Die Psoas-Lösung - Evan Osar - E-Book

Die Psoas-Lösung E-Book

Evan Osar

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Beschreibung

"Die Psoas-Lösung" bespricht umfassend die Funktion des Psoas-Muskels bei Haltung, Bewegung und sportlicher Betätigung. Es hebt die funktionale Anatomie, Biomechanik und motorische Kontrolle des Psoas und seine Rolle bei der Core und Hüftstabilisierung hervor. Das durchgängig reich mit farbigen Abbildungen illustrierte Buch liefert zudem eine vollständige Übersicht über verfügbare relevante Forschungsergebnisse zum Psoas. Evan Osar, der diese Forschungsergebnisse mit seiner klinischen Erfahrung verbindet, definiert die Rolle des Psoas für Hüfte, Becken und unteren Rücken und demonstriert, wie dieser Muskel in funktionale Bewegungsmuster eingebaut werden kann, dazu gehören Hocke, Ausfallschritt und Beugung. "Die Psoas-Lösung" enthält schrittweise Übungen zur Korrektur und Verbesserung der Funktionalität, um den Psoas in Alltagsaktivitäten wie Sitzen und Stehen zu integrieren. Für Angehörige der Berufsgruppen aus Gesundheit und Fitness eine wertvolle Quelle von anwendbaren Strategien und Übungen, die sie in ihre aktuellen Rehabilitations- und Trainingsprogramme aufnehmen können.

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Evan Osar

Die

Psoas

Lösung

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Copress Verlag erschienenen Printausgabe (ISBN 978-3-7679-1220-5).

Copyright © 2017 by Evan Osar. All rights reserved.

First published in 2017 by Lotus Publishing, Chichester,

and North Atlantic Books, Berkeley, California

Titel der Originalausgabe: The Psoas Solution:

The Practitioner’s Guide to Rehabilitation, Corrective

Exercise, and Training for Improved Function

Illustrationen: Amanda Williams, Matt Lambert

Fotos (die Seitenangaben beziehen sich auf die Printausgabe): Shutterstock (S. 23, 47, 51, 65, 68, 93, 94, 103, 126, 129, 142, 143, 144, 150, 154, 178, 180, 196). Wenn nichts anderes angegeben ist, stammen alle übrigen Fotos vom Autor.

Hinweis: Die vorliegende Publikation wurde geschrieben und publiziert, um genaue und maßgebliche Informationen zu dem vorgestellten Thema zur Verfügung zu stellen. Publikation und Verkauf erfolgen unter der Voraussetzung, dass die Autoren und der Verlag durch ihre Autorenschaft oder die Publikation dieses Werkes keine rechtlichen, medizinischen oder anderweitigen professionellen Dienstleistungen übernehmen. Falls medizinische oder sonstige fachliche Hilfe benötigt werden, sollten die Dienste einer kompetenten Fachkraft in Anspruch genommen werden.

Unterstützt wurde die Veröffentlichung von der Society for the Study of Native Arts and Sciences, einer gemeinnützigen Bildungseinrichtung mit Sitz in Berkeley, Kalifornien, die mit Partnern zusammenarbeitet, um interkulturelle Perspektiven zu entwickeln, ganzheitliche Sichtweisen auf Kunst, Wissenschaft, Geisteswissenschaften und Heilung zu pflegen sowie persönliche und globale Transformation durch Veröffentlichungen über die Beziehung von Körper, Geist und Natur zu fördern.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter

http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2018 der deutschen Ausgabe

Copress Verlag in der Stiebner Verlag GmbH, Grünwald

Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise,

nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.

Übersetzung aus dem Englischen:

Christa Trautner-Suder, Dr. Iris Klofat (Fachberatung)

Satz und Redaktion der deutschen

Printausgabe: Verlags- und Redaktionsbüro München,

www.vrb-muenchen.de

ISBN 978-3-7679-2070-5

www.copress.de

Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Vorwort

Abkürzungen

Einleitung

Kapitel 1

Funktionelle Anatomie des M. psoas

Ursprünge und Ansätze des M. psoas

Gelenkbewegung und -zentrierung

Funktionelle Anatomie des M. psoas

Kapitel 2

Dreidimensionale Atmung

Anatomie der dreidimensionalen Atmung

Biomechanik der dreidimensionalen Atmung

Beckenkippung

Entwicklung der dreidimensionalen Atmung

Häufige Atmungsdysfunktionen

Kapitel 3

Stabilisierung des Thorax-Beckenzylinders (TPC)

Core-Anatomie

Core-Stabilisierung

Training der motorischen Kontrolle und korrektive Übungen

Happy Baby

Heel Drop

Pull-over

Pull-over mit Heel Drop

Abgewandelter Dead Bug

Abgewandelter Wall Plank (Wandstütz)

Abgewandelter Wall Plank mit Hüftbeugung

Knee Pull-in (Knieanziehen) mit Ballunterstützung

Häufige Anzeichen für eine Dysfunktion beim Knee Pull-in mit Ballunterstützung

Kapitel 4

Squat und Deadlift

Einleitung

Verbesserung der Hüftstreckung während Squatting und Deadlifting

Verbesserung der Funktion von M. psoas und den Gesäßmuskeln während Squatting und Deadlifting

Squat

Split Squat (Einseitige Kniebeuge)

Split Squat mit angehobenem hinterem Bein

Single Leg Squat (Einbeinige Kniebeuge)

Deadlift (Kreuzheben)

Kapitel 5

Ausfallschritt (Lunge)

Einleitung

Ausfallschritt nach vorne

Ausfallschritt nach hinten

Weitere Steigerungen des Ausfallschritts

Kapitel 6

Beugung

Einleitung

Vorbeuge

Hip Hinge (Hüftbeugung)

Roll-up

Seitbeuge

Carrying-Bewegungsmuster (Trageübungen)

Kapitel 7

Streckung (Extension) von Wirbelsäule und Hüfte

Einleitung

Prone Lengthen (Verlängern in Bauchlage)

Rückbeuge

Hip Hinge Bridge

Marching Bridge und Single-leg Hip Hinge Bridge

Hip Thrust (Hüftstoß)

Bird-Dog

Side Lying Iso Hip Extension

Den Psoas dehnen

Schlussbetrachtung

Anhang

I:Beurteilung des Psoas

II:Beurteilung der neutralen Ausrichtung und der Haltung

III:Aufhängung

IV:Der Beckenboden und seine Beziehung zum Psoas

V:Die Rolle des Psoas beim femoro-acetabulären Impingement (FAI) und bei Pathologien des Labrum glenoidale der Hüfte

VI:Sitzen

VII:Korrektive Übungen

Glossar

Bibliographie

Dieses Buch ist all den wunderbaren Menschen gewidmet, die mir Gelegenheit gaben, zu experimentieren, zu entdecken und vor allem zu lernen.

Danke, dass Sie mir Ihre Gesundheit anvertraut haben.

Danksagung

Ich möchte mich bedanken bei:

Meinem Herausgeber Jon – es ist eine Freude, mit dir zu arbeiten, und es ist ein großes Glück für mich, dir beruflich verbunden zu sein. Danke für die Chancen und die kreative Freiheit, meine Botschaft niederschreiben und weitergeben zu können.

Gretchen — ich glaube nicht, dass es deine Absicht war, mein Coach zu werden, nachdem du mein erstes Buch konstruktiv kritisiert hattest, dennoch kam es dazu, nachdem du mir bei der Ordnung meiner vielen Einzelideen und -gedanken und deren Formulierung geholfen hast, sodass andere hoffentlich daraus etwas lernen und Kompetenz erwerben werden. Danke für deine Anleitung, deine freundliche (und zeitweise auch weniger freundliche) Ermutigung und deine unerschütterliche Unterstützung in den letzten Jahren. Durch unsere Zusammenarbeit hat sich meine Art zu schreiben und zu lehren für immer verändert.

Meiner unglaublich liebevollen und unterstützenden Frau Jenice – du gibst mir jede Unterstützung, du bist mein Fels in der Brandung und forderst mich jeden Tag dazu heraus, mein Bestes zu geben. Du bereicherst jeden einzelnen Tag meines Lebens, weil du ein Teil davon bist.

