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Das Blutgericht Wenn deine Zukunft in der Vergangenheit liegt … Die Tierärztin Gunhild hat einen altertümlichen Namen, ist aber eine moderne Frau durch und durch. Doch dann wird sie aus der Gegenwart gerissen, mitten hinein in das 9. Jahrhundert. Dort wird sie mit Problemen konfrontiert, die sie so nur aus Büchern kennt – denn ihre medizinischen Kenntnisse machen sie jetzt zur verfolgten Hexe. Um der Versklavung durch die Franken zu entgehen, sieht Gunhild nur eine Chance: die Flucht in das Lager der Sachsen. Doch hier lauern ganz andere, ungeahnte Gefahren auf die junge Frau … Donars Rache Zwischen Zukunft und Vergangenheit … Die junge Tierärztin Gunhild hat ein Geheimnis: Sie weiß, wie man durch die Zeit reist. Und obwohl das Leben in der Gegenwart deutlich sicherer ist, kann sie nicht vergessen, was sie im Sachsen des 9. Jahrhunderts erlebt hat. Dem Ruf ihres Schicksals folgend kehrt sie zurück in die Vergangenheit – mitten hinein in einen blutigen Glaubenskrieg zwischen den Sachsen und den Franken. Als die Sachsen sich geschlagen geben, kann Gunhild dieses Unrecht nicht dulden. Die moderne junge Frau ruft auf zum Widerstand gegen die christliche Eroberung – und startet einen Feldzug gegen das Unrecht … Mit Kreuz und Schwert Die gefährliche Vergangenheit und die kalte Sicherheit der Zukunft … Die Zeitreisende Gunhild glaubt, sich endgültig entschieden zu haben: Sie kehrt der Gegenwart den Rücken, um im Sachsen des 9. Jahrhunderts glücklich zu werden. Hier will sie gemeinsam mit ihrem Mann Gerowulf und ihrem Sohn leben. Doch bald fällt ein Schatten über ihr neues Leben – die kriegerischen Franken drohen, das Volk der Sachsen endgültig zu unterwerfen. Gunhild, die nur noch ein einziges Mal durch die Zeit reisen kann, muss sich entscheiden: Will sie ihren Sohn retten – um den Preis, Gerowulf auf ewig zu verlieren?
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Seitenzahl: 1112
Über »Das Blutgericht«:
Wenn deine Zukunft in der Vergangenheit liegt … Die Tierärztin Gunhild hat einen altertümlichen Namen, ist aber eine moderne Frau durch und durch. Doch dann wird sie aus der Gegenwart gerissen, mitten hinein in das 9. Jahrhundert. Dort wird sie mit Problemen konfrontiert, die sie so nur aus Büchern kennt – denn ihre medizinischen Kenntnisse machen sie jetzt zur verfolgten Hexe. Um der Versklavung durch die Franken zu entgehen, sieht Gunhild nur eine Chance: die Flucht in das Lager der Sachsen. Doch hier lauern ganz andere, ungeahnte Gefahren auf die junge Frau …
Über »Donars Rache«:
Zwischen Zukunft und Vergangenheit … Die junge Tierärztin Gunhild hat ein Geheimnis: Sie weiß, wie man durch die Zeit reist. Und obwohl das Leben in der Gegenwart deutlich sicherer ist, kann sie nicht vergessen, was sie im Sachsen des 9. Jahrhunderts erlebt hat. Dem Ruf ihres Schicksals folgend, kehrt sie zurück in die Vergangenheit – mitten hinein in einen blutigen Glaubenskrieg zwischen den Sachsen und den Franken. Als die Sachsen sich geschlagen geben, kann Gunhild dieses Unrecht nicht dulden. Die moderne junge Frau ruft auf zum Widerstand gegen die christliche Eroberung – und startet einen Feldzug gegen das Unrecht …
Über »Mit Kreuz und Schwert«:
Die gefährliche Vergangenheit und die kalte Sicherheit der Zukunft … Die Zeitreisende Gunhild glaubt, sich endgültig entschieden zu haben: Sie kehrt der Gegenwart den Rücken, um im Sachsen des 9. Jahrhunderts glücklich zu werden. Hier will sie gemeinsam mit ihrem Mann Gerowulf und ihrem Sohn leben. Doch bald fällt ein Schatten über ihr neues Leben – die kriegerischen Franken drohen, das Volk der Sachsen endgültig zu unterwerfen. Gunhild, die nur noch ein einziges Mal durch die Zeit reisen kann, muss sich entscheiden: Will sie ihren Sohn retten – um den Preis, Gerowulf auf ewig zu verlieren?
Über die Autorin:
Kari Köster-Lösche, 1946 in Lübeck geboren, Tierärztin und Wikingerexpertin, hat einen Großteil ihrer Jugend im schwedischen Uppsala, dem Zentrum der nordischen Kultur, verbracht. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Nordfriesland.
Kari Köster-Lösche veröffentlicht bei dotbooks bereits die historischen Romane »Die Erbin der Gaukler«, »Jagd im Eis«, »Die Wagenlenkerin«, »Die Hexe von Tondern«, »Die Reeder«, »Die Heilerin von Alexandria« und das Kinderbuch »Stille Nacht, eisige Nacht« sowie die historische Romanserie:
DIE WIKINGER-SAGA:»Der Thorshammer – Band 1«»Das Drachenboot – Band 2«»Die Bronzefibel – Band 3«
Die Romane der »Wikinger-Saga« sind auch als Sammelband erhältlich.
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Originalausgabe März 2017
Copyright © der Originalausgabe »Das Blutgericht« 2003 Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München
Copyright © der Originalausgabe »Donars Rache« 2004 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Copyright © der Originalausgabe »Mit Kreuz und Schwert« 2005 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Copyright © der vorliegenden Gesamtausgabe 2017 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Fanfo
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95824-291-3
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Kari Köster-Lösche
Die Sachsen-Saga
Drei Romane in einem Band
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Kari Köster-Lösche
Das Blutgericht
Die Sachsen-Saga – Band 1
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Köln hatte sie noch nie gemocht. Die Stadt wirkte auf sie wie die Stein gewordene Verkörperung von Bestechlichkeit, Bigotterie und Polizistenbrutalität.
Nur: Ihr Freund Günter war Kölner mit Leib und Seele. Gunhild beschloss, an diesem herrlichen frühsommerlichen Tag um das Thema Köln einen weiten Bogen zu machen.
»Ehrlich gesagt, finde ich es nicht gut, dass quer durch diese wunderschöne Auenlandschaft an der Aller noch eine Autobahn gebaut werden soll«, sagte Gunhild. »Es ist doch schon genug Fläche versiegelt worden.«
Günter presste die Lippen zusammen und gab Gas. »Ich bin nicht dafür verantwortlich«, entgegnete er nach einer Weile. »Die Pläne für Straßen werden von Verkehrsplanern gemacht. Ich erstelle nur das Gutachten für die Trasse.«
Gunhild seufzte leise. Ein anderes Reizthema. Dabei wollte sie Streit doch vermeiden. Trotzdem war es unmöglich, darüber hinwegzusehen, dass auch Geologen Teil dieses Systems waren, durch das die Welt wieder ein Stück ärmer werden würde. »Ich weiß«, meinte sie schließlich. »Aber irgendjemand muss doch anfangen. Warum weigerst du dich nicht?«
»Die Autobahn wird so oder so gebaut. Dann macht eben jemand anders den Job. Und ich verliere meinen.«
Erbost starrte Gunhild aus dem Fenster. Die Aller, die sich zwischen Kopfweiden dahinschlängelte, ein Altarm, der an einem Fährgasthaus endete; es war so romantisch. Trotzdem hatte Günter als Geologe festzustellen, ob sich der Boden für eine neue Autobahn eignete.
Ein Storch watete gemächlich durch überflutetes Gras und schwang sich mit einem Frosch empor, um zu einem der reetgedeckten Häuser zu fliegen, auf dem er sein Nest gebaut hatte. »Kannst du nicht schreiben, dass kilometertiefe Sümpfe den Bau hier zu teuer machen und du stattdessen einen neuen Straßenring um Köln empfiehlst? Der Kölner Klüngel wird deine Anregung bestimmt begeistert aufnehmen, wie wir aus der Bestechungsaffäre um die Müllverbrennungsanlage wissen.«
Jetzt hatte sie ihn wirklich verärgert. Günter ließ auf seine Heimatstadt nichts kommen. Steif und fest behauptete er, dass die Kölner nicht bestechlicher als andere Menschen seien. Gunhild war gegenteiliger Meinung, sie hatte festgestellt, dass sich gewisse Dinge aus der Vergangenheit tradierten und in unterschiedlicher Form immer wieder zum Vorschein kamen. Im Fall von Köln hatte es vielleicht auch mit der besonders alten katholischen Stadtgeschichte zu tun. Aber in dieser Wunde zu bohren war nun wirklich im Augenblick sinnlos. »Wenigstens ist heute schönes Wetter«, sagte sie versöhnlich.
»Ja, herrlich, nicht?«
»Ich habe extra noch einen Film eingepackt. Vielleicht kann ich nachher einen Graureiher oder einen Storch einfangen.« Gunhild genoss jetzt wieder uneingeschränkt den Ausflug. Die kleine Missstimmung war verflogen.
»Fang sie nur …« Günter grinste belustigt. »Warum hast du eigentlich nicht Zoologie studiert?«
Gunhild zuckte mit den Schultern. »Es gibt so viel, was ich gerne studiert hätte. Aber ich war immer der Meinung, Zoologie sei eine brotlose Kunst, genau wie Archäologie. Damit habe ich als Erstes geliebäugelt. Aber es gibt kaum Stellen, außer als Lehrer. Und das wollte ich nie.«
»Kann ich gut verstehen«, pflichtete ihr Günter bei. »Man muss das, was man gelernt hat, irgendwie zu etwas Nutzbringendem verwenden können, nicht nur weitergeben. Kannst du mal auf die Karte schauen? Ich glaube, wir müssen bald nach Westen abbiegen.«
Sie orientierte sich schnell auf der Karte, bestätigte Günters Vermutung und stellte überrascht fest, dass die Auenlandschaft von trockener Geest abgelöst wurde. Einige Minuten später führte die Straße zur Weser hinunter.
