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Sehen auch Sie sich manchmal missgünstigen Kollegen gegenüberstehen oder fühlen sich übervorteilt? Wer sich heute im Berufsalltag bewähren will, braucht neben fachlicher Kompetenz und Teamfähigkeit vor allem Durchsetzungsstärke. Der renommierte Aggressionsexperte und Managementtrainer Jens Weidner zeigt in diesem komplett überarbeiteten Bestseller, wie man die eigene Aggression im Berufsleben produktiv nutzen kann, um • seine Durchsetzungsfähigkeit zu verbessern, • auch unbequeme Entscheidungen zu treffen und • die eigenen Interessen nachhaltig zu vertreten.
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Seitenzahl: 243
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Information zum Buch
Wer sich heute im Berufsalltag bewähren will, braucht neben fachlicher Kompetenz und Teamfähigkeit vor allem Durchsetzungsstärke. Der renommierte Aggressionsexperte und Managementtrainer Jens Weidner zeigt, wie man die eigene Aggression im Berufsleben produktiv nutzen kann.
Informationen zum Autor
Prof. Jens Weidner, Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, entwickelte ein Anti-Aggressivitäts-Training (AAT®), mit dem in über 100 Projekten Gewalttäter behandelt werden. Seit 1994 bietet er dieses Training auch in umgekehrter Sichtweise an: für Führungskräfte, die ihre Durchsetzungsfähigkeit und ihren Biss stärken wollen.
Jens Weidner
Die Peperoni-Strategie
So nutzen Sie Ihr Aggressionspotenzial konstruktiv
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.2., komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage 2011Copyright © 2005/2011 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am MainUmschlaggestaltung: R.M.E., Roland Eschlbeck und Rosemarie KreuzerUmschlagmotiv: mauritius-images
ISBN der Printausgabe: 978-3-593-39338-4E-Book ISBN: 978-3-593-41101-9
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Pünktlich zu meinem Geburtstag erschien im August 2005 die erste Auflage der Peperoni-Strategie. Das war ein sehr schöner Auftakt für das, was danach geschah. Denn mit der Resonanz, die das Buch erfahren hat, hatte ich nie gerechnet: 33 Wochen auf Platz 1 der Wirtschaftsbuch-Bestenliste der Financial Times Deutschland, sehr schöne Verkaufszahlen und viele, viele Vortragsreisen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Das war sehr erfreulich und auch überraschend – aber im Grunde nicht wirklich erstaunlich: Denn das Thema der positiven Aggression, die Frage, wie man sich beruflich durchsetzt und gegen Angriffe wehrt, das bewegt viele Menschen. Im ICE von Frankfurt nach Hamburg, im Flugzeug von Berlin nach Zürich werden wir oft Ohrenzeugen von Gesprächen, die Kollegen und Netzwerkpartner miteinander führen – sei es per Handy oder direkt von Angesicht zu Angesicht. Oft reden sich die Gesprächspartner so in Rage, dass sie kaum bemerken, in welcher Lautstärke sie pikante Details, Firmeninterna und sogar Namen hinausposaunen – so vertieft sind sie in die Analyse von Machtstrukturen, so eifrig darauf bedacht, Klatsch und Tratsch auszutauschen, um dies an anderer Stelle strategisch einzusetzen.
Die Peperoni-Strategie hilft Ihnen, diese Dinge etwas diskreter zu handhaben. Sie will – das möchte ich an dieser Stelle |10|noch einmal ausdrücklich betonen – keinen Machiavellismus, kein Machtstreben um jeden Preis propagieren. Im Gegenteil: Sie möchte diese Mechanismen durchschaubar machen. Es geht um die interaktionistischen Geheimnisse, um das, was zwischen Menschen passiert, die miteinander (und gegeneinander) arbeiten. Dabei entzaubert die Peperoni-Strategie im positiven Sinne das naive Denken vieler Berufstätiger, die noch immer davon überzeugt sind, dass ausschließlich Fleiß und Teamgeist zum Erfolg führen. In einer besseren Welt wäre das so. Wir haben aber nur diese eine, machen wir also das Beste daraus.
Ohne unnötige Blauäugigkeit haben Sie größere Karrierechancen, können klarer Grenzen setzen und werden nicht das Opfer der Intrigen anderer.
»Wenn ich dieses Buch vorher gelesen hätte, wäre ich gar nicht erst darauf hereingefallen«, lautete der oft geäußerte Kommentar von Lesern und Gesprächspartnern zur ersten Auflage. Damit Sie das von vornherein vermeiden können, hilft Ihnen dieses Buch auch in seiner überarbeiteten Version dabei, Ihrem Berufsleben mehr »Biss« zu verleihen.
