Die Memoiren der Glückel von Hameln: Das erste autobiografische Werk einer deutschen Frau - Glikl bas Judah Leib - E-Book

Die Memoiren der Glückel von Hameln: Das erste autobiografische Werk einer deutschen Frau E-Book

Glikl bas Judah Leib

0,0

Beschreibung

Die Memoiren der Glückel von Hameln: Das erste autobiografische Werk einer deutschen Frau, verfasst von Glikl bas Judah Leib, bietet einen faszinierenden Einblick in das Leben einer jüdischen Frau im 17. Jahrhundert. Das Buch ist in Form von Tagebucheinträgen geschrieben und zeugt von Glückels scharfem Verstand und ihrer starken Persönlichkeit. Es bietet nicht nur Einblicke in ihr persönliches Leben und ihre Familie, sondern auch in die politischen und gesellschaftlichen Zustände ihrer Zeit. Der literarische Stil ist einfach und direkt, was die Lektüre der Memoiren zu einem packenden Erlebnis macht. Glückel von Hamelns autobiografische Arbeit ist eine Rarität in der Literaturgeschichte, da sie den Blick auf das weibliche Erleben und die jüdische Geschichte erheblich erweitert. Ihre Memoiren sind ein wertvolles Zeugnis vergangener Zeiten. Glikl bas Judah Leib, selbst eine bemerkenswerte Frau des 17. Jahrhunderts, war die erste, die dieses autobiografische Werk veröffentlichte. Als erfolgreiche Geschäftsfrau und Mutter von vierzehn Kindern hatte sie die nötigen Erfahrungen und das Wissen, um die Umstände, denen Glückel von Hameln gegenüberstand, zu verstehen und zu würdigen. Ihre Entscheidung, die Memoiren zu publizieren, zeigt ihr Interesse an der Geschichte und ihre Empathie für ihre Vorfahrin. Glikl bas Judah Leib hat mit der Veröffentlichung dieses Werkes einen unschätzbaren Beitrag zur Erforschung der weiblichen Autobiografie geleistet und Glückels Erzählung eine Bühne geboten, die sie verdient. Dieses Buch ist ein Muss für Leser, die an Geschichte, Frauenliteratur und jüdischer Kultur interessiert sind. Es bietet einen einzigartigen Einblick in das Leben einer bemerkenswerten Frau und bereichert das Verständnis der Vergangenheit.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 520

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Glikl bas Judah Leib

Die Memoiren der Glückel von Hameln: Das erste autobiografische Werk einer deutschen Frau

Translator: Bertha Pappenheim
            Books
- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Erstes Buch
Zweites Buch mit Gottes Hilfe
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
Sechstes Buch
Siebentes Buch
Genealogische Bemerkungen

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Die vorliegende Übertragung der von Professor Dr. David Kaufmann herausgegebenen »Memoiren der Glückel von Hameln«1 macht keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und wird der gelehrten Kritik nicht Stand halten können.

Die Übertragung des Textes in gemeinverständliche Sprache und Schriftzeichen2 hat den Zweck, das Bild einer Frau neu zu beleben, die, tief in ihrer Zeit wurzelnd, durch ungewöhnliche Geistesgaben hervorragte, die treu war ihrem Glauben, treu ihrem Volke, treu ihrer Familie und treu sich selbst.

Die Arbeit habe ich unternommen für eine Anzahl von Enkeln und Urenkeln von Benedikt Salomon Goldschmidt3 (geboren 13. Juni 1769, gestorben 30. Juli 1826) in Frankfurt a. M., dessen Familienzusammenhang mit der Familie Hameln aus der diesem Vorwort folgenden Stammbaumskizze ersichtlich ist.

Für die Autorisation hierzu, die von der Erbin D. Kaufmanns, Frau Rosa Gomperz, in entgegenkommendster Weise erteilt wurde, sei hier herzlichst gedankt.

Im zweiten Buche ihrer Memoiren sagt Glückel von Hameln: »Meine lieben Kinder, ich schreib euch dieses, damit, wenn heute oder morgen eure lieben Kinder und Enkel kommen, und sie ihre Familie nicht kennen, ich dieses in Kürze aufgestellt habe, damit ihr wißt, von was für Leuten ihr her seid.«

Aus diesen Worten schon kann man, im Sinne der Frau, die ihre Aufzeichnungen in schlaflosen Nächten niedergeschrieben hat, das Recht herleiten, ihren Memoiren wieder eine Form zu geben, die sie der heutigen Zeit näher bringen.

Es wird sich damit aufs neue die Absicht der Schreiberin erfüllen: Fast zwei Jahrhunderte nach ihrem Tode werden Kinder und Enkel anderer Generationen erfahren, »von was für Leuten sie her sind«.

Aber auch solche Leser, denen das Buch kein Anlaß ist, die Fäden zu längst vergangenen Zeiten in einer Art von Familienpietät zurück zu verfolgen – die nicht in halb fremdartig anmutenden, halb anheimelnden Darstellungen ein Wiederbeleben und Wiedererleben von Gefühlen verspüren, die sonst nur als Tradition dunkel von uns empfunden werden – denen das Buch nicht Quelle atavistischer Empfindungen der seltsamsten Art ist, auch solche Leser werden Freude haben an dem Frauenbilde, das ihnen aus diesen Blättern entgegentritt.

Glückel von Hameln zeigt uns die Lebenszähigkeit und Lebensfreudigkeit der Juden ihrer Zeit in ihrem engsten Kreise und in ihren geschäftlichen, mitunter weit ausgreifenden Beziehungen in Erfolg und Mißerfolg, Glückel zeigt sich auf der Höhe der Bildung jener Epoche, mit dem spezifischen Einschlage jüdischer Gelehrsamkeit. Hinausblickend über die Sorgen des Alltags, die für die Juden der damaligen Zeit fast erdrückend waren, erscheint sie uns als kluge, starke Frau, die trotz des Herzeleides, das sie erlebte, trotz der schweren Schicksalsschläge, die sie erduldete, aufrecht blieb.

Wenn man so Blatt für Blatt der sieben Bücher ihrer Aufzeichnungen durchgeht, findet man in bunter Reihenfolge Erinnerungen an die Ereignisse der großen Welt, Schilderungen der Vorkommnisse aus ihrem engeren Kreise, Einblicke in reges Geschäftstreiben, Bilder aus dem Familien- und Gemeindeleben, Reiseerlebnisse, und dazwischen Erzählungen und Legenden, alles in ureigentümlichster Auffassung und Darstellung.

Glückel von Hameln gebührt ein Platz unter denjenigen Frauen, die bescheiden und unbewußt das beste und wertvollste eines Frauendaseins verkörperten.

Frankfurt a. M., im März 1910.

Bertha Pappenheim.

1 Frankfurt a. M., Verlag von J. Kauffmann (1896). Auf Vorrede und Anmerkungen sei besonders hingewiesen.

2 Für die hebräischen Textstellen habe ich die Hilfe von Sachverständigen in Anspruch genommen.

3 Vergl. Beilage F.

Erstes Buch

Inhaltsverzeichnis

Im Jahre 1691 beginne ich dieses zu schreiben, aus vielen Sorgen und Nöten und Herzeleid, wie weiter folgen wird. Gott aber erfreue uns so lange Zeit, als er uns plagte, und schicke unseren Messias und Erlöser bald. Amen.

Alles, was Gott – gelobt sei er – erschaffen hat, hat er nur zu seiner Ehre erschaffen und »die Welt wird mit Barmherzigkeit erbaut werden«. Wir wissen, daß Gott – gelobt sei er und gelobt sein Name – alles erschaffen und getan aus eitel Gnade und Barmherzigkeit, denn der Herr – gelobt sei er – hat keines seiner Geschöpfe nötig. Aber da der Gepriesene vielerlei erschaffen hat, ist alles zu seiner großen Ehre, und er hat alles mit Gnade und Barmherzigkeit erschaffen, daß es uns sündigen Menschen alles zu nutzen kommt.

Denn alles, was erschaffen ist, kommt uns Menschen zu nutzen, auch das, was wir Menschen schon nicht begreifen oder betrachten können.

Aber es ist so, wie König David gefragt hat, wozu ein Narr und eine Wespe und eine Spinne ist erschaffen worden, denn ihm hat gedeucht, wem zu nutzen kommen die dreierlei auf die Welt. Aber er ist endlich gewahr worden, daß alle dreierlei ihm selber sind zu nutz gekommen und ihm, nächst Gott, sein Leben erhalten haben, wie es im Buche der Könige beschrieben ist. Wer es wissen will, kann es in den 24 Büchern nachlesen. Nun ist auch bekannt, wieviel Trübsal, Elend und Widerwärtigkeiten wir sündige Menschen in dieser vergänglichen Welt haben.