Ich glaube, für lebenslanges Lernen und Wachsen braucht es Demut. Wenn man sich selbst als klüger oder wissender als alle anderen betrachtet, wird es einem an dem Anreiz fehlen, sich die klügsten Menschen im gewählten Tätigkeitsbereich zu suchen und von ihnen zu lernen. Ich möchte einige wenige der vielen brillanten Menschen nennen und mich bei ihnen bedanken, mit denen ich die Ehre hatte, zu studieren und von ihnen im Lauf der Jahre zu lernen. Diese Personen sind einige der wahren Genies in dieser Branche, und wenn ich von ihnen lerne, werde ich immer wieder an das berühmte Zitat von Sir Isaac Newton erinnert: »Dass ich weiter blicken konnte, war nur möglich, weil Größere mich auf ihre Schultern genommen haben.« Auch wenn die folgende Liste keinesfalls vollständig ist, gehören zu diesen Personen: Dr. Linda-Joy Lee, Diane Lee, Shirley Sahrmann, Karel Lewit, Vladimir Janda, Pavel Kolar und die Lehrer der Prager Schule Dr. Paul Hodges, Gwendolyn Jull, Carol Richardson, Julie Hides und Sean Gibbons. Die Möglichkeit, von diesen Persönlichkeiten zu lernen, lässt mich demütig bleiben. Ihre Beiträge sind im gesamten Buch spürbar.

Evan Osar

Vorwort

Wenn Sie dieses Buch gekauft oder als Geschenk erhalten haben, gehören Sie wahrscheinlich in eine der beiden folgenden Kategorien:

1.Sie sind Chiropraktiker, Arzt, Physiotherapeut, Fitnessexperte oder manueller Therapeut und arbeiten mit Menschen, die Probleme mit dem unteren Rücken, dem Becken und/oder der Hüfte haben, von denen Sie annehmen, dass sie mit dem Psoas-Muskel zusammenhängen.

Ich hoffe, dass dieses Buch Ihren aktuellen Wissensstand erweitern wird und, was noch wichtiger ist, Ihnen einige praktische Informationen liefern wird, die Ihnen bei der Arbeit mit den Klienten oder Patienten mit chronischen Haltungs- und Bewegungssyndromen in Zusammenhang mit dem Psoas-Muskel helfen werden sowie bei Ihrer Arbeit mit Personen, die ihren Körper weiterhin auf hohem Funktionsniveau halten wollen.

2.Sie leiden unter chronischen Problemen im unteren Rücken, im Bereich von Becken und Hüfte, und Ihr Chiropraktiker, Arzt, Physiotherapeut, Fitnessexperte oder Masseur hat Ihnen gesagt, die Ursache für Ihre Probleme sei der Psoas-Muskel.

Ich hoffe, Sie werden dieses Buch hilfreich finden. Auch wenn ich jedoch alle Methoden und Strategien, die hier vorgestellt werden, bei meinen eigenen Patienten anwende, kann ich leider nicht dafür garantieren, dass Sie die Lösung für Ihr individuelles Problem in diesem Buch finden werden. Ihr Gesundheitsberater kann feststellen, ob die Informationen in diesem Buch für Ihre Situation anwendbar sind. In diesem Fall und wenn Sie gewissenhaft sind, Geduld haben und die für Sie relevanten Informationen nutzen, wird Ihnen dieses Buch hoffentlich helfen, eine optimalere Haltung und optimalere Bewegungsgewohnheiten zu entwickeln.

Über »Die Psoas Lösung«

Das vorliegende Buch präsentiert eine Zusammenstellung der aktuell verfügbaren Informationen über den M. psoas, in Verbindung mit klinischen Nachweisen und praktischen Anwendungsbeispielen. Die Absicht ist nicht, Ihnen schnelle Lösungen für Ihre eigenen bzw. die Haltungs- oder Bewegungsdysfunktionen Ihrer Klienten/Patienten oder für chronische Probleme im unteren Rücken, Becken und/oder der Wirbelsäule zu bieten. Wie im echten Leben ist die Entwicklung einer optimaleren Haltungs- oder Bewegungsstrategie oder die Verbesserung chronischer Probleme eher der Weg als das Ziel. Die Lösung findet sich auf diesem Weg, bei der Entdeckung eigener Gewohnheiten und dem Erkennen wirksamer Strategien mit dem Ziel einer optimalen Haltung und Bewegung. Auch wenn dieser Weg häufig ein erfolgreiches Ende findet, führt er nicht immer zum Erreichen der Gesundheits- und Fitnessziele, die man sich gesteckt hat oder zu einer völligen Beseitigung von Verhärtungen, Schmerzen oder Dysfunktionen.

Erfolge bei der Verbesserung der Haltung, der Bewegung und der gesamten Gesundheit spiegeln – genau wie Misserfolge – häufig das eigene Leben wider. Sie sind das Ergebnis einer komplexen und miteinander verwobenen Reihe von Faktoren. Optimale Gesundheit und Funktion sind, anders ausgedrückt, häufig eine Kombination vieler Faktoren und hängen nicht immer mit den Dingen zusammen, die oberflächlich als ursächlich erscheinen.

Die Haltungs- und Bewegungsstrategie einer Person sowie ihre nicht-optimalen Gewohnheiten, die zu ihrer muskuloskelettalen Dysfunktion beitragen, hängen immer mit vielfältigen Faktoren zusammen wie (aber nicht beschränkt auf) ihrer Krankheitsgeschichte, der Art Ihrer Beschäftigung, Ihrem Aktivi-tätsniveau, Ihren Ruhezeiten, Erholungsphasen, Ihrem Sport (oder dessen Fehlen), Ihrer Ernährung und genetischen Veranlagung. Ebenso werden sie durch vielfältige psychosoziale Faktoren beeinflusst wie Emotionen, Motivation, Zielsetzung, Überzeugungen und dem Vorhandensein oder Fehlen eines unterstützenden Systems. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, umfassend zu ermitteln, was letztlich der Auslöser für die Probleme einer Person ist, körperlich, physiologisch oder psychisch, oder was bei manchen Menschen verhindert, dass sie ihre persönlichen Ziele hinsichtlich ihrer Gesundheit oder Fitness erreichen, um dann zu bestimmen, mit welcher Art von Therapeut sie am besten arbeiten sollten.

Dieses Buch verfolgt drei Ziele:

1.Es soll Ihnen helfen, die funktionelle Anatomie des M. psoas und dessen Verbindung mit Haltung und Bewegung zu entdecken sowie wahrzunehmen.

2.Es soll Ihnen helfen, die häufigen Anzeichen zu erkennen und zu besprechen, die mit einem nicht-optimalen Einsatz des M. psoas bei Haltung und Bewegung verbunden sind.

3.Es soll ein korrektives und fortschreitendes Übungsprogramm entwickelt werden, das sich auf das Muskelsystem stützt und die drei Schlüsselprinzipien einbindet, die mit der Entwicklung und dem Erhalt einer optimalen Haltung und Bewegung verbunden sind.

Wenn Sie beruflich auf dem Gesundheits- oder Fitness-Sektor tätig sind, werden Sie in diesem Buch wahrscheinlich etwas entdecken – hoffentlich sogar mehrere Dinge –mit denen Sie Ihren Klienten oder Patienten dabei helfen können, ein positives Ergebnis zu erzielen. Durch das Verständnis und die Anwendung der Begriffe und Prinzipien, die im vorliegenden Buch besprochen werden sowie durch deren Einbindung in Ihren aktuellen Behandlungsansatz, mit dem Sie bereits Erfolg hatten, werden Sie zweifellos vielen Personen dabei helfen können, eine optimalere Haltungs- und Bewegungsstrategie zu entwickeln, sodass diese ihre Gesundheits- und Fitnessziele erreichen können.

Falls Ihnen persönlich gesagt wurde oder Sie vermuten, dass Sie ein Problem mit dem Psoas-Muskel haben und Sie dieses Buch entweder geschenkt bekommen oder sich selbst in der Hoffnung gekauft haben, darin Hilfe zu finden, sollte Ihnen klar sein, dass die darin enthaltenen Informationen zumindest Grundkenntnisse der Anatomie und der Übungen voraussetzen. Versuchen Sie keine der Übungen, ohne vorherige Absprache mit Ihrem Gesundheitsberater, damit Sie wissen, dass die Information für Ihre persönliche Situation auch geeignet und anwendbar ist. Ich hoffe, dass dieses Buch Sie auf dem Weg zur Erreichung Ihrer persönlichen Gesundheits- und Fitnessziele unterstützen wird.