In einem winzigen Dörfchen bog Günter in eine holperige Betonpiste ein, die wahrscheinlich nur für Pferde erlaubt war. Oder für den Forstbetrieb. Er wich einem Dunghaufen aus und hielt im Schatten eines jungen Eichenwäldchens.
Gunhild sprang hinaus und sah sich um. »Herrlich«, flüsterte sie vor sich hin und schnupperte in die Luft. Eine leichte Brise trug ihr den Duft von Bäumen und Wasser zu. Die Geräusche der Eisenbahn, die gerade die Weserbrücke überfuhr, verklangen. »Darfst du hier überhaupt fahren?«
»Keine Ahnung«, sagte Günter gleichgültig und sah sich um, als ob das weitläufige Weserufer sein Eigentum sei. »Dann wollen wir mal. Ich muss die Karre abschließen. Hast du alles, was du brauchst?«
Gunhild nahm ihren Rucksack auf und nickte.
Einige Minuten später blickten sie auf eine Weserschleife, in der das Wasser still dahinfloss; weder Boote noch Dörfer waren zu sehen. Die Gegend schien unbewohnt. Jedenfalls fast unbewohnt.
»Dahinten steht ja ein Haus«, stellte Gunhild fest.
»Die alte Försterei«, erklärte Günter. »Sie steht schon seit einigen Jahren leer, weil das Forstamt inzwischen verlegt wurde. Dieses Gebiet darf nicht mehr bewohnt werden.«
»Aber eine Autobahn darf gebaut werden?«, fragte Gunhild hitzig.
»Reg dich ab«, empfahl Günter.
Er reagierte überraschend kühl. Was war los zwischen ihnen? »Ich sehe mir das Haus mal an«, sagte Gunhild, ohne darauf einzugehen, »und bummele herum. Wenn du mich brauchst, kannst du pfeifen.«
»Gut«, antwortete Günter so uninteressiert, dass sie sich umgehend aufmachte.
Sie verlor ihn aus den Augen, als sie sumpfiges Gelände umgehen musste. Trotz des heißen Maitages war doch das Wasser noch kalt, in das sie mit einem ihrer Turnschuhe geriet, und sie war erleichtert, als der Sumpf endlich hinter ihr lag.
Auf einer Erhöhung, es war schon fast ein kleiner Hügel, stand eine einzelne knorrige Eiche, die bisher nicht zu sehen gewesen war. Bestimmt haben sich hier früher Liebende getroffen, dachte Gunhild und schlenderte hin, um an dem mindestens zwei Meter dicken Baum nach eingeschnittenen Herzen und Jahreszahlen zu forschen. Der Ort war wie gemacht für heimliche Verabredungen, und sie war romantisch genug, Spuren davon entdecken zu wollen.
Aber als sie die unteren Äste zur Seite gebogen hatte und im tiefen, stillen Schatten stand, war ihr plötzlich alles andere als romantisch zu Mute. Eher beklommen.
Eine ungebändigte wilde Kraft hielt ihre Füße auf dem vor Trockenheit knisternden Boden fest, als sie umkehren wollte. Vorjährige Eicheln schlugen ihr ins Gesicht, die Aste senkten sich und versperrten ihr den Weg in den hellen Sonnenschein, der die Eiche wie ein Kranz aus Licht umgab.
Der Baumstamm zog Gunhild mit aller Macht zu sich hin. Auf Zehenspitzen schlich sie zu ihm, legte ihre Hand sanft auf die rissige Rinde und schöpfte Atem. Plötzlich spürte sie unter ihren Fingerspitzen ein Zittern, der ganze Baum erbebte.
Als sie hinaufsah, donnerte ihr ein Ast ins Gesicht.
Noch etwas benommen, setzte Gunhild sich auf und rieb sich die Augen. Krümel von Eichenrinde, aber kein Blut an ihren Händen. Erleichtert klopfte sie ihr T-Shirt ab, das aussah, als wäre sie unter die Holzfäller gegangen. Kritisch musterte sie die grünen Flecke, die hoffentlich in der Waschmaschine rausgehen würden.
Als sie sich aufgerappelt hatte und nach ihrem Rucksack griff, bemerkte sie den Mann. Er lag neben einem oberschenkeldicken Ast der Eiche und schwamm in Blut.
»Gehören Sie zu einer Schauspieltruppe oder so etwas?«, fragte Gunhild verdutzt. »Tut mir Leid, falls ich die Aufnahme gestört haben sollte. Ich hatte Sie nicht bemerkt. Aber es ist bestimmt ein großartiger Ort, um Filme aufzunehmen, die in vergangenen Jahrhunderten spielen.« Zehntes bis fünfzehntes Jahrhundert, schätzte sie. Er sah jedenfalls nicht wie ein heutiger Landstreicher aus, obwohl er verdreckt war, vielmehr schien er so etwas wie eine altmodische Tracht zu tragen.
Der Mann sah sie misstrauisch an und unterdrückte ein Stöhnen.
Merkwürdiger Typ. Gunhild schob sich verstohlen näher, um sein Bein genauer anzusehen. Und stellte fest, dass es sich überhaupt nicht um Schminke handelte, es war echtes Blut. »Wie haben Sie sich denn derart zurichten können, entschuldigen Sie mal?«
In diesem Augenblick rührte sich der Verletzte und gab den Blick frei auf eine Axt mit geschwungenem Kopf und bogenförmigem Schaft. Ganz klar die Replik einer mittelalterlichen Streitaxt, und wenn sie nicht alles täuschte, völlig ungeeignet, um damit Bäume zu fällen.
»Also, ganz gleich, wo Ihre Leute sich befinden, ich werde Ihr Bein jetzt abbinden und dann über Handy einen Krankenwagen aus Verden rufen«, sagte Gunhild resolut. »Die Wunde muss genäht und Sie müssen mit Antibiotika versorgt werden. Wahrscheinlich ist auch Ihre Tetanusimpfung nicht mehr aktuell, das ist sie ja nie bei älteren Leuten. Und in dieser Gegend, wo es von Pferden wimmelt …«
Ohne sich sonderlich darüber zu wundern, dass der Mann keinen Ton herausbekam – wahrscheinlich stand er unter Schock –, öffnete sie ihren Rucksack und holte den Erstehilfekasten heraus, ohne den sie keinen Ausflug machte. Vom gewöhnlichen Autozubehör unterschied er sich lediglich dadurch, dass er zusätzlich ihr tierärztliches Notbesteck enthielt und auch einen Gurt zum Abbinden von Gliedmaßen.
Sein Schock war offensichtlich nicht besonders tief. Er ließ ihre Handgriffe über sich ergehen, ohne sich zu wehren. Gunhild zupfte behutsam die Stofffetzen aus der Wunde und kontrollierte den Blutfluss. Das hellrote Blut versiegte zum Glück schnell, wie sie erleichtert feststellte, nachdem sie den Gurt noch fester zugezogen hatte.
Dann wischte sie sich die Hände im Gras ab und suchte nach ihrem Handy. Der Notruf der Feuerwehr funktionierte nicht. Wenn man die schon mal brauchte! Sie wählte Günters Nummer.
Auch er meldete sich nicht. Dabei war ihr Akku frisch geladen. Etwas verdutzt sah sie sich um. Konnte es sein, dass sie in einem Funkloch saß? Etwas merkwürdig war es schon.
Sie beschloss, zum Forsthaus hinüberzulaufen.
Als sie sich aufrichtete, sah sie in einiger Entfernung die Leute. Eine kleine Gruppe von Männern und Frauen in historischer Gewandung. Und das Forsthaus hatte inzwischen auch eine andere Fassade bekommen. Also doch Filmkulisse! Na ja, irgendjemand von denen würde bestimmt eine Möglichkeit haben zu telefonieren. Oder sie konnten den Verletzten direkt mit dem Auto ins Krankenhaus fahren.
Gerade als sie loslaufen wollte, versuchte der Kerl hinter ihr aufzustehen. »Bleiben Sie um Gottes willen liegen«, versetzte sie verärgert. »Ich habe Ihnen doch erklärt, dass Sie ins Krankenhaus müssen! Aber bestimmt nicht auf den eigenen Beinen.«
»Dominus vobiscum! Dem Herrn sei Dank, eine Gläubige in Jesus Christus!«, rief er mit überraschend kräftiger Stimme und befahl dann: »Hilf mir auf!«
Ein Franzose oder belgischer Flame? Jedenfalls ein merkwürdiger Dialekt mit kehligen Lauten, den sie in ihrem Leben bestimmt noch nie gehört hatte. Und sein Latein war auch nicht gerade berauschend. Na ja. »Sie müssen liegen bleiben!«, beschwor sie ihn.
»Hilf mir!«, bellte er.
Bevor er sich womöglich den Gurt abriss, tat sie ihm kopfschüttelnd den Gefallen.
»Ich muss vor den Widerspenstigen Zeugnis ablegen, dass der Herr auf unserer Seite ist«, murmelte er und stützte sich auf Gunhilds Unterarm, während er der Schauspieltruppe ein paar Schritte entgegenhumpelte.
Offensichtlich ging es ihm darum, seinen Kollegen zu zeigen, dass die Verletzung nicht lebensgefährlich war. Na ja, wenn er meinte. Erklärt hatte sie es ihm ja. Dann dachte sie wieder über seine Sprache nach. Möglicherweise handelte es sich um einen heutzutage ausgestorbenen Dialekt dieser Gegend, den er zu benutzen hatte. Wenn sie ihre schwedische Muttersprache mit dem Deutschen zusammenwarf, das sie als Tierärztin in Kiel gelernt hatte, und dann noch Englisch und Französisch addierte, konnte sie ihn immerhin verstehen. Dass er die Schauspielerei fast bis zur Lächerlichkeit übertrieb, war eine andere Sache.
