Die Psyche des Menschen - Omraam Mikhaël Aïvanhov - E-Book

Die Psyche des Menschen E-Book

Omraam Mikhaël Aïvanhov

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Beschreibung

'Da keine Darstellung des Menschen seiner Komplexität vollkommen gerecht wird, sollte es nicht verwundern, wenn Religionen und philosophische Systeme verschiedene Auffassungen von seinem strukturellen Aufbau vertreten. Alle sind wahr: es hängt nur davon ab, von welchem Standpunkt aus der Mensch betrachtet wird. Will man eine Vorstellung von der Anatomie des Menschen vermitteln, so fertigt man sich zum besseren Verständnis Schautafeln für die verschiedenen Systeme an: Knochen, Muskeln, Kreislauf, Nerven. Für den psychischen Organismus ist es nicht anders: Wie ein Anatom, bedient sich der Eingeweihte verschiedener Schaubilder oder Aufteilungen, je nach den Aspekten des Menschen und den Problemen, die er vertiefen will.' Omraam Mikhaël Aïvanhov

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Über den Autor

Omraam Mikhaël Aïvanhov war ein großer spiritueller Meister, ein lebendiges Vorbild, ein »Überbringer des Lichts« und ein warmherziger, humorvoller Lehrer, der durch sein selbstloses, zugängliches und brüderliches Verhalten überzeugte.

Er strebte an, alle Menschen bei ihrer persönlichen Entwicklung zu begleiten – so wie ein Bergführer seine Kameraden sicher bis auf den höchsten Gipfel führt.

Das Gedankengut, das Omraam Mikhaël Aïvanhov verbreitet hat, bietet zahlreiche Methoden und einen klaren, begehbaren Weg zu größerer Vollkommenheit und mehr Lebensglück.

In wohltuend einfacher Sprache erklärt er alle wichtigen Zusammenhänge des Lebens und ist gerade bei den Fragen unserer heutigen Zeit wegweisend. Ob es um die Bewältigung des Alltags geht, um das Thema der Liebe und Sexualität oder um tiefgründige philosophische Themen – stets sind seine Antworten überraschend klar und hilfreich.

Kurzbeschreibung

»Die Psyche des Menschen«Reihe Izvor – Band 222

»Es gibt keine Darstellung des Menschen, die seiner Gesamtheit vollkommen gerecht wird. Deshalb sollte man sich nicht wundern, wenn die Religionen und philosophischen Systeme verschiedene Auffassungen von seiner Struktur haben. Alle sind wahr, es hängt nur von der Sichtweise ab. Wenn man eine Vorstellung von der Anatomie des Menschen vermitteln will, so fertigt man zum leichteren Verständnis Schautafeln für die verschiedenen Systeme an: Knochen, Muskeln, Kreislauf, Nerven... Für den psychischen Organismus ist es dasselbe: Genauso wie ein Anatom bedient sich ein Eingeweihter verschiedener Schaubilder oder Aufteilungen, je nach den Aspekten des Menschen und den Problemen, die er vertiefen will.«

Omraam Mikhaël Aïvanhov

Da Omraam Mikhaël Aïvanhov seine Lehre ausschließlich mündlich überlieferte, wurden seine Bücher aus stenographischen Mitschriften, Tonband- und Videoaufnahmen seiner frei gehaltenen Vorträge erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Über den Autor

