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Diplomarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Soziologie - Wohnen und Stadtsoziologie, Note: besser als gut (1,7), Humboldt-Universität zu Berlin (Institut für Sozialwissenschaften (Stadtsoziologie)), Sprache: Deutsch, Abstract: Im Zuge struktureller Veränderungen, insbesondere die durch Entkirchlichungsprozesse in den letzten dreißig Jahren massiv angestiegenen Kirchenaustrittszahlen und die damit verbundenen Mindereinnahmen für die evangelische und die römisch-katholische Kirche in Deutschland, offenbarte sich Anfang der 1980er Jahre erstmals in Berlin die Problematik der kaum oder ungenutzten Kirchen. Durch die knapper werdenden Finanzmittel der Kirchen sind die laufenden Betriebskosten und mancherorts die Bauunterhaltung, die für die großen Gebäude aufgewendet werden müssen, nicht mehr vorhanden oder stehen in keinem Verhältnis zur Nutzung. Auf der Suche nach einer Problemlösung zu diesem Missverhältnis stellt sich die Frage, wie Kirchenräume in den Städten bei schrumpfenden Finanzmitteln und abnehmender Gemeindegröße in eine veränderte oder neue Nutzung zu bringen sind. Untersuchungsgegenstand sind die von übergeordneten kirchlichen Ebenen entwickelten Politiken zur Umnutzungsproblematik und die sich daraus in den Städten ableitenden praktischen Ergebnisse der ausführenden Ebene des katholischen Erzbistums Berlin und der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Um einer eventuellen regionalen Einseitigkeit vorzubeugen und gleichermaßen auch die in Berlin vorherrschende protestantisch dominierte Situation auszubalancieren, wurde die Lage beider Kirchen im Ruhrgebiet als Vergleich herangezogen. Es findet allerdings kein Vergleich der Regionen, sondern der Konfessionen statt. Wie die Ergebnisse dieser Untersuchung bestätigen, ist ein solcher regionaler Vergleich auch nicht primär von Nöten, da sich die einzelnen Bistümer und Landeskirchen recht genau an die jeweils vorgegebenen Handlungsempfehlungen halten. Zielsetzung dieser Arbeit ist es, diese beiden Politiken in Theorie und Praxis auf ihre Ausformungen zu untersuchen und durch eine Gegenüberstellung ehemalige und aktuelle konfessionelle Unterschiede aufzuzeigen. Dabei ist es Teil der forschungsleitenden Frage die Anwendbarkeit und die Mängel der einzelnen Herangehensweisen einer genauen Analyse zu unterziehen
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“In Koppaberg in Schweden gibt es eine Holzkirche von der folgendes berichtet wird. Das Kirchlein war der wachsenden Gemeinde von Bergarbeitern zu klein geworden. Da beschlossen die Gemeindeglieder, das Gebäude durchzusägen, die Teile auseinanderzuziehen und in der Mitte einen Raum dazuzubauen, damit die Menschen in der Kirche Platz bekamen“ (Ritzkowsky, 1995, S. 1).
So könnte ein Märchen anfangen oder es sich aber tatsächlich einmal zugetragen haben. Die Realität zeichnet heute ein anderes Bild: Beispielsweise in Berlin-Kreuzberg, wo sich die evangelische St. Thomas Gemeinde von 1865 bis 1869 ein gewaltiges Kirchengebäude baute. Ende des 19. Jahrhunderts zählte diese Gemeinde etwa 150.000 Gemeindemitglieder und damit zu den größten Parochien der ganzen Christenheit. Vor zehn Jahren umfasste die Gemeinde 3.000 Mitglieder (vgl. Herden, 1996, S. 2), gegenwärtig beträgt die Anzahl noch circa 1.800 (vgl. Abs., Evangelische St. Thomas Gemeinde, 2005, Internet). Von diesen verbliebenden Gemeindemitgliedern kommt nur ein verschwindend geringer Teil zu den Gottesdiensten, wodurch es hier, wie in den meisten deutschen Großstädten, zu einem zunehmenden Leerstands- und einem damit einhergehenden Nutzungsproblem innerstädtischer Kirchengebäude kommt.