Die Männer blieben in einiger Entfernung von ihnen stehen. »Thor und Saxnot haben es nicht zugelassen!«, rief einer von ihnen. »Du siehst es selbst!«
Du liebe Zeit! Noch ein neuer Dialekt. Gunhild unterdrückte einen Lachanfall. Vorhin ein französisches Deutsch, jetzt ein eher plattdeutsches Deutsch. Also wirklich!
»Im Gegenteil«, erwiderte der Mann an Gunhilds Seite und zog seine Hand von ihrem Arm. Er war überraschend klein, aber seine Stimme mächtig wie die eines geschulten Predigers. Also tatsächlich Schauspieler. »Der Herr hat mich, wie ihr seht, beschützt. Eure Teufel und Dämonen haben keine Macht über die Diener des Herrn!«
Interessiert hörte Gunhild zu. Es musste sich um das frühe Mittelalter handeln. Aber was sollte sie denn mitten in einer Filmszene? Sie begann die Bäume in der Nähe, die sich überraschend vermehrt hatten, nach einer Kamera abzusuchen. Aber natürlich war sie bestens versteckt.
Daraufhin wandte sie sich erneut den anderen Schauspielern zu. Zweifellos stellten sie Sachsen dar. Der Sprecher war ein groß gewachsener gut aussehender Mann mit energischem Gesicht und blonden Haaren, passend zu seiner Rolle. »Du hast hier nichts zu suchen! Mach, dass du fortkommst, und sei dankbar, dass wir nicht nachtragend sind«, rief er.
»Sobald dieses Gebiet den Herrn anerkennt, wirst du der Erste sein, den man wegen Widersetzlichkeit aufhängen wird«, kreischte der Verwundete.
Dessen Rolle war mindestens genauso gut besetzt, dachte Gunhild anerkennend. Der Kerl war herrlich widerlich.
»Weil du verletzt bist, gebe ich dir bis zum Abend Zeit. Bis dahin musst du unser Ufer verlassen haben!« Der Anführer drehte sich um, ohne auf eine Antwort zu warten, und schob seine Leute mit ausgebreiteten Armen vor sich her. Sie trotteten zurück in den Wald und verschwanden außer Sicht.
Am liebsten hätte Gunhild es ihnen gleichgetan, aber die Verantwortung, den Verletzten sich selbst zu überlassen, wollte sie nicht auf sich nehmen.
»Wie ist dein Name?«, fragte der Verwundete herrisch. »Gunhild«, antwortete sie, ziemlich widerwillig, weil sie ihn reichlich unhöflich fand. In der Uni duzte man sich, aber über das Alter war der Kerl wirklich hinaus. Er wirkte ohnehin nicht, als hätte er jemals eine Uni von innen gesehen.
Er musterte sie gründlich und seine Gedanken schienen in eine ähnliche Richtung zu gehen wie ihre. Gegenseitige Antipathie auf Anhieb. Dass er aber seine Verachtung offen zeigte, ging nun wirklich zu weit.
»Du musst ziemlich einfältig sein, wenn du immer noch nicht verstanden hast, dass dein Taufname Hildegunde lautet. Jedenfalls bin ich ziemlich sicher, dass man dich Hildegunde getauft hat. Ein guter Name, der dem Herrn sehr gefällig ist, seitdem die Burgunder den römischen Glauben angenommen haben.«
Gunhild sagte keinen Ton, rümpfte nur die Nase.
»Rom!«, schrie er, voll rasender Wut, die unversehens in lauerndes Misstrauen umschlug. »Oder ist dies eine Form des Widerstandes gegen den einen Gott, die du dir erdacht hast?«
Ein Psychopath, dachte Gunhild, lieber nicht widersprechen. Anscheinend waren sie beide allein auf weiter Flur, die Geräusche der Autobahn waren verstummt und das Handy funktionierte wahrscheinlich immer noch nicht.
»Bist du entlaufen?«
Aha, seine Gedanken gingen schon wieder in eine ähnliche Richtung. Vielleicht gehörten alle diese Leute in eine Anstalt und waren Laienschauspieler im Rahmen einer neuartigen Therapie. Aber wo waren dann die Betreuer? Gunhild schüttelte den Kopf.
»Wem gehörst du?«
»Niemandem«, antwortete sie unwillig. »Wieso soll ich jemandem gehören?«
»Ich sehe es doch! Sie haben dir vor kurzem die Haare abgeschnitten. Das passt mir gut. Die Magd, die sie mir gestellt hatten, war so strohdumm, dass sie über die Herdstelle gefallen und verbrannt ist.«
Gunhild nickte verständnisvoll. Na klar, man verbrennt leicht, wenn man am Elektroherd kocht.
»Dann bist du ab jetzt meine Magd!«
»Sie sind wohl nicht bei Trost«, versetzte Gunhild böse und gab es auf, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. »Lösen Sie den Gurt in einer Viertelstunde und sehen Sie selber zu, wie Sie ein Krankenhaus erreichen. Ich gehe jetzt.« Sie wandte sich um und wollte zurückgehen.
Aber irgendwie hatte sich die Gegend verändert. Ein leises Frösteln überlief sie. Wo das Wäldchen gestanden hatte und sie eigentlich Günters Audi sehen müsste, befand sich jetzt wildes Gestrüpp in sumpfigem Gelände. Der Deich war verschwunden.
Sie tat nur einen Schritt. Ohne zu wissen, wie sie dorthin gekommen war, entdeckte sie benommen, dass sie auf dem Boden lag.
Und über ihr schwebte die fränkische Kriegsaxt. Eine Franziska, fiel es ihr plötzlich ein. Ihr lief es eiskalt über den Rücken.
»Ich habe dir gesagt, dass du ab sofort meine Magd bist!«, geiferte der Unbekannte. »Bei euch Sachsen heißt dieser Zustand unfrei. Ich weise darauf nur deshalb hin, damit du dir darüber völlig im Klaren bist …«
»Was?«, keuchte Gunhild. Hinhalten, war das Einzige, das ihr derzeit einfiel. Möglicherweise suchten die Betreuer bereits nach dem Verrückten. Irgendwann mussten sie ja merken, dass einer fehlte.
»Gehorsam, Weib!«, schrie er. Seine sprühende Spucke rieselte auf ihr Gesicht herab, aber sie wagte nicht, sie abzuwischen. »Gehorsam im Namen des himmlischen Herrn! Ich kann dich jederzeit vom fränkischen Gaugrafen wegen Widersetzlichkeit hinrichten lassen.«
Vor Überraschung blieb Gunhild stumm. Sofern einer sich die Rolle eines Franken überstreifte und mit ihr lebte, oder vielmehr in ihr, stimmte dies.
»Steh auf!«
Er zog die Axt zurück, aber noch bevor Gunhild sich hatte aufrappeln können, war ihr Knöchel in einem schmalen Lederband gefangen, das sich in ihre Haut schnürte. Er meinte es ernst. »Wie soll ich dich nennen?«, fragte sie zögernd.
»Grimoald. Ich bin der Stellvertreter Christi in meiner Gemeinde auf der anderen Seite des Flusses.«
»Du bist Pastor?«, fragte Gunhild überrascht.
»Ich bin ganz bestimmt nichts Heidnisches. Ich bin Priester der fränkischen Kirche«, antwortete er kalt.
Immerhin war er nicht mehr so aufgebracht wie bisher. Augenscheinlich war es klüger, ihn als Priester zu akzeptieren. Wenn sie mit ihm ging, würden sie mit Sicherheit irgendwo vernünftigen Leuten begegnen, die ihr helfen konnten.
Ohne Gunhild aus den Augen zu lassen, ließ sich Grimoald auf einen Baumstumpf sinken, zog aus den Tiefen seines merkwürdigen schwarzen Kittels einen alten Lappen hervor und machte Anstalten, ihn um das blutende Bein zu wickeln.
»Das kannst du doch nicht machen!«, rief sie, ungeachtet der unangenehmen .Entdeckung, dass ihr Knöchel ständig seiner Bewegung zu folgen gezwungen war, da er sich das andere Ende des Lederbandes um sein Handgelenk geschlungen hatte. »Mit diesem schmierigen Lappen gibt das eine Infektion, die sich gewaschen hat. Wenn nicht sogar eine Blutvergiftung!«
Er ließ das Tuch sinken und betrachtete Gunhild mit zusammengekniffenen Augen. Zum ersten Mal registrierte sie, dass sie braun waren und ein wenig schräg standen. Sein kinnlanges fast schwarzes Haar war ungewaschen und ungepflegt. »Ich verstehe dich nicht. Bei mir musst du Fränkisch lernen. Nur das Wort Vergiftung kenne ich. Mein Tuch ist nicht vergiftet.«
Gunhild stieß einen Seufzer aus. Sie konnte es nicht verantworten, mochte der Mann ihr noch so unsympathisch sein. »Ich könnte dich auf eine hygienischere Art verbinden«, bot sie an.
Seine geschwärzten, ungeputzten Zähne mahlten unschlüssig, während er überlegte. »Meinetwegen«, stimmte er schließlich zu. »Denke aber immer daran, dass es dein Tod sein würde, mich zu betrügen, Hildegunde.«
»Pah«, stieß Gunhild in einer Mischung von Wut und Verachtung aus, bis ihr wieder einfiel, dass der Mann verletzt war. »Binde mich bitte los!«
»Nein«, sagte Grimoald und grinste hässlich. »Meine dumme kleine Sächsin wird mich nicht übertölpeln können.«
»Ich muss an mein Verbandszeug«, erklärte Gunhild resignierend.
Das Band immer noch am Handgelenk, robbte er tatsächlich auf dem von Holzspänen und kleinen Asten übersäten Boden hinter ihr her, den verletzten Unterschenkel in die Luft gestreckt.
