7,99 €
Die Oresteia (Orestie) ist eine Trilogie griechischer Tragödien, die Aischylos im 5. Jahrhundert v. Chr. schrieb und die den Mord an Agamemnon durch Klytaimnestra , die Ermordung der Klytaimnestra durch Orestes, den Prozess gegen Orestes, das Ende des Fluchs über das Haus des Atreus und die Befriedung der Furien (auch Erinyen oder Eumeniden genannt) beinhaltet. Die Trilogie besteht aus den drei Stücken "Agamemnon", "Die Choephoren" und "Die Eumeniden." Sie zeigt auf, wie die griechischen Götter mit den Figuren interagierten und deren Entscheidungen in Bezug auf Ereignisse und Streitigkeiten beeinflussten. Zu den Hauptthemen gehört auch der Gegensatz zwischen Rache und Gerechtigkeit sowie der Übergang von der persönlichen Blutrache zu organisierten Rechtsstreitigkeiten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 167
Die Oresteia
Deutsche Neuübersetzung
AISCHYLOS
Die Oresteia, Aischylos
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
Diese neue Prosa-Übersetzung basiert auf der englischen Übersetzung meines Freundes George Theodoridis, die im Original zu finden ist unter https://bacchicstage.wordpress.com/euripides/medea/, und die er mir für dieses Werk zur Verfügung gestellt hat. George, tausend Dank dafür, und möge Zeus dir ewig gewogen sein. Der deutsche Text steht unter der Creative Commons Lizenz Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0). Was unter dieser Lizenz erlaubt und keineswegs gestattet ist, erfahren Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/.
ISBN: 9783988680334
www.jazzybee-verlag.de
Agamemnon. 1
Dramatis Personae:1
Die Choephoren. 53
Dramatis Personae. 53
Die Eumeniden. 86
Dramatis Personae. 86
Klytaimnestra
Agamemnon
Aigisthos
Kassandra
Diener
Herold
Amme
Chor der Ältesten von Argos
Verschiedene Soldaten als Begleiter von Agamemnon und Aigisthos
Es ist Nacht.
Wir sehen zwar niemanden auf der Bühne, hören aber irgendwo in der Tiefe der Dunkelheit die einsame Stimme eines Mannes, der nervös vor sich hin summt –– eine unbeholfene, zaghafte Melodie, voller Angst und düsteren Vorahnungen. Das Summen wird hin und wieder unterbrochen von ängstlichem, gut hörbaren Erschaudern. Der Mann summt, um wach zu bleiben, aber auch, um unerwünschte Tiere oder Geister fernzuhalten.
Man hört auch Geräusche einer friedvollen Nacht, wie Eulen, Nachtigallen, usw.
Plötzlich das unheimliche Heulen eines Wolfes.
Die Nacht schreitet langsam voran, und als die Dämmerung naht, sehen wir den Mann schließlich deutlich. Er befindet sich auf dem Dach des königlichen Palastes.
Es ist der Wächter und er liegt auf einer Strohmatratze.
Er spricht zu uns, steht aber die meiste Zeit mit dem Rücken zum Publikum.
Unter ihm befindet sich das Haupttor des Palastes und davor stehen drei kleine, mit Efeu bewachsene Altäre. Wenn er nicht spricht, starrt er angestrengt in die Dunkelheit.
Zunächst stützt er sich auf seine Ellbogen, doch als er dessen überdrüssig wird, wechselt er vorsichtig und leise die Position, um den schlafenden Palast nicht zu wecken. Zwischendurch gibt er Laute des Schmerzes und des Unbehagens von sich und reibt und kratzt sich an den Beinen, am Hintern, an den Ellbogen, am Hals usw.
An den Mauern des Palastes hängen zu beiden Seiten des Tores zwei kreuzweise zusammengebundene Doppeläxte.
Auf einem der Altäre vor dem Palast ist auf der dem Publikum zugewandten Seite das Wort "ΑΠΟΛΛΩΝ" (APOLLO) eingraviert.
Wenn der Wächter spricht, offenbart er lustvoll seine Liebe und Treue zu Agamemnon und seine völlige Verachtung für Klytaimnestra.
Wächter: (Dreht sich um, um zum Publikum zu sprechen. Schüttelt verzweifelt den Kopf. Dann deutet er auf den Himmel) Seit einem ganzen Jahr bitte ich die Götter, mich von dieser Qual hier zu befreien –– oh ja, es ist ein ganzes Jahr her, dass man mich hier hinauf aufs Dach des Königspalastes von Atreus' Volk gebracht hat –– flach auf meinen vier Pfoten, wie ein Hund, der in die Ferne starrt. Ich beobachte die weite Ferne. (Gafft tief in die Ferne)
Eines kann ich euch mit Sicherheit sagen: Ich kenne nun alle Sternbilder in und auswendig. Jedes einzelne von ihnen! All diese Meisterstücke am Himmel, die alles erhellen und von oben auf uns herabfunkeln, ebenso wie all die kleineren Sterne, die uns Sterblichen durch ihren Auf- und Untergang unsere Sommer und Winter bescheren. Aber nun halte ich Ausschau nach einer Botschaft. Ein Zeichen, das mir ein Feuer geben soll, und zwar das Licht einer Fackel, ein Licht, das den sicheren Untergang Trojas ankündigen wird. (Deutet ins Innere des Palastes)
So sind die Befehle einer starken Frau, einer Frau, deren Herz wie das Herz eines Mannes ist, ein Herz, das voller männlicher Hoffnungen ist. (Er fängt wieder an, nervös vor sich hin zu summen, steht dann auf und bewegt sich auf seiner eng begrenzten Fläche hin und her)
Und wenn dieses unwürdige, vom Morgentau durchnässte Bett, wenn dieses Bett mich zurückweist und mir mein Schlafbedürfnis nicht erfüllt, wenn es das tut, dann versuche ich meist, mir mit ein wenig Gesang Linderung zu verschaffen; aber jedes Mal, wenn ich das tue, schmecke ich einen schalen Geschmack in meinen Mund, der nun erfüllt ist mit Klageliedern, Liedern über die Leiden dieses Palastes, eines Palastes, in dem nicht mehr so tugendhaft regiert wird wie früher. (Er schaut verächtlich auf das Bett und tritt es mit Füßen. Dann blickt er zum Publikum und bemerkt daher nicht das Licht einer Fackel, das sich hinter ihm über die Bühne bewegt)
Dieses Bett! Es versteht meine Träume nicht, dieses Bett. Und wie sollte es auch? Die Angst ist mein ständiger Begleiter, und sie, nun ja, die Angst lässt kaum Schlaf zu oder mich meine Augenlider fest genug schließen, damit sich Träume in meinen Schädel verirren können. (Das Licht der Fackel ist nun so gewaltig, dass es die ganze Bühne erhellt, woraufhin er sich erschrocken umdreht und vor Aufregung fast vom Dach fällt)
Aha! Endlich! Ihr Ende ist gekommen! Da ist das Zeichen! Das ist die Fackel der Nacht, auf die ich gewartet habe, das Ende meiner Pein. Willkommen, willkommen Fackel der Nacht! Dein Licht leuchtet wie ein himmlischer, wie ein glorreicher Tag! Du lässt die Menschen von Argos Glücksorgien feiern! (Ruft fröhlich in den Palast)
He! –– He! Könnt ihr mich hören da drinnen? (Springt vom Dach herunter)
He! –– He! Ihr da drinnen! (Klopft vehement an das Tor)
Ich werde schreien, so laut ich kann, damit Agamemnons Frau endlich erwacht. Sie wird aus dem Bett springen und der ganze Palast wird vor Lachen erbeben –– sie wird dieser Fackel danken –– falls diese wirklich den Fall Trojas verkündet! Und dann werde ich der Erste sein, der in die Freudengesänge einstimmt. Das Glück meiner Herren ist auch das meinige. Für mich ist diese Fackel wie ein Sechser beim Würfelspiel. (Klopft erneut heftig gegen das Tor)
Oh, ich wünschte, ich könnte die Hand meines Herrn Agamemnon schütteln! Sie lange festhalten –– wenn er zurückkehrt! Und zu allem anderen ––sage ich nichts! (Versucht vergeblich den Mund zu öffnen)
Seht ihr? Meine Lippen sind fest verschlossen –– aber dieser Palast hier, oh ja, dieser Palast würde vieles preisgeben, wenn er nur sprechen könnte! (Zwinkert vielsagend)
Wer unter euch Bescheid weiß, versteht meine Worte. Die anderen –– nun, sie verstehen sie eben nicht! (Der Wächter klopft erneut an das Tor. Diesmal öffnet eine Dienerin das Tor und fordert ihn mit einer Geste auf, still zu sein. Er flüstert ihr die gute Nachricht zu, beide gehen ab, und die Dienerin schließt das Tor hinter sich. Eine kurze Pause völliger Stille, bevor sie von Klytaimnestras freudigen Rufen aus dem Inneren durchbrochen wird)
Morgendämmerung
(Auftritt des Chors. Es sind alles alte und gebrechliche Männer, viele mit Hirtenstäben und Stöcken, einer mag sogar blind sein, was den Eindruck erweckt, dass der einst große Staat schwach und unfähig geworden ist, seit die Jugend von Argos vor über zehn Jahren verschwunden ist)
Chor: Zehn lange Jahre ist es her, dass Priamos' Feinde, die Zwillingskönige Menelaos und Agamemnon, Söhne des Atreus, die beide von Zeus mit Thronen und Zeptern beschenkt wurden, mit einer Flotte von tausend Kriegsschiffen aus diesem Land aufbrachen –– ihre zornigen Kriegsschreie entsprangen direkt ihren Herzen, wie die Rufe unglückseliger Adler, denen man die Küken aus dem Horst geraubt hatte –– seht nur dort! Über ihnen schweben erneut die Adler, und ihre Flügel wirbeln die Luft auf wie die Schiffsruder das Meer; verzweifelt suchen sie nach ihren Küken, die die warme Sicherheit ihres Nestes verloren haben –– aber vielleicht wird irgendein höheres Wesen, Apollo, Zeus oder Pan vielleicht, die sich mit den Adlern die Lüfte teilen, ihre kläglichen und bitteren Schreie hören und, wenn die Zeit dafür kommt, ihren Feinden Gerechtigkeit widerfahren lassen –– und deshalb schickte Zeus, der Beschützer der Fremden, die Söhne des Atreus gegen jenen trojanischen Paris! Er befahl ihnen, für Gerechtigkeit zu sorgen, und sie führten viele tödliche Schlachten; alles um einer Frau willen –– einer Frau, der viele Männer verfallen waren –– dort in Troja mussten viele ihre Knie in den Staub beugen und viele Speere zerbrachen schon bei den ersten Kämpfen, und das Schlachtglück war gleichmäßig zwischen den Trojanern und den Griechen verteilt –– nun, so viel dazu. Was von nun an geschehen soll, wird geschehen. Niemand kann den unerbittlichen Zorn eines Gottes mit verbrannten oder unverbrannten Opfern besänftigen –– oder mit Tränen! –– aber wir, wir Alten und Schwachen, wir wurden hier zurückgelassen, mussten der großen Abenteuerfahrt fernbleiben, ehrlos und kraftlos wie ein kleines Kind und auf die Unterstützung eines Gehstocks angewiesen –– ach, das Alter! Den Jungen birst das Herz vor Mut, während die Alten wie die welken Blätter wittern ––- und wo ist der kampflustige Gott Ares? –– wir Alten gehen auf drei Füßen durch die Straßen. Nicht wie die Jungen, noch wären wir annähernd so stark. Wir Alten? Wir irren umher wie in einem Tagtraum. (Auftritt Klytaimnestra mit ihren Dienern, die Efeugirlanden, Wasser und Weihrauch mit sich führen, den sie anzünden und auf jeden der Altäre legen. Klytaimnestra schneidet sich eine kleine Locke ihres Haares ab und legt jeweils ein Stück auf jeden Altar)
Tochter des Tyndareas! –– Klytaimnestra, welche Neuigkeiten bringst du? –– was hast du erfahren? –– was ist passiert? Warum hast du es so eilig mit den Opfern? –– warum brennen auf allen Altären der Stadt Opferfeuer? –– jeder Altar eines jeden Gottes –– der mächtigen und der niederen Götter und aller Götter dazwischen –– alle Altäre der Stadt sind vom Licht dieser Feuer erleuchtet –– ein Feuer hier, ein anderes dort, die Flammen züngeln hoch, genährt von den Aromen des Heiligen, den reinen Ölen aus den Kellern deines eigenen Palastes, Klytaimnestra! –– sag uns, was du weißt –– was die Götter dir erlauben, uns zu sagen –– und besänftige diesen schrecklichen Aufruhr, der in unserer Seele tobt –– einen Moment lang fühlen wir Trauer, doch dann scheint das sanfte Licht dieser Altäre und vertreibt mit neuer Hoffnung das Elend unserer Seelen –– uns ist, als müssten wir über das göttliche Zeichen singen, das unsere beiden Generäle auf ihrem Weg zum Sieg antrieb. Unser Alter und die Götter verleihen uns die Fähigkeit, über den Kriegsvogel zu singen, der die beiden jungen griechischen Könige, zwei Anführer, zu den Gefilden Trojas schickte –– beide vereint im Geiste, mit tödlichem Eisen in der Hand und angetrieben von der Kraft der Rache –– dort, als Speerspitze vor den trojanischen Palästen, erschienen zwei Vögel –– die Könige der Vögel –– vor den Königen der Schiffe und der Menschen –– der eine Vogel weiß, der andere schwarz –– in diesem Augenblick sahen die beiden Männer hoch oben auf einem Felsen einen trächtigen Hasen laufen –– und die Adler stürzten herab und machten die Flucht des Hasen zu seiner letzten, und rissen ihn auf der Stelle mit ihren tödlichen Krallen in blutige Stücke und verschlangen diese –– als der weise Prophet des Heeres, Calchas, die beiden Mörder des Hasen sah, erkannte er, dass es sich bei den Adlern um die beiden Söhne des Atreus, Menelaos und Agamemnon, handelte, die beide den Kampf liebten und die Anführer des Feldzuges waren –– und so erklärte er seine Vision:
"In vielen Jahren", sagte Calchas, "wird dieses Heer hier Priamos' Troja einnehmen und mit gewaltiger Kraft den grenzenlosen Reichtum in seinen Palästen rauben. Hoffen wir, dass kein göttlicher Zorn diese Streitmacht, diese mächtige Bedrohung der Stadtmauer, zerschmettert, bevor es sein Ziel erreicht, denn die jungfräuliche Göttin Artemis, die wir alle verehren, hegt einen mächtigen Hass auf die fliegenden Jäger ihres Vaters, jene Adler, die das arme, verängstigte Tier und alle seine ungeborenen Jungen abschlachteten. Artemis! Die herrliche Göttin, die so zärtlich alle säugenden Jungen der furchterregenden Löwen liebt! Artemis, die sich so unbändig freut, die Jungen aller wilden Tiere frei in den Tälern umherstreifen zu sehen!" –– und dann bat der Priester Zeus: "Lass ihren Zorn gegen die Adler gesühnt werden. Lass das Opfer der Iphigenie voll und ganz gesühnt werden. Doch ich bitte Artemis' Bruder, den Heiler Apollo, einzugreifen und nicht zuzulassen, dass seine Schwester Stürme gegen die griechische Flotte schickt und sie noch länger an Land hält, nur um weitere Opfer zu verursachen, unheilig, ohne jeden Nutzen, die Ursache vieler schrecklicher Familienfehden, die noch entstehen sollen. Fehden, bei denen der König des Palastes nicht anwesend ist, geraten schnell außer Kontrolle. Sie lauern lange Zeit in den Hallen, bis sie eines Tages entbrennen und Rache für das Opfer einer Tochter fordern. Und diese Tochter wird Iphigenie sein."
Solch gute, aber auch schreckliche Dinge weissagte Calchas, der Priester, über die beiden Paläste; Dinge, die er im Flug der beiden Raubvögel gesehen hatte, und deshalb –– (An Zeus gewandt)
Zeus! Wer auch immer du bist! Wenn dies der Name ist, den du am meisten liebst, dann werden wir dich damit anreden! Wir flehen dich an! Nimm diese Last der Unwissenheit von unseren Seelen. Wir haben alles auf die Waage gelegt und du allein kannst uns noch helfen –– Uranos, der einst mächtig war –– gewaltig an Kraft und arrogant auf Schritt und Tritt –– , ist längst fort und kann nicht mehr angerufen werden. Und Kronos, der ihm nachfolgte, fand einen dreifach überlegenen Gegner, der ihn vertrieb. Aber Zeus! Wer ruft: "Zeus ist siegreich!", wird Weisheit in Fülle erlangen. Zeus war es, der den Menschen ihr Wissen gab, und Zeus, der die Regel aufstellte: "Leid ist Weisheit." Noch während wir schlafen, tropft in unsere Herzen langsam die schmerzhafte Erinnerung, und selbst für diejenigen, die dagegen ankämpfen, wird dieses Leid zur Weisheit. Denn die Götter, die majestätisch auf ihren Thronen sitzen, zwängen uns dieses Geschenk der Weisheit förmlich auf. –– Agamemnon, der Anführer der griechischen Flotte, der ältere der beiden Brüder, beachtete keinen Propheten und kämpfte mit seinem festen Willen gegen die schicksalhaften Winde. Dort, an den Ufern von Chalkis, wo die Gezeiten toben, litten die Griechen unter Hunger und den verfluchten Winden. Und während die Stürme vom großen Fluss Strymon unaufhörlich herüberwehten, wurden die Menschen unruhig und träge, verzagten ob ihrer Qual und litten elenden Hunger. Die Häfen blieben geschlossen, Schiffe und Ruder verrotteten, der untätige Aufenthalt dort wurde zu einer endlosen Zeit und die Blume Griechenlands verdorrte zusehends –– und dann sprach der Prophet zu den Griechen über den bevorstehenden bitteren Winter und erzählte ihnen von den Plänen der Artemis. Da stießen die beiden Brüder wütend ihre Zepter in die Erde und ließen ihre Tränen fließen. Und der große Agamemnon, Anführer der Griechen, rief: "Mir droht eine schwere Strafe, wenn ich nicht gehorche, und eine noch schwerere, wenn ich mein eigenes Kind töte! Mein Kind! Das Juwel meines Palastes! Außerdem werde ich den Altar mit dem Blut einer Jungfrau besudeln, das von ihrem eigenen Vater dort vergossen wurde. Wäre dies nicht eine abscheuliche Tat? Aber soll ich meine Flotte aufgeben? Soll ich unsere Verbündeten im Stich lassen? Es ist ihr Recht. Es ist ihr Recht, mir selbst das schrecklichste Opfer abzuverlangen, um diese Stürme zu besänftigen! Gewiss gehört dazu auch das Blut einer Jungfrau. Möge dies alles ein gutes Ende nehmen", sagte Agamemnon, der Anführer der Griechen –– doch dann, als er spürte, wie sich das Joch des Schicksals immer schneller um seinen Hals zusammenzog, gelangten einige aufrührerische Gedanken in seine Seele und wirbelten diese durcheinander. Unheilige Gedanken, Gedanken, die kein Gott je billigen würde! Und in diesem Moment, in einem einzigen Augenblick, änderte der König seine Meinung und verwarf alles Heilige und alles Himmlische und ließ den ungebändigten Hochmut sein Herz in Besitz nehmen –– "Nein! Nein", rief er. "Artemis soll gehorcht werden!" Ein Mensch, der bei klarem Verstand ist, tut, was richtig ist, während ein verwirrter Mensch, wenn auch nur für einen Moment, für einen kurzen Augenblick –– nun, sein Verstand rechtfertigt jede Dreistigkeit, um die schrecklichsten Taten zu vollbringen! Und so verhärtete sich Agamemnons Herz und er forderte das Opfer seiner Tochter, damit seine Flotte in See stechen und er im Krieg siegreich sein konnte! Ein Krieg, erklärt, um die Ehre einer Frau zu rächen. Und die Befehlshaber, deren Herz nach Krieg gierte, ließen sich weder von den Schreien und dem Flehen des armen Mädchens noch von ihrem jungen, jungfräulichen Leben beeindrucken. Nach dem Opfergebet befahl Agamemnon seinen Sklaven, seine junge Tochter Iphigenie mit dem Gesicht nach unten auf den Altar zu legen wie eine säugende Ziege, den Mund fest verschlossen, damit sie sein Haus nicht mit einem Fluch belegen konnte –– mit dem Gesicht nach unten, damit das Blut über den Stein fließen konnte –– Iphigenie ließ ihr safrangelbes Gewand zu Boden fallen und bedachte ihre Peiniger mit mitleidvollen Blicken, die wie Pfeile trafen –– sie war wie ein Gemälde, das etwas ausdrücken möchte. Das Mädchen wurde oft gebeten, mit ihrer reinen, süßen, keuschen Stimme das Gebet zum dritten Trankopfer zu singen, die letzte Hymne des Festmahls in den Hallen ihres Vaters, wenn er dort Fremde bewirtete. Ein Gebet, das sie mit viel Liebe sang –– ich kann weder bezeugen noch darüber erzählen, was nach diesem Opfer geschah. Calchas' Prophezeiungen haben noch nie getragen. So ist der Weg der Gerechtigkeit –– sie bürdet uns ihre Waage auf, damit wir durch Leiden lernen. Wir erkennen die Zukunft erst dann, wenn sie schon da ist –– warum greinen, bevor sie eintrifft? Wenn sie da ist, wird sie sich uns offenbaren wie die hellen Strahlen der Morgensonne –– möge all dies zu einem guten Ende kommen –– so wie Klytaimnestra es wünscht!
(Auftritt Klytaimnestra)
Chor: Da ist sie endlich! –– Klytaimnestra, wir neigen uns vor deiner königlichen Autorität. Es ist nur recht und billig, dass wir die Frau des Königs ehren, wenn kein Mann mehr auf dem Thron sitzt –– wir harren gerne deiner Worte, ob sie nun gute Nachrichten enthalten oder ob du dafür Opfer bringen musstest. Aber auch, wenn du dich entscheidest zu schweigen, werden wir dir das nicht verübeln.
Klytaimnestra: (Überschwänglich) Möge die Morgendämmerung, wenn sie den Armen ihrer Mutter, der Nacht, entflieht, uns freudige Nachrichten bringen, wie das Sprichwort sagt. Und es sind wahrlich höchst hoffnungsvolle Neuigkeiten: Die Griechen haben gesiegt! Die Griechen haben die Stadt des Priamos erobert!
Chor: Wie war das? –– Nein! –– Ist das zu fassen? –– Uns . . . fehlen die Worte!
Klytaimnestra: Troja gehört jetzt den Griechen. Ist das nun klar genug?
Chor: Tränen der Freude lassen unsere Stimmen versiegen!
Klytaimnestra: Das ist offensichtlich. Die Tränen in euren Augen sind Zeugnis eurer Freude.
Chor: Aber . . . bist du dir dessen sicher? –– glaubst du, was du da sagst? –– hast du unwiderlegbare Beweise?
Klytaimnestra: Natürlich habe ich diese. Ganz sichere . . . es sei denn, dies ist ein Streich der Götter!
Chor: Glaubst du vielleicht zu leichtfertig den Visionen deiner Träume, unsere Herrin?
Klytaimnestra: Ich schenke den Botschaften meines schlafenden Gehirns nie viel Beachtung.
Chor: Vielleicht hat ein unbedacht geäußertes Wort deine Hoffnungen genährt?
Klytaimnestra: Ihr beschuldigt mich, den Verstand eines kleinen Kindes zu haben!
Chor: Wann hat die Nachricht die Stadt erreicht?
Klytaimnestra: Ich habe es euch bereits gesagt: in der letzten Nacht, die diesen Tag entstehen ließ.
Chor: Aber welcher Herold könnte so schnell hierher gelangt sein?
Klytaimnestra: Der große Gott des Feuers persönlich, Hephaistos! Er hat ein helles Licht vom Berg Ida in Troja zu uns gesandt. Es wurde von Fackel zu Fackel weitergegeben, leuchtete zuerst auf dem trojanischen Ida, dann auf dem Berg Hermes auf Lemnos, und von dieser Insel aus erreichte die dritte Fackel den Felsen des Zeus auf dem Berg Athos. Nach einem gewaltigen Sprung über das große Meer wanderte die Flamme weiter und ließ ihre Strahlen wie die Sonne auf die Wachtürme von Makistos scheinen –– von dort aus eilte sie ohne jegliche Verzögerung, wie ein guter Herold, der dem Schlaf widersteht, weiter zu den Strömen von Evripos, wo sie den Wächtern des Berges Messapios auf Euböa die Nachricht überbrachte –– die Menschen dort häuften einen Berg aus getrocknetem Heidekraut an und entzündeten diesen, damit die Flame weiterziehen konnte. Stark und klar wie ein Vollmond zog sie nun über das Tal um den Fluss Aesopos und die Spitze des Berges Kitheron, wo sie eine Reihe weiterer feuriger Signale entfachte –– die Wächter entzündeten dort ein noch größeres Feuer, das über die Gewässer des Sees Gorgopis, den Berg der Ziegen und von dort über den Saronischen Golf flog und schließlich auf dem Felsen von Arachne, bei den Wachhäusern in der Nähe der Stadt, landete –– nun ist das Feuer, das von der Flamme Troja abstammt, vom Dach dieses Hauses zu sehen, dem Haus von Agamemnon aus der Familie der Atreiden –– Mein Gatte und ich haben diesen Plan ausgearbeitet, mittels dessen ich vom Fall Trojas benachrichtigt werden sollte, und alle Fackelträger in diesem Lauf kannten unsere Anweisungen.
Chor: Ehrenwerte Frau, wir werden den Göttern später dafür danken, aber bitte lass uns diese Geschichte noch mehr genießen, indem du sie uns noch einmal erzählst.