Die reiche Braut - Barbara Cartland - E-Book

Die reiche Braut E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Seldon Burn findet sich einer prekären Lage wieder als er nach dem plötzlichen Tod seines Vaters und seines älteren Bruders den Herzogstitel annehmen muss. Der vierte Herzog von Otterburn tritt ein schwieriges Erbe an, da sein Vater sehr verschwenderisch gelebt und ihm eine unermessliche Summe an Schulden sowie ein baufälliges Schloss hinterlassen hat. Seine Cousine Lady Edith Burn versucht ihn zu einer Geldheirat zu überzeugen, um das Familienerbe zu sanieren und um Pensionen und Leibrenten für Familienangehörige und Angestellte auszahlen zu können. Der Herzog hatte vor seiner Rückkehr eine Militärkarriere angestrebt und lange Zeit im Ausland verbracht. Eine Geldheirat widerspricht ihm sehr, da es seinen Grundregeln der Ehre widerspricht und er eine Frau finden will, die nicht nur seinen Adelstitel anstrebt. Lady Burn war lange Zeit in Amerika auf Reisen und hat dadurch einige Mütter kennengelernt, die ihre Töchter an einen englischen Adligen verheiratet sehen möchten. Mrs. Vandevilt, eine Multimillionärin, setzt sich in den Kopf, ihre Tochter Magnolia müsse einen Adelstitle tragen und deshalb den Herzog von Otterburn heiraten. Magnolia ist sehr jung, hübsch und zur Freude ihres Vaters, der sie darin sehr unterstützt, sehr belesen und intelligent; die Idee ihrer Mutter widerspricht ihr sehr und versetzt sie in Angst und Schrecken. Wird der Herzog den Widerwillen vor einer Heirat mit einer bürgerlichen, aber wohlhabenden jungen Frau einzugehen, ablegen können? Wird Magnolia die Freiheit und Liebe finde, die sie sich so ersehnt und sich in den Armen des Mannes, den sie liebt beschützt fühlen?

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1 ~ 1882

»Hier ist die Aufstellung, um die Sie mich gebeten haben, Euer Gnaden.«

Der Vermögensverwalter legte dem Herzog ein Bündel Papiere vor und bemerkte, wie dieser zusammenzuckte und fassungslos auf die Zahlen starrte.

Dann war es lange Zeit still im Zimmer, während der Herzog einige Seiten der Akte durchblätterte.

»Wie ist es nur möglich, Fossilwaithe«, fragte er schließlich entsetzt, »dass mein Vater sich derart in Schulden stürzen konnte, ohne dass Sie oder jemand anders ihn daran hindern konnten?«

»Sie können versichert sein, dass mein Partner und ich keine Gelegenheit ausließen, Seine Gnaden auf die missliche Lage hinzuweisen«, erwiderte der Anwalt in respektvollem Ton. »Wir stießen auf taube Ohren. Ich solle mich gefälligst um meinen eigenen Kram kümmern, musste ich mir einmal sagen lassen.«

Der Herzog seufzte tief auf, denn für ihn stand außer Zweifel, dass Fossilwaithe die Wahrheit sagte. Er hatte seinen Vater als ungeduldigen Menschen in Erinnerung, der sich auf keine Diskussion einließ und keinen Widerspruch duldete.

Sein Blick fiel wieder auf die Zahlenkolonnen, als hoffte er, irgendein Wunder könne sie verändert haben, dann gab er sich einen Ruck und fragte: »Nun, Fossilwaithe was sollen wir Ihrer Meinung nach unternehmen?«

Er hatte nicht bemerkt, dass der Anwalt ihn die ganze Zeit über mitleidig angesehen hatte. Jetzt hob er bedauernd die Schultern.

»Das Problem hat mich schon viele Nächte um den Schlaf gebracht, Euer Gnaden«, gestand er, »aber ich habe keine Lösung gefunden.«

Der Herzog lehnte sich in seinen Sessel zurück.

»Reden wir Klartext«, schlug er vor. »Was kann ich noch zu Geld machen?«

Wieder schien Mr. Fossilwaithe, der Seniorchef einer angesehenen Anwaltskanzlei und seit vielen Jahren Vermögensverwalter der Otterburn-Besitzungen, um eine positive Antwort verlegen.

