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"So, wie die aussieht, wird sie eine Zierde für jeden unserer Puffs sein. Da steht jedem Freier schon beim Anblick der Schwanz. Schade, dass wir hier keine Rotlicht-Schaufenster haben." "Soll ich sie an unsere Geschäftspartner in Amsterdam ausleihen oder verkaufen?" "Nein. Noch haben wir sie nicht hundert Pro im Griff. Aber das übliche Programm läuft. Bisschen anfixen, dann ›trocken‹ lassen, ihr einreden, die paar harmlosen Kopfschmerzen würden bald höllisch werden, wenn sie keinen Stoff mehr kriegt, und den kriegt sie nur, wenn sie hübsch brav und willig ist. Bald wird sie unsere hörige, abhängige kleine Nutte sein." "Und dann ab nach Amsterdam oder Offenbach?" "Offenbach? Dann schon eher nach Arabien. Ist eh fast dasselbe. Die Scheichs zahlen gut. Aber ich will sie hier demütigen, vor den Augen ihrer Ex-Schulkameraden und so. Wenn die ihr Abi feiern und in unseren Puff latschen, soll sie ihre Muschi hinhalten." "Krass!" "Selber schuld. Was mussten sich ihre aufgeblasenen Eltern auch unseren innovativen Geschäftsmodellen entgegenstellen? Nun muss sie den Eltern ihrer Nachbarn auf Wunsch einen blasen - oder sich als faules falsches Schulmädchen den Arsch verstriemen lassen, am besten von einem ihrer Exlehrer. Recht so." "Du glaubst wohl, du kannst jeden korrumpieren. Auch diesen Literaturfatzke." "Kann man auch. Gerade den. Mitsamt seinem lächerlichen Marterpfahl Verlag. Die kriegen einfach ein paar willige Mädchen, und schon heben sie uns in den Himmel. Weiß gar nicht, wieso diese Literaturheinis sich einbilden, sie wären was Besseres." Allerdings. In Wiesbaden ist niemand was Besseres. Wie ein wütender Gott hockt die Stadt zwischen Fluß und Bergen; ein Gott, der seine Menschenopfer als Tribut verlangt. Hier kann niemand seinem Schicksal entgehen.
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Seitenzahl: 317
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Arne Hoffmann
Die Sklavenmädchen von Wiesbaden
Die Sklavenmädchen von Wiesbaden
Ein Heimatroman von
Arne Hoffmann
MARTERPFAHL VERLAG
Impressum der Ebook-Ausgabe:
© 2021 by Marterpfahl Verlag Rüdiger Happ,
Firstbergstr. 2, D-72147 Nehren
https://marterpfahlverlag.wixsite.com/erotikbuch
E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net
Cover: Rüdiger Happ unter Verwendung desselben Bilds von Reinhard Otto wie bei der Paperback-Ausgabe
E-Book ISBN 978-3-944145-76-1
Impressum der Paperback-Ausgabe:
© 2006 by Marterpfahl Verlag Rüdiger Happ,
Postfach 8 / Firstbergstr. 2, 72147 Nehren
www.marterpfahlverlag.com
Titelbild: Reinhard Otto, Bielefeld (www.reinhard-otto.de)
Umschlaggestaltung: Sibil Joho, Zürich (www.ikarus-design.com)
Druck: PrintCom oHG, Erlangen (www.print-com.de)
ISBN 3-936708-27-4
Ein Russe kommt in eine Wiesbadener Disco. Er trägt ein T-Shirt, auf dem steht: TÜRKEN HABEN DREI PROBLEME! Ein Türke spricht ihn darauf an, was das denn solle. Da erwidert der Russe: »Seht ihr, das ist euer erstes Problem. Ihr seid viel zu neugierig.«
Der Türke zieht ab, kehrt aber eine halbe Stunde später mit seinem Kumpel zurück und rempelt den Russen an. Der macht den beiden unmissverständlich klar, dass sie das besser bleiben lassen sollten. »Seht ihr«, setzt er noch drauf, »das ist euer zweites Problem. Ihr seid viel zu aggressiv.«
Spät in der Nacht verlässt der Russe die Disco. Vor dem Eingang erwarten ihn fünf oder sechs Türken mit gezogenen Messern und grimmigen Mienen. Der Russe schaut sie kurz an, greift in die Tasche und meint: »Seht ihr, das ist euer drittes Problem. Kommt mit Messern zu einer Schießerei …«
In der Wiesbadener Unterwelt kursierender Türkenwitz
Litha
1
Wiesbaden, das schwarze Herz des Taunus. Ein Ort, wo ein Menschenleben billig war und die Unschuld gratis. Es kauerte zwischen den Taunusbergen und dem Rhein wie ein wütender Gott, der sein regelmäßiges Opfer an Fleisch und Blut verlangte.
