Die Nonne - Denis Diderot - E-Book

Die Nonne E-Book

Denis Diderot

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Beschreibung

Der Roman wurde erst durch seine Veröffentlichung in Deutschland, Jahre nach dem Tod Diderots, auch in Frankreich, dem Heimatland des Autors, bekannt. "Die Nonne" (1796), beschreibt den erfundenen Leidensweg einer unfreiwilligen Nonne. Die junge Susanne Simonin erzählt ihre Lebensgeschichte. Von den Eltern wird sie zu einem Dasein als Ordensschwester gezwungen, da für eine standesgemäße Heirat die nötigen Mittel fehlen. Auf ihrer schicksalshaften Odyssee durch verschiedene Klöster und Abteien trifft sie schließlich auf eine fanatische und grausame Äbtissin, die sie zum Ziel von Repressalien und Schikanen macht. Diderot schrieb diese erfundenen Briefe zusammen mit engen Freunden, um einen gemeinsamen Bekannten aus der französischen Provinz wieder zurück nach Paris zu locken. Dieser Bekannte fixierte sich so sehr auf diese erfundene Nonne, dass Diderots schließlich auch noch ihren Tod erfinden musste. Aber wie in fast allen Werken Diderots liegt auch diesem Werke eine Tatsache zugrunde. Im Jahre 1757 strengte eine Nonne des Klosters Longchamp einen Prozess gegen ihre Eltern an, die sie gezwungen hatten, Nonne zu werden. Damals ein unglaublicher Skandal, den die katholische Kirche natürlich mit aller Macht zu vertuschen versuchte. Die Beschreibung der unsittlichen Szenen hat dem Buche den Vorwurf der Frivolität eingetragen. »Die Nonne ... bewahrt als angemessenen Stil die rhetorische und oratorische Insistenz, die ihr anfechtbarster Aspekt ist, besitzt aber auch die Reinheit und die Gewalt des Tragischen, die sie zu einem Meisterwerk der visionären Kunst machen.« [Robert Mauzi] Der Roman wurde mehrmals verfilmt, zuletzt 2013 von Guillaume Nicloux, mit Isabelle Hupert, Martina Gedeck und Pauline Etienne Null Papier Verlag

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Denis Diderot

Die Nonne

Denis Diderot

Die Nonne

(La religieuse)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Wilhelm Thal EV: Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart, 1913 2. Auflage, ISBN 978-3-954183-91-3

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Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

Vor­wort

Ka­pi­tel 1

Ka­pi­tel 2

Ka­pi­tel 3

Ka­pi­tel 4

Ka­pi­tel 5

Ka­pi­tel 6

Ka­pi­tel 7

Ka­pi­tel 8

Nach­schrift

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Zum Buch

Der Ro­man wur­de erst durch sei­ne Ver­öf­fent­li­chung in Deutsch­land, Jah­re nach dem Tod Di­de­rots, auch in Frank­reich, dem Hei­mat­land des Au­tors, be­kannt.

»Die Non­ne« (1796), be­schreibt den er­fun­de­nen Lei­dens­weg ei­ner un­frei­wil­li­gen Non­ne. Die jun­ge Su­san­ne Si­mo­nin er­zählt ihre Le­bens­ge­schich­te. Von den El­tern wird sie zu ei­nem Da­sein als Or­dens­schwes­ter ge­zwun­gen, da für eine stan­des­ge­mä­ße Hei­rat die nö­ti­gen Mit­tel feh­len. Auf ih­rer schick­sals­haf­ten Odys­see durch ver­schie­de­ne Klös­ter und Ab­tei­en trifft sie schließ­lich auf eine fa­na­ti­sche und grau­sa­me Äb­tis­sin, die sie zum Ziel von Re­pres­sa­li­en und Schi­ka­nen macht.

Di­de­rot schrieb die­se er­fun­de­nen Brie­fe zu­sam­men mit en­gen Freun­den, um einen ge­mein­sa­men Be­kann­ten aus der fran­zö­si­schen Pro­vinz wie­der zu­rück nach Pa­ris zu lo­cken. Die­ser Be­kann­te fi­xier­te sich so sehr auf die­se er­fun­de­ne Non­ne, dass Di­de­rots schließ­lich auch noch ih­ren Tod er­fin­den muss­te.

Aber wie in fast al­len Wer­ken Di­de­rots liegt auch die­sem Wer­ke eine Tat­sa­che zu­grun­de. Im Jah­re 1757 streng­te eine Non­ne des Klos­ters Long­champ einen Pro­zess ge­gen ihre El­tern an, die sie ge­zwun­gen hat­ten, Non­ne zu wer­den. Da­mals ein un­glaub­li­cher Skan­dal, den die ka­tho­li­sche Kir­che na­tür­lich mit al­ler Macht zu ver­tu­schen ver­such­te.

Die Be­schrei­bung der un­sitt­li­chen Sze­nen hat dem Bu­che den Vor­wurf der Fri­vo­li­tät ein­ge­tra­gen.

