Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Arilla, die junge und hübsche Tochter Sir Roderick Lindsey's findet sich nach dessen Tod völliger Armut wieder. Außer dem Schmuck ihrer Mutter ist nichts mehr auf dem baufälligen Herrensitz Little Marchwood, das sie verkaufen und ihr in ihrer Situation helfen könnte. Während sie den seit einem Reitunfall bewusstlosen Vater gepflegt hatte, hatte sie sich eine Idee zurechtgelegt, um sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Sie bittet Harry Vernon, den sie seit ihrer Kindheit kennt, sie in London in die Beau Monde einzuführen, damit sie dort einen potentiellen reichen Ehemann finden könnte. Harrys Eltern sind auch verstorben und er ermöglicht sich sein Leben in London mit Hilfe einiger Freunde, die ihn unterstützen. Sein Cousin, der Herzog von Vernonwick ist zwar sehr wohlhabend aber als der geizigste Mann in England bekannt und von ihm ist keine Unterstützung zu erwarten. Um die Anstandsregeln und damit verbundenen Kosten als Debütantin in die Londoner Gesellschaft eingeführt zu werden zu umgehen, reist Arilla unter dem Namen ihrer Mutter ,Lady Lindsey' nach London. Sie sieht ihr sehr ähnlich und da die Familie zurückgezogen auf dem Lande gelebt hatte, wusste niemand von ihrem Ableben. Mit dem Geld des verkauften Schmuckes kann sie sich für zwei Monate in London über Wasser halten. Wird es Arilla gelingen, die Beau Monde zu täuschen und als reiche Witwe einen Ehemann zu finden, der sich nicht nur nach ihrem Reichtum sehnt, sondern auch Gefühle für die junge Frau empfindet?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 207
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Obwohl man sie missbilligte, waren Duelle in der viktorianischen Zeit nicht verboten. Für einen Gentleman waren sie ein ehrenhafter Weg, eine Auseinandersetzung auszutragen.
1809 duellierte sich Lord Castlereagh mit George Canning wegen der Regierungspolitik; und der berühmte Herzog von Wellington schlug sich mit dem Earl von Winchilsea.
1789 duellierte sich William Pitt der Jüngere mit dem Whig Politiker George Tierney. Weil Pitt ausgesprochen dünn war und Tierney sehr dick, wurde vorgeschlagen, Pitts Umrisse mit Kreide auf Tierneys Mantel zu zeichnen und solche Einschüsse nicht gelten zu lassen, die außerhalb der Markierung lagen!
In meinem Haus habe ich ein Porträt der schönen, aber unglücklichen Gräfin von St. Giles. Sie liegt in der Kirche von St. Giles begraben. Sie war die Geliebte des zweiten Herzogs von Buckingham, der als hervorragender Schütze galt, und die beiden planten die Ermordung ihres Ehemannes. Als Page verkleidet, war die Gräfin bei dem verhängnisvollen Duell anwesend. Sie erlebte, wie der Earl, von ihrem Liebhaber tödlich getroffen, starb. Als sie später mit dem Herzog das Bett teilte, trug sie das blutbefleckte Hemd ihres toten Gatten.
Arilla sah die ungepflegte Auffahrt hinunter und seufzte. Sie hatte zwar gehofft, dass er kommen würde, aber nicht wirklich damit gerechnet.
Dann, als sie schon mutlos zum Haus zurückgehen wollte, nahm sie in der Ferne eine Bewegung wahr. Eine Sekunde später konnte sie Pferde erkennen. Sie stieß einen kleinen, aufgeregten Schrei aus.
Um besser sehen zu können, rannte sie die moosbedeckten, teilweise zerbrochenen Stufen des Vordereingangs hinauf. Als sie sich wieder umwandte, erkannte sie, dass sie recht gehabt hatte. Ein Zweispänner kam auf das Haus zu, gezogen von zwei wunderbar zueinander passenden Braunen.
Sie wartete, und ihre großen Augen schienen ihr schmales Gesicht ganz auszufüllen. Die Pferde kamen immer näher, bis sie schließlich genau zu Füßen der Treppe mit einem Schwung anhielten.