Warum hatte er sich nur dazu breitschlagen lassen, ausgerechnet hierher zu kommen!
Frank Silbig stand am Fenster des kleinen Büros und starrte nach draußen. Dort flirrte schon seit einigen Tagen eine Hitze, wie sie für den Hochsommer typisch gewesen wäre. Schon jetzt, am frühen Morgen, war es drückend schwül. Gelegentlich trieb ein bösartiger, trockener Wind den Dreck der Straße durch die Luft, traf ab und an fast wie bewusst gezielt ein menschliches Auge und brachte es zum Weinen. An die vor Schmutz strotzende Wand gegenüber hatte jemand mit riesigen schwarzen Lettern WIR SIND PAPST! gesprüht. Im Zusammenhang mit dieser Stadt wirkte der Satz wie eine gigantische Obszönität. Silbig spürte, wie sich seine Brust zusammenschnürte.
Hinter ihm öffnete sich die Tür. Er wandte sich um und sah Kerk eintreten: einen hochgewachsenen Mann, der ihn vom Aussehen her ein wenig an den Schauspieler Christopher Walken erinnerte. In seinen weniger sympathischen Rollen. Kerk, in einen schwarzgrauen Anzug gekleidet, fletschte die Zähne, was wohl ein Lächeln darstellen sollte, und reichte Silbig die Hand. Sein Griff war wie eine Schraubzwinge, so fest und so kalt.
»Es freut mich sehr, dass Sie doch noch erschienen sind«, sagte Kerk und nahm hinter einem Mahagonischreibtisch Platz. Die Heiserkeit seiner Stimme ließ seine Worte fast zu einem Flüstern werden. Mit einer Handbewegung wies er Silbig einen Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches zu. Sein Zähnefletschen wurde breiter.
Silbig setzte sich. Aus irgendeinem Grund war seine Kehle wie ausgedorrt. Er hatte immer noch ein verdammt schlechtes Gefühl bei dieser ganzen Angelegenheit. Mit kaum merklich zitternden Händen öffnete er seinen schmalen Aktenkoffer und zog eine Mappe heraus. Als er zu sprechen begann, merkte er, wie sehr ihm sein trockener Mund dabei Mühe machte.
»Ich habe natürlich alles gründlich gelesen, was Sie unserer Agentur zugeschickt haben …«
»Das habe ich erwartet«, bemerkte Kerk.
