Die Ortschaftsverfassung in Baden-Württemberg - Luisa Pauge - E-Book

Die Ortschaftsverfassung in Baden-Württemberg E-Book

Luisa Pauge

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Beschreibung

Der bewährte Leitfaden bietet Ortschaftsräten und Ortsvorstehern einen vollständigen Überblick über die Ortschaftsverfassung. Er enthält konkrete Anwendungshinweise zu allen in der Praxis relevanten Fragestellungen. Die Aufgaben und Zuständigkeiten, die Rechtsstellung und die Pflichten des Ortschaftsrats sowie des Ortsvorstehers sind ausführlich dargestellt. Die Änderungen im Zuge der CovidPandemie wurden eingearbeitet. Der Ratsschreiber hat im Zuge der Grundbuchamtsreform einen neuen Tätigkeitsbereich erhalten. Angepasst wurden schließlich die steuerfreien Beträge der Entschädigung für die ehrenamtliche Tätigkeit. In einem gesonderten Abschnitt erläutert die Autorin Schritt für Schritt die Vorbereitung und den Ablauf der Sitzungen des Ortschaftsrats. Im Anhang ist das Muster einer Geschäftsordnung für den Ortschaftsrat abgedruckt.

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Die Ortschaftsverfassung in Baden-Württemberg

Leitfaden für Ortschaftsräte und Ortsvorsteher

von

Luisa Pauge

Dezernentin beim Gemeindetag Baden-Württemberg

bis zur 8. Auflage bearbeitet von

Paul Metzger

Oberbürgermeister a. D., Ehrenbürger der Melanchthonstadt Bretten

und

Werner Sixt

Erster Beigeordneter a. D. des Gemeindetags Baden-Württemberg

9., aktualisierte Auflage, 2024

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek | Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

9. Auflage, 2024

ISBN 978-3-415-07546-7

EPUB-ISBN 978-3-415-07548-1

© 1984 Richard Boorberg Verlag

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Titelfoto: © Fokke Baarssen – stock.adobe.com

E-Book-Umsetzung: abavo GmbH, Nebelhornstraße 8, 86807 Buchloe

Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG | Scharrstraße 2 | 70563 Stuttgart

Stuttgart | München | Hannover | Berlin | Weimar | Dresden

www.boorberg.de

Wenn es dem Ganzen gut geht,

geht es auch seinen Teilen gut.

(Paul Metzger)

Vorwort

Mit diesem Handbuch möchte die Verfasserin den ehrenamtlich tätigen Ortschaftsräten und Ortsvorsteherinnen und Ortsvorstehern eine Einführung in die für sie und ihre Arbeit im Gremium der Ortschaft bedeutsamen Vorschriften des Kommunalverfassungsrechts geben.

Der erste Teil beschreibt die landes- und kommunalpolitische Bedeutung der Ortschaftsverfassung sowie ihre grundsätzlichen Rechtsvorschriften. Im zweiten Teil werden die Funktionen, Aufgaben und Zuständigkeiten des Gremiums Ortschaftsrat und seines Vorsitzenden, des Ortsvorstehers, dargestellt. Im dritten und vierten Teil wird auf die Rechtsstellung sowie die Pflichten der Ortschaftsratsmitglieder und des Ortsvorstehers eingegangen.

Die Darstellung kann auch von direkt gewählten Bezirksbeiräten benutzt werden.

Die Verfasserin wünscht sich, dass das Handbuch als Leitfaden den Ortschaftsräten und den Ortsvorstehern eine gute Orientierungshilfe sein möge.

Luisa Pauge

Im Zuge der Reform des Kommunalverfassungsrechts, die für die aktuelle Legislaturperiode vorgesehen ist, wird das Muster einer Geschäftsordnung des Ortschaftsrates überarbeitet.

Sobald das aktualisierte Muster vorliegt, wird es zum kostenlosen Download auf der Internetseite des Richard Boorberg Verlags eingestellt unter

www.boorberg-plus.de/alias/MusterGO

Der zum Download erforderliche Zugangscode lautet: MusterGO2024.