Den Herzog hielt es nicht länger in seinem Sessel. Er stand auf und trat ans Fenster. Für die Park Lane und die Grünanlagen des Hyde Parks hatte er jedoch keinen Blick. Mit finsterem Gesicht starrte er ins Leere.

Seine Gedanken kreisten um den Besitz, für dessen Erhalt er sich verantwortlich fühlte.

Da war nicht nur das geräumige, imposante Stadthaus in London, das den Namen der Familie trug - Otterburn House. Die Sorge des vierten Herzogs von Otterburn galt vor allem dem Schloss und den riesigen Besitzungen in Buckinghamshire, die er unversehens geerbt hatte und die ihn gezwungen hatten, nach England zurückzukehren.

Er hatte nie damit gerechnet, jemals Herzog von Otterburn zu werden, war ihm doch sein Vater mit seinen fünfzig Jahren stets als ein sehr rüstiger Mann erschienen, der mindestens noch vierzig Jahre leben würde. Zudem war er nur der jüngere Sohn gewesen. Sein älterer Bruder würde eines Tages das Erbe des Herzogs antreten - daran hatte es für ihn nie einen Zweifel gegeben.

Doch dann erhielt Seldon innerhalb weniger Tage zwei Schreckensnachrichten: Sein Bruder hatte sich bei einem Sturz auf der Jagd das Genick gebrochen, und seinen Vater hatte einige Monate später eine Epidemie dahingerafft, die das Land im vergangenen Winter heimgesucht, und mehr Opfer gefordert hatte als manche kriegerische Auseinandersetzung, in die England ständig in irgendeinem Winkel der Welt verwickelt war.

Die Nachricht vom Tode seines Bruders hatte ihn mit so großer Verzögerung erreicht, da er in erbitterte Kämpfe gegen türkische Stämme an der Grenze Afghanistans verstrickt gewesen war und erst nach seiner Rückkehr nach Peschawar den Brief seines Vaters vorfand.

Er hatte gerade Sonderurlaub aus familiären Gründen beantragt, als ihn die zweite Hiobsbotschaft ereilte: Auch der Herzog war tot!

Auf der beschwerlichen Rückreise, die zum Teil quer durch die glühend heiße Wüste mit der Eisenbahn oder langsamer, aber angenehmer zu Pferd stattgefunden hatte, war Seldon sich der Tatsache bewusst geworden, dass seine Amtszeit zu Ende war.

Als jüngerer Sohn des Herzogs hatte er nur eine geringe Unterstützung von seinem Vater erhalten und musste sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen.

Später hatte er feststellen müssen, dass sein Vater seit dem Tode seines Großvaters auf großem Fuße lebte, der Besitz aber nicht genügend abwarf, um die ständig wachsenden Schulden zu begleichen.

Doch Seldon ging das nichts an. Er trat in die Armee ein, nahm an Scharmützeln im Sudan und in Indien teil und führte ein Leben, wie es ihm gefiel.

Als in jeder Beziehung vorbildlicher Soldat und geborene Führernatur bekam er den Befehl über eine Kompanie Soldaten, die mit Entschlossenheit und tollkühnem Mut allen Gefahren trotzten und den Krieg überlebten.

Auf Seldon Burn, den verwegenen, zuweilen auch unberechenbaren Offizier, konnte sich das Oberkommando der Armee in kritischen Situationen unbedingt verlassen.

An der Nordwestgrenze Indiens zum Beispiel, wo der Feind hinter jedem Felsen und jedem Busch lauern konnte, musste man ständig mit Übergriffen rechnen. Seldon und seinen Männern gelang es, den mit russischen Waffen ausgerüsteten und von russischer Propaganda aufgehetzten Gegner zu überlisten und mehr als einmal in die Flucht zu schlagen. Das allein begründete schon den legendären Ruf seiner Kompanie.

Während er mit dem Dampfschiff übers Rote Meer schipperte und in den Suez-Kanal einbog, ließ Seldon sein Leben in der Armee Revue passieren und versuchte, sich seelisch auf seine Zukunft vorzubereiten.