Zudem finden wir, wieviel fromme Leute in der Welt sind, denen es gar übel ergeht und die im Diesseits gar elendiglich leben. Hingegen findet man wiederum viele Böse, die in großem Wohlstand tagen und in Reichtum leben. Es geht ihren Kindern gar wohl, dagegen es den Gerechten und Gottesfürchtigen nebbich und ihren Kindern gar übel ergeht. Nun wollten wir uns Gedanken machen, wie kann das sein, Gott der Allmächtige ist ja ein gerechter Richter. Ich hab mir aber gedacht, auch das ist eitel, denn die Werke des Allmächtigen – gelobt sei er – sind unmöglich auszudenken und zu ergründen. Unser Gesetzgeber Moses hat es gerne wollen und hat gesagt: »Mache mir Deine Wege bekannt«, ist aber nicht dazugekommen. Darum sollen wir nicht darüber grübeln. Das ist auf alle Fälle gewiß, daß diese Welt zu keinem anderen Zweck erschaffen worden ist, als wegen jener Welt. Und darum hat uns Gott in seiner großen Gnade in diese Welt, die nichts und vergänglich ist, gestellt, damit wenn wir wohl tun und unserem großen Herrn wohl dienen, dann bringt er uns unbedingt aus der beschwerlich mühseligen Welt in eitel Ruhe und Sänftigkeit.

Es besteht all unser Übel- und Wohlleben in dieser Welt nur für eine kleine Zeit. Des Menschen Leben ist gesetzt auf siebzig Jahre, wie bald sind die hin. Wieviel hunderttausend Menschen sind, die lange auch das nicht erreichen; aber das Jenseits ist immer und ewig. »Wie groß ist die Güte, die du denen bewahrst, die dich fürchten.« Wohl dem, dem Gott Lohn gibt im Jenseits, im ewigen und unvergänglichen. Denn alle Bedrängnis, Sorgen und Unheil, die der Mensch auf dieser Welt hat, sind nur eine Zeitlang.

Wenn der Mensch all seine Nöten, Leid und Widerwärtigkeiten ausgestanden hat und seine Stunde ist abgelaufen, daß er sterben soll, alsdann stirbt er mit denen allen zugleich, welche ihre Tage in großer Wollust gelebt haben. Jedoch jener Arme, der nebbich seine Tage in Nöten und Leid zugebracht hat, stirbt sicher ruhig, denn: »Auf diesen Tag hab ich gewartet.« Er ist nebbich alle Tage gestorben und hat allzeit seine Zuversicht in Gott gehabt, daß es ihm im Jenseits besser gehen werde, und hat immer behauptet, er habe eine Schuld bei Gott – denn all seine Freude und Trost auf dieser Welt ist die Hoffnung auf das Jenseits. »Wann werde ich kommen und das Antlitz Gottes sehen?« Daraus schließt mein kleiner Verstand, daß dem Armen das Sterben nicht schwer fällt und er es gar mit Ungeduld erwartet.

Ganz anders der reiche Bösewicht, der all seine Wollust in Gut und Geld genommen hat; der sieht nichts anderes vor sich, als lauter Gutes. Es geht ihm und seinen Kindern ganz wohl, es hindert ihn nichts. Aber wenn dem seine Zeit kommt, daß er soll von dieser Welt gehen, und er weiß, was für Lust und Gutes und Freude er in dieser Welt gehabt hat – besonders wenn er sich in seinen letzten Betrachtungen befindet und er bedenkt, welches Gute Gott ihm in dieser Welt gegeben hat – und wenn er bedenkt, daß er dem Höchsten nicht recht gedient und sein Amt nicht richtig versehen hat, gewiß, wenn er daran denkt, daß er von all seinem Reichtum weggehen und von dieser Welt scheiden und in die ewige Welt eingehen muß, daß er muß sein Amt niederlegen und Rechnung geben, wie er sich im Diesseits verhalten hat – dann wird ihm die Reise viel schwerer und saurer ankommen als nebbich den Armen.

Wozu soll ich noch dabei verweilen, meine lieben Kinder. Ich habe dieses angefangen zu schreiben mit Gottes Hilfe nach dem Tode eures frommen Vaters, und es hat mir wohl getan, wenn mir die melancholischen Gedanken gekommen sind, aus schweren Sorgen, als wir waren wie eine Herde ohne Hirt und wir unseren getreuen Hirten verloren haben. Ich habe manche Nacht schlaflos zugebracht und ich habe besorgt, daß ich nicht, Gott bewahre, in melancholische Gedanken sollte kommen. Darum bin ich oft nachts aufgestanden und habe die schlaflosen Stunden damit zugebracht.

Meine lieben Kinder, ich gehe nicht darauf aus, euch ein Moralbuch zu machen und zu schreiben, ich bin nicht kapabel dazu, dazu sind unsere Weisen da, die viele Bücher darüber geschrieben haben. Wir haben unsere heilige Thora, damit wir alles daraus ersehen und begreifen können, was uns nützlich ist und was uns vom Diesseits in das Leben des Jenseits bringt. Und an unserer lieben Thora können wir uns festhalten.

Zum Exempel: Es ist ein Schiff mit Leuten auf dem Meer gefahren. Einer ist auf den Bord des Schiffes gegangen und hat sich so sehr in das Meer gebückt, daß er ins Wasser gefallen ist und wäre ersoffen. Der Schiffer hat das gesehen und ihm mehrere Stricke zugeworfen und ihn aufgefordert, er solle sich an den Stricken festhalten, dann wird er nicht ersaufen. Also sind wir sündige Menschen in dieser Welt, als wenn wir auf dem Meer schwämmen. Wir wissen uns keinen Augenblick sicher, daß wir nicht ersaufen. Aber Gott der Allmächtige hat uns in Gnade und Barmherzigkeit erschaffen, daß wir ganz ohne Sünde sein sollten. Aber durch die Sünde des Adam ist die Versuchung leider Gottes in uns mächtig geworden. Nun hat Gott – gelobt sei er – viele Heere von Engeln geschaffen. Alle tun den Willen Gottes – gelobt sei er – und folglich ist kein böser Trieb in ihnen und alles Gute tun sie ohne Geheiß.

Noch hat Gott Haustiere, wilde Tiere, Vögel und sonstige Tiere erschaffen, die haben eitel bösen Trieb und wissen von nichts Gutem. Dann hat Gott – gelobt sei er – uns Menschen in seinem Ebenbild erschaffen und wir haben Verstand wie die Engel.

Aber uns Menschen ist die Wahl gegeben, daß wir tun können, was wir wollen: Böses – Gott bewahre – oder Gutes. Aber der große, gnädige, gütige Gott mit seiner großen Barmherzigkeit hat uns Stricke ausgeworfen, woran wir uns festhalten sollen. Das ist unsere heilige Thora, die uns vor allem warnt, daß wir nicht versaufen, und uns sagt, wie sehr wir Macht haben, zu tun, was wir wollen. Aber in unserer lieben Thora steht auch, daß wir sollen fromm sein und alles Gute tun, wie die Engel tun. Und in der Thora steht geschrieben von Lohn und Strafe für gute und böse Taten. »Du aber wähle das Leben.« Gott bewahre, daß wir unserem Schöpfer nicht sollten dienen und sollten leben nach unserer bösen Herzenslust wie das unvernünftige Vieh, das keinen Lohn und keine Strafe weder im Diesseits noch im Jenseits hat. Wenn wir, Gott bewahre, so täten, so wären wir viel ärger als das Vieh. Denn das Vieh fällt nieder und stirbt und hat keine Rechenschaft zu geben, aber der arme Mensch, sobald er stirbt, muß er Rechenschaft geben vor seinem Schöpfer. Wohl uns Menschen, so wir unsere Rechenschaft hübsch fertig machen, so lange wir leben.

Indem wir wohl wissen, daß wir sündig sind und daß der böse Trieb in uns herrscht, »denn kein Gerechter ist im Lande, der das Gute tut und nicht sündigt«, also soll sich der Mensch einrichten, sobald er eine kleine oder große Sünde getan, zu bereuen und Buße zu tun, wie unsere Sittenlehrer geschrieben haben, damit die Sünde aus dem Buche gelöscht werde und dafür sogar eine Guttat angeschrieben werde.

Aber wenn der sündige Mensch so hinlebt wie das Vieh und nichts Gutes, sogar alles Böse tut, und in seinen Sünden also hinstirbt, o wie wird er auf jener Welt sein Buch mit eitel Schulden – die seine Sünden sind – finden gegenüber dem Blatte, wo billigerweise sein Guthaben – Buße und gute Taten – stehen sollte, das leer ist. Also bleibst du, sündiger Mensch, Schuldner, und womit willst du deinen Erschaffer bezahlen, der dich so treulich hat warnen lassen?