Wichtige Rechtsgrundlagen

Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (GemO) in der Fassung vom 24.7.2000 (GBl. S. 581, ber. S. 698), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 27. Juni 2023 (GBl. S. 229, 231);

Verordnung des Innenministeriums zur Durchführung der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (DVO GemO) vom 11.12.2000 (GBl. 2001 S. 2); zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 28.10.2015 (GBl. S. 870, 875);

Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zur Gemeindeordnung (VwV GemO) vom 1.12.1985 (GABl. S. 1113), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 24.11.1989 (GABl. S. 1276) – automatisch außer Kraft getreten gemäß Vorschriftenanordnung vom 23.11.2004 (GABl. 2005 S. 194)[1];

Kommunalwahlgesetz (KomWG) in der Fassung vom 1.9.1983 (GBl. S. 429), mehrfach geändert und § 10a eingefügt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 4. April 2023 (GBl. S. 137, 139);

Kommunalwahlordnung (KomWO) in der Fassung vom 2.9.1983 (GBl. S. 459), mehrfach geändert, §§ 3b, 20a und 45 sowie Anlage 18 neu eingefügt und Anlagen 2, 12, 13, 15, 16 und 17 neu gefasst durch Verordnung vom 1. Juli 2023 (GBl. S. 277);

Erlass des Innenministeriums zur Ortschaftsverfassung vom 12.5.1978 (GABl. S. 465); Weitergeltung durch VwV vom 3.9.1997 (GABl. S. 530); außer Kraft getreten*;

Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO) vom 11.12.2009 (GBl. S. 770), zuletzt geändert durch Artikel 3 der Verordnung vom 4. Februar 2021 (GBl. S. 192, 195).

[1]Die VwV GemO und der Erlass zur Ortschaftsverfassung sind wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung für die kommunale Praxis hier noch aufgeführt.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Wichtige Rechtsgrundlagen

Inhaltsverzeichnis

Teil I. Die Bedeutung der Ortschaftsverfassung als besondere Verwaltungsform in der Gemeinde

1. Allgemeines

1.1 Die kommunale Gebietskarte vor und nach der Reform

1.2 Ortschaftsräte als Ausdruck örtlicher demokratischer Substanz

1.3 Die Ortschaftsverfassung

2. Ziele und Grenzen der Ortschaftsverfassung

2.1 Allgemeines

2.2 Ziele der Ortschaftsverfassung

2.3 Grenzen der Ortschaftsverfassung

3. Einführung, Aufhebung oder Weiterführung der Ortschaftsverfassung

3.1 Einführung der Ortschaftsverfassung

3.2 Aufhebung oder Weiterführung der Ortschaftsverfassung

3.3 Rücknahme oder Weiterführung von Entscheidungsbefugnissen

3.4 Kommunalverfassungsrechtlicher Organstreit (Organklage)

Teil II. Funktionen, Aufgaben und Zuständigkeiten von Ortschaftsrat, Ortsvorsteher und örtlicher Verwaltung