Einen Moment war sie sprachlos. Dann aber, als der Lenker des Zweispänners den Zylinder von seinem dunklen Haarschopf zog, rief sie aus: »Harry! Ich wusste, dass du kommen würdest!«
Der Herr überließ die Zügel seinem Stallburschen, der von dem kleinen Sitz an der Rückseite des Zweispänners heruntergeklettert war, und sprang auf die Erde.
Der Zweispänner war ziemlich hoch, aber nicht ganz so übertrieben wie das Modell, das der Prinzregent vor ein paar Jahren eingeführt hatte. Er war leichter, besser gefedert und sicher schneller auf den Straßen, die sich, außer zu dieser Jahreszeit, nach dem Regen oft genug in einen Morast verwandelten.
Ohne erkennbare Eile ging der Herr um den Zweispänner herum. Bevor er die Stufen zu der wartenden Arilla hinaufstieg, warf er einen Blick auf das Haus. Sie glaubte, auf seinem schönen Gesicht einen verächtlichen Ausdruck zu erkennen. Das war kein Wunder, denn die Mauern mussten neu verputzt werden, und einige Fensterscheiben waren gesprungen. Wilder Efeu wucherte über viele der Fenster.
Mit seinem zu einem komplizierten Knoten geschlungenen Halstuch, von dem Arilla annahm, dass es unter den Beaus in St. James die neueste Mode war, sah der Herr außerordentlich elegant aus. Während er die Treppe heraufkam, sagte er: »Genau zwei Stunden bis hierher! Ich glaube, ich habe meinen eigenen Rekord gebrochen oder hat irgendjemand mich übertroffen, seit ich das letzte Mal hier war?«
»Niemand fährt so gut wie du, Harry!« antwortete Arilla. »Außerdem haben wir sonst keine Besucher, deren Pferde sich mit deinen vergleichen ließen.«
Sie sah, wie seine Mundwinkel zuckten und fügte hinzu: »Es sind doch deine?«
Die Antwort fiel genauso aus, wie Arilla erwartet hatte.
»Für heute ja! Ich habe sie geborgt, wie immer.«
»Ach, Harry! Bist du wieder abgebrannt?«
»Na sicher! Was hast du denn erwartet?«
Sie durchquerten die Halle, die noch schäbiger war als in Harrys Erinnerung, und betraten den Salon, der einmal wirklich schön gewesen war. Jetzt aber wirkte er, wie der Rest des Hauses, trostlos und ärmlich. Die Gardinen waren verschlissen, und das Futter hing zerrissen herab, der Teppich war fadenscheinig, und an den Wänden gab es helle Flecken, wo ganz offensichtlich einmal Bilder oder Spiegel gehangen hatten.
Harry Vernon hatte seinen Hut und die Handschuhe in der Halle abgelegt und strich sich nun mit einer Hand das Haar glatt. In verändertem Tonfall sagte er: »Es tut mir so leid, Arilla, dass dein Vater gestorben ist.«
Arilla seufzte ein wenig. Ohne ihn anzusehen, antwortete sie: »Wir sind einander immer so nahe gewesen, Harry, seit ich ein Kind war aber du weißt, dies ist das Beste, was passieren konnte.«
»War es denn so schlimm?« fragte Harry voller Mitleid.
»Das letzte Jahr war furchtbar«, sagte Arilla.
Sie schwieg einen Moment und fuhr dann fort: »Papa hatte das Bewusstsein verloren und hat mich nicht wiedererkannt. Wir hatten überhaupt kein Geld für Ärzte oder für die Medikamente, die sie ihm geben wollten.«
Harry sagte scharf: »Warum hast du mir das nie gesagt?«
»Was hätte das genutzt?« fragte Arilla. »Auch du hast kein Vermögen.«
»Das ist richtig«, stimmte er ihr zu. »Aber ich hätte trotzdem versucht zu helfen.«
»Ich weiß«, sagte Arilla. »Aber es gab wirklich nichts, was du hättest tun können.«
Sie zögerte einen Moment und meinte dann: »Jetzt, wo alles vorbei ist, kommt es mir vor, als wäre Papa schon vor einem Jahr gestorben. Verstehst du?«
Harry Vernon verstand genau, was seine Cousine meinte. Ihr Vater, Sir Roderick Lindsey, hatte einen schweren Reitunfall gehabt, der ihn teilweise lähmte. Von diesem Augenblick an war er im Grunde ein toter Mann gewesen. Nur sein Herz hatte noch geschlagen. Die Ärzte hatten ihn nicht mehr zu Bewusstsein bringen können, aber er lebte weiter.