Nun, was soll ich alle Nöten und Pein beschreiben, die der sündige Mensch muß ausstehen und mit was für Angst und bitterer Not und Qual, und wie lange er an seinen Schulden im Jenseits zu bezahlen hat. Ist doch Gott – gelobt sei er – so erbarmend, daß er von ihm seine Schuld auf dieser Welt abnimmt, wenn sie der Mensch einzeln bezahlt, indem er Buße, Gebet und Almosen und gute Taten hübsch einzelweise tut. So kann er seine Schulden auf dieser Welt bezahlen. Denn Gott begehrt nicht, daß man sich mit der Buße ums Leben bringen soll. Nein, alles hübsch wie unsere Weisen geschrieben und in unserer Thora steht, und wenn der Mensch dann solches tut, so macht er sein Buch rein auf dieser Welt und hat keine verworrene Rechnung und kann alsdann mit Freuden zu seinem Erschaffer kommen. Denn der große Gott ist barmherzig. Was ist denn sonst Gott daran gelegen, ob der Mensch gut oder, Gott behüte, böse ist, »nur aus Gerechtigkeit und Barmherzigkeit hat er es uns getan, wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt«. Wir sind seine Kinder, Gott hat Mitleid mit uns, wenn wir nur selber wollen. Wir bitten »erbarme dich unser, wie ein Vater seiner Kinder«.

Wehe, wenn sich Gott nicht sollte unser erbarmen, wie Eltern über Kinder. Ein Mensch, der ein böses Kind hat, tut an ihm und hilft ihm zweimal und dreimal, endlich wird er müd und verstößt sein böses Kind und läßt es geh’n, wenn er auch wissen muß, daß es sich sollt verrecken.

Aber wir armen Kinder, wir sündigen gegen unseren himmlischen Vater allezeit, alle Stunde, alle Augenblicke; aber der große, gütige, himmlische Vater läßt uns doch durch seine große Barmherzigkeit wissen, wann wir schon sehr mit Sünden beschmutzt sind. Und wenn wir ihn mit ganzem Herzen anrufen und für unsere Sünden Buße tun, nimmt er uns viel eher wieder an, als ein menschlicher Vater sein böses Kind.

Darum, meine herzlieben Kinder, verzweifelt – Gott bewahre – nicht an Buße, Gebet und Almosen, denn dem großen Gott seine Barmherzigkeit ist gar groß. Gott ist gnädig, barmherzig und langmütig ebensowohl zu dem Bösen als zu dem Gerechten, so sie ihre bösen Taten lassen und beizeiten Buße tun. Gewiß soll sich ein sündiger Mensch so viel als möglich vorsehen, daß er nicht sündigt. Jeder Mensch weiß, was für eine Sünde es ist, wer wider seinen Vater sündigt, und wie wohlgefällig, welche Guttat es ist, wer Vater und Mutter ehret; und wieviel mehr soll man sich dann in acht nehmen, daß wir unseren himmlischen Vater, der uns und unsere Eltern erschaffen hat, nicht erzürnen sollen. Denn der große gütige Gott hat uns sündige Menschen nackt und bloß erschaffen, er gibt uns das Leben, Essen und Trinken, Kleider und alle unsere Bedürfnisse haben wir durch seine heilige milde Hand. Obschon es der eine besser als der andere auf der Welt hat, so können wir nichts judizieren, und ist oft manchem sein Vorteil vorbehalten für jene Welt. Seid versichert, daß bei dem großen gütigen Gott nichts verloren ist. Wenn es dem Gerechten auf dieser Welt nicht wohl ergeht, so sei er doch versichert, daß ihm seine Gerechtigkeit in der anderen Welt wird genug Zinsen tragen. Alsdann wird er Reichtum und Freuden haben und alles, was er nebbich in dieser Welt nicht gehabt hat und was er hat sehen müssen, daß viele Böse in der Welt gehabt haben.

Und wenn der fromme Mensch oft nicht so viel hat, daß er sich kann am lieben Brot satt essen, nimmt er also fürlieb und lobt und dankt seinem Erschaffer und bringt endlich mit Geduld und Frömmigkeit sein Trübsal vor den höchsten Richter; dann wird er finden, warum es auf dieser Welt dem Gerechten und Frommen übel ergeht und vielen aufgeblasenen, hochmütigen Frevlern wohl ergeht. Dann wird er sehen, wie seine Frömmigkeit und sein Glauben recht waren, und wird den Höchsten loben und denken: Wenn uns Gott – gelobt sei er – etwas auf den Menschen schickt, tut er alle zurechten, denn wir sündige Menschen sind böse Kinder, die der große gnädige Gott gerne ziehen wollt, daß wir gute Kinder und Knechte unserem gnädigen Herrn und Vater werden. Er straft darum uns, damit wir von der Strafe sollen klug werden und lernen, daß wir in Gottes Weg sollen gehen. Denn all das Gute, das uns Gott der Allmächtige gegeben hat, das haben wir nicht um ihn verdient, dem wir nicht genug dienen können für alles, was er uns tut. Solches wäre mir auch zu viel zu schreiben, aber wir müssen wissen, daß alles, was wir haben, ein Geschenk seiner großen Gnade und Barmherzigkeit ist. Aber daß wir oft gestraft werden, geschieht, um unsere Taten zu bezahlen. Wohl dem, den Gott auf dieser Welt straft, was man alles soll in Liebe aufnehmen.

Solches werdet ihr lesen aus der Geschichte mit dem Arzt, eine Geschichte, die ich gefunden habe in dem Buche des Gaon Rabbi Abraham, Sohn des Sabbathai Levy, die er in seinem Moralbuch geschrieben hat. Wenn einem Gott – er behüte uns – Nöten und Schmerzen zuschickt, ist dieser Trank ganz gut. Es ist ein König gewesen, der hat einen Arzt gehabt, der gar ein großer Weiser gewesen ist und gar hoch angesehen war bei dem König. Einmal hat der Arzt etwas wider den König getan; da hat der König gar sehr über ihn gezürnt und befohlen, man soll ihn züchtigen und peinigen mit Eisen, um seinen Hals und um seine Füße; man soll ihm seine guten Kleider austun und man soll ihm grobe, stachelige Kleider antun; man soll dem Arzt nichts anderes zu essen geben, als ein Stück Gerstenbrot und ein Mäßchen Wasser zu trinken. Der König hat seinen Knechten, die über das Gefängnis gesetzt sind, befohlen, daß sie sollen wohl Achtung geben, was der Arzt reden werde. Nach einigen Tagen sollen sie wieder zum König kommen und ihm sagen, was sie von dem Arzt gehört haben. So sind die Wächter zu dem König gekommen und haben gesagt: »Wir haben nichts von dem Arzt hören können, denn er hat gar nichts geredet. Allezeit haben wir wohl gespürt, daß er ein großer Weiser ist.«

Nach langer Zeit, als der Arzt noch immer im Gefängnis gesessen, hat der König nach den Verwandten von dem Arzte geschickt, sie sollten zu dem König kommen. Also sind die Verwandten des Arztes mit großer Sorge und Zittern vor den König gekommen, denn sie sind sehr besorgt gewesen für das Leben ihres Verwandten, des Arztes, und fürchteten, daß ihnen der König den Tod des Arztes möchte ankündigen.

Wie sie vor den König gekommen sind, hat der König ihnen befohlen, sie sollen zu ihrem Verwandten, dem Arzte, in das Gefängnis gehen und sollen ihn besuchen und mit ihm reden. Vielleicht werden ihre Reden ihm angenehm sein und in seine Ohren gehen. – Die Verwandten sind zu dem Arzt in das Gefängnis gegangen und haben also angefangen mit ihm zu reden: »Unser Herr und Freund, es ist uns sehr leid, daß wir sehen deinen Leib in großen Nöten im Gefängnis, und daß man den Herrn züchtigt und peinigt mit Eisen an Hals und Füßen. Anstatt, daß unser Herr pflegte allerhand gute Speisen zu essen, ist sein Essen jetzunder ein Stückchen Gerstenbrot; anstatt daß er pflegte zu trinken den allerbesten Wein, kriegt er nichts mehr als ein Mäßchen Wasser. Unseres Herrn und Freundes Kleidung ist gewesen in Sammet und Seide, jetzunder sehen wir wohl, daß er nichts anderes an hat, als grobe, wollene, stachelichte Kleider. Darüber verwundern wir uns sehr. Bei all dem ist das Angesicht des Herrn nicht verändert; das Fleisch an seinem Leib ist ihm nicht gemindert, seine Kraft ist noch vollkommen; wie in unseres Herrn und Freundes guten Zeiten finden wir ihn jetzunder. Wir bitten unseren Herrn, er wolle uns doch sagen, wie er alle dermaligen großen Schmerzen ausstehen kann, ohne daß sie ihm schaden und man sie ihm ansieht.«

Da hat der Arzt seinen Anverwandten wieder geantwortet und gesagt: »Meine lieben Freunde, da ich in das Gefängnis gekommen bin, habe ich siebenerlei Kräuter genommen und habe sie untereinander gemischt und gut zerstoßen und mir einen Trank davon gemacht. Von diesem Trank trinke ich alle Tage ein wenig, und das hilft mir, daß mein Gesicht nicht verändert ist, daß mein Fleisch sich nicht vermindert, daß ich bei meiner Kraft bin und die Schmerzen aushalten kann und ganz zufrieden bin.« Also sagen dem Arzt seine Verwandten zu dem Arzt: »Unser Herr und Freund, wir bitten dich gar sehr, sag uns, was das für Kräuter sind, die der Herr in seinen Trank getan hat, vielleicht möcht es geschehen, daß einer von uns auch solch große Schmerzen und Nöten hätte als wie der Herr hat, und daß wir uns auch so einen Trank machen wollten, um davon zu trinken, erwartend, daß wir in unserem Schmerz und Kummer auch nicht sterben.«

Also sagte der Arzt: »Meine lieben Freunde, ich will es euch sagen. Das erste Kräutel ist, daß ich meine Zuversicht auf Gott – gelobt sei er und sein Name – habe, daß er mich vor allen Nöten und Schmerzen, wenn sie auch noch so bös wären, beschirmen kann und auch vor der Hand des Königs: denn das Herz des Königs ist in Gottes Hand, was Gott – sein Name sei gepriesen – haben will, muß er tun. Das andere Kraut ist die Hoffnung und der gute Rat, den ich mir selber gebe, daß ich alles für gut annehme und alle meine Schmerzen in Liebe aufnehme. Das ist mir ein guter Rat, daß ich in meinen Nöten nicht verloren werde.

