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Der neue Roman des Bestsellerautors über die Kraft der Freundschaft und der Phantasie! Als Tom mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus kommt, schließt er schnell Freundschaft mit den anderen Kindern auf der Station: Da ist Amber mit ihren Gipsarmen und -beinen; Robin mit seiner Augenbinde; George, der sich von einer Mandeloperation erholt; und die kleine Sally, die so krank ist, dass sie die meiste Zeit im Bett liegen muss. Alle fünf teilen ein spannendes Geheimnis: Sie sind die MITTERNACHTSBANDE! Jede Nacht schleichen sie sich heimlich in den Keller des Krankenhauses, denn … Aber von den wilden Abenteuern, die sie dort erleben, darf natürlich niemand etwas wissen. Schon gar nicht die boshafte Stationsschwester.
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Seitenzahl: 219
David Walliams
Der neue Roman des Bestsellerautors über die Kraft der Freundschaft und der Phantasie!
Als Tom mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus kommt, schließt er schnell Freundschaft mit den anderen Kindern auf der Station: Da ist Amber mit ihren Gipsarmen und Gipsbeinen; Robin mit seiner Augenbinde; George, der sich von einer Mandeloperation erholt; und die kleine Sally, die so krank ist, dass sie die meiste Zeit im Bett liegen muss. Alle fünf teilen ein spannendes Geheimnis: Sie sind die MITTERNACHTSBANDE! Jede Nacht schleichen sie sich heimlich in den Keller des Krankenhauses, denn dort … aber von den wilden Abenteuern, die sie dort erleben, darf natürlich niemand etwas wissen. Schon gar nicht die boshafte Stationsschwester.
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch
David Walliams ist der erfolgreichste britische Kinderbuchautor der letzten Jahre und gilt als würdiger Nachfolger von Roald Dahl. In England kennt ihn jedes Kind. Wenn er nicht gerade Kinderbücher schreibt, schwimmt er schon mal für einen guten Zweck 225 Kilometer die Themse hinab oder durch den Ärmelkanal. Außerdem spielt er in der englischen Comedyserie «Little Britain» mit und sitzt in der Jury von «Britain’s Got Talent».
Für Wendy und Henry, zwei eifrige Leser und zukünftige Autoren.
David x
Dies ist das Lord Funt Krankenhaus in London. Es wurde vor vielen Jahren erbaut und hätte schon vor vielen Jahren abgerissen werden sollen. Das Krankenhaus ist nach seinem Gründer, dem verstorbenen Lord Funt, benannt.
Hier sehen wir das Innere vom Lord Funt Krankenhaus.
Das ist Tom. Er ist zwölf und besucht ein schickes Internat. Er hat sich am Kopf verletzt.
Amber ist auch zwölf. Sie hat sich beide Arme und beide Beine gebrochen und sitzt deshalb vorübergehend im Rollstuhl.
Robin ist ebenfalls zwölf. Er erholt sich von einer Augen-Operation und kann wegen seiner Augenbinde momentan nichts sehen.
George ist elf Jahre und stammt aus Ost-London. Ihm wurden gerade die Mandeln entfernt.
Sally ist erst zehn Jahre alt und damit das jüngste der Kinder. Weil sie so krank ist, schläft Sally die meiste Zeit.
Ein paar Stockwerke tiefer bei den Erwachsenen liegt die älteste Patientin des Krankenhauses, die neunundneunzigjährige Nelly.
Der Pfleger. Ein einsamer Mensch, dessen richtigen Namen niemand kennt. Seine Aufgabe ist es, Patienten und Gegenstände im Krankenhaus herumzuschieben, welches er nie zu verlassen scheint.
Die Oberschwester. Obwohl sie die Kinderstation leitet, scheint sie Kinder überhaupt nicht zu mögen.
Doktor Luppers ist gerade erst Arzt geworden und ziemlich leicht hereinzulegen.
Tuutsi ist für die Essensausgabe im Krankenhaus zuständig. Sie fährt mit einem Teewagen an die Betten der Patienten.
Schwester Meese ist eine immer müde Krankenschwester, die offenbar ständig Nachtdienst hat.
Dilly ist eine der Putzfrauen im Krankenhaus. Man weiß immer, wo sie gerade geputzt hat, weil sie eine Spur Zigarettenasche hinter sich herzieht.