Er ist hart im Nehmen, dachte Gunhild und fand es eine eher unangenehme Entdeckung. Die Aussicht, einem empfindlichen Mann zu entkommen, wäre wahrscheinlich größer gewesen; der Blutverlust musste einem gewöhnlichen Menschen zu schaffen machen. Ihre Hoffnung, er würde nach dem Verbinden einschlafen, versickerte im Gras, während sie ihren Erstehilfekasten ein zweites Mal öffnete.
Gunhild entfaltete das riesige Tuch, mit dem für gewöhnlich geschiente Arme an den Körper gebunden wurden, und breitete es als Notoperationstisch auf dem Boden aus. Der Metallkasten, in dem sie das kleine OP-Besteck aufbewahrte, enthielt auch vorgefertigte sterile Tupfer und Kompressen. Als sie den Verschluss der neuen Wasserstoffsuperoxid-Flasche mit einem Knacken aufdrehte, bemerkte sie das verwunderte Staunen des irren Franken, oder was immer er war. Umgangssprachlich hätte man gesagt, dass seine Augen ihm gerade aus dem Kopf fielen.
Sie ließ sich nicht stören. Dies hier war ihr Fachgebiet. Mit gespannter Konzentration öffnete sie den Verschluss des Abbindegurtes und beobachtete danach geraume Zeit die Wunde.
Es war alles in Ordnung, das Blut stand. Energisch machte Gunhild sich daran, den restlichen Schmutz und ein Grashälmchen mit H202 aus der Wunde zu tupfen. Bei einem Hund hätte sie die Wunde auf der Stelle zugenäht, denn noch waren die Wundkämme nicht besonders geschwollen. Aber zum Glück durfte sie das in diesem Fall dem Krankenhaus überlassen.
Als sie zufällig aufsah, bemerkte sie die zitternden grauen Lippen ihres Patienten und sein käseweißes Gesicht. Also doch nicht so hart im Nehmen. Na ja, manchen Bären von Mann hatte schon der Anblick einer Spritze flachgelegt. Und Grimoald war alles andere als ein Bär. Wenn er sie losgebunden hätte, wäre sie bereit gewesen, ihm einige Worte zum Trost zu sagen. Aber so wie die Dinge lagen, nicht. Wie du mir, so ich dir, dachte sie.
Gerade hatte sie ihm den Kreuzverband angelegt, als er sich räusperte und zum Sprechen ansetzte. Beim zweiten Anlauf gelang es. »Bist du eine Zauberin?«, krächzte er.
Eine Antwort war ja wohl überflüssig. Gunhild packte Verbandmaterial und Instrumente wieder zusammen, schob die leeren Zellophanumhüllungen der Mullbinden in die Seitentasche des Rucksacks und stand auf.
Sein Benehmen hatte sich verändert. Nach kurzem Zögern entschloss er sich, Gunhilds Schulter als Stütze zu gebrauchen. Immerhin war er nicht mehr rüde wie der Türsteher einer Mafiakneipe gegenüber einem unerwünschten Besucher.
»Da entlang«, bestimmte er und wies mit dem Kinn in Richtung Weser.
Wo der Audi ja irgendwo stehen musste. Vielleicht hatte Günter ihn weggesetzt, weil die Sonne weitergewandert war. Bei dieser plausiblen Erklärung fiel Gunhild ein Stein vom Herzen.
Sie folgten einem Trampelpfad. Es ging langsam und mühselig, über umgefallene Weiden hinweg, gelegentlich auch über Büschel von Riedpflanzen. Von ausgewiesenen Wanderpfaden hatte man in diesem Landesteil von Niedersachsen offenbar noch nichts gehört.
Aber das war Gunhild inzwischen alles gleichgültig. Viel mehr beschäftigte es sie, dass weder vom Auto noch von Günter die geringste Spur zu sehen war. Nicht einmal von der erhöhten Bundesstraßentrasse, die ja wohl irgendwo hätte sichtbar werden müssen. »Was macht das Bein?«, fragte sie nach einer Weile mehr oder weniger gedankenlos.
»Es klopft wie eine sächsische Trommel«, antwortete Grimoald mit vorgeschobenem Unterkiefer und zerrte die Axt aus seinem Ledergürtel, um sie ihr drohend vor das Gesicht zu halten. »Wenn es das Gift ist, lebst du nicht mehr lange.«
Abweisend sah sie über die Waffe hinweg und betrachtete ihn von der Seite. Grimoald, das hörte sich nach Grimasse an. Passte ausgesprochen gut zu ihm.
Er krümmte sich und umklammerte eine Weide. »Kannst du den Fluss schon erkennen?«, brachte er keuchend heraus.
Er war am Ende seiner Kräfte. Sie hätte vorhin daran denken sollen, ihr Messer aus dem Rucksack zu holen. Sie hätte das Lederband durchschneiden und entwischen können. Aber jetzt war es zu spät. »Nein«, antwortete sie und reckte den Hals, um zwischen den Asten die Eisenbögen der altmodischen Brücke auszumachen. »Nicht einmal die Brücke kann ich sehen.«
Er brachte es fertig, hämisch zu lachen. »Brücke! König Karl plant, bei Mainz eine steinerne Brücke bauen zu lassen, was ihm höchstes Lob bei Seiner Heiligkeit Hadrian in Rom eingetragen hat, wo unser König Patricius Romanorum ist. Aber hier? Glaubst du, er lässt eine Brücke über die Weser bauen, damit die Sachsen leichter in fränkisches Gebiet einfallen können?«
Sein fundiertes Wissen über die Frankenzeit machte Gunhild nachdenklich. Wie konnte ein solcher Typ derartig sachverständig mit Begriffen umgehen, denen man normalerweise nur beim Studium der Religionswissenschaften oder der Geschichte begegnete?
Seitlich von ihnen erklang plötzlich rhythmisches Klopfen, wesentlich heller als die Schläge von Holzfällern. Eher wie afrikanische Trommeln, dachte Gunhild und musste sich im gleichen Augenblick gegen Grimoald stemmen, der sie mit der Gewalt eines römischen Rammbocks in das Gestrüpp stieß.
Er duckte sich und spähte in alle Richtungen. »Hillebillen«, flüsterte er. »Sie sind in der Nähe. Sie drohen uns.«
Hillebillen. Irgendwann hatte sie mal davon gelesen. Aber im Augenblick waren die Verhältnisse nicht geeignet, in Ruhe darüber nachzudenken. »Was sind Hillebillen?«, fragte sie nervös.
»Sachse zu sein, ist eine harte Strafe des Herrn«, erwiderte er erbost. »Eine Sächsin zu sein, erst recht. Aber eine strohdumme Sächsin zu sein, eine wahre Höllenstrafe!«
Gunhild stellte ihm ein Bein, entriss ihm voll Zorn die Axt, die er immer noch in der Hand hielt, und schleuderte sie in den Sumpf. Sie beschrieb einen dekorativen Bogen. »Was sind Hillebillen?« Gleich darauf biss sie sich auf die Lippen. Er hatte ja so Recht, sie war wirklich strohdumm.
Grimoald grinste überlegen und zerrte Gunhild gewaltsam mit sich. »Sächsische Trommeln. Man könnte wirklich meinen, dass du nicht richtig im Kopf bist, aber das ist es nicht. Du könntest eine Zauberin sein, aber damit allein ist es auch nicht erklärt. Ich werde herausbekommen, was mit dir los ist. Und den Gegenwert meiner Wurfaxt wirst du abarbeiten.«
Die Axt war wunderbar geflogen, ähnlich wie ein Bumerang, obwohl Gunhild sie nur hatte loswerden wollen. So war es also, eine Franziska zu schleudern. Nicht dass Gunhild wirklich wissen wollte, wie sie zu fliegen beliebte. Allmählich schnürte ihr die Furcht den Hals zu.
»Der Herr sei gelobt«, seufzte Grimoald dankbar. »Fränkisches Gebiet in Sicht. Meine bewaffneten Knechte warten jenseits der Weser. Die Sachsen werden es jetzt nicht mehr wagen, Hand an den Diener des Herrn zu legen. Mein Grundhold wird uns mit dem Kahn abholen.«
Gunhild ließ sich die letzten Schritte durch das Schilf ziehen und befand sich plötzlich am Ufer des Flusses. Auf der Innenseite ihrer Wange nagend, blickte sie über die Weser. Auf dem jenseitigen Ufer standen zwei mit Lanzen und Äxten bewaffnete Krieger, hinter denen gesattelte Pferde weideten. Ein dritter Mann schob ein Boot ins Wasser, wartete, bis einer der Bewaffneten hineingestiegen war, und begann dann mit aller Kraft zu paddeln.
Wieder eine perfekte Filmszene. Nun störte die unumstößliche Tatsache, dass Gunhild die Weser zu beiden Seiten überblicken konnte, aber weder die Eisenbahnbrücke noch die Bundesstraße nach Hoya sich dort befanden, wo sie am Morgen noch gewesen waren.
»Fauler Kerl«, zischte Grimoald, als der Mann schwer atmend bei ihnen anlegte, und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. »Du wirst zuerst meine neue Sklavin Hildegunde hinüberbefördern, dann holst du mich ab. Also mach vorwärts!«
Während sich der Krieger an Grimoalds Seite begab, kletterte Gunhild mit weichen Knien in den ausgehöhlten Einbaum. Es ging kein Weg daran vorbei, sich einzugestehen, dass sie auf rätselhafte Weise in der Zeit Karls des Großen gelandet war.
Als sie die Mitte der Weser erreicht hatten, holte sie ihren Fotoapparat aus dem Rucksack und machte kühn eine Aufnahme des Knechtes. Er kroch vor Angst förmlich in sich zusammen, wagte aber nicht zu protestieren.
»Hast du vor dem Essen gebetet?« Grimoald hielt Gunhild sein Kreuz so drohend entgegen wie vor einigen Tagen die Wurfaxt.