Das dritte Kräutel ist, daß ich wohl weiß, daß ich gesündigt habe und wegen meiner Sünden in das Gefängnis gekommen bin und in die großen Schmerzen und Nöten. Nun, weil das alles wegen meiner Sünden geschehen ist, also bin ich ja selbst schuld daran. Warum sollt ich denn ungeduldig sein oder murren, wie geschrieben steht: ‚Euere Sünden stehen als Scheidewand zwischen euch und eurem Gott‘. Und darauf haben unsere Weisen gesagt, es kommen keine Schmerzen auf den Menschen, ohne daß er gesündigt hat.

Das vierte Kräutel ist dieses: Wenn ich ja ungeduldig werde und wollt es nicht erdulden, und würde murren in meinem Schmerz und Nöten, was sollte oder könnte ich tun? Könnte ich es damit anders machen? Es könnte ja noch viel ärger sein, denn wenn der König gebieten sollte, daß man mich töten sollte, müßte ich ja sterben, bevor meine Zeit gekommen ist. Alsdann wäre ja alles verloren, wie König Salomo gesagt hat: ‚Besser ein lebendiger Hund, als ein toter Löwe‘.

Das fünfte Kräutel ist dieses, daß ich weiß, daß mich Gott – gelobt sei er – zu meinem Guten straft, mit hartem Schmerz, erwartend, daß ich meiner Sünden auf dieser Welt ledig würde, und es wird mir das zukünftige Leben zuteil werden. Wie es heißt: ‚Wohl dem Menschen, den Gott mit Schmerzen straft‘. Also freue ich mich mit den Schmerzen. Und mit der Freude, daß ich mich darüber freuen kann, bringe ich eine große Woltat in die Welt. Wie geschrieben steht: ‚Jeder, der sich mit seinen Schmerzen freut, bringt die Erlösung in die Welt.‘

Das sechste Kräutel ist, daß ich mich mit meinem Anteil freue und Gott – er sei gepriesen – dafür danke, denn ich könnte mit eisernen Bändern noch mehr Schmerzen haben, man könnte mich schlagen, mit Stöcken und Ruten züchtigen und Schmerzen machen, die bitterer als der Tod wären.

Ich eß jetzunder Gerstenbrot; wenn der König wollte, gäb’ man mir gar nichts zu essen, nicht Gersten- und nicht Weizenbrot. Jetzunder läßt mir der König Wasser in einem Mäßchen geben; wenn der König wollte, gäb man mir gar nichts zu trinken. Jetzunder sind meine Kleider von grober, stachlichter Wolle; wenn der König wollte, müßte ich gar nackt gehen, Sommer und Winter. Und es könnte geschehen, daß man mir solche Schmerzen antäte, daß ich wünschte, daß es Morgen wäre, wenn es Nacht ist, und daß es Nacht wäre, wenn es Tag sollte sein. Also nehme ich mit den Schmerzen fürlieb.

Das siebente Kräutel ist: ‚Gottes Hilf kann kommen jeden Augenblick,‘ denn Gott ist erbarmend und leutselig und bedenkt das Böse, bevor er es einem Menschen zuschickt. Und Gott – gelobt sei er – kann auch den Menschen aus seinen Nöten herausziehen und kann ihn heilen von seinem Schmerz und seinem Wehtag.

Also, meine Freunde, hab ich die sieben Kräuter gefunden und gebraucht. Dieselben haben mein Angesicht und meine Kraft erhalten. Darum soll jeder, der gottesfürchtig ist, die Strafe willig und freudig von Gott – gelobt sei er – aufnehmen. Denn die Schmerzen sind eine Erlösung für seinen Körper und ein Anrecht auf jene Welt, die ewig ist, und sind die Zuversicht in seinen Erschaffer, daß er ihm alles Gute geben wird.« Solches kann man aus dieser Geschichte lernen.

Liebe Kinder, ich mag mich nicht weiter einlassen, denn ich käm sonst all zu tief hinein und zehn Bücher wären mir nicht genug. Leset im deutschen Brand-Spiegel, im »Leb taub« oder, wer lernen kann, in Moralbüchern, dort findet man alles.

Dies bitte ich euch, meine Kinder: Seid geduldig. Schickt euch Gott – er sei gepriesen – eine Strafe, nehmt alles mit Geduld an und hört nicht auf, ihn zu bitten, vielleicht wird er sich erbarmen. Wer weiß, was uns sündigen Menschen gut ist: ob es uns gut ist, daß wir im Diesseits in großem Reichtum leben und viele gute Tage haben, und unsere Zeit in lauter Wollust in dieser vergänglichen Welt zubringen – oder ob es uns besser ist, daß uns der himmlische Vater allzeit in seiner gnädigen Hut hält in dieser sündigen Welt, damit wir unsere Augen allzeit gegen den Himmel haben und unseren gnädigen Vater allzeit mit ganzem Herzen und mit heißen Tränen anrufen. So bin ich sicher, daß sich der getreue, gütige Gott unser erbarmen und uns aus der langen, betrübten Verbannung erlösen wird.

Seine Barmherzigkeit ist groß, seine Gnade ist viel; was er uns verspricht, wird sicher kommen.

Laßt uns nur mit Geduld warten, meine lieben Kinder. Seid fromm und gut. Dienet Gott dem Herrn mit ganzem Herzen, sowohl wenn es euch wohl ergeht, als wenn es euch – Gott behüte – übel ergeht. »So wie man für das Gute danken soll, soll man auch für das Böse danken.«

Schickt euch Gott – gepriesen sei er – etwas zu, kränkt euch nicht zu sehr. Gedenkt, es kommt alles von dem Herrn. Schickt euch Gott – gepriesen sei er – eine Strafe, daß euch – Gott behüte – Kinder oder nahe Freunde absterben, kränkt euch nicht zu sehr, denn ihr habt sie ja nicht erschaffen. Der große Gott, der sie erschaffen hat, nimmt sie wieder zu sich, wenn es ihm gefällt. Was soll oder kann der aus Lehm geschaffene Mensch dazu tun, der doch selbst den Weg gehen muß.

Ebenso, wenn euch Gott eine Strafe schickt, daß ihr Geld verliert. Der Höchste gibt und nimmt. Wir sind nackt geboren und müssen wieder nackt davongehen, alles Geld hilft uns nichts.

Also, meine lieben Kinder, was der Mensch auch verliert: er soll Geduld haben, nichts ist sein, es ist ihm nur geliehen. Wenn sich aber der Mensch schon kränken soll, wenn ein Tag vergeht, an dem er kein wohlgefälliges Werk getan hat, wie soll er sich erst kränken, wenn er – Gott bewahre – eine Sünde getan hat. Denn wir Menschen sind zu nichts anderem erschaffen, als Gott zu dienen und seine Gebote zu halten und uns fest an unsere heilige Thora zu halten, denn »sie ist dein Leben und sie verlängert deine Tage«.

Zwar ist es keine Sünde, wenn sich der Mensch bemüht, daß er seine Frau und seine Kinder ehrlich ernährt. Seine Frau, seine Kinder und sein Hausgesinde ehrlich ernähren, heißt, zu jeder Zeit Almosen geben. Beschert ihm Gott – er sei gepriesen – dabei noch, daß er an Arme Almosen geben kann, heil ihm. Solche Mühe ist auch ein gottgefälliges Werk, denn der große himmlische Vater und einzige Gott hat es in seiner Weisheit so eingerichtet, daß ein Vater seine Kinder liebt, desgleichen die nächsten Anverwandten, einer den anderen, sonst könnte die Welt keinen Bestand haben.

Wozu soll sich’s aber ein Mensch sauer um seine Kinder werden lassen? Ein jeder Mensch könnte sich’s doch wohl sein lassen und nicht sorgen für seine Kinder und nächsten Anverwandten. Aber der große gütige Gott hat das alles nach seiner Barmherzigkeit getan, daß die Eltern ihre Kinder lieben und ihnen zurecht helfen, und daß die Kinder solches von ihren Eltern sehen und solches wieder an ihren Kindern tun.