Ihr
Jens Weidner
Die Peperoni-Strategie ist wie eine frische Habañero-Schote, eine der schärfsten Chili-Sorten der Welt: Sie ist feurig. Sie ist sinnlich-gefährlich. Darum kommt es auf die Dosierung an. Eine zu hohe Dosis entwickelt höllische Schärfe, und man verbrennt sich fürchterlich den Mund. Peperonis sind rot. Sie signalisieren Aggressivität. Ihr Schärfewirkstoff Capsaicin ist – wissenschaftlich erwiesen – gut für das Herz, fördert die Durchblutung und reduziert sogar das Risiko gefährlicher Blutgerinnsel. Capsaicin schützt gleichzeitig den Magen, denn es macht ihn robuster, so der Hamburger Gourmet-Experte Martin Lagoda. Aber die Peperoni-Wirkstoffe attackieren unseren Körper auch und verlangen, dass wir behutsam und klug mit ihnen umgehen. Wird die Peperoni mit bloßen Händen aufgeschnitten, kontaminiert sie die Hände des »Angreifers« bis zu zwei Tage: Kommen die Finger mit Schleimhäuten in Berührung, brennt es höllisch, und die Peperoni errötet vor Freude. Kein Wunder also, dass die Peperoni, gemessen in Scoville-Einheiten, dem internationalen Maß für Schärfe, auf der Werteskala ein Top-Score erreicht. Die Produkte der Schärfegrade neun bis zehn müssen sogar mit Warnhinweisen auf den Etiketten versehen und von Kindern unbedingt fern gehalten werden.
Genauso verhält es sich mit der Peperoni-Strategie für mehr |12|Durchsetzungsvermögen! Richtig dosiert verhilft sie Ihnen im Berufsalltag zu mehr Durchsetzungskraft und Würze. Positive Aggressionen, wohlbedacht eingesetzt, wirken wie ein Feuerwerk in uns: Sie geben uns Tatkraft, Courage und Rückgrat. Wer den Biss hat, Nein zu sagen und für seine Ziele einzustehen, der erlangt mehr Respekt und mehr Energie.
Dieses Buch zeigt Ihnen, wie Sie Ihre natürlichen Aggressionen konstruktiv einsetzen. Sie lernen
wie Sie verhindern, über den Tisch gezogen zu werden,
wie Sie der potenziellen Opferrolle entgehen,
wie Sie Ihre guten Ideen und Projekte erfolgreich durchsetzen.
Dieses Buch verschafft Ihnen außerdem Freude an kleinen Strategiespielen, mit denen Sie Ihre Umwelt verblüffen können, damit sie Sie nicht unterschätzt. Es bringt damit eine gewisse Würze und, wenn nötig, auch Schärfe in Ihr Berufsleben.
Sollte Ihr Partner, Ihre Partnerin nach der Lektüre dieses Buches zu Ihnen sagen: »Du wirkst viel selbstsicherer«, dann bewegen Sie sich in die richtige Richtung. Ich möchte Sie allerdings eindringlich davor warnen, das, was Sie im Folgenden lesen, auf Ihr Privatleben anzuwenden. Sie würden einen fatalen Fehler begehen: Alle Strategien, die im beruflichen Bereich erfolgversprechend sind, entpuppen sich im Privaten als Katastrophe. Bitte bedenken Sie: Im Privaten sind nicht strategisches Geschick und Cleverness gefragt, sondern Miteinander und Einfühlungsvermögen. Ihre privaten Bindungen sollten immer von Offenheit, Ehrlichkeit und Vertrauen geprägt sein, nicht von strategischem Taktieren oder Heimlichkeiten! Die in diesem Buch beschriebenen Job-Strategien können zu echten Scheidungsgaranten werden. Es geht hier ausschließlich darum, wie Sie sich im Geschäftsleben besser durchsetzen.
|13|Die Machtspiele des beruflichen Alltags werden Sie nach der Lektüre dieses Buches schneller durchschauen. Ob Sie dann zum Gegenschlag ausholen oder sich gelassen zurücklehnen, um Ihren Gegenspieler ins Leere laufen zu lassen, das bleibt Ihnen überlassen. Spaß kann beides machen!
Aber beginnen wir von vorne. Wie kam es eigentlich zur Peperoni-Strategie? Mitte der achtziger Jahre hatte ich im Rahmen meines Studiums die Möglichkeit, neue und höchst erfolgreiche US-amerikanische Methoden im Umgang mit jugendlichen Straftätern, sogenannten Gangschlägern, vor Ort kennen zu lernen. Ich war von diesem Konzept des gezielten Aggressionsabbaus so überzeugt, dass ich es auf deutsche Verhältnisse zuschnitt und es im Auftrag der niedersächsischen Justiz im Jugendstrafvollzug mit Gewalttätern, also Hooligans, Skin-Heads und Totschlägern, umsetzte. Das beeindruckende Ergebnis: Gewalttäter können erfolgreich behandelt, aggressives Verhalten kann entschärft werden. Zwei Drittel der Behandelten wurden gewaltfrei; Fachzeitschriften, Presse und Fernsehen berichteten sehr positiv über die Methode. Was will man mehr?