1. Ortschaftsrat

1.1 Anhörungsrecht

1.2 Unterlassung der Anhörung als wesentlicher Verfahrensfehler

1.3 Vorschlagsrecht

1.4 Entscheidungszuständigkeiten

1.5 Von der Übertragung ausgeschlossene Zuständigkeiten

1.6 Ortschaftsrat als Initiator bürgerschaftlicher Mitwirkung

2. Ortsvorsteher

2.1 Funktionen des Ortsvorstehers

2.2 Zuständigkeiten des Ortsvorstehers

2.3 Weitere Aufgaben und Möglichkeiten

3. Die örtliche Verwaltung

3.1 Allgemeine Verwaltung

3.2 Sonstige Verwaltungen in den Ortschaften

Teil III. Rechtsstellung und Pflichten des Ortschaftsrats

1. Das Amt des Ortschaftsrats

2. Öffentliche Verpflichtung der Ortschaftsräte

3. Freies Mandat

4. Mitwirkungsrechte

4.1 Rechte des einzelnen Ortschaftsrats

4.2 Gruppenrechte

5. Grundsätze der Mandatsausübung

6. Teilnahmepflicht an Sitzungen des Ortschaftsrats

7. Verschwiegenheitspflicht

7.1 Begründung

7.2 Umfang

7.3 Ausnahmen

7.4 Zeitdauer

7.5 Folgen von Pflichtverletzungen

8. Befangenheit

8.1 Mitberatungs- und Mitentscheidungsverbot

8.2 Befangenheitstatbestände

8.3 Ausnahmen von der Befangenheit

8.4 Befangenheitskatalog

8.5 Feststellung der Befangenheit

8.6 Rechtsfolgen der Befangenheit

9. Verantwortung und Haftung der Ortschaftsräte

9.1 Allgemeines

9.2 Haftung nach Strafrecht

9.3 Ahndung von Pflichtverletzungen

9.4 Disziplinarische Haftung

10. Entschädigung für ehrenamtliche Tätigkeit

10.1 Auslagenersatz und Verdienstausfall

10.2 Einzelabrechnung, Durchschnittsbeträge

10.3 Reisekosten

10.4 Steuerliche Behandlung

11. Unfallschutz

11.1 Anspruchsbegründende Tätigkeit

11.2 Umfang der gesetzlichen Unfallversicherung

12. Wahl der Ortschaftsräte

12.1 Wahlgrundsätze

12.2 Vorzeitiges Ausscheiden

Teil IV. Rechtsstellung und Pflichten des Ortsvorstehers

1. Allgemeines

1.1 Ehrenamtlicher Ortsvorsteher

1.2 Hauptamtlicher Ortsvorsteher

1.3 Bisherige Bürgermeister als Ortsvorsteher

2. Amtszeit

3. Aufwandsentschädigung, Besoldung des Ortsvorstehers

3.1 Ehrenamtliche Ortsvorsteher

3.2 Hauptamtliche Ortsvorsteher

4. Unfallfürsorge

Teil V. Sitzungen des Ortschaftsrats

1. Öffentliche Sitzungen

1.1 Allgemeines

1.2 Öffentliche Bekanntgabe der Sitzungen

1.3 Öffentlichkeit

2. Nichtöffentliche Sitzungen

3. Sitzungsvorbereitung

3.1 Zuständigkeit

3.2 Einberufung von Sitzungen

3.3 Einberufungsnotwendigkeit

3.4 Einberufungsfrist

3.5 Grundsatz der schriftlichen Einberufung

3.6 Tagesordnung

4. Geschäftsordnung

5. Vorsitz und Verhandlungsleitung

6. Eröffnung der Sitzung, Beschlussfähigkeit

6.1 Eröffnung

6.2 Beschlussfähigkeit

6.3 Beschlussfähigkeit in Sondersituationen

6.4 Ersatzbeschlussrecht des Ortsvorstehers

7. Verlauf der Sitzungen

7.1 Allgemeines

7.2 Sachvortrag

7.3 Aussprache

7.4 Redezeit

7.5 Beendigung der Aussprache

8. Anträge

8.1 Begriff

8.2 Antragsrecht

8.3 Antragsarten

9. Beschlussfassung

9.1 Stimmberechtigte

9.2 Formen der Beschlussfassung

9.3 Abstimmungen

9.4 Wahlen

10. Beendigung der Sitzungen, Sitzungsunterbrechungen

11. Teilnahme anderer Personen an der Sitzung

11.1 Bürgermeister

11.2 Gemeinderäte

11.3 Sachkundige Einwohner und Sachverständige