Zum Exempel: Es ist einmal ein Vogel gewesen, der hat drei junge Vögelein gehabt und hat sich mit ihnen am Ufer des Meeres aufgehalten. Mit einem Male sieht der alte Vogel, daß ein großer Wind kommt und daß das Meer größer wird und über das Ufer kommt. So sagt er zu seinen Kindern: »Wenn wir nicht bald auf jener Seite vom Meere sind, so sind wir verloren«. Aber die jungen Vögelein haben noch nicht fliegen können, Also nimmt der Vogel das eine Vögelchen zwischen seine Füße und fliegt mit ihm über das Meer. Wie sie mitten über dem Meere sind, sagt der alte Vogel zu seinem Sohne: »Mein Kind, welche Nöte und Sorgen habe ich mit dir und wie wage ich mein Leben um deinethalben. Wenn ich nun alt sein werde, willst du mir auch Gutes tun und mich in meinem Alter ernähren?« Sagt das junge Vögelchen: »Mein herzlieb Vater, bring mich nur über das Wasser, ich will in deinem Alter alles für dich tun, was du von mir verlangst.« Der alte Vogel wirft seinen Sohn auf diese Reden ins Meer, daß er versäuft und sagt: »So soll man es einem Lügner, der du bist, machen«.

Also fliegt der alte Vogel wieder hinüber und holt das andere Vögelchen. Wie sie mitten ins Meer kommen, redet der alte Vogel wieder zu dem Vögelchen, wie er mit dem ersten geredet hat. Das Vögelchen sagt ihm auch, alles Gute in der Welt zu tun, gleichwie das erste geredet hat. Aber der alte Vogel nimmt es auch, wirft es ins Meer hinein und sagt: »Du bist auch ein Lügner« und fliegt wieder an das Ufer zurück und holt das dritte Vögelchen. Wie er auch mit dem dritten Vögelchen mitten ins Meer kommt, sagt er auch zu ihm: »Mein Kind, sieh, wie ich mich mühe und wie ich mein Leben um deinetwegen wage. Wenn ich nun alt werde und mich nicht mehr rühren kann, wirst du mir auch Gutes tun und mich in meinem Alter ernähren, wie ich dir in deiner Jugend tue?« Also antwortete das junge Vögelchen seinem Vater: »Mein lieber Vater, es ist alles wahr, was du sagst, daß du große Not und Sorge für mich hast. Ich bin schuldig, solches wieder an dir abzugeben, wenn es möglich sein wird, aber gewiß kann ich es dir nicht sagen. Aber das will ich dir zusagen, wenn ich auch einmal werd Junge kriegen, so will ich bei meinen jungen Kindern tun, wie du bei mir tust«. Da sagt der Vater: »Du redest recht und bist auch klug, dich will ich leben lassen und dir über das Wasser helfen«.

Daraus sieht man, daß Gott den unvernünftigen Vögeln eingegeben hat, daß sie ihre Jungen erziehen, und sieht man auch, wie ein Unterschied ist, wie Eltern sich um ihre Kinder bemühen und sie mit großer Sorgfalt erziehen. Aber wenn die Kinder so viel Mühe und Sorgen von ihren Eltern haben sollten, wie bald sollten sie es müde werden.

Um nun wieder auf unseren Zweck zu kommen, daß wir Menschen einer den anderen lieben sollen, wie gesagt wird: »Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst«, welches zwar ein Hauptpunkt ist, aber wir finden in den heutigen Geschlechtern sehr wenig und gar selten, daß ein Mensch den andern vom Herzen liebt. Im Gegenteil, wenn einer den andern kann in Grund verderben, geschieht es gern. Daß Eltern ihre Kinder lieben, das ist kein Wunder, das sehen wir und finden wir bei den unvernünftigen Tieren, die ihre Jungen haben und trachten, sie zu ernähren, solange bis sie sich selbst ernähren können. Dann werden sie von ihren Eltern verlassen. Wir Menschen sind in dem Stück besser und verständiger. Nicht allein, daß wir suchen, unsere Kinder zu erziehen und zu ernähren bis sie groß sind und uns missen können, sondern wir Menschen trachten für unserer Kinder Wohlergehen, solange wir leben. Wenn man auch schon manchen finden könnte, der sagen sollte: »Ei, was soll mir, daß ich soll ewig trachten und sorgen für meine Kinder? Ist es nicht genug, daß ich sie erzieh und für sie sorg und tracht, daß ich sie verheirate und ihnen eine ehrliche Mitgift nachgebe und sie zu ehrlichen Leuten bringe? Weiter mögen sie für sich selbst sorgen, daß sie an ihr Brot kommen«. Sicher ist das der rechte Weg und wär auch ganz recht und gut und billig. Denn wird denn der Mensch ewig ein Sklave sein? Ja, das kann wohl angehen und ist auch ein rechter Weg, solange es den Kindern und nächsten Freunden nach Wunsch wohl ergeht. Aber geht es – Gott bewahre – konträr, welcher Mensch, der ein vernünftig Herz in sich hat, kann es lassen und nicht die Last von seinen Kindern und nächsten Freunden tragen? »Rahel weint über ihre Kinder.«

»Ich bin der Mann, der die Pein erlebt hat.« Sicher ist ein größerer Kummer, an seinen Kindern Elend zu sehen als an sich selbst. Und nach meinem kleinen Verstand wäre es unserem Ältervater Abraham nicht so schwer angekommen, wenn es umgekehrt gewesen wäre, daß man ihn selbst hätte schächten sollen, als daß er seinen eigenen Sohn hat schächten sollen, »denn wer kann sehen, wie sein Kind verloren geht«.

Doch hat der liebe Abraham alles getan aus Liebe zu Gott – gelobt sei er – und darum ist ihm alles nicht schwer gefallen. Wenn wir, Gott bewahre, in der Welt nichts anderes hätten als dieses Exempel, wäre es genug, wie wir sollen Gott in Liebe dienen und nichts Weltliches und Vergängliches achten, denn der große Gott hat alles gegeben und wenn es ihm beliebt, mag er es wieder nehmen: Wir können gegen seine Taten nicht reden.

Vielen Bösen geht es im Diesseits wohl; desgleichen geht es auch vielen Frommen wohl und umgekehrt geht es auch vielen Frommen im Diesseits übel und vielen Bösen auch; demnach nichts besseres, meine lieben Kinder: dient Gott mit all eurem Herzen, ohne alle Falschheit und Heuchelei, ohne euch vor den Menschen zu verstellen und ohne daß es – Gott bewahre – anders in eurem Herzen wäre. Euer Gebet sollt ihr in Andacht und Ehrfurcht und Gottesfurcht tun und nicht in der Zeit des Betens stehen und anderen Geschichten erzählen. Ich halte solches für eine Hauptsünde, die man an dem großen Erschaffer tut, so man mitten im besten Gebet mit einem Menschen redet ganz anderes Geschwätz. Soll denn Gott – gelobt sei er – so lange auf ihn warten, bis er mit jenem fertig ist? Nun, davon haben unsere Weisen genug geschrieben, wie schon gesagt. Darüber könnt ihr dort nachlesen und dann hübsch ein Stück Thora lernen, so gut einer kann und weiß. Und dann auch fleißig bedacht sein, daß man sein Weib und seine Kinder ehrlich ernährt, welches auch ein sehr wohlgefälliges Werk ist. Besonders soll man seinen Handel und Wandel ehrlich treiben, mit Juden und mit Nichtjuden, damit, Gott behüte, keine Entweihung des heiligen Namens geschieht.

Hat man Geld oder Ware von anderen Leuten in Händen, muß man mehr Sorge dafür haben, als für das seinige selbst, damit man, Gott bewahre, keinem ein Unrecht tut. Denn dieses ist die erste Frage im Jenseits, die man gefragt wird, ob man den Handel ehrlich getrieben hat und ob man sich im Diesseits bemüht hat und nicht, Gott bewahre, mit Raub und Diebstahl viel Geld gesammelt und davon seinen Kindern große Mitgift und nach seinem Tod große Erbschaft gegeben hat. Weh und Wind den Bösen, die um ihrer Kinder Reichtum wegen jene Welt verlieren, da sie doch nicht wissen, ob solches gestohlenes und geraubtes Geld bei ihren Kindern Bestand hat, und wenn es schon Bestand hat, so währt es doch nur eine Zeit und nicht ewig. Und warum soll denn der Mensch das Zeitliche für das Ewige verkaufen? Wenn ein großer Berg von Sand soll abgegraben werden und man nimmt jeden Tag nur ein wenig davon, ist doch die Hoffnung, daß man ihn endlich wegmachen kann. Aber, Gott behüte, die Ewigkeit zu verlieren, das ist das Jenseits, das ist zu betrachten und zu bejammern, wenn man nicht darauf achtet.

Wer wollte, daß wir so leben könnten, wie man es findet in der Beschreibung von Alexander von Mazedonien! Dort in dem Land haben Leute gewohnt, die man für große Weise gehalten hat. Sie haben von der ganzen Welt nichts gehalten; sie haben nichts anderes gegessen, als was die Natur hat wachsen lassen, desgleichen nichts anderes als Wasser getrunken. Kein Zank und kein Haß war zwischen ihnen und sie hatten keine Kleider an.

Alexander von Mazedonien, der, wie man weiß, die ganze Welt erobert hat, hatte gar viel von diesen Leuten, ihrem Leben und ihrer Weisheit gehört. Also hat er seine Abgesandten zu ihnen geschickt, sie sollten zu ihm kommen und von ihrem Herrn und König Gnade erbitten, werden sie das nicht tun, will er sie alle vertilgen. Haben sie ihm zur Antwort gegeben: »Wir kommen nirgends hin und gehen nirgends hin und gehen nicht aus unserem Land. Wir gelüsten nicht nach Silber und Gold, wir begnügen uns mit dem, was uns Gott gibt und die Natur. Sagt eurem König, wenn wir nicht zu ihm kommen und er dann zu uns kommen und uns töten will, das mag er wohl tun, dazu braucht er keine große Rüstung, denn wir werden ihm keinen Widerstand tun, denn wir fragen nicht nach unserem Leben. Denn wenn wir tot sind, leben wir erst. Will aber euer König in Frieden zu uns kommen und unsere Sitten und Weisheit anhören, soll es uns lieb sein.« Also sind dem König Alexander seine Abgesandten wieder zum König gekommen, haben ihm alles gesagt, und hat sich der König Alexander, umgeben von seinen vornehmsten Leuten, aufgemacht, und ist zu ihnen gezogen. Er ist bei ihnen etliche Tage geblieben, hat große Weisheit von ihnen gehört und gelernt, und ist gar friedlich mit ihnen gewesen und wollte ihnen große Geschenke geben. Aber sie haben nichts haben wollen und haben gesagt: »Wir brauchen kein Geld, kein Silber, kein Gold; die Natur gibt uns genug.« Also sagt der König Alexander: »So erbittet von mir, was ihr haben wollt. Ich will es euch geben.«

Da fangen sie miteinander an zu rufen: »Herr und König, gib uns das ewige Leben.« Sagt der König: »Wie kann ich euch das geben? Wenn ich das zu vergeben hätte, wollt ich es mir selbst geben.« So sagen die Weisen: »Nun, Herr und König, prüfe deine eigenen Gedanken, derweil du ja weißt, daß alles, was der König tut, alle Mühe und Anstrengung, die er hat, so viel Leute und Land zu vernichten, und das alles behältst du nur auf eine kleine Weile und nichts auf ewig. Wozu hat der König das alles gesollt?«

Darauf hat der König nichts zu antworten gewußt, doch hat er zu ihnen gesagt: »Ich hab die Welt also gefunden, so muß ich sie auch so lassen. Des Königs Herz kann nicht ohne Bewegung des Kriegswesens sein.«

Diese Geschichte schreibe ich nicht als eine wahre Begebenheit; es mag auch eine heidnische Fabel sein. Ich hab sie hierhergestellt, um mir die Zeit zu verkürzen und zu zeigen, daß es Leute in der Welt gibt, die den Reichtum nicht achten und sich allezeit auf ihren Erschaffer verlassen.

Nun, wir haben – Gott sei Dank – andere Moralbücher, von denen wir alles Gute lernen können. Ich schreib euch dieses auch nicht als Moralbuch, es geschieht nur, wie gesagt, des Abends, um die lange Nacht nicht mit melancholischen Gedanken zu verbringen. »Sie weinet bei Nacht.« Also dieses zur Hand genommen, soviel mir bewußt ist und soviel es sich tun läßt, von der Beschreibung meiner Jugend, was mir noch im Gedenken ist, was mir passiert ist.

Nicht daß ich mich sollt überheben oder mich sollte – Gott behüte – für fromm beschreiben oder halten. Nein, »unsere Sünden sind zu viel, um verziehen zu werden«. Ich bin eine Sünderin, die alle Tage, alle Stunden und alle Augenblicke viel Sünden tut, und bin leider von wenig Sünden ausgeschlossen. »Darüber weine ich und aus meinem Auge fließt Wasser.« Wer gäbe, daß ich könnte weinen und bereuen und recht Buße tun für meine Sünden, wie es sich gehört. Aber meine Beschäftigung mit mir und meinen Kindern und leider meine Sorgen für die Söhne und Töchter, die verwaist sind, und das weltliche Wesen lassen mich nicht zu meinem Stand, wie ich gerne wollte und sollte. Ich bitte Gott, meinen Erschaffer, er wolle so gnädig sein und mir aus allen meinen Nöten und Sorgen, die ich auf mir hab, helfen.

»Denn im geheimen weint meine Seele, und mein Bett überfließt von Tränen.« Denn wir haben niemanden, auf den wir uns verlassen können, als unsern Vater im Himmel. Denn wir Menschen wissen nicht einer von des andern großen Sorgen, und ein jeder Mensch meint, daß seine Sorge die größte ist.

Es ist ein Philosoph auf der Gasse gegangen. Ist ihm ein guter Freund begegnet und hat ihm sehr geklagt, wie er so große Sorge und Beschwernis hat. So sagt der Philosoph zu seinem Freunde: »Komm mit mir, laß uns auf die Höh von einem Dach steigen.« Also ist er mit seinem Freunde hinaufgestiegen, da haben sie alle Häuser in der Stadt sehen können. Also sagt der Philosoph zu seinem Freunde: »Nun, komm her mein Freund, ich will dir alle Häuser in der ganzen Stadt weisen, und sieh, in dem Hause steckt das Leid und Unglück, in jenem ist wieder die Beschwernis und Sorg«. In Summa hat der Philosoph seinem Freunde gewiesen, daß in allen Häusern der Stadt, in einem jeden Hause seine abgesonderte Sorge und Beschwernis steckt. »Nun, mein Freund, nimm nun deine Beschwerlichkeit und Sorg und wirf sie unter die Häuser, und ergreife dir die Beschwernis von einem der Häuser.«

Aber er hat alles wohl observiert und überlegt, daß in jenen Häusern auch so viel und fast mehr Widerwärtigkeiten und Sorge steckt, also er lieber die seinen wollte behalten. Also ist auch das gemeine Sprichwort: »Die Welt ist voll Pein, ein jeder findet das Sein.« Nun, was soll man tun? Wenn wir Gott – er sei gelobt – mit ganzem Herzen anrufen, wird er uns nicht verlassen und in unserer Hilfe und in der Hilfe von ganz Israel sein, und uns Gutes und Tröstliches verkündigen, und wird uns schicken unseren Erlöser, unseren gerechten Messias bald in unseren Tagen. Amen. So geschehe sein Wille.

Ende von meinem ersten Buche.

Zweites Buch mit Gottes Hilfe

Inhaltsverzeichnis

Derweil ich dieses und was schon geschrieben und was ich schreiben werde, aus großem, betrübten Herzen tue, geschieht es nach dem Absterben von meinem lieben Mann – er ruhe in Frieden – welcher ist gewesen unser getreuer Hirt. Nun, sicher von unserer Sünden wegen hat ihn Gott – gelobt sei er – zu sich genommen, denn »vor dem Bösen ist der Gerechte hingerafft worden«. Nun, ich will mich hier nicht lang aufhalten, denn ich bin gesinnt, so Gott will, euch dieses in sieben kleinen Büchlein zu lassen, wenn Gott uns leben läßt.

Also vermein ich, daß es sich am besten schicken wird, daß ich solches von meiner Geburt anfange.

Meine Geburt, mein ich, ist gewesen im Jahre [5407] 16471 in der heiligen Gemeinde Hamburg, wo mich meine reine, fromme Mutter hat zur Welt gebracht mit Hilfe und Barmherzigkeit des großen Gottes. Ob unsere Weisen seligen Andenkens auch gesagt haben: »Besser nicht geschaffen sein, als geschaffen sein«, weil der Mensch so viel auf der sündigen Welt ausstehen muß – so dank und lob ich doch meinen Erschaffer, daß er mich nach seinem Willen und Wohlgefallen erschaffen hat, und bitte den großen, gütigen Gott, da er mich ja nach seinem heiligen Willen erschaffen hat, mich doch in seinen heiligen Schutz zu nehmen und mich vor den ................ (Hier fehlt ein Blatt im Manuskript.) ........ hungrig ist gewesen, in sein Haus gegangen, ist satt wieder herausgegangen. Seine Kinder, sowohl Söhne als Töchter, hat er lernen lassen himmlische und weltliche Dinge. Ich bin in Hamburg geboren, aber wie ich gehört habe – von meinen lieben Eltern und auch von anderen – bin ich keine drei Jahre alt gewesen, als alle Juden von Hamburg vertrieben worden sind. Alle mußten nach Altona ziehen, welches Seiner Majestät dem König von Dänemark gehört und wo alle Juden gutes Auskommen haben. Das Altona ist kaum eine Viertelstunde von Hamburg.