»… und ich muss sagen, ich bin nach wie vor nicht vollkommen überzeugt. Allerdings würde ich gerne mit Herrn Thum selbst darüber sprechen; schließlich handelt es sich doch um sein ganz persönliches Projekt. Oder irre ich mich da?«
Kerk musterte ihn mit ausdruckslosem Blick. »Thum ist durch eine unerwartete Entwicklung ein wenig aufgehalten worden. Sobald er eingetroffen ist, führe ich Sie in sein Büro. Er wird alle Einzelheiten mit Ihnen durchsprechen. Bis dahin ist es meine Aufgabe, erst einmal die Grundsätzlichkeiten zu klären. Darf ich fragen, welche Bedenken Sie noch mit sich herumtragen?«
»N-na ja gut …« Silbig stellte fest, dass er begann zu stottern. Die eisige Ausstrahlung, die von Kerk ausging, machte es ihm nicht gerade leichter, seine innere Anspannung zurückzudrängen. »Also, da ist natürlich immer noch der moralische Aspekt, bei dieser ganzen Angelegenheit … Ich meine, wir geben Ihnen dadurch ja auch ein Podium …« Er verhaspelte sich, beschloss, diese Problematik besser zu überspringen, und blätterte fahrig in seiner Mappe herum. »Und dann gibt es in den Aufzeichnungen, die uns bislang vorliegen, auch einige Passagen, die auf Außenstehende etwas unglaubwürdig wirken könnten …«
Jetzt wurden Kerks Gesichtszüge ein klein wenig süffisant. »Als da wären?«
»Na ja, zum Beispiel … hier: Sadomasochistische Exzesse und Lustsklavinnen als unfreiwillige Sexspielzeuge der Wiesbadener Oberschicht? Ich habe ein wenig Schwierigkeiten, daran zu glauben … so wie das hier geschildert wird …«
Kerk pfiff leise durch die Zähne. Silbig fragte sich, ob dieser Laut einen Ausdruck der Missbilligung darstellen sollte, als sich ein weiteres Mal die Tür öffnete. Ein schlankes, sehr attraktives Mädchen, das um die 19 sein mochte, vielleicht jünger, schob ein Teewägelchen hinein. Die wie ein Model wirkende Blonde trug nichts weiter an ihrem Körper als ein schwarzes Halsband und mit einer silbernen Kette verbundene Armmanschetten aus Leder. Silbig konnte seinen Blick kaum von ihr lösen, als sie ihm und Kerk mit unterwürfig geneigtem Kopf den Tee einschenkte. Dann reichte sie jedem der beiden seine Tasse, verabschiedete sich mit einem Knicks und rollte den Wagen wieder nach draußen.
Kerk hatte seinen Gast während dieser kleinen Prozedur amüsiert beobachtet. Jetzt beugte er sich vor, stützte seine Ellbogen auf den Schreibtisch und legte die Handflächen aneinander. Er starrte Silbig fest in die Augen. »Es existiert«, flüsterte er.
Und wieder blitzten seine Zähne.
2
Ronnys Blicke glitten begehrlich über sie, seit sie am Luisenplatz zugestiegen war. Sie trug Sportschuhe, Jeans und ein rostrotes T-Shirt, unter dem sich die jugendlichen Formen ihres offenkundig sportlichen Körpers deutlich erkennbar abzeichneten. In stolzer Haltung stand sie da, mitten im Bus, mit einer Hand locker an einem Geländer in Hüfthöhe, den Kopf selbstbewusst erhoben, anscheinend eine Tochter besseren Hauses. Dieses Mädchen würde gut in seine Sammlung passen. Ronny spürte, wie sein Blut bei dem Gedanken in Wallung geriet, dieses Selbstbewusstsein zu brechen. Das war derjenige Teil seines Jobs, der ihn jedes Mal am stärksten mit prickelnder Energie erfüllte.
Er sah kurz zu seinem Kumpel Murat hinüber, der ihm gegenüber hockte, und wies dann mit einer kaum merklichen Kopfbewegung auf das Mädchen. Ebenso verhalten nickte Murat und zeigte damit, dass er verstanden hatte.
Ronny schloss die Augen, um durch sein ständiges Anstarren die Kleine nicht unversehens in eine latente Alarmbereitschaft zu versetzen. Je unerwarteter Murat zuschlagen konnte, desto bessere Erfolgschancen würde er haben.
Der Bus zuckelte jetzt am Kurhaus vorbei. Ronnys Gedanken, einmal wieder auf den Bahnen der Lust gelandet, wanderten zurück zur letzten Nacht und seinem Abschied an diesem Morgen. Julia hatte noch nackt und mit verträumtem Blick in die Laken gehüllt dagelegen, während er sich bereits sein Shirt überstreifte.
»Der große Gott Pan ist wieder am Leben«, flüsterte sie und sah anerkennend zu ihm empor.
Ronny grinste. »Und er dankt dir voller Gnade für das Opfer, das du ihm entgegengebracht hast«, erwiderte er in leicht ironischem Tonfall.