»Die Non­ne ... be­wahrt als an­ge­mes­se­nen Stil die rhe­to­ri­sche und ora­to­ri­sche In­sis­tenz, die ihr an­fecht­bars­ter Aspekt ist, be­sitzt aber auch die Rein­heit und die Ge­walt des Tra­gi­schen, die sie zu ei­nem Meis­ter­werk der vi­sio­nären Kunst ma­chen.« [Ro­bert Mau­zi]

Der Ro­man wur­de mehr­mals ver­filmt, zu­letzt 2013 von Guil­lau­me Nic­loux, mit Isa­bel­le Hu­pert, Mar­ti­na Ge­deck und Pau­li­ne Eti­enne

Vorwort

Der vor­lie­gen­de Ro­man, »Die Non­ne« von De­nis Di­de­rot, er­reg­te, als er in Frank­reich zur Ver­öf­fent­li­chung ge­lang­te, einen Sturm der Ent­rüs­tung. Ganz be­son­ders war es die hohe und nie­de­re Geist­lich­keit, wel­che sich in Schmä­hun­gen und Ver­wün­schun­gen ge­gen den Ver­fas­ser nicht ge­nug tun konn­te und die­sen gar zu ger­ne dem Schei­ter­hau­fen über­lie­fert hät­te -- wenn er nicht schon vor­her ge­stor­ben wäre. Denn erst im Jah­re 1793, nach­dem der Sturm­wind der Re­vo­lu­ti­on die Pri­vi­le­gi­en des Adels und des Kle­rus hin­weg­ge­fegt, er­schi­en der Ro­man »Die Non­ne« mit ver­schie­de­nen an­de­ren Schrif­ten Di­de­rots im Druck; doch ist an­zu­neh­men, daß das Werk etwa um drei­ßig Jah­re frü­her ent­stand und hand­schrift­lich wie auch durch Vor­le­sun­gen in den den En­zy­klo­pä­dis­ten nahe ste­hen­den Krei­sen be­kannt war.

Wie fast al­len Wer­ken Di­de­rots liegt auch die­sem Wer­ke eine Tat­sa­che zu Grun­de. Im Jah­re 1757 streng­te eine Non­ne des Klos­ters Long­champ einen Pro­zeß ge­gen ihre El­tern an, die sie ge­zwun­gen hat­ten, den Schlei­er zu neh­men. Der da­mals noch all­mäch­ti­ge Kle­rus ver­stand es, alle Ver­su­che des un­glück­li­chen Op­fers, sich dem ihm auf­ge­drun­ge­nen Be­ru­fe zu ent­zie­hen, zu un­ter­drücken, und selbst der von der Un­glück­li­chen in Sze­ne ge­setz­te öf­fent­li­che Skan­dal hat­te kei­ne an­de­re Wir­kung, als der Ärms­ten eine noch schlim­me­re Be­hand­lung zu ver­schaf­fen, die in ih­rer aus­ge­such­ten Grau­sam­keit vor den ge­wag­tes­ten Mit­teln nicht zu­rück­schreck­te. Aber trotz al­ler Ver­tu­schungs­ver­su­che der Geist­lich­keit drang doch ei­ni­ges von dem Pro­zeß in die Öf­fent­lich­keit; ei­ni­ge wohl­wol­len­de Leu­te be­mäch­tig­ten sich der Sa­che; doch all ihr Be­mü­hen war ver­geb­lich, die Un­glück­li­che blieb in den Hän­den der Geist­lich­keit, und wer weiß un­ter welch kör­per­li­chen und see­li­schen Mar­tern man sie in ma­jo­rem Dei glo­riam zu Tode ge­mar­tert hat.

Die­sen Stoff hat Di­de­rot im ers­ten Tei­le sei­nes Ro­mans be­han­delt, wäh­rend der zwei­te ei­ner ge­nau­en Schil­de­rung der in den Klös­tern herr­schen­den Un­sitt­lich­keit ge­wid­met ist. Die Be­schrei­bung der un­sitt­li­chen Sze­nen hat dem Bu­che den Vor­wurf der Fri­vo­li­tät ein­ge­tra­gen, doch mit Un­recht, denn der Ver­fas­ser hat die­sel­ben nicht als Selbst­zweck, son­dern nur zur Schil­de­rung der in den Klös­tern herr­schen­den Sit­ten­lo­sig­keit be­nutzt. Selbst Schlos­ser, der in sei­nen Ur­tei­len über die fran­zö­si­sche Lit­te­ra­tur oft recht schrof­fe und her­be Mei­nun­gen ab­ge­ge­ben hat, sagt in sei­ner Ge­schich­te des 18. Jahr­hun­derts, drit­ter Zeit­raum, zwei­ter Ab­schnitt, zwei­tes Ka­pi­tel:

»Die Ge­schich­te ist so ge­nau aus den Er­fah­run­gen je­ner Zeit und dem, was alle Tage in ge­wis­sen Fa­mi­li­en vor­ging, ent­lehnt, daß man wirk­li­che Denk­wür­dig­kei­ten zu le­sen glaubt. Jede füh­len­de See­le schau­dert, wie in­nig er­grif­fen und von Rüh­rung durch­drun­gen, sie muß einen Zu­stand des Staats und der Kir­che ver­ab­scheu­en, der Din­ge, wie die hier er­zähl­ten, mög­lich mach­te. Di­de­rot hat mit ei­ner be­wun­de­rungs­wür­di­gen Kunst die Er­zäh­lung von An­fang bis zum Ende so durch­ge­führt, daß er nie aus dem Tone ge­fal­len ist. Das Klos­ter­le­ben und Klos­ter­we­sen der Zeit kurz vor der Re­vo­lu­ti­on ist in kei­nem Bu­che mit mehr Wahr­heit und Le­ben­dig­keit ge­schil­dert, als in die­sem Ro­man.«

Der Über­set­zer hat sich be­müht, dem Ori­gi­na­le ganz ge­treu zu fol­gen, nur ei­ni­ge Stel­len, die ge­wis­se Län­gen ent­hal­ten, so­wie die durch­aus über­flüs­si­gen Ob­scö­ni­tä­ten sind dem Rot­stift zum Op­fer ge­fal­len. Die­se Strei­chun­gen sind um so be­rech­tig­ter, als das Werk da­durch nur an Knapp­heit und Schär­fe ge­winnt, auch ging Di­de­rot selbst mit ei­nem Plan der Um­ar­bei­tung der »Non­ne« um, ein Plan, der wohl nur in­fol­ge sei­nes To­des nicht zur Aus­füh­rung ge­lang­te.

Der Über­set­zer.

Kapitel 1

Mein Va­ter war Ad­vo­kat, er hat­te mei­ne Mut­ter in ziem­lich vor­ge­rück­tem Al­ter ge­hei­ra­tet, und sie hat­te ihm drei Töch­ter be­schert. Er hat­te mehr Ver­mö­gen, als nö­tig war, um sie gut zu ver­sor­gen; doch zu die­sem Zweck hat­te er sei­ne Zärt­lich­keit al­len drei­en in glei­cher Wei­se zu­teil wer­den las­sen müs­sen; und ich kann ihm lei­der die­ses Lob nicht an­ge­dei­hen las­sen. Zwei­fel­los über­traf ich mei­ne Schwes­tern durch die Vor­zü­ge des Geis­tes und der Ge­stalt; ich war ih­nen an Cha­rak­ter und Ta­lent über­le­gen; doch es mach­te mir den Ein­druck, als wenn sich mei­ne El­tern dar­über be­trüb­ten. Wenn je­mand zu­fäl­lig zu mei­ner Mut­ter sag­te, sie habe rei­zen­de Kin­der, so durf­te mir das nie­mals gel­ten. Ich bin zu­wei­len für die­se Un­ge­rech­tig­keit ge­rächt wor­den, doch die Lob­sprü­che, die man mir zu­teil wer­den ließ, ka­men mir, wenn wir al­lein wa­ren, so teu­er zu ste­hen, daß ich Gleich­gül­tig­keit und selbst Schimpf­wor­te vor­ge­zo­gen hät­te; je mehr mich die frem­den Be­su­cher ver­hät­schel­ten, eine de­sto schlim­me­re Lau­ne trug man ge­gen mich zur Schau, so­bald sie fort­ge­gan­gen wa­ren. O, wie oft habe ich dar­über ge­weint, daß ich nicht häß­lich, dumm, al­bern, hoch­mü­tig, mit ei­nem Wort, mit all’ den Feh­lern zur Welt ge­kom­men bin, die mei­nen Schwes­tern die Lie­be ih­rer El­tern ver­schaff­ten. Ich habe mich ge­fragt, wie wohl ein Va­ter und eine Mut­ter, die sonst durch­aus eh­ren­haft, ge­recht und fromm wa­ren, sich so ei­gen­tüm­lich be­neh­men konn­ten. Ei­ni­ge Be­mer­kun­gen, die mei­nem Va­ter im Zorn ent­schlüpft sind -- denn er war sehr hef­tig -- ei­ni­ge Um­stän­de, die mir zu ver­schie­de­nen Zei­ten auf­ge­fal­len sind, Äu­ße­run­gen von Nach­barn, von Dienst­bo­ten, ha­ben mich einen Grund ver­mu­ten las­sen, der eine klei­ne Ent­schul­di­gung für sie bie­ten wür­de. Vi­el­leicht heg­te mein Va­ter ei­ni­ge Zwei­fel in be­treff mei­ner Ge­burt, viel­leicht er­in­ner­te ich mei­ne Mut­ter an einen Fehl­tritt, den sie be­gan­gen, und an die Un­dank­bar­keit ei­nes Man­nes, dem sie zu sehr zu Wil­len ge­we­sen, was weiß ich? --

Da wir kurz hin­ter­ein­an­der zur Welt ge­kom­men wa­ren, so wuch­sen wir auch alle drei zu­sam­men auf. Es stell­ten sich Be­wer­ber ein; mei­ne äl­tes­te Schwes­ter er­hielt den An­trag ei­nes rei­zen­den jun­gen Man­nes; doch bald be­merk­te ich, daß er mich aus­zeich­ne­te, und ich ahn­te, daß sie bald nur der Vor­wand, für sei­ne häu­fi­gen Be­su­che sein wür­de. Ich sah es vor­aus, daß mir die­ses Be­neh­men Kum­mer be­rei­ten wür­de, und setz­te mei­ne Mut­ter da­von in Kennt­nis. Das ist viel­leicht das ein­zi­ge Mal in mei­nem Le­ben ge­we­sen, daß ich et­was ihr Wohl­ge­fäl­li­ges ge­tan habe, und wie wur­de ich da­für be­lohnt? Vier Tage spä­ter oder we­nigs­tens doch kur­ze Zeit dar­auf sag­te man mir, man hät­te für mich einen Platz in ei­nem Klos­ter be­sorgt, und schon am nächs­ten Tage wur­de ich dort­hin über­führt. Ich fühl­te mich im Hau­se so un­be­hag­lich, daß mich die­ses Er­eig­nis nicht be­son­ders be­trüb­te, und so fuhr ich nach Sain­te-Ma­rie -- das war mein ers­tes Klos­ter -- in hei­ters­ter Stim­mung. In­zwi­schen ver­gaß mich der Lieb­ha­ber mei­ner Schwes­ter, als er mich nicht mehr sah und wur­de ihr Gat­te. Er heißt K..., ist No­tar und lebt in Cor­beil, wo er eine höchst un­glück­li­che Ehe führt. Mei­ne zwei­te Schwes­ter wur­de mit ei­nem Herrn Bauchon, ei­nem Sei­den­wa­ren­händ­ler in der Stra­ße Quin­cam­poix in Pa­ris ver­hei­ra­tet und lebt mit ihm ziem­lich gut. Als mei­ne bei­den Schwes­tern ver­sorgt wa­ren, glaub­te ich, man wür­de auch an mich den­ken, und ich wür­de das Klos­ter bald ver­las­sen. Ich zähl­te da­mals 16 ½ Jahr. Man hat­te mei­nen Schwes­tern eine be­deu­ten­de Mit­gift ge­ge­ben; ich er­hoff­te ein dem ih­ren ähn­li­ches Schick­sal, und mein Kopf war von al­ler­lei ver­füh­re­ri­schen Plä­nen voll, als man mich ei­nes Ta­ges in das Sprech­zim­mer rief. Ich er­blick­te den Pa­ter Se­ra­phin, den Beicht­va­ter mei­ner Mut­ter; er war auch der mei­ni­ge ge­we­sen, und da­her hat­te er auch kei­ne Schwie­rig­keit, mir den Grund sei­nes Be­su­ches zu er­klä­ren; es han­del­te sich dar­um, mich zu ver­an­las­sen, den Schlei­er zu neh­men. Ich pro­tes­tier­te hef­tig ge­gen die­sen selt­sa­men Vor­schlag und er­klär­te ihm frei her­aus, ich füh­le kei­nen Be­ruf für den geist­li­chen Stand.