Für seine Tochter, die ihn aufopfernd gepflegt hatte, war es eine Tragödie. Erst jetzt wurde Harry klar, was für ein einsames Leben sie geführt haben musste. Und doch gab es nichts, was er für sie hätte tun können.
Als ob sie seine Gedanken lesen könnte, sagte Arilla: »Denk nicht mehr daran! Es ist vorbei. Aber jetzt brauche ich deine Hilfe. Bitte, Harry, hilf mir! Ich habe doch sonst niemanden!«
»Du weißt, dass ich alles tun werde, was in meiner Kraft steht«, antwortete Harry, »auch wenn es nur wenig ist.«
Während er sprach, ging er zum Fenster hinüber und sah verlegen in den verwilderten Garten hinaus. Es war Frühling, die Narzissen überzogen den Boden unter den Bäumen mit einem goldenen Teppich, und überall blühte der Flieder.
Obwohl der Garten so vernachlässigt war, sah er wunderschön aus. Harry dachte daran, wie gern er als Kind dort gespielt hatte. Seine Eltern hatten ihn zum Herrenhaus von Little Marchwood herübergebracht, wo er Sir Roderick und Lady Lindsey immer willkommen gewesen war. Sein Vater und Lady Lindsey waren Cousins, aber manchmal hatte er den Eindruck gehabt, sie und ihr Mann sähen in ihm den Sohn, den sie nie gehabt hatten. Es war Sir Roderick gewesen, der Harrys manchmal sehr starrsinnigen Vater dazu überredet hatte, ihn nach Eton zu schicken. Und es war Sir Roderick, der dafür gesorgt hatte, dass Harry in das Leibregiment aufgenommen wurde, während sein eigener Vater gemeint hatte, er könne sich nur ein Fußregiment leisten.
Ich nehme an, dachte Harry, dass es Sir Roderick war, von dem ich meinen teuren Geschmack habe.
Laut sagte er: »Ich werde dir helfen, Arilla. Natürlich werde ich dir helfen. Aber es wird weiß Gott nicht einfach sein.«
»Ich will kein Geld von dir, Harry.«
Er wandte sich um und blickte sie überrascht an.
»Aber ich dachte...«, fing er an.
»Lass mich bitte in Ruhe erzählen, was ich vorhabe und warum ich deine Hilfe brauche.«
»Ja, natürlich«, meinte Harry.
»Aber zuerst bekommst du etwas zu trinken«, sagte Arilla. »Ich hätte längst daran denken sollen, aber ich war so froh, dich wiederzusehen.«
Sie lächelte ihn an, während sie fortfuhr: »Es ist noch eine einzige Flasche von Papas bestem Claret da. Ich habe sie versteckt sonst hätten die Ärzte sie getrunken. Sie ist für dich.«
»Bitte, mach mir nicht noch mehr Schuldgefühle, als ich ohnehin schon habe!« bat Harry.
Er ging zu einem kleinen Tischchen in einer Ecke des Salons, wo stets die Getränke angerichtet wurden. Dort standen, wie er erwartet hatte, eine Karaffe mit dem Wein und ein schönes, poliertes Kristallglas für ihn.
Er goss sich ein und fragte höflich: »Trinkst du nicht einen Schluck mit mir?«
»Es ist alles für dich«, sagte Arilla fest, »und außerdem wirst du es brauchen!«
»Was hast du denn jetzt wieder vor?« fragte Harry, »übrigens, Arilla, du bist sehr hübsch geworden, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe!«
Sie lächelte über das Kompliment und ließ dabei die Grübchen in ihren Wangen sehen. Ihre tiefblauen Augen funkelten.
