Die Samenhändlerin - Petra Durst-Benning - E-Book
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Die Samenhändlerin E-Book

Petra Durst-Benning

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Beschreibung

Württemberg im Jahre 1850: Auf der Suche nach dem Mann, der sie geschwängert hat, kommt die junge Hannah Brettschneider in ein Dorf am Fuß der Schwäbischen Alb: Gönningen ist die Heimat der Samenhändler, die seit fast zwei Jahrhunderten vom Geschäft mit Tulpenzwiebeln, mit Blumen- und Gemüsesamen leben. Doch Hannahs Begeisterung für den ungewöhnlichen Ort währt nicht lange: Helmut, dessen Kind sie erwartet, ist mit Seraphine, dem schönsten Mädchen im Dorf, verlobt … Entdecken Sie auch das Hörbuch zu diesem Titel!

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Petra Durst-Benning

Das Buch

Württemberg, 1850: Die junge Hannah Brettschneider ist auf der Suche nach Helmut, dem Mann, der sie im elterlichen Gasthof in Nürnberg geschwängert hat. Als sie Gönningen, ein Dorf am Fuß der Schwäbischen Alb, erreicht, ist Hannah zunächst fasziniert vom bunten Treiben im Heimatort der Samenhändler, die dort mit Tulpenzwiebeln, Blumen- und Gemüsesamen handeln: In ganz Europa verkaufen sie ihre Sämereien, bis nach Russland und Amerika führen ihre Reisen. Hannahs Begeisterung für den ungewöhnlichen Ort findet aber ein jähes Ende, denn Helmut ist mit Seraphine, dem schönsten Mädchen im Dorf, verlobt. Als sich der reiche Händlersohn schließlich doch für Hannah entscheidet, ist Seraphine jedes Mittel recht, um die Widersacherin auszuschalten und Helmut zurückzugewinnen.

»Petra Durst-Benning fasziniert einmal mehr.«

Offenburger Tageblatt

»Mit großer Sensibilität erzählt sie von Sehnsucht und Abschied und von der Liebe, die gepflegt werden muss wie ein Saatkorn.«

Literatur-Report

Die Autorin

Petra Durst-Benning ist Autorin, Übersetzerin und Dolmetscherin. Sie lebt in der Nähe von Stuttgart. Mit ihren historischen Romanen Die Zuckerbäckerin, Die Glasbläserin und Die Amerikanerin ist sie in die erste Reihe deutscher Bestsellerautorinnen aufgestiegen.

Von Petra Durst-Benning sind in unserem Hause bereits erschienen:

Die Glasbläserin

Die Amerikanerin

Das gläserne Paradies

Antonias Wille

Die Liebe des Kartographen

Die Salzbaronin

Die Silberdistel

Die Zuckerbäckerin

Das Blumenorakel

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-taschenbuch.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen,

wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung,

Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch

1. Auflage Mai 2006

8. Auflage 2011

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2005/Ullstein Verlag

Umschlaggestaltung: HildenDesign, München

(nach einer Vorlage von Büro Jorge Schmidt, München)

Titelabbildung: »Auf der Terrasse« von Auguste Renoir,

© Hans Hinz/Artothek

Foto Umschlagrückseite: © Michael Heyde

Satz: LVD GmbH, Berlin

eBook-Konvertierung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

eBook ISBN 978-3-8437-0412-0

»Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das sich besamte, ein jegliches nach seiner Art, und Bäume, die da Frucht trugen und ihren eigenen Samen bei sich selbst hatten, ein jeglicher nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.«

1. Mose 1,12

1

Der Mann spürte, wie sich der Schweiß, der ihm in Rinnsalen den Leib hinablief, im Bund seiner Hose sammelte. Das Durchatmen fiel ihm schwer. Er griff an seinen Gürtel, um ihn ein Loch weiter zu schnallen. Als er den Krug an die Lippen setzte, lief ihm etwas Bier das Kinn hinab und befleckte seinen Hemdkragen. Statt es abzuputzen, grinste er vor sich hin. Wenn er von diesem Tisch aufstand, konnte er sich nicht nur ein neues Hemd nähen lassen, sondern gleich zwei oder drei oder vier!

So ein gutes Blatt hatte er noch nie in seinem Leben gehabt. So viel Glück … Und das heute! Ausgerechnet heute …

Mit Wucht knallte er seine Karten auf den Tisch.

Das war’s!

»Ja, verdamm mich doch!«

»Verrecke! Du –«

»Das … ist das wirklich …?«

Ungläubige Gesichter starrten ihn an.

»Meine Herren« – er bemühte sich um einen beiläufigen Ton, während sein Puls hart gegen seine Schläfen pochte –, »heute scheint das Glück auf meiner Seite zu sein.« Mit zittriger Hand raffte er sämtliche Geldscheine und Münzen, die auf dem Tisch verteilt waren, zusammen und stopfte alles in seinen Geldsack. Schnell weg damit! Es war besser, diesen Kerlen den Abschied von ihrem Geld so schmerzlos wie möglich zu machen.

Der Wirt war der Erste, der seine Sprache wiederfand. »Warum die Eile? Kann so ein reicher Mann wie du nicht wenigstens noch eine Runde ausgeben?«

Seine Frage wurde vom beifälligen Murmeln der anderen begleitet, aus welchem Friedhelm Schwarz aber auch die Worte »Betrug« und »nicht mit rechten Dingen« herauszuhören glaubte.

Das Wirtshaus war alt und heruntergekommen, die Wände waren geschwärzt vom Rauch. Der Geruch von Arme-Leute-Essen mischte sich mit dem der Verzweiflung, Aggression und Abgestumpftheit. In einer Ecke tropfte etwas Nasses, Muffiges von der Decke.

Angewidert schaute Friedhelm Schwarz sich um. In was für eine Spelunke war er hier geraten? Hatte er sich nicht geschworen, solchen Stätten ein für allemal den Rücken zu kehren? Andererseits: Hätte er dieses Wirtshaus nicht betreten, würde sein Geldsack jetzt nicht prall und schwer bis fast zu seinem Knie hinabhängen … Ha, da wird Else Augen machen!

Sich ein Lachen verkneifend, warf er seinen feuchten Umhang über die Schultern.

»Am besten mache ich mich gleich auf den Weg.« Während er die Bändel am Hals zuschnürte, blickte er durch die winzigen Fenster nach draußen. Es war noch hell – wenn man den Begriff überhaupt auf dieses gottverlassene Tal in den Schweizer Bergen anwenden wollte. Richtig hell wurde es hier eigentlich nie. Die umliegenden Berge fraßen jeden Sonnenstrahl auf, bevor er die Wiesen und Felder erreichen konnte. Landwirtschaft zu betreiben war in diesem Schattendasein ein hartes Brot. Das bisschen, was die Erde erbrachte, war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.

Aber es war nicht sein hartes Brot, sagte sich Friedhelm. Nicht heute!

Seit Wochen war er in dieser dunklen Ecke der Schweiz nun schon unterwegs und versuchte, mit den Bauern ins Geschäft zu kommen. Gerade einmal die Hälfte seines Gemüsesamens war er losgeworden – und so manches Päckchen hatte er auf Kredit dalassen müssen, auf das Versprechen hin, dass der Käufer im nächsten Jahr, nach der nächsten Ernte wieder genug Geld haben würde, um seine Schulden zu bezahlen. Blumensamen hatte Friedhelm in keinem einzigen Haus verkaufen können, was er den Leuten nicht einmal übel nehmen konnte. Veilchen und Anemonen machten nicht satt. Und mit knurrendem Bauch ging der Blick für die Schönheit eines Blumenbeetes schnell verloren.