Packen wir es an …

Abkürzungen

APT

anterior pelvic tilt (Rotation des Beckens nach vorne)

CES

corrective exercise strategy (korrektive Übungsstrategie)

DDD

degenerative disc disease (degenerative Bandscheibenerkrankung)

DJD

degenerative joint disease (degenerative Gelenkerkrankung/Arthrose)

DMS

deep myofascial system (tiefes myofasziales System)

EMG

Elektromyographie

FAI

femoro-acetabuläres Impingement

FPR

frontal plane rotation (Rotation in der Frontalebene)

GERD

gastroesophageal reflux disease (Refluxkrankheit)

GMax

M. gluteus maximus

GMin

M. gluteus minimus

GMed

M. gluteus medius

ITB

iliotibiales Band (Tractus iliotibialis)

IMSTM

Integrative Movement SystemTM

LBP

low back pain (Schmerzen im unteren Rücken)

PMj

M. psoas major

PMn

M. psoas minor

PPT

posterior pelvic tilt (Rotation des Beckens nach hinten)

SIAS

Spina iliaca anterior superior

SIPS

Spina iliaca posterior superior

SMS

superficial myofascial system (oberflächliches myofasziales System)

SPR

sagittal plane rotation (Rotation in der Sagittalebene)

TFL

M. tensor fasciae latae

TLJ

thoracolumbar junction (thorakolumbaler Übergang)

TPC

thoracopelvic cylinder (Thorax-Beckenzylinder)

TPR

transverse plane rotation (Rotation in der Transversalebene)

Einleitung

»Ich habe nie zugelassen, dass meine Ausbildung schwerer wiegt als meine Erfahrung.«

Mark Twain (zugeschrieben)

Ich erinnere mich noch so genau daran, als sei es gestern gewesen. Vor etwa 18 Jahren, zu Beginn meines ersten oder zweiten Praxisjahres, arbeitete ich mit einer beachtlichen Anzahl von Chicagos Profi-Tänzern im Rahmen meines ersten Jobs nach Abschluss der Chiropraktikerschule – mit Mitgliedern von Hubbard Street Dance Chicago, der Joffrey Ballet Company und mehreren kleineren professionellen Tanzensembles. Eine Voraussetzung für einen eindringlichen und schönen Tanz ist der volle – und häufig auch übermäßige – Bewegungsumfang in der Hüftstreckung, um typische Positionen wie die Arabesque und das Grand battement ausführen zu können. Wenn ich die Tänzer, die zu mir kamen, fragte, auf welchen Bereich ich mich während der Behandlungssitzung konzentrieren sollte, waren die Hüftbeuger übereinstimmend der häufigste Bereich, in dem sie über Verhärtungen klagten und mehr Flexibilität brauchten.

In der Ausbildung hatte ich etwas über das untere gekreuzte Syndrom gelernt – eine Haltung, die durch eine übermäßige Kippung des Beckens nach vorne und eine erhöhte Lumballordose gekennzeichnet ist. Auf diesen Begriff wurde in praktisch jedem Artikel eingegangen, den ich über Schmerzen im unteren Rücken las sowie in Fortbildungen, an denen ich teilnahm. Ich führte die Befunderhebungen so durch, wie ich sie in der Ausbildung und in den verschiedenen Fortbildungen gelernt hatte, dabei stellte ich bei jedem Tänzer eine Kippung des Beckens nach vorne und eine Hyperlordose fest.

Ich war überzeugt davon, für die Hüftprobleme dieser Tänzer eine Lösung zu haben: eine Dehnung der Hüftbeuger (insbesondere des M. psoas, denn dies war, wie ich gelernt hatte, der Muskel, der am häufigsten für eine Verhärtung im vorderen Hüftbereich verantwortlich ist) und eine Kräftigung der Gesäßmuskeln. Schließlich hatte ich gelernt, dies sei »die Patentlösung« für das untere gekreuzte Syndrom und für die häufigsten Ursachen von Schmerzen im unteren Rücken. Wenn ich den Thomas-Handgriff durchführte (siehe Anhang I: Untersuchung des M. psoas), bekam ich jedoch häufig gemischte Informationen. Beim Thomas-Handgriff würde man erwarten, einen verkürzten M. psoas zu finden, wenn die Person eine Kippung des Beckens nach vorne und eine Hyperlordose in der Lendenwirbelsäule aufweist. Das entsprach jedoch nicht meinen Befunden: Im Gegensatz zu dem, was ich gelernt hatte, wies beinahe jeder Tänzer, den ich untersuchte, einen verlängerten M. psoas auf.

Da ich noch zu wenig klinische Erfahrung hatte, auf die ich mich stützen konnte, und viel zu großes Vertrauen in meine Untersuchung der Haltung und die Selbsteinschätzung der Tänzer, die ihre Hüftbeuger als »wirklich fest« empfanden, nahm ich an, ich würde etwas übersehen und ließ sie weiterhin den Psoas-Muskel und die anderen Hüftbeuger dehnen. Zusätzlich ließ ich sie Übungen für den M. gluteus maximus zur Kräftigung der »schwachen« und »inhibierten« Antagonisten des M. psoas durchführen. Soweit ich es zur damaligen Zeit beurteilen konnte, hatte ich mit diesem Vorgehen gemischte Erfolge. Einige Tänzer fühlten sich anschließend großartig und wollten diese Behandlung fortsetzen, andere jedoch berichteten über vermehrte Verhärtungen im hinteren Hüftbereich und im unteren Rücken. Ich schrieb dies der Tatsache zu, dass wir die Muskeln wahrscheinlich nicht ausreichend gedehnt oder gekräftigt hatten und dass sie wohl noch ein oder zwei weitere Behandlungen brauchten.

Leider wandte ich diese Strategie eines Tages bei einer Tänzerin mit chronischen Verhärtungen in der Hüfte und Missempfindungen im unteren Rücken an, worauf sie nach der Behandlung vermehrte Beschwerden im unteren Rücken hatte. Sie konnte an diesem Abend nicht auf die Bühne, und es dauerte Wochen, bis sie nach der Behandlung wieder tanzen konnte. Überflüssig zu sagen, dass sie in der Folge kein großes Vertrauen in meine Dienste hatte. In meiner Privatpraxis begannen mehr und mehr Patienten, ähnliche Geschichten zu berichten. Ich erinnere mich etwa in dieser Zeit an die Fälle von zwei Patienten, die das Gefühl hatten, nach der Behandlung, bei der ich ihren M. psoas gedehnt hatte und sie die Bauch- und Gesäßmuskeln kräftigen ließ, ihr Rücken sei »ausgerenkt«. Bei all dem, was ich gelernt hatte, hätte so etwas nach dem altbewährten Behandlungsprotokoll nicht geschehen dürfen.

Wenn ich heute zurückblicke, ist mir klar, wo das Problem lag: Ich sah nur das, was ich zu sehen gelernt hatte. Wie Ralph Waldo Emerson einmal sagte: »Die Menschen sehen nur das, worauf sie vorbereitet sind.« Heute kann ich im Rückblick erkennen, dass ich gar keine Kippung des Beckens nach vorne und keine lumbale Hyperlordose gesehen hatte – das also, wonach zu suchen ich gelernt hatte und weswegen ich es zu sehen meinte. (Anmerkung: In diesem Buch werde ich besprechen, was ich bei diesen Tänzern und vielen meiner Patienten tatsächlich gesehen habe und warum so viele Personen mit Beschwerden zu uns kommen, die sich deutlich von dem unterscheiden, was wir einmal gelernt haben.)

Darüber hinaus versuchte ich, jeden individuellen Patienten – und ich betone das Wort individuell – in ein Behandlungsschema zu pressen, anstatt wirklich zu verstehen, was ich bei meinen Tänzern und anderen Patienten vor mir sah (einen verlängerten M. psoas und verlängerte Hüftbeuger), um dies angemessen anzugehen.