»Um so schlim­mer«, sag­te er zu mir, »denn Ihre El­tern ha­ben sich Ih­rer Schwes­tern we­gen voll­stän­dig rui­niert, und ich sehe nicht ein, was sie in der be­schränk­ten Lage, in der sie sich be­fin­den, für Sie tun könn­ten. Den­ken Sie dar­über nach, mein Fräu­lein; ent­we­der müs­sen Sie für im­mer in die­ses Haus ein­tre­ten, oder sich in ein an­de­res Pro­vinz­klos­ter be­ge­ben, wo man Sie ge­gen eine mä­ßi­ge Pen­si­on auf­neh­men wird, und das Sie erst nach dem Tode Ih­rer El­tern ver­las­sen wer­den, was noch lan­ge dau­ern kann!«

Ich be­klag­te mich bit­ter und ver­goß wah­re Strö­me von Trä­nen. Die Obe­rin war be­reits in Kennt­nis ge­setzt und er­war­te­te mich, als ich das Sprech­zim­mer ver­ließ. Ich war in ei­ner un­be­schreib­li­chen Auf­re­gung.

»Was ist Ih­nen denn, mein lie­bes Kind?« sag­te sie zu mir. »Wie se­hen Sie denn aus? Ha­ben Sie Ihren Herrn Va­ter oder Ihre Frau Mut­ter ver­lo­ren?«

Ich woll­te schon ant­wor­ten: »Das wol­le Gott!« doch ich be­gnüg­te mich mit den Wor­ten: »Lei­der habe ich we­der Va­ter noch Mut­ter; ich bin eine Un­glück­li­che, die man haßt und le­ben­dig be­gra­ben will.«

Sie ließ den Sturm vor­über­ge­hen und war­te­te auf den Au­gen­blick der Ruhe. Ich er­klär­te ihr nun deut­li­cher, was man mir eben mit­ge­teilt. Sie schi­en Mit­leid mit mir zu ha­ben und be­klag­te mich; dann er­mu­tig­te sie mich, nicht einen Stand zu er­grei­fen, für den ich kei­ne Nei­gung fühl­te; au­ßer­dem ver­sprach sie mir, für mich zu bit­ten, Vor­stel­lun­gen zu ma­chen, und sich für mich zu ver­wen­den. Sie schrieb in der Tat, wuß­te aber ganz ge­nau die Ant­wort, die man ihr er­tei­len wür­de und teil­te mir die­sel­be mit; erst nach län­ge­rer Zeit lern­te ich an ih­rer Auf­rich­tig­keit zwei­feln. In­zwi­schen kam der Ter­min, an dem ich mei­nen Ent­schluß kund ge­ben soll­te, her­an, und sie setz­te mich mit gu­tein­stu­dier­ter Trau­rig­keit da­von in Kennt­nis. Zu­erst sprach sie kei­ne Sil­be, dann ließ sie ei­ni­ge mit­lei­di­ge Wor­te fal­len, aus de­nen ich das üb­ri­ge be­griff. Wie­der fand eine Sze­ne der Verzweif­lung statt, und ich glau­be, sie wein­te wirk­lich, wäh­rend sie sag­te:

»Nun, mein Kind, Sie wer­den uns also ver­las­sen? Teu­res Kind, wir wer­den uns nicht mehr wie­der­se­hen!«

Dann führ­te sie noch an­de­re Re­den, die ich nicht hör­te. Ich war auf einen Stuhl ge­sun­ken, schwieg oder schluchz­te. Bald blieb ich un­be­weg­lich, bald er­hob ich mich, bald lehn­te ich mich ge­gen die Wand, bald hauch­te ich mei­nen Schmerz an ih­rem Bu­sen aus.

Nach ei­ner Wei­le sprach sie fol­gen­des: »Hö­ren Sie, sa­gen Sie aber nicht, daß ich Ih­nen den Rat ge­ge­ben habe; ich zäh­le auf Ihre un­ver­letz­li­che Ver­schwie­gen­heit; denn ich möch­te um kei­nen Preis der Welt, daß man mir dar­aus einen Vor­wurf ma­chen kön­ne. Was ver­langt man von Ih­nen? -- Daß Sie den Schlei­er neh­men? Nun wohl, warum neh­men Sie ihn nicht? Wozu ver­pflich­tet denn das? Zu nichts, höchs­tens, daß Sie noch zwei Jah­re bei uns blei­ben. In zwei Jah­ren kann vie­ler­lei ge­sche­hen.«

Mit die­sen heim­tücki­schen Re­den ver­band sie so­vie­le Lieb­ko­sun­gen, so­vie­le Freund­schafts­ver­si­che­run­gen, so­vie­le süße Falsch­hei­ten, daß ich mich über­re­den ließ. Sie schrieb also an mei­nen Va­ter, der Brief war vor­treff­lich: mein Schmerz und mein Wi­der­stre­ben wa­ren dar­in durch­aus nicht ver­hehlt; doch schließ­lich teil­te man mei­ne Ein­wil­li­gung mit. Mit wel­cher Eile wur­de nun al­les vor­be­rei­tet, der Tag wur­de fest­ge­setzt, mei­ne Klei­der an­ge­fer­tigt, und der Tag der Ce­re­mo­nie war her­an­ge­rückt, ohne daß ich heu­te den ge­rings­ten Zwi­schen­raum zwi­schen die­sen Din­gen ent­de­cken kann.

Ein Dok­tor der Sor­bonne, der Abbé Blain, hielt die Er­mah­nungs­re­de, und der Bi­schof von Alep­po klei­de­te mich ein. Ob­wohl die Non­nen eif­rig be­müht wa­ren, mich zu stüt­zen, so fühl­te ich doch wohl zwan­zig­mal, wie die Kniee un­ter mir zu­sam­men­bra­chen, und es fehl­te nicht viel, so wäre ich auf den Stu­fen des Al­tars nie­der­ge­sun­ken. Ich hör­te nichts, ich sah nichts, ich war wie ver­blö­det; man führ­te mich, und ich ging; man frag­te mich und ant­wor­te­te für mich. In­des­sen nahm die­se grau­sa­me Ce­re­mo­nie ein Ende; alle zo­gen sich zu­rück, und ich blieb in­mit­ten der Her­de, der man mich eben zu­ge­sellt hat­te. Mei­ne Ge­fähr­tin­nen um­stan­den mich; sie um­arm­ten mich und sag­ten: »Aber seht doch, Schwes­tern, wie schön sie ist; wie die­ser schwar­ze Schlei­er die Wei­ße ih­res Teints hebt, wie die­ses Band ihr steht, wie es ihr Ge­sicht um­rahmt, wie die­ses Kleid ihre Tail­le und ihre Arme her­vor­tre­ten läßt.«

Ich hör­te sie kaum an, ich war ver­zwei­felt; den­noch muß­te ich zu­ge­ben, daß ich, als ich al­lein in mei­ner Zel­le war, mich ih­rer Schmei­che­lei­en er­in­ner­te. Ich konn­te nicht um­hin, mich in ei­nem klei­nen Spie­gel prü­fend zu be­trach­ten, und ich glaub­te, ihre Wor­te wa­ren nicht so ganz un­an­ge­bracht.

Als wir des Abends vom Ge­bet ka­men, trat die Obe­rin in mei­ne Zel­le und sag­te, nach­dem sie mich eine Wei­le be­trach­tet:

»Ich weiß wirk­lich nicht, warum Sie einen so großen Wi­der­wil­len vor die­sem Kleid he­gen; es steht Ih­nen wun­der­bar, und Sie sind rei­zend. Schwes­ter Su­san­ne ist eine schö­ne Non­ne; Sie wird man aber noch mehr lie­ben. Nun las­sen Sie ein­mal se­hen; ge­hen Sie; Sie hal­ten sich nicht ge­ra­de ge­nug; Sie dür­fen nicht so ge­bückt ge­hen...«

Sie rich­te­te mir den Kopf, die Füße, die Hän­de; dann setz­te sie sich und sag­te zu mir:

»Es ist gut; jetzt wol­len wir aber ein we­nig ernst­haft re­den. Zwei Jah­re wä­ren nun ge­won­nen; Ihre El­tern kön­nen ih­ren Ent­schluß än­dern. Sie selbst wür­den viel­leicht hier­blei­ben wol­len, wenn jene Sie fort­neh­men möch­ten, das wäre durch­aus nicht un­mög­lich...«

»Ma­da­me; glau­ben Sie das nicht...«

»Sie sind lan­ge un­ter uns ge­we­sen, doch Sie ken­nen un­ser Le­ben noch nicht; es hat zwei­fel­los sei­ne Lei­den, aber es hat auch sei­ne Freu­den.«

Man kann sich den­ken, was sie sonst noch von der Welt und von dem Klos­ter hin­zu­fü­gen konn­te; das steht über­all ge­schrie­ben, und zwar über­all in der­sel­ben Wei­se, denn Gott sei Dank hat man mich das gan­ze Zeug le­sen las­sen, das die Mön­che über ih­ren Stand ge­schrie­ben ha­ben, den sie recht wohl ken­nen und ver­ab­scheu­en.

Die Ein­zel­hei­ten ei­nes No­vi­zi­ats will ich nicht be­rüh­ren; wenn man es mit der gan­zen Stren­ge be­ob­ach­te­te, so wür­de man es nicht aus­hal­ten; so aber ist es die schöns­te Zeit des Klos­ter­le­bens. Eine No­vi­zen­mut­ter ist im­mer die nach­sich­tigs­te Schwes­ter, die man fin­den kann; ihr gan­zes Stre­ben ist stets dar­auf ge­rich­tet, ei­nem alle Dor­nen des Stan­des zu ver­ber­gen, es ist gleich­sam ein Kur­sus der feins­ten und aus­ge­klü­gels­ten Ver­füh­rung. Un­se­re No­vi­zen­mut­ter schloß sich ganz be­son­ders an mich an, und ich glau­be nicht, daß eine jun­ge un­er­fah­re­ne See­le die­ser ver­häng­nis­vol­len Kunst zu wi­der­ste­hen ver­mag. Hat­te ich zwei­mal hin­ter­ein­an­der ge­niest, so wur­de ich von der Mes­se, vom Ge­bet, von der Ar­beit ent­bun­den; ich ging früh­zei­tig schla­fen und stand spät auf. Die Klos­ter­re­gel exis­tier­te nicht für mich.

In­des­sen kam die Zeit her­an, die ich manch­mal durch mei­ne Wün­sche zu be­schleu­ni­gen ver­such­te. Nun wur­de ich träu­me­risch und fühl­te, wie mein Wi­der­wil­le aufs neue er­wach­te, und so­gar stär­ker und stär­ker wur­de. Ich be­kann­te das der Obe­rin oder der No­vi­zen­mut­ter. Die­se Frau­en rä­chen sich bit­ter für die Lan­ge­wei­le, die wir ih­nen be­rei­ten, denn man darf nicht glau­ben, daß die heuch­le­ri­sche Rol­le, die sie spie­len und die Dumm­hei­ten, die sie uns er­zäh­len müs­sen, ih­nen Spaß ma­chen. Das wird ih­nen schließ­lich sehr zu­wi­der; doch sie ent­schlie­ßen sich dazu, und zwar für tau­send Ta­ler, die ih­rem Hau­se zu­fal­len. Das ist der wich­ti­ge Ge­gen­stand, für den sie ihr Le­ben lang lü­gen, und un­schul­di­gen jun­gen See­len, vier­zig bis fünf­zig Jah­re lang oder gar ewig ein un­glück­li­ches Le­ben be­rei­ten; denn si­cher­lich sind von hun­dert Non­nen, die vor dem fünf­zigs­ten Jah­re ster­ben, ge­ra­de fünf­und­sieb­zig ver­dammt, ganz ab­ge­se­hen von de­nen, die vor­her wahn­sin­nig, blöd­sin­nig oder ra­send wer­den.

Ei­nes Ta­ges ge­sch­ah es, daß eine der letz­te­ren aus der Zel­le, in der man sie ge­fan­gen hielt, ent­wich. Ich sah sie, und nie­mals war mir et­was Schreck­li­che­res zu Ge­sicht ge­kom­men. Mit wir­ren Haa­ren und fast un­be­klei­det, schlepp­te sie ei­ser­ne Ket­ten nach sich; die Au­gen irr­ten wild um­her, sie rauf­te sich die Haa­re, schlug sich mit den Fäus­ten auf die Brust und lief heu­lend her­um; dann such­te sie sich un­ter den schreck­lichs­ten Ver­wün­schun­gen aus dem Fens­ter zu stür­zen. Das Ent­set­zen pack­te mich, ich zit­ter­te an al­len Glie­dern, und da ich mein Schick­sal in dem der Un­glück­li­chen er­kann­te, so be­schloß ich in mei­nem Her­zen, lie­ber tau­send­mal zu ster­ben, als mich ei­ner sol­chen Ge­fahr aus­zu­set­zen. Man ahn­te, wel­che Wir­kung die­ses Er­eig­nis auf mei­nen Geist aus­üben könn­te und glaub­te, dem zu­vor­kom­men zu müs­sen. Man er­zähl­te mir von die­ser Non­ne lä­cher­li­che, wi­der­spruchs­vol­le Lü­gen; sie wäre be­reits geis­tes­ge­stört ge­we­sen, als man sie auf­ge­nom­men hät­te; sie hät­te in ei­ner kri­ti­schen Zeit einen Schreck er­lit­ten, wäre Vi­sio­nen un­ter­wor­fen und glaub­te, mit den En­geln in Ver­kehr zu ste­hen. Sie hät­te schänd­li­che Bü­cher ge­le­sen, die ihr den Geist zer­rüt­tet, und sehe jetzt nur noch Dä­mo­nen, die Höl­le und Flam­menschlün­de vor sich. Das al­les mach­te auf mich nicht den ge­rings­ten Ein­druck, denn je­den Au­gen­blick kam mir die wahn­sin­ni­ge Non­ne in den Sinn, und ich schwor mir von neu­em zu, kei­ner­lei Ge­lüb­de ab­zu­le­gen.

Den­noch war der Au­gen­blick ge­kom­men, in dem es sich dar­um han­del­te, zu zei­gen, ob ich mir selbst Wort zu hal­ten ver­stand. Ei­nes Mor­gens nach der Mes­se trat die Obe­rin in mein Zim­mer; sie hielt einen Brief in der Hand, und ihr Ge­sicht drück­te Nie­der­ge­schla­gen­heit und Trau­rig­keit aus. Die Arme san­ken ihr her­nie­der, und ihre Hand schi­en nicht die Kraft zu ha­ben, den Brief zu hal­ten. Ängst­lich sah sie mich an, Trä­nen stan­den in ih­ren Au­gen, sie schwieg, und ich tat das­sel­be. End­lich frag­te sie mich, wie ich mich be­fän­de, die Mes­se hät­te heu­te recht lang ge­dau­ert, ich hät­te ein we­nig ge­hus­tet und schie­ne un­päß­lich zu sein.

»Nein, teu­re Mut­ter«, ant­wor­te­te ich dar­auf.

Sie hielt noch im­mer den Brief in der Hand; dann leg­te sie ihn auf die Kniee, und ihre Hand ver­deck­te ihn zum Teil; end­lich, nach­dem sie noch meh­re­re Fra­gen über mei­nen Va­ter und mei­ne Mut­ter an mich ge­rich­tet, sag­te sie zu mir:

»Hier ist ein Brief.«

Bei die­sen Wor­ten fühl­te ich, wie mir das Herz klopf­te, und ich füg­te mit zit­tern­den Lip­pen hin­zu:

»Ist er von mei­ner Mut­ter?«

»Sie ha­ben es er­ra­ten; da, le­sen Sie!«

Ich faß­te mich ein we­nig, las den Brief, und zwar zu­erst mit ziem­li­cher Fes­tig­keit, doch je wei­ter ich kam, de­sto lau­ter reg­ten sich ver­schie­de­ne Lei­den­schaf­ten in mir, wie Zorn, Schreck, Ent­rüs­tung, Är­ger. Stel­len­wei­se konn­te ich das Pa­pier kaum hal­ten, oder ich hielt es, als hät­te ich es zer­rei­ßen mö­gen, aber ich drück­te es hef­tig, als fühl­te ich mich ver­sucht, es zu zer­knit­tern und weit von mir zu wer­fen.

»Nun, mein Kind, was wol­len wir dar­auf ant­wor­ten?«

»Aber, Ma­da­me, Sie wis­sen es doch!«

»Nein, ich weiß nichts. Die Zei­ten sind schlimm, Ihre Fa­mi­lie hat Ver­lus­te er­lit­ten, die Ver­mö­gens­ver­hält­nis­se Ih­rer Schwes­tern sind zer­rüt­tet; sie ha­ben bei­de vie­le Kin­der, man hat sich er­schöpft, als man sie ver­hei­ra­te­te und rui­niert sich, sie zu un­ter­stüt­zen. Es ist un­mög­lich, Ih­nen eine si­che­re Le­bens­stel­lung zu be­rei­ten; Sie ha­ben das Or­denskleid an­ge­legt; man hat sich da­mit in Un­kos­ten ge­stürzt; durch die­sen Schritt ha­ben Sie Hoff­nun­gen er­weckt, und das Gerücht der be­vor­ste­hen­den Ab­le­gung Ihres Ge­lüb­des hat sich in der Ge­sell­schaft ver­brei­tet. Rech­nen Sie üb­ri­gens stets auf mei­nen Bei­stand. Ich habe nie­mals je­man­den zum Ein­tritt in den Or­den ver­lockt; das ist ein Stand, zu dem Gott uns be­ruft, und es ist sehr ge­fähr­lich, die mensch­li­che Stim­me mit der sei­nen zu ver­mi­schen. Ich will nicht ver­su­chen, zu Ihrem Her­zen zu spre­chen, wenn die Gna­de es Ih­nen nicht sagt; bis heu­te habe ich mir noch nicht das Un­glück ei­nes an­dern vor­zu­wer­fen, und soll ich da­mit bei Ih­nen, mein Kind, die Sie mir so teu­er sind, den An­fang ma­chen? Ich habe nicht ver­ges­sen, daß Sie die ers­ten Schrit­te nur auf mein Zu­re­den ge­tan ha­ben, und wer­de nicht dul­den, daß man Miß­brauch mit Ih­nen trei­be, um Sie ge­gen Ihren Wil­len zu et­was zu ver­pflich­ten. Ver­stän­di­gen wir uns also; Sie ha­ben kei­ne Nei­gung für den geist­li­chen Stand?«

»Nein, Ma­da­me!«

»Sie wer­den Ihren El­tern nicht ge­hor­chen?«

»Nein, Ma­da­me!«

»Was wol­len Sie dann wer­den?«

»Al­les, nur nicht Non­ne; ich will und wer­de es nicht!«

»Nun gut. Sie sol­len es ja auch nicht wer­den. Doch ei­ni­gen wir uns we­gen ei­ner Ant­wort an Ihre Mut­ter.«

Wir ei­nig­ten uns über ei­ni­ge Ge­dan­ken. Sie schrieb einen Brief, der mir recht gut schi­en. In­des­sen sand­te man mir den Beicht­va­ter des Hau­ses; man schick­te mir auch den Dok­tor, der mir bei mei­ner Ein­klei­dung ge­pre­digt hat­te; ich sah den Bi­schof von Alep­po und muß­te mit from­men Frau­en, die sich in mei­ne An­ge­le­gen­hei­ten misch­ten, ohne daß ich sie kann­te, Lan­zen bre­chen; es fan­den be­stän­di­ge Kon­fe­ren­zen mit Mön­chen und Pries­tern statt; mein Va­ter kam; mei­ne Schwes­tern schrie­ben mir; zu­letzt er­schi­en mei­ne Mut­ter, doch ich wi­der­stand al­len. In­des­sen wur­de der Tag mei­ner Ein­klei­dung be­stimmt, man ließ nichts un­ver­sucht, mei­ne Ein­wil­li­gung zu er­lan­gen; doch als man sah, daß es un­nütz war, faß­te man den Ent­schluß, ohne mei­ne Zu­stim­mung zum Zie­le zu ge­lan­gen.

Kapitel 2

Von die­sem Au­gen­blick an war ich in mei­ne Zel­le ein­ge­schlos­sen; man ge­bot mir Schwei­gen, ich wur­de von al­ler Welt ge­trennt, mir selbst über­las­sen, und ich sah klar, daß man ent­schlos­sen war, ohne mei­ne Ein­wil­li­gung über mich zu ver­fü­gen. Ich woll­te mich zu nichts ver­pflich­ten; das war mein fes­ter Wil­le, und alle wah­ren und falschen Schre­cken, in die man mich un­auf­hör­lich stürz­te, er­schüt­ter­ten mich nicht. Ich be­kam nie­mand mehr zu se­hen, we­der die Obe­rin, noch die No­vi­zen­mut­ter, noch mei­ne Ge­fähr­tin­nen. Des­halb ließ ich die ers­te­re be­nach­rich­ti­gen und tat, als beu­ge ich mich dem Wil­len mei­ner El­tern; doch mein Plan war, die­ser Ver­fol­gung ein Ende zu ma­chen und öf­fent­lich ge­gen die Ge­walt­tat, die man mit mir im Sin­ne hat­te, zu pro­tes­tie­ren. Ich sag­te also, man kön­ne über mein Schick­sal be­stim­men, und dar­über ver­fü­gen, wie man wol­le. Jetzt herrsch­te Freu­de im gan­zen Hau­se, und mit den Zärt­lich­kei­ten kehr­ten auch die Schmei­che­lei­en und die Ver­füh­rungs­küns­te wie­der. Gott hat­te zu mei­nem Her­zen ge­spro­chen, nie­mand war für den Zu­stand der Voll­kom­men­heit bes­ser ge­schaf­fen, als ich. Es war un­mög­lich, daß es hät­te an­ders sein kön­nen; man hat­te das stets er­war­tet. Man er­füll­te sei­ne Pf­lich­ten nicht mit sol­chem Ei­fer und sol­cher Aus­dau­er, wenn man sich nicht dazu wahr­haft be­ru­fen fühlt. Die No­vi­zen­mut­ter hat­te nie bei ei­nem ih­rer Zög­lin­ge eine bes­ser zu Tage tre­ten­de Be­ru­fung be­merkt; sie war über die Lau­ne, die ich ge­habt, ganz über­rascht ge­we­sen, hat­te aber stets zu un­se­rer Obe­rin ge­sagt, man müs­se nur zu war­ten wis­sen, es wür­de vor­über­ge­hen; die bes­ten Non­nen hät­ten sol­che Mo­men­te ge­habt, das wä­ren Ein­flüs­te­run­gen des bö­sen Geis­tes, der sei­ne Be­mü­hun­gen ver­dop­pel­te, wenn er sieht, daß ihm sei­ne Beu­te ver­lo­ren geht; ich war im Be­griff, ihm zu ent­wi­schen, und es wür­de von nun an für mich nur noch Ro­sen ge­ben; die Pf­lich­ten des re­li­gi­ösen Le­bens wür­den mir um so er­träg­li­cher er­schei­nen, als ich sie mir stark über­trie­ben vor­ge­stellt hat­te, und die­se plötz­li­che Er­schwe­rung des Jo­ches wäre eine Gna­de des Him­mels, der sich die­ses Mit­tels be­dient, um es zu er­leich­tern.

Ich be­nahm mich sehr vor­sich­tig und glaub­te, für mich bür­gen zu kön­nen. Ich sah mei­nen Va­ter; er sprach in küh­lem Tone mit mir; ich sah mei­ne Mut­ter, sie um­arm­te mich, ich er­hielt Glück­wunsch­schrei­ben von mei­nen Schwes­tern und vie­len an­dern. Ich er­fuhr, daß ein Herr Sor­nin, Vi­kar von Saint-Roch, die Pre­digt hal­ten und daß Herr Thierrn, Kanz­ler der Uni­ver­si­tät, mein Ge­lüb­de ent­ge­gen­neh­men wür­de. Al­les ging gut, bis zum Vora­bend des großen Ta­ges, bis aus den Punkt, daß ich er­fah­ren hat­te, die Ce­re­mo­nie wür­de heim­lich statt­fin­den, es wür­den der­sel­ben sehr we­nig Leu­te bei­woh­nen, und die Kir­chen­tür wür­de nur den Ver­wand­ten ge­öff­net wer­den. Des­halb ließ ich durch die Pfört­ne­rin alle Per­so­nen aus der Nach­bar­schaft, alle mei­ne Freun­de und Freun­din­nen ein­la­den; auch be­kam ich die Er­laub­nis, ei­ni­gen mei­ner Be­kann­ten zu schrei­ben. Alle die­se Leu­te, die man nicht er­war­tet hat­te, er­schie­nen; man muß­te sie ein­tre­ten las­sen, und die Ver­samm­lung war un­ge­fähr so groß, wie ich sie zu mei­nem Pla­ne brauch­te.

Man hat­te schon am vo­ri­gen Abend al­les vor­be­rei­tet, die Glo­cken wur­den ge­läu­tet, um al­ler Welt zu ver­kün­den, daß ein ar­mes Mäd­chen un­glück­lich ge­macht wer­den soll­te.

Mir schlug das Herz hef­tig. Man schmück­te mich, denn an die­sem Tage wird sorg­fäl­tig Toi­let­te ge­macht, und wenn ich mir jetzt alle die­se Ce­re­mo­ni­en wie­der vor­stel­le, so glau­be ich, die Sa­che hat et­was Rüh­ren­des und Fei­er­li­ches für ein un­schul­di­ges jun­ges Mäd­chen, das ihre Nei­gung nicht an­ders­wo­hin zieht. Man führ­te mich in die Kir­che; die hei­li­ge Mes­se wur­de ce­le­briert, der gute Vi­kar, der eine Ent­sa­gung bei mir vor­aus­setz­te, die ich nicht be­saß, hielt eine Rede, in der auch nicht ein Wort ent­hal­ten war, das nicht mit mei­nen Ge­füh­len im Wi­der­spruch ge­stan­den hät­te. End­lich rück­te der schreck­li­che Au­gen­blick her­an; als ich in den Raum tre­ten soll­te, wo ich das Ge­lüb­de aus­spre­chen muß­te, fühl­te ich, wie mir die Bei­ne den Dienst ver­sag­ten; zwei mei­ner Ge­fähr­tin­nen nah­men mich un­ter den Arm; mein Kopf sank auf die Schul­ter der einen, und ich schlepp­te mich müh­sam wei­ter. Ich weiß nicht, was in der See­le der An­we­sen­den vor­ging, doch sie sa­hen ein jun­ges ster­ben­des Op­fer, das man zum Al­tar trug, und von al­len Sei­ten hör­te ich Seuf­zer und Schluch­zen; nur von mei­nem Va­ter und mei­ner Mut­ter hör­te ich nichts.

Alle wa­ren auf­ge­stan­den, meh­re­re jun­ge Mäd­chen wa­ren auf Stüh­le ge­stie­gen und hiel­ten sich an den Git­ter­stä­ben fest. Es trat eine tie­fe Pau­se ein, dann sag­te der Pries­ter, der bei mei­ner Ein­klei­dung den Vor­sitz führ­te:

»Ma­rie Su­san­ne Si­mo­nin, ge­lo­ben Sie Gott Keusch­heit, Ar­mut und Ge­hor­sam?« Mit fes­ter Stim­me er­wi­der­te ich ihm:

»Nein, mein Herr, nein.«

Er hielt inne und sag­te:

»Mein Kind, fas­sen Sie sich, und hö­ren Sie mich an!«