Ach, er hatte die Nase so voll von diesen hoch gelegenen Tälern mit den verschlossenen, verbitterten, armen Menschen! Warum erging es ihm nicht wie den anderen Samenhändlern, die ihre Geschäfte in besseren Gegenden tätigen konnten, fragte er sich nicht zum ersten Mal. Warum zählten zu seinen Kunden keine wohlhabenden Bauern, keine Gärtnereien, keine reichen Gartenliebhaber? Warum hatte sein Vater ihm lediglich diesen ärmlichen Samenstrich in der Schweiz vermacht?

Ein Griff an seinen Geldsack half ihm, einen Deckel auf diese Fragen zu legen, bevor Neid und Wut und Hass ungebändigt in ihm aufsteigen konnten. Die anderen sollten sich zum Teufel scheren! Heute war er der König. Heute hatte er sein Geschäft gemacht, jawohl!

Er wollte nach Hause.

Nach Gönningen.

In sein Heimatdorf, am Fuße der Schwäbischen Alb gelegen, hunderte Meilen von diesem elenden Flecken hier entfernt.

Nun hatte er es eilig, schulterte seinen Zwerchsack, in dem neben den Blumensamen auch noch Blumenzwiebeln lagen. Blumenzwiebeln! Warum hatte er die überhaupt hierher mitgeschleppt? Er hob seinen Hut zum Abschiedsgruß.

»Wo willst du denn heute noch hin zu Fuß? Ganz runter ins Tal kommst du bestimmt nimmer.« Einer der Kartenspieler schaute ihn missgelaunt an.

Friedhelm ging die Strecke, die vor ihm lag, im Geiste durch. Der Mann hatte Recht, ins nächste Tal waren es gut und gern zwanzig Meilen, dazwischen lagen zwei oder drei Weiler, mehr nicht. Aber was blieb ihm anderes übrig, als sich so schnell wie möglich auf die Socken zu machen? Eine Nacht in dieser Spelunke war das Letzte, wonach ihm der Sinn stand. Garantiert würde er sich am nächsten Morgen mit eingeschlagenem Schädel wiederfinden oder betäubt und ausgeraubt oder –

»Ich hab’s eilig, will an Weihnachten zu Hause sein.«

»Vorhin hattest du es aber ganz und gar nicht eilig«, murmelte einer der Männer feindselig.

»Genau. Da hattest du genügend Zeit, uns bis aufs letzte Hemd auszuziehen«, schnauzte ein anderer.

»Ruhe!«, fuhr der Wirt dazwischen. »Wer spielen kann, muss auch verlieren können, ist’s nicht so?« Er nickte Friedhelm zu, der das Nicken erwiderte. Wie gut kannte er dieses dumpfe Grollen in der Bauchgegend, wenn sich erst einmal das Bewusstsein, sich um Kopf und Kragen gespielt zu haben, gesetzt hatte! Wenn die Euphorie des Spiels, die Konzentration nachließ und der Fassungslosigkeit über die eigene Dummheit wich. »Das Glück ist eine Hure, legt sich jedes Mal zu einem anderen« – solche gut gemeinten Sprüche trösteten da nicht, deshalb verkniff sich Friedhelm jetzt auch jede Bemerkung in dieser Richtung.

Der Wirt begleitete ihn zur Tür. Er warf einen kurzen Blick zurück in den Gastraum, dann winkte er Friedhelm näher zu sich heran. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein verschlagenes Grinsen ab.

»Ich wüsste, wie du heute ein gutes Stück weiterkommst: Du könntest mit dem Öschen-Bürli fahren. Der will heute noch hinunter ins Tal. Er schaut vorher bei mir vorbei, um etwas abzuholen. Wenn du willst, rede ich mit ihm. Er nimmt dich bestimmt mit.« In seinem Blick lag etwas Lauerndes.

Friedhelm zögerte. Der Öschen-Bürli war ein besonders versoffener Kerl und reizbar dazu, das wusste er von früheren Kartenabenden. Friedhelm war froh gewesen, den Mann heute nicht am Tisch gehabt zu haben. Bei dem Gedanken an dessen alten Klepper und den Wagen, an dem die Hälfte der Radspeichen gebrochen waren, verspürte Friedhelm nicht gerade große Lust, sich ihm anzuschließen. Andererseits: Besser schlecht gefahren als gut gelaufen!

»Na gut, dann warte ich auf den Bürli!«

Er wollte wieder in die Wirtschaft zurückgehen, als der Wirt ihn grob am Ärmel packte.

»Lass das bleiben«, murmelte er. »Du kennst die Burschen. Da gönnt keiner dem anderen die Butter auf dem Brot, geschweige denn solch einen Haufen Geld, wie du ihn heute kassiert hast. Die bekommen dich besser nicht mehr zu sehen.«

Friedhelm warf einen Blick über die Schulter des Mannes hinweg in den Schankraum. Die Spieler hatten ihre Köpfe zusammengesteckt. Er verspürte keine besondere Lust, nochmals zu ihnen zu stoßen, aber genauso wenig Lust hatte er, den steilen Buckel zum Hof des Öschen-Bürli zu erklimmen. Doch was blieb ihm anderes übrig?

»Dann mach ich mich mal auf den Weg«, sagte er seufzend und wies mit dem Kinn nach oben in die Richtung, wo er den Hof des Mannes vermutete.

Der Wirt schüttelte den Kopf. »Brauchst dich nicht den Berg hoch zu quälen, ich habe eine bessere Idee!«

Eine gute Stunde Fußmarsch später hatte Friedhelm Schwarz den beschriebenen Treffpunkt erreicht. Prüfend schaute er sich ein letztes Mal um: Zu seiner Linken waren die drei Tannen, die der Wirt ihm genannt hatte. »Sie neigen sich einander zu, als tanzten sie einen Reigen.« Friedhelm lächelte in sich hinein – solch eine poetische Beschreibung hätte er dem Raubein gar nicht zugetraut! Zu seiner Rechten war eine Art Schilfwald – dahinter befände sich ein kleiner Weiher, hatte der Wirt gesagt. Friedhelm hatte den Weiher auf seinen früheren Reisen noch nie bewusst wahrgenommen. Wahrscheinlich ein verschlammtes Loch, in dem höchstens ein paar magere Fische mit trüben Augen dümpelten, dachte er grimmig.

Hinter dem Schilfwald gabelte sich der Weg. Ein schmaler, tief gefurchter Feldweg schlängelte sich nach rechts – wahrscheinlich die einzige Zufahrt zu einem einsam gelegenen Gehöft. Ein nicht wesentlich ebenerer Weg führte nach links. Ob der Öschen-Bürli aus einer dieser Richtungen kommen würde? Friedhelm ärgerte sich, dass er den Wirt nicht danach gefragt hatte. Und warum hatte er den Kutscher eigentlich nicht schon am Ortsende treffen können?

Es war inzwischen fast völlig dunkel geworden, nur die dünne Schneedecke spendete noch ein wenig Licht. Gänsehaut breitete sich über Friedhelms Rücken aus. Er kniff die Augen zusammen. Kein Wagen, kein Öschen-Bürli, weder auf dem rechten noch auf dem linken Feldweg. Sehr weit konnte er allerdings nicht sehen.

