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«Also, so schlimm ist die Tante gar nicht – sie lügt zwar, ist verfressen, mordet und foltert –, aber ansonsten ... Und ihren Uhu, den finde ich richtig toll!» (Mechthild Großmann) Nach dem überraschenden Tod ihrer Eltern ist Stella Saxby plötzlich Erbin von Schloss Saxby Hall. Doch ihre grässliche Tante Alberta und deren riesiger Berg-Uhu Wagner schrecken vor nichts zurück, um sich die Erbschaft unter den Nagel zu reißen. Vor gar nichts! Wie gut, dass Stella Freunde hat – wenn auch etwas spezielle Freunde: den schwerhörigen und fast blinden alten Butler Gibbon, zum Beispiel. Oder den Schornsteinfeger Ruß, der ein echter Geist ist. Werden sie es schaffen, Stellas Terror-Tantchen aus Schloss Saxby Hall zu vertreiben?
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Seitenzahl: 202
David Walliams
«Also, so schlimm ist die Tante gar nicht – sie lügt zwar, ist verfressen, mordet und foltert –, aber ansonsten ... Und ihren Uhu, den finde ich richtig toll!» (Mechthild Großmann)
Nach dem überraschenden Tod ihrer Eltern ist Stella Saxby plötzlich Erbin von Schloss Saxby Hall. Doch ihre grässliche Tante Alberta und deren riesiger Berg-Uhu Wagner schrecken vor nichts zurück, um sich die Erbschaft unter den Nagel zu reißen. Vor gar nichts! Wie gut, dass Stella Freunde hat – wenn auch etwas spezielle Freunde: den schwerhörigen und fast blinden alten Butler Gibbon, zum Beispiel. Oder den Schornsteinfeger Ruß, der ein echter Geist ist. Werden sie es schaffen, Stellas Terror-Tantchen aus Schloss Saxby Hall zu vertreiben?
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch
David Walliams ist der erfolgreichste britische Kinderbuchautor der letzten Jahre und gilt als würdiger Nachfolger von Roald Dahl. In England kennt ihn jedes Kind. Wenn er nicht gerade Kinderbücher schreibt, schwimmt er schon mal für einen guten Zweck 225 Kilometer die Themse hinab oder durch den Ärmelkanal. Außerdem spielt er in der englischen Serie «Little Britain» mit und sitzt in der Jury von «Britain’s Got Talent».
[Widmung]
Dankeschöns
Saxby Hall
Saxby Hall von innen
Karte vom Haus und dem Anwesen
Prolog
Tante Alberta
Sitzt ihr auch [...]
Dies sind die [...]
1 Erstarrt
2 Ein Baby verschwindet
3 Ein abscheuliches Kind
4 Der Große Bayerische Berguhu
5 Mumifiziert
6 Ein schrecklicher Albtraum
7 Die menschliche Raupe
8 Die große Flucht
9 Zur Strecke gebracht
10 Im Keller eingeschlossen
11 Hinter den Wänden
12 Pinkel
13 Ein Junge aus Licht
14 Geisterschnodder
15 Der Geisterdetektiv
16 Ein bitterer Nachgeschmack
17 Nachtisch in Hülle und Fülle
18 Knack Knack Knack
19 Grässlich gruselig
20 Absolut gaga
21 Ein Krimi
22 Der Schatten eines Zweifels
23 Verbrechen
24 Ausgestopfte Eulenvögel
25 Vogeljagd
26 Schleichender Tod
27 Die Schlacht im Billardzimmer
28 Im Schutz der Dunkelheit
29 Ein grässliches Toupet
30 Die Uhu-Streckbank
31 Ameisen im Hintern
32 «Mein Hintern! Mein Hintern!»
33 Katz-und-Maus-Spiel
34 Die Fahrstunde
35 Der zugefrorene See
36 Babyeierleicht
37 Brenne Brenne Brenne
38 Der perfekte Mord
39 Der große böse Wolf
40 Die Auflösung eines Rätsels
41 Versteckspiel
42 Totenstille
43 Versprechen
Epilog
Leseprobe: Ratten-Burger
Berts Burger-Bude
Diese Personen kommen [...]