Am liebsten hätte Gunhild ihm den Hirsebrei ins Gesicht geklatscht, aber es war ohnehin zu wenig, um sie satt zu machen. Sie nickte knapp. Mit seinen freigebig verteilten Ohrfeigen lehrte dieser archaische Priester auch das Lügen.
»Bete noch einmal. Laut. Sonst glaube ich es dir nicht.«
Himmel noch mal. Seit ihrer Kindheit in Schweden hatte Gunhild nicht mehr gebetet. Aber die Furcht vor seinen Züchtigungen half ihrer Erinnerung auf die Sprünge. Sie faltete gehorsam die Hände und sprach:
»Jag lyfter ögat mot himmelen och knäpper hop mina
händer.
Till dig, o Gud, som är barnens vän, min hag och tanke jag vänder.{1}«
Wieder einmal war er bleich vor Wut. Die ersten Tage bei diesem fränkischen Priester hatten Gunhild gelehrt, dass er zwar körperlichen Schmerz kaum kannte, aber abergläubische Furcht in einer Art und Weise, die sie kaum nachvollziehen konnte. Der Kuckucksruf zur falschen Tageszeit, ein Staubkorn im linken Auge oder eine Wolke, in der er einen Bocksfuß erkannte, brachten ihn aus Angst vor dämonischen Kräften völlig aus der Fassung. Irgendetwas regte ihn auch jetzt auf.
Grimoald schob seinen Kopf dicht an ihren heran. »Zaubersprüche!«, fauchte er. »Und die wagst du mir ins Gesicht zu sagen? Aber ich stehe unter dem Schutz unseres Herrn.«
»Ich auch«, murmelte Gunhild unbestimmt. Sie wusste nicht, wie sie sich verteidigen sollte. Er wollte als Beweis vermutlich ein lateinisches Gebet hören, das es in der evangelischen Kirche schon seit Jahrhunderten nicht mehr gab.
Er zog sich wieder zurück, unversehens in Anspruch genommen von einem anderen Gedanken. »Ich glaube nicht, dass du getauft bist«, sagte er und stieß sie mit der Fußspitze an. »So wie du sieht keine fromme Frau aus! Strohgelbe Haare, abgehackt wie ein sächsisches Stoppelfeld, Hosen wie ein Mannsbild. Ich werde dich morgen taufen.«
»Und ich werde dich nachher verbinden«, erwiderte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Ihre modische Frisur war teuer gewesen.
Der unartikulierte Laut, den er ausstieß, klang eher nach Fluch als nach Dank. Als er gegangen war, würgte sie den unappetitlichen Brei hinunter, für den es nicht einmal Salz gab, und ging hinaus, um den Topf zu spülen.
Draußen schien wenigstens die Sonne, Vögel zwitscherten in den Büschen, und nicht einmal die beiden fränkischen Krieger trieben sich vor dem Haus herum.
Warnechin, der Gunhild über die Weser gepaddelt hatte, spaltete gerade Holz, als sie an ihm vorüberkam. Er ließ die Axt ruhen und streckte den Rücken. »Wenn du die Augen zumachst und an nichts denkst, geht es vorüber.«
»Was geht vorüber?«, fragte Gunhild überrascht und sah den verhutzelten Mann, der immer hungrig zu sein schien und außerdem etwas Anständiges zum Anziehen benötigt hätte, freundlich an.
»Die Taufe«, flüsterte er. »Sie ist widerlich, aber wenn man sich gegen sie wehrt, verfällt man ihrer Todesstrafe, jedenfalls als Besitzloser. Wenn einer sich nicht taufen lassen will, ziehen sie ihm mit ihren Widerhaken die Gedärme heraus. Also lass dir nichts dergleichen einfallen!«
»Was für Widerhaken?« In ihrem Entsetzen ahnte Gunhild nicht einmal, wovon er sprach.
»An Angos und Dolchen, Hildegunde. Nimm dich vor ihm in Acht.«
»Gunhild«, verbesserte sie automatisch. »Wieso?«
Er schüttelte den Kopf. Bevor er sich abwandte, signalisierten seine Augen, dass die fränkischen Soldaten kamen.
Gunhild verstand und ging weiter, so in Gedanken vertieft, dass sie beinahe am Brunnen vorbeigelaufen wäre. Der Sachse Warnechin hatte sich in diesen ersten Tagen ihres Sklavendaseins als der einzige nicht feindlich gesinnte Mensch auf diesem Gehöft erwiesen. Sie hatte keinen Grund, ihm nicht zu glauben.
Während sie den Topf mit Sand scheuerte, lauschte sie, immer in der vagen Hoffnung, sie könnte plötzlich ein Auto hören. Oder es würde jemand in Jeans und mit Sonnenbrille auftauchen und alles für einen dummen Scherz erklären.
Natürlich vergeblich. Sie war in eine andere Zeit katapultiert worden, es war kein Traum, es war unsägliche Wirklichkeit. Die Vorsicht gebot, erst einmal hier zu bleiben, bis sie herausgefunden hatte, wie sie fliehen konnte.
Sie sah sich verstohlen um. Der sächsische Vorbesitzer des Pfarrhauses hatte anscheinend mitten im Wald eine Lichtung für sein Wohnhaus, die Vorratshütten sowie einige kleine Felder schlagen dürfen. Wahrscheinlich wurden mehr Siedler erwartet, jedenfalls hatte er den künftigen Weiler Marthausen genannt. Aber so etwas wie eine richtige Straße zu einem anderen Dorf oder gar einer Stadt gab es nicht.
Die sächsische Familie hatte mehr Menschen umfasst. Für den Haushalt des Priesters war das Wohnstallgebäude mit den drei dazugehörigen Hütten entschieden zu groß. Der Stall stand leer, abgesehen von den vier Pferden der Franken, die aus Furcht vor Diebstahl und Überfällen nachts hereingeholt wurden. Wo mochte das Vieh hingekommen sein? Und warum starrte alles vor Dreck?
Hinter Gunhild schlug etwas auf den Boden auf. Sie fuhr herum. Ein junges Reh mit Schaum am Maul lag dort. In ihrer Augenhöhe befand sich ein kniekurzer Rock über Wickelgamaschen, denen ein Geruch von saurem Schweiß, Blut und undefinierbaren Komponenten entstieg. Gunhild sah auf.
Drogo, der jüngere der fränkischen Krieger, grinste zu ihr herab. Seine schwarzen Haare starrten vor Schmutz; die störrischen Zipfel seines Oberlippenbartes hingen über die Mundwinkel herab. Gunhild versuchte angestrengt, sich nicht anmerken zu lassen, wie widerwärtig er ihr war.
»Weide es aus, Weib, und brat es am Spieß. Wehe dir, wenn das Fleisch heute Abend nicht gar ist«, schnauzte Drogo in einem Dialekt, den Gunhild nur mit Mühe verstehen konnte.
»Mir hat dein Priester so viele Aufträge gegeben, Drogo, dass es bis zum Abend reicht«, sagte Gunhild höflich. »Wie wäre es, wenn du selber Hand anlegtest? Ihr beiden habt ja sonst nichts zu tun.«
»Was fällt dir denn ein?«, entgegnete Drogo grob, drehte seinen Jagdspieß um und stieß Gunhild mit dem hölzernen Schaft zu Boden.
Der Schmerz an den Rippen ließ sie keuchen. Bis sie sich erholt hatte, war der Krieger um die nächste Hausecke geschlendert. Erbittert sah sie seiner Lanze nach, die zwischen den Grasfirsten der beiden Nurdachhäuser, die hier Grubenhäuser genannt wurden, in den blauen Frühlingshimmel stach.
»Widersprich ihnen besser nicht, das ist noch keiner Unfreien bekommen«, murmelte Warnechin, der herbeigekommen war, um sich das Kitz auf die Schulter zu laden.
»Ist die vorige Magd wirklich verbrannt?«, erkundigte Gunhild sich, weil ihr die Bemerkung des Priesters einfiel, die sie zu der Zeit noch von der komischen Seite genommen hatte.
Warnechin krauste überrascht die Stirn und starrte Gunhild an. »Nein. Wie kommst du darauf?«, fragte er.
Wieder warnte ein Blitzen in Warnechins Augen Gunhild weiterzusprechen. Als er das Kreuz schlug, wusste sie, dass der Priester kam. »Sag deinen Kriegern, dass sie sich selbst um das Reh kümmern sollen«, verlangte sie, ohne sich umzudrehen. »Sie sind faule Strolche, wie ich festgestellt habe. Ich habe genug anderes zu tun.«
Seine Meine Faust traf schmetternd auf ihr Trommelfell.
»Anscheinend bist du nicht gewohnt zu arbeiten. Du wirst es lernen! Und wage nicht zu behaupten, du wärst die Tochter eines Edelings. Bei mir haben Sachsen keine Sonderrechte. Vor dem Herrn sind wir alle gleich.«
Gunhild biss die Zähne zusammen, dass sie knirschten.
»Zuerst also das Reh«, fuhr Grimoald fort, »danach verbindest du mich und anschließend mistest du den Stall aus und machst die Hütten sauber.« Er wandte sich zu der kleinen Kapelle, die sich nur durch ein hölzernes Kreuz am First von den anderen Hütten unterschied, und schlug mit ehrfürchtiger Miene das Kreuz.