Die Aussicht, vierter Herzog von Otterburn zu werden, löste zwiespältige Gefühle in ihm aus. Er erinnerte sich, während seines letzten Heimaturlaubs mit seinem Bruder über die verantwortungsvolle Stellung des Titelträgers gesprochen zu haben.

Lionel würde sich seiner Position würdig erweisen, das stand für Seldon damals fest, und auf irgendeine Weise würde es ihm auch gelingen, den finanziellen Schaden, den ihr Vater angerichtet hatte, zu beheben.

»Dem alten Herrn rieselt das Geld wie Sand durch die Finger«, hatte Lionel einmal seinem jüngeren Bruder gegenüber geäußert.

»Woher hat er überhaupt das ganze Geld?« fragte Seldon verwundert.

»Weiss der Himmel! Du weißt so gut wie ich, dass er mit uns nie über finanzielle Dinge spricht.«

»Muss er denn einen solchen Pomp entfalten?« fragte Seldon. »Zwölf Lakaien haben wir allein in Buckinghamshire, dazu sechs in London, und die Ställe sind so mit Pferden vollgepfercht, dass kein Strohhalm mehr Platz findet!«

»Ich weiß«, stöhnte sein Bruder, »und Papa ist entschlossen, seinen Rennstall in Newmarket zu erweitern. Er hatte in diesem Jahr nicht einen Sieg zu verbuchen, und das macht ihn rasend.«

»Und abgesehen von den Pferden«, bemerkte Seldon, »gibt es noch die vielen schönen Damen, an denen ein Lebemann nicht achtlos vorübergehen kann!«

Die beiden Brüder lachten; sie wussten, dass ihr Vater eine Schwäche für hübsche Frauen hatte, die ihrerseits ihm gegenüber nicht mit ihren Reizen geizten.

»Du solltest mal seine jüngste Eroberung sehen«, kicherte Lionel. »Sie lässt keine Gelegenheit aus, mit den Diamanten zu prahlen, die er ihr geschenkt hat.«

»Wer ist sie?« »Eines dieser Revuegirls. Sie kann weder tanzen noch singen, sieht aber aus wie eine junge Göttin, und Papa sorgt dafür, dass ihr Füllhorn stets verschwenderisch ausgestattet ist.«

Wieder brachen sie in Gelächter aus, dann wurde Seldon unvermittelt ernst.

»Du wirst es schwerhaben, Lionel«, sagte er besorgt, »wenn du das Erbe antrittst.«

Lionel zuckte mit den Schultern.

»Es hat keinen Sinn, sich darüber jetzt schon Sorgen zu machen«, meinte er. »Zudem ist Papa kräftig und kerngesund und wird uns womöglich alle beide überleben.«

Sein Bruder hatte damals so unbekümmert dahergeredet, ohne ahnen zu können, dass sich diese Prophezeiung - in seinem Fall zumindest - bewahrheiten sollte.

Nun war Lionel, der unverheiratet gewesen war, kurz vor seinem Vater auf tragische Weise ums Leben gekommen, und Seldon sah sich einem Schuldenberg gegenüber, der seine schlimmsten Befürchtungen zu übersteigen schien.

Er wandte sich vom Fenster ab und sah den Anwalt beschwörend an.

»Wir müssen eine Lösung finden, Mr. Fossilwaithe!«

»Ich bin völlig Ihrer Meinung.«

»Vermutlich besteht keine Möglichkeit, dieses Haus hier zu verkaufen?«

»Es ist unveräußerlich, Euer Gnaden, sonst hätte Ihr Herr Vater es längst zu Geld gemacht.«

Der Herzog nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.

»Das gleiche gilt auch für das Mobiliar des Schlosses und besonders für die Gemälde, nehme ich an?«

»Als habe der erste Herzog, Ihr Urgroßvater, geahnt, dass so etwas passieren könnte, traf er Vorkehrungen, dass diese Schätze niemals veräußert werden dürfen. Natürlich wären da noch die fünfhundert Morgen Land im Nordwesten Ihres Besitztums, die ursprünglich Ihrer Großmutter gehörten.«

Die Miene des Herzogs hellte sich auf.