Im Zuge struktureller Veränderungen, insbesondere die durch Entkirchlichungsprozesse in den letzten dreißig Jahren massiv angestiegenen Kirchenaustrittszahlen und die damit verbundenen Mindereinnahmen für die evangelische und die römischkatholische Kirche in Deutschland, offenbarte sich Anfang der 1980er Jahre erstmals in Berlin die Problematik der kaum oder ungenutzten Kirchen. Durch die knapper werdenden Finanzmittel der Kirchen sind die laufenden Betriebskosten und mancherorts die Bauunterhaltung, die für die großen Gebäude aufgewendet werden müssen, nicht mehr vorhanden oder stehen in keinem Verhältnis zur Nutzung. Auf der Suche nach einer Problemlösung zu diesem Missverhältnis stellt sich die Frage, wie Kirchenräume in den Städten bei schrumpfenden Finanzmitteln und abnehmender Gemeindegröße in eine veränderte oder neue Nutzung zu bringen sind.
Dem Handlungsdruck, der durch die veränderten Rahmenbedingungen auf den institutionellen Kirchen lastet, kann nicht wie bei anderen Umnutzungsfragen, wie sie durch Strukturveränderungen in Städten häufig zu beobachten sind, in einfachen Lösungen Raum gegeben werden. Wie im darstellenden Teil dieser Arbeit ausgeführt wird, handelt es sich beim Nutzungswandel von Kirchen, um eine vielschichtige Gesamtproble- matik, da einerseits die evangelische und die katholische Kirche ein besonderes Ver-
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hältnis zu ihren Kirchenräumen und bestimmte Auffassungen bezüglich der äußeren Wahrnehmung ihrer Gebäude haben. Andererseits ist der Nutzungswandel von im Stadtbild und in den Erinnerungen der Bürger verankerten Kirchen ein stark emotional besetztes Thema, wodurch die Umnutzungsdiskussion lebhaft auch von der kirchenfernen Bevölkerung begleitet wird. Da die Auswahl der Nutzungsmöglichkeiten aus diesen Gründen nicht beliebig ist, wurden von den beiden Kirchen Politiken entwickelt, die Anleitung geben sollen, welche Umnutzungsvarianten angemessen, welche ausgeschlossen und welche durch die unterschiedliche Prioritätensetzung zu bevorzugen sind.
Zielsetzung dieser Arbeit ist es, diese beiden Politiken in Theorie und Praxis auf ihre Ausformungen zu untersuchen und durch eine Gegenüberstellung ehemalige und aktuelle konfessionelle Unterschiede aufzuzeigen. Dabei ist es Teil der forschungsleitenden Frage die Anwendbarkeit und die Mängel der einzelnen Herangehensweisen einer genauen Analyse zu unterziehen, um abschließend zu argumentieren, dass aufgrund der heute nahezu deckungsgleichen Politiken der beiden Konfessionen und einer anzunehmenden weiteren Verschärfung der Situation, die Forderung des Europarats von 1989 nach einer auf die Umnutzungsproblematik bezogenen Kooperation von Kirchen, Kommune und Bürgern aktueller denn je ist (vgl. Parliamentary Assembly, 1989, Internet).
Diese Forderung des Europarats an die verschiedenen Akteure zur Zusammenarbeit speist sich auch aus dem außergewöhnlich weitreichenden interdisziplinären Charakter der Diskussion. Nicht nur Theologen, Politiker, kirchennahe und kirchenferne Bürger schalten sich in die Suche nach neuen Nutzungen für alte Kirchen ein, sondern auch Stadtplaner, Denkmalpfleger, Architekten, Historiker, Kunst- und Kulturwissenschaftler haben ihren Anteil an der Debatte. In besonderem Maße findet sich hierbei für Soziologen ein reiches Betätigungsfeld: So müssen nicht nur die Ursachen der Diskussion, vornehmlich die theologische Entkirchlichung, religionssoziologischen und die bevölkerungsbedingte Entkirchlichung, stadtsoziologischen Interpretationen folgen, sondern auch die Kirchen insgesamt müssen als religiöse Institutionen von der Soziologie sorgfältig studiert und ihren Politiken eine Interpretation gegeben werden.