Er spielte schon mit dem Gedanken, zu Fuß weiterzugehen und den Öschen-Bürli samt seinem verkommenen Gefährt zu vergessen, als er im Gebüsch rechts von sich ein Knacken hörte. Erschrocken fuhr er herum. Nichts. Friedhelm blies seinen angehaltenen Atem aus, der wie eine düstere Wolke über ihm stehen blieb. Stell dich nicht an, sagte er sich. Doch unwillkürlich wanderte seine Hand zu der Tasche mit dem Geld.

Es war nicht das erste Mal, dass er allein und bei Nacht unterwegs war. Gleichzeitig wusste er, dass dies im Grunde mehr als leichtsinnig war. Es gab kaum einen Samenhändler, der allein loszog – die Gefahren waren einfach zu groß. Zu zweit oder gar zu mehreren war man gegen Überfälle besser gewappnet, vier Augen und vier Ohren sahen und hörten nun einmal mehr. Aber wer hätte ihn schon in diese verlassene Gegend begleitet? Die meisten Gönninger Samenhändler zogen durch wohlhabendere Landschaften, hatten begütertere Kunden, größere Umsätze.

Und dennoch: Diese Reise war ein voller Erfolg gewesen! Else würde stolz auf ihn sein, und Seraphine würde große Augen machen. Seine schöne Tochter Seraphine. Der wahre Schatz in seinem Leben. In Bregenz wollte er die edelsten Spitzen für sie kaufen und ein gutes Bündel Seidenstoff noch dazu! Wie ein feiner Herr würde er das Geld dafür auf den Ladentisch legen und keine Miene dabei verziehen.

Er hörte weder das Knacken zwischen den Schilfwedeln und auch nicht die herannahenden Schritte, noch signalisierte ihm sein Körper in anderer Art die Gefahr, in der er sich befand. Zu abgelenkt war er durch seine Gedanken, zu konzentriert auf seine Rückkehr nach Gönningen.

Wie ein König würde er heimkommen –

2

Gönningen, im Dezember 1849

»Allmächt, wo bin ich hier nur hingeraten …«

Hannah kniff die Augen zusammen und starrte krampfhaft die Straße entlang.

Das Ende von Nirgendwo …

Nach zehn Minuten Fußmarsch würde sie Gönningen erreichen, hatte der Bauer gesagt, der sie von Reutlingen bis zu dieser Kreuzung mitgenommen hatte. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie durch die Nebelschwaden, die von den umliegenden Berghängen herabsanken, die Umrisse einiger Häuser erkennen. Das Einzige, was Hannah deutlich sah, waren nackte Obstbäume. Der Geruch nach gegorenem Fallobst und faulendem Laub hing in der Luft und kitzelte sie in der Nase. Hunderte von Obstbäumen links und rechts neben ihr, hinter ihr, vor ihr – im Frühjahr, wenn die Bäume in Blüte standen, war dies bestimmt ein hübscher Anblick …

Hannah ließ ihren Koffer sinken und drückte eine Hand in ihren Rücken, der steif wie der einer hölzernen Puppe war. Gleichzeitig schaute sie sich um. Keine Hecke, nichts. Wenn sie nicht bald irgendwo Wasser lassen konnte, würde ihre Blase platzen – bestimmt! Sie spielte kurz mit dem Gedanken, sich einfach auf die Straße zu hocken und … Doch im nächsten Moment verwarf sie die Idee, da eine Kutsche um die Ecke bog. Der Fahrer nickte ihr kurz zu, ohne anzuhalten oder ihr anzubieten, sie ein Stück mitzunehmen.

Dann eben nicht! Hannah bückte sich, um den Koffer wieder aufzunehmen. In der kurzen Zeit hatte der Schneematsch, der zusammen mit Pferdeäpfeln die Straße bedeckte, den Boden und die Seitenwände aus Pappe durchdrungen. Auch Hannahs Rock war bis zu den Knöcheln nass. Wütend trat sie in einen besonders widerlichen Schnee-Misthaufen, woraufhin sich der Druck auf ihre Blase noch verstärkte. Mit verkrampften Schritten marschierte sie los. Bald, bald würde sicher ein Schuppen auftauchen, hinter dem sie sich verstecken konnte. Dann würde sie ihren Rock heben, ihre Unterhose aufschnüren und … Nur nicht weiter daran denken.

Die feuchte Kälte war so durchdringend, dass Hannah das Gefühl hatte, völlig nackt zu sein. Dabei trug sie fast alles an Kleidern, was sie bei sich hatte, am Leib. Sie zog ihren Umhang enger um Kopf und Schultern. Der klamme Stoff juckte an ihren Wangen, doch mit aller Macht widerstand Hannah dem Impuls, sich zu kratzen. Wenn sie damit anfing, würde sie nicht mehr aufhören können. Sieben Tage und sieben Nächte in denselben Kleidern, und zwischendurch gerade einmal eine Katzenwäsche … Hannah schauderte.

Ein heißes Bad – dafür würde sie alles geben! Seit sie am Mittag neben dem stinkenden Bauern auf den Kutschbock geklettert war, konnte sie an nichts anderes mehr denken als daran, sich in eine Wanne mit warmem Wasser sinken zu lassen. Daran, wie ihre schmerzenden Knochen schwerelos wurden, wie sich jede Pore ihrer Haut öffnete. Die Haare würde sie sich waschen, zwei Mal sogar, und wenn dabei ein halbes Stück Seife draufging! Ein wohliger Seufzer erstickte im feuchten Stoff ihres Umhangs. Den schwarzen Rand an der Wanne, den ihr Bad mit Sicherheit hinterlassen würde, blendete sie aus ihren Schwelgereien aus. Noch nie in ihrem Leben war sie so schmutzig gewesen.

Den ganzen Tag über war es nicht richtig hell geworden, und nun fraß der Nebel auch noch den letzten Rest Tageslicht auf. Hannah hätte nicht sagen können, ob es drei oder vier oder schon fünf Uhr nachmittags war. Sie schleppte sich weiter.

Eine Kirche konnte das Dorf wenigstens vorweisen, ging es ihr durch den Kopf, als wenige Minuten später immer klarer die Umrisse eines Kirchturms zu sehen waren. Dann musste es irgendwo auch Fremdenzimmer geben, mit oder ohne Badegelegenheit. Zur Not würde eine Schüssel mit heißem Wasser genügen.

Wie auch immer – wenn sie eine Bleibe für die Nacht finden wollte, musste sie sich sputen!

Hannah war derart darauf konzentriert, ihre Blase zu kontrollieren und gleichzeitig schneller zu laufen, dass sie das Fuhrwerk, das sich von hinten näherte, erst im letzten Moment hörte. Ohne die Geschwindigkeit zu verringern, brauste es vorbei, sie konnte gerade noch einen Sprung zur Seite machen. Schneematsch platschte gegen ihren Rock.

»Rüpel!«, schrie sie dem Kutscher nach. Hätte der Kerl nicht anhalten und sie fragen können, ob sie mitfahren wolle? Sie hätte immer noch Nein sagen können.

»Pass auf dich auf, Mädle!«, hatte der Bauer, der aus einem der Nachbarorte kam, ihr zum Abschied gesagt. »Die Gönninger sind Lumpen. Die können in einer Nacht ihre ganze Habe versaufen, die elenden Hungerleider!«

Hannah runzelte die Stirn und sprang kurz darauf über eine besonders tiefe Pfütze.

»Dummer Kerl …«, murmelte sie vor sich hin.

Natürlich hatte er wissen wollen, was sie hierher, an den Rand der Schwäbischen Alb geführt hatte.

»Familienangelegenheiten«, antwortete sie knapp, woraufhin er sie mit einem schrägen Blick bedachte.

»Familienangelegenheiten«, hatte sie auch dem Nürnberger Beamten als Grund dafür genannt, dass sie einen Reisepass benötigte. Keine drei Wochen war das her, doch Hannah kam es wie eine Ewigkeit vor.

Seit einer Woche war sie nun unterwegs. Nie hätte sie gedacht, dass sich die Reise so lange hinziehen würde! Mutter glaubte bestimmt, sie wäre schon längst an ihrem Ziel angelangt. Wahrscheinlich rannte sie jeden Morgen den Postboten halb über den Haufen, weil sie auf eine Karte oder einen Brief von ihrer Tochter hoffte.

Sieben Tage, in denen Hannah immer wieder um eine Mitfahrgelegenheit hatte bangen müssen. Von Nürnberg aus fuhren zwar viele Züge – nach Augsburg, nach München, nach Leipzig, ja sogar bis nach Hamburg oder Danzig hätte sie reisen können, aber kein Einziger fuhr nach Stuttgart. Gönningen, das ungefähr fünfzig Meilen südlich von Stuttgart lag, hatte der Schalterbeamte erst gar nicht auf seiner Karte gefunden. Aber ausgerechnet in diesen südlichen Zipfel Württembergs, der von der Welt wie abgeschnitten war, musste sie reisen! Postkutschen, Fuhrleute, Bauern – unzählige Male hatte sie das Gefährt gewechselt. Hatte sich die engen Holzbänke mit fremden Menschen teilen müssen, deren Sprache – je weiter nach Süden die Reise ging – immer seltsamer wurde, so dass Hannah meist nur die Hälfte von dem, was gesprochen wurde, mitbekam! Anfangs hatte sie noch darauf geachtet, bei der Fahrt ein Dach über dem Kopf zu haben, doch ab Stuttgart hatte sie sich das nicht mehr leisten können. Von da an war sie froh gewesen, überhaupt mitgenommen zu werden.

Und nun war sie angekommen. In Nirgendwo. Am Fuße der Schwäbischen Alb.

Zehn Minuten später hatte Hannah ihren Drang, Wasser lassen zu müssen, fast vergessen. Stattdessen kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Seit sie die ersten Häuser von Gönningen passiert hatte, war sie bei drei Schuhmachern, vier Metzgerläden, einem Friseur und mindestens fünf Kaufmannsläden vorbeigekommen. Auch ein Gasthof namens »Schwanen« war dabei gewesen, doch innen war nirgendwo Licht zu sehen, so dass Hannah annahm, er wäre geschlossen. Aber bei so vielen Läden würde es doch bestimmt auch ein zweites Gasthaus geben! Was für ein ungewöhnliches Dorf … Die meisten Geschäfte waren in stattlichen Häusern untergebracht, von denen einige aus einem cremefarbenen, fremdartigen Stein erbaut waren. Vor oder neben vielen Häusern befanden sich kleine Gärten, deren Eingangstore schmiedeeisern und so reichhaltig verziert waren, als würden sie zu städtischen Villen gehören. Die Gassen waren durch den Schein vieler Laternen gut beleuchtet und ausgesprochen sauber. Obwohl sich immer wieder Fuhrwerke und Kutschen aneinander vorbeidrängten, lagen nirgendwo Pferdeäpfel herum. Ob die wohl jemand wegkehrte? Auch herrschte ein solch reges Treiben, dass Gönningen den Vergleich mit dem Nürnberger Viertel, in dem Hannahs Eltern ihren Gasthof hatten, nicht scheuen musste. Frauen gingen eilig in Richtung der Kirche – gut gekleidete Frauen, wie sie mit einem Blick erkannte, woraufhin sie sich in ihren verschmutzten Sachen umso schäbiger vorkam. Männer, die einen Arm um die Schulter eines Kameraden gelegt hatten, waren vermutlich auf dem Weg ins nächste Wirtshaus. »Die Gönninger können in einer Nacht ihre ganze Habe versaufen« – unwillkürlich musste Hannah an die Worte des Bauern denken. Und dann sah sie trotz des schlechten Wetters überall Kinder: kleine Kinder, die miteinander spielten, größere, die miteinander stritten, und kichernde halbwüchsige Kinder. Als Hannah einen Blick in eine der Seitengassen wagte, sprang ihr eine Horde kleiner Wegelagerer vor die Füße, die kichernd und feixend Wegepfand von ihr forderten.

»Weg mit euch!« Mit Hilfe ihres Koffers versuchte sie, die Bande davonzujagen. Doch die Kinder lachten nur und tanzten weiter um sie herum – wie ungezogen! Hastig verließ Hannah die enge Gasse und kam sogleich auf einen Marktplatz. Mitten auf dem Kopfsteinpflaster blieb sie stehen.

»Allmächt …« Das »Lamm«, die »Krone«, der »Fuchsen«, die »Sonne« – an jeder Ecke gab es ein Gasthaus!

Die Frage, wo sie übernachten sollte, war nun zu einem wirklichen Problem geworden, wenn auch völlig anderer Art, als Hannah es erwartet hatte.

»Eins ist so gut wie das andere«, murmelte sie vor sich hin, wohl wissend, dass dem nicht so war. Warum suchten viele Reisende in Nürnberg immer wieder ausgerechnet den »Goldenen Anker« ihrer Eltern auf, obwohl er nicht einmal sonderlich zentral lag? Weil eben nicht jedes Wirtshaus so gut wie das andere war! Weil die Reisenden wussten, dass das Essen, die Bedienung und die Schlafmöglichkeiten im »Goldenen Anker« gleichermaßen solide und bezahlbar waren.

Hannah blinzelte. Daheim waren die ersten Gäste bestimmt schon eingetroffen, und Mutter hatte alle Hände voll zu tun, in der Küche und im Gastraum … Heimweh sprang Hannah an wie eine Zecke. Bevor es das letzte bisschen Kraft aus ihr saugen konnte, steuerte sie auf eines der kleineren Häuser zu, dessen Schild von einer hübschen Sonne verziert war.

»Sie haben Glück, ein Zimmer ist noch frei«, antwortete die Wirtin nach einem ausgiebigen Blick in ihr Gästebuch. »Für wie lange werden Sie die Kammer benötigen?«

»Das weiß ich noch nicht«, murmelte Hannah. Ihr Blick fiel durch die angrenzende Tür. Ob sie mit der »Sonne« die richtige Wahl getroffen hatte? Die Wirtsstube war voller Männer, die irgendetwas zu feiern hatten. Jedenfalls ging es dementsprechend laut zu. In dem kleinen Flur, in dem sich Hannah und die Wirtin befanden, standen reihenweise Säcke an der Wand, so dass ein Durchkommen nur mit eingezogenem Bauch und angewinkelten Armen möglich war. Warum nur war hier so viel Betrieb?

Die Frau folgte Hannahs Blick und sagte: »Heute sind die Ulmer Gärtner angekommen, die Säcke da, das ist alles deren Gelumpe! Die Ulmer kommen jedes Jahr um diese Zeit. Wollen sich sozusagen noch ein letztes Geld im alten Jahr verdienen.« Sie lachte.

»Die Ulmer Gärtner – aha!« Hannah nickte wissend, als wäre damit alles klar. Sie neigte sich über den Tresen und flüsterte der Wirtin ins Ohr: »Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wo der … Abort ist?«

»Der Abort? Oh, Sie meinen das Häuschen!« Die Frau lachte verständnisvoll. »Gehen Sie einfach durch diese Tür nach hinten hinaus, dann sehen Sie es schon. Ihr Gepäck können Sie gern hier lassen, meine Tochter bringt es derweil auf Ihr Zimmer.« Sie nickte in Richtung einer jungen Frau, die mit einem Stapel schmutziger Teller aus dem Gastraum kam. Sie zog ihr rechtes Bein ein wenig nach, wodurch ein seltsames Schlurfgeräusch entstand.