1 Krabbenchips-Mief
Für Maya, Elise und Mitch
Ich möchte mich bei folgenden Personen bedanken:
Charlie Redmayne, dem Boss bei HarperCollins. Ann-Janine Murtagh, die dort die Kinderbuchabteilung leitet. Ruth Alltimes, meiner phantastischen Lektorin. Dem großen Tony Ross, der die Geschichte wie schon so oft mit seinen bezaubernden Illustrationen zum Leben erweckt hat. Kate Clarke, die den Umschlag gestaltet hat. Elorine Grant, die das Buchinnere gestaltet hat. Geraldine Stroud und Sam White, die für die Werbung verantwortlich sind. Paul Stevens, meinem Agenten bei Independent. Tanya Brennand-Roper, die die Hörbücher produziert. Und schließlich geht ein riesiges Dankeschön an Mrs Barbara Stoat, die alle meine Bücher für mich schreibt.
Ich hoffe, dieses hier gefällt euch. Ich habe es selbst noch nicht gelesen und daher keine Ahnung, um was es geht.
David Walliams
Das ist Saxby Hall, wo sich unsere Geschichte abspielt.
Hier sieht man Saxby Hall von innen.
Dies ist eine Karte vom Haus und dem Anwesen.
Habt ihr auch eine Terror-Tante? Eine, bei der ihr nie lange aufbleiben und eure Lieblingssendung im Fernsehen ansehen dürft? Oder eine, die euch zwingt, auch den letzten Löffel ihres ekelhaften Rhabarberauflaufs zu essen, obwohl sie genau weiß, dass ihr Rhabarber nicht ausstehen könnt? Eine Tante, die erst ihrem Schoßhündchen einen dicken, feuchten Sabberkuss gibt und gleich danach euch? Oder futtert eure Tante alle leckeren Pralinen aus der Schachtel und lässt euch nur die widerlichen schwarzen Dinger mit Kirschlikör übrig? Vielleicht verlangt sie auch, dass ihr den schrecklich kratzigen Pulli anzieht, den sie euch letztes Jahr zu Weihnachten gestrickt hat? Der, auf dem vorn in riesigen roten Buchstaben steht: «Ich liebe mein Tantchen»?
Egal wie schrecklich eure Tante auch sein mag, sie wird nie in der gleichen Terrorliga spielen wie Tante Alberta.
Denn Tante Alberta ist die schrecklichste Tante, die je gelebt hat.
Möchtet ihr sie kennenlernen?
Das dachte ich mir.
Hier ist sie in ihrer ganzen Scheußlichkeit …
Sitzt ihr auch schön ungemütlich? Dann fange ich an …
Dies sind die anderen Figuren aus der Geschichte: …
Alles war verschwommen.
Zuerst gab es nur Farben.
Dann Linien.
Ganz allmählich nahm das Zimmer vor Stellas vernebelten Augen Gestalt an.
Das kleine Mädchen stellte fest, dass es in ihrem eigenen Bett lag. Ihr Zimmer war nur eines von unzähligen in diesem riesigen Herrenhaus. Rechts von ihr stand der Schrank und links ihr winziger Schminktisch, der von einem hohen Fenster eingerahmt wurde. Stella kannte ihr Zimmer so gut wie ihr eigenes Gesicht. Saxby Hall war schon immer ihr Zuhause gewesen. Trotzdem erschien ihr in diesem Moment alles fremd.
Draußen war kein Laut zu hören. Noch nie war es im Haus so ruhig gewesen. Alles war still. Stella wandte den Kopf, um vom Bett aus dem Fenster zu sehen.
Draußen war alles weiß. Es hatte mächtig geschneit. Der Schnee bedeckte alles, was man sehen konnte – die langgestreckte, abschüssige Wiese, den großen, tiefen See und die kahlen Felder jenseits des Anwesens.
An den Ästen der Bäume hingen Eiszapfen. Alles war wie erstarrt.
Von der Sonne war nichts zu sehen. Der Himmel war so farblos wie Lehm. Es schien weder richtig Nacht zu sein noch richtig Tag. War es früh am Morgen oder später Abend? Das Mädchen hatte keine Ahnung.
Stella fühlte sich, als hätte sie eine Ewigkeit geschlafen. Waren es Tage? Monate? Jahre? Ihr Mund war trocken wie eine Wüste, ihr Körper schwer wie Blei und so regungslos wie eine Statue.