»Ich hatte gehofft, dass du so etwas sagen würdest.«
»Es ist wahr!« bekräftigte Harry und trank einen Schluck. Er schwieg einen Moment und sagte dann: »Du bist zwar ein bisschen dünn, aber das ist trotzdem besser als das pummelige kleine Mädchen, an das ich mich von früher erinnere!«
»Wieso klein?« brauste Arilla auf. »Ich bin neunzehn! Ist dir das klar, Harry? Neunzehn! Ich komme mir schon ziemlich alt vor!«
»Und ich bin siebenundzwanzig«, erwiderte er, »und wenn ich nicht aufpasse, bin ich bald älter als Methusalem!«
Sie lachten beide, und Harry ließ sich sehr vorsichtig in einen Lehnstuhl sinken seine champagnerfarbenen Kniehosen waren nach der neuesten Mode geschnitten und sehr eng. Dann setzte er sein Weinglas ab.
Arilla holte die Karaffe und stellte sie neben das Glas auf das kleine Tischchen. Anstatt auf dem Stuhl Harry gegenüber Platz zu nehmen, setzte sie sich einfach neben ihn auf den Kaminvorleger.
»Ich möchte, dass du mich genau ansiehst, Harry, ganz unbeteiligt«, sagte sie. »Als ob ich eine Fremde wäre und nicht deine Cousine, die du kennst, seit sie in der Wiege gelegen hat.«
Während sie sprach, wandte sie ihm das Gesicht zu. Er verstand, was sie meinte, und sagte: »Es ist mein Ernst, Arilla, dass du sehr hübsch bist, nein, das ist falsch du bist wunderschön!«
»Findest du das wirklich, Harry?«
»Wenn du dir ein neues Kleid kaufen würdest und dir das Haar etwas modisch richten ließest, wärst du eine Sensation!«
Er sah den Glanz in ihren Augen und schalt sich selbst einen Dummkopf. Welchen Sinn hatte es, ihr solche Komplimente zu machen, wo doch die einzigen, die sie hier draußen in Little Marchwood bewundern konnten, ein paar Bauerntölpel waren!
»Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest«, murmelte Arilla versunken, als spräche sie zu sich selbst. »Man sagt, ich sähe aus wie Mama.«
»Das ist richtig«, sagte Harry. »Aber was nützt dir das in diesem Nest? Ist vielleicht ein interessanter Mann in der Gegend aufgetaucht?«
»Was du wissen willst«, sagte Arilla, »ist, ob es hier einen Mann gibt, den ich heiraten könnte, aber die Antwort darauf lautet schlicht: Nein!«
Harry lächelte. Sie wusste, dass er überlegte, ob er nicht einige Herren aus London dazu bringen könnte, hierherzukommen und Arilla kennenzulernen. Gleichzeitig wussten sie beide, dass, selbst wenn ihm das gelänge, Arilla ihnen wahrscheinlich nicht einmal ein anständiges Essen oder auch nur etwas zu trinken anbieten konnte, wenn das hier wirklich die letzte Flasche guten Weines aus dem Keller ihres Vaters war.