Mr. Cod ist der alte Chemiker. Er trägt ein Hörgerät und eine dicke Brille. Ihm gehört die Apotheke im Krankenhaus.
Sir Quentin Strillers ist der feine Krankenhausdirektor und für alles und jeden verantwortlich.
Und außerhalb des Krankenhauses gibt es noch Mr. Thews, den Direktor von Toms Schule, des St. Willets Jungeninternats.
Der Schlafsaal
«Aaaaaaaahhhhhhh!», schrie der Junge.
Das monstermäßigste Gesicht, das er je gesehen hatte, schaute auf ihn herab. Es war das Gesicht eines Mannes, doch es war irgendwie völlig verzogen. Die eine Seite war größer, als sie sein sollte, und die andere kleiner. Das Gesicht lächelte, als wollte es den Jungen beruhigen, doch dabei kam eine Reihe schiefer und fauliger Zähne zum Vorschein. Und das erschreckte den Jungen nur noch mehr.
«Aaaaaaaaaaaahhhhhhh!!!»,
schrie er wieder.
«Alles wird gut, junger Herr. Bitte versuch, dich zu beruhigen», nuschelte der Mann.
Sein Gesicht war derartig verzogen, dass auch seine Sprache verzogen klang.
Wer war dieser Mann, und wohin brachte er den Jungen?
Erst jetzt merkte der Junge, dass er auf dem Rücken lag und zur Decke schaute. Es fühlte sich beinahe so an, als würde er schweben. Aber irgendetwas klapperte. Erklapperte. Der Junge erkannte, dass er auf einer Liege lag. Einer Transportliege mit wackligen Rädern.
In seinem Kopf türmten sich die Fragen.
Wo war er?
Wie war er hierhergekommen?
Wieso konnte er sich an nichts erinnern?
Und am wichtigsten: Wer war dieser schreckliche Monster-Mann?
Seine Transportliege wurde langsam den langen Flur entlanggeschoben. Der Junge hörte ein Geräusch, als ob etwas über den Boden schleifte. Es klang wie das Quietschen eines Schuhs.
Er schaute hinab. Der Mann humpelte. Ebenso wie sein Gesicht war auch sein Körper ganz verzogen, und die eine Seite war kürzer als die andere, darum zog der Mann sein verkümmertes Bein hinter sich her. Es sah so aus, als müsste ihm jede Bewegung weh tun.
BAMM!
Eine große Doppeltür öffnete sich, und die Transportliege rollte in einen Raum und hielt an. Dann wurden um den Jungen herum Vorhänge zugezogen.
«Ich hoffe, der Transport war nicht zu unangenehm, junger Herr», sagte der Mann. Der Junge fand es seltsam, dass der Mann ihn immer «junger Herr» nannte. Noch nie hatte man ihn so genannt. Er war erst zwölf. «Herr» sagte er zu den Lehrern in seinem Internat. «Nun warte bitte hier. Ich bin nur der Pfleger. Ich hole jetzt die Schwester. Schwester!»
Während der Junge dalag, fühlte er sich seltsam losgelöst von seinem Körper. Der wiederum fühlte sich ganz schlapp an. Und irgendwie leblos.
Sein Kopf schmerzte allerdings. Es war ein pochender, heißer Schmerz. Hätte er eine Farbe gehabt, wäre er rot gewesen. Ein helles, heißes, wütendes Rot.
Der Schmerz war so stark, dass der Junge die Augen schließen musste.
Als er sie wieder öffnete, starrte er in ein grelles Neonlicht hinauf. Dadurch bekam er nur noch mehr Kopfschmerzen.
Dann hörte er, wie sich Schritte näherten.
Der Vorhang wurde zurückgerissen.
Eine kräftige, ältere Dame in einer blau-weißen Uniform und einem Hütchen auf dem Kopf beugte sich über ihn und untersuchte seine Beule. Sie hatte dunkle Schatten unter ihren geröteten Augen. Graue, drahtige Haare sprossen auf ihrem Kopf. Ihr Gesicht war derartig rot, als hätte sie es stundenlang mit einer Käsereibe abgeschrubbt. Kurz gesagt, sie sah aus, als hätte sie eine ganze Woche lang nicht geschlafen und hätte jetzt deswegen schlechte Laune.
«Ach du meine Güte! Ach du meine meine Güte. Ach du meine meine meine Güte …», murmelte sie vor sich hin.
In seiner Verwirrung dauerte es einen Augenblick, bis der Junge begriff, dass die Frau angezogen war wie eine Krankenschwester.
Und endlich wusste der Junge, wo er war: in einem Krankenhaus! Er war noch nie in einem Krankenhaus gewesen, außer bei seiner Geburt. Und daran konnte er sich nicht mehr erinnern.
Der Blick des Jungen wanderte auf das Namensschild der Frau:
SCHWESTER MEESE, Lord Funt Krankenhaus.
«Da ist eine Beule. Eine große Beule. Eine sehr große Beule. Tut das weh?», fragte sie und drückte mit einem Finger fest auf den Kopf des Jungen.
«Aaaaauuuuu!», schrie er so laut, dass es durch den ganzen Flur schallte.
«Leichte Schmerzen», murmelte die Schwester. «Also, dann hole ich jetzt mal den Doktor. Doktor!»
Der Vorhang wurde kurz zur Seite gerissen und dann wieder zugezogen.
Der Junge starrte an die Decke und hörte, wie ihre Schritte sich entfernten.
«Doktor!», bellte sie wieder, jetzt schon ein Stück den Flur entlang.
«Ich komme, Schwester!», hörte man eine entfernte Stimme.
«Schnell!», schrie sie.
«Entschuldigung!», rief die Stimme.
Dann hörte man eilige Schritte näher kommen.
Der Vorhang wurde wieder aufgerissen.
Ein junger Mann mit spitzem Gesicht rauschte herein, und sein langer weißer Kittel flatterte hinter ihm her.
«Du liebe Güte. Ach du liebe Güte», vernahm man eine vornehme Stimme. Es war der Doktor, und er war ein wenig außer Atem, weil er gelaufen war. Der Junge las sein Namensschild: DOKTOR LUPPERS.
«Das ist aber eine dicke Beule. Tut das weh?» Der Mann zog einen Bleistift aus seiner Brusttasche und tippte mit dem Ende auf den Kopf des Jungen.
«Aaaauuuuu!», schrie der Junge wieder. Es war nicht so schlimm wie der Druck von dem knorrigen alten Finger vorhin, aber es tat immer noch weh.
«Tut mir leid, tut mir sehr leid! Bitte beschwer dich nicht über mich. Ich habe gerade erst meinen Doktortitel bekommen, weißt du?»
«Mach ich nicht», murmelte der Junge.
«Sicher nicht?»
«Ganz sicher!»
«Danke. Dann muss ich jetzt nur noch die richtigen Kreuzchen machen und dieses kleine Aufnahmeformular ausfüllen.» Der Mann zog ein Formular hervor, für das man etwa eine Woche Zeit brauchte.
Der Junge seufzte.
«Also, junger Mann», begann der Doktor mit singendem Tonfall, in der Hoffnung, diese langweilige Aufgabe ein wenig aufzupeppen, «wie heißt du denn?»
Der Junge schwieg verdattert.
Er hatte noch nie seinen eigenen Namen vergessen.
«Name?», fragte der Doktor noch einmal.
Doch sosehr er sich auch bemühte, er fiel dem Jungen nicht ein.
«Ich weiß es nicht», stotterte er.
Ein panischer Ausdruck huschte über das Gesicht des Doktors. «Oje», sagte er. «Es stehen einhundertzweiundneunzig Fragen auf diesem Formular, und wir stecken schon bei der ersten Frage fest.»
«Tut mir leid», sagte der Junge auf dem Transportbett, und eine Träne lief ihm die Wange hinab. Er fühlte sich wie ein völliger Versager, weil er sich nicht mal an seinen eigenen Namen erinnern konnte.
«O nein, du weinst ja!», sagte der Doktor. «Bitte wein nicht. Wenn der Krankenhausdirektor vorbeikommt, denkt er, dass ich daran schuld bin!»
Der Junge gab sich große Mühe, mit dem Weinen aufzuhören. Doktor Luppers suchte in seinen Taschen nach einem Taschentuch. Als er keins fand, betupfte er die Augen des Jungen mit dem Formular.
«O nein, jetzt ist das Formular nass geworden!», rief er. Er pustete hektisch auf das Papier, um es zu trocknen. Darüber musste der Junge lachen. «Oh, gut!», sagte der Mann. «Jetzt lächelst du wieder! Also, hör zu, bestimmt können wir deinen Namen herausfinden. Fängt er mit A an?»
Der Junge war ziemlich sicher, dass er nicht mit A anfing. «Ich glaube nicht.»
«B?»
Der Junge schüttelte den Kopf.
«C?»
Er schüttelte wieder den Kopf.
«Das kann ja dauern», murmelte der Doktor.
«T!», rief der Junge.
«Du möchtest eine Tasse Tee?»
«Nein! Mein Name – er fängt mit T an!»
Dr. Luppers lächelte und schrieb den ersten Buchstaben oben auf das Formular. «Nun, mal sehen, ob ich ihn errate. Tim? Ted? Terry? Tony? Theo? Tizian? Nein, du siehst nicht aus wie ein Tizian … Ich hab’s: Tina?!»
Bei den ganzen Vorschlägen fiel es dem Jungen noch schwerer, sich zu erinnern, doch schließlich drang sein eigener Name zu ihm durch.
«Tom!», sagte Tom.
«Tom!», rief der Doktor, als hätte er genau das eben selbst sagen wollen. Er schrieb die nächsten beiden Buchstaben hin. «Also, wie nennt man dich: Thomas? Tommy? Großer Tom? Kleiner Tom? Tom Tom?»
«Nur Tom», antwortete Tom erschöpft. Immerhin hatte er doch gerade gesagt, dass er Tom hieß.
«Hast du auch einen Nachnamen?»
«Er fängt mit C an», sagte er Junge.
«Nun, zumindest haben wir schon mal den ersten Buchstaben. Das ist ja wie bei einem Kreuzworträtsel!»
«Charper!»
«Tom Charper!», sagte der Mann und schrieb den Namen auf das Formular. «Die erste Frage haben wir erledigt. Nur noch einhunderteinundneunzig. Also, wer hat dich heute ins Krankenhaus gebracht? Sind deine Eltern hier?»
«Nein», antwortete Tom. Er war ganz sicher, dass seine Eltern nicht hier waren. Sie waren niemals hier; sie waren immer dort. Schon vor einigen Jahren hatten sie ihr einziges Kind auf ein schickes Internat weit draußen auf dem Land geschickt: Auf das St. Willets Internat für Jungen.
Toms Vater verdiente eine Menge Geld in weit entfernten Wüstenländern, wo er Öl aus dem Boden förderte, und seine Mutter war sehr gut darin, das Geld wieder auszugeben. Tom sah seine Eltern nur in den Ferien, und das war normalerweise immer in einem anderen Land. Und obwohl Tom dann viele Stunden allein gereist war, um seine Eltern zu sehen, arbeitete sein Vater trotzdem meistens noch den ganzen Tag, und seine Mutter ließ ihn mit dem Kindermädchen allein, während sie noch mehr Schuhe und Handtaschen einkaufen ging. Der Junge bekam bei seiner Ankunft eine Masse Geschenke – eine neue elektrische Eisenbahn, ein Modellflugzeug oder eine Ritterrüstung. Doch weil niemand mit ihm spielte, langweilte Tom sich schnell. Er hätte die Zeit viel lieber mit seinen Eltern verbracht, doch Zeit war das Einzige, was sie ihm niemals schenkten.
«Nein, Mutter und Vater sind im Ausland», antwortete Tom. «Ich weiß nicht, wer mich ins Krankenhaus gebracht hat. Das muss ein Lehrer gewesen sein.»
«Ooooh!», sagte Doktor Luppers aufgeregt. «Könnte es dein Sportlehrer gewesen sein? Vorhin war ein Mann im Wartezimmer, mit einem Strohhut und einem weißen Jackett, der sah aus wie ein Cricket-Schiedsrichter. Er ist mir gleich aufgefallen, weil wir normalerweise keine Cricketspiele im Wartezimmer abhalten.»
«Das muss mein Sportlehrer Mr. Carsey gewesen sein, ja.»