Auch auf dem Land und gegenwärtig vor allem im Osten Deutschlands ist im Zuge der schrumpfenden Städte die Problematik leer stehender und gefährdeter Kirchen nicht unbekannt. Der Nutzungswandel von Kirchen ist aber vor allem ein großstädtisches Phänomen, da sich hier in manchen innerstädtischen Bezirken mehrere Kirchen in un-
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mittelbarer Nähe zueinander finden, sich Entkirchlichungstendenzen früher als auf dem Land einstellten und weitere Gründe, wie Bevölkerungssuburbanisierung und andere siedlungsstrukturelle Veränderungen die Problematik verschärfen. Die Aufzählung verdeutlicht die Sonderbehandlung, die die Diskussion um den Nutzungswandel von Kirchen in der Stadt verdient. Der Fokus dieser Betrachtung der kirchlichen Umnutzungspolitiken liegt daher auf der Situation in den Großstädten, und hierbei im Besonderen auf Berlin, die als erste deutsche Stadt die Nutzungsdiskussion um innerstädtische Kirchengebäude öffentlich führte, da sie schon früh vom Leerstandsproblem betroffen war und dies auch weiterhin in beträchtlichem Umfang ist.
Untersuchungsgegenstand sind die von übergeordneten kirchlichen Ebenen entwickelten Politiken zur Umnutzungsproblematik und die sich daraus in den Städten ableitenden praktischen Ergebnisse der ausführenden Ebene des katholischen Erzbistums Berlin und der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Um einer eventuellen regionalen Einseitigkeit vorzubeugen und gleichermaßen auch die in Berlin vorherrschende protestantisch dominierte Situation auszubalancieren, wurde die Lage beider Kirchen im Ruhrgebiet als Vergleich herangezogen. Es findet allerdings kein Vergleich der Regionen, sondern der Konfessionen statt. Wie die Ergebnisse dieser Untersuchung bestätigen, ist ein solcher regionaler Vergleich auch nicht primär von Nöten, da sich die einzelnen Bistümer und Landeskirchen recht genau an die jeweils vorgegebenen Handlungsempfehlungen halten. Auch wenn die Ergebnisse dieser Abhandlung größtenteils aus Berlin stammen, so kann daher die übergreifende Formulierung von der „katholischen Kirche“ und der „evangelischen Kirche“ gewählt werden. Sollen im Folgenden nicht verallgemeinerbare Befunde vorgestellt werden, ist jedoch stets auf das entsprechende Bistum oder die jeweilige Landeskirche verwiesen.
Die Arbeit gliedert sich in einen ersten theoretischen Teil, in dem die Frage beantwortet werden soll, aus welchen Gründen sich das Phänomen der un(ter)genutzten Kirchen in den letzten zwanzig Jahren herausgebildet hat und warum es noch immer ein drän- gendes Problem darstellt.
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Nach diesem konzentrierten ersten Teil findet sich im zweiten empirischen Teil1Information zur Entwicklung der Debatte und zum Stand der momentanen Situation der Diskussion innerhalb der beiden Kirchen. Bevor anschließend die einzelnen Politiken und deren praktische Umsetzung erläutert werden können, muss auf das für bestimmte Lösungskonzepte nicht unerhebliche konfessionell unterschiedliche Verständnis von Kirchenräumen eingegangen werden. Der abschließenden Interpretation der Politiken folgt eine Beleuchtung der wichtigen Akteurskonstellationen, die dazu beitragen soll, am Ende der Untersuchung auf die Frage nach möglichen zukünftigen Lösungsansätzen Antworten zu geben.
Angewandte Methoden zur Erreichung der angeführten Zielsetzung waren Literaturrecherche sowie teilnehmende Beobachtung. Im Sinne des gewählten akteurszentrierten Ansatzes wurden zu Beginn der Arbeitsphase unstrukturierte und in einer zweiten Runde stärker leitfadengestützte Expertengespräche geführt.
1Siehe infra S. 22.