Kurzbeschreibung

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: »Erkenne dich selbst«

Kapitel 2: Eine synoptische Tafel

Kapitel 3: Von Seelen und Körpern

Kapitel 4: Herz, Intellekt, Seele und Geist

Kapitel 5: Die Schulung des Willens

Kapitel 6: Körper, Seele und Geist

Kapitel 7: Äußeres und inneres Erkennen

Kapitel 8: Vom Intellekt zur Intelligenz

Kapitel 9: Die wahre Erleuchtung

Kapitel 10: Der Kausalkörper

Kapitel 11: Das Bewusstsein

Kapitel 12: Das Unterbewusstsein

Kapitel 13: Das höhere Ich

Vom selben Autor – Reihe Gesamtwerke

Vom selben Autor – Reihe Izvor

Vom selben Autor – Reihe Broschüren

Copyright

Kapitel 1: »Erkenne dich selbst«

»Erkenne dich selbst...«. Dieser Spruch, der über dem Eingang des Tempels zu Delphi eingemeißelt wurde, ist nur von den wenigsten richtig verstanden worden. Wer ist dieses »Selbst«, das wir erkennen sollen? Handelt es sich dabei um unsere Wesensart, um unsere Schwächen, unsere guten bzw. schlechten Eigenschaften? Nein, wenn es nur darum ginge, hätten die Weisen niemals dieses Gebot über den Eingang eines Tempels einmeißeln lassen. Sicher ist diese Erkenntnis notwendig, sie reicht aber nicht aus. Selbsterkenntnis bedeutet viel mehr. Es bedeutet, sich der verschiedenen Körper bewusst zu werden, aus denen wir bestehen – vom dichtesten zum feinstofflichsten – der Kräfte, die diese Körper beleben, der Bedürfnisse, die sie uns empfinden lassen und der Bewusstseinszustände, die ihnen entsprechen. Davon weiß man eben nichts. Jeder beobachtet sich ein wenig, versucht einige seiner guten wie schlechten Charaktereigenschaften zu erkennen und sagt: »Ich kenne mich ja gut!« Nein, er kennt sich noch nicht.

In Wirklichkeit gibt es keine Darstellung des Menschen, die seiner Komplexität vollkommen gerecht wird. Deshalb sollte man sich nicht wundern, wenn die Religionen und philosophischen Systeme verschiedene Auffassungen von seiner Struktur haben. Die Hindus teilen ihn in die Zahl 7 auf, und die Theosophen haben ebenfalls diese Aufteilung übernommen. Die Astrologen teilen ihn in die Zahl 12 auf, in Übereinstimmung mit den 12 Tierkreiszeichen und die Alchimisten in die Zahl 4, nach den vier Elementen. Die Kabbalisten haben die 4 und die 10 gewählt, den vier Welten und den zehn Sephiroth entsprechend. Die Religionen der alten Perser, der Mazdaismus und Manichäismus, teilten den Menschen in die 2 auf, nach den beiden Prinzipien des Guten und des Bösen, des Lichtes und der Finsternis, Ormuzds und Ahrimans. Ihrerseits haben ihn die Christen in 3 aufgeteilt: Körper, Seele und Geist. Ich möchte noch hinzufügen, dass einige Esoteriker die Aufteilung in 9 gewählt haben, weil sie die 3 in jeder der drei Welten – der physischen, geistigen und göttlichen – wiederholen.

Wo liegt die Wahrheit? Bei allen. Es hängt nur von der Sichtweise ab. Und darum lehne ich keine dieser Aufteilungen ab. Oft teile ich den Menschen der Einfachheit halber in die Zahl 2 auf: Die niedere Natur oder Personalität und die höhere Natur oder Individualität: Diese Aufteilung hilft nämlich, manche Probleme zu verstehen. In anderen Fällen wähle ich die 3, die 6 oder die 7, wenn es angebracht erscheint. Diese Aufteilungen sind praktisch, um diesen oder jenen Aspekt der Wirklichkeit darzustellen. Keine widerspricht der anderen, weil jede von einem bestimmten Gesichtspunkt aus richtig ist.

Will man eine Vorstellung von der Anatomie des Menschen vermitteln, so stellt man nicht alles auf einmal dar; zum besseren Verständnis fertigt man verschiedene Schautafeln für die unterschiedlichen Systeme an: Knochen, Muskeln, Kreislauf, Nerven... Auch in der Geographie benutzt man mehrere Wandkarten: physikalische, politische, ökonomische, geologische usw. In allen Bereichen ist es das Gleiche. Genauso wie der Anatom oder Geograph bedienen sich die Eingeweihten verschiedener Schaubilder oder Aufteilungen, je nach den Aspekten des menschlichen Wesens und den Problemen, die sie vertiefen wollen.

Kapitel 2: Eine synoptische Tafel

»Das, was unten ist, ist wie das, was oben ist, und das, was oben ist, ist wie das, was unten ist«, sagte Hermes Trismegistos. Die Existenz von alles durchdringenden Prinzipien im Menschen, von denen jedes seine eigenen Bedürfnisse und Aktivitäten hat, ist leicht zu verstehen, wenn man als Ausgangspunkt die Bedürfnisse und Aktivitäten des physischen Körpers nimmt. Ich will versuchen, dies anhand einer synoptischen Tafel zu zeigen, in der die Hauptbestandteile unseres physischen und psychischen Lebens zusammengestellt sind.

Beginnen wir also mit dem physischen Körper. Was braucht er? Gesundheit. Um gesund zu bleiben, benötigt er Nahrung: Er muss essen. Um sich Nahrung zu besorgen, braucht er Geld, und um Geld zu bekommen, muss er arbeiten. Ihr seht, das ist einfach. Und da nun das, was unten in der physischen Welt ist, dem gleicht, was oben in der geistigen Welt ist, versteht sich, dass sich für die anderen Prinzipien, aus denen der Mensch besteht: Wille, Herz, Intellekt, Seele und Geist, die gleichen Vorgänge auf den feinstofflichen Ebenen wiederfinden. Jedes dieser Prinzipien ist auf ein Ziel gerichtet; um dieses Ziel zu erreichen, muss es ernährt werden; um diese Nahrung zu bekommen, braucht man Geld, und Geld verdient man nur, wenn man eine Arbeit verrichtet.

Betrachtet den Willen: Er hat die Bewegung zum Ziel, also die Macht. Er möchte auf Dinge, Wesen, Zustände einwirken, um sie zu gestalten, umzuwandeln. Aber er kann nicht tätig sein, wenn er sich nicht ernährt, und seine Nahrung ist die Kraft: Durch die Kraft genährt, kann sich der Wille äußern. Und um diese Kraft zu erlangen, braucht er ein Zahlmittel – die Bewegung. Um Energien auszulösen, muss man sich immer zwingen, beweglich und tatkräftig zu werden. Gewöhnt euch daran, zu handeln, euch zu bewegen, so wird der Wille Kraft »kaufen« und mächtig werden. All eure physischen Anstrengungen führen dazu, euren Willen zu stärken.

Was braucht nun das Herz? Es will erfreut sein, es sucht Wärme, Freude, Glück. Seine Nahrung ist das Gefühl, und das Geld, um dieses kaufen zu können, ist die Liebe. Wenn ihr liebt, ist eure Liebe das »Geld«, das euch ermöglicht, alle Arten von Gefühlen, Empfindungen, Emotionen zu »kaufen«, d. h., zu empfinden. Wenn ihr eure Liebe verliert, verliert ihr auch das Glück, und ihr seid dann in der Kälte. Wie bewahrt man den Reichtum der Liebe? Indem man jeden Tag den Geschöpfen und dem ganzen Universum gegenüber Harmonie entwickelt.

Und der Intellekt? Er hat das Bedürfnis, erleuchtet zu werden, er sucht Licht und Erkenntnis. Seine Nahrung ist das Denken. Das Geld, das ihm erlaubt, die besten Gedanken zu kaufen, ist die Weisheit. Und die Aktivität, die ihm ermöglicht, die Weisheit zu erlangen, ist die Meditation. Allein die Weisheit kann euren Intellekt mit den besten Gedanken nähren, und so erlangt er das ersehnte Licht.

Das Ideal der Seele ist die grenzenlose Weite. Die menschliche Seele ist ein winzig kleiner Teil der Universalseele, und sie fühlt sich derart begrenzt, beschränkt, dass ihr einziger Wunsch ist, sich im Raum auszudehnen. Um dieses Ideal zu erreichen, hat sie das Bedürfnis, gestärkt zu werden, und es existiert für sie eine geeignete Nahrung: all die Qualitäten des höheren Bewusstseins, Selbstlosigkeit, Entsagung, Opferbereitschaft. Die Ekstase, die Verschmelzung mit der göttlichen Welt ist das Geld, dank dem sie diese Nahrung kauft. Die Arbeit, die diese Verschmelzung ermöglicht, ist das Gebet, die Kontemplation. Ja, die Kontemplation ist die der Seele eigene Arbeit.

Das Ideal des Geistes ist die Ewigkeit, denn der Geist, dessen Ursubstanz unsterblich ist, transzendiert die Zeit. Aber um die Ewigkeit zu erlangen, braucht der Geist eine Nahrung, und diese Nahrung ist die Freiheit. Während die Seele das Bedürfnis hat, sich auszudehnen, hat der Geist das Bedürfnis, alle Fesseln, die ihn gefangen halten, zu durchtrennen. Die Wahrheit ist das Geld, mit dem der Geist die Freiheit kauft. Jede Wahrheit, die ihr in dieser oder jener Hinsicht erlangen könnt, gibt euch die Möglichkeit zur Selbstbefreiung. Jesus sagte: »Erkennt die Wahrheit, und die Wahrheit wird euch befreien.« Ja, die Wahrheit ist es, die befreit. Die Aktivität, die ermöglicht, die Wahrheit zu erreichen, ist die Verschmelzung mit dem Schöpfer. Wer sich mit dem Schöpfer identifiziert, wird eins mit Ihm: Er besitzt die Wahrheit und ist frei! Wenn Jesus sagte: »Mein Vater und ich sind eins«, fasste er mit diesen Worten den Vorgang der Identifikation zusammen.

In dieser Abbildung (Kapitelanfang) habe ich die Hauptelemente des physischen und insbesondere des psychischen Lebens, die man allgemein unzusammenhängend vorfindet, verbinden wollen, um eine Einheit zu schaffen. Man könnte diese Vorstellungen sicher endlos weiterentwickeln und näher bestimmen.

Diese Abbildung kann natürlich nicht alles enthalten. Eine Anzahl von Kennzeichen werdet ihr dort nicht finden, aber wir können trotzdem die verschiedenen Bewusstseinsebenen dort einordnen: das Unbewusste, Unterbewusstsein, Bewusstsein, Selbst- und Überbewusstsein.

Viele Philosophen, Psychologen und Psychoanalytiker haben sich mit diesem Problem der verschiedenen Bewusstseinsebenen befasst. Zwar sind ihre Überlegungen beachtenswert, aber sie lassen sich schwer mit den Erfahrungen des täglichen Lebens in Verbindung bringen. Und darum will ich euch zum besseren Verständnis ein einfaches Beispiel geben. Stellt euch vor, ihr hättet euch bei einem Sturz heftig den Kopf gestoßen und liegt bewusstlos am Boden: Ihr befindet euch im Bereich des Unbewussten. Man versucht, euch wiederzubeleben, und ihr beginnt, euch leicht zu bewegen, immer noch mit geschlossenen Augen: Ihr seid auf der Stufe des Unterbewusstseins. Nach einigen Sekunden öffnet ihr die Augen und werdet euch bewusst, dass ihr von Leuten umgeben am Boden liegt, aber ohne genau zu wissen, was eigentlich geschah: Das ist der Zustand des Bewusstseins. Dann kommt ihr wieder vollständig zu euch, ihr fühlt den Schmerz, ihr begreift, was und wie es geschehen ist: Das ist der Zustand des Selbstbewusstseins. Vollkommen wiederhergestellt und glücklich, begreift ihr zuletzt, dass es schlimmer hätte sein können, und ihr dankt dem Himmel, dass er euch beschützte: Das ist der Zustand des Überbewusstseins.

Jetzt schaut euch an, wie die verschiedenen Elemente, die unser Wesen ausmachen, verschiedenen Bewusstseinszuständen entsprechen. Der physische Körper entspricht dem Unbewussten. Alle Äußerungen des physiologischen Lebens – wie Atmung, Verdauung, Kreislauf, Ausscheidung, Wachstum – entsprechen dem Unbewussten. Dem Bereich des Willens und des Herzens entspricht das Bewusstsein, und auf der Ebene des Intellektes beginnt das Selbstbewusstsein zu entstehen. Das Überbewusstsein gehört zum Bereich der Seele und des Geistes; beim Geist kann sogar vom Gottesbewusstsein gesprochen werden.

Kommen wir aber auf das Wesentliche zurück: Die Abbildung zeigt deutlich, wie mit den verschiedenen in euch tätigen Prinzipien zu arbeiten ist, ohne ein einziges zu vernachlässigen. Nur wer lernt, täglich mit seinem physischen Körper, seinem Willen, seinem Herzen, seinem Intellekt, seiner Seele und seinem Geist zu arbeiten, erfährt eines Tages die Fülle des Lebens.

Kapitel 3: Von Seelen und Körpern

Alle großen Eingeweihten, die dank ihrer Hellsichtigkeit ein authentisches Wissen über den Menschen und das Weltall besaßen, waren sich in einem Punkt einig: Die Seele – das Prinzip, das, wie der Name schon sagt, die Fähigkeit besitzt, den physischen Körper zu beleben – wird dem Menschen im Augenblick seiner Geburt nur zum Teil mitgegeben. Sie lässt sich in ihm etappenweise im Laufe seines Lebens nieder.

Seid also nicht erstaunt, dass die neuplatonischen Philosophen und sogar manche Kirchenväter versicherten, der Mensch besitze verschiedene Seelen. Die erste – vitale Seele genannt – ist rein vegetativ, sie steuert die physiologischen Vorgänge: Ernährung, Atmung, Kreislauf... die zweite, entwickeltere, wird »animalische« Seele genannt; die dritte Empfindungsseele, die vierte intellektuelle oder Vernunftseele. Zuletzt kommt die göttliche Seele, die reines Licht ist; sie wird nur von den Eingeweihten empfangen, die ihre Evolution beendet haben.

Zur vegetativen Seele, die als Erstes den Embryo im Bauch der Mutter belebt, gesellt sich im Alter von etwa sieben Jahren die sogenannte »animalische« bzw. Willensseele. Man glaubt gewöhnlich, dass die Seele sich im sogenannten »Alter der Vernunft« endgültig niederlässt. Nein, es handelt sich nur um die Willensseele. Von der Geburt an bis zum siebten Jahr ist das Kind ständig in Bewegung, geht, rennt herum, gestikuliert, und mit sieben Jahren, wenn sich die animalische Seele vollkommen in ihm niedergelassen hat, kann gesagt werden, dass es selbständig genug geworden ist, um seine Gesten beherrschen zu können.

Aber seit einiger Zeit begann bereits beim Kind ein neuer Zeitabschnitt, in dem das Gefühlsleben immer wichtiger wird. Die Empfindungsseele tritt nach und nach in Erscheinung. Mit ungefähr 14 Jahren – während der Pubertät – tritt die Empfindungsseele, nachdem sie ihre Reife erlangt hat, endgültig ein und drängt den jungen Menschen dazu, sich durch seine Empfindsamkeit führen zu lassen.

Aber zur gleichen Zeit entwickelt sich bei ihm auch die Fähigkeit nachzudenken und schließlich – mit ungefähr 21 Jahren – lässt sich die intellektuelle, rationale Seele nieder. Das will nicht heißen, dass vom einundzwanzigsten Lebensjahr an der Mensch automatisch weise und vernünftig wird, nein, denn gerade in diesem Lebensabschnitt kann er die größten Dummheiten seines Lebens anstellen! Aber zu dieser Zeit gelangt er in den Besitz des Begriffsvermögens und der Urteilskraft.

Was die göttliche Seele angeht, so hängt ihr Eintritt in uns von dem Leben ab, das wir beschlossen haben zu führen, und von unserem Verlangen, diese Seele zu empfangen. Was man Einweihung nennt, ist eben dieser Weg, den der Mensch durchlaufen muss, um seine göttliche Seele zu finden und sie anzuziehen, damit sie sich in ihm niederlässt und in ihm wohnt. Der Eingeweihte ist derjenige, der daran gearbeitet hat, alles in sich umzuwandeln, um seine göttliche Seele anziehen zu können; sein ganzes Wesen ist harmonisch geworden, und er schwingt im Einklang mit der kosmischen Intelligenz, zu deren Boten und Diener er wird.

Aber dies vermögen nur wenige ungewöhnliche Menschen, die durch viele Inkarnationen hindurch in diesem Sinne arbeiteten. Sie dachten an nichts anderes als sich wiederzufinden, sich zu verwirklichen, ihre göttliche Seele anzuziehen, um sie ganz zu offenbaren. Jahrelang haben sie sich durch Läuterungs- und Meditationsübungen, durch Gebet und Opfer vorbereitet, um ihr höheres Selbst, ihr göttliches Selbst anzuziehen. Wenn ihnen das gelingt, sagt man, dass sie den Heiligen Geist empfangen haben.

Auch die Kabbalisten meinen, dass der Mensch mehrere Seelen habe. Die Empfindungsseele oder astrale Seele, nennen sie Nephesch, die intellektuelle Seele Ruach, und die höheren Seelen Neschamah, Chaija und Jeschidad. Ihrerseits sprechen die Hindus nicht von Seelen, sondern von Körpern, was aber auch zutrifft, denn jedes Materialteilchen ist mit Energie beladen. Diese Energie ist das männliche Prinzip, und die Materie ist das weibliche Prinzip. Im ganzen Universum ist die Materie mit Energie beladen, also besitzt auch unser physischer Körper, der ja aus Materie besteht, eine Energie, und diese Energie nennt man eben Seele. Aber außer dem physischen Körper besitzt der Mensch noch andere, feinstofflichere Körper, und jeder hat seine eigene Seele: Für den physischen Körper ist es die vitale Seele und für den Mentalkörper die intellektuelle Seele; für die Kausal-, Buddhi- und Atmankörper gibt es noch drei höhere Seelen. Jeder Körper enthält also seine eigene Seele. Der Körper ist die Form, der Behälter, und die Seele die ihn belebende Energie. Beide sind untrennbar. Selbst die Natur, der Kosmos, ist ein Körper, der Körper Gottes, und auch er hat eine Seele, die Universalseele. Für mich ist das alles kristallklar.

Aber kehren wir zu den verschiedenen Körpern zurück. Die drei grundlegenden Tätigkeiten, durch welche sich der Mensch äußert, sind das Denken (durch den Intellekt erzeugt), das Fühlen (ausgedrückt durch das Herz) und das Handeln (durch den physischen Körper ausgeführt). Glaubt nicht, dass allein der physische Körper aus Materie besteht: Auch Herz und Intellekt sind materielle Werkzeuge, nur mit dem Unterschied, dass ihre Materie feinstofflicher ist als die des physischen Körpers.

Eine lange esoterische Tradition lehrt, dass der Astralkörper der Träger, das Vehikel des Gefühls ist und der Mentalkörper das des Intellektes. Aber diese Dreiheit: Physischer Körper, Astralkörper und Mentalkörper machen lediglich unsere unvollkommene, menschliche Natur aus. Die gleichen Fähigkeiten des Denkens, Fühlens und Handelns finden sich in uns auf einer höheren Ebene wieder, und dort sind ihre Träger die Kausal-, Buddhi- und Atmankörper, die unser göttliches Selbst bilden. Die drei großen konzentrischen Kreise zeigen die Verbindungen auf, die zwischen niederen und höheren Körpern bestehen (s. Abbildung).

Der physische Körper, der die Kraft, den Willen und die Macht auf der materiellen Ebene darstellt, ist mit dem Atmankörper verbunden, der den göttlichen Willen und die göttliche Macht verkörpert.

Der Astralkörper vertritt die persönlichen, egoistischen Gefühle und Wünsche und ist mit dem Buddhikörper verbunden, der die göttliche Liebe darstellt.

Der Mentalkörper schließlich, der die gewöhnlichen eigennützigen Gedanken darstellt, ist mit dem Kausalkörper verbunden, der die göttliche Weisheit ausdrückt.

In unserem irdischen Ich sind wir also eine Dreiheit, die denkt, fühlt und handelt. Aber diese Dreiheit ist noch ein sehr schwaches Spiegelbild der anderen, himmlischen Dreiheit, die darauf wartet, sich mit uns zu vereinigen. Sicher vollzieht sich diese Verschmelzung eines Tages. Und das ist der verborgene Sinn des Salomonischen Siegels, dieses Symbols von tiefer Bedeutung, das übrigens schon lange vor Salomon bekannt war. Die Eingeweihten fassen oft psychische und geistige Wirklichkeiten von großer Tiefe in einem Symbol, einer sehr einfachen geometrischen Form, zusammen.