Ich hatte also zugelassen, dass meine Ausbildung schwerer wog als meine Erfahrung. Hätte ich dieses Zitat gekannt – und vor allem seine Bedeutung wirklich verstanden – hätte ich bei den Tänzern und Patienten, die ich vor vielen Jahren behandelte, einen anderen Ansatz gewählt. Nichts kann die Bedeutung der klinischen oder praktischen Erfahrung wirklich ersetzen… außer vielleicht die Lektionen, die man aus diesen Erfahrungen lernen muss. Um ehrlich zu sein ist das Konzept einer stärkeren Kippung des Beckens nach vorne und einer Lumballordose als Ursache für Probleme im unteren Rücken und den Hüften sowie eine Fülle anderer Dysfunktionen heute noch ebenso vorherrschend in der Rehabilitation und dem Training wie vor vielen Jahren.

Seit diesen frühen Tagen, in denen ich selbstkritisch überlegte, ob ich jemals gut genug sein und genug wissen würde, um anderen tatsächlich helfen zu können, bin ich sehr viel aufgeschlossener und mit größerer Demut an meine Arbeit herangegangen. Jeder Einzelne, der sich vertrauensvoll von mir behandeln und betreuen lässt, wird von mir fortwährend neu eingeschätzt, behandelt und/oder trainiert. So glücklich ich auch bin, dass ich vielen helfen kann, ihre Gesundheits- und Fitnessziele zu erreichen, interessiere ich mich noch sehr viel mehr für diejenigen, denen ich nicht helfen kann – den Personen, deren Zustand sich eigentlich verbessern sollte und die alles Nötige für eine Besserung tun, aber dennoch weiterhin eine chronische Dysfunktion aufweisen, die sie daran hindert, ihre Gesundheits- und Fitnessziele zu erreichen.

Wir werden für unsere Erfolge anerkannt, aber wir lernen aus unseren Misserfolgen. Jeder einzelne Tag, an dem ich praktiziere, ist ein Tag des Lernens. Jeden Tag erfahre ich Anerkennung … und jeden Tag bieten sich mir Gelegenheiten, weiter zu lernen. Wenn es mir nicht gelingt, einem Patienten zu helfen, lasse ich mich auf einen neuen Weg der Entdeckung und des Lernens ein.

Dieses Buch ist tatsächlich eine »klinische Momentaufnahme« der Lektionen, die ich während der Jahre meiner Berufspraxis gelernt habe, in denen ich mit tausenden von Personen gearbeitet habe, die Dysfunktionen im unteren Rücken, im Becken und in den Hüften aufwiesen. Mangels eines besseren Begriffs ist dieses Buch auch ein Kompendium der Herangehensweisen, die wir in unserer Klinik üblicherweise bei einem Patienten mit Dysfunktionen des Rückens, des Beckens und der Hüften befolgen – nicht nur bei Athleten und Personen, die körperliche Höchstleistungen erbringen müssen.

Wie ist dieses Buch aufgebaut und wie kann es Ihnen helfen? Das Buch soll eine Geschichte über den Psoas-Muskel erzählen, dabei baut jedes Kapitel auf den Inhalten des vorherigen Kapitels auf. Dennoch enthält jedes Kapitel genügend praktische Informationen, sodass Sie sich über das jeweilige Thema informieren können, auch wenn Sie ein Kapitel überspringen wollen. Falls Sie ein Kapitel übersprungen haben und sich nun Fragen zu den Übungen ergeben, sollten Sie jedoch auf jeden Fall die vorherigen Kapitel lesen, insbesondere das Kapitel 1 zur funktionellen Anatomie, um etwaige Lücken zu schließen, die in späteren Kapiteln möglicherweise auftauchen.

Wie erwähnt befasst sich Kapitel 1 mit der funktionellen Anatomie, d.h. mit den Ansätzen des Psoas-Muskels an Knochen und Faszien und auf der Grundlage dieser Architektur mit der wahrscheinlichsten Funktion dieses Muskels bei Haltung und Bewegung. In diesem ersten Kapitel werden auch mehrere verbreitete Ansichten über den Psoas-Muskel angesprochen. Wenn beispielsweise der M. psoas ein reiner Hüftbeuger ist, warum setzt er dann an allen Wirbelkörpern von T11 bis L5 an und warum hat er Faszienverbindungen mit dem Zwerchfell, dem M. transversus abdominis und dem Beckenboden? Wenn der Psoas bei der Beckenbewegung eine Rolle spielt, welchen Hinweis geben dann die Ansätze des Muskels an der Vorderseite des Beckens auf seinen wirklichen Einfluss auf die Beckenbewegung? Auf der Grundlage seiner Anatomie und der heute vorliegenden klinischen Forschung werde ich erklären, dass die Funktion des M. psoas deutlich vielfältiger als bei einem reinen Hüftbeuger ist, und ich werde begründen, warum er nicht zur Kippung des Beckens nach vorne beiträgt. Zusätzlich werde ich kurz besprechen, wie die Funktion des M. psoas synergistisch mit mehreren Muskeln des Rumpfes, der Wirbelsäule, des Beckens und des Hüftkomplexes verbunden ist einschließlich der Mm. multifidi, des M. iliacus und des M. gluteus maximus.

Es gibt eine anhaltende Diskussion über den Begriff der Core-Stabilisierung und deren Beitrag sowohl zur Wirbelsäulenstabilisierung als auch zur Gesamtleistung. Diese Diskussion konzentriert sich weniger darauf, ob die Core-Stabilität wichtig ist oder nicht, sondern darauf, welche Muskeln für sie am wichtigsten sind und mit welcher Strategie die ideale Core-Stabilität am besten erreicht wird. Auch wenn dies bei den Diskussionen häufig unberücksichtigt bleibt, ist die dreidimensionale Atmung bei der Entwicklung und dem Erhalt einer optimalen Strategie zur Core-Stabilisierung eine wichtige Komponente. In Kapitel 2 bespreche ich den Begriff der dreidimensionalen Atmung und die Rolle des Psoas bei der Stabilisierung des Rumpfes, der Wirbelsäule und des Beckens während der Atmung. Es gibt keine Forschungsarbeit, die sich mit der Rolle des Psoas in Bezug auf die Atmung befasst, aber in Anbetracht seiner Faszienverbindungen zum Zwerchfell und zum Beckenboden nehme ich mir die Freiheit zu behaupten, dass der Psoas bei der Atmung und der Core-Stabilität wahrscheinlich eine wichtige Rolle spielt. Kapitel 3 gibt eine Einführung in die Entwicklung einer effizienten Strategie zur Core- und Hüft-Stabilisierung, basierend auf der neuesten Forschung zu diesem Thema und nennt Beispiele, wie wir diese Konzepte in die Übungsprogramme unserer Patienten einbinden können.

Letztlich liegt der Schlüssel zu einer erfolgreichen Verbesserung der Psoas-Funktion in der Fähigkeit, diesen Muskel in grundlegende Bewegungsmuster einzubinden. Grundlegende Bewegungsmuster sind solche, die für die meisten Aktivitäten des Lebens bedeutsam sind. Im Wesentlichen können die meisten Aktivitäten des Alltags, im Sport und im Beruf auf sieben Grundbewegungen zurückgeführt werden. In den Kapiteln 4–7 stelle ich einige dieser grundlegenden Bewegungsmuster vor und bespreche, wie der M. psoas an ihnen beteiligt ist. Diese Liste von Bewegungsmustern ist nicht vollständig, aber ich bespreche die Beteiligung des Psoas an Mustern wie Kniebeuge (Squat), Ausfallschritt (Lunge), Rumpfbeuge und Hüftbeugung/Hüftstreckung. Auch hier gilt wieder: Wo es keine aktuellen Forschungsergebnisse zur Rolle des Psoas gibt, extrapoliere ich seine Funktion auf der Grundlage der vorherigen Besprechung der funktionellen Anatomie, sodass wir bei der Besprechung des Beitrags dieses Muskels zur jeweiligen Bewegung zumindest einen Ausgangspunkt haben.