»Was würden sie auf dem freien Markt einbringen?«

»Nicht viel, Euer Gnaden. Zudem darf ich Sie daran erinnern, dass sich nicht nur die Armenhäuser auf diesem Land befinden, sondern auch eine große Anzahl Katen, die von Ihren Pensionären bewohnt werden.«

Die Miene des Herzogs verdüsterte sich, der Hoffnungsfunke in seinen Augen erlosch.

Wenn er das Land an irgendeinen Bodenspekulanten verkaufte, würde der die Pensionäre aus ihren Häuschen vertreiben und das gleiche mit den Bewohnern der Armenhäuser tun, um sie durch Mieter zu ersetzen, die eine angemessene Miete zahlen konnten.

Wieder blickte er auf die Listen vor sich, als habe er noch immer den leisen Verdacht, Mr. Fossilwaithe könne die horrende Summe erfunden haben. Dann atmete er tief ein und sagte: »Am besten werde ich mich jetzt erst einmal eingehend mit den Papieren befassen, die Sie mir vorgelegt haben. Außerdem möchte ich die Aufstellung über unseren Grundbesitz gründlich studieren, die Ihre Kanzlei nach dem Tode meines Vaters angefertigt hat.«

»Eine Kopie befindet sich auf dem Schloss, Euer Gnaden«, erwiderte Mr. Fossilwaithe, »aber ich habe eine bei mir, die ich Ihnen überlassen könnte.«

»Vielen Dank.«

Der Anwalt händigte dem Herzog die Kopie aus.

»Ich wünschte, ich hätte Ihnen bessere Nachrichten überbringen können«, sagte er bekümmert. »Und vor allem eine bessere Prognose für die Zukunft.«

»Sie haben mir den wahren Sachverhalt mitgeteilt«, erwiderte der Herzog, »und gewiss stimmen Sie mit mir darin überein, dass ich nur dann einen Ausweg aus der Misere, finden kann, wenn ich unsere Situation genauestens kenne.«

Der bittere Unterton in seiner Stimme ließ den Anwalt aufhorchen und machte ihm deutlich, wie sehr dem Herzog die prekäre Lage missfiel, in die er geraten war.

Tatsächlich hatte der Schuldenberg eine so schwindelnde Höhe erreicht, dass die Gefahr bestand, der angesehene Name der Otterburns könne durch den Schmutz gezogen werden.

»Sie dürfen versichert sein, dass meine Kanzlei alles in unserer Macht Stehende tun wird, um Ihnen zu helfen, Euer Gnaden«, sagte Mr. Fossilwaithe mit Nachdruck, und es klang nicht wie eine Floskel.

Der Herzog erhob sich und gab ihm die Hand.

»Dessen bin ich mir bewusst«, entgegnete er, »und ich kann Ihnen nur von Herzen für alles, was Sie bisher für mich getan haben, und für Ihr Taktgefühl und Verständnis, das Sie mir in dieser äußerst schwierigen Lage entgegengebracht haben, danken.«

Mr. Fossilwaithe drückte dem Herzog die Hand, verbeugte sich und verließ den Raum.

Erst als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, ließ der Herzog sich in seinen Sessel fallen, als übersteige die Mammutaufgabe, die vor ihm lag, seine Kräfte.

Unablässig beschäftigte ihn die quälende Frage: ‚Was, zum Teufel, soll ich tun?‘

Er war nur froh darüber, dass er sich mit diesem Problem befassen musste und nicht Lionel, dem die nötige Härte und Entschlossenheit gefehlt hätten, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen und nichts unversucht zu lassen, den Karren doch noch aus dem Dreck zu ziehen.

Als erstes würde er das Schloss schließen müssen und damit bei der gesamten Burn-Verwandtschaft blankes Entsetzen hervorrufen, weil sie den Familienstammsitz als Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens betrachtete.