»Da wäre noch etwas …« Hannah holte tief Luft. Wenn sie jetzt nicht fragte, würde sie vor Anspannung platzen. »Wo kann ich Helmut Kerner finden? Den Samenhändler?«

»Den Helmut?« Die Wirtin runzelte die Stirn. »So viel ich weiß, ist der gestern von der Reise zurückgekommen. Sein Bruder auch. Bestimmt schauen die heute Abend hier noch vorbei. Da haben Sie Glück – normalerweise gehören die beiden zu denen, die erst an Ostern heimkehren, aber dieses Jahr …« Sie zwinkerte vertraulich. »Wo doch bald die Hochzeitsglocken klingen werden …«

»Die Hochzeitsgl …« Mehr brachte Hannah nicht heraus. Ihr war von einem Moment zum anderen so schwindlig, dass sie sich am Tresen festhalten musste.

Die Wirtin verzog das Gesicht. »Ja, ja, es hat viele überrascht, dass da endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Andererseits: Ein Wunder ist’s nicht, schließlich ist der Helmut auch schon fünfundzwanzig.«

Fluchtartig rannte Hannah durch die Tür.

3

Seraphine kniff die Augen zusammen. Schon drei Mal hatte sie versucht, den Faden durch das winzige Nadelöhr zu bekommen – vergeblich. Wütend warf sie einen Blick auf die Ölfunzel, deren Schein ihren Arbeitsplatz nur spärlich ausleuchtete. Nicht einmal genügend Licht gab es in dieser elenden Hütte! Ihre zittrigen Finger ignorierend, startete Seraphine einen weiteren Versuch. Endlich! Mit einem Seufzer begann sie, in dem riesigen Stoffberg vor sich zu wühlen.

»Du fängst doch nicht etwa schon wieder mit deiner Näherei an?«, kam es vom Herd. »In ein paar Minuten ist die Suppe warm, dann wird gegessen. Und wenn du schon nähen musst, dann bedien dich bitte da drüben. Du hast doch gehört, was die Müllerin gesagt hat. Sie will die Sachen übermorgen wiederhaben.«

Seraphine warf erst ihrer Mutter, dann dem Stapel Flickwäsche, der heute Mittag bei ihnen abgegeben worden war, einen Blick zu.

»Die Müllerin soll sich nicht so anstellen. Ich habe mir vorgenommen, heute Abend den Rocksaum mit Spitze zu besetzen.«

Sie breitete den Stoffberg auf dem Tisch vor sich aus und wollte gerade mit ihrer Arbeit beginnen, als der penetrante Kohlgeruch, der vom Herd aufstieg, sie in der Nase kitzelte. Sie verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse und deckte hastig die Näharbeit mit einem alten Tuch ab. Am Ende würde ihr Kleid noch nach Kohl stinken! Doch schon im nächsten Moment glättete sich Seraphines Miene wieder, wie immer, wenn sie das Kleid in die Hände nahm.

Ihr Hochzeitskleid.

Wie viele Stunden Arbeit darin steckten! Das ganze Oberteil war mit kleinen, silbrig glänzenden Perlen bestickt, die der Vater ihr von seiner letzten Reise mitgebracht hatte. Die Ärmel waren mit vier Schichten feinster Spitze verziert, zwei verschieden breite Spitzen zierten auch den Ausschnitt. Den Rock hatte Seraphine in Dutzende von Falten gelegt, allerfeinste Falten, eine haargenau so breit wie die andere und jede exakt mit dem Bügeleisen geplättet. Allein an dem Rock hatte sie den ganzen Sommer und Herbst über gearbeitet.

Ein warmer Schauer durchfuhr Seraphine. Wie eine Königin würde sie darin aussehen. Oder wie eine Prinzessin. Die Mondprinzessin. Verstohlen holte sie ihren Zopf über die Schulter nach vorn und hielt ihn gegen den Stoff. Der seidige schwarze Taft ließ ihr Haar noch heller wirken. Wie gesponnenes Silber … Sie würde sich keine roten Apfelbäckchen malen, so wie die Tochter des Apothekers es bei ihrer Hochzeit getan hatte. Sie würde ihre Blässe tragen wie die vornehmen Damen. Apfelbäckchen – das war etwas für Bauerntrampel. Und sie war kein Bauerntrampel.

Sie war Seraphine. Das schönste Mädchen im Dorf, so sagte jeder. Doch Seraphine hätte auch ohne die bewundernden Blicke der Männer, ohne die neidvollen Blicke der Weiber gewusst, dass ihre Schönheit ungewöhnlich war. Schließlich hatte sie Augen im Kopf. Keine besaß so glattes, seidiges silberblondes Haar wie sie. Keine hatte Augen in der Farbe von polierten Granitsteinen. Andere Frauen waren schmallippig oder hatten wulstige Lippen, die ordinär wirkten – Seraphines Mund aber strahlte eine Sinnlichkeit aus, die die Männer seufzen ließ. Und ihre Statur erinnerte an die eines edlen Pferdes – langbeinig, feingliedrig, mit perfekten Proportionen.

Seraphine wusste, dass manche im Dorf sie hinter vorgehaltener Hand als eitles Ding bezeichneten. Aber Eitelkeit war verwerflich, das predigte der Herr Pfarrer. Seraphine wusste nur, dass ihre Schönheit etwas Besonderes war – und zudem das Einzige, was sie auf dieser Welt besaß. Darauf sollte sie sich etwas einbilden?

Versonnen fuhr Seraphine mit dem Zeigefinger der rechten Hand die Konturen ihrer Lippen nach. Sofort begann die weiche Haut zu prickeln. Bald, bald würde sie wie eine schlafende Prinzessin wachgeküsst werden. Von ihrem Prinzen. Von Helmut. Dessen Familie zu den reichsten in Gönningen gehörte. Den sie liebte, seit sie denken konnte.

Seraphine ließ Nadel und Faden sinken. Ein tiefer Seufzer erfüllte den Raum. Wenn es nur schon so weit wäre …

Jahre hatte sie gewartet, manchmal mehr, manchmal weniger geduldig, aber stets wissend, dass irgendwann einmal der Tag kommen würde. Der Tag, an dem der Irrtum rückgängig gemacht werden würde, durch den sie bei ihrer Geburt in dieser elenden Hütte gelandet war. Für Seraphine stand fest, dass es sich um eine Art »Verwechslung« handelte. Sogar ihr Vater hatte einmal eine entsprechende Bemerkung gemacht.

»Man sagt, wenn die Feen den Menschen einen Wechselbalg in die Wiege legen, sind das ganz hässliche Geschöpfe. Bei uns hat die Fee bestimmt einen Fehler gemacht. Sie haben das hässliche Entlein mitgenommen und dich hineingelegt!« Und dann hatte er gelacht, so laut gelacht, als habe er dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen!