In der Schlussbetrachtung nenne ich die aktuellen Grenzen unseres Wissens und wo zusätzliche Forschungsarbeiten zum M. psoas von Vorteil wären. Ich habe im Anhang am Ende des Buches auch mehrere zusätzliche Themen mit Bezug zum Psoas-Muskel aufgenommen, um weitere Themen aufzugreifen, die in den einzelnen Kapiteln nicht behandelt wurden. Der Anhang enthält Besprechungen zur Haltung, zur Untersuchung, zur Rolle korrektiver Übungen, zur Sitzposition, die eine optimale Funktion des Psoas gewährleistet, zum Verhältnis zwischen Beckenboden und Psoas und der Beteiligung des Psoas an häufigen Hüfterkrankungen wie Rissen im Labrum glenoidale und femoro- acetabuläres Impingement (FAI).

Welches ist die beste Strategie für die Verbesserung der Psoas-Funktion und letztlich eine Verbesserung von Haltung und Bewegung? Diese Frage lässt sich leider nicht einfach beantworten und war beim Schreiben dieses Buches auch nicht mein Ziel. Es ist nicht meine Absicht, dass dieses Buch zum »Goldstandard« für die Verbesserung der Psoas-Funktion wird und/oder frühere Informationen und klinische Ansätze, die beim M. psoas erfolgreich angewandt wurden, entkräftet. Es ist vielmehr ein Versuch, das Gespräch auszuweiten und meine Beobachtungen aus der klinischen Praxis zusammen mit den Strategien zu teilen, die mein Team bei den Chicago Integrative Movement Specialists während der letzten zwölf Jahre etabliert hat, um die Haltung und, was noch wichtiger ist, die Bewegungseffizienz bei unseren Patienten und Klienten zu verbessern. Ich hoffe, dass dieses Buch Sie zum Nachdenken bringen und Ihre Sichtweise über den Beitrag des Psoas zum Erreichen und Beibehalten einer optimalen Haltung und Bewegung erweitern wird.

Bevor wir nun beginnen, möchte ich noch einen letzten Punkt für die Angehörigen der Gesundheits- und Fitnessberufe ansprechen: Machen Sie mit dem weiter, womit Sie Erfolg hatten. Wenn Sie Ihre eigenen Arbeitsmethoden mit Personen haben, die Psoas-Probleme haben, und wenn diese erfolgreich waren, bleiben Sie bei diesen Methoden und Strategien. Verwenden Sie dieses Buch als Leitfaden und um Dinge in Betracht zu ziehen, über die Sie bisher nicht nachgedacht haben oder um es zusätzlich zu Ihrem derzeitigen Behandlungs-/Trainingsprogramm zu nutzen, mit dem Sie bereits Erfolg haben.

Online Videos

Um die (nur in englischer Sprache verfügbaren) Online-Videos zu sehen, verfahren Sie folgendermaßen:

1.Besuchen Sie die Website www.IIHFE.com/the-psoassolution.

2.Sie werden auf Sign Up geleitet, um Zugang zu den Videos zu bekommen.

3.Sobald Sie Ihre Angaben gemacht haben, erhalten Sie sofort Zugang.

Folgende Videos sind online verfügbar:

•Three-dimensional Breathing

•Apical to pelvis (top to bottom) dfsdfsa fsafs

•Lateral or costal (side to side)

•Antero-posterior (front to back)

•Thoracopelvic Cylinder and Hip Stabilization

•Happy Baby Unsupported

•Happy Baby mit Dumbbell Pull-over

•Happy Baby mit Heel Drop

•Squat

•Supported

•Parallel

•Split

•Lunge

•Forward

•Reverse

•Elevated rear leg

•Bending

•Spinal flexion

Forward Bending

Pelvic Tilt

•Hip Hinge

Supported

Unsupported

•Spine and Hip Extension

•Spine Extension

Prone Lengthen

Back Bending

•Bird Dog

•Hip Hinge Bridge

•Marching Bridge

•Single-leg Bridge

•Psoas Assessment

•Abgewandelter Thomas Test

•Impingement Test

•Manual Muscle Test

•Neutral Alignment

•Standing Assessment

•Pelvic alignment and motion

•Suspension

•Sitting Posture

Schematische Darstellung des Skeletts

KAPITEL

1

Funktionelle Anatomie des M. psoas

Themen

•Knöcherne und myofasziale Ansätze des M. psoas

•Terminologie zur Bewegung von Hüften, Wirbelsäule und Becken

•Die funktionelle Rolle des M. psoas bei Stabilisierung und Bewegung der Wirbelsäule, bei Gang und Atmung

•Anatomische Zusammenhänge zwischen M. psoas und M. iliacus, M. gluteus maximus und M. multifidus

Wahrscheinlich wird kein anderer Muskel im Körper, der die Aufmerksamkeit von Studenten, Chiropraktikern, Physiotherapeuten, Ärzten und Fitnessexperten auf sich zieht, mehr missverstanden oder schlechtgemacht als der M. psoas. Häufig wird er dafür verantwortlich gemacht, eine Vielzahl an muskuloskelettalen Problemen zu verursachen wie Schmerzen im unteren Rücken, Verhärtungen in der Hüfte und Hemmung der Gesäßmuskulatur. Außerdem ist er in Verruf, der primäre Muskel zu sein, der für häufige posturale Dysfunktionen wie eine Kippung des Beckens nach vorne und eine übermäßige Lordose im Lumbalbereich mitverantwortlich ist. Der M. psoas wird chirurgisch gelöst, wenn davon ausgegangen wird, dass er zu einem Impingement und zu Problemen mit einer »schnappenden« Hüfte beiträgt (Hwang et al. 2015, Dobbs et al. 2002, Taylor und Clark 1995).

Um zu verstehen und zu würdigen, welche Funktion dem M. psoas tatsächlich bei Haltung und Bewegung zukommt, wird dieses Kapitel die funktionelle Anatomie des Muskels bezüglich seiner Ursprünge und Ansätze sowie seinen Einfluss auf die mit ihm in Verbindung stehenden Gelenke erkunden. Zwar nehmen Interesse und Forschung am M. psoas zu, an Gesamtwissen über seine tatsächliche Funktion fehlt es jedoch verglichen mit anderen Muskeln. Soweit vorhanden, werden jedoch evidenzbasierte Informationen über seine Funktion geliefert. Wo solche Informationen fehlen, wird eine Kombination aus Forschung und klinischer Erfahrung genutzt, um daraus Informationen zu extrapolieren und das weitgehend akzeptierte Wissen über den M. psoas entweder zu erweitern oder kritisch zu hinterfragen.

Ursprünge und Ansätze des M. psoas

Theoretisch hilft der M. psoas bei der Stabilisierung der Wirbelsäule im Thorax-Beckenzylinder (TPC)(Osar 2015). Die faszialen Ursprünge und Ansätze des M. psoas vom Zwerchfell bis zum Beckenboden und in das Becken hinein legen nahe, dass er zusätzlich zu seinem Einfluss auf die Hüfte eine wichtige Rolle für die Stabilität des unteren Anteils des TPC spielt.

Der M. psoas major (PMj) entspringt von den vorderen seitlichen Wirbelkörpern und Querfortsätzen jedes Wirbels von T12 bis L5. Er entspringt auch, abgesehen von L5–S1, an den Zwischenwirbelscheiben der Lendenwirbelsäule. Weiter oben verbindet sich die Faszie des M. psoas mit den Zwerchfellschenkeln und geht in den M. transversus abdominis über (Stecco 2015, Gibbons 2005ab, Gibbons 2007, Myers 2014). Die Faszie, die das hintere Zwerchfell bedeckt, verbindet Zwerchfell, M. quadratus lumborum und M. psoas (Bordoni und Zanier 2013).

Distal wird der PMj dicker, verbindet sich mit dem Beckenboden und bindet sich durch Faszien in die unteren Fasern des M. transversus abdominis und des M. obliquus internus ein (Gibbons 2005ab, Gibbons 2007). Er verbindet sich mit dem Beckenrand und durch seine Faszien mit dem Beckenboden, bevor er weiter nach unten verläuft, um am Trochanter minor des Femur anzusetzen (Gibbons 2005ab, Gibbons 2007). So wirkt der M. psoas als myofasziale Verbindung zwischen Zwerchfell und Beckenboden (Bild oben).