Dann passierte Irritierendes: 1993 meldete sich der Leiter eines Schweizer Wirtschaftsinstituts bei mir und fragte, ob es nicht auch möglich sei, Aggression gezielt auf- statt abzubauen. Ich verstand die Frage zunächst nicht und hielt den Anrufer für unseriös, womöglich gar für den Anhänger einer obskuren Sekte. Aber Dr. David Bosshart, Direktor des renommierten Gottlieb Duttweiler Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft in Zürich (GDI), meinte es ernst. Er setzte – nomen est omen – nach: Er kenne eine Menge Führungskräfte, die hoch qualifiziert seien, Spitzenleute, aber zu gut für diese Welt und nicht in der Lage, ein Team mit nur zehn Leuten zu führen. Sie bräuchten Biss und Power, vor allem mehr Durchsetzungsstärke und |14|den moralischen Segen, dass man sich durchsetzen darf – vor allem für ein gutes Ziel!
Damit war die Idee für einen neuen Typus von Managementseminaren geboren. Seitdem setzen Führungskräfte aus dem Mittelstand und aus den großen deutschen, österreichischen und Schweizer Unternehmen auf dieses potenzialfördernde Trainingsprogramm.
Im Laufe der letzten Jahre traten immer wieder Seminarteilnehmer an mich heran mit der Frage, ob ich ihnen nicht etwas »mitgeben« könne, eine Art Erinnerung: »Für meine regelmäßige Dosis Biss zwischendurch und als Vorbeugung, falls ich wieder zu blauäugig werde«, so der Wunsch des Eigentümers einer deutschen Lebensmittelkette (deren Gemüseabteilungen übrigens ein breites Sortiment an Peperoni führen!). Aus diesen Anregungen entstand die Idee zu diesem Buch. Ich hoffe, Sie können es für sich nutzen – für die kleine Schärfe zwischendurch und als Kochbuch für den gewürzten Berufsalltag mit Biss.
Ihr
Jens Weidner
Wäre es nicht schön, wenn unser Leben nur aus Harmonie und Miteinander bestünde? Wenn sich alle Menschen edel und gut verhielten? Schön wäre das sicherlich – aber mal ehrlich: Würde Ihnen nicht etwas fehlen? Ein klein bisschen Biss, ein wenig Würze? Ein Schuss Feuer, der das Leben nicht zum Einheitsbrei, sondern zum gaumenkitzelnden Chili con Carne veredelt?
Unser Alltag belehrt uns täglich eines anderen: Kleine Kämpfe lassen sich nicht umgehen. Und gerade unser Berufsleben ist gespickt mit Wettbewerb und Konkurrenz. Wie oft hatten Sie schon eine gute Idee, die im Meeting wortgewandt auseinander genommen wurde? Wie oft sind Sie schon aus einem Gespräch herausgegangen und haben gespürt, dass Sie letztlich über den Tisch gezogen wurden?
Unsere Geschäftspartner, unsere Kollegen, Mitarbeiter und Vorgesetzte – sie sind leider nicht alle Gutmenschen, mild und süß wie rote Paprika. Darum ist es auch nicht sinnvoll, dass wir ihnen so begegnen: voller Vertrauen und Naivität.
Zehn Jahre Arbeit mit Gewalttätern, mit Hooligans, Skin-Heads und Totschlägern (als Kriminologe und Erziehungswissenschaftler in Deutschland ebenso wie den USA) und zehn Jahre Arbeit mit Führungskräften (als Managementtrainer in Deutschland und der Schweiz) haben mir tiefe und manchmal |16|auch recht amüsante Einblicke in die Schattenseiten der menschlichen Seele ermöglicht – und vor allem eines gezeigt: Allein mit Gutherzigkeit kommen wir im Leben nicht zurecht.
Vermutlich, verehrte Leserinnen und Leser, sind Sie fabelhafte Menschen, die teamorientiert und einfühlsam ihren Alltag meistern. Um diese edle Seite Ihrer Persönlichkeit geht es in diesem Buch nicht. Hier dreht sich alles ausschließlich um die Stärkung Ihrer bissigen Persönlichkeitszüge, die es Ihnen erlauben, sich auch in harten Wettbewerbssituationen erfolgreich und punktgenau durchzusetzen.
Nur Verständnis, Einfühlsamkeit und Teamgeist, also 100 Prozent Gutmenschentum beziehungsweise – um in unserem Gemüsebild zu bleiben – milde Paprika-Süße, bringen Sie in Gefahr, ausgebeutet und übervorteilt zu werden. Sanfte Zeitgenossen sind in hohem Maße Burn-out-gefährdet und quälen sich im schlimmsten Fall mit psychosomatischen Erkrankungen herum, weil sie ihren Ärger und ihre Frustrationen in sich hineinfressen oder das Leben nur noch mit einer allabendlichen Cognac-Therapie ertragen. Wenn es mir mit diesem Buch gelänge, Ihre 20 Prozent Biss und Durchsetzungsstärke zu fördern, dann könnten diese 20 Prozent als ein echter Beitrag zur Förderung Ihrer Gesundheit verstanden werden: Sie fräßen weniger Ärger in sich hinein, und Ihre Gegenspieler müssten erkennen, dass Sie für die Opferrolle nicht die geeignete Besetzung sind. Wäre das nicht wunderbar?