Dr. Luppers’ Blick huschte über das Formular. Dann blitzte wieder Panik in seinen Augen auf. «Oje, hier gibt es bloß ‹Eltern›, ‹Vormund›, ‹Freund› oder ‹anderes› zur Auswahl. Was soll ich denn jetzt machen?»
«Kreuzen Sie ‹anderes› an», sagte der Junge bestimmt.
«Danke!», sagte der Doktor und sah sehr erleichtert aus. «Ich danke dir vielmals. Was für eine Verletzung hast du erlitten?»
«Eine Beule am Kopf.»
«Natürlich, ja!», antwortete Doktor Luppers und kritzelte die Antwort auf das Formular. «So, nächste Frage: Würdest du sagen, der allgemeine Eindruck, den du vom Lord Funt Krankenhaus hast, entsprach ‹überhaupt nicht› deinen Erwartungen, entsprach ‹voll und ganz› deinen Erwartungen, ‹hat deine Erwartungen übertroffen› oder ‹hat deine Erwartungen bei weitem übertroffen›?»
«Wie war noch mal die erste Frage?», fragte Tom. Seine Kopfschmerzen machten ihm das Denken nicht gerade leichter.
«Oooh, das war: ‹entsprach überhaupt nicht deinen Erwartungen›.»
«Was denn?»
«Dein allgemeiner Eindruck vom Krankenhaus.»
«Bisher habe ich ja nur die Decke gesehen», seufzte der Junge.
«Und wie würdest du deinen allgemeinen Eindruck von der Decke beschreiben?»
«Gut.»
«Dann kreuze ich ‹entsprach voll und ganz deinen Erwartungen› an. – Nächste Frage: Würdest du sagen, die ärztliche Versorgung, die du heute erhalten hast, war ‹schlecht›, ‹in Ordnung›, ‹gut›, ‹sehr gut› oder sogar ‹zu gut›?»
«Sie war okay», antwortete Tom.
«Mmm, tut mir leid, aber ‹okay› steht nicht zur Auswahl.»
«Dann ‹gut›?»
«Nicht vielleicht ‹sehr gut›?», bat Doktor Luppers. «Es wäre so schön, wenn ich sagen könnte, dass ich in meiner ersten Woche schon ein ‹sehr gut› bekommen habe.»
Tom seufzte. «Dann kreuzen Sie ‹zu gut› an.»
«Oooh, danke!», rief der Doktor, und seine Augen strahlten vor Freude. «Niemand bekommt ein ‹zu gut›! Allerdings überlege ich, ob ‹zu gut› vielleicht eher etwas Schlechtes ist. Kann ich einfach ‹sehr gut› ankreuzen?»
«Ja, machen Sie, was Sie wollen.»
«Ich nehme ‹sehr gut›. Vielen Dank! Das wird dem Krankenhausdirektor Sir Quentin Strillers sehr gefallen. Also, zur nächsten Frage. Das läuft ja jetzt wie geschmiert! Würdest du das Lord Funt Krankenhaus Familie und Freunden ‹nur schweren Herzens› empfehlen, ‹halbherzig›, ‹mit ganzem Herzen› oder ‹aus vollstem Herzen›?»
Plötzlich schob sich Schwester Meese durch die Vorhänge. «Wir haben keine Zeit für all Ihre dummen Fragen, Doktor!»
Der Mann hielt sich die Hand ans Gesicht, als fürchte er, gleich eine Ohrfeige zu bekommen. «Hauen Sie mich nicht!»
«Sie dummer Junge! Als würde ich das tun!», antwortete die Schwester, bevor sie ihm mit ihrer großen, schweren Hand aufs Ohr schlug.
«AU!», schrie Doktor Luppers. «Das tat weh!»
«Na, falls Sie verletzt sind, dann sind Sie hier auf jeden Fall richtig! Ha ha!» Die Frau lachte vor sich hin und lächelte dabei beinahe. «Ich brauche diesen Platz hier jetzt. Gleich wird ein Kioskbesitzer eingeliefert, der es geschafft hat, seine eigenen Finger zusammenzutackern. Dieser Dummkopf!»
«O nein!», sagte der Doktor. «Ich kann kein Blut sehen.»