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Strukturelle Veränderungen, wie die im Zuge der Säkularisierungs- und Entkirchlichungsprozesse gestiegenen Kirchenaustritte und die teilweise dramatische finanzielle Lage in den Bistümern und Landeskirchen, kleinteiliger in den Pfarreien und Parochien, führen dazu, dass vor allem einige der innerstädtischen Kirchengebäude in eine zusätzliche oder gänzlich neue Nutzung überführt werden müssen. Aber auch siedlungsstrukturelle Veränderungen, wie Suburbanisierungs- oder Gentrifizierungs-Prozesse, die im Gegensatz zur theologischen Entkirchlichung als bevölkerungsbedingte Entkirchlichung bezeichnet werden können (vgl. Müller, 1993, S. 84), verursachen einen von den institutionalisierten Kirchen lange verdrängten Handlungsbedarf und tragen ihren Teil zur stadträumlichen Verschiebung durch die veränderte Situation der Religionen bei. Vor allem in den vom Strukturwandel stark betroffenen Großstädten wie Berlin und städtischen Regionen wie dem Ruhrgebiet, überall dort, wo sich negative Faktoren und Entwicklungen konzentrieren, offenbart sich heute in vollem Umfang das lange vernachlässigte Problem der nicht mehr oder nicht ausreichend genutzten Kirchengebäude.
Bevor auf die forschungsleitende Frage eingegangen werden kann, welche Politiken die evangelische und die katholische Kirche zur Lösung dieses Problems verfolgen, wird zuerst versucht, einiges zur Klärung der eigentlichen Ursachen zur Aktualität und Brisanz der Fragen nach Erhalt und Nutzung von Kirchengebäuden beizutragen. Die im Folgenden einführend dargelegten Ursachen sind Gegenstand separater Untersuchungen und stellen allesamt für sich alleine genommen enorme Herausforderungen für die institutionellen Kirchen in der Großstadt dar. In diesem Sinne ist die Diskussion um den anstehenden oder schon vollzogenen Nutzungswandel einiger Kirchen nur die Spitze eines großen Berges an sich selbst eigenständiger Probleme.
2.1.1Der strukturelle religiöse Wandel in der Gesellschaft und seine Folgen: Die theologische Entkirchlichung
Beschäftigt man sich mit der Frage nach dem Strukturwandel von Kirche und Gesellschaft, wird schnell deutlich, dass in allen modernen Gesellschaften Europas ähnliche Tendenzen ausgemacht werden können, auch wenn Art und Ausmaß des sozialen
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Wandels von Land zu Land verschieden sind. Im Umgang mit Religion muss für Westeuropa, insbesondere für Deutschland, ein einschneidender religiöser Wandel durch den Verlust religiöser Bindungen in der Gesellschaft konstatiert und demzufolge die Frage aufgeworfen werden, welchen Veränderungen die Faktoren unterlagen, die Jahrhunderte lang eine große Zahl an Menschen an den Glauben binden konnten. Wie ist es zu deuten, dass die Traditionsvermittlung in der Moderne, also die Weitergabe religiöser Überzeugungen in der Generationenabfolge, vor allem in den westlichen Ländern innerhalb kürzester Zeit zum Erliegen kam?
Dass Modernisierungstendenzen Religion zumindest nicht negativ beeinflussen müssen, zeigt das Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika. Als Argumente für die dortige Entwicklung dienen die strengere Trennung von Kirche und Staat und eine daraus resultierende stärkere Pluralisierung des religiösen Feldes. Die Konkurrenzsituation stärkt die einzelne Religionsgemeinschaft, die sich auch leichter in der Moderne zurechtfindet, wenn sie nicht wie eine volkskirchliche Gemeinschaft staatlich privilegiert ist (vgl. Abs., Pollack, 2003, S. 81f). Das nordamerikanische Paradigma zeigt, dass sich Religion an gesellschaftliche Veränderungen anpassen konnte und umgekehrt „der Effekt von Etabliertheit und religiösem Monopol, wie sie in Europa existiert haben, (..) die Anpassungsfähigkeit von Religion an sozialen Wandel, vor allem an die Industriestadt“ hemmte (Martin, 1990, S. 295, zit. n. Bergunder, 2001, S. 237).
Es ist nicht Anliegen dieser Arbeit, die US-amerikanische Religions- und Sozialgeschichte mit der europäischen zu vergleichen. Vielmehr soll, im Sinne einer Ursachen-forschung und mit besonderem Augenmerk auf die Situation in Deutschland gerichtet, anhand der historischen Veränderungen durch die Säkularisierungsprozesse der strukturelle religiöse Wandel in der hiesigen Gesellschaft als Ausgangspunkt der Kirchennutzungsdiskussion gedeutet werden. Aus soziologischer Sicht ist diesbezüglich der nachfolgende Prozess der Entkirchlichung von besonderer Relevanz. Die Prozesse der religiösen Individualisierung und Pluralisierung als zusätzliche neuzeitliche Herausforderung für die institutionalisierten Kirchen in der Großstadt sind nicht Teil der hier vorgestellten Thematik.
Nicht etwa der Verschleiß religiöser Symbole oder Formen kann nach Luhmann für die vollzogene Säkularisierung der Gesellschaft verantwortlich gemacht werden, sondern die funktionale Differenzierung charakterisiert übereinstimmend den Strukturwandel im
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religiösen Feld moderner Gesellschaftssysteme (vgl. Luhmann, 1982, S. 228). Das Strukturmodell der funktionalen Differenzierung versucht den Umstand zu beschreiben, dass sich in einem fortlaufenden historischen Prozess einzelne gesellschaftliche Bereiche zunehmend unabhängiger von einander zeigten und sich aus ihrem Verhältnis zur Religion zu lösen begannen. Auf individueller Ebene „hat dieser Prozess der funktionalen Differenzierung zur Folge, dass der Bezug auf allgemeine, die Gesamtgesellschaft übergreifende Werte entbehrlich wird“ (Pollack, 2003, S. 144).
Aber schon vor der vollständigen Durchsetzung funktionaler Differenzierung in der Gesellschaft konnten erste Zerfallserscheinungen, der im Mittelalter, vor allem ab dem Niedergang des Römischen Reiches, nicht nur in religiösen Fragen, sondern mit universeller Deutungsmacht ausgestatteten Kirche beobachtet werden: „[J]edes Element der alten Struktur wurde von einer besonderen Institution, Sekte oder Gruppe übernommen“ (Mumford, 1979, S. 432). So war die Kirche selber lange Zeit niemals vom Gemeinwesen getrennt oder zu trennen, nun aber bildeten sich städtische Institutionen aus, deren Aufgaben vorher von der Kirche bestimmt wurden. Im Sinne einer Emanzipation der Kultur konnten von nun an auch Architekten, Maler und Schauspieler nicht mehr nur unter dem kirchlichen, sondern auch unter dem Patronat des Adels arbeiten (vgl. Mumford, 1979, S. 433). Kaufmann betont diesbezüglich, dass sich in den damals feudalistisch geprägten Gesellschaften mit ihren Tradierungsprozessen für den Einzelnen wenig Sinn für „spekulatives Denken“ (Kaufmann, 2004, S. 115) bot und es daher im Hochmittelalter vielmehr die Städte waren, die der dortigen Bevölkerung ein breites Angebot an Handlungsmöglichkeiten offerierten und damit „eine stärkere Diesseitsorientierung und Individualisierung der Lebensbezüge anstießen“ (Kaufmann, 2004, S. 115).
Erst aber mit dem Voranschreiten der Modernisierungstendenzen, also vor allem während des 19. Jahrhunderts, wurde in der früher agrarisch und hierarchisch aufgebauten Gesellschaft ein funktional ausdifferenziertes und durchgängiges Ordnungssystem entwickelt. Insbesondere die von Weber hervorgehobenen gesellschaftlichen Teilsysteme, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, haben in ihrer Wirkung als Rationalisierungsprozesse besondere Auswirkungen auf Religion und Familie, die sich infolge als eigenständige Lebensbereiche institutionalisierten. Diese okzidentalen Rationalisierungsprozesse verursachten (um weiter mit Weber zu sprechen) die Entzauberung der Welt, also den epochalen Bedeutungsverlust der Religion. Für andere Autoren wie Jagodzinski und Dobbelaere ist es die funktionale Differenzierung, die Religion schließ- lich mehr und mehr zurückdrängt und zu einem Subsystem unter vielen anderen macht