Einen Moment lang glaubte Stella, sie schliefe und träume vielleicht noch. Träume davon, wach in ihrem Zimmer zu liegen. Stella hatte diesen Traum nicht zum ersten Mal. Er machte ihr Angst, denn sosehr sie es versuchte, sie konnte sich einfach nicht bewegen. War das hier der gleiche Albtraum? Oder etwas noch Schlimmeres?
Um herauszufinden, ob sie noch schlief und träumte, würde sie versuchen, sich zu bewegen, überlegte Stella. Sie begann am entferntesten Ende ihres Körpers und versuchte als Erstes, mit dem kleinen Zeh zu wackeln. Wenn sie tatsächlich wach war und sich vornahm, mit dem Zeh zu wackeln, dann würde er wackeln. Doch sosehr Stella es auch versuchte, der Zeh wackelte einfach nicht, nicht einmal wockeln wollte er. Oder auch nur wuckeln. Sie probierte es nacheinander mit sämtlichen Zehen ihres linken Fußes und dann mit allen am rechten. Eine Zehe nach der anderen weigerte sich standhaft, irgendwas zu tun. Mit wachsender Panik versuchte Stella ihre Knöchel zu drehen, ehe sie daranging, die Beine auszustrecken und dann die Knie anzuziehen, und schließlich konzentrierte sie sich mit aller Kraft darauf, die Arme zu heben. Unmöglich! Es war, als hätte man sie vom Hals abwärts im Sand vergraben.
Hinter ihrer Zimmertür hörte Stella ein Geräusch. Das Haus stand bereits seit Jahrhunderten und war über viele Generationen von einer Familie Saxby an die nächste weitervererbt worden. Es war so alt, dass es überall knarrte, und so riesig, dass jedes Geräusch durch ein endloses Labyrinth von Fluren hallte. Manchmal hatte die junge Stella den Eindruck, dass es spukte. Dass mitten in der Nacht ein Gespenst durch Saxby Hall wanderte. Wenn sie zu Bett ging, meinte sie hören zu können, wie sich hinter der Wand etwas oder jemand bewegte. Manchmal hörte sie sogar eine Stimme, die nach ihr rief. Dann flitzte sie erschrocken ins Schlafzimmer ihrer Eltern und kletterte zu ihnen ins Bett. Ihre Mutter und ihr Vater nahmen sie fest in die Arme und erklärten ihr, dass sie sich nicht ihr hübsches kleines Köpfchen zerbrechen sollte. Die vielen seltsamen Geräusche seien einfach nur klappernde Rohre und knarzende Dielenbretter.
Stella war sich da nicht so sicher.
Ihre Augen huschten hinüber zu ihrer großen eichengetäfelten Zimmertür. Etwa auf Hüfthöhe befand sich ein Schlüsselloch, auch wenn sie die Tür niemals abschloss, ja nicht einmal wusste, wo der Schlüssel war. Höchstwahrscheinlich hatte ihn irgendein Urururgroßvater schon vor Jahrhunderten verloren. Irgendeiner der Lords oder Ladys Saxby, deren Porträts nur wenige Schritte voneinander entfernt in den Fluren hingen, für alle Zeiten ohne ein Lächeln in Öl gebannt.
Das Schlüsselloch wurde abwechselnd hell und dunkel. Stella glaubte einen weißen Augapfel zu sehen, der sie durch das Loch anstarrte, ehe er hastig verschwand.
«Mama? Bist du das?», rief Stella. Als sie sich selbst laut rufen hörte, wusste sie, dass es kein Traum war.
Auf der anderen Seite der Tür herrschte weiter unheimliches Schweigen.
Stella raffte ihren ganzen Mut zusammen. «Wer ist da?», fragte sie flehend. «Hallo?» Draußen knarrten die Dielenbretter. Etwas oder jemand hatte sie durch das Schlüsselloch beobachtet.
Der Knauf drehte sich, und ganz langsam wurde die Tür aufgestoßen. Da es im Zimmer dunkel war, im Flur aber hell, sah das Mädchen zuerst nur einen Schattenriss.
Es war die Silhouette einer Person, die ebenso breit war wie hoch. Was in diesem Fall bedeutete, dass die Gestalt zwar extrem breit war, aber dennoch nicht sonderlich hoch. Sie trug eine enganliegende Jacke und Kniebundhosen (diese langen, bauschigen Shorts, die Golfspieler manchmal anhaben). Auf dem Kopf saß eine Sherlock-Holmes-Mütze, deren Ohrenschützer unvorteilhaft herunterhingen. Und im Mund steckte eine lange, dicke Pfeife. Kurz darauf vernebelten widerlich süße Tabakschwaden das Zimmer. Eine Hand steckte in einem dicken Lederhandschuh. Und auf diesem Lederhandschuh hockte unverkennbar der Umriss eines Uhus.