Sich durchsetzen, um Gutes zu tun, das bringt unsere Gesellschaft voran – und genau dazu will dieses Buch Sie ermutigen!
Die Zeiten komplexer Persönlichkeitsveränderungen in Berufsleben und Management sind vorbei. Heute zählen Nuancierungen: Man will im Prinzip so bleiben, wie man ist, nur besser. Warum auch nicht? So schlecht kann die eigene personality ja nicht sein, immerhin haben Sie es ja in eine gute |17|berufliche Position geschafft! Nun könnte es gern weitergehen. Die Grundvoraussetzungen bringen Sie mit: erstklassiges Fachwissen, gezieltes Networking, professionelles Know-how. Was noch hinzutreten sollte, ist der souveräne Auftritt. Das beinhaltet: Durchsetzungsstärke, Courage und Energie – auch und gerade bei starkem Gegenwind … Mit den Worten David Bossharts: »Management heißt: Härte, Mut, Augenmaß. Es braucht zunächst und am wichtigsten als Voraussetzung den Biss, etwas zu wollen. Dann braucht es den Mut, ambitiös zu sein. Und nicht zuletzt braucht es die Kunst, das Augenmaß zu halten.«
Biss, Mut und Augenmaß – das können Sie erwerben. Sie müssen dazu nur Ihre positive Aggression aktivieren. Hierbei möchte Sie dieses Buch unterstützen.
Wenn Sie Ihr Persönlichkeitsprofil um Durchsetzungsstärke erweitern wollen, brauchen Sie die Bereitschaft, konfrontativ zu handeln, um Menschen, die es nicht gut mit Ihnen meinen, zur Rede zu stellen. Das fällt den meisten Menschen eher schwer. Übrigens auch mir (der sehr ordentlich-bürgerlich erzogen wurde), bis ich in den USA eine konfrontative Erfahrung wider Willen machen durfte, die mich prägte und veränderte:
Wie im Vorwort schon geschildert, ging ich als Nachwuchsforscher für ein halbes Jahr in die USA, um in einem privaten Jugendgefängnis bei Philadelphia Untersuchungen über jugendliche Gewalttäter durchzuführen. Mein Hinweis an den Abteilungsleiter (Spitzname »Ironhead«), meine Tätigkeit würde lediglich eine teilnehmende Beobachtung umfassen, quittierte dieser mit den Worten: »Fucking German, pack your suitcase!« (Sinngemäß: »Ich bin mit Ihrem Forschungsansatz nicht ganz einverstanden …«) Er ergänzte dies – ganz Coach – mit der Analyse, ich hätte ein »Nice-Guy-Problem«, was weniger als ästhetisches Kompliment, sondern mehr so zu verstehen war, dass er mich für ausgeprägt konfliktscheu hielt.
|18|Dieses Persönlichkeitsdefizit wollte er mir nun durch Konfrontationsübungen abtrainieren – und er leistete ganze Arbeit: Ich bekam zehn Tage Zeit, um 150 Konfrontationen an den inhaftierten Gangschlägern durchzuführen, die meine Konfrontationen – strafverschärfend – auch noch gegenzeichnen mussten. Zum Beispiel gab es aus gutem Grund ein Verbot für das Tragen von Ohrringen im Gefängnis. Meine erste Aufgabe war, einen Gangschläger, der sich nicht an diese Norm hielt, vom Gegenteil zu überzeugen. Dabei musste ich die »levels of confrontation«, ein Konfrontationsritual, einhalten: Zunächst ging ich zu dem Jungen hin und zeigte ihm non-verbal, dass er den Ohrring herausnehmen möge. Er tat es nicht. Ich bat ihn höflich, den Ohrring zu entfernen. Er tat es nicht. Ich sagte unhöflich: »Nimm den raus!« Er tat es nicht. Ich machte den »touch for attention«, legte also die Hand auf seine Schulter und bat eindringlich, Nase an Nase, der Ohrring-Norm Folge zu leisten. Er tat es noch immer nicht. Ich rief »Support!« (»Unterstützt mich!«), und alle Mitarbeiter und Jugendlichen waren zur sofortigen Unterstützung verpflichtet. Alle standen nun um den Ohrringträger herum, redeten auf ihn ein, laut, leise, liebevoll, aggressiv, ein 10-minütiges Konfrontationsgewitter – und endlich nahm er den Ohrring heraus. Die Konfrontation war beendet – und ich bekam meine Unterschrift (»Mr. Weidner confronted me at 9.14 a.m.«)!
Ich war von dem Erlebnis total gestresst – und von dem Gedanken, dass nun »nur« noch 149 Konfrontationen vor mir lagen. Nach zehn Tagen hatte ich nicht nur – vor Anstrengung – Hautausschlag im Hals- und Brustbereich, sondern war um zahllose Erfahrungen reicher, wurde von »Ironhead« in höchsten Tönen vor dem gesamten Team gelobt (»Jungs, der Deutsche hat doch Potenzial!«) und hatte die Gewissheit, dass ich mich durchsetzen kann – wenn es gefordert ist.