»Jetzt, wo dein Vater tot ist«, fragte er, »gibt es doch sicher irgendwelche Verwandte, bei denen du leben kannst?«
Arilla lachte. »Du kennst meine Verwandten genauso gut wie ich! Entweder sind sie so alt, dass sie mit einem Fuß schon im Grabe stehen, oder sie sind so arm wie du und ich.«
Sie zögerte einen Moment und fügte dann hinzu: »Die Dinge haben sich nicht so sehr verändert, Harry, seit wir Kinder waren, und deine Verwandten sind doch in einer ähnlich peinlichen Lage bis auf den Herzog natürlich.«
»Der Herzog!« Harrys Stimme klang ein wenig verächtlich. Dann sagte er: »Es gibt eine nette Geschichte über die neueste Gemeinheit Seiner Gnaden und darüber, wie sparsam die Marquise mit Trinkgeldern umgeht, aber das erzähle ich dir später. Lass uns lieber noch ein wenig von dir sprechen.«
Arilla nahm sich fest vor, Harry später noch einmal nach seinem Cousin zu fragen, der das Oberhaupt der Familie Vernon war und immer genug Gesprächsstoff bot. Der Herzog von Vernonwick galt als der geizigste Mann von ganz England! Niemals hatte man gehört, dass er einem Angehörigen seiner Familie geholfen hätte, ganz gleich, wie groß die Schwierigkeiten waren. In der Familie Vernon machte man sich einen Spaß daraus, Geschichten über ihn zu sammeln von denen nur einige wenige übertrieben waren und sie weiterzuerzählen. Harry erinnerte sich daran, wie sein Vater einmal bitter gesagt hatte: »Das Einzige, was wir vom Herzog je bekommen haben, ist ein Witz auf seine Kosten!«
Niemand wusste besser als Arilla, dass Harrys Eltern bei ihrem Tod genauso arm gewesen waren wie ihre eigenen. Harry gehörte nur deshalb zu der reichen, extravaganten Beau Monde, weil er aus einer zwar verarmten, aber angesehenen alten Familie kam. Außerdem war er so charmant und gutaussehend, dass ihn der Prinzregent zu einem seiner engsten Freunde gemacht hatte.
»Um noch einmal darauf zurückzukommen«, sagte Arilla, »du findest also, dass ich hübsch bin und dass ich, wenn ich richtig gekleidet wäre, genauso schön aussehen könnte wie Mama.« Sie schwieg kurz und fuhr fort: »Nun, deshalb habe ich mich entschlossen, nach London zu gehen!«
Harry starrte sie an. Dann fragte er: »Wie um alles in der Welt stellst du dir das vor?«
»Das werde ich dir sagen«, antwortete Arilla, »und deshalb brauche ich auch deine Hilfe.«
Sie machte es sich auf dem Kaminvorleger bequem und fuhr fort: »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass mir, wenn ich nicht hierbleiben und Hungers sterben will, gar nichts anderes übrigbleibt als einen reichen Mann zu heiraten!«
Harry öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder, als Arilla fortfuhr: »Und wie du schon treffend festgestellt hast, wird hier in Linie Marchwood vermutlich keiner vom Himmel fallen.«
Sie lächelte. »Wahrscheinlich wird auch nicht direkt vor unserer Haustür eine Kutsche verunglücken, deren reichen Insassen ich dann gesundpflegen könnte. So etwas passiert nur in schlechten Romanen.«
Harry dachte, dass sie damit recht hatte, aber er unterbrach sie nicht, und Arilla fuhr fort: »Ich habe also vor, nach London zu gehen und, mit deiner Hilfe, ‚eine Sensation‘ zu werden, wie du gesagt hast.«
»Aber - aber das ist unmöglich!« stieß Harry hervor. »Du verstehst nicht ganz...«
»Lass mich ausreden«, sagte Arilla und hob ihre Hand. »Ich war noch nicht fertig. Natürlich weiß ich, dass ich, so wie ich jetzt aussehe, keine ‚Sensation‘ bin.« Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Und ich weiß auch, dass ich, wenn ich versuchen würde, in London eine Saison als Debütantin zu verbringen, eine Anstandsdame bräuchte und mich in schreckliche Unkosten stürzen müsste, die ich mir gar nicht leisten könnte.«
»Also wie...?« begann Harry wieder, aber noch einmal brachte ihn Arilla zum Schweigen, indem sie fortfuhr: »Ich habe mich deshalb entschlossen, nicht als die nach London zu gehen, die ich wirklich bin, sondern als die junge Witwe des verstorbenen Sir Roderick Lindsey.«
Nun war Harry so entsetzt, dass ihm die Worte fehlten. Er starrte seine Cousine an, als wäre sie gerade verrückt geworden.
»Die Witwe deines Vaters?«
»Genau das habe ich gesagt und gemeint!« antwortete Arilla. »Niemand weiß, dass Papa tot ist, nur du und die Leute im Dorf.« Sie zögerte und fügte hinzu: »Wie du dir vielleicht denken kannst, hatte ich nicht das Geld, eine Todesanzeige in der ‚Gazette‘ oder der ‚Morning Post‘ zu veröffentlichen. Und offen gesagt, hielt ich es für eine Zeitverschwendung, die paar Verwandten zu benachrichtigen, die wir haben. Sie sind alle weit fort und haben sich um Papa nie besonders gekümmert.«
»Das verstehe ich«, sagte Harry. »Aber halte mich bitte nicht für dumm, weil ich nicht verstehe, warum du so tun willst, als wärst du die Witwe deines eigenen Vaters.«
»Du scheinst nicht zu begreifen«, antwortete Arilla. »Ich habe doch gerade erklärt, wieviel komplizierter es ist, Debütantin zu sein, als eine schöne, reiche Witwe...«
»Reich?« Dieses Wort schrie Harry fast.
»Das werden wir jedenfalls der Welt erzählen der Welt, in der du glänzt.«
Harry saß kerzengerade auf seinem Stuhl und griff sich mit der Hand an die Stirn. »Ich glaube, du bist wahnsinnig geworden! Woher willst du das Geld nehmen?«
»Aus meiner Fantasie und aus deiner;«
»Und was, bitte, wirst du ausgeben?«
»Das will ich dir ja gerade erzählen.«
»Und du denkst wirklich, das uns das irgendjemand glauben wird?«
»Dir werden sie glauben«, sagte Arilla. Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Du musst den wichtigen Leuten, die ja alle Freunde von dir sind, erzählen, dass eine attraktive, zurückhaltende, wohlerzogene junge Witwe nach London kommt, dass du sie sehr hübsch findest und dass sie niemanden kennt.«
Als sie Harrys ungläubiges Gesicht sah, fügte sie hinzu: »Du musst sie alle sehr neugierig darauf machen, ‚Lady Lindsey‘ kennenzulernen, und dafür sorgen, dass sie zu ein oder zwei Bällen eingeladen wird, wo sie eine echte Sensation werden wird.«
»So wie du aussiehst?« fragte Harry, und seine Stimme klang hart.
»Ich bin nicht so dumm, wie du denkst«, antwortete Arilla, »und ich habe über das alles lange nachgedacht. Genauso lange, wie ich weiß, dass Papa nie mehr gesund werden würde.«
Nach einem Zögern sagte sie: »Ich wusste, wenn er stirbt, würde ich hier allein sein, ohne eine Menschenseele, mit der ich reden könnte, außer den armen alten Johnsons, die sich eigentlich schon vor Jahren hätten zur Ruhe setzen sollen.«
»Die ganze Idee ist verrückt«, sagte Harry, »aber erzähl weiter.«
»Das Einzige, was ich nicht verkauft habe, und du weißt, ich habe praktisch alles zu Geld gemacht, was ein paar Pennies wert war sind Mamas Perlen. Sie hat sie mir hinterlassen, die Perlen und den Diamantstern, den sie immer vorn an ihrem Kleid trug.« Ein leises Schluchzen entrang sich Arillas Kehle, als sie weitersprach: »Ich habe diese Sachen geliebt, und sie gehörten mir. Ich habe so daran gehangen, dass ich nie daran dachte, sie zu verkaufen, bis mir klar wurde, dass sie mir den Eintritt in eine andere Welt ermöglichen könnten.« Arilla zögerte. »Mama hat sich immer gewünscht, dass ich in dieser Welt leben sollte, wenn wir nur das Geld gehabt hätten. Ich glaube, eigentlich war sie es, die mir diese Idee in den Kopf gesetzt hat.«
Harry schwieg, und nach einer Weile sagte Arilla: »Ich bin sogar ganz sicher! Oft fühle ich, dass Mama mir ganz nah ist. Ich weiß, sie würde wollen, dass ich diesen Weg gehe.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter von dir erwarten würde, etwas völlig Unmögliches zu versuchen!«
»Warum ist das so unmöglich?« fragte Arilla heftig. »Denk doch einmal nach, Harry! Du hast gesagt, dass ich hübsch bin, und wenn ich es geschickt anstelle, habe ich Geld genug, mir Kleider zu kaufen, in denen du dich meiner nicht schämen musst.« Schließlich fügte sie hinzu: »Mein Geld wird etwas länger als zwei Monate reichen.«
»Ich dachte, du hättest gesagt, du wärest reich?« fragte Harry.
Arilla lachte ein silberhelles Lachen.
»Ich wusste, dass du das fragen würdest aber du weißt genauso gut wie ich, dass reiche Leute ihr Geld nicht zum Fenster hinauswerfen.« Dann meinte sie: »Denk doch einmal an all die Leute, von denen man dir erzählt hat, sie seien reich, ohne dass du je etwas davon bemerkt hättest.«
»Vermutlich hast du recht.«
»Es gibt noch mehr solche eigenartigen Leute wie deinen Onkel, den Herzog. Denk an Lord Colton. Er lebte ganz hier in der Nähe, und es hieß, er wäre sehr reich.« Arilla sah Harry an und fuhr fort: »Nie hat er bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung auch nur einen Penny gestiftet, und wenn Papa einmal bei ihm eingeladen war, sagte er immer, das Essen sei ungenießbar und der Wein geradezu eine Beleidigung.«
Nach einer kleinen Pause sagte Harry; »An dem, was du sagst, ist sicherlich etwas Wahres. Wenn ich darüber nachdenke, fallen mir eine ganze Menge Leute in London ein, von denen ich weiß, dass sie reich sind, die aber mit ihrem Geld nicht gerade großzügig umgehen.«
»Der einzige reiche Mensch, den ich je kannte«, sagte Arilla, »war meine Patin. Jedes Jahr schickte sie mir zu Weihnachten eine Karte, die sie im Jahr zuvor von jemand anderem erhalten hatte!«
Harry lachte, aber Arilla sprach ernsthaft weiter: »Du siehst also, Harry, dass es wirklich nur darauf ankommt, den Leuten einzureden, die schöne Lady Lindsey, sei reich.« Zögernd fügte sie hinzu: »Sie werden dafür gewiss keine handfesten Beweise verlangen außer, dass sie gut angezogen ist.«
»Und wo willst du in London wohnen?« fragte Harry. Arilla warf ihm einen Blick zu und sah rasch wieder zur Seite, bevor sie sagte: »Ich dachte... vielleicht... vielleicht könntest du mir helfen. Wenn ich für zwei Monate ein Haus mieten würde... dann hätte ich nicht mehr viel Geld übrig für... für meine Garderobe.«
»Bitte, da hast du es!« sagte Harry, offenbar zufrieden damit, einen Haken an einer Sache zu finden, die ganz offensichtlich Wahnsinn war.
»Warte! Ich glaube, ich habe eine Idee!«
»Wirklich?« fragte Arilla aufgeregt.
»Als ich deinen Brief bekam, in dem stand, dass dein Vater gestorben sei, hatte ich mich gerade von einer Freundin verabschiedet, die für zwei Monate nach Paris fährt.«
Arilla unterbrach ihn nicht, aber ein rührender kleiner Hoffnungsschimmer glänzte in ihren Augen.
»Meine Freundin gehört nicht gerade zur Beau Monde, und ich könnte dich ihr sicher nicht vorstellen. Aber sie ist recht wohlhabend und hat ein sehr elegantes Haus in Islington. Sie sagte«, fuhr er fort, »wenn ich während ihrer Abwesenheit um eine Bleibe verlegen wäre, könnte ich dort wohnen, und das Personal hätte wenigstens etwas zu tun.«
»Oh, Harry!« begann Arilla. »Und du glaubst wirklich...«
»Es wäre sicherlich eine Möglichkeit«, unterbrach sie Harry, »denn deine einzigen Ausgaben wären dein Essen und natürlich die großzügigen Trinkgelder, die das Personal dafür von dir erwarten kann, dass es dich gut betreut.«
Arilla jubilierte. Sie rückte näher an Harry heran und sagte: »Meinst du damit... Willst du damit wirklich sagen, dass... dass du so etwas... für mich tun würdest?«
»Ich halte das Ganze für eine dumme, verrückte, lächerliche Idee!« antwortete Harry. »Aber wahrscheinlich ist es immer noch besser als hierzubleiben und langsam Moos anzusetzen!«
»Ach, Harry...!«
In Arillas großen Augen standen Tränen, die sie schließlich nicht mehr zurückhalten konnte.
Sie legte ihre Arme auf seine Knie, sah zu ihm auf und sagte mit zitternder Stimme: »Ich... ich wusste immer, dass ich... den nettesten... besten... Cousin auf... der ganzen Welt habe!«
»Bedank dich bloß nicht zu früh!« sagte Harry schnell. »Wir haben uns zwar entschlossen, ins Rennen zu gehen, aber vor uns liegen verdammt viele Hindernisse, bevor wir am Ziel ankommen!«
Mit einer kindlichen Geste wischte Arilla mit dem Handrücken ihre Tränen fort und sagte: »Ich weiß, aber alles was ich gewinne, teilen wir.«
»Wie meinst du das?« fragte Harry, und sie meinte, einen unheilvollen Unterton in seiner Stimme zu hören.
»Nun sei nicht so stolz und dumm«, sagte sie. »Schon als wir Kinder waren, haben wir alles geteilt, und das werden wir auch jetzt tun. Ich will darüber gar nicht weiter diskutieren!«
»Aber ich!« rief Harry. »Also erkläre bitte etwas genauer, was du damit meinst.«
»Ich meine, wenn ich einen reichen Mann heirate, werde ich dafür sorgen, dass du all die Dinge bekommst, die du dir jetzt nicht leisten kannst.«
Harry wollte etwas sagen, aber sie hob ihre Hand und legte ihm die Finger auf die Lippen.
»Wir sind beide an dieser Sache beteiligt, Harry, egal wie sie ausgeht! Und wenn du dich weigerst, es so zu machen, wie ich will, dann werde ich eben hierbleiben und allein draußen im Garten sitzen und so lange weinen, bis ich wie du ja schon vorgeschlagen hast Moos ansetze.«
Gegen seinen Willen musste Harry lachen. Dann sagte er: »Es hat sowieso keinen Sinn, über etwas zu streiten, was vermutlich nie eintreffen wird. Und wenn ich dich in zwei Monaten immer noch am Hals habe, werde ich dich an einen Lumpensammler verkaufen müssen!«
»So schlimm wird es schon nicht werden«, meinte Arilla. »Und für mich ist es einfacher, wenn ich weiß, dass ich das alles nicht nur für mich tue.« Sie schwieg einen Moment und fuhr dann fort: »Es schmerzt mich einfach, mir vorzustellen, wie du auf anderer Leute Kosten leben musst, weil du es dir sonst nicht leisten kannst, dich so zu kleiden, wie du es tust, eigene Pferde zu reiten und einen Lebensstil zu pflegen, der einem Gentleman zukommt!«
»Wenn du so weiterredest«, sagte Harry lächelnd, »breche ich gleich in Tränen aus. Hör auf, Arilla!« Ernster fuhr er fort: »Jetzt müssen wir uns aber in Ruhe zusammensetzen und dieses Spiel genau planen, damit wir keine Fehler machen. Sonst entführt dich womöglich ein Ungeheuer, oder ein wilder Drache frisst dich auf, sobald du in London ankommst!«
»Wenn... wenn du mir hilfst... werde ich nicht... nicht so viel... Angst haben«, sagte Arilla.
»Ich werde dir helfen, weil du mich darum gebeten hast« antwortete er, »obwohl es, wenn die Sache schiefgeht, wirklich genug Grund gibt, mich ins Irrenhaus zu stecken!«
Sie lachten beide. Arilla füllte aus der Karaffe Harrys Glas und sagte: »Wir müssen auf unseren Erfolg anstoßen, aber weil es nur ein Glas gibt, werde ich es mit dir teilen müssen, was eigentlich eine symbolische Handlung ist, wenn man darüber nachdenkt!«
»Symbolisch so ein Blödsinn!« gab Harry zurück. »Knauserig