«Bringen Sie den Jungen hier weg, sonst komme ich wieder und haue Ihnen aufs andere Ohr!» Und mit diesen Worten riss Schwester Meese die Vorhänge wieder zu und stürmte den Flur entlang davon.
«Okay», begann Doktor Luppers, «dann will ich mich mal beeilen.» Der Mann sprach sehr schnell. «Schlimme Schwellung. Behalten dich ein paar Nächte hier, nur zur Kontrolle. Hoffe, das macht dir nichts aus.»
Tom machte es gar nichts aus, im Krankenhaus zu bleiben. Alles war ihm recht, wenn er dafür nicht in sein verhasstes Internat zurückmusste. Es war eine der teuersten Schulen des Landes, und die meisten der Jungen, die dort hingingen, waren außerordentlich vornehm. Toms Eltern waren zwar reich, weil die Arbeit seines Vaters so gut bezahlt wurde, doch die Familie war kein bisschen vornehm. Viele der Jungen rümpften deshalb über Tom ihre adeligen Nasen.
«Ich lasse dich gleich auf die Kinderstation bringen. Da ist es nett und friedlich. Du solltest dich erst einmal ausschlafen. Pfleger?»
Tom erstarrte vor Angst, als der unheimliche Mann wieder herbeihumpelte.
«Ja, Doktor Luppers, Sir?», nuschelte er.
«Bringen Sie … tut mir leid, tut mir leid, wie war dein Name noch mal?»
«Tom!», antwortete Tom.
«Bringen Sie Tom rauf auf die Kinderstation.»
Der alte, missgestaltete Krankenpfleger schob die Transportliege mit Tom darauf zum Fahrstuhl. Dabei summte er leise vor sich hin und drückte den Knopf zum obersten Stockwerk. Tom fand es schrecklich, allein mit dem Mann zu sein. Er hatte zwar nichts Unheimliches getan; aber er sahunheimlich aus.
Noch nie zuvor hatte der Junge jemanden gesehen, der so unglaublich hässlich war. Na ja, es gab ein paar Lehrer an seinem Internat, die so unvorteilhaft aussahen, dass die Jungen ihnen fiese Spitznamen verpasst haben, doch niemand sah derartig gruselig aus wie dieser Pfleger.
Da waren:
PING! Die Fahrstuhltüren schlossen sich.
Der Pfleger lächelte Tom an, doch der Junge schaute zur anderen Seite. Er konnte den Anblick des Mannes einfach nicht ertragen. Wenn er lächelte, wirkte er nur noch unheimlicher. Diese fauligen und schiefen Zähne sahen aus, als könnten sie Knochen zermalmen. Tom schielte auf das Namensschild des Mannes. Anders als die Schwester und der Arzt trug der Mann kein Namensschild, sondern nur eine Jobbezeichnung.
Während der Fahrstuhl langsam nach oben stieg, fiel Tom nach und nach wieder ein, was passiert war und warum er hierhergekommen war.
Es war ein heißer Sommertag gewesen, und er hatte auf dem Sportplatz Cricket gespielt. Tom hob leicht den Kopf und sah an sich herab. Er trug immer noch seine Cricket-Hose.
Toms Schule gehörte sowohl im Cricket als auch im Rugby zu den besten Schulen des Landes. Ihre Helden wurden mit Pokalen und Trophäen und Medaillen gefeiert, und bei den morgendlichen Versammlungen wurden die besten Sportler vom Direktor immer namentlich erwähnt. Leider war Tom nicht besonders gut in Sport. Er vergrub sich am liebsten mit einem staubigen alten Buch in der hintersten Ecke der Bibliothek, und darum fühlte er sich an seinem Internat wie ein Niemand. Nichts wünschte er sich sehnlicher, als dass die Zeit schneller verstreichen würde. Wenn doch die Tage und Nächte nur schneller vergehen würden, dachte er oft. Er war erst zwölf, doch am liebsten hätte er die Kindheit sofort hinter sich gelassen. Dann wäre er erwachsen und müsste nicht länger zur Schule gehen.
Im Sommer spielte man im Internat also Cricket, und Tom fand schnell heraus, wo seine Unsportlichkeit am wenigsten auffiel: in der Feldmannschaft. Er stellte sich darum immer am alleräußersten Rand des Spielfeldes auf, so weit weg, dass er sich seiner Lieblingsbeschäftigung widmen konnte: dem Tagträumen. So weit am Rand war er ziemlich sicher vor dem schweren Lederball.