So hatte Seraphine von Kindesbeinen an geglaubt, eine Fee habe sie gebracht. Doch im Laufe der Zeit war sie zu einer weiteren Überzeugung gekommen: Die Fee musste einen schicksalhaften Fehler begangen haben! Vielleicht war die Sternenfee durch einen besonders grell funkelnden Stern geblendet worden, als sie die Säuglinge verteilte. Deshalb hatte sie nicht erkennen können, in welch armseliges Gemäuer sie ihre ganz besondere Tochter gelegt hatte. So musste es gewesen sein, davon war Seraphine überzeugt. Ihr Aussehen, der ungewöhnliche Name, den ihr Vater von einer Reise mitgebracht hatte – zum Ärger der Patentante Gertrud, die ihren Namen hatte vererben wollen –, die glockenklare Stimme, mit der Seraphine ihre Lieder sang … Bedurfte es weiterer Hinweise, dass sie für etwas anderes, etwas Besseres bestimmt war? Diese Sicherheit hatte sie bisher alles ertragen lassen.

Doch nun, wo der Tag keine drei Wochen mehr entfernt lag, war ihre Geduld erschöpft. Sie konnte es nicht mehr erwarten, endlich in Helmuts Armen zu liegen. Ihr Prinz, ihr Retter. Der sie herausholen würde aus der Armut, der sie auf Händen tragen würde. Helmut und sie, vereint als Mann und Frau.

Leidenschaft wallte in ihr auf. Warm und unberührt. Seraphine spielte kurz mit dem Gedanken, auf einen Sprung hinüber zum Haus der Kerners zu gehen, doch dann fiel ihr ein, dass Helmut erwähnt hatte, heute Abend finde das Treffen der Gönninger Samenhändler mit den Ulmer Gärtnern statt. Bestimmt waren er und Valentin und der alte Herr bereits in der »Sonne«.

Es war schon seltsam. Das ganze Jahr über machten die Gönninger aus ihren Einkaufsquellen ein großes Geheimnis. Jeder wollte die zuverlässigsten Samenzüchter und Gärtner für sich behalten. Doch wenn die Ulmer kamen, saßen alle einträchtig an einem Tisch. Sie musste Helmut einmal fragen, warum das so war.

Im nächsten Moment fiel Seraphines Blick wieder auf das Kleid. Vergessen waren die Ulmer Gärtner und das seltsame Geschäftsgebaren der Gönninger Händler. Sie hatte heute gar keine Zeit, Helmut zu sehen!

Resolut nahm sie die Spitze in die Hand und erschrak, als sich das dünne Bündel auseinander faltete. Nur noch so wenig? Das würde nie und nimmer für drei Bahnen rund um den Rocksaum reichen!

»Hoffentlich denkt Vater an die Spitze, die er mir mitbringen soll«, sagte sie.

»Dazu muss er erst einmal heimkommen«, brummte Else Schwarz. »Fast alle Männer sind schon zurück, nur Friedhelm lässt auf sich warten. Wieder einmal! Ich möchte nicht wissen, was ihn heuer aufgehalten hat.« Mit verkniffenen Augen starrte sie aus dem Fenster, als erwarte sie, ihren Mann im nächsten Moment zu sehen.

Ein ungutes Gefühl machte sich in Seraphines Bauchgegend breit. Sosehr sie sich die Rückkehr ihres Vaters wünschte, sosehr fürchtete sie zugleich den Moment.

»Glaubst du, er …« Sie brach ab. Vater wusste doch, dass ihre Hochzeit bevorstand! Er wusste es doch!

»Ich weiß es nicht, Kind«, antwortete ihre Mutter tonlos.

Seraphine biss sich auf die Lippen.

Was, wenn Vater sein Versprechen gebrochen hatte? Wieder einmal. »Tot umfallen will ich, wenn ich mich noch einmal von irgendwelchen Lumpen überreden lasse!« Noch heute tönten ihr seine Worte in den Ohren. Kein Würfelspiel mehr, keine Karten, und wetten wolle er auch nie wieder. Das sei vorbei, ein für allemal, hatte er Mutter bei seiner Abreise geschworen.

Und wenn er doch wieder mit leeren Taschen heimkam? So wie nach dem Jakobihandel im Spätsommer?

Seraphine schauerte. Es war so peinlich gewesen, so schrecklich peinlich, zu Helmut zu gehen und ihm von der misslichen Lage zu erzählen, in der ihr Vater steckte. Dass nämlich von dem Geld, das er durch den Verkauf der gedörrten Apfel- und Birnenschnitze eingenommen hatte, gerade noch so viel übrig war, um Kartoffeln, Kraut und Rüben für den Winter einzulagern. Für neue Ware war kein einziger Heller übrig geblieben. Helmut hatte nicht viel Aufhebens gemacht und gemeint, Friedhelm Schwarz sei nicht der Einzige, der Samen bei der Familie Kerner auf Pump kaufen würde. Noch am selben Abend hatte er mit seinem Vater gesprochen, und Gottlieb Kerner war am nächsten Tag vorbeigekommen und hatte eine Auswahl Gemüse- und Blumensamen mitgebracht. Seraphine wäre am liebsten im Erdboden versunken, als ihr Vater den Schuldschein für die Ware unterschrieb. Ihm schien das Ganze wenig auszumachen. So etwas könne jedem einmal passieren, hatte er schräg grinsend gesagt. Eine Dummheit, gewiss: die Freude über die guten Geschäfte, das angenehme Gefühl, wenn die Münzen im Sack klimperten, ein paar Bierchen über den Durst und dazu die ausgelassene Stimmung in manchen Wirtshäusern, Gottlieb wisse ja, wie so etwas sei …

Seraphine hatte genau gesehen, wie ihr zukünftiger Schwiegervater die Nase rümpfte. Sie wusste, was ihm durch den Kopf gegangen war.

Die zahlreichen Streuobstwiesen rund um Gönningen brachten den Dorfbewohnern alljährlich eine reiche Obsternte, und auch die Familie Schwarz besaß einige Wiesen. Aus den Äpfeln und Birnen, die im Schutz der Schwäbischen Alb im Überfluss wuchsen, wurde Dörrobst hergestellt, das man während des Jakobihandels Ende Juli an den Mann brachte – eine gute Einnahmequelle vor allem für jene Gönninger, die nicht viel Geld für Blumen- und Gemüsesamen investieren konnten. Für Leute wie Friedhelm Schwarz. Doch statt sich dieser Tatsache bewusst zu sein, hatte ihr Vater seine Einkünfte leichtfertig verspielt und war schließlich wie ein Bettler dahergekommen.

O Sternenfee, wie konntest du nur … Seraphine presste die Hand vor den Mund, um einen Schrei zu ersticken.

Ein weiterer schrecklicher Gedanke überfiel sie: Es mochte ja sein, dass die Kerners an viele im Dorf Ware auf Pump verkauften, aber was, wenn Friedhelm Schwarz der Einzige war, der nicht zurückzahlte?

Das würde sie ihm nie verzeihen! Niemals, nicht in diesem und nicht im nächsten Leben.

Als Seraphine sah, mit welch versteinertem Gesicht ihre Mutter aus dem Fenster guckte, wallte dieselbe ohnmächtige Verzweiflung in ihr auf, die sie schon so oft verspürt hatte.

Warum konnte Mutter nicht mehr Zuversicht zeigen? Und warum begleitete sie den Vater nicht auf seinen Reisen, so, wie das andere Frauen auch taten? So, wie sie es früher getan hatte? Das linke Bein wollte nicht mehr. Aber sie hatte doch zwei Beine! Seraphine war sich nicht sicher, ob die Mutter ihr Leiden nur vortäuschte. Ob sie sich nicht hinter der Flickwäsche versteckte, die sie für die Frauen im Dorf erledigte. Für Frauen, die dafür keine Zeit hatten, weil sie auf der Reise waren. Dass sie selbst anstelle ihrer Mutter den Vater hätte begleiten können – auf diesen Gedanken kam Seraphine nicht.