Stella wusste sofort, wer diese Person war. Es war ihre schreckliche Tante Alberta.
«So, du bist also endlich aufgewacht, Kind», sagte sie nun. Ihre Stimme war kräftig und schwer wie ein Rumkuchen. Sie trat aus dem Türrahmen in das Zimmer ihrer Nichte und stapfte mit ihren großen braunen Stahlkappenboots über den Boden.
Jetzt konnte Stella im Halblicht den schweren Tweedstoff ihres Anzugs erkennen und die langen scharfen Krallen, die der Uhu um die Finger des Handschuhs geschlagen hatte. Er war ein Großer Bayerischer Berguhu, die größte Eulenart, die es gab. In den bayerischen Dörfern nannten die Einheimischen die Vögel wegen ihrer enormen Größe auch «fliegende Bären». Der Uhu hieß Wagner. Ein ungewöhnlicher Name für ein ungewöhnliches Haustier, aber schließlich war Tante Alberta auch eine höchst ungewöhnliche Person.
«Bitte, wie lange habe ich denn geschlafen, Tantchen?», fragte Stella.
Tante Alberta nahm einen tiefen Zug an ihrer Pfeife und lächelte. «Oh, bloß ein paar Monate, Kind.»
Bevor wir mit unserer Geschichte fortfahren, muss ich euch ein bisschen mehr über Tante Alberta erzählen und darüber, warum sie so schrecklich war.
Das hier ist der Stammbaum der Familie Saxby.
Wie ihr aus dem Stammbaum ersehen könnt, war Alberta das älteste von drei Kindern. Sie war die Erstgeborene von Lord und Lady Saxby, gefolgt von ihren Zwillingsbrüdern Herbert und Chester. Herbert – den erstgeborenen Zwilling – ereilte als Baby ein trauriges Schicksal: Als dem ältesten männlichen Kind war es ihm bestimmt, der nächste Lord Saxby zu werden, wenn sein Vater einmal sterben würde. Mit dem Titel waren große Reichtümer verbunden: das Heim der Familie, Saxby Hall, und sämtliche Juwelen und Silberwaren, die von einer Generation zur Generation weitervererbt wurden. Nach dem Erbrecht der Familie bekam der erstgeborene Junge alles.
Doch kurz nach Herberts Geburt geschah etwas höchst Eigenartiges. Das Baby verschwand mitten in der Nacht. Seine Mutter hatte es liebevoll zum Schlafen in sein Bettchen gelegt, doch als sie am nächsten Morgen ins Kinderzimmer kam, war es einfach verschwunden. Von Kummer zerrissen, schrie sie das ganze Haus zusammen.
«AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH!!!!!!»
Aus den benachbarten Städten und Dörfern strömten die Leute aus den Häusern, um bei der Suche zu helfen. Wochenlang durchkämmten sie Tag und Nacht die Umgebung, doch es wurde nie eine Spur von Herbert gefunden.
Alberta war zwölf, als ihr kleiner Bruder verschwand. Und nichts im Haus war danach so wie vorher. Es lag nicht nur daran, dass der kleine Herbert fort war. Was seinen Eltern den größten Schmerz bereitete, war, nicht zu wissen, was ihm widerfahren war. Natürlich hatten sie immer noch Chester (Stellas Vater), aber der Kummer über den Verlust ihres wunderschönen kleinen Jungen ließ sie nie mehr los.
Der Fall wurde zu einem der großen ungelösten Rätsel seiner Zeit.
Wilde Theorien kreisten um das Verschwinden des Babys. Die junge Alberta schwor, in jener Nacht draußen auf der Wiese ein Heulen gehört zu haben. Sie war überzeugt, dass ihr Bruder mitten in der Nacht von einem Wolf geholt worden sei. Allerdings fand man im Umkreis von einhundertfünfzig Kilometern rund um Saxby Hall keine Wölfe. Schon bald war diese Theorie nur noch eine von vielen. Manche nahmen an, ein durchreisender Zirkus habe Herbert entführt und ihn als Clown verkleidet. Andere glaubten, der Säugling sei aus seinem Bettchen geklettert und aus dem Haus gekrabbelt. Am unwahrscheinlichsten von allem war der Verdacht einiger weniger, eine Schar böser Elfen habe den Jungen fortgezaubert.
Keine dieser wilden Spekulationen trug dazu bei, Herbert wieder nach Hause zu bringen. Die Jahre verstrichen. Das Leben ging weiter, wenn auch nicht für Herberts Eltern. In der Nacht des Verschwindens blieb für Lord und Lady Saxby die Zeit stehen. Sie wurden nie wieder in der Öffentlichkeit gesehen. Ein fröhliches Gesicht zu machen, war ihnen unmöglich. Das Gefühl des Verlusts, die Ungewissheit … waren einfach unerträglich. Der Lord und die Lady konnten kaum noch essen oder schlafen. Wie Geister wanderten sie durch Saxby Hall. Am Ende, so hieß es, starben sie an gebrochenem Herzen.
Weil der kleine Herbert verschwunden war, wurde Chester (Stellas Vater) der Erbe. Und während er und seine Schwester heranwuchsen, benahm sich Alberta ihm gegenüber einfach abscheulich. Als Kind …
schenkte sie ihrem kleinen Bruder eine hochgiftige Spinne zu Weihnachten.
sammelte sie Steine und überzog sie mit Zuckerguss. Dann gab sie sie ihrem kleinen Bruder zu essen und tat, als wären es knusprige Kekse.
hängte sie ihn an die Wäscheleine und ließ ihn den ganzen Nachmittag dort baumeln.
fällte sie einen Baum, an dem er gerade hinaufkletterte.
spielte sie mit ihm Verstecken, wartete, bis Chester sich versteckt hatte, und fuhr dann in die Ferien.
schubste sie ihn in den See, wenn er ihr beim Entenfüttern den Rücken zudrehte.
tauschte sie die Kerzen auf seinem Geburtstagskuchen gegen Dynamitstangen aus.
schwang sie ihn, so schnell sie konnte, an den Füßen durchs Kinderzimmer und ließ dann los.
zerschnitt sie die Bremszüge seines Fahrrads.
stopfte sie ihm eine ganze Schüssel voller lebender Würmer in den Mund, indem sie ihm einredete, es seien besondere Spaghetti.
umhüllte sie bei einer Schneeballschlacht Kricketbälle mit Schnee und bombardierte ihn damit.
sperrte sie ihn in einen Schrank, den sie dann die Treppe hinunterstieß.
steckte sie ihm Ohrwürmer in die Ohren, während er schlief, sodass er schreiend aufwachte.
vergrub sie ihn am Strand bis zum Hals im Sand und ließ ihn dort stecken, wenn die Flut einsetzte.
Trotz allem war Chester immer nett zu seiner Schwester. Als Lord und Lady Saxby starben und er Saxby Hall von seinen Eltern erbte, war er entschlossen, sich so gut er konnte um das alte Gemäuer zu kümmern. Der neue Lord Saxby liebte das Haus ebenso sehr, wie seine Eltern es getan hatten. Doch da er von Natur aus ein großzügiger Mensch war, überließ er die mit dem Silber und den Juwelen der Familie gefüllte riesige Schatztruhe seiner Schwester Alberta.
Alles in allem war die Kiste Abertausende von Pfund wert. Doch es dauerte nicht lange, bis Alberta alles verspielt hatte.
Alberta litt nämlich an einer gefährlichen Sucht.
Flohhüpfen.
Das war damals ein beliebtes Spiel, das aus einem Topf und verschieden großen Plättchen, den «Flöhen», bestand.
Das Ziel war, mit Hilfe eines großen Plättchens, «dem Schnicker», so viele der kleineren Plättchen in den Topf zu schnicken wie möglich. Alberta zwang Chester von klein auf, mit ihr zu spielen. Um sie davon abzuhalten, den Topf mit den Flöhen quer durchs Zimmer zu schleudern, wenn sie verlor, ließ Chester sie immer gewinnen. Doch seine Schwester war nicht nur eine schlechte Verliererin, sie schummelte auch. Sie dachte sich alle möglichen Spielvarianten aus, die samt und sonders gegen die Regeln verstießen:
«Schnicker-Schlemmen» – den Schnickfloh seines Gegners einfach aufessen.
«Knick-Knack» – seinem Gegner in die Hand beißen, wenn er zu schnicken versucht.
«Slip-Trick-Kick» – die Flöhe des Gegners in der Unterhose verstecken.
«Bumm-buddi-Bumm» – die eigenen Flöhe mit einem Gewehr in den Topf schießen.
«Floh-Flambé» – sämtliche Flöhe des Gegners einfach verbrennen.
«Knie-Rempler» – wenn der Gegner am Zug ist, das Knie von unten gegen die Tischplatte rammen.
«Greiferei» – wenn der Floh des Gegners durch die Luft segelt, fängt ihn ein perfekt ausgebildeter Greifvogel mit dem Schnabel.
«Floh-Kleister» – die Flöhe des Gegners auf der Tischplatte festkleben.
«Gigantopott» – wenn der Gegner gerade nicht hinsieht, tauscht man den Topf gegen einen superhohen aus, sodass er keine Chance mehr hat.
«Pups» – über dem gegnerischen Schnicker einen Furz loslassen und ihn so für eine Weile unbrauchbar machen.
Einmal schenkte Chester seiner großen Schwester Das große Regelbuch des Flohspiels von Professor Flohrian Spiel zu Weihnachten. Er hoffte, dass sie von jetzt an gemeinsam in den Regeln nachschlagen könnten und Albertas schreckliche Schummelei ein Ende nehmen würde. Doch sie weigerte sich rundheraus, das Buch auch nur aufzuschlagen. Daher verstaubte Das große Regelbuch des Flohspiels in einem Regal der riesigen Bibliothek von Saxby Hall.
Schon seit ihrer Kindheit neigte Alberta zu einem geradezu aberwitzigen Konkurrenzdenken. Sie musste gewinnen. Immer und immer und immer wieder.
«Ich bin die Beste. Die B.Ä.S.T.E.!», jubelte sie. Im Buchstabieren war sie schon immer grottenschlecht. Auf jeden Fall kam Albertas unbändiger Drang, jeden zu schlagen, ihre Verwandten am Ende teuer zu stehen. Kaum hatte Alberta, dank Chesters Großzügigkeit, einen Teil des Familienvermögens in die Finger bekommen, verspielte sie es. In den Kasinos von Monte Carlo versuchte sie ihr Glück an den Flohspieltischen mit besonders hohem Einsatz. Innerhalb einer Woche verlor sie alles, was sie besaß. Abertausende von Pfund. Als Nächstes schlich sie sich in das Büro ihres Bruders und riss sich sein Scheckbuch unter den Nagel. Alberta fälschte Chesters Unterschrift und stahl heimlich alles Geld, das er auf seinem Bankkonto hatte. Innerhalb weniger Tage verspielte sie auch das Geld ihres Bruders. Bis auf den letzten Penny. Die Familie häufte solche Schulden an, dass sie sie nie mehr loswurde.
Chester blieb nichts anderes übrig, als alles zu verkaufen, was sich verkaufen ließ: Antiquitäten, Gemälde, Pelzmäntel, selbst den diamantenen Verlobungsring seiner geliebten Frau – alles wanderte in Auktionshäuser, damit Lord Saxby weiter um den Erhalt des Familiensitzes kämpfen konnte. Wie jedes vornehme Haus besaß auch Saxby Hall eine ganze Armee von Angestellten, die es am Laufen hielten: eine Köchin, einen Gärtner, ein Kindermädchen, einen Chauffeur und ein ganzes Bataillon von Zimmermädchen. Doch nun, da Alberta das ganze Geld durchgebracht hatte, war nichts mehr da, um sie zu bezahlen. Die Bank verlangte, die Bediensteten unverzüglich zu entlassen. Also musste Chester sie schweren Herzens fortschicken …
Bis auf einen. Den steinalten Butler Gibbon.
Lord Saxby versuchte über ein Dutzend Mal, Gibbon zu kündigen. Doch der Diener war so alt – er ging auf die hundert zu –, dass er inzwischen stocktaub und fast blind war. Deswegen erwies es sich als unmöglich, ihm zu sagen, dass er gehen sollte. Selbst wenn man es ihm direkt ins Ohr brüllte, verstand der arme alte Kerl kein Wort. Gibbon arbeitete seit vielen Generationen für die Familie Saxby. Er stand schon so lange in ihrem Dienst, dass er praktisch zur Familie gehörte. Chester war von klein auf daran gewöhnt, von Gibbon versorgt zu werden, und er liebte ihn wie einen exzentrischen alten Onkel. Insgeheim war er überglücklich, dass Gibbon im Haus blieb, schon deshalb, weil er sicher war, dass der steinalte Butler keine andere Bleibe hatte.
Also streifte Gibbon weiter durch Saxby Hall und ging seinen Pflichten nach, auch wenn er dabei alles durcheinanderbrachte:
Er mähte mit dem Rasenmäher den Teppich.
Er brachte ein Tablett herein, auf dem sich dreckige Socken türmten, und erklärte: «Der Tee steht bereit, Milord.»
Er bügelte die Pflanzen.
Er goss das Sofa.
Er schlug mitten in der Nacht den Gong und verkündete: «Das Abendessen ist angerichtet.»
Er servierte zum Frühstück eine gekochte Billardkugel im Eierbecher.
Er polierte das Gras.
Er kochte Schuhe.
Er nahm den Lampenschirm und sagte: «Saxby Hall, wer ist am Apparat?», als wäre es ein Telefon.
Er führte den Teppichläufer Gassi.
Er stellte das Hühnchen zum Braten in den Kofferraum des Rolls-Royce.
Stellas Eltern arbeiteten Tag und Nacht unermüdlich, um das Haus und das Anwesen instand zu halten, aber Saxby Hall war einfach zu groß für sie und begann langsam zu verfallen. Es dauerte nicht lang, und sie konnten sich für das riesige Haus weder Heizung noch Licht leisten, und auch für den alten Rolls-Royce hatten sie kaum genug Geld. Chester, der jetzt Lord Saxby war, gelang es mit seinem außergewöhnlichen Charme gerade so, den wütenden Bankdirektor in London in Schach zu halten.
Als Stella zur Welt kam, war er entschlossen, seiner Tochter dieses großartige Haus eines Tages zu vererben, so wie er es von seinem Vater geerbt hatte. Seine Schwester Alberta hatte natürlich schon bewiesen, dass ihr im Hinblick auf Saxby Hall nicht zu trauen war, daher sorgte Chester dafür, dass seine Wünsche in seinem Testament klar und deutlich zum Ausdruck kamen:
Vor seiner Schwester hielt Lord Saxby das Testament streng geheim. Er war sicher, dass sie vor Wut außer sich geraten würde, wenn sie es jemals zu sehen bekäme.
Wie kam Tante Alberta eigentlich dazu, sich einen Großen Bayerischen Berguhu als Haustier zuzulegen, höre ich euch fragen. Um das zu beantworten, müssen wir noch einmal in die Zeit vor der Geburt der jungen Stella zurückkehren.
Kurz nachdem Alberta das gesamte Vermögen ihrer Familie an den Flohspieltischen von Monte Carlo verspielt hatte, brach in Europa ein Krieg aus. Chester trat als Offizier in die Armee ein, und als Belohnung für seine Tapferkeit auf den Schlachtfeldern von Frankreich steckte man ihm ein Haufen Orden an die Brust. In der Zwischenzeit ging auch seine Schwester zum Militär und fand sich als Maschinengewehrschützin in den bayerischen Wäldern wieder. Dort entschied sie sich auf der Seite der Deutschen zu kämpfen, was für jemanden aus England ziemlich ungewöhnlich war. Albertas einziger Grund dafür war, dass ihr «die deutschen Uniformen so gefielen». Sie fand sich ungeheuer schick mit einem spitzen Helm der deutschen Armee auf dem Kopf, der Pickelhaube genannt wurde. Ihr könnt euch selbst ein Urteil bilden …
Alberta hatte schon als Kind oft die Eier seltener Vögel gestohlen. Und sie wusste, dass der Große Bayerische Berguhu eine der seltensten Vogelarten der Welt war. Als sie in dem Wald, in dem sie stationiert war, einen brütenden Uhu entdeckte, kletterte sie also auf den Baum und stahl ein Ei aus dem Nest. Dann hockte sie sich selbst darauf, bis das Junge schlüpfte, und nannte das Uhuküken «Wagner», nach ihrem deutschen Lieblingskomponisten.[*]
Kurz darauf ging der Krieg zu Ende. Alberta hatte auf