Studien ergaben, dass 40–50 % der Bevölkerung keinen M. psoas minor (PMn) haben (Stecco 2015, Myers 2014, Franklin 2011, FitzGordon 2013), auch wenn er bei 65,6 % der 32 von Neumann und Garceau (2014) sezierten Hüften vorhanden war. Ist der PMn vorhanden, entspringt er von den unteren zwei Brustwirbeln, den benachbarten Rippen und Bandscheiben und setzt am oberen Beckenast an.

Bei Personen ohne PMn verbinden sich Fasern des PMj mit der iliakalen Faszie an der Eminentia iliopubica (Stecco 2015, Myers 2014).

Zum besseren Verständnis der Funktion des M. psoas konzentriert sich der nächste Abschnitt auf die Bewegung in Verbindung mit dem Hüftkomplex.

Gelenkbewegung und -zentrierung

Der M. psoas übt auf mehrere Gelenke des Körpers einen sehr spezifischen Einfluss aus wie auf Hüfte, Wirbelsäule und Becken. Dieses Buch bespricht die Rolle des M. psoas bei der Haltungs- und Bewegungskontrolle in diesen Bereichen. Wo sich zwei Knochen verbinden, entsteht ein Gelenk, um eine Bewegung zu erlauben. Größe und Form des Gelenks sowie die Art der Muskeln, Faszien und Bänder, die es umgeben, bestimmen den möglichen Bewegungsumfang dieses Gelenks.

Ein Synovialgelenk enthält Synovialflüssigkeit und knorpelige Enden, die jeden Knochen des Gelenkes bedecken, und es wird von einer ligamentösen Gelenkkapsel umgeben. Eine optimale Beweglichkeit des Gelenks – erreicht durch die richtige Ausrichtung und Kontrolle – regt die Produktion der Synovialflüssigkeit an, während optimale Ruhe (nicht-gewichtstragende Haltungen) es dem Gelenk erlauben, sich zu entspannen. Die angemessene Belastung und Entlastung von Synovialgelenken sind Schlüsselfaktoren für die Förderung und den Erhalt der Gesundheit und Langlebigkeit des Gelenks. Länger anhaltende Kompression nach myofaszialen Überspannungen (Gripping) ist eine häufige Ursache für degenerative Gelenkerkrankungen.

Bei optimaler Ausrichtung und Kontrolle kann das Hüftgelenk normalen Kräften standhalten, und es findet eine normale Gelenkalterung statt. Bei beeinträchtiger Ausrichtung und Kontrolle und/oder myofaszialer Überspannung als Ergebnis einer zu starken Kompression des Gelenks wird es durch chronischen Verschleiß degenerieren, was zu einer degenerativen Gelenkerkrankung führt. Genau wie die Synovialgelenke enthält auch die Wirbelsäule knorpelige Gelenke, die von zwei Knochen gebildet werden, die durch eine Zwischenwirbelscheibe (Bandscheibe) aus Knorpelgewebe miteinander verbunden sind. In der Wirbelsäule sind zwei benachbarte Wirbel (Knochen) über eine Zwischenwirbelscheibe (knorpeliger Anteil der Bandscheibe) miteinander verbunden. Die Facettengelenke, die bei der Bewegung der Wirbelsäule helfen, werden von zwei benachbarten Wirbeln gebildet und gelten als Synovialgelenke (Abbildung unten).

Gelenkbewegung von Hüften, Wirbelsäule und Becken

Ungeachtet des Gelenktyps wird die Gelenkbewegung im Allgemeinen danach benannt, was der proximale Gelenkknochen (der am nächsten am Körperzentrum ist) in Bezug zum distalen Knochen macht (der am weitesten davon entfernt ist).

Die Bewegung der Hüfte

Die Hüftbewegung kann auf zweierlei Art betrachtet werden: Was geschieht (1), wenn sich der Femur (Oberschenkelknochen) in Bezug auf das Becken bewegt, und was geschieht (2), wenn sich das Becken in Bezug auf den Femur bewegt. Eine Hüftbeugung beispielsweise erfolgt, indem der Hüftkopf bewegt oder gebeugt wird, während das Becken relativ unbeweglich bleibt. Ähnlich kann das Becken über dem Hüftkopf drehen.

Im Allgemeinen wird es als Hüftbeugung betrachtet, wenn sich der Femur Richtung Gelenkkopf bewegt und die Hüftpfanne relativ unbeweglich bleibt. Wenn sich das Becken nach vorne über die Hüftköpfe dreht, gilt dies ebenfalls als Hüftbeugung, auch wenn dies öfter als Beckenkippung nach vorne bezeichnet wird. Mechanisch ausgedrückt ist eine Hüftbeugung erforderlich, um jegliches Bewegungsmuster hervorzubringen, bei dem sich der Hüftkopf in der Gelenkpfanne dreht und der Oberschenkel sich Richtung Rumpf bewegt.

Die Hüftbewegung umfasst:

•Hüftbeugung – der Femur beugt sich im Verhältnis zum Becken oder das Becken dreht sich im Verhältnis zum Femur (in der Sagittalebene) nach vorne.

•Hüftstreckung – der Femur streckt sich im Verhältnis zum Becken oder das Becken dreht sich im Verhältnis zum Femur (in der Sagittalebene) nach hinten.

•Hüftrotation – der Femur dreht sich im Verhältnis zum Becken oder das Becken dreht sich (in der Transversalebene) um den Femur.

•Hüftabduktion – der Femur abduziert im Verhältnis zum Becken oder das Becken beugt sich (in der Frontalebene) über den Femur.

•Hüftadduktion – der Femur adduziert im Verhältnis zum Becken oder das Becken beugt sich (in der Frontalebene) über den Femur.

Hüftbeugung. Der Femur bewegt sich im Verhältnis zum Becken (oben links), das Becken dreht über dem Hüftkopf nach vorne bei der Vorwärtsbeuge (oben Mitte) und bei der Kniebeuge (oben rechts).

Bewegung der Wirbelsäule

Ein Begriff, der meist mit der Bewegung der Wirbelsäule zu tun hat und bei der Beugung mitbesprochen wird, ist die segmentale oder intersegmentale Bewegung. Sie bezieht sich auf die Bewegung eines Wirbelsäulensegments, gefolgt vom jeweils nächsten Segment, wobei jedes Wirbelsegment zur Gesamtbewegung beiträgt.

Die segmentale Beweglichkeit der Wirbelsäule in jede Richtung sorgt für eine glatte, koordinierte und schöne – vor allem aber für eine effiziente – Bewegung. Sie erlaubt die Artikulation der Wirbelsäule, also deren Bewegung Segment für Segment bei vielen Übungen (z.B. Aufrollen der Wirbelsäule, siehe Kapitel 6), bei einem gut ausgeführten Golfschlag und bei Aktivitäten wie lateinamerikanischen Tänzen.

Diese Bewegung umfasst:

•Flexion—Vorwärtsbeugung der Wirbelsäule in der Sagittalebene.

•Extension – Rückwärtsbeuge der Wirbelsäule in der Sagittalebene.

•Seitbeuge — Seitbeuge der Wirbelsäule in der Frontalebene.

•Rotation — Rotation der Wirbelsäule in der Transversalebene.

Ist eine segmentale Bewegung oder Artikulation in einem (oder vielen) Abschnitt(en) der Wirbelsäule in einem der zuvor erwähnten Bewegungsbereiche nicht möglich, kommt es zu einer Überlastung der Gelenke, die diesen eingeschränkten Bereich umgeben. Der oder die hypomobile(n) Gelenkbereich(e) – Bereiche also, die sich nicht so gut bewegen wie sie sollten – wird im Allgemeinen zu einer erhöhten Beweglichkeit oder Hypermobilität in den umliegenden Gelenken führen und damit zu einem Verlust an effizienter Bewegung.

Eine degenerative Bandscheibenerkrankung (DDD) und eine degenerative Gelenkerkrankung (DJD) treten in der Regel entweder als direktes Ergebnis einer anhaltenden starken Druckbelastung nach Hypomobilität auf oder als Ergebnis einer kompensierenden Hypermobilität, die im Umkreis des eingeschränkten Segments auftritt. Die Wiederherstellung einer optimalen Ausrichtung und Bewegung aller Gelenksegmente ist eine wichtige Strategie zur Verbesserung und/oder zur Vorbeugung weiterer degenerativer Veränderungen.

Die meisten Aktivitäten des Lebens oder im Sport setzen die Fähigkeit voraus, während der Artikulation der Wirbelsäule das Becken über dem Hüftkopf zu bewegen.

Bewegung des Beckens

Die Beckenbewegung erfolgt, wenn sich das Becken im Verhältnis zu den Hüftköpfen bewegt:

•Beckenkippung nach vorne – Rotation des Beckens nach vorne oder Kippung des Beckens nach vorne über die Hüftköpfe. Diese Bewegung kann auch als Hüftbeugung betrachtet werden.

•Beckenkippung nach hinten – Rotation des Beckens nach hinten oder Kippung des Beckens nach hinten über die Hüftköpfe. Diese Bewegung kann auch als Hüftstreckung betrachtet werden.

•Seitliche Beckenkippung – Rotation des Beckens um die Hüftköpfe in der Frontalebene. Diese Bewegung kann auch als Hüftabduktion auf der tieferen Seite und Hüftadduktion auf der höheren Seite der Beckenkippung betrachtet werden.

•Rotation in der Transversalebene – Rotation des Beckens um die Hüftköpfe in der Transversalebene. Diese Bewegung kann auch als Hüftrotation nach innen betrachtet werden, wenn sich das Becken zu einer Seite dreht und als Hüftrotation nach außen auf die entgegengesetzte Seite der Beckendrehung.

Wichtige Betrachtung zur Beckenbewegung:

Die Beckenposition (Ausrichtung des Beckens im Verhältnis zum Hüftkopf) wird durch das Verhältnis der SIAS (Spina iliaca anerior posterior) zur Schambeinfuge (Symphysis pubica) bestimmt. Das Becken befindet sich in Neutralstellung – d.h. das Becken ist nach vorne gedreht (Beckenkippung) – wenn sich die SIAS in der Sagittalebene geringfügig vor der Schambeinfuge befindet (mittlere Abb.). Wenn SIAS und Schambeinfuge dieselbe vertikale Ausrichtung haben und/oder sich die Schambeinfuge in der Sagittalebene vor der SIAS befindet, ist das Becken in einer nach hinten gedrehten Position (linke und rechte Abb. unten). Noch wichtiger als die jeweilige Ruhestellung des Beckens ist die Fähigkeit, das Becken nach vorne über die Hüftköpfe zu drehen, um die Hüfte bei Bewegungen wie Vorwärtsbeugung, Kniebeuge und Hip Hinge angemessen zu beugen.

Weiter unten sehen Sie mehr über die Beckenbewegung beim Beugen und Kniebeugen.

Vorwärtsbeugung ohne und mit Wirbelsäulenflexion: Im Stand beginnend, sollte das Becken während der Vorwärtsbeugung um die Hüftköpfe nach vorne rotieren (a & b). Wenn Sie sich in dieser Weise nach vorne beugen – man bezeichnet die Übung auch als Hip Hinge – wird der hintere Hüftkomplex (Gesäßmuskeln, ischiokrurale Muskulatur, Wadenmuskulatur) optimal belastet und der Stress für die Lendenwirbelsäule nimmt ab. Dies ist die bevorzugte Methode, um schwere Gegenstände vom Boden anzuheben oder auf dem Boden abzusetzen und/oder um Stress für den unteren Rücken zu reduzieren. Die Vorwärtsbeugung mit Flexion der Wirbelsäule ist für die meisten Menschen ohne Wirbelsäulenbeschwerden kein Problem, vorausgesetzt sie nutzen ihre Hüften in angemessener Form. Beachten Sie das Fehlen der Beckenbewegung, was als Ausgleich für das Fehlen der Beckendrehung nach vorne über die Hüftköpfe eine übermäßige Flexion der Wirbelsäule verlangt (c). Das primäre Beugen der Wirbelsäule mit nur sehr geringer Beteiligung der Hüften ist häufig ein Mitverursacher von chronischen Schmerzen im unteren Rücken und von Beckenproblemen. Mehr zu diesem Thema finden Sie im Kapitel über die Beugung.

Beckendrehung (d.h. Kippung) während eines Bewegungsmusters mit Kniebeuge mit Eigengewicht: Die Ausgangsposition des Beckens (a) ist weniger wichtig als die Fähigkeit, das Becken nach vorne zu drehen (die Hüften zu beugen), um die Kniebeuge zu beginnen (b & c). Beachten Sie, dass der gesamte Thorax-Beckenzylinder (TPC) zu Beginn der Kniebeuge noch in sich verbunden ist, dass dies also keine isolierte Bewegung des Beckens ist. Beim Hinuntergehen in die Kniebeuge wird diese Position allmählich umgekehrt und das Becken nach hinten gedreht, während die Gesamtausrichtung des TPC noch erhalten bleibt. Während der Schlussphase des Bewegungsmusters dreht sich das Becken weiter nach hinten (c & d).

Um den hinteren Hüftkomplex optimal zu belasten und Stress für die Lendenwirbelsäule zu reduzieren, ist es wichtig, anfangs das Becken nach vorne zu drehen und im weiteren Verlauf die Stellung durch das Bewegungsmuster exzentrisch zu kontrollieren. Durch diese Kontrolle können die Hüften weiter belastet werden, ohne das hintere Becken früh oder zu stark zu bewegen. Mehr zu diesem Thema im Kapitel über die Kniebeugen.

Zusammenfassung: Bei jedem Bewegungsmuster, das eine Hüftbeugung erfordert – Sitzen, Vorwärtsbeugung, Kniebeuge, Ausfallschritt, Treppensteigen, Kreuzheben (Deadlift) – sollte das Becken als Teil des Thorax-Beckenzylinders über dem Hüftkopf nach vorne drehen, um Becken und Wirbelsäule optimal zu positionieren und den hinteren Hüftkomplex zu belasten. Bei Kniebeugen mit Körpergewicht und/oder bei der Vorwärtsbeuge kann sich die Wirbelsäule im Rahmen des Bewegungsmusters relativ stark beugen, solange dabei die Hüften bewegt werden. Diese Körpermechanik unterstützt eine optimale Länge und Kontrolle des M. psoas, der so wiederum eine optimale Haltung und Bewegung unterstützen kann. Probleme im unteren Rücken und Becken treten gerne auf, wenn die Flexion der Wirbelsäule überstrapaziert wird, um einen festen hinteren Hüftkomplex und die Unfähigkeit auszugleichen, das Becken optimal um die Hüftköpfe zu bewegen, wodurch die Funktion des Psoas-Muskels beeinträchtigt wird. Im gesamten Buch wird immer wieder genauer auf diese Begriffe eingegangen.

Um die funktionelle Rolle des M. psoas bei der Stabilisierung und/oder Bewegung von Hüfte, Wirbelsäule und Becken besser beurteilen zu können (die auch im Rahmen der verschiedenen Übungen untersucht wird), wird eine Übersicht über die Gelenkzentrierung und die Open-Chain- und Closed-Chain-Bewegung gegeben.

Gelenkzentrierung …

… ist ein Begriff, der in diesem Buch immer wieder auftauchen wird. Er bezieht sich auf die Fähigkeit, ein Gelenk auszurichten und zu kontrollieren, ob in einer statischen Haltung (ohne Bewegung) oder in einer dynamischen Haltung (siehe Abb. unten). Die Zentrierung wird durch die koordinierte Leistung des Nervensystems erreicht, welches Feedback vom propriozeptiven System erhält und die vorteilhafteste motorische Strategie anwendet, um das Gelenk/die Gelenke zu kontrollieren, das/die für die jeweilige Aufgabe benötigt wird/werden.

(a) Optimale Hüftzentrierung während der Hüftbeugung: M. psoas und die unteren Fasern des Gesäßmuskels arbeiten mit den anderen tiefen Hüftmuskeln zusammen, um den Hüftkopf während der Beinbewegung in der Hüftgelenkpfanne zu halten.

(b) Nicht-optimale Hüftzentrierung während der Hüftbeugung: Der Hüftkopf verschiebt sich in der Hüftgelenkpfanne nach vorne und oben, wenn der M. psoas und andere tiefe Stabilisatoren die Gelenkposition nicht optimal kontrollieren können.

Die Gelenkzentrierung setzt eine Gelenkstellung voraus, bei der die knorpeligen Flächen maximalen Kontakt haben und die Kräfte, die auf das Gelenk einwirken, angemessen auf die Gelenkflächen verteilt sind (Kolar et al. 2013). Sie ermöglicht die optimale Positionierung und Kontrolle der Gelenke, sodass sie gut dazu in der Lage sind:

•alle Muskeln rund um das Gelenk zu aktivieren, wenn dies nötig ist, um Haltung und Bewegung zu kontrollieren;

•das geeignete propriozeptive Feedback von den Rezeptoren des Gelenks und der Weichteile zu liefern;

•einer übermäßigen Gelenkkompression (die durch eine zu starke myofasziale Aktivierung entsteht), einer unkontrollierten Gelenkbewegung (Hypermobilität) und/oder Überdehnung oder Belastung der Weichteilstrukturen des Gelenks (Gelenkkapsel, Bänder, Muskeln und Faszien) vorzubeugen.

Voraussetzung für eine optimale Zentrierung ist eine koordinierte Aktivität in jedem einzelnen Muskel, der auf das Gelenk einwirkt. Dies ermöglicht gleichzeitig die Zentrierung sowie eine gut kontrollierte Rotationsachse – den idealen theoretischen Punkt, um den herum sich ein Gelenk bewegt. Zu viel Muskelaktivität in allen Muskeln, die ein Gelenk umgeben, führt zu einer übermäßigen Kompression. Unausgewogenheiten dort, wo es in einem oder mehreren Muskeln in Bezug auf ihre funktionellen Synergisten (Muskeln, die zusammenwirken, um ein Gelenk zu stabilisieren oder zu bewegen) zu viel Aktivität gibt, stören die Zentrierung und beeinträchtigen daher die optimale Zentrierung und Bewegung.

Bei einer ausgewogenen Aktivität zwischen den tiefen und den oberflächlichen Muskeln bleibt der Hüftkopf, ungeachtet des Bewegungsumfangs, relativ zentriert in der Gelenkpfanne. Bei einer Beeinträchtigung – beispielsweise einer Überaktivierung der oberflächlichen Anteile des M. gluteus maximus, der ischiokruralen Muskulatur und/oder der Hüftrotatoren in Bezug auf die tiefen Muskelfasern und den M. psoas – verliert der Hüftkopf seine ideal zentrierte Stellung und verschiebt sich nach vorne. Dadurch wird die vordere Gelenkkapsel überdehnt, und die Weichteilstrukturen wie das Labrum werden beeinträchtigt. Dies ist ein häufiges Szenario in der Ereigniskaskade, die letztlich zu einem femoro-acetabulären Impingement-Syndrom (FAI), Rissen im Labrum und weiteren degenerativen Veränderungen der Hüfte führt.

Wenn, vergleichbar, der M. psoas zusammen mit den anderen Muskeln des tiefen myofaszialen Systems (DMS) die Aktivität der oberflächlichen Schichten des M. erector spinae und der Bauchmuskeln ausgleicht, bleibt die Wirbelsäule gut zentriert. Bei einer Inhibition des M. psoas, M. transversus abdominis oder der Mm. multifidi mit kompensierender Überaktivität der oberflächlichen Muskeln wird die Zentrierung der Wirbelsäule jedoch gestört. Wie bereits weiter oben für die Hüfte besprochen, trägt diese nicht-optimale Strategie bei längerem Bestehen letztlich zu einer degenerativen Erkrankung der Bandscheiben und Wirbelsäulengelenke bei. Darauf wird im Verlauf des Buches noch detaillierter eingegangen.

Die Gelenkzentrierung ist ein dynamischer Vorgang und wird daher durch viele Faktoren beeinträchtigt. Zu den Faktoren, die ein Gelenk dezentrieren oder zu einer nicht-optimalen Ausrichtung und Kontrolle des Gelenkaus beitragen können, gehören die folgenden:

•Neurale Inhibition nach einer Reizung spinaler Nervenwurzeln.

•Eine Bandscheibenpathologie (Vorwölbung oder Hernienbildung), die die Nerven der Brust- oder Lendenwirbelsäule beeinträchtigt, kann die Funktion der dazugehörigen Muskeln in diesem Bereich des Rumpfes, der Wirbelsäule und/oder der Hüften beeinflussen, was wiederum zu einer muskulären Kompensation und Unausgewogenheit führt.

•Muskuläre Unausgewogenheiten nach Trauma, Operation oder Entzündung.

•Ein Trauma, eine Operation oder eine Gelenkentzündung können zu einer Inhibition primär der tieferen oder intrinsischen Gelenkmuskeln beitragen, was letztlich zu einem Verlust der motorischen Kontrolle führen kann.

•Eine Inhibition führt zu einer kompensierenden Überbeanspruchung in bestimmten – meist den oberflächlichen – Muskeln – die die optimale Zentrierung weiter stören.

•Falsches Training.

•Falsche Übungsmuster (z.B. für den individuellen Bewegungsumfang zu tiefe Kniebeuge und zu starke Kippung nach hinten mit zu starker Flexion der Lendenwirbelsäule) und ein falsches Startsignal zu Beginn der Squat-Bewegung) können zu einer Überaktivierung bestimmter Muskeln im Verhältnis zu anderen beitragen, wodurch Gelenkausrichtung und -kontrolle beeinträchtigt werden.

Der Erfolg bei der Ausübung auf einem optimalen Niveau, die Linderung chronischer Steifigkeit oder chronischer Beschwerden und die Minimierung des Verletzungsrisikos – alles wird letztlich von der Fähigkeit zur Gelenkzentrierung beeinflusst. Das Ziel bei jedem Reha- und/oder Trainingsprogramm ist, die geeignetsten Übungsmuster, Anweisungen und Strategien zu wählen, die eine ideale Gelenkzentrierung verbessern und/oder aufrechterhalten. Dieses Thema wird bei der Entwicklung der Übungsmuster im Mittelpunkt stehen, die in den späteren Kapiteln besprochen werden.

Klinische Betrachtung

»Gelenkzentrierung« gilt häufig als esoterischer Begriff, daher wird der Gebrauch als gültiger Untersuchungsbegriff oft kritisiert. Der Großteil der Fehleinschätzung stammt aus der Unfähigkeit vieler Therapeuten, genau zu bestimmen, ob ein Gelenk richtig zentriert ist oder nicht. Da nur Wenige wirklich in dieser Beurteilung geschult sind, wird die Gelenkzentrierung entweder als ungültiges Untersuchungswerkzeug verworfen oder als oberflächlicher Augenscheintest abgehakt (»Ich denke, es tut/tut nicht, was es tun sollte« oder »Es sieht so aus, als würde es sich so bewegen/nicht so bewegen, wie es sollte«).

Während man beobachten kann, was in einer bestimmten Körperregion geschieht, lässt sich durch visuelle Überprüfung nicht genau bestimmten, was auf Gelenkebene tatsächlich geschieht. Die Palpation ist die genaueste und zuverlässigste Methode für die Beurteilung der Gelenkstellung und Gelenkbewegung.

Die Palpation ist wie jede klinische Fähigkeit eine Fertigkeit, die nur vervollkommnet werden kann, indem man mit seinen Händen viele Gelenke abtastet – sowohl solche, die gut ausgerichtet und kontrolliert sind, als auch solche, die nicht gut ausgerichtet und nicht kontrolliert sind. Ein umfassendes Verständnis der strukturellen Anatomie, der Biomechanik (wo ein Gelenk im Idealfall positioniert ist und wie es sich optimal bewegen sollte) und der motorischen Kontrolle (wie das neuromyofasziale System die Gelenkstellung während einer bestimmten Haltung oder Bewegung beeinflusst) ist eine Vorbedingung dafür, bestimmen zu können, ob ein Gelenk ideal zentriert ist oder nicht.