Als könne sie Gedanken lesen, wandte Else Schwarz den Blick vom Fenster ab und richtete ihn auf ihre Tochter.

»Selbst wenn ich mitgegangen wäre, hätte ich für nichts garantieren können. Du hast noch nicht erlebt, wie es ist, wenn dein Vater seinen glasigen Blick bekommt. Er muss nur in die Nähe von Würfeln oder Karten gelangen, und kein vernünftiges Wort ist mehr mit ihm zu reden. Was hab ich früher gebettelt, er solle vom Tisch aufstehen, bevor es zu spät ist! Wie Luft hat er mich da behandelt, und die anderen Männer haben gelacht und ihn gefragt, wer bei uns die Hosen anhat. Daraufhin hat dein lieber Vater noch mehr Münzen auf den Tisch geworfen, als ob er diesen Männern etwas beweisen musste. So ist es gewesen!«

Seraphine schluckte. »Aber jetzt, wo wir die Schulden haben, da wird er doch nicht …«

Else Schwarz lachte verächtlich. »Vielleicht – vielleicht auch nicht. Was deinen Vater angeht, habe ich keine Illusionen mehr. Aber gräm dich nicht! Es wird schon alles gut werden. Und im schlimmsten Fall haben wir immer noch das Geld, das ich von meinen Näharbeiten zur Seite gelegt habe.«

Ihre Mutter – eine Lumpenstopferin. O Sternenfee, wie konntest du nur …

Seraphine faltete ihr Kleid zusammen, um Platz für die zwei Teller zu machen, die ihre Mutter zum Tisch trug. Sie würde nach dem Essen daran weiterarbeiten. An ihrem Hochzeitskleid. An ihrem Schlüssel zum Glück.

4

Hannah rutschte so tief in die Wanne, bis ihr Kinn mit der Wasseroberfläche abschloss. Als die Knie, die nun in die Luft ragten, kalt wurden, änderte sie ihre Position wieder. Doch ganz gleich, wie sie sich bettete und welcher Teil ihres Körpers unter Wasser war, sie fröstelte. Und das lag nicht nur daran, dass es in ihrer Kammer unangenehm kalt war.

»Eigentlich ist Samstag bei uns Badetag«, hatte Emma Steiner stirnrunzelnd gesagt, als Hannah ihren Wunsch vortrug. Doch schon im nächsten Moment tätschelte sie Hannah die Hand. »Aber ich weiß, wie das ist auf der Reise – wie oft wäre ich froh gewesen, wenn ich ein Bad hätte nehmen können.« Sie fügte hinzu, einem Bad stünde nichts im Wege, wenn sich Hannah das Wasser in der Küche selbst auf dem Ofen erwärmen und aufs Zimmer tragen würde. Sie, Frau Steiner, könne lediglich helfen, die Wanne in Hannahs Zimmer zu schleppen, mehr Zeit habe sie heute nicht.

Spontan hatte Hannah die Frau umarmt. So viel Freundlichkeit war ihr auf der ganzen Reise nicht widerfahren.

Zum wiederholten Male tauchte Hannah den Lappen ins Wasser und fuhr sich damit über Arme und Nacken. Krampfhaft wartete sie auf das ersehnte Wohlgefühl, doch es wollte sich nicht einstellen.

Nicht mehr lange, dann würde sie Helmut sehen. Helmut, der in drei Wochen heiraten wollte … Verflixt! Hannahs Hand schlug aufs Wasser, so dass es nach allen Seiten nur so spritzte. Nun hatte sie endgültig die Lust am Bad verloren. Sie kletterte aus der Wanne und begann sich abzutrocknen. Mitten in der Bewegung hielt sie inne.

Was sollte sie nur tun?

Helmut war einer anderen versprochen. Würde schon in drei Wochen heiraten! Die Bemerkung der Wirtin, so lässig dahergesagt, drückte und quälte Hannah wie ein Splitter, der durch eine ruckartige Bewegung tief in die Haut getrieben wurde. Was sollte jetzt aus ihr werden?

Sie hatte diese Reise ohne Illusionen unternommen. Zumindest fast ohne Illusionen, verbesserte sie sich im Stillen. Helmut war ein fescher Bursche, der ihr außerordentlich gut gefiel. Er war fröhlich, konnte gut erzählen, hielt aber nicht pausenlos große Reden, so wie andere Männer das taten. Und wie er sich um seinen Bruder gesorgt hatte! Ja, Helmut war einfach nett. Die Traurigkeit, die Hannah bei seiner Abreise verspürte, war neu für sie gewesen. An ihn hätte sie ihr Herz für immer verlieren können. Aber so war das nun einmal mit den Gästen im »Goldenen Anker«: Heute hier, morgen schon wieder fort. Damit hatte sie sich abgefunden.

Nur äußerst vage hatte Helmut angedeutet, dass seine Reise ihn im nächsten Jahr wieder nach Nürnberg führen könne. Kein Liebesschwur, kein Wort von ewiger Treue. Darauf hätte Hannah auch nichts gegeben, so gut kannte sie die Männer schon.

Dass sie Helmut derart schnell wiedersehen würde – wer hätte das geahnt?

Je weiter sie in Richtung Süden gekommen war, desto öfter hatte sie festgestellt, wie sehr sie sich auf ein Wiedersehen mit ihm freute. Gleichzeitig wusste sie natürlich genau, dass er kein Prinz war, der auf seinem Schimmel dahergeritten kam, um sie aus ihrer misslichen Lage zu retten.

Missliche Lage! Sie schnaubte höhnisch auf. Warum war sie nur so dumm gewesen? So unvorsichtig? So … schlecht? Warum hatte sie nicht auf ihre Mutter hören können?

»Musst du ständig irgendeinem Kerl schöne Augen machen? Die Leute reden schon über dich! Wehe, wenn das deinem Vater zu Ohren kommt! Das wird noch ein böses Ende nehmen, lass es dir gesagt sein. Irgendwann wird dich mal einer mit dickem Bauch hier sitzen lassen. Und was dann?«

Das hatte sich Hannah auch gefragt, vier Wochen nach Helmuts Besuch in Nürnberg. Als ihre monatliche Blutung ausblieb. Anfang November war das gewesen. Zuerst hatte sie gar nicht glauben wollen, was mit ihr los war.

Verflixt und zugenäht! Warum mussten ihre Eltern ausgerechnet einen Gasthof führen? Wären sie Besitzer einer Wäscherei gewesen oder einer Frisierstube … Glücklich konnten sich zum Beispiel Wäscherinnen schätzen! Die waren nicht täglich diesen Versuchungen ausgesetzt – durch blauäugige junge Burschen, die noch nicht ganz trocken hinter den Ohren waren und Hannah anstarrten, als wäre sie die Königin von Saba; durch Handelsreisende, deren Gelächter durch den ganzen Wirtsraum tönte. Wenn so einer ihr nachschaute, hatte er stets ein Funkeln in den Augen, so ein unanständiges Zwinkern … Hannah wurde es allein bei dem Gedanken an eine solche Situation warm. Und dann die Komplimente! Es hieß, sie habe Pfeffer im Hintern … Da konnte es einer Frau schon anders werden. Einer, er kam aus der Walachei und handelte mit Senfkörnern, hatte sogar zu ihr gesagt, sie wäre in der Lage, aus jedem schlaffen Nürnberger Würstchen einen Mann zu machen. Hannah grinste, doch schon im nächsten Moment wurde ihr Grinsen zu einer jämmerlichen Grimasse. Warum war sie nur solch eine dumme, einfältige Gans? Dabei hatte sie immer wieder gute Vorsätze gefasst: ein bisschen miteinander fröhlich sein, vielleicht ein Küsschen, und dann würde sie in ihre Kammer gehen und der Gast in seine. Etwas anderes gehörte sich nicht, dessen war sie sich wohl bewusst. Meistens war es ja auch so gekommen. Aber hin und wieder – da hatte sie ihre guten Vorsätze über Bord geworfen und sich dem Abenteuer des Moments hingegeben. Das schlechte Gewissen war jedes Mal erst am nächsten Morgen erwacht. Und abermals hatte sie sich dann geschworen: Nie wieder! Aber ach, warum mussten sich Männerhände so gut anfühlen?