In Altona haben etliche Familienväter gewohnt, ungefähr fünfundzwanzig Haushaltungen, und dort haben wir Bethaus und Friedhof gehabt. Also haben wir eine Zeitlang in Altona gewohnt. Und endlich ist in Hamburg erreicht worden, daß man den Juden in Altona hat Pässe gegeben, daß sie in die Stadt gehen durften und Handel treiben. Ein jeder Paß hat gehalten auf vier Wochen. Denselben hat man von dem regierenden Bürgermeister von Hamburg bekommen und er hat einen Dukaten gekostet. Und wenn der Paß aus gewesen ist, hat man wieder einen neuen nehmen müssen. Aber aus den vier Wochen sind oft acht Wochen geworden, wenn Leute gute Bekanntschaft mit dem Bürgermeister und der Polizei gehabt haben. Es ist den Leuten nebbich gar schwer gefallen, denn sie haben ihren Handel als müssen in dem Ort Hamburg suchen. Besonders sind nebbich manche Arme und Elende gewesen, die sich oft gewagt haben, ohne Paß in die Stadt zu schleichen. Wenn sie dann von der Polizei ertappt worden sind, hat man sie ins Gefängnis gelegt. Das hat dann viel Geld gekostet und Nöten gemacht, bis man sie wieder freigekriegt hat.

Ganz frühmorgens, sobald sie nebbich aus dem Bethaus gekommen sind, sind sie in die Stadt gegangen und gegen Nacht, wenn man das Tor zumachen wollte, sind sie wieder nach Altona gegangen. Und wenn sie nebbich fortgegangen waren, war ihr Leben oft nicht sicher vor Bosheit von bösen Leuten und Lumpengesindel, so daß jede Frau nebbich Gott gedankt hat, wenn sie ihren Mann wieder in Frieden bei sich gehabt hat. Zur selbigen Zeit sind keine vierzig Hausväter mit denen, die von Hamburg gekommen sind, da gewesen und sind auch zur selbigen Zeit keine großen reichen Leute da gewesen, doch hat sich jeder ehrlich ernährt.

Der reichste Mann in derselben Zeit ist gewesen Chajim Fürst, er ruhe in Frieden. Er ist ein Mann gewesen von zehntausend Reichsthalern.

Mein Vater2 – das Andenken des Gerechten zum Segen – ist ein Mann gewesen von achttausend Reichsthalern. Andere von sechstausend Reichsthalern und auch von zweitausend. Aber sie haben sich sehr schön geführt und gar in Liebe und Freundschaft miteinander gelebt. Aber in genere haben sie besser gelebt als die sehr Reichen jetzt, und selbst der nur fünfhundert Reichsthaler sein eigen gehabt hat, hat sich ganz wohl sein lassen. Jeder hat sich mit seinem Anteil gefreut, viel mehr als in dem jetzigen Geschlecht, wo die Reichen nicht mehr zu ersättigen sind. Und von ihnen ist gesagt: »Kein Mensch stirbt, der auch nur die Hälfte seiner Wünsche erreicht hat.« Wenigstens erinnere ich mich noch, daß mein Vater so ein Mann von Gottvertrauen war, wie es keinen gleichen gegeben hat.

Und wenn er – er ruhe in Frieden – nicht so gar mit dem Zipperlein behaftet gewesen wäre, hätte er es doch gar weit gebracht und hätte seine Kinder gar wohl und ehrlich ausgestattet.

Dieses ist gewesen in meiner Kindheit, wie ich ungefähr zehn Jahre alt war. Da hat der Schwede Krieg geführt mit dem König von Dänemark – Gott erhöhe seinen Ruhm. Ich kann nicht viel Nachricht davon schreiben, weil solches in meiner Kindheit geschehen ist, als ein Kind, das zu Hause hat sitzen müssen.

Also zu dieser Zeit sind wir in Altona gewesen, in eitel Sorgen, denn es ist gar ein kalter Winter gewesen, wie in fünfzig Jahren kein Winter ist gewesen. Man hat ihn den schwedischen Winter geheißen. Also hat der Schwede allerwegen herüberkommen können, weil es so hart gefroren ist gewesen.

Auf einmal am Sabbath kommt der Lärm: Der Schwed kommt! Es ist noch früh gewesen, wir sind noch im Bett gelegen, da sind nebbich alle aus den Betten gesprungen und sind nackt und bloß mit uns Kindern nach Hamburg gelaufen. Teilweise haben wir uns bei den Sefardim, teilweise bei den Bürgern behelfen müssen.

Dort sind wir kurze Zeit so gesessen, bis endlich mein Vater – sein Andenken sei gesegnet – es erreicht hat, und er ist der erste Jude gewesen, der sich wieder in Hamburg ansässig gemacht hat. Nachgerade hat man weiter erreicht, daß mehrere Familienväter nach Hamburg ziehen durften. Und so sind fast alle Juden nach Hamburg zu wohnen gezogen. Mit Ausnahme von denen, die vor der Vertreibung in Altona gewohnt haben, die sind in Altona wohnen geblieben.

In jener Zeit hat man gar wenig Steuer an die Regierung gegeben. Ein jeder hat für sich selbst mit denjenigen, die dafür eingesetzt waren, akkordiert. Aber wir haben in Hamburg kein Bethaus gehabt und auch gar kein Wohnrecht. Nur aus Gnade von dem Rat – Gott erhöhe seinen Ruhm – sind sie dort gewesen. Doch sind die Juden zusammengekommen in ihren Wohnungen zum Beten, so gut sie nebbich gekonnt haben. Wenn solches die Räte der Stadt vielleicht schon gewußt haben, haben sie doch gern durch die Finger gesehen. Aber als es Geistliche gewahr worden sind, haben sie es nicht leiden wollen und uns nebbich verjagt, und wie das schüchterne Schaf haben wir müssen nach Altona ins Bethaus gehen. Dieses hat eine Zeitlang gewährt, dann sind wir wieder in unsere heimlichen kleinen Bethäuser gekrochen.

Also ist es gewesen, daß wir zeitweilig Ruhe gehabt und zeitweilig wieder verjagt worden sind – bis zum heutigen Tag. Ich fürchte, daß solches so währen wird, solange wir in Hamburg sind und solange die Bürgerei in Hamburg regiert. Gott – er sei gelobt – in seiner Barmherzigkeit und in seinen vielen Gnaden möge sich unser erbarmen und uns den gerechten Messias schicken, daß wir ihm mit ganzem Herzen dienen können und daß wir möchten unsere Gebete halten können in unserem heiligen Tempel in Jerusalem, unserer heiligen Stadt. Amen!

Also sind sie in Hamburg gesessen und meinem Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – sein Handel war mit Edelsteinen und mit anderen Sachen, wie ein Jude, der von allem was nascht.

Der Krieg zwischen Dänemark und Schweden ist nach und nach größer geworden und der König von Schweden hat großes Glück gehabt, daß er dem König hat alles hinweggenommen. Er ist gekommen vor dem König seine Hauptstadt, wo er seine Residenzstadt drin gehabt hat und hat selbige belagert. Und es hätte nicht viel gefehlt, daß er sie eingenommen hätte, wenn nicht der König getreue Räte und Untertanen gehabt hätte, die Seiner Majestät dem König mit Gut und Blut beigestanden hätten, daß er mit Gottes Hilfe alles erhalten hat. Aber sicher ist alles von Gott – er sei gelobt – der ihn erhalten hat, denn er ist ein gnädiger König, ein gerechter, frommer König gewesen. Und wir Juden sind wohl unter ihm gesessen, denn obgleich wir in Hamburg gewohnt haben, hat jeder Hausvater müssen sechs Reichstaler Steuer zahlen, weiter nichts.

Nach einer Zeit haben Holländer dem König beigestanden. Sie sind mit ihren Schiffen durch den Sund gekommen und haben ein Loch in den Krieg gemacht, so daß Friede geworden ist. Aber Dänemark und Schweden sind sich nimmer gut. Wenn sie auch freundlich miteinander sind und sich verschwägern, picken sie doch allezeit einer auf den anderen.

Zu dieser Zeit ist meine Schwester Hendelche – sie ruhe in Frieden – Braut gewesen mit dem Sohne des vornehmen Reb3 Gumpel von Cleve und sie hat nachbekommen achtzehnhundert Reichsthaler. Das ist zu derselbigen Zeit gar viel gewesen, und es ist keiner in Hamburg gewesen, der bis zu derselbigen Zeit so viel nachgegeben hätte.