Eine solche Gewissheit strahlt man aus. Wenn man Ihnen abnimmt, dass Sie in einer Konfrontation bestehen können (wenn |19|Sie es wollen), wird man Ihre Freundlichkeit nicht mit Schwäche verwechseln.
Neben dem Vertrauen in die eigene Durchsetzungsstärke ist aber auch Augenmaß wichtig – nicht immer ist eine Konfrontation der richtige Weg, zumal die Reizschwelle bei jedem Menschen unterschiedlich ist. Auch hierfür ein etwas schmerzhaftes Beispiel aus meinem Berufsalltag mit Gewalttätern: Mit harten Konfrontationstherapien, bei denen der Gewalttäter auf dem sogenannten »heißen Stuhl« sitzt, soll das brutale Denken von Schlägern verändert werden. Sie sollen Mitleid mit ihren Opfern fühlen. Amerikanische Therapeuten sprechen vom »Hot Seat«, weil die Schläger, von ehemals gewalttätigen Insassen und Therapeuten eingekreist und unter Gruppendruck, im Kreuzfeuer der Kritik schnell ins Schwitzen kommen.
In meiner Anfangszeit in der deutschen Justiz, das war 1987, wurde mir ein gewalttätiger (und erfreulicherweise inhaftierter) Mann zur Behandlung zugewiesen. Er – 22 Jahre alt – war leicht reizbar und litt unter seiner Halbglatze. Wenn man ihn darauf ansprach, lief er nicht nur tiefrot an, sondern wurde richtig wütend. Er galt als unkontrolliert, zumal ihn eine ähnliche Nichtigkeit in einem Lokal hatte gewalttätig ausrasten lassen. Das war der Grund für seine Inhaftierung. Unser Job war es, durch gezielte Provokationen seine Reizschwelle so zu erhöhen, dass er zukünftig nicht mehr die Beherrschung verlieren würde. Auch aus reinem Selbstschutz baten wir ihn, Bescheid zu sagen, falls er es nicht mehr aushielte und kurz vorm Explodieren stünde.
Bereits nach 3 Minuten rief der Mann: »Schluss!« Ich war verärgert, hatte doch die Vorbereitung auf diese schwierige Sitzung über eine Stunde gedauert – und nun nach kürzester Zeit ein »Time out«! Ich nahm das Signal daher vor lauter Ärger nicht ernst. Mein Gefühl sagte: »Der blufft nur, um sich vor der Behandlung zu drücken.«
|20|Deshalb ging ich auf ihn zu, streichelte ihm über seine mittlerweile leicht verschwitzte Halbglatze und sagte: »Junge, du hast doch wohl noch mehr zu bieten!« – »Ja!«, sagte er, stand auf und schlug mir kräftig mit der flachen Hand ins Gesicht. Die Schwellung hielt drei Tage, obwohl er zur Entschuldigung sagte, er habe nur dosiert zugelangt: »Herr Weidner, das war doch Akademiker-verträglich.« Das muss zweifelsfrei gestimmt haben, der Mann war immerhin wegen versuchten Totschlags verurteilt.
Man sollte also nicht falsch platzierte Konfrontation und toughes Auftreten mit positiver Aggression verwechseln, die stets aufbauend und konstruktiv sein soll. Sonst muss man mit dem schmerzhaften Echo leben lernen – wie im obigen Fall.
In diesem Buch geht es natürlich nicht um körperliche Übergriffe, sondern um Machtspiele. Vornehmlich dreht es sich um die Frage, mit welchen Wettbewerbssituationen Sie im Beruf rechnen müssen und wie Sie sich gegen unfaire Angriffe wehren können. Ich möchte Ihnen Strategien dafür aufzeigen und Ihnen Mut machen, gemeinen Attacken mit Biss entgegenzutreten. All das dient nur einem Ziel: Sie punktgenau durchsetzungsstärker zu machen, damit Sie in Zukunft karrierehemmende Interaktionen schneller durchschauen. Es geht um einen Motivationsschub hin zu mehr Biss.
Das folgende Kapitel, Durchsetzungsstärke ja, Ellenbogenkarriere nein!,fragt nach den Unterschieden zwischen Durchsetzungsstärke und Egoismus. Natürlich wäre es besser, wenn wir alle rücksichtsvoll und nächstenlieb handeln würden. Doch dabei besteht die Gefahr, dass wir ausgenutzt und übervorteilt werden, denn für unser Gegenüber gilt allzu oft: »they take kindness for weakness.« Wo liegt die Grenze zwischen Hilfsbereitschaft und dem Helfersyndrom? Dieses Kapitel zeigt auf, warum Sie für Ihre Interessen einstehen sollten.
|21|Das Kapitel Aggressionen – überlebenswichtig oder Teufelszeug? beleuchtet den Sinn dieser verleugneten Emotion. Warum verfügen Menschen über dieses Potenzial? Was passiert im Körper, was in der Psyche, wenn wir aggressiv werden? Was ist überhaupt Aggression, und wie können wir dieses Gefühl beeinflussen? Darüber hinaus werden die verschiedenen Formen der Aggression und ihre konkreten Handlungsausprägungen im Alltag erläutert.