Das glaubte Tom jedenfalls.
Doch diesmal hatte er sich geirrt.
Total geirrt.
Während der Fahrstuhl ein Stockwerk nach dem anderen hinter sich ließ, durchfuhr Tom das letzte Bild, an das er sich noch erinnerte:
Ein schwerer roter Lederball, der in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Luft direkt auf ihn zuflog.
PLUMPS
Dann wurde alles schwarz.
PING!
«Dies ist deine Station, junger Herr! Im obersten Stockwerk! Die Kinderstation vom Lord Funt Krankenhaus!», nuschelte der Pfleger.
Die Fahrstuhltüren gingen auf, und der Pfleger rollte Tom einen langen Flur entlang. Als er an eine große Doppeltür kam, fuhr er mit der Liege einfach dagegen, um sie zu aufzuschieben.
DÄNG!
Dahinter lag die Kinderstation.
«Willkommen in deinem neuen Zuhause», sagte der Pfleger.
Tom hob seinen geschwollenen Kopf, um einen Blick auf sein neues Zuhause zu werfen: die Kinderstation vom Lord Funt Krankenhaus. Vier andere Kinder saßen oder lagen in ihren Betten. Alle schwiegen, und niemand schenkte dem Neuankömmling viel Beachtung. Langeweile hing in der stickigen Luft. Es wirkte mehr wie ein Altenheim als eine Kinderstation.
Im ersten Bett lag ein pummeliger Junge. Er trug einen alten, fleckigen Schlafanzug, der ihm viel zu klein war, blätterte durch ein eselsohriges Bilderbuch über Hubschrauber und aß heimlich Schokolade, die er unter seinem Bett versteckt hatte. Der Name George stand mit Kreide auf einer Tafel über seinem Bett.
Neben ihm lag ein kleiner, dünner Junge mit ordentlich gekämmten roten Haaren. Offenbar hatte er eine Augenoperation hinter sich, denn er trug einen Verband über den Augen, sodass er bestimmt gar nichts sehen konnte. Ein Stapel CDs mit klassischer Musik und ein CD-Spieler standen auf seinem Nachttisch. Der Schlafanzug dieses Jungen sah viel besser aus als der von George, und er hatte ihn ordentlich bis oben zugeknöpft. Über seinem Bett stand mit Kreide der Name Robin.
Ihm gegenüber auf der anderen Seite des Zimmers lag ein Mädchen mit einem schwarzen Kurzhaarschnitt und einer runden Brille. Erstaunlicherweise waren ihre beiden Arme und ihre beiden Beine eingegipst. Alle vier Extremitäten wurden durch ein komplexes System aus Flaschenzügen und Winden in der Luft gehalten. Sie sah aus wie eine Marionette. Auf ihrer Namenstafel stand Amber.
In der hinteren Ecke der Station, weit entfernt von den anderen Kindern, bemerkte Tom eine traurige Gestalt. Es war ein Mädchen, doch ihr Alter war schwer zu schätzen, denn sie sah aus, als wäre sie von einer schweren Krankheit stark geschwächt. Ein paar dünne Haarsträhnen standen ihr vom Kopf ab. Über ihrem Bett stand der Name Sally.
«Sag hallo zu den anderen, junger Herr», forderte der Pfleger ihn auf.
Tom fühlte sich so eingeschüchtert, dass er so leise wie möglich «Hallo» sagte, aber doch laut genug, dass er es nicht wiederholen musste.
Als Antwort kamen undeutlich gemurmelte «Hallos» zurück, nur Sally schwieg.
«Das hier muss dein Bett sein», nuschelte der Pfleger und rollte die Liege hinüber. Gekonnt beförderte er den Jungen von der Liege ins Krankenhausbett.
«Liegst du bequem?», fragte der Pfleger und schüttelte Tom das Kissen auf.