Seit Generationen war es guter, alter Brauch, Familienfeiern wie Hochzeiten, Jubiläen, aber auch Festlichkeiten zu Weihnachten oder zu Ostern auf dem Schloss abzuhalten und bei Problemen innerhalb der Familie den ‚Clan‘ einzuberufen, wie man den auf dem Schloss tagenden Familienrat nannte.

Wenn der altehrwürdige Familienstammsitz jetzt geschlossen wurde, dann würde die gesamte herzogliche Sippe des Mittelpunktes ihres Lebens beraubt werden.

‚Was bleibt mir denn anderes übrig?‘ fragte sich der Herzog in einem Anfall von Mutlosigkeit. Der Unterhalt dieses riesigen Palastes kostet ein Vermögen, und das habe ich nicht.

Und daran war nur die Verschwendungssucht seines Vaters schuld, der er bei seiner ersten Schlossbesichtigung gleich nach seiner Rückkehr nach England auf Schritt und Tritt begegnet war.

Sämtliche Prunkgemächer waren innerhalb der letzten fünf Jahre renoviert und ohne Rücksicht auf die Kosten neu möbliert worden. Die Wirtschaftsräume im Erdgeschoß hingegen, die Küchen, Speisekammern und Spülküchen, waren in einem erbärmlichen Zustand, und die Dienstbotenkammern glichen Elendsquartieren in Slums.

Sanitäre Einrichtungen fehlten völlig. Seinem Vater hatte es genügt, sich von kräftigen jungen Hausburschen das Badewasser in Eimern zwei Treppen hoch und endlose Gänge entlang ins Badezimmer schleppen zu lassen. Unter welch widrigen Umständen andere Sterbliche in seiner Umgebung ihre tägliche Körperreinigung vollziehen mussten, hatte ihn nicht gekümmert.

Im Speisesaal des Schlosses hatte man von goldenem und silbernem Tafelgeschirr von unschätzbarem Wert gegessen, während das Personal sich mit schäbigem, angeschlagenem Keramikgerümpel begnügen musste, das in die Mülltonne gehörte.

Die Treibhäuser, in denen edle Pfirsiche und Orchideen gezüchtet wurden, waren in gutem Zustand, aber den Gärtnern mangelte es an Werkzeug, und die Dächer ihrer Häuser waren undicht.

Wohin der Herzog auch geblickt hatte, überall war er auf Spuren der Verwahrlosung und des Verfalls gestoßen.

‚Gab es überhaupt noch einen Ausweg aus dieser Misere?‘ fragte er sich verzweifelt.

Die Pferde mussten verkauft werden, soviel stand fest. Der Rennstall war erfolglos wie eh und je und würde auch in Zukunft nichts einbringen.

In den Stallungen des Schlosses hingegen standen einige edle Tiere, deren Verkauf eine erkleckliche Summe einbringen würde. Leider würde es aber auch nicht mehr sein als der berüchtigte Tropfen auf dem heißen Stein.

Der Herzog warf die Liste, die Mr. Fossilwaithe ihm zusammengestellt hatte, in die Schreibtischschublade, als könne er den Anblick der roten Zahlen nicht länger ertragen.

Er verließ die Bibliothek mit den bis zur Decke reichenden, mit kostbaren Folianten gefüllten Regalen und ging in den Salon hinüber, von wo man einen herrlichen Ausblick auf den Garten hinter dem Haus hatte.

Sein Vater hatte den teuersten Innenarchitekten Londons damit beauftragt, die Wände des Salons mit Silberbrokat zu bespannen und Karniese und Friese mit Blattgold zu verzieren.

Zudem hatte er einen der teuersten Kunstmaler aus Italien kommen lassen, um ein Deckengemälde mit der sinnbildlichen Darstellung der Venus, umgeben von Amoretten zu schaffen.

Das Gemälde war von erlesener Schönheit und der ganze Raum ein einziges Schmuckstück, das bedauerlicherweise jedoch nichts enthielt, das man zu Geld machen konnte. Denn selbstverständlich gehörten auch die wertvollen Gemälde an den Wänden zum unveräußerlichen Erbgut.