Dagegen ist es auch die prinzipalischeste, vornehmste Heirat in ganz Deutschland gewesen, und die ganze Welt hat sich über die große Mitgift und die gute Heirat sehr gewundert. Aber mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – ist in seinem Handel gesessen und ein Mann voll Gottvertrauen gewesen, der sich auf Gott verlassen hat, daß er ihm helfen wird, seine anderen Kinder auch in Ehren zu verheiraten. Denn er hat sich in seiner Haushaltung und mit Gästen mit allem besser geführt, als jetzt die Reichen, die dreißigtausend Reichsthaler und mehr ihr eigen haben. Solches hat er bis zu seinem Tode ausgeführt.

Nun soll ich von der Hochzeit schreiben, die er meiner Schwester – sie ruhe in Frieden – gemacht hat, und von den wackeren ehrsamen Leuten, die mit Reb Gumpel, dem Vater des Bräutigams, gekommen sind? Was für ein heiliger Mann er gewesen ist, kann ich gar nicht genug beschreiben. Er hat niemandem von jetzt geglichen, wie ehrlich er geliefert hat. Wie magnifique es auf der Hochzeit zugegangen ist, kann ich nicht beschreiben. Die Hauptsache ist, wie er arme Leute erfreut hat, und mögen wir alle seine Fürbitte genießen.

Mein Vater – das Andenken des Gerechten sei gesegnet – ist nicht so reich gewesen, aber, wie schon gesagt, von großem Gottvertrauen und ist niemandem etwas schuldig gewesen. Also hat er sich ehrlich ernährt und es sich gar sauer werden lassen, daß er Frau und Kinder mit Gottes Hilfe ernährt hat.

Er ist von Schmerzen gequält gewesen und ist schon ein Mann von Jahren gewesen, daher hat er sich sehr geeilt, seine Kinder zu verheiraten. Als er meine Mutter – sie soll leben – genommen hat, ist er ein Witwer gewesen. Wohl fünfzehn Jahre und mehr hat er schon eine Frau gehabt, aber keine Kinder mit ihr. Wie sie – sie ruhe in Frieden – gestorben ist, nach ihrem Tode hat mein Vater – sein Andenken sei gesegnet – meine Mutter zur Frau genommen. Sie ist nebbich eine verlassene Waise gewesen, und meine liebe fromme Mutter hat mir oft erzählt, wie sie nebbich in ihrem Waisenstand in Not gewesen mit ihrer guten Mutter, der frommen Mate – sie ruhe in Frieden. Die hab ich noch gekannt. Es ist keine frömmere und klügere Frau gewesen als sie.

Mein Elternvater – er ruhe in Frieden – hat geheißen Reb Nathan aus Ellrich. Er hat in Detmold gewohnt und ist ein sehr reicher, wackerer und vornehmer Mann gewesen.

Endlich ist er von dort vertrieben worden, so daß er mit Weib und Kindern von dort hinweg mußte, und hat sich nach Altona begeben. Zur selbigen Zeit haben keine zehn Familien dort gewohnt und haben erst angefangen, sich dort ansässig zu machen.

In derselbigen Zeit ist Altona eine Grafschaft gewesen, die dem Grafen Schaumburg zugehörig war.

Nathan Spanier – er ruhe in Frieden – ist der erste gewesen, der es erreicht hat, daß Juden in Altona gewohnt haben. Und zu derselbigen Zeit hat Altona und die ganze Grafschaft Pinneberg noch nicht zum Königreich Dänemark gehört, aber nachher ist derselbige Graf sonder Nachkommen gestorben, also ist es dem Königreiche Dänemark anheimgefallen. – So sind sie immer einzelweise dorthin gezogen.

Der Nathan Spanier hat seinen Schwiegersohn Reb Loeb auch nach Altona gesetzt. Der Reb Loeb ist ein Hildesheimer gewesen; er ist zwar kein reicher Mann gewesen, aber doch ein ehrlicher Mann, der seine Kinder ehrlich verheiratet hat, wie es in jener Zeit ist in Ordnung gewesen. Seine Frau Esther – sie ruhe in Frieden – ist eine gar wackere, fromme, ehrliche Frau gewesen. Sie hat sich gar wohl auf den Handel verstanden und hat in Wirklichkeit das ganze Haus ernährt. Allemal ist sie auf die Messe zum Kieler Umschlag gereist mit Waren. Zwar hat sie nicht viel Waren mitgenommen, denn die Leute haben sich damals begnügen lassen. Sie hat gar gut geredet und Gott hat ihr Gunst gegeben in den Augen derer, die sie sahen. Adelige Damen in Holstein haben sie sehr gerne gemocht.

Also haben sie ihren Kindern drei- bis vierhundert Reichsthaler nachgegeben und doch Eidame gehabt, die sehr reich waren. So ist Reb Elias Ballin ein sehr reicher Mann gewesen mit dreißigtausend Reichsthalern. Reb Mausche Goldzieher ist ein reicher Mann gewesen und deren noch mehrere.

Sein Sohn Reb Mausche ist ein sehr reicher, wackerer Mann bis zu seinem Tode gewesen. Sein Sohn Reb Lipmann ist zwar kein so reicher Mann gewesen, hat sich aber doch hübsch ernährt und desgleichen seine übrigen Kinder. Daß ich solches schreibe, ist, daß es eben nicht an der großen Mitgift gelegen ist – wie in denselbigen Zeiten zu ersehen war – sondern daß Leute ihren Kindern wenig nachgegeben haben, und sie sind doch sehr reich geworden.

Nun wieder auf unseren Zweck zu kommen.

Da mein Elternvater, Reb Nathan aus Ellrich, wie schon gesagt, vertrieben worden war, hat er sich in das Haus zu Reb Loeb, dem Schwiegersohn des Nathan Spanier, begeben und große Reichtümer mitgebracht, so daß Esther, die Frau von dem selbigen Reb Loeb mir oft Wunder von den Reichtümern erzählt hat. Ganze Kisten voll goldene Ketten und verschiedene Kleinodien und ganz große Beutel mit Perlen, wie zu derselben Zeit auf hundert Meilen so kein Reichtum gewesen ist, welcher aber leider nicht lange gewährt hat.

Gott bewahre, die Pest ist gekommen und mein Großvater und etliche Kinder sind gestorben.

Meine Großmutter selig hat noch zwei ledige Töchter übrig behalten und ist mit ihnen bloß und ohne alles fortgegangen. Sie hat mir erzählt, wie sie nebbich in Not waren und kein Bett, nichts, gehabt und wie sie auf Holz und Stein ihr Nachtlager haben mußten. Sie hatte zwar schon eine Tochter verheiratet, diese hat ihr aber nebbich nicht zu Hilfe kommen können. Sie hatte auch einen Sohn verheiratet, mit Namen Reb Mordechai. Dem ist es gar wohl ergangen und er war ein sehr reicher Mann. Aber derselbe ist auch zu dieser Zeit, er und seine Frau und sein Kind – Gott bewahre uns – an der Pest gestorben. Also hat sich meine liebe Großmutter mit ihren beiden Waisen in großer Not befunden und hat wirklich von einem Haus zum anderen kriechen müssen, »bis der Zorn vorüber war«.

Wie die Pest aufgehört hat, hat sie ihr Haus wieder bewohnen wollen und ihre Sachen auswettern. Aber da hat sie wenig mehr gefunden. Ihre besten Sachen sind weg gewesen. Nachbarn haben bei ihr gewohnt und die Bretter aus dem Fußboden aufgehoben und alles aufgebrochen und das meiste vom ihrigen weggenommen. Gar wenig ist für sie und ihre Waisen nebbich übrig geblieben.

Nun, was hat sie nebbich tun sollen? Meine fromme Großmutter – sie ruhe in Frieden – hat noch einige wenige Pfänder gehabt, von diesen hat sie sich mit ihren Waisen ernährt. Die beiden Waisen waren die Tante Ulk4 und meine verehrte Mutter Bele – sie soll leben.

Endlich hat die gute Frau, die Großmutter – sie ruhe in Frieden – so viel zusammengeschrappt und gebracht, daß sie ihre Waise Ulk verheiratet hat und sie hat sich mit Reb David Hanau verschwägert. Er ist ein Großer seines Geschlechtes gewesen, hat den Morenu-Titel gehabt und war, wie mich deucht, Vorsitzender des Rabbinerkollegiums in Friesland. Danach ist er nach Altona gekommen und sie haben ihn dort als Vorsitzenden des Rabbinerkollegiums aufgenommen.

Der Bräutigam hat geheißen Elia Cohen – er ruhe in Frieden. Er hat ihm fünfhundert Reichstaler nachgegeben. Derselbe ist bald zu großem Reichtum gekommen und es ist ihm alles geglückt. Aber er ist leider jung gestorben und ist keine vierzig Jahre alt geworden.

Wenn ihm Gott – er sei gelobt – sein Leben gelassen hätte, wäre ein großer Mensch aus ihm geworden, denn Gott hatte ihm eine glückliche Hand gegeben. Wenn er, mit Verlaub, Mist in seine Hand genommen hat, kann man fast sagen, daß Gold daraus geworden ist.

Aber die Schicksalswendung ist gar zu geschwind gekommen. Diesmal ist es Gezänk gewesen wegen dem Vorsteheramt in der Gemeinde.