Das Kapitel Positive Aggression – Ihr konstruktives Potenzial präzisiert, welche Chance im konstruktiven Umgang mit unserer natürlichen Aggression liegt, und stellt Ihnen die acht Grundregeln der Peperoni-Strategie vor.
Im Kapitel Man muss seine Gegner kennen – Erfolgsmenschen auf der Spur wird der Frage nachgegangen, wie erfolgreiche Menschen »ticken« und ob es Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Umgang mit dem eigenen aggressiven Potenzial gibt. Hier finden Sie Hinweise, wie Sie – als Frau – die männlichen Schwächen beziehungsweise – als Mann – die weiblichen Schwächen zu Ihrem Vorteil nutzen können.
Das Kapitel Peperoni oder Paprika: Wo stehen Sie? stellt Sie in den Mittelpunkt. Der Peperoni-Test untersucht Ihre Biss-Schärfe, in anschließenden Workshops analysieren Sie Ihre Stärken, Ihr Biss-Potenzial, Ihre Schwächen sowie Ihre Biss-Bremsen. Nur wenn Sie wissen, wo Sie stehen, auf welche Stärken Sie sich verlassen können und welche Schwächen nach außen nicht offensichtlich werden sollten, können Sie sich überzeugend positionieren und souverän auftreten.
Das Kapitel Unterstützer oder Angreifer: Ihr berufliches Umfeld legt den Schwerpunkt auf Ihre Berufsumgebung. Mithilfe der Diamantenanalyse erfassen Sie, wer in Ihrer Umgebung welchen Status und welche Rolle innehat. Vor allem aber |22|zeigt diese Analyse, wer Ihnen gegenüber falsch spielt und auf wen Sie sich in Krisensituationen verlassen können.
Mit dem Kapitel Mehr Biss: Strategien für Ihre Durchsetzungsstärke geht es in die Praxis: Mithilfe der Abwehrrhetorik werden Sie schlagfertiger, das schöne Wörtchen »Nein« verschafft Ihnen Raum und Strategien wie der strenge »Mutterblick« oder die »Arbeitsgruppe als Bermuda-Dreieck« helfen Ihnen, sich gegen zu forsche oder gar unfaire Kollegen zu wehren.
Ich hoffe, ich kann Ihnen eines vermitteln: sich durchzusetzen und ein guter Mensch zu bleiben – das ist kein Widerspruch! Lassen Sie sich also bitte nicht bremsen. Ergänzen Sie Ihre 80 Prozent milde Paprika-Süße durch 20 Prozent Peperoni-Würze. Werden Sie nicht zum Opfer anderer; erliegen Sie auch nicht Ihren eigenen Wünschen nach Harmonie und umfassender Fairness – damit werden Sie leider an den Realitäten der Wettbewerbsgesellschaft scheitern! Stehen Sie zu Ihren Zielen, nutzen Sie Ihr strategisches Geschick! Treten Sie – wenn der Sache dienlich – richtig abgebrüht auf (wobei es ja reicht, wenn Sie überzeugend so tun können als ob). Hier geht es nicht um die moralische Selbstzensur, nicht um ein verkrampftes Entweder-oder, sondern um ein entspanntes Sowohl-als-auch. Lernen Sie auf der Klaviatur der Gegenstrategien genussvoll zu spielen, treten Sie nicht nur voller Dynamik, sondern auch empathisch und charmant auf.
Sie werden sehen: Die Peperoni-Strategie bereichert Ihr Leben – und fördert Ihren beruflichen Erfolg. Was wollen Sie mehr?
Es sind stürmische Zeiten für Unternehmen – Umstrukturierungen, Fusionen, das Prüfen von Synergieeffekten sind an der Tagesordnung. Mitarbeiter werden freigesetzt, ganze Abteilungen geschlossen und mitunter komplette Hierarchieebenen gestrichen. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen qualifizierte Fach- und Führungskräfte vom Stellenabbau verschont blieben. Nicht nur der Konkurrenzkampf zwischen den Unternehmen wird härter, auch der Verdrängungswettbewerb innerhalb der Firmen wird mit harten Bandagen ausgefochten. Wer in diesen Zeiten den nächsten Karriereschritt anstrebt, hat mit deutlich mehr Gegenwind zu rechnen als noch vor ein paar Jahren.
Aber auch derjenige, der neue Ideen einbringt – Produkte, Strukturen, Arbeitsabläufe –, muss mit verstärktem Widerstand rechnen. Denn Veränderungen verunsichern Ihre Kollegen, Mitarbeiter und Vorgesetzten, könnten sie doch zum einen mehr Arbeit bedeuten oder zum anderen zeigen, dass deren Innovationen nicht so brillant sind wie die Ihren.