Der Herzog sah sich niedergeschlagen in dem schönen Zimmer um und ging dann zu der kleinen Hausbar in der Ecke hinüber. Sein Vater hatte Anweisung erteilt, dass in jedem Salon des Schlosses eine Auswahl an Getränken und Gläsern bereitstand, nicht weil der alte Herr etwa gern trank, sondern weil er sich gern mit schönen Damen umgab, mit denen er ungestört sein wollte. Statt sich also von einem Diener Getränke servieren zu lassen, schenkte er lieber selbst ein.

Der Herzog entdeckte eine Flasche Champagner in einem mit der Familienkrone verzierten goldenen Sektkübel, außerdem gab es Karaffen mit Brandy, Whisky und Sherry und eine Platte mit Pastetensandwiches.

Auch die hatte es immer schon gegeben; auf Anweisung seines Vaters musste sie morgens und abends erneuert werden. Blieb zu hoffen, dass sich wenigstens das Personal die Sandwiches schmecken ließ, seitdem der alte Herzog nicht mehr unter ihnen weilte.

Seldon schenkte sich einen kleinen Brandy ein und füllte das Glas mit einem Schuss Sodawasser aus dem Siphon auf.

In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und der Butler meldete: »Lady Edith Burn, Euer Gnaden!«

Der Herzog drehte sich überrascht um, als seine Cousine, eine gutaussehende, elegante Dame mittleren Alters, den Salon betrat.

»Edith!« rief er erfreut und stellte sein Glas ab. »Was für eine reizende Überraschung! Ich wähnte dich im Ausland!«

»Ich bin eigens zurückgekehrt, um dich zu sehen, Seldon«, erwiderte Lady Edith. »Gestern Morgen bin ich in Southampton angekommen.«

»Dann warst du also in Amerika?«

Lady Edith nickte, nahm auf dem blauen Brokatsofa Platz und musterte ihren Cousin unter der breiten Krempe ihres eleganten, mit Straußenfedern verzierten Hutes hervor.

Der Herzog hielt ihrem prüfenden Blick mit belustigtem Lächeln stand.

»Nun, wie lautet das vernichtende Urteil?« fragte er schließlich.

Lady Edith lachte. »Nur keine falsche Bescheidenheit, Seldon. Du weißt ganz genau, dass du unverschämt gut aussiehst, und ich bin sicher, dass du bald Hunderte britischer Damenherzen höher schlagen lässt und sich die Schönen reihenweise auf den ersten Blick in dich verlieben werden.«

»Das bezweifle ich«, bemerkte der Herzog trocken.

Lady Edith hob erstaunt die Brauen.

»Was soll das heißen?« fragte sie.

»Das soll heißen, dass ein Herzog, der keinen Penny besitzt, sondern nur Schulden, keine Bereicherung der Gesellschaft sein dürfte, in der du verkehrst.«

Lady Ediths Stimme bekam plötzlich einen weichen, mitleidigen Klang, als sie erwiderte: »Ich habe befürchtet, dass es für dich ein böses Erwachen geben würde, wenn du zurückkehrst, liebster Seldon.«

»Ich war auf eine recht schlimme Situation vorbereitet«, sagte der Herzog. »Damit hatten Lionel und ich immer gerechnet. Aber eine solche Katastrophe habe ich nicht erwartet.«

Lady Edith seufzte mitfühlend.

»Ich mochte deinen Vater. Er war einer der faszinierendsten Männer, die mir je begegnet sind, aber er konnte sich selbst nie einen Wunsch versagen, und je teurer der Gegenstand seines Begehrens war, desto erpichter war er darauf, ihn zu besitzen.«

»Es freut mich, dass er sein Leben genossen hat«, sagte der Herzog sarkastisch. »Leider habe ich nun die unangenehme Aufgabe vor mir, seine Gläubiger zufriedenzustellen, was mich vermutlich bis ans Ende meiner Tage beschäftigen wird. Zudem brauche ich eine Stellung, um mir meinen Unterhalt zu verdienen und nicht am Hungertuch nagen zu müssen!«

Das klang so verbittert, dass Lady Edith mitleidig flüsterte: »Es tut mir schrecklich leid, Seldon.«

»Mir auch«, entgegnete der Herzog, »und euch allen wird es noch mehr leidtun, wenn ich das Schloss und das Stadthaus hier schließe. Doch ich habe keine andere Wahl, und je eher die Familie es einsieht, desto besser.«

»Es wird ihnen allen das Herz brechen«, sagte Lady Edith leise.

