter dem Namen »Bulletproof Coffee«. Glaubt man seinem Erfinder, wirkt sich der solchermaßen aufbereitete Kaffee »massiv auf Ihre kognitiven Fähigkeiten« aus, »hält Ihr Energieniveau über sechs Stunden hoch ... und programmiert Ihren Körper darauf, den ganzen Tag Fett zu verbrennen.«12 Es dauert nur eine weitere Sekunde, um genauso viele Artikel zu finden, die besagen, dass der Verzehr von Erdbeeren ihrer vielen Nährstoffe wegen sehr gesund und Butter im Kaffee keine gute Idee ist. Wohl weiß man inzwischen, dass gesättigte Fette gesund sind, aber die Evolution hat den Menschen nicht dazu gemacht, große Mengen davon zu sich zu nehmen. Es hat bereits Berichte über dramatisch erhöhte Cholesterinwerte infolge des Konsums von »kugelsicherem Kaffee« gegeben.13

Paradoxerweise macht uns die Fülle an verfügbarer Information weniger bereit, unsere Meinung zu ändern, weil es so leicht ist, an Daten zu kommen, die die eigene Weltsicht stützen. Das gilt sogar für extreme Positionen, beispielsweise für die Ansicht, dass die eigene Ethnie anderen genetisch überlegen sei. Wir lesen sorgfältig Blogs und Artikel, die unsere Meinung unterstützen, und hüten uns, womöglich auf Links zu klicken, die einen anderen Blickwinkel verheißen.

Das ist aber nur die eine Hälfte des Problems. Wir merken nämlich nicht, dass ohne unser Wissen unablässig Rosinenpickerei betrieben wird in Bezug auf die Informationen, die wir zu Gesicht bekommen. Wir haben meist keine Ahnung, dass uns sehr häufig gefilterte Informationen vorgesetzt werden, die unseren vorgefassten Ansichten entsprechen. Und so funktioniert das: Wenn Sie bei Google und anderen Suchmaschinen einen Suchbegriff eingeben, erhalten Sie Ergebnisse, die auf der Basis Ihrer Internetgewohnheiten und Ihrer zurückliegenden Anfragen für Sie maßgeschneidert sind.14 Mit anderen Worten: Wenn Sie in den Vereinigten Staaten der demokratischen Partei zuneigen und nach den jüngsten Umfrageergebnissen der Präsidentschaftskampagne suchen, wird Ihre Suche höchstwahrscheinlich Artikel und Blogs von anderen Demokraten ausspucken, die der Ansicht sind, dass der eigene Kandidat oder die eigene Kandidatin sich hervorragend geschlagen hat. Unter den Links werden Sie Nachrichtenwebsites und Meinungsblogs finden, die Sie bereits in der Vergangenheit angeklickt haben, sowie andere, die mit diesen verknüpft sind. In Anbetracht dessen, dass die ersten zwanzig Ergebnisse, die auf Ihrem Bildschirm erscheinen, allesamt das Abschneiden des demokratischen Kandidaten feiern, erwächst Ihnen der Eindruck, dass er wirklich einen herausragenden Auftritt hingelegt hat. Jeder denkt das. Ihre Twitter- und Facebookfeeds versorgen Sie mit zusätzlichen Bekundungen der Überlegenheit Ihres Kandidaten und stärken Ihr Vertrauen in das zu erwartende Ergebnis der anstehenden Wahl.

Aber das ist noch nicht alles – wenn Sie Republikaner sind, werden Ihre Feeds und Informationen ganz anders aussehen. Und zwar deshalb, weil Ihre Facebook- und Twitterkonten mit höherer Wahrscheinlichkeit mit den Konten anderer Republikaner verbunden sind. Ihre Google-Suche wird Ihnen daher ganz andere Ergebnisse liefern. Das hat nicht nur damit zu tun, dass Google ausgeklügelte Algorithmen verwendet, um etwas über Ihre speziellen Interessen und Vorlieben zu lernen, sondern auch damit, dass Suchanfragen den geografischen Ort, an dem Sie sich befinden, miteinbezieht.15 Google müht sich redlich, Ihnen genau das zu liefern, wonach Sie suchen. Das System geht davon aus, dass das, wonach Sie suchen, dem ähnelt, wonach Ihre Nachbarin Riana sucht, und weniger dem, was Pinto auf der anderen Seite des Globus in Uganda gerade braucht. Diese Annahme ist vernünftig. Sie werden also am Ende mit Verweisen auf Internetseiten dastehen, die vor allem von Nutzern in Ihrer Region angeschaut werden. Da Republikaner verstärkt in bestimmten Bundesstaaten zu Hause sind, Demokraten hingegen in anderen, spuckt Ihre Suche zum Stichwort »Präsidentschaftsdebatte« Verweise auf Websites aus, die Ihren Kandidaten unterstützen (so Sie in einem Staat leben, in dem die Mehrheit der Bewohner der von Ihnen bevorzugten politischen Partei anhängt). Da dieser Prozess von Ihnen unbemerkt vonstattengeht, werden Sie in Ihren politischen Ansichten mehr und mehr bestärkt, dasselbe gilt für Ihre kulturellen Vorlieben und wissenschaftlichen Überzeugungen.

Diese Automatismen können unser Denken verarmen lassen. Wie können wir vernünftig entscheiden, was wahr und richtig ist, wenn uns andere Gedankengänge komplett vorenthalten bleiben? Sie können etwas tun, um diesen technisch bedingten Bestätigungsfehler (so der Fachjargon für diese Form der Wahrnehmungsverzerrung) zu verringern. Ein Tipp: Wenn Sie Suchergebnisse verhindern wollen, die auf Ihre Überzeugungen maßgeschneidert sind, wahren Sie im Internet Ihre Anonymität, löschen Sie Informationen, die Ihr Browser über Sie zusammenträgt und schalten Sie die Suchhistorie aus. Vielleicht entschließen Sie sich auch, die Listen derer zu überdenken, denen Sie in den sozialen Netzwerken folgen, und Personen einzuschließen, die Sie respektieren, aber mit deren Positionen Sie nicht übereinstimmen. Vielleicht folgen die Betreffenden dann auch irgendwann Ihnen.