Sanft fuhr sie mit den Fingerspitzen über ihren Bauch, dann über ihre Brust. Kein Prickeln, kein Erschauern, nur eine Gänsehaut war die Folge.

Das Handtuch fest um den Leib gewickelt, stakste Hannah auf Zehenspitzen über den eiskalten Fußboden. Vorsichtig holte sie aus ihrer Tasche die Bluse der ungarischen Tracht, die sie anziehen wollte. Zu Hause war sie mit dieser Wahl recht zufrieden gewesen: Die roten Bänder an der weißen Bluse standen in einem hübschen Kontrast zu Hannahs fast schwarzem Haar. Ihr breites Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen wirkte durch den hochgestellten Kragen schmaler und feiner. Doch nachdem sie die Gönninger Frauen in ihren gepflegten Kleidern gesehen hatte, zweifelte Hannah an ihrer Wahl. Was, wenn ihr Aussehen hier im Dorf als zu auffällig empfunden wurde? Oder gar als … hinterwäldlerisch?

Nun, daran ließ sich jetzt auch nichts mehr ändern. Resolut knöpfte Hannah die Bluse zu. Himmel, da vertrödelte sie ihre Zeit mit unnützen Gedanken! Womöglich saß Helmut schon unten in der Wirtsstube.

Während der ganzen Reise war sie damit beschäftigt gewesen, Mitfahrgelegenheiten und einigermaßen sichere Schlafunterkünfte zu finden und etliche Unwägbarkeiten zu meistern. So hatte sie kaum Zeit und Muße gehabt, darüber nachzudenken, was werden würde, wenn sie ihr Ziel erst einmal erreicht hatte. Wozu auch? Das Wichtigste war, Helmut zu finden, dann würde schon alles in Ordnung kommen. Edler Prinz hin oder her – was blieb ihm anderes übrig, als sie zu heiraten? Eine andere Lösung kam für Hannah nicht in Frage.

Sie wusste natürlich, dass es in Nürnberg gewisse Häuser gab, in denen irgendwelche Ärzte oder so genannte Engelmacherinnen Frauen aus ihrer misslichen Lage halfen. Doch sie selbst wäre nie auf den Gedanken gekommen, eines dieser Häuser aufzusuchen. Sie mochte verderbt sein, aber so verderbt gewiss nicht! Eine solche Sünde wollte sie nicht auch noch auf sich laden. Und so hatte sie sich mit dem Mut der Verzweiflung auf den Weg gemacht. »Bitte, lieber Gott, mach, dass ich Helmut finde, dann werde ich all meine Sünden wieder gutmachen. Ich werde ihm die beste, die allerbeste Ehefrau, die er sich wünschen kann!« Jede Nacht hatte sie so gebetet. Und Gott hatte sie erhört. Sie hatte Helmut gefunden.

Dass er längst einer anderen – Seraphine – versprochen war, dass sogar schon ein Hochzeitstermin feststand, damit hatte Hannah nicht im Geringsten gerechnet – sonst hätte sie ihre Gebete doch anders formuliert!

Seraphine. Welches Weib trug schon solch einen Namen?

Hannah ergriff den Rock und begann mit der flachen Hand so heftig darauf zu klopfen, als wolle sie nicht nur den Staub ausklopfen, sondern jeden Angst machenden Gedanken gleich mit dazu.

»Wenn du ihn nicht findest, weil der Bursche eine falsche Adresse angegeben hat, oder wenn er kein Ehrgefühl im Ranzen hat, oder wenn sonst irgendetwas schief geht, kommst du wieder nach Hause! Dann wird es auch so gehen. Es sind schon ganz andere Mädchen in Schande gefallen«, hatte ihre Mutter zum Abschied geflüstert. Immer wieder hatte sie dabei nach hinten in die Küche gelinst, damit der Vater auch nur ja nichts mitbekam. Tapfere Mama! Er glaubte, seine Tochter wolle ihre Kusine Elfriede im Badischen besuchen, und hatte erst nach langem Sträuben seine Zustimmung dazu gegeben. Ein junges Mädchen allein auf Reisen? Und dann so kurz vor Weihnachten? Ob da der Verwandtschaft ein Besuch überhaupt gelegen kam? Mutter und Tochter mussten wie um ihr Leben reden, doch schließlich war der Vater einverstanden gewesen.

Hannah ließ den Rock, an dessen Saum noch immer der Schmutz der Straße hing, sinken. Die Schmach, als ledige Mutter nach Nürnberg zurückzukehren, wollte sie ihren Eltern nicht antun. Was für eine Zukunft hätte sie dort? Die Leute würden mit dem Finger auf sie zeigen, gleichgültig, ob sie auf dem Markt Einkäufe tätigte oder mit der Mutter einen ihrer seltenen Kaffeehausbesuche machte. Die Möglichkeit, einen Mann zu finden, der sie mit dem Bastard nahm, war äußerst gering, darüber machte sich Hannah keine Illusionen. Sie hatte nur eine einzige Chance, und zwar hier, in Gönningen.

Eilig zog sie sich fertig an, kämmte vor dem winzigen Spiegel an der Wand ihre feuchten Haare und flocht einen Zopf, den sie als Kranz um ihren Kopf steckte. Als sie sich anschließend im Spiegel betrachtete, war sie mit dem Ergebnis zufrieden: Die Frisur war nicht alltäglich, wirkte vielleicht sogar etwas verwegen, aber war es nicht genau das, was die Männer an ihr mochten?

Hoffen wir, dass sich Helmut daran erinnert, dachte sie düster, während sie sich auf den Weg nach unten in die Wirtsstube machte.

Allmächt, worauf hatte sie sich da nur eingelassen?

5

Die Faust landete polternd auf dem Tisch. »Bei meinem hohen Bedarf erwarte ich für den ›Ulmer Riesen‹ ein besseres Preisangebot, das sag ich dir hier und jetzt, so dass es j… j… jeder hören kann!« Bei den letzten Worten begann die Stimme des Mannes zu schwanken. Eilig hob er seinen Bierkrug und setzte ihn an.

Sein Sitznachbar legte ihm beruhigend einen Arm um die Schulter. Dann sagte er: »Wir hören dich sehr gut, Schorsch, aber was du zum Betreiben deines Geschäftes brauchst, das kannst du bei mir daheim unterm Tisch zusammenkehren! Wenn hier einer gute Preise zu bekommen hat, dann bin das ich! Und nicht nur für den ›Ulmer Riesen‹.«

Daraufhin begann der Mann dröhnend zu lachen, als habe er einen besonders guten Witz gemacht. Auch die anderen am Tisch schüttelten sich vor Lachen. Der erste Mann, der Schorsch genannt wurde, entzog sich beleidigt der Umarmung.

»Elender Hurensohn!«, murmelte er abfällig. Er wollte schon vom Tisch aufstehen, als sein Gegenüber ihn wieder nach unten drückte.

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