»Ich kann es ihnen nachfühlen«, versicherte der Herzog, »und doch kann ich ihnen den Schmerz nicht ersparen. Fossilwaithe war gerade bei mir und hat mir die Gesamtsumme von Vaters Schulden genannt. Für das Geld könnte sich unser Land mehrere der dringend benötigten Schlachtschiffe anschaffen oder eine aus mindestens zwei Regimentern bestehende Armee unterhalten, sage ich dir!«

Als könnte er Lady Ediths mitleidigen Blick nicht länger ertragen, wandte er sich abrupt ab und ging wieder zur Bar hinüber.

»Was möchtest du trinken?«

»Ein Gläschen Sherry, bitte.«

Während der Herzog dem Wunsch seiner Cousine nachkam, überlegte er, dass es eigentlich ein Segen war, ihr als erster reinen Wein über seine finanzielle Lage einschenken zu können.

Von seiner Verwandtschaft war sie ihm immer am liebsten gewesen, zumal sie über mehr gesunden Menschenverstand verfügte als die anderen.

Sie hatte ein schweres Schicksal hinter sich. Mit achtzehn Jahren hatte sie sich mit einem charmanten Mann verlobt, der vermögend und von höchstem Adel war. Bei beiden war es Liebe auf den ersten Blick gewesen.

Er war etliche Jahre älter als sie und viel in der Weltgeschichte herumgekommen, sowohl zu seinem Vergnügen als auch als Botschafter der Regierung in geheimer Mission, weil er mehrere Fremdsprachen beherrschte.

Sie hatten sich verlobt, aber Lady Ediths Eltern hatten erwartungsgemäß darauf bestanden, dass sie die vorgeschriebene Verlobungszeit von sechs Monaten einhielten, bevor sie heirateten.

Dann wurde der junge Mann mit einem geheimen, nicht ungefährlichen Auftrag nach Marokko geschickt, um zwischen dem britischen Außenminister und dem Sultan von Marokko in einer äußerst heiklen Angelegenheit zu vermitteln.

Er verabschiedete sich zärtlich von Lady Edith und versprach ihr, so rasch wie möglich zurückzukommen und dann mit den Vorbereitungen für ihre Vermählung zu beginnen.

Nachdem er sich eingeschifft hatte, war Lady Edith vollauf mit ihrer Aussteuer beschäftigt und schrieb dem Mann, den sie innig liebte, jeden Tag einen langen, liebevollen Brief. Sie fieberte seiner Rückkehr entgegen, doch der Zeitpunkt seiner geplanten Ankunft in England verstrich, ohne dass sie ein Lebenszeichen von ihm erhielt. Einen Monat lang wartete Lady Edith verzweifelt und voller Angst, dann überredete sie ihren Vater, sich mit dem Auswärtigen Amt in Verbindung zu setzen.

Zu seiner Bestürzung musste er sich sagen lassen, dass Lady Ediths Verlobter Marokko zwar erreicht habe, dann aber spurlos verschwunden sei.

Es dauerte einige Zeit, bis die Verbindung mit dem britischen Konsulat hergestellt war und eine Antwort von dort eintraf.

Im Laufe der folgenden Monate erfuhr Edith nur, dass ihr Verlobter bei einem dem Sultan feindlichen Stamm gesehen worden sei, der ihn vermutlich gefangen hielt.

Die Regierungsbehörden nahmen an, dass er irgendwo versteckt wurde, aber trotz aller Bemühungen konnte niemand seinen Aufenthaltsort in Erfahrung bringen - so schien es zumindest.

Lady Edith hatte jedoch den Eindruck, dass sich das Außenministerium in Wahrheit nicht sonderlich bemühte, Licht ins Dunkel seines Verschwindens zu bringen oder gar etwas zu seiner Befreiung zu unternehmen.