»Habt ihr die Besitzer des Hofes eigentlich nur vertrieben oder erschlagen? Und wie lange ist deine Magd schon tot? Der Dreck liegt jedenfalls schon wochenlang hier.«
»Die Familie ist gerecht bestraft worden«, antwortete Grimoald zerstreut. »Sie übte heidnische Bräuche aus. Aber du hast nicht ganz Unrecht, ich brauche für die Häuser mehr Leute. König Karls Anweisung, dass die Gemeinde ihrem Priester einen Knecht und eine Magd zu stellen hat, ist geradezu lächerlich. Es wäre seine christliche Pflicht, die fränkische Kirche besser zu unterstützen.«
»Der König ist anscheinend der Meinung, dass ein Priester nicht mehr als zwei Leute zu seiner Bedienung braucht …«
»Die Kirche kann nur überleben, wenn sie bis in die Gemeinden hinein ihren Reichtum zeigen kann«, versetzte Grimoald verärgert. »Jeder Sachse soll erkennen können, dass unser Gott mächtiger ist als diese sächsischen Teufel namens Jupiter, Minerva, Merkur und wie sie alle heißen.«
Aus dem Augenwinkel sah Gunhild, wie Warnechin sich auf die Lippen biss und den Kopf senkte. »So heißen sie überhaupt nicht«, widersprach sie überlegen. »Sie sind doch keine römischen Götter! Ihre Namen sind Thor, Odin, Njörd, Fjörgyn …«
»Schluss, Weib!«, brüllte Grimoald und eilte so rasch davon, dass sein schwarzes Gewand hinter ihm herflatterte.
Warnechin sah ihm mit offenem Mund hinterher. Gunhild konnte seine abgenutzten Zähne sehen. Kein Wunder, im Mehl waren immer Steine. »Was hast du für ein Glück gehabt!«, sagte er aus dem Mundwinkel. »Ich verstehe nicht, dass er dich nicht auf der Stelle erschlagen hat.«
»Wieso?«, fragte Gunhild aufsässig.
»Die alten Götter beim Namen zu nennen …«, murmelte Warnechin leise, aber nicht ohne Bewunderung. »Man darf sie bei schwerster Strafe nicht nennen. Deshalb nehmen sie die fremden Namen, die uns nichts bedeuten, wenn sie sie nicht gleich als Teufel bezeichnen. Nicht, dass ich wüsste, was ein Teufel ist. Es muss für Christen etwas ganz Schlimmes sein.«
»Der Teufel beherrscht die Hölle der Christen«, erklärte Gunhild bereitwillig. »Eigentlich wäre er somit als Gott der Unterwelt anzusehen. Als Totengott, wie in sehr weit zurückliegenden Zeiten Odin.«
»Wer ist Odin?«, hauchte Warnechin verstört, um gleich darauf den Kopf zwischen die Schultern zu ziehen. »Ich habe schon gemerkt, dass du anders bist als andere Frauen.«
»Ich bin nicht anders«, widersprach Gunhild vergrätzt. »Odin ist derselbe wie Wotan.«
Warnechin senkte den Kopf. »Du bist eine weise Frau«, sagte er ehrfürchtig. »Ich wusste gleich, dass du viel Heil in dir trägst.«
Gunhild schwieg verblüfft.
»Ein gewöhnlicher Unfreier kennt gar nicht die alten Namen unserer Götter«, erklärte er scheu, sprang auf und lud sich das Rehkitz ein zweites Mal auf. Er eilte mit ihm zwischen zwei Grubenhäusern davon.
Gunhild folgte ihm nachdenklich.
»Wo finde ich Vater Grimoald?«, fragte eine helle Stimme hinter ihr.
Als Gunhild sich umdrehte, stand zwischen zwei Hütten ein Mann, der eher breit als hoch geraten war. Sie musterte seine weingerötete Nase. »Wer bist du? Was willst du von ihm?«, erkundigte sie sich abweisend.
»Was geht das dich an, Unfreie?«, pfiff er sie an und legte seine Hand auf das Gehänge eines Dolchs. »Vater Grimoald wartet auf die Nachrichten aus der Abtei Amorbach.«
Gunhild zeigte schweigend zum Wohnhaus. Als der Kerl davontrottete, sah sie inmitten der unregelmäßigen Zotteln seines kinnlangen Haares die Tonsur. Interessant, dass der Priester aus einem weit entfernten Kloster regelmäßig mit kirchlichen Nachrichten versorgt wurde, obwohl dieses Land gerade erst christianisiert war.
Die Gerüche, die aus dem geöffneten Bauchraum des Kadavers stiegen, erinnerten Gunhild an die Anatomiestunden. Vorsichtig schälte sie die Leber vom Bauchfell ab, damit die Gallenblase nicht platzte und das Fleisch unbrauchbar machte. Ach, wie gerne hätte sie jetzt im Präpariersaal gesessen, selbst ein Testat mit einer Vier hätte sie in Kauf genommen. Als sie die Gelenkkugel des Oberschenkelknochens aus der Beckenpfanne löste, ohne die Rückenmuskeln zu verletzen, durchbrach Warnechin ihr konzentriertes Schweigen.
»Du hast Hirschheil in dir, Hildegunde. Trägst du vielleicht sogar das Zeichen des Hirsches?«
»Es ist doch ein Reh«, wandte Gunhild peinlich berührt ein.
»Das hat keine Bedeutung. Du hast Hirschheil. Ich weiß, du darfst mir das nicht erklären«, fügte er hastig hinzu, als sie hartnäckig schwieg. »Deine Sippe wird dich vermissen. Aber ich bin froh zu wissen, dass jetzt ein Heiling bei uns ist.«
Heiling. Was war ein Heiling? Auf jeden Fall hatte es mit heilen zu tun. Sie tat ja ihr Bestes, aber ob das ausreichte, um das Bein zu retten? Kritisch musterte sie die Wunde, während sie die Mullbinde zusammenrollte, und sog unauffällig Luft ein. Der Duft des bratenden Fleisches zog über den Hofplatz und mischte sich mit dem Gestank, der vom Leib des Priesters ausging. Einfach widerwärtig.
Vermutlich hatte er sich in den letzten Jahren nicht gewaschen. Unter diesen Bedingungen war es kein Wunder, dass sich die Wunde trotz der Behandlung mit Wasserstoffperoxid infiziert hatte.
Resolut säuberte Gunhild die von Eiter gelb gepunktete Oberfläche am unteren Wundwinkel. Als sie das Antibiotikum auf das rötliche Gewebe streute, erbleichte Grimoald.
»Was ist das? Ein Zaubermittel?«
»Es gibt keine Zaubermittel«, antwortete Gunhild barsch. »Es ist ein Heilmittel, das bei euch nicht bekannt ist. Aus einem Pilz.«
Grimoald schnitt ein Gesicht und ballte die Fäuste. Trotzdem schien es ihm nicht geraten, Gunhild gerade jetzt zu schlagen. »Aus einem Pilz! Ihr Sachsen seid wahrhaftig sonderbar. Ich weiß, dass eure Männer sogar für Bärte eigene Scheren haben und Löffelchen, mit denen sie sich in den Ohren umherfahren.« Er lachte verächtlich.
»Und?«, fragte Gunhild. Sie verstand die Bemerkung nicht.
Er zuckte die Schultern. »Sächsische Bauern legen auf die albernsten Dinge wert. Mein Volk ist ein Reitervolk, wir haben gelernt, uns auf das Wesentliche zu beschränken. Scheren und Ohrlöffelchen gehören nicht zu den wesentlichen Dingen des Lebens. Für einen Priester sind sie sowieso nur Zeugnisse unfrommer Eitelkeit.«
Gunhild lachte herzhaft über seine kuriose Beweisführung. »Wenn das stimmt«, sagte sie, »sind Sachsen sauberer als Franken. Wundert mich nicht. Bauernvölker sind ohnehin weiter entwickelt als Reitervölker, weil sie das produzieren, was sie essen, während Reitervölker vom Plündern leben.«
Grimoalds beleidigte Miene warnte sie. Während er zu einem Tritt ausholte, stieß Gunhild ihren Daumen nachdrücklich in den eiternden Teil der Wunde, über die sie gerade die Mullbinde gewickelt hatte. Gleichzeitig bohrte sie ihren Blick in seinen.
Er verstand. Bedächtig und fast ungläubig stellte er seinen Fuß wieder auf die Erde.
Gunhild nickte ihm zu, räumte ihre Sachen zusammen und brachte sie zu dem Grubenhaus, das sie zu ihrem persönlichen Bereich erklärt hatte. Es war kein heldenhafter Sieg gewesen, aber immerhin hatte sie dem Kerl gezeigt, dass sie nicht wehrlos war.
Mit Bedauern verließ Gunhild ihre Hütte, in der der Webstuhl an der Wand so etwas wie eine weibliche Atmosphäre schuf, und ging daran, den Wohnbereich des Haupthauses zu säubern. Noch glich er vollkommen einem Müllhaufen. Als sie den fünften Eimer Wasser vom Brunnen holte, entdeckte sie, dass keiner der Franken zu sehen war. Sie stellte den Eimer ab, streckte sich erleichtert und schlenderte zu Warnechin hinüber.
Er hatte beide Oberschenkel des Rehkitzes gespickt und auf einen Spieß gesteckt, den er von Zeit zu Zeit drehte. Die Oberfläche rieb er ab und zu mit einer Speckschwarte ab. »Der Priester ist sehr heikel in diesen Dingen«, murmelte er.
Der Priester war dürr wie eine getrocknete Pflaume’, vermutlich also ein guter Futterverwerter. Es war tröstlich zu hören, dass hier Wert auf gutes Essen gelegt wurde. »Riecht köstlich«, lobte Gunhild und stellte fest, dass das Fleisch fast gar sein musste. »Nicht so streng wie Rentier, aber appetitlich herzhaft.«
»Du bist also tatsächlich eine von den Nordleuten«, sagte der Knecht ausweichend. »Das habe ich mir gedacht.«
Bevor Gunhild sich erkundigen konnte, woher er die Nordleute kannte, wurden sie unterbrochen.
Ein Fremder überquerte den Hofplatz. Warnechin ließ den Bratspieß erschrocken los und ging rückwärts, bis ihn der Brunnen aufhielt.
Der Mann lächelte ein wenig. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er und sah sich in aller Ruhe um.
Gunhild betrachtete ihn mit Wohlgefallen: Er wirkte gepflegt. Seine lange Hose, der fast knielange Kittelrock und das kurze Schwert wiesen ihn als freien Sachsen aus. Unauffällig hielt sie nach seinem Ohrlöffelchen Ausschau.
»Ist der Priester da?«, erkundigte er sich.
Warnechin schüttelte den Kopf.
»Hast du deine Zunge verloren? Hat der Priester sie dir herausgeschnitten?«
Warnechin, der seine Augen nicht vom Schwertgehänge des Sachsen lösen konnte, stieß blubbernde Laute hervor.
»Dachte ich mir’s doch. Sie sind häufig ohne Maß in ihren Strafen«, stellte der Mann fest und wandte sich an Gunhild. »Wann kommt der Priester? Wird er heute noch zurückkehren?«
»Ganz sicher kommt er zurück«, antwortete Gunhild und deutete auf den Braten. »Anscheinend ist Reh sein Lieblingsessen. Und man sollte es nicht zäh werden lassen.«
Der Sachse lächelte belustigt. »Ihr wisst wohl beide nicht sonderlich gut Bescheid.«
Auch Gunhild musste lachen. »Ja, nicht wahr? Wir wirken wie Tölpel, das ist mir klar. Ich bin erst wenige Tage hier. Und wer bist du?«
Warnechin gab ein entrüstetes Schnauben von sich und fand endlich die Sprache wieder. »Du bist zu respektlos, Hildegunde. Er ist ein Edeling oder mindestens ein Friling, und du bist unfrei, denk daran!«
»Gunhild heiße ich«, fauchte sie zurück. »Ich bin so frei wie er! Und nicht weniger edel!«
»Ich wusste es ja«, wimmerte Warnechin kläglich. »Sie ist ein Heiling aus edler Sippe.«
»Ich grüße dich, Gunhild von den Nordleuten«, sagte der Sachse und musterte sie interessiert, ohne Warnechin noch einen Funken von Aufmerksamkeit zu gönnen. »Ich bin Hassio, ansässig in Verden. Du bist zu Besuch bei einem Priester?«
»Nein, ganz und gar nicht«, entgegnete Gunhild nachdrücklich, um dem leichten Tadel in seinem Ton die Spitze abzubrechen. Leider wusste sie nicht, was sie sonst hätte sein können.
»Als Geisel festgehalten?«, erkundigte er sich überrascht.
»Genau, als Geisel«, bestätigte Gunhild, dankbar für die Ausrede.
Hassio stieß Luft durch die Nase. »Die Franken lähmen unser Land mit allen Mitteln«, verkündete er düster. »Es gibt keine Niedertracht, die sie sich nicht ausdenken, aber keinen gemeinsamen Widerstand gegen sie.«
»Wie denn auch, wenn sich so viele Edelinge freiwillig taufen lassen?« So hieß es jedenfalls in der Geschichtsüberlieferung.
Sein Gesicht blieb ausdruckslos. »Freiwillig! Was ist daran schon freiwillig, wenn derjenige seinen Hof verliert, der sich weigert? Ich bin auch getauft, sonst wäre ich längst landlos mit meiner ganzen Familie und meinem Gesinde, das sind insgesamt fünfunddreißig Münder. Ich war der Meinung, dass ich eher den nutzlosen Zauber der Christen über mich und die Meinen ergehen lassen sollte, als dass wir alle ins Elend gestoßen werden. So denken viele Männer, aber es gibt natürlich auch ein paar andere. Wenn ihre Familien klein genug sind, verstecken sie sie …«
Gunhild nickte teilnahmsvoll. »Und dann?«
»Die Männer gehen in die Wälder. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, schicken sie die Franken in ihre Hölle. Soviel ich gehört habe, soll es dort nicht besonders angenehm sein.«
»Das ist wahr«, bestätigte Gunhild bereitwillig. »Die Franken müssen nach dem römischen Glauben bis zur Auferstehung auf der Glut schmoren. Und das kann noch lange dauern.«
»Das gefällt mir. Für Franken ist es eine angemessene Strafe, wie mir scheint.« Hassio grinste verschmitzt und zwinkerte ihr mit einem Auge zu. »Weißt du über ihren Glauben Bescheid? Ich könnte nicht behaupten, dass mir der Priester, der mich taufte, auch nur eine einzige vernünftige Auskunft gegeben hat. Vielleicht ist der neue Priester anders. Wer ist dieser Sohn Gottes? Stammt er aus guter Familie?«
»Christus hat gelernt, Häuser zu bauen«, antwortete Gunhild überrascht.
»Häuser bauen kann bei uns jeder Mann, das ist nichts Besonderes. Dieser Jesus war also römischer Christ?«
»Nein, das war er nicht. Er war Hebräer«, widersprach Gunhild.
»Demnach müssen Hebräer und Römer nicht in die Hölle, sondern nur die Franken? Warum?«
»Nein, so ist es auch nicht«, erwiderte Gunhild gedehnt. »Alle Christen müssen dort ihre Sünden büßen. Christus nicht, weil er der Sohn Gottes ist. Für die römische Kirche ist er wie Gott.«
»Sie haben also zwei Götter«, meinte Hassio nachdenklich.
»Es kommt noch der Heilige Geist hinzu«, ergänzte Gunhild rasch.
»Und zu welcher Familie gehört der?« Hassio zeigte deutlich sein Missfallen.
Gunhild fühlte Wärme in ihre Wangen steigen. Langsam wusste sie selbst nicht mehr so recht weiter. »Zu gar keiner. Er ist kein Mensch. Sie nennen es eine Dreieinigkeit aus Gott, Christus und Heiligem Geist.«
Hassio nickte höflich mit abweisender Miene. »Eines ist mir jetzt klar geworden«, erklärte er fest. »Wenn sie behaupten, sie glaubten nur an einen einzigen Gott, lügen sie. Ich und die Meinen pflegen nicht zu lügen. Ich sehe auch nicht ein, dass es vernünftig sein soll, an drei Götter zu glauben und dafür in einer Hölle bestraft zu werden.«
Ein Geräusch veranlasste ihn, sich umzudrehen.
»Heiliger Bonifatius! Bewahre mich vor dem Schwert eines Sachsen!«, schrie Grimoald schrill und griff schutzsuchend an die Kapsel, die er an einem Band am Hals trug.
Drogo und Worad, der zweite fränkische Krieger, tauchten zwischen den Häusern auf, ließen die Wurfbeile über ihren Köpfen kreisen und rückten Schritt für Schritt vor.
Hassio ließ sich von ihrem kriegerischen Gehabe nicht beeindrucken. »Ich möchte mit dir sprechen, Priester«, begann er.
»Dann hättest du unbewaffnet kommen müssen!« Grimoald richtete seinen Zeigefinger anklagend auf Hassios Schwert.
Der Sachse zuckte die Schultern. »Wer geht heutzutage schon unbewaffnet aus dem Haus? Ich komme aus Verden, musst du wissen, wo wir Sachsen ständig von den Soldaten des fränkischen Kastells belästigt werden. Und im unbewohnten Land treiben sich viele Menschen herum, die vom Raub leben, seitdem ihr Franken es euch zur Gewohnheit gemacht habt, die Besitzer von ihren Höfen zu vertreiben.«
»Werde nicht unverschämt, Sachse! Die Gesetze des Königs gelten für alle und sind gerecht. Wer seine Hütte verliert, hat es sich selber zuzuschreiben.«
»Wie du meinst. Zur Sache«, erwiderte der Sachse kalt, dem offenbar die Geduld riss.
»Genau! Zur Sache!«, unterbrach ihn Grimoald und malte das Kreuzzeichen in die Luft. »Die Strafe für das unerlaubte Betreten des Hauses eines Priesters beträgt sechsunddreißig Solidi, und weil du bewaffnet bist, erhöht sie sich auf achtundsiebzig Solidi. Sobald du dich dazu bekannt hast, können wir über dein Anliegen sprechen.«
Hassio lachte zuerst ungläubig, dann schien ihm der Ernst der Lage aufzugehen. Seine Fäuste ballten sich.
»Der Sachse Hassio hat sich keinen einzigen Augenblick auf diesem Anwesen feindlich gegeben, Grimoald«, versuchte Gunhild zu vermitteln. »Du hast ihn vollkommen missverstanden. Sei doch dankbar, wenn einer freiwillig kommt, um eine Taufe oder dergleichen anzumelden.«
»Misch dich nicht ein, Weib!«, brüllte Grimoald sie ungehalten an. »Wer hier nichts versteht, bist du. Hier geht es um christliche Demut, und ein sächsisches Schwert offen neben einer Kirche zur Schau zu tragen, ist alles andere als das! Das ist Auflehnung gegen den Herrn im Himmel und gegen König Karl!«
»Eine solche Bestimmung ist mir unbekannt«, versetzte Hassio verächtlich. »Die hast du selbst aus Habgier erfunden.«
»Die Religion der Liebe ist nicht habgierig, sondern barmherzig«, sagte Grimoald, faltete die Hände vor seinem rabenschwarzen Gewand und lächelte tückisch. »Und wenn du die Bestimmungen deines Königs nicht kennst, so ist dies nichts, was ich zu verantworten hätte.«
Worad musste einen stummen Befehl des Priesters aufgefangen haben. Blitzschnell wechselte die Axt in seine Linke und sein drei Meter langer Ango schoss auf Hassios Brust zu. Die Widerhaken bohrten sich mit leisem Ratschen durch den Stoff seines Mantels und blieben darin hängen. Drogo umrundete den Sachsen mit langen Schritten und zog ihm bedächtig das Schwert aus der Scheide, ohne seinen Arm mit der hocherhobenen Axt auch nur einen Augenblick zu senken.
Gunhild verfolgte die Szene betroffen. Die machten wirklich Ernst.
»Ich habe nicht so viele Solidi«, keuchte Hassio. »Welcher Sachse hat die schon …«
»Wir nehmen als Wiedergutmachung auch Kühe, Ochsen oder Schweine. Nach dem augenblicklichen Wert entsprechen achtundsiebzig fränkische Solidi sechsundzwanzig guten Ochsen oder achtundsiebzig Kühen, die kalben können, oder zweihundertvierunddreißig fetten Schweinen«, zählte Grimoald routiniert auf, als sei es sein tägliches Geschäft, Sachsen auszuplündern. »Die Strafen sind genau vorgeschrieben, der Gaugraf würde es dir bestätigen. Zu deinem Glück warst du besonnen genug, nicht auch noch die Hand gegen mich zu erheben.«
»Dann bring mich vor den Gaugrafen Theutbald«, verlangte Hassio.
»Nur die Ruhe, Sachse, du kommst schon dorthin. Er wird dir dasselbe sagen.«
»Das kann doch nicht das Recht des fränkischen Königs sein«, sagte Gunhild zornig. »Das ist ein Raubzug!«
»Die Sachsen müssen viele Dinge erst lernen, Hildegunde. Sie sind ein wildes Volk …«
»Und wie viel davon kommt beim König an?«, fragte Gunhild sarkastisch.
»Auch das ist geregelt.« Der Priester zeigte sich jetzt als Sieger geduldiger als zuvor. »Von allen Strafen erhält der König zwei Teile, der Bischof einen Teil.«
»Also ist sowohl der Frankenkönig als auch die Kirche daran interessiert, den Sachsen so viele Fallen zu stellen wie möglich!«, stellte Gunhild höhnisch fest. »Umso besser, wenn sie sie nicht einmal kennen.«
»Ich führe deine Erregung darauf zurück, dass sich ein sächsischer Mann in deiner Nähe befindet«, schloss Grimoald. »Geh jetzt an deine Arbeit!«
Gunhild sah ihn entrüstet an. »Nein, ich gehe nicht«, verkündete sie aufsässig. »Wenn du deinen Besucher nicht freigibst, Grimoald, werde ich dein Bein abfaulen lassen.«
Grimoalds Gesicht wurde fahl wie Asche. »Die christliche Kirche lässt nicht mit sich handeln«, sagte er schließlich mit rauer Stimme. »Wenn es mir bestimmt ist, als Märtyrer zu sterben, dann werde ich dieses Schicksal auf mich nehmen.«
Gunhild stieß einen Stoßseufzer aus. Der Priester war ein Ausbund an Fanatismus und Dummheit.
»Du bist hier überflüssig«, zischte Drogo hinter ihr leise, dessen Kommen sie gar nicht bemerkt hatte, und eine Spitze bohrte sich mahnend zwischen ihre Schulterblätter.
Während Hassio in einem der Vorratshäuser eingesperrt wurde, stieß Drogo sie in Richtung des Wohnhauses. Fieberhaft suchte sie nach einem Ausweg, aber erst in der Tür kam ihr eine Idee. Als sie sich umdrehte, senkte sich Drogos Dolch in ihr Schlüsselbein, aber sie ignorierte den Schmerz. »Wer ist der Bischof, Grimoald? Ich kann mir nicht denken, dass ein Bischof das Recht derart auf den Kopf stellt. Lass Hassio ihm sein Anliegen vortragen!«
»In diesem Teil des eroberten Sachsenlandes gibt es noch keinen Bischof.«
Sein eigenartiges Lächeln gab Gunhild zu denken. »Und wer bekommt die Kühe?«, fragte sie verblüfft.
»Ich«, sagte Grimoald. »Dem Herrn sei Dank, der seinen Diener ernährt.«
Der Morgen war so trübe wie Gunhilds Stimmung. Da sie sich auf die Taufe vorzubereiten hatte, war ihr fast elend vor Hunger, und sie konnte kaum an etwas anderes als an Essen denken. Die Nacht war ohnehin unerfreulich gewesen, denn einer der Männer hatte sich an der Tür zu schaffen gemacht und versucht einzudringen. Sie hatte mit so etwas gerechnet und den hölzernen Knebel blockiert. Irgendwann hatte der Kerl aufgegeben.
Warnechin war es bestimmt nicht gewesen. Er war derart eingeschüchtert, dass er sich nicht einmal getraut hatte, ihr mitzuteilen, dass der Rehbraten ausschließlich für den Priester und seine Franken bestimmt war.
Der salzlose Brei, mit dem sich die Unfreien zu begnügen hatten, war scheußlich fade. Aber nicht einmal der war Gunhild am Morgen der Taufe erlaubt. Stattdessen hatte sie zu fasten und zu beten. Sie war alles andere als milder, christlicher Stimmung, als sie am Morgen aus ihrer Hütte trat und zur Kapelle hinüberging.
»Was willst du da, Weib?« Drogo schoss aus der Schmiede, dem der Kirche nächstgelegenen Grubenhaus, heraus, wischte sich mit dem Handrücken die Fleischreste aus dem Schnurrbart und hielt ihr mit der anderen Hand drohend den Ango entgegen.
Du meine Güte! Wollte er die Kapelle gegen sie verteidigen? Gunhild blieb sofort stehen. Der junge Mann war hitzig genug, sie auf der Stelle zu durchbohren. Vielleicht sogar aus Rache, weil sie ihn nicht in die Hütte gelassen hatte. Irgendwie traute sie es eher ihm als Worad zu. Gunhild hob die Hände, als der Spieß ihren sächsischen Hängekittel eigener Machart berührte. »Schon gut, schon gut. Was ist jetzt wieder los?«
»Was fällt dir ein? Du darfst das Haus des Herrn nicht betreten, bevor du getauft bist«, herrschte der Krieger sie an.
»Aha.« Gunhild gab sich nicht weiter mit ihm ab, sondern blickte sich um und entdeckte den mit Wasser gefüllten Grapen. Sollte sie baden?
Grimoald eilte mit wehendem Gewand auf sie zu, auch er noch kauend. »Wenn du erst einmal getauft bist, wirst du vor jeder heiligen Handlung beichten«, sagte er in scharfem Ton und musterte ihre Kleidung. »Heute natürlich nicht. Was immer du ohne den Segen des Herrn behaupten würdest, wäre gelogen. Die Sachsen sind ein lügnerisches Volk, wie jeder weiß.«
Gunhild schwieg, allmählich klüger geworden.
»Was ist das für ein Aufzug?«
»Mein Taufkleidchen«, antwortete Gunhild verdrossen. »Ich habe nichts anderes. Warum hast du mir das Kleid fortgenommen, das ich in der Webhütte gefunden habe?« Den verschlissenen groben Kittel, den er ihr stattdessen hingeworfen hatte, hatte sie mit Hilfe von Fäden verändert, die aus den Hosenbeinen ihrer Jeans stammten.
Er kaute immer noch.
»Hast du das wunderschöne Webkleid zu Geld gemacht?«
»Der Herr gibt und nimmt, wie es Ihm gefällt«, erwiderte er hochmütig.
Der Priester begann unverzüglich mit der Taufzeremonie. Seinem Gebet in fränkischer Sprache mit eingestreuten lateinischen Brocken, die ihr aus unerfindlichem Grund merkwürdig vorkamen, folgte die eigentliche Taufe, deren wichtigster Teil aus einem Frage-und-Antwort-Spiel bestand.
In Gunhilds bloße Knie drückten sich allmählich schmerzhaft Ästchen ein, aber sie biss die Zähne zusammen und sah zu ihm hoch.
»Entsagst du dem Teufel und allem Teufelswerk? Und Thor und Wotan und Saxnot und allen Unholden?«
Einen Augenblick überlegte Gunhild, ob sie diesen Unsinn wirklich mit den Formeln, die er ihr am Vorabend eingeschärft hatte, beantworten sollte. »Na ja«, entschlüpfte ihr, dann stieß sie gehorsam das »Ich gelobe« aus.
»Gelobst du dich dem allmächtigen Gott und Vater und dem Heiligen Christ, Gottes Sohn, und dem Heiligen Geist?«
»Ich gelobe.«
Nachdem er ihren Kopf drei Mal in den Kessel getaucht hatte, dessen Wasser er vorher durch einige Tropfen Öl mit dem Heiligen Geist gesättigt hatte, wollte Gunhild dankbar aufspringen. Aber er drückte sie so entschieden wieder auf den Boden zurück, dass sie erschrocken nachgab.
Er räusperte sich, spuckte einen dicken Schleimbatzen auf seinen Daumen und bestrich mit ihm Gunhilds Nase. Sie war starr vor Entsetzen, was ihm Gelegenheit gab, sie auch hinter den Ohren zu salben und mit seinem fauligen Mundgeruch anzuhauchen. Dabei lächelte er grausam.
»Jetzt ist der Heilige Geist auch in dir«, sagte er zufrieden und ließ sie endlich los. »Der Herr sei mit uns und unserem frommen Werk.«
Gunhild wankte hinter eines der Häuser und erbrach sich.
Jemand klopfte ihr sanft auf die Schulter. Warnechin. »Ich habe dir ja gesagt, dass du an nichts denken sollst. Und, ist es nicht vorübergegangen?«
»Ja. Aber es war ekelhaft und demütigend. Ich hätte nie gedacht, dass Menschen auf diese Art getauft werden.«
»Oh, es gibt noch ganz andere Arten«, erklärte Warnechin heiter. »In der Hinsicht sind die Franken sehr erfinderisch.«
Gunhild schüttelte nachdrücklich den Kopf. Sie hatte nicht die geringste Lust, sich die noch fantasievolleren Methoden anzuhören, obwohl Warnechin sie erwartungsvoll ansah.
»Ich soll dich holen«, sagte er etwas enttäuscht.
»Ich will nicht«, entgegnete Gunhild bissig. »Für diesen Tag reicht es mir. Ich werde jetzt seinen Stall entmisten, obwohl ich lieber etwas ganz anderes entmisten würde.«
»Ich habe dich doch schon gewarnt.« Warnechin blieb geduldig. »Es hat keinen Zweck, sich gegen ihn zu stemmen. Er will los und du sollst mit.«
»Wohin?«
»Auf die andere Seite der Weser. Jetzt, wo du da bist, verspricht er sich bessere Erfolge.«
»Bei seinen Tauf- und Raubzügen? Soll er doch seine Krieger mitnehmen!«, meinte Gunhild sarkastisch.