Sie kam halb auf die Knie, stützte sich auf einen Arm. »Musst du wirklich schon los?« fragte sie fast bettelnd.
»Ich fürchte, dein alter Herr lässt mich mal wieder nicht zur Ruhe kommen.« Er lächelte sie an.
Sie reagierte mit einem Schmollmund. »Und es ist natürlich eine furchtbare Belastung für dich, all diese jungen Dinger zu erziehen und zur Gefügigkeit zu bringen …«, brachte sie in scherzhaftem Tadel vor.
Er beugte sich zu ihr herab. Seine Finger glitten über die Striemen auf ihrem Rücken, und er spürte, wie sie erschauerte. »Zugegeben, viele von ihnen sind ganz schön geil«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Aber nur halb so geil wie du.«
Lachend ließ sie sich zurück in die Laken fallen. »Und das, obwohl ich dir all das freiwillig gebe, was du dir bei denen erst erzwingen musst …«
Murats Fuß stieß gegen seinen, riss Ronny aus seinen Gedanken. Aber das machte nichts; es waren nur noch zwei Haltestellen, wie er sah. Ronny zog sein Handy aus der Tasche seiner Weste, schnickte es auf und wählte eine Nummer. »Hi, Corinna, ich bin’s«, sagte er ein paar Sekunden später. »Ich will dich in einer Viertelstunde bei mir sehen.« Er lauschte. Als er seine Stimme wieder erhob, klang sie etwas genervt. »Es interessiert mich überhaupt nicht, ob deine Hausarbeit morgen Abgabe hat oder nicht, Prinzessin. Du kennst die Regeln. Ich entscheide, wann und wo und wie du lutschst oder fickst. Kannst froh sein, wenn ich dich nicht die ganze Nacht bei mir behalte. Wenn deine Arbeit platzt, musst du eben ein Semester wiederholen – was glaubst du wohl, wie sehr mich das kümmert? Ach ja, du besuchst mich in den Klamotten, die ich dafür ausgewählt habe.«
An der nächsten Haltestelle stieg er aus. Seine neue Beute blieb noch im Bus, also auch Murat. Ronny legte die paar Meter zu seiner Mietswohnung zurück, hier im Nobelviertel im Norden der Stadt. Drinnen schenkte er sich ein »Black Hawk« ein und blätterte flüchtig durch den »Kurier«. Einige Minuten später klingelte es.
Er öffnete. Draußen stand Corinna. Ihre Brust hob und senkte sich, das Mädchen musste sehr schnell gegangen sein, ihr Gesicht war leicht gerötet. Am Körper trug sie ein eng anliegendes Shirt, das dicht unter den Brustwarzen abgeschnitten war und auf dem in fetten Lettern ICH SCHLUCKE GERN! prangte, außerdem einen Rock, der noch ein gutes Stück kürzer war als das Shirt. Ronny erinnerte das an seinen Plan, einmal mit ihr in dieser Aufmachung durch die belebte Fußgängerzone zu schlendern und sich dabei an ihrer Scham zu weiden. Von der leichten Arroganz, die dieses Mädel bei ihrer ersten Begegnung miteinander ausgestrahlt hatte, war nicht das Geringste mehr übrig geblieben.
In der Tat: Der große Gott Pan lebte wieder!
3
Ronny grinste. Wie leicht es doch immer wieder war, seit sie erst einmal ihr gemeinsames Konzept auf die Beine gebracht hatten! Um die tatsächlichen »Rekrutierungen« der Sklavenmädchen kümmerte sich Murat. Er hatte ein Händchen für so was, wirkte charmant, männlich, selbstsicher, unaufdringlich. Auf diese Weise gelangte er in ihre Nähe und konnte seine Eroberung zu Ende bringen, bevor die betreffenden Frauen Lunte witterten. Aber er, Ronny, war als die rechte Hand des Wiesbadener Paten für die Auswahl zuständig. Wo Murat das Händchen hatte, hatte Ronny den Blick. So wie eben bei der Kleinen im Bus.
Corinna allerdings hatten sie nicht auf einem ihrer Streifzüge durch die City von Wiesbaden entdeckt. Sondern beim Durchwühlen der Kontaktmärkte im Internet. Das war sogar noch einfacher. Man streifte durch die verschiedenen Kontaktbörsen, ließ sich alle weiblichen Singles anzeigen, die auch ein Foto von sich eingestellt hatten, widmete auch benachbarten Städten wie Taunusstein oder Mainz mal einen Seitenblick, und mit den Attraktiven nahm man dann Kontakt auf. Wenn man den Bogen heraus hatte, die richtigen Knöpfe zu drücken, kam es schnell zum ersten Treffen. So wie bei Corinna.
Braungebrannt und keck hatte sie sich auf ihrem Porträtfoto präsentiert. Und entsprechend forsch war sie aufgetreten: »Eines vorab, liebe Herren: Gebt euch bitte etwas Mühe! Auf ›Hallo wie geht’s‹ und solche gedankenlosen Standardsprüche reagiere ich nämlich grundsätzlich nicht mehr. Gebraucht euren Grips, wenn ihr etwas erreichen wollt! Ach ja: Verschont mich bitte mit Nachrichten, in denen ihr beschreibt, wie toll ich aussehe. Das ist nicht sehr einfallsreich.«
Das war eine Herausforderung, wie Ronny sie liebte. Es juckte ihm nicht nur in den Fingern, diesem Mädel die Erkenntnis beizubringen, dass auch sie nichts weiter als ein beliebig benutzbares Fötzchen war.
Und jetzt stand sie vor ihm, zitternd, bloßgestellt. Er ließ sie in die Wohnung treten und schloss die Tür hinter ihr. »Okay«, sagte er. »Warum bist du hier?«
»Ich … ich möchte gern Ihren Schwanz lutschen«, stammelte Corinna. »Oder vielleicht möchten Sie mich übers Knie legen und mir den Hintern versohlen?«
Ronny betrachtete sie einen Moment lang schweigend. »Und worauf wartest du noch?« fragte er dann scharf. »Runter mit den Klamotten, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Ich will einmal kurz in deinen Mund spritzen, das muss reichen.«
Hastig streifte Corinna ihre Kleidung ab, bis sie mit ihrem jungen, schlanken Körper nackt vor Ronny stand. Genüsslich betrachtete er ihren flachen Bauch und die niedlichen birnenförmigen Tittchen. Zum Schluss fiel sie auf die Knie, legte ihre Hände auf ihre Hinterbacken und öffnete gebrauchsfertig den Mund. So wie er es ihr beigebracht hatte.
Ronny ging ins angrenzende Zimmer und durchkämmte seinen CD-Ständer. Nach einigem Überlegen entschied er sich für die neue Coldplay und legte sie ein. Gemächlich schlurfte er zu Corinna zurück. Die kniete immer noch mit weit geöffnetem Mund auf dem Teppich. Ein wenig Speichel trat ihr über die Lippen.
»Na, kannst es wohl kaum mehr erwarten, dass du schon zu sabbern anfängst.« Er trat dicht vor sie. Corinna öffnete seine Hose, nahm seinen Schwanz in den Mund und begann zu lutschen und zu lecken wie der gut trainierte Profi, der sie war. Wenige Minuten später ergoss sich Ronny in sie. Er zog seinen Schwanz aus Corinnas Mund und benutzte ihr Haar, um sich das letzte Sperma abzuwischen.
»Gelernt ist gelernt, nicht wahr?« sagte er feixend.
Sie nickte ergeben. »Danke, Herr. Das war sehr schön. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
Ronny überlegte. »Wenn ich mich hier so umschaue … Wann hast du dich eigentlich das letzte Mal um meine Wohnung gekümmert? Hier müsste dringend mal wieder aufgewischt werden. Und gespült. Das Bad und die Toilette wären auch mal wieder dran.«
»Soll ich das jetzt für Sie erledigen, Herr?«
»Was dachtest du denn? Du weißt ja, wo alles steht.« Er schnappte sich den »Kurier« und warf sich damit auf die Couch, während Corinna sich an die Arbeit machte. Minuten später kroch sie auf allen vieren und mit entzückend hochgerecktem Arsch auf dem Boden herum, tauchte immer wieder den Putzlappen in einen Eimer mit heißem Wasser und scheuerte angestrengt den Boden. Ronny empfand diesen Anblick als geil genug, dass sein Schwanz schon Minuten später erneut hart wie Stahl geworden war. Wie sie da splitternackt und unterwürfig herumkroch und schuftete, seine kleine Sklavin …
»Alles picobello«, ermahnte er sie. »Da fällt mir ein, um meine Wäsche müsstest du dich nachher auch noch kümmern. Die Maschine kriegt nicht alles raus, das muss man wohl mit der Hand machen.«
»Gern, Herr«, erwiderte Corinna. Das nassgeschwitzte, spermaverklebte Haar fiel ihr in die Stirn. Ein paar Minuten später kroch sie mit dem Putzeimer weiter ins Bad.
Es klingelte erneut. Ronny runzelte die Stirn. Er erwartete keinen Besuch und hatte auch nicht vor, jemanden hereinzulassen, solange sich das Fötzchen bei ihm befand. Zwar war er sicher, sie fest im Griff zu haben, aber bei Frauen wusste man nie: Eine unüberlegte panische Augenblicksreaktion konnte unter Umständen schon reichen, um ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Zuviel Vorsicht war allemal besser als das Risiko einzugehen, dass ihr ganzes Gebäude in Trümmer fiel, weil unerwartet ein einziger tragender Stein herausgehauen wurde.
Also spähte er durch den Spion seiner Eingangstür – und unterdrückte vor Überraschung fast einen Fluch. Im Hausflur stand Martin Thum: Julias Vater, und der Pate der Stadt. Eine machtvolle Gestalt, breit, massig und mit einem zerfurchten Gesicht, das verriet, dass er schon so einige Metzeleien überstanden hatte. Der Brioni-Anzug, den Thum schon getragen hatte, bevor es durch Kanzler Schröder besonders schick geworden war, verlieh ihm zusätzlich Statur. An seiner Seite befand sich, wie immer, sein muskulöser Leibwächter Bruno, der ihn um anderthalb Köpfe überragte.
Ronny war klar: Wenn Thum bei ihm klingelte, dann musste er aufmachen. Sein Wort war in der Wiesbadener Unterwelt Gesetz. Und Ronny als seine rechte Hand hatte ihm ohnehin zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung zu stehen – und wurde dafür reich belohnt. Nicht nur in monetärer Hinsicht.
Ronny fragte sich, was Thum wohl von ihm wollte, während er bereits die Tür öffnete. Warum hatte er sein Kommen nicht angekündigt? Gab es Probleme? Seit einiger Zeit war von kleinen Reibereien mit den Russen aus Klarenthal zu hören; möglicherweise musste hier endlich einmal von oberster Stelle eingegriffen werden.
»Martin«, begrüßte Ronny seinen Besucher und nickte auch kurz Bruno zu. »Na das ist ja eine Überraschung! Was führt …«
Im nächsten Moment explodierte Brunos Faust in Ronnys Fresse.
4
Ronny wurde durch die Wucht des Schlages zurück in die Wohnung geschleudert. Blut schoss aus seiner Nase. Durch seinen Schädel bohrte sich eine Lanze aus Schmerz. Die nächsten Minuten waren ein Flash unzusammenhängender, zerstückelter Ereignisse.
Er sah, wie die Tür hinter dem Paten ins Schloss fiel.
Brunos Faust raste erneut auf ihn zu. Wühlte sich in Ronnys Magen, traf ihn so hart, dass es sich anfühlte, als jagte er hinauf in seinen Rachen. Ronny versuchte verzweifelt, nach Luft zu schnappen, aber es gelang ihm nicht.
Plötzlich war Thums Gesicht dicht vor seinem. Er brüllte ihn an. Speicheltropfen trafen seine Wangen.
Ronny verstand nicht ganz, was er überhaupt sagte. Eine Flut von ordinären Beschimpfungen prasselte auf ihn herab. Dazwischen schrie Thum etwas von seiