Die Quellen des Zorns - Widmar Puhl - E-Book

Die Quellen des Zorns E-Book

Widmar Puhl

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Beschreibung

Die Belagerung der "Festung Europa" durch illegale Einwanderung und die Reaktionen verschreckter Bürger darauf sind nur ein Beispiel für Auslöser des Volkszorns. Die Griechenland-Krise bzw. die europäische Finanzkrise, Terrorismus, Parallelgesellschaften in Europa und schwere Verstöße der USA und Russlands gegen das Völkerrecht: All das sind Quellen des Volkszorns. Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, der Trend zu mehr Überwachung, Vorratsdatenspeicherung, Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit kommen hinzu. Die Folgen sind eine alarmierende Wahlverweigerung, linke Protestbewegungen wie "Blockupy", die griechische Syriza und die spanische "Podemos", aber auch rechte Protestbewegungen wie PEGIDA und neue Parteien wie die "Alternative für Deutschland" (AfD). Alte Maßstäbe scheinen nicht mehr zu gelten. Auch Außenpolitik wird immer widersprüchlicher und damit unglaubwürdiger. Europa ist dabei, ähnlich wie Russland und die USA seine Ideale zu verraten, und agiert teilweise in Krisen ohne demokratische Legitimation. Wenn es nicht gelingt, die Quellen des Zorns auszutrocknen, ist eine Flutwelle zu erwarten, die alles wegspült, was uns lieb und teuer ist. Ein Umdenken, vor allem aber ein neues Handeln sind nötig, um eine Katastrophe zu verhindern – nicht nur bei der Energiewende und im Kampf gegen Hunger und Armut, der längst auch in Deutschland tobt. Wenn wir Wirtschaftsflüchtinge ausgrenzen, bloß um den sprunghaften Anstieg der Bürgerkriegsflüchtlinge zu bewältigen, vergessen wir diesen Kampf gegen Hunger und blanke existenzielle Not. Kein Land der Welt ist allein in der Lage, diese Probleme zu bewältigen. Aber die Ressourcen dafür sind da, und viele Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch; es geht also um Aufklärung, um eine offene Diskussion mit den Ewig-Gestrigen, die konstruktive Lösungen blockieren und auf jedem Krisenherd ihr eigenes Süppchen kochen.

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Widmar Puhl

Die Quellen des Zorns

Gefahr für Rechtsstaat & Demokratie

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Einleitung

Klassenkampf von oben

Rechtsstaat in Verruf

Ein Richter verliert den Glauben an den Rechtsstaat: ein Porträt

Der Staat versagt als Schutzmacht

Armut und Würde

Ein Mann, ein Wort: Öffentlich lügen

Ein seltsames neues Menschenbild

„Bildung lohnt sich“ – noch ein Betrug

Für eine neue Medien- und Kulturpolitik

„Es kocht in den Völkern“

Manifest zur Erneuerung der Demokratie

Literatur

Impressum neobooks

Einleitung

Die Belagerung der „Festung Europa“ durch illegale Einwanderer und die Reaktionen verschreckter Bürger darauf sind nur ein Beispiel für Auslöser des Volkszorns. Die Griechenland-Krise (besser: die europäische Finanzkrise) und ihre Folgen, Terrorismus, islamische Parallelgesellschaften in Europa und die weit gehende Abkehr der Großmächte USA und Russland vom Völkerrecht machen die Menschen wütend. Guantanamo, die Ausdehnung der NATO und die Annexion der Krim sprechen Bände. All das sind Quellen des Volkszorns. Der bricht sich lautstark Bahn – nicht nur in linken Protestbewegungen wie der griechischen Syriza und der spanischen „Podemos“, sondern auch in rechten Protestbewegungen wie PEGIDA und neuen Parteien wie der „Alternative für Deutschland“ (AfD). Im globalen Maßstab ist zu beobachten, dass immer stärker Egoismus an die Stelle von Humanismus tritt, ruppige Nationalismen an die Stelle internationaler Solidarität, Freund-Feind-Denken an die Stelle einer differenzierten, sachlichen Debattenkultur.

Das Ausmaß dieser Entsolidarisierung ist eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat. Das betrifft die Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik, aber auch die Innenpolitik mit einem Trend zu mehr Überwachung, Vorratsdatenspeicherung, Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit. Alte Maßstäbe scheinen nicht mehr zu gelten. Außenpolitik wird immer widersprüchlicher und damit unglaubwürdiger. Europa ist dabei, ähnlich wie Russland und die USA seine Ideale zu verraten, und agiert teilweise in Krisen ohne demokratische Legitimation. Wenn es nicht gelingt, die Quellen des dadurch ausgelösten Zorns auszutrocknen, ist mit einer Flutwelle zu rechnen, die alles wegspült, was uns lieb und teuer ist.

Ein Umdenken, vor allem aber ein neues Handeln sind nötig, um eine Katastrophe zu verhindern – nicht nur bei der Energiewende und im Kampf gegen Hunger und Armut, der längst auch in Deutschland tobt. Wenn wir Wirtschaftsflüchtinge einfach bloß ausgrenzen, um den sprunghaften Anstieg der Bürgerkriegsflüchtlinge zu bewältigen, vergessen wir diesen Kampf gegen blanke existenzielle Bedrohungen, die nicht von Bomben oder Gewehren herrühren. Um das Problem der illegalen Migration zu lösen, brauchen wir humane, faire Regeln und eine wirklich einheitliche Politik in Europa. Kein Land der Welt ist allein in der Lage, diese Aufgabe zu bewältigen.

Aber die Ressourcen dafür sind da, und viele Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch; also geht es um Aufklärung, um eine offene Diskussion mit den Ewig-Gestrigen, die konstruktive Lösungen blockieren und auf jedem Krisenherd ihr eigenes Süppchen kochen. Der Protest gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 trieb so viele Menschen auf die Straßen, weil hier zahlreiche Quellen des Volkszorns zu einem mächtigen Strom zusammenflossen. Er zeigte exemplarisch: Die Menschen haben das Gefühl, dass der Staat sie nicht ernst nimmt und die maßlose Gier der Geldeliten unkontrolliert wuchert. Repräsentanten eines Systems, das Großprojekte zu Selbstbedienungsläden für Parteien und Lobbyisten macht, werden abdanken müssen. Neuartige Formen des Bürgerprotestes in allen Metropolen der Welt entzünden sich auch an ganz anderen ungelösten Problemen. Aber immer geht es um Ethik in der Politik. Demokratie und Rechtsstaat verlieren jede Glaubwürdigkeit und Legitimation, wenn sie für die Mehrheit der Bürger zu einer permanenten Quelle des Unrechts oder der Bedrohung werden, weil sie nur die Interessen einer cleveren Minderheit schützen.

Nicht Gesetze sind daher marktkonform zu machen, sondern Märkte gesetzeskonform. Im Namen der „Globalisierung“ werden Nachrichten in Sekunden um die ganze Welt geschickt, aber auch jeder Blödsinn und selbst die unsinnigste Wette. Eine hyperventilierende Wirtschaft versucht, die Regeln der virtuellen Welt auf die real existierende Wirtschaft anzuwenden. Der Preis dafür ist der Kollaps nicht nur einzelner Unternehmen, sondern ganzer Branchen und Staaten. Firmen, die bisher den Regeln redlicher Kaufleute gehorchten, werden zu Spielcasinos hemmungsloser Spekulanten mit Allmachtsphantasien. Der Bankenkrise von 2008 - 2009 folgte die Wirtschaftskrise auf dem Fuß, und die nächste steht bevor, wenn niemand den Teufelskreis durchbricht.

Denn völlig ungeniert wetten die Zocker nach dem wirtschaftlichen auch auf den politischen Systemabsturz. Der Rechtsstaat stirbt anscheinend lieber, als Bankenkontrolle und Steuergerechtigkeit durchzusetzen oder Marktexzesse zu stoppen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel weigert sich z. B. ganz offen, das Urteil des obersten Gerichts umzusetzen, das die schleichende Steuerprogression verbietet. Recht und Gesetz nach Kassenlage sind aber nicht legitim. Nicht das Austeritätsprinzip („Totsparen“) oder das überdehnte Erfolgsrezept „Privatisierung“ kann ein Desaster verhindern, sondern nur Ludwig Erhards Prinzip „Wohlstand für alle“.

Während Millionen von Existenzen vernichtet werden, nimmt der Reichtum der Reichen immer schneller zu. Der Protest dagegen verbindet Bürger westlicher Industrieländer mit Demokratiebewegungen in aller Welt oder der Occupy-Bewegung. Eine so genannte Troika aus IWF, EZB und Brüsseler Beamten diktiert Südeuropa den Weg aus der Schuldenkrise. EU-Kommissare beschließen an den Parlamenten vorbei „Rettungsschirme“ für angeblich systemrelevante Banken oder Niedrigzinsen, die den Sparer enteignen.

Zunehmend werden in „demokratischen Rechtsstaaten“ die Rechte der Parlamente verletzt, Grundrechte wie Pressefreiheit eingeschränkt (Russland, Ungarn oder Großbritannien), ist die Unabhängigkeit der Justiz zweifelhaft wie in Berlusconis Italien, Putins Russland und in einem Deutschland, das vor der Spionagepraxis von CIA und NSA kuscht. In dieses Kapitel gehört auch die traurige Bilanz der bisherigen Strafverfolgung und Rechtssprechung in der juristischen Auseinandersetzung um das Bauprojekt Stuttgart 21. Vor dem Gesetz sind in Deutschland schon längst nicht mehr alle gleich.

Zur Erosion des Rechtsstaates trägt zudem massiv die wachsende Neigung bei, Interessen mit Gewalt zu verteidigen wie beim gemeinsamen militärischen Grenzschutz der EU (euphemistisch wird FRONTEX als „Agentur“ bezeichnet). CIA-Mitarbeiter haben etliche verdächtige Islamisten wie den deutschen Staatsbürger Murat Kurnaz illegal, allem Anschein nach über die Airbase Ramstein, entführt und gefoltert – mit Duldung der Behörden. Amerikas „Krieg gegen den Terror“ kostet viele Zivilisten das Leben und schafft weltweit einen ganz neuen Typus von Überwachungsstaat. Inzwischen will sogar das deutsche Verteidigungsministerium bewaffnete Kampfdrohnen aus Israel kaufen, um risikofrei aus der Entfernung töten zu können – ohne Gerichtsbeschluss und obwohl die Todesstrafe in Deutschland nicht existiert. Angeblich geht es dabei um den Schutz der Soldaten, aber dafür fehlt schlichtweg die gesetzliche Grundlage. Gleichzeitig schützt das staatliche Gewaltmonopol die Bürger nicht mehr ausreichend vor Kriminalität, weil Stellen bei der Polizei abgebaut werden.

Nicht weniger problematisch ist die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben aus Gründen der Kostenersparnis. Notare ersetzen ordentliche Betreuungsverfahren vor dem Familiengericht, preiswerte Sicherheitsdienste bewachen Gefängnisse und Flüchtlingsheime, Söldner umgehen das Kriegsrecht; da war das Vorgehen der USA im Irak Vorbild und Berufungsinstanz für Russlands Annektion der Krim sowie die Infiltration der Ostukraine. Die Kosten für diese „Sparmodelle“ übersteigen jedoch inzwischen die Einsparungen deutlich. Nur trägt der Bürger diese Kosten und nicht mehr die Staatskasse, die er mit steigenden Steuern füllt. Das dürfte und müsste alles nicht sein. So etwas ist kein „Imageproblem“ mehr; es beschädigt längst die Grundfesten der Demokratie – vor allem durch die bedrohliche Zahl der Protest- und Nichtwähler.

Dieses Buch geht den Ursachen für den wachsenden Zorn von Millionen über die Art und Weise nach, wie die politische Kaste zur Zeit Begriffe wie „Demokratie“ und „Rechtsstaat“ dreist umdeutet – unter Mithilfe von Juristen. Das geschieht nicht nur in Aserbaidschan, China oder Russland, sondern auch in den USA und Europa. Das Problem ist global, die Wege zu einer Lösung ebenfalls.

Die Interessen der Mehrheit müssen endlich wieder zum Maßstab des politischen und ökonomische Handelns werden. Unsere Politiker dürfen nicht länger mit gespaltener Zunge reden. Das Tricksen und Täuschen mit juristischen Mitteln, durch Lobbyismus oder die Manipulation der Medien muss aufhören. Und wir dürfen uns nicht weiter schulterzuckend ans Unrecht gewöhnen. Die Alternative heißt Aggression – vom Wutbürger auf der Straße bis hin zu Bürgerkrieg und Terrorismus, die zum Exportartikel werden. Das zeigt sich vor allem in der islamischen Welt, wo das Streben nach Freiheit und Bürgerrechten schon allzu lange auf gewaltbereite Autokraten und Systeme ethnischer oder religiöser Unterdrückung stößt.

Dass dieser Volkszorn sich weder aussitzen noch kanalisieren lässt, zeigen nicht zuletzt die PEGIDA-Bewegung oder das Umschlagen des „ägyptischen Frühlings“ in eine neue Diktatur nach Mubarak. Ignorieren wir solche Gefahrenherde und deren Ursachen weiter, droht der Kollaps des freien Westens, möglicherweise der des ganzen Erfolgsmodells von Demokratie und Rechtsstaat. 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Absturz eines Systems nicht mehr auszuschließen, dem wir 70 Jahre Frieden und wachsenden Wohlstand verdanken.

Klassenkampf von oben

Was läuft falsch und wer profitiert davon?

Ein Gespenst geht um: die Maßlosigkeit. Stuttgart 21 treibt deswegen so viele Menschen im Protest auf die Straße, weil hier viele Quellen des Volkszorns zu einem mächtigen Strom zusammenfließen.

Je mehr Politiker diese Bewegung klein zu reden versuchen nach dem Motto „Ihr tut so, als sei die Demokratie gefährdet“, desto mehr wird dieses Verhalten zur self-fulfillig prophecy: Weil man die Ursachen des Protestes nicht ernst nimmt, schwillt er weiter an. Repräsentanten eines Systems, das in Großprojekten nur Selbstbedienungsläden für Parteien und Lobbyisten sieht, werden darin untergehen. Stuttgart 21 ist nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Da entladen sich auch ganz andere Probleme, die sich seit Jahrzehnten angestaut haben.

Google, Microsoft, Ebay und Facebook oder Konzerne wie IKEA, Monsanto, BASF, Standard Oil, BP, Walmart, Starbucks und Aldi sowie ehemalige, jetzt „privatisierte“ Staatsbetriebe und die FIFA oder Netzwerke des organisierten Verbrechens gewinnen, fast alle anderen verlieren. Weltweit versucht die ökonomische Oberschicht, die Unterschicht wieder zu vergrößern, die im 20. Jahrhundert fast nur noch in Entwicklungsländern existierte. Und diese Oberschicht ist klein. Auch in Riesenkonzernen sind es oft nur wenige Manager, die Gott spielen, massenhaft Existenzen vernichten und sagenhafte Reichtümer anhäufen. Dazu kommen Macht und Einfluss in der Politik durch Medien-Dynastien wie Murdoch, Holtzbrinck oder Neven Dumont. So viel Macht und Geld in den Händen weniger gefährden nicht nur die Pressefreiheit, sondern auch die Bürgerrechte und die Demokratie selbst.

Seit dem Ende des Eisernen Vorhangs deutet vieles auf einen systematischen Klassenkampf "von oben" hin. Wer profitiert von diesen Zuständen? Zur sachlichen Überprüfung dieser Frage können schon einige wenige Fakten beitragen, selbst ohne Chronologie und Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit.

1.Entsolidarisierung: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich ständig weiter. Die krassesten Beispiele dafür sind die horrenden Provisionen und Boni für Anlageberater, Bankiers oder Unternehmensberater, die oft in kurzer Zeit Hunderte von Millionen oder gar Milliarden kassieren. Die Jagd nach dem schnellen Geld findet sich aber auch weiter unten. Auf breiter Front halten etwa Ärzte oder Juristen Stundensätze von mehreren 100 Euro für angemessen, während das, was als unantastbares Mindesteinkommen oder Existenzminimum gilt, ständig nach unten korrigiert wird (auch keine Anpassung an die Inflation ist ein Schrumpfen). Das Gleiche gilt für Renten, Hartz-4-Sätze etc. Ganz unten aber konkurrieren oft schon Arbeitslose und Migranten um prekäre Jobs und Wohnungen. Hassprediger wie Thilo Sarrazin fordern ganz offen drastische Einsparungen bei Unterhalt und Bildungsangeboten für die Unterschicht und massive Förderung einer Oberschicht, die zu wenige Kinder zeugt. Sie verschweigen aber, dass auch ein akademisches Proletariat ohne sichere und gut bezahlte Jobs keine Kinder in die Welt setzen wird.

2.Entwertung von Bildung: Gerade in der bisherigen Mittelschicht des Bildungsbürgertums entsteht eine neue Armut: Akademische Berufe im Bereich von Bildung und Medien, wo Ausbildung besonders teuer ist, die aber nicht dem Modell der „schlanken“ Curricula z. B. bei Medizinern, Juristen und Ingenieuren entsprechen, werden kontinuierlich abgewertet. Erziehung zu selbständigem Denken scheint politisch unerwünscht zu sein, sonst lägen die Einkommen von Lehrern, Journalisten oder Autoren nicht unter denen eines Facharbeiters, in dessen Ausbildung nur ein Bruchteil davon investiert wurde. Gerade der Bildungsbereich ist bildungs- und fortbildungsintensiv, aber ausgerechnet hier gibt es extrem viel prekäre Teilzeitarbeit und Scheinselbständigkeit. Freie Autoren werden zusätzlich enteignet durch die Praktiken kostenlosen Kopierens im Internet und durch fehlende Bezahlsysteme für Blogs etc.

Es ist volkswirtschaftlich nicht gesund, wenn das Geld für die Verwalter von Kultur ausgegeben wird statt für die Urheber und wenn Bildung ersetzt oder verkürzt wird durch Ausbildung. Bildung ist systemrelevant, und wer sie stiefmütterlich behandelt, den bestraft das Leben mit Dummheiten ohne Ende.

3. Armut von Staats wegen: Die Große Koalition aus CDU und SPD weigert sich wie schon vorher die CDU-FDP-Regierung und Rot-Grün, die steuerliche Ungerechtigkeit der "schleichenden Progression" abzuschaffen. Auch der Hinweis, eine Vermögenssteuer bringe nichts, ist fraglich im internationalen Vergleich. In anderen Ländern zahlen Unternehmer ganz normal ihre Steuern und finden nichts dabei. In Deutschland ist Steuerhinterziehung geradezu Ehrensache.

Warum nimmt der Staat sein Geld nicht von denen, die es mehr als reichlich haben? Die Umverteilung von unten nach oben scheint politisch gewollt zu sein. Das schlechte Beispiel der USA macht Schule auch bei Europäern, die es eigentlich besser wissen müssten. Es ist eine Katastrophe, wenn die Motivation fleißiger Menschen ständig durch eine Abgabenlast untergraben wird, die ihnen durchschnittlich weniger in der Tasche lässt als reinen Empfängern staatlicher Transferleistungen.

4. Unsoziale „Sozialbeiträge“: Das soziale Netz ist an vielen Stellen fehlerhaft gestrickt. Aber besonders schwer wiegt, dass niemand es wagt, die heilige Kuh der Bemessungsgrenzen bei Sozialbeiträgen anzutasten. So bleibt die faktische Belastung der Durchschnittsverdiener und sogar der Armen unverhältnismäßig hoch im Vergleich zu Einkommensmillionären. Auch Beiträge zur Krankenversicherung steigen aus diesem Grund seit vielen Jahren einseitig zu Lasten der Versicherten, während Leistungen sinken. Die Gesundheitspolitik zeigt besonders krass, wie auf Kosten derer gespart wird, die medizinische Leistungen am nötigsten brauchen und die von ihrem Einkommen am meisten in das System eingezahlt haben: Alte Menschen, der „kleine Mann“, chronisch Kranke und sozial Schwache. Ich will als Beispiel dafür bloß die Tatsache nennen, dass Deutschland das einzige Land in der Welt ist, in dem die Pharmaindustrie die Preise für ihre Medikamente selbst festsetzen darf. Immer unverhohlener heißt es: "Medizinischer Fortschritt kostet eben Geld". Unausgesprochen wird der Satz ergänzt durch die Aussage: "aber nur für die Gering- oder Durchschnittsverdiener". Gerade im Gesundheitswesen wird enorm viel Geld verdient - in vielen Fällen ohne angemessene Gegenleistung.

5. Immer mehr Arbeit für weniger Geld: Unternehmerverbandssprecher, IHK-Vorsitzende oder andere Lobbyisten der oberen Zehntausend fordern ständig Korrekturen der Sozialstandards nach unten: Der Rückschritt in die Zeit vor 1970 ist offenes Ziel der Debatte über "Konkurrenzfähigkeit auf den globalen Märkten". Wo man Löhne nicht einfach kürzen kann, verlangen sie längere Arbeitszeiten. Sie bedienen eine Lobby, die sicherlich auch konkrete Ziele hat wie die Restauration der Aristokratie des Geldes, die aber nie genannt werden. Seltsam: Ausgerechnet Milliardäre wollen nicht als Prediger sozialer Unwucht dastehen.

Tatsache ist ebenfalls, das beweisen etliche wissenschaftliche Studien, dass heute die Arbeitsbedingungen für viele Menschen in Deutschland durch anhaltende Arbeitsverdichtung und "interne Optimierungen der Arbeitsorganisation" in vielen Unternehmen schlechter sind als 1970. Seit 20 Jahren erleben wir sozialen Rückschritt.

6. Privatisierung von Volkseigentum: Bahn, Post, Telekom, Infrastrukturbetriebe wie Busse, Bildungseinrichtungen, Krankenhäuser etc. sollen privatisiert werden, so verlangt es die Ideologie des Neoliberalismus. Die Kosten dafür werden sozialisiert, Verluste bei Fehlspekulationen wie in der Finanzkrise 2008/9 ebenfalls.

Politiker und Manager, die permanent davon reden, man müsse endlich "Verantwortung übernehmen" und solle "nicht immer nach dem Staat rufen", haben jedoch bei der Finanzkrise Hunderte von Milliarden zur Rettung von Banken ausgegeben, die sich auf kriminelle Weise verspekuliert hatten. Angemessene Kontrollgesetze gibt es immer noch nicht.

Die gleichen Industriesprecher und Politiker, die chronisch fordern, gegen den "Sumpf der Subventionen vorzugehen", missbrauchen selbst den Begriff "Subvention": Die Autoindustrie z. B. hat 2009 eine "Verschrottungsprämie" als Subvention von 5 Milliarden € durchgesetzt und zusätzlich über ein Jahr lang den Staat durch Kurzarbeit zur Kasse gebeten. Sie weigert sich aber, endlich sinnvoll in eine Elektrifizierung des Pkw-Verkehrs und ein Netz von Wasserstoff-Tankstellen für längst entwickelte Brennstoffzellen-Pkw zu investieren. Und sie betrügt – wie VW – auf skandalöse Weise bei Angaben zu Abgaswerten und Spritverbrauch. Ähnlich verlogen verläuft der Grabenkrieg der Energiekonzerne gegen die „Energiewende“, bei der z. B. die Verbraucher teure Subventionen für Atom- und Braunkohlekraftwerke oder Rabatte für eine wachsende Liste von Industriebetrieben bezahlen müssen.

Auf der anderen Seite redet man von „Subventionen“, die abzuschaffen seien, wenn es darum geht, tatsächliche Kosten zu deckeln, die bei der Erlangung des Arbeitseinkommens entstehen: häusliche Arbeitszimmer, tatsächlich gefahrene Kilometer, echte Spesen, wirkliche Kosten von Versicherungen und Altersvorsorge anstelle total veralteter Pauschalen.

7. Privatisierung von Forschung und Bildung: Die Freiheit von Lehre und Forschung ist in Gefahr, wo staatliche Mittel dafür gekürzt werden und der Staat stattdessen möglichst alle Forschung an die Industrie delegiert. So investiert die Pharmaindustrie seit Jahrzehnten zu wenig Geld in Studien über Medikamente für Kinder, weil Kinder eine Minderheit sind, die „sich nicht rechnet“. Einen Impfstoff gegen Ebola gab es z. B. bei der großen Epidemie von 2014 nur deshalb noch nicht, weil Ebola eine Krankheit des armen Afrika ist. Boni für Banker, die nachweislich ihr Unternehmen an die Wand gefahren haben, sind im Finanzministerium aber "nicht zu beanstanden". Banken sind systemrelevant – Bildung aber nicht?

8. Zunehmende Hetze gegen soziale Kooperation: Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" enthält neben rassistischen und fremdenfeindlichen Dummheiten auf Stammtischniveau vor allem Hasstiraden und Verächtlichkeiten gegen sozial Schwache, chronisch Kranke etc: Da schimpft ein Multimillionär gegen einen Sozialstaat, der es Seinesgleichen in Zukunft schwer machen könnte, so weiter zu raffen wie bisher. So etwas hätte ein seriöser Verlag wie die Deutsche Verlagsanstalt früher niemals gedruckt. Aber seit Dummköpfe und Machos wie Dieter Bohlen als Bestsellerautoren hoffähig sind, weil sich mit ihnen Geld machen lässt, zählt Verblödung mit Würze mehr als Moral. Geld stinkt nicht – außer es stammt von einem Dukatenscheißer.

Populistische Politiker wie CSU-Chef Seehofer oder CDU-Regierungschefin Merkel legen im Sog solcher Bestseller noch nach: "Multikulti ist tot! Multikulti ist vollkommen gescheitert!" Es ist wieder in, Andersdenkende mundtot zu machen und möglichst sogar zu bestrafen. Mit derlei Unsinn wurde das Entstehen der europafeindlichen, rechtslastigen Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) provoziert. Nachdem sie bei einer Wahl nach der anderen auf Kosten der etablierten Parteien in Landtage und sogar ins Europaparlament eingezogen war, kam aber kaum Selbstkritik beim politischen Establishment. Wie immer sucht man den Buhmann beim politischen Gegner.

9. Ungleichheit vor dem Gesetz: Der Ausstieg aus dem Atomausstieg wurde von der CDU-FDP-Mehrheit im Bundestag gegen die Mehrheit der Wähler und der übrigen Parteien beschlossen. Dabei umging die Regierung bewusst das demokratische Verfahren der Beteiligung der betroffenen Länder durch eine Abstimmung im Bundesrat, was sogar Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bedenklich fand. Der endgültige Ausstieg nach der Katastrophe von Fukushima war ebenfalls ein Alleingang der Regierung. Gleichzeitig zu dieser Atompolitik wurde die Förderung für Solarenergie durch den Staat reduziert, die Kosten dafür schlägt man auf die normale Stromrechnung für die Verbraucher auf. Heizen muss in diesem Land jeder, aber die Heizkosten für Privathaushalte stiegen 2011 um 15 % im Schnitt. Gleichzeitig wollte man Beziehern von Hartz IV den Heizkostenzuschuss streichen. Beim Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg hat die große Koalition diese Perversion nicht abgeschafft.

10. Legale Korruption: Großprojekte erweisen sich immer öfter als Netzwerk von Spekulanten, Großindustrie und Politikern, die in den Aufsichtsräten der beteiligten Firmen sitzen. Spricht man ihre Parteigänger darauf an, dass deswegen in Deutschland immer mehr Dinge immer schlechter funktionieren, heißt es nur, woanders sei alles noch schlimmer. Warum wird z. B. nicht endlich gesetzlich verboten, dass Politiker nebenbei in Aufsichtsräten sitzen und auch noch Geld dafür annehmen, dass sie im Interesse politischen Einflusses die Ökonomie schädigen? Das war im Frühjahr 2013 nachweislich der Fall bei dem Beschluss des Bahn-Aufsichtsrates, Stuttgart 21 trotz erwiesener Unwirtschaftlichkeit nicht zu stoppen.

11. Aggressive Intoleranz: Regt sich bürgerlicher Ungehorsam und gehen die Menschen auf die Straße, weil sie nicht damit einverstanden sind, wie Politiker z. B. in der Atomfrage oder bei Stuttgart 21 "demokratische Verfahren" durch Volksvertreter eher unterlaufen als ernst nehmen, werden Gegner diffamiert und kriminalisiert. Dabei scheut man nicht vor falschen Behauptungen zurück: Innenminister de Maiziere und die baden-württembergische Kultusministerin Schick nach dem extremen Polizeieinsatz gegen eine Schülerdemonstration im Stuttgarter Schlosspark am 30. September 2010: "Wenn Schüler massenhaft Entschuldigungen bringen, um demonstrieren zu gehen, wird das Demonstrationsrecht missbraucht." Oder: "Lehrer, die ihre Schüler gegen Stuttgart 21 instrumentalisieren, müssen mit einem Disziplinarverfahren rechnen." Tatsächlich ergaben die Ermittlungen nach Presseberichten, dass kein Lehrer seine Pflichten missachtet hatte und keine elterlichen Entschuldigungen für demonstrierende Schüler vorlagen.

12. Tendenzen zum Polizeistaat: Vor allem CDU-Politiker neigen wieder zunehmend zu einer Gewaltbereitschaft, die seit 1969 überwunden schien. In Stuttgart wurden am 30. September 2010 gegen friedliche Stuttgart-21-Gegner Schlagstöcke, Tränengas und Wasserwerfer – vermutlich sogar mit CS-Reizgas – eingesetzt, um eine Sitzblockade aufzulösen. Angemessen wäre aber eine Reaktion wie beim Protest gegen Castortransporte vor Gorleben gewesen, wo die Polizei Blockierer wegtrug. Bei solchen Anlässen zeigen sich zusammen mit der Gewaltbereitschaft führender Politiker wie Stefan Mappus Denkweisen, die wir lange Zeit im Falle von Wladimir Putin, Silvio Berlusconi oder China als undemokratisch gebrandmarkt haben - übrigens gerade die CDU.

Mit diesem Missbrauch staatlicher Gewalt geht eine wachsende Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols einher, die das Land nicht sicherer macht als früher, sondern unsicherer: "Sparzwänge" am falschen Platz sorgen sogar dafür, dass Zehntausende von Stellen bei der Polizei gestrichen werden, während das organisierte Verbrechen triumphiert oder Polizisten für Geschwindigkeitskontrollen missbraucht werden, die nur der Geldbeschaffung dienen. Paranoider Sicherheitsaufwand bei G-7-Treffen oder Besuchen des US-Präsidenten oder Polizeieinsätze gegen Demonstranten müssen auch dann noch finanziert werden. Fazit: Die Sicherheit in der Fläche nimmt dramatisch ab. Stattdessen machen sich private Sicherheitsdienste dort breit, wo eigentlich ein staatliches Gewaltmonpopol gelten müsste (bis hin zur skandalösen Beteiligung der Privatfirma "Blackwater" am Irak-Krieg, über die schon ein Buch existiert). Man glaube nicht, das gebe es in kleinerem Maßstab nicht auch längst bei uns! Wer daran gezweifelt hatte, musste sich 2014 bei dem Skandal um Sicherheitsleute, die in Nordrheinwestfalen Asylbewerber misshandelt hatten, eines Besseren belehren lassen.

Ohne nachhaltige, harte und bescheidene Arbeit ist keine erfolgreiche und ökologisch vertretbare Ökonomie möglich. Ohne Augenmaß, menschliche Zuwendung, Ehrlichkeit, gesellschaftliche Verantwortung und Solidarität kann es keine glaubwürdige Politik geben. Das erkennen immer mehr Menschen. Sie sind nicht mehr mit den üblichen Sonntagsreden ruhig zu stellen. Sie verlangen vom Führungspersonal der Republik ein Umdenken und ein dementsprechendes Handeln. Sie tun es lautstark, und das ist ihr gutes Recht.

Rechtsstaat in Verruf

Deutschland ist eine repräsentative parlamentarische Demokratie, und dieses System hat uns nicht nur politische Stabilität beschert, sondern auch Jahrzehnte des Friedens und des relativen Wohlstandes. Niemand sollte es daher leichtfertig aufs Spiel setzen und bei kritischer Betrachtung das Kind mit dem Bad ausschütten. Aber irgend etwas ist faul im Staate. Wie ein Computer, der immer langsamer und träger wird, scheint er dringend ein Update zu brauchen, etwa durch Ergänzung der repräsentativen mit Elementen der direkten Demokratie. Die Akteure hatten zu viel Zeit, um sich das System anzupassen, statt sich den Forderungen der Verfassung wirklich zu stellen. Das spüren immer mehr Menschen im Land und reagieren mit außerparlamentarischer Opposition, Wahlenthaltung oder „Denkzettel-Wahlen“. Angesichts dieser Tatsachen ist es zumindest fahrlässig, den Zorn der kleinen Leute etwa auf die Urheber der Finanzkrise sowie die hilflosen politischen Reaktionen darauf „albern“ zu nennen (wie Bundespräsident Joachim Gauck).