Ob Sie wollen oder nicht – Sie müssen sich durchboxen. Die See wird rauer und ein aggressives »Sich-Durchbeißen« zu einer ungeliebten Tugend! Angesichts der gegenwärtigen Verdrängungswettbewerbe wissen auch der netteste Chef und die engagierteste Chefin, die freundlichste Kollegin und der entgegenkommendste Kollege, dass sie beziehungsweise er mit |24|sozialverträglicher Höflichkeit allein nicht sein Ziel erreicht. Konkurrenz droht also auch aus dieser Richtung. Die guten Menschen kommen häufig schneller in den Himmel, als ihnen lieb ist! »Die werden abgeschossen«, formulierte es treffend ein Manager in einem meiner Seminare.
Wer neue Ideen einbringt, etwas verändern möchte, der wird folgende Sätze immer wieder hören
»Das geht hier nicht!«
»Das lief hier schon immer so!«
»Sie haben keinen Respekt vor den Traditionen unseres Hauses!«
»Sie sind noch zu neu hier. Machen Sie sich erst einmal mit den Gepflogenheiten bei uns vertraut!«
»Wenn Sie – wie ich – 15 Jahre hier tätig sind, werden Sie es genauso sehen.«
Statt nun Ihre innovativen Ideen durchzuboxen, können Sie natürlich auf diese Auseinandersetzungen verzichten. Sie können zurückstecken. Auch wenn es um eine neue Position geht – schließlich ist da der Kollege Meier, der diesen neuen Posten und die damit verbundene Gehaltserhöhung viel nötiger braucht, schließlich hat er drei Kinder und eine kranke Frau. Doch Dankbarkeit oder gar Ansehen ernten Sie letztlich für diese edle Tat nicht: Sie werden als softer Loser gelten – übrigens auch beim Kollegen Meier.
Wer die Vertretung seiner Interessen aufgibt, um einem Kampf oder auch unangenehmen Situationen auszuweichen, wer nicht Nein sagen kann, der hat letztlich das Nachsehen – in seiner Karriere. Denn wer nicht für sich eintritt, läuft Gefahr, ausgebeutet zu werden.
Wenn Sie nicht Nein sagen können, gehören Sie womöglich bald zu denjenigen, denen am Freitag Nachmittag noch ein zeitintensiver |25|Auftrag aufgedrückt wird, weil der Kollege es nicht schafft (weil er noch zum Golfen will, was man Ihnen natürlich nicht sagt). Um Ihnen die Mehrarbeit schmackhaft zu machen, appelliert Ihr Kollege, vielleicht auch Ihr Chef, an Ihr Gewissen, schließlich sind Sie eine tragenden Säule des Unternehmens: »Ohne Sie hätten wir hier riesige Probleme«, »Sie können das mit Abstand am besten«, »Ohne Ihr Know-how ist das nicht zu lösen« oder ähnlich süßes Harfenspiel soll Sie in die Falle locken. Glauben Sie diese Sprüche und arbeiten bis in die tiefe Freitagnacht hinein, werden Sie am Montag zwar ein wenig Lob hören, aber vor allem auch Kritik an Ihrem miesen Zeitmanagement.
Mit einem klaren »Nein« zur rechten Zeit hätte dies vermieden werden können. Aber viele Menschen trauen sich nicht, etwas abzulehnen, weil sie dafür dann zur Rede gestellt werden könnten, sie sich erklären müssten (»Warum sagen Sie Nein?«) – in diesen Fällen würden sie sich den aufdringlichen Argumentationen ihres Gegenübers unterlegen fühlen. Widersprechen ist aber wichtig, gerade wenn Sie bedrängt werden oder Kollegen, Mitarbeiter, Vorgesetzte versuchen, Ihre Karriere zu torpedieren.
Machtspieler (und übrigens auch Gewalttäter) lieben Opfer mit dem geringsten Widerstand. Nur wenn Sie sich wehren, können Sie der Opferrolle entgehen!
In Bertolt Brechts Parabelstück Der gute Mensch von Sezuan kann sich die Protagonistin Shen Te keinem um Hilfe flehenden |26|Menschen verschließen. Bis zur Selbstaufgabe opfert sie sich in ihrem Helfersyndrom auf. Um dem eigenen finanziellen Ruin zu entgehen, erfindet sie in letzter Not den hartherzigen und skrupellosen Cousin Shui Ta, in dessen Maske sie Bittstellern entgegentritt, um ihre Interessen zu wahren. Nur durch diese Persönlichkeitsspaltung gelingt ihr das Überleben. Eine extreme Strategie, die letztlich keine Lösung ist. Brechts Theaterstück endet mit den bekannten Worten:
»Wir stehen enttäuscht und sehn betroffen
den Vorhang zu und alle Fragen offen.«
Shen Te symbolisiert die grenzenlose Güte, und Shui Ta steht für das egoistische Prinzip – und irgendwo dazwischen liegt das richtige Maß, das den Menschen davor schützt, als Opfer unterzugehen oder als Täter Schuld auf sich zu laden.
Eine weitere prominente literarische Figur, die das Dilemma zwischen Selbstaufgabe und rücksichtsloser Egozentrik anspricht, ist der Mephistopheles aus Johann Wolfgang Goethes Drama Faust. Teuflisch-geistreich nimmt dieser die Begrenztheit menschlichen Handelns ins Visier, »wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt, gewöhnlich für ein Ganzes hält«. Der Mensch ist eben nicht nur gerecht, und vieles gut Gemeinte hat schon zu großem Elend geführt. Diese Paradoxie ist Mephistos Leitidee. Er versteht sich als
»ein Teil von jener Kraft,
die stets das Böse will und stets das Gute schafft.«
Das mephistophelische Prinzip greift der Philosoph und Medientheoretiker Norbert Bolz heute auf, wenn er den notwendigen gesellschaftlichen Strukturwandel mit dem Begriff des |27|»Machiavelli-Consultings« auf die Spitze treibt. Er spricht provokant von den Strategien des Bösen und von der schöpferischen Zerstörung als eigentlicher unternehmerischer Leistung, die auch Unberechenbares auslöst und damit erst Neues und Innovatives ermöglicht. Das mephistophelische Prinzip attackiert jene Besitzstandswahrer in Unternehmen, die Innovationen immer ausbremsen.
Wer Biss hat, Nein sagen kann und nicht, wie im Helfersyndrom, ständig Unterstützung signalisiert, der schützt sich davor, ein Opfer der Übervorteilung und Ausbeutung zu werden. Der erlangt außerdem viel mehr Respekt.
Nein sagen kann man lernen, ebenso die Stärke, sich durchzusetzen. Und warum sollten wir nicht sogar noch einen Schritt weitergehen und Spaß daran finden, unsere Interessen zu vertreten? Sind Sie dazu bereit oder unterliegen Sie dem Einfluss der Ethikfrage, die Ihnen – mit dem Kognitionspsychologen Kohlberg gesprochen – die postkonventionelle Moral abverlangt? Kohlberg betont, dass wir uns an den Menschenrechten und Kants kategorischem Imperativ orientieren sollen: »Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.« Oder etwas salopper: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füge auch keinem anderen zu!
Eine wunderbare Handlungsmaxime, wenn alle Menschen Engel wären und sich daran hielten. Aber: »Glaubt man ausschließlich an das Gute im Menschen, wird dieses irreführende rosige Licht zur bitteren Enttäuschung führen«, mahnt selbst der Sozialphilosoph Erich Fromm, der als Protagonist des Guten in die Geschichte eingegangen ist. Der naive Glaube an die unbedingte Nächstenliebe verführt zur Selbstaufgabe im Helfersyndrom. Und die kann, wie wir oben schon gesehen haben, in den eigenen Ruin führen.
|28|Einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen Selbstaufgabe und Egoismus bietet ein bestimmter Bereich der Ethik: die sogenannte Strebensethik. Während die Pflichtethik uns vorschreibt, wie wir zu handeln haben, uns feste Maximen und Werte an die Hand gibt, will die Strebensethik beraten, besonders in den Situationen, in denen wir selbstverantwortlich agieren müssen. Die Strebensethik will zur Selbstkompetenz, zum Lebenkönnen befähigen. Sie rät uns zum Beispiel, in einer zwischenmenschlichen Situation auf Dauer keine einseitigen Leistungen zu erbringen, uns also nicht ausbeuten zu lassen. Sie unterstützt uns, in diesen Situationen Nein zu sagen, uns nicht mit Lob und Schmeichelei erpressen zu lassen.
Natürlich gibt es neben der Eigenverantwortung auch die Verantwortung für das Allgemeinwohl, die wir alle tragen. Es kann also nicht das Ziel dieses Buches sein, das rücksichtslose Durchsetzen der eigenen Interessen zu propagieren. Aber schon die Bibel sagt: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« – die Eigenliebe sollte also nicht zu kurz kommen. Es kommt darauf an, einen Weg zu finden, der unser eigenes Wohl mit dem der Allgemeinheit verbindet. Hilfestellung bietet dabei der Sozialphilosoph Jeremy Bentham (1748–1832), der den Utilitarismus, also die Frage, was dem eigenen Unternehmen nutzt, immer auch am Allgemeinwohl misst. Und selbst der Liebling der Wirtschaftsliberalen, Adam Smith, verlangte die »Mindestrücksichtnahme« und nicht das aggressive Gewinnstreben um jeden Preis! Der kurzfristige Sieg sei zwar verlockend, sichert aber keine Nachhaltigkeit! Hilfreich ist also ein »weitsichtiger Egoismus« – eine Denkfigur, derer sich der Utilitarismus, der Kommunitarismus, die kooperative Ethik und andere Denkweisen bedienen –, er verbindet die eigenen Interessen mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit. Auf diese Weise kommt der |29|weitsichtige Egoismus dem Altruismus sehr nahe, weil er die allgemeinen Interessen berücksichtigt.
In diesem Buch geht es also nicht um die Förderung eines tumben Ellenbogenkarrierismus. Ich möchte Sie unterstützen bei der Durchsetzung guter Ziele, also von Zielen, die im Sinne des Unternehmens, seiner Mitarbeiter und