Tom antwortete nicht. Er lag aber kein bisschen bequem. Es fühlte sich an, als läge er auf einer Pritsche aus Beton und hätte einen Ziegelstein als Kissen. Selbst die Transportliege war gemütlicher gewesen. Doch es war albern, so zu tun, als hätte er den Pfleger nicht gehört – er stand schließlich direkt neben ihm. Er stand sogar so dicht, dass Tom ihn riechen konnte. Tom war sogar sicher, dass die ganze Station ihn riechen konnte. Der Mann müffelte ziemlich streng, als hätte er sich eine ganze Weile nicht gewaschen. Seine Kleidung war ausgebeult und abgetragen. Seine Schuhe fielen fast auseinander, und sein Kittel war voller Fett- und Schmutzflecken. Er sah aus wie ein Obdachloser.
«Das ist also der weltschlechteste Cricketspieler!», hörte man eine Stimme, und alle Kinder auf der Station zuckten zusammen und erschauderten.
Eine große, dünne Dame trat aus ihrem Büro am Ende der Station. Es war die Oberschwester, die die Station leitete. Langsam, aber sicher schritt sie die Betten ab, und ihre hohen Absätze knallten laut auf dem Fußboden.
Von weitem hätte man die Oberschwester für hübsch halten können: Ihre langen blonden Haare waren perfekt frisiert, ihr Gesicht leuchtete vor lauter Make-up, und ihre Zähne leuchteten weiß. Doch als sie näher kam, erkannte Tom, dass ihr Lächeln nur künstlich war. Ihre Augen ähnelten zwei großen schwarzen Fenstern, die in die Dunkelheit ihres Inneren wiesen. Das Parfüm der Oberschwester war so eklig süß, dass es den Kindern in der Kehle brannte, wenn sie an ihnen vorbeiging.
«Du solltest den Cricketball doch fangen und nicht Kopfball damit spielen», sagte die Dame. «Du dummes, dummes Kind! Ha ha ha!» Keiner außer ihr lachte – Tom am allerwenigsten, dessen Kopf immer noch vor Schmerz pochte.
«Der Cricketball hat eine scheußliche Beule hinterlassen, Madam Oberschwester», nuschelte der Pfleger. Seine Stimme klang etwas zittrig, so als hätte er Angst vor der Frau. «Ich glaube, der junge Herr sollte gleich morgen früh geröntgt werden.»
«Ich brauche Ihre Meinung nicht, danke!», fauchte die Oberschwester, und schon sah ihr Gesicht gar nicht mehr hübsch aus, so abfällig schaute sie drein. «Sie sind nichts weiter als ein einfacher Pfleger, der Niedrigste der Niedrigen. Sie wissen kein bisschen über die Behandlung von Patienten. Also halten Sie in Zukunft gefälligst den Mund!»
Der Pfleger senkte den Kopf, und die anderen Kinder tauschten unruhige Blicke. Es war klar, dass die Oberschwester sie alle einschüchterte.
Mit einer kurzen Handbewegung scheuchte die Oberschwester den Pfleger zur Seite, und er stolperte ein wenig, bevor er sich wieder fing. «Dann lass mich mal die Beule sehen», sagte sie und betrachtete den Jungen. «Mmmm, ja, das ist eine scheußliche Beule. Du solltest gleich morgen früh geröntgt werden.»
Der Pfleger verdrehte die Augen, doch Tom reagierte nicht.
Ohne auch nur einen Blick auf ihn zu werfen, sagte die Oberschwester zu dem Mann: «Pfleger, Sie können jetzt gehen, bevor Sie meine Station ganz verpestet haben!»
Der Pfleger seufzte, dann lächelte er den Kindern auf der Station kurz zu.
«Hopp hopp!», rief die Frau, und der Mann humpelte, so schnell er konnte, davon, wobei er sein verkümmertes Bein hinter sich herzog.
Tom begann, sich nach seiner Schule zurückzusehnen. Die Kinderstation schien wirklich ein grauenhafter Ort zu sein.
Die Oberschwester setzte jetzt zu einer Rede an, die sie offenbar allen neuen Patienten hielt.
«Nun, junger Mann, das hier ist MEINE Station, und das sind MEINE Regeln: Um Punkt 8 Uhr ist Licht aus. Nach Licht aus sind Gespräche verboten. Lesen unter der Bettdecke ist verboten. Süßigkeiten sind verboten. Höre ich im Dunkeln das Rascheln von Einwickelpapier, konfisziere ich sie sofort. Ja, das gilt auch für dich, George!»