11.4 Gemeindebedienstete

11.5 Rechtsaufsichtsbehörde

12. Beschlussfassung im schriftlichen und elektronischen Verfahren sowie durch Offenlegung

12.1 Voraussetzungen

12.2 Schriftliches, elektronisches Verfahren

12.3 Offenlegung

12.4 Durchführung von Sitzungen ohne persönliche Anwesenheit der Mitglieder im Sitzungsraum

13. Änderung und Aufhebung von Beschlüssen

14. Sitzungsniederschriften

14.1 Umfang

14.2 Schriftführer

14.3 Bekanntgabe der Niederschrift, Einsichtnahme

Anhang

Muster einer Geschäftsordnung für den Ortschaftsrat

I. Allgemeine Bestimmungen

II. Rechte und Pflichten der Ortschaftsräte und der zur Beratung zugezogenen Einwohner und Sachverständigen

III. Sitzungen des Ortschaftsrats

IV. Beschlussfassung im schriftlichen, elektronischen Verfahren und durch Offenlegung

V. Niederschrift

VI. Schlussbestimmung

Sachregister

Teil I.Die Bedeutung der Ortschaftsverfassung als besondere Verwaltungsform in der Gemeinde

1.Allgemeines

Schlusspunkte der seit dem Jahre 1968 zunächst freiwillig und auch mithilfe des „Goldenen Zügels“ durchgeführten Gemeindereform waren die am 03. und 04.07.1974 mit knapper Mehrheit vom Landtag von Baden-Württemberg beschlossenen Gemeindereformschlussgesetze. Neben vielen kleinen und leistungsschwächeren Gemeinden, wegen derer die Gemeindegebietsreform zunächst mit dem Ziel eingeleitet worden war, stärkere Verwaltungseinheiten auch im ländlichen Bereich zu schaffen, verloren auch große und leistungsfähige Gemeinden, die aus damaliger Sicht ohne Zweifel in der Lage waren, selbstständig lebensfähig und gestaltungsfähig zu sein, ihre Selbstständigkeit. Es rumorte damals vor allem in den Gemeinden, in denen sich die Bürger mehrheitlich gegen eine Eingliederung oder gegen den Zusammenschluss mit anderen Gemeinden ausgesprochen und die gewählten Gemeindevertreter oder aber der Staatsgerichtshof anders entschieden haben. In diesen Gemeinden erlahmte das bürgerschaftliche Engagement zum Nachteil der gesamten Kommune. Das hat in diesen Gemeinden eine positive Entwicklung stark gehemmt. Mit den Ortsteilvertretungen nach den Regeln der Ortschaftsverfassung Baden-Württemberg, die am 16.07.1970 eingeführt wurde, wollte der Gesetzgeber solchen Problemen entgegenwirken.

1.1Die kommunale Gebietskarte vor und nach der Reform

Vor Einleitung und Abschluss der Gemeindereform gab es in Baden-Württemberg noch 3379 Städte und Gemeinden mit in vielen Jahrhunderten gewachsenen Traditionen und Vielgestaltigkeiten, sowie zwei unbewohnte gemeindefreie Gebiete („Gutsbezirk Münsingen“, „Landkreis Reutlingen“ und der „Gemeindefreie Grundbesitz Rheinau“ im Ortenaukreis). Am 01.01.1975 gab es lediglich noch 1111 Kommunen. Aktuell gibt es 1101 selbstständig gebliebene Städte und Gemeinden. Davon sind 911 Kommunen Teil der noch bestehenden 270 Verwaltungsgemeinschaften (davon 156 „Vereinbarte Verwaltungsgemeinschaften“ mit einer erfüllenden Gemeinde und 114 Gemeindeverwaltungsverbände). Ein nicht unwesentlicher Teil der eigentlichen Aufgabenerfüllung wird für die so selbstständig gebliebenen Gemeinden vom Personal der jeweiligen Verwaltungsgemeinschaft erbracht.

Teilweise wurde (und wird) die Einschätzung vertreten, dass die im Zuge der Gemeindereform gesetzlich eingeführten Verwaltungsgemeinschaften im Gegensatz zu den sogenannten Altverwaltungsgemeinschaften wenig (Gemeindeverwaltungsverbände) deutlicher effektiv geblieben seien. Deshalb wird diese besondere Verwaltungsreform vereinzelt infrage gestellt – ähnlich wie die Nachbarschaftsverbände in den Ballungsräumen, denen lediglich Planungsaufgaben zur gemeinsamen Gebietsentwicklung übertragen worden waren. Begründet wird diese Kritik damit, dass dort, wo notwendig, eine interkommunale Zusammenarbeit nach dem Gesetz über kommunale Zusammenarbeit (GKZ) vom 16.09.1974 (GBl. S. 408 mit Änderungen) wesentlich effektiver wäre. Eine Befürwortung solcher Auflösungstendenzen hätte jedoch Folgewirkungen auch auf aufgelöste Städte und Gemeinden haben müssen.

Ähnliche Auflösungsaktivitäten gab es bei Gemeinden als Mitglieder der 114 Gemeindeverwaltungsverbände (Altverwaltungsgemeinschaften) nie. In diesen „Alt-Verwaltungsgemeinschaften“ mit umfassender Aufgabenzuständigkeit blieben 200 z. T. auch kleinste Dörfer kommunalpolitisch selbstständig. Die laufenden Geschäfte erledigt in aller Regel das Personal des Gemeindeverwaltungsverbands. Der oft ehrenamtliche Bürgermeister befindet jedoch zusammen mit dem Gemeinderat seiner selbstständig gebliebenen Gemeinde über sämtliche Schwerpunkte der kommunalen Weiterentwicklung und über die zu tätigenden Investitionen in der Gemeinde. Die Qualität dieser Zuständigkeit entspricht den Grundsätzen interkommunaler Zusammenarbeit nach dem Gesetz über kommunale Zusammenarbeit und ist daher deutlich höher, als die Aufgabenzuständigkeiten von Ortsvorsteher und Ortschaftsrat in den aufgelösten Gemeinden, denen häufig „nur“ beratende Funktionen zugestanden wurden.

Klar ist: In den vergangenen 50 Jahren – seit der Neuordnung des Zweckverbandswesens durch das Baden-Württembergische Zweckverbandsgesetz von 1963 und seinem Nachfolger, dem Gesetz über Kommunale Zusammenarbeit (GKZ) – ist in Baden-Württemberg eine Vielzahl von Zweckverbänden und anderen interkommunalen Kooperationen entstanden. Dazu zählen insbesondere auch die Gemeindeverwaltungsverbände (GVV) und vereinbarten Verwaltungsgemeinschaften, die 1968 mit dem Gesetz zur Stärkung der Verwaltungskraft kleinerer Gemeinden durch das Land Baden-Württemberg forciert wurden. Und es zeichnet sich klar ab, dass die Bedeutung der interkommunalen Zusammenarbeit in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen wird.

Zwar sind die Gründe für die wachsende Bedeutung der interkommunalen Zusammenarbeit durchaus vielschichtig und insbesondere stark durch die besondere Situation vor Ort geprägt. Viele Städte und Gemeinden sehen sich angesichts des immensen Fachkräftemangels, des demografischen Wandels und in Zeiten knapper werdender Finanzmittel aber mit der Herausforderung konfrontiert, wie sie die Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge weiter verlässlich erbringen können. Letzteres gilt in besonderem Maße für Städte und Gemeinden in ländlich geprägten Regionen. Mit Blick auf die steigenden Herausforderungen und Aufgaben und vor allem unter Berücksichtigung der zunehmenden Komplexität kommunaler Aufgaben ist es daher umso wichtiger, die interkommunale Zusammenarbeit vor Ort weiter auszubauen und zu unterstützen: Maßnahmen interkommunaler Zusammenarbeit können ein Weg sein, um auf der einen Seite die kommunale Eigenständigkeit und örtliche Identität zu wahren, gleichzeitig aber die Leistungen insbesondere der kommunalen Daseinsvorsorge der Städte und Gemeinden für die Bevölkerung vor Ort langfristig zu sichern. Vor diesem Hintergrund ist wahrzunehmen, dass derzeit auch in zahlreichen GVV überlegt wird, wie die Zusammenarbeit der Mitgliedsgemeinden gerade in dieser „Verbandsform“ weiter intensiviert werden kann. Denn die Aufgabenbereiche, die für eine Interkommunale Zusammenarbeit infrage kommen, sind vielfältig.

Verwaltungsstruktur-Reformgesetz – Staatliche Untere Verwaltungsbehörde

Den aktuell 95 Großen Kreisstädten sind nach § 16 Landesverwaltungsgesetz Aufgaben als staatliche untere Verwaltungsbehörde übertragen. Dazu zählen Zuständigkeiten im Ausländer- und Baurecht oder die Aufgaben als Straßenverkehrsbehörde. Solche Zuständigkeiten sind im ländlichen Raum auch auf insgesamt 38 leistungsfähige Verwaltungsgemeinschaften übertragen. Diese bürgernahe Aufgabenerledigung nützt den Verwaltungsgemeinschaften angehörenden und damit selbstständig gebliebenen Gemeinden substanziell.

1.2Ortschaftsräte als Ausdruck örtlicher demokratischer Substanz

Mit der Reduzierung der Zahl der Gemeinden nahm auch die Anzahl der Gemeinderatssitze deutlich ab. 1974 wurde vom damaligen Verbandsdirektor des Gemeindetags Baden-Württemberg, Kurt Heppner, dieser Verlust an demokratischer Substanz wie folgt kommentiert: „Statt 33 000 Männer und Frauen in den Gemeinderäten unseres Landes werden wir von 1975 an nur noch 15 000 haben.“ Weniger Mitsprache ist weniger Demokratie. Man müsse deshalb nach neuen Möglichkeiten bürgerschaftlicher Mitarbeit suchen, damit die vielen bisher ehrenamtlich tätigen Menschen nicht in die Anonymität zurückgestoßen werden, so die damalige Schlussfolgerung. Die Bereitschaft der politisch aktiven und engagierten Bürger sollte als wertvollstes Kapital erhalten und entsprechend gefördert werden.

Ein wesentlicher Beitrag dafür war in Baden-Württemberg die Einführung und weitere Stärkung der Ortschaftsverfassung. Diese demokratisch legitimierten Mitwirkungsrechte für ehemals selbstständige Gemeinden haben sich bewährt.

Aktuell gibt es in den 1101 Städten und Gemeinden 18.674 Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, rund 1300 Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher und rund 16 000 Ortschaftsrätinnen und Ortschaftsräte, die sich als Repräsentanten für ihre ehemals selbstständige Gemeinde und heutige Ortschaft ehrenamtlich engagieren.

Bürgerschaftliche Mitwirkung

Kaum ein anderes Gesetz wurde so oft geändert wie die Gemeindeordnung. Mit sogenannten „Demokratisierungs-Novellen“ wurden insbesondere die Minderheitenrechte in den kommunalen Gremien gestärkt.

Im Zuge der Änderung der Gemeindeordnung vom 28.10.2015 verfolgte die Landesregierung das erklärte Ziel, die bürgerschaftlichen Mitwirkungsrechte zu stärken. So wurden der Personenkreis der möglichen Antragsteller erweitert und die Quoren für Einwohnerantrag, Einwohnerversammlung und Bürgerentscheid abgesenkt. Damit wollte der Gesetzgeber anerkennen, dass über die gewählten Vertreter der kommunalen Gremien hinaus Bürgerinnen und Bürger basisorientiert in verschiedensten Arbeitskreisen zusammenarbeiten, Vorschläge zu allen Fragen der kommunalen Daseinsvorsorge erarbeiten und den kommunalen Organen zur Entscheidung vorlegen können.

Wie nicht zuletzt auch die Evaluation der Gemeindeordnung im Jahr 2020 veranschaulicht hat, werden informelle Methoden der Bürgerbeteiligung von den kreisangehörigen Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg allerdings schon lange gelebt und selbstverständlich praktiziert. Dazu zählen beispielsweise Formate wie die Bürgerinformation in Einwohnerversammlungen und Einwohnerfragestunden, aber auch der Austausch in Arbeitsgruppen und Beteiligungsforen. Zielstellung all dieser Formate ist es, durch einen Dialog mit den lokalen Akteuren zu Lösungen zu gelangen. Die „Ausweitung“ der in der Gemeindeordnung verankerten direktdemokratischen Instrumente (beispielsweise durch die Absenkung der Quoren oder auch die Änderung im Hinblick auf § 21 Abs. 6 GemO – Ausweitung auf den Aufstellungsbeschluss) war und ist vor diesem Hintergrund keineswegs unumstritten: Besteht doch die Sorge, dass die Planung und Umsetzung von kommunalpolitischen Vorhaben – seien es beispielsweise der Bau eines Kindergartens, die Schaffung von Flächen für Wohnen bzw. die Transformation der regionalen Wirtschaftsbetriebe oder insbesondere auch die Ausweisung von Flächen für Erneuerbare Energien – durch die Durchführung von Bürgerentscheiden verzögert oder gänzlich verhindert werden. Die Realisierung von Vorschlägen steht unter dem Gremienvorbehalt in den Städten, Gemeinden, Verwaltungsgemeinschaften und den Ortschaften. Nur in den nach der Gemeindeordnung zuständigen Gremien ist nach Abwägung aller Aspekte auch unter Berücksichtigung der finanziellen Auswirkungen abschließend zu entscheiden. Dem informellen Austausch zur Vermeidung von Streitigkeiten kommt deshalb eine sehr hohe Bedeutung zu. Das gilt für die Diskussion der strittigen Themen zwischen Gemeinderat, Ortschaftsrat, Bürgermeister und Ortsvorsteher einerseits und bürgerschaftlich gemachten Vorschlägen andererseits.

Gleichzeitig erleben wir, dass Hass und Gewalt sowohl gegenüber Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern, als auch gegenüber Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und insbesondere auch ehrenamtlichen Mandatsträgern weiter zu nehmen. Es sind die Ehrenamtlichen in den kommunalen Gremien, die sich über fünf Jahre hinweg – und nicht nur punktuell im Rahmen eines Bürgerbegehrens – für die Geschicke ihrer Kommune einsetzen und Entscheidungen treffen (müssen), die nicht immer unumstritten sind. Und wir nehmen wahr, dass viele Menschen zunehmend nicht mehr bereit sind, bei den Kommunalwahlen anzutreten und sich im Gemeinde- oder Ortschaftsrat ehrenamtlich kommunalpolitisch zu engagieren. Vor diesem Hintergrund braucht es (auch) eine Stärkung dieser Verantwortungsträger, die in den kommunalen Gremien sitzen; und es braucht – in Zeiten einer Krise der repräsentativen Demokratie – insbesondere auch ein Vertrauen in die Entscheidungskompetenz kommunaler Gremien.

Nach der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 – 2017 breitete sich im Jahr 2020 die Corona-Pandemie aus. Spätestens seit dem Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine erleben wir multiple Krisen nebeneinander. Und auch in Baden-Württemberg stehen wir vor immensen Transformationsherausforderungen – die Energiewende und Mobilitätswende, der demografische Wandel, die Digitalisierung, nachhaltige Daseinsvorsorge und gleichwertige Lebensverhältnisse, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und sozialer Teilhabe, der Fach- und Arbeitskräftemangel sowie die Bewältigung der Klimakrise und Klimaanpassung zählen zu den gesellschaftlichen Zukunftsaufgaben unserer Zeit.

Demokratische Substanz kann sich im Rahmen der Zielsetzungen für mehr Beteiligung nur dann nachhaltig entwickeln, wenn die ehrenamtlich tätigen Frauen und Männer in den Ortschaften nicht nur diskutieren und fordern, sondern vor allem auch fördernd, mitentscheidend und mitverantwortend tätig werden können.

„Mitdenken, mitreden, mitmachen und mitverantworten!“, so hat der Gemeindetag Baden-Württemberg vor Jahren zu Recht seine Strategie zu den verschiedenen Facetten der Bürgerbeteiligung überschrieben.

1.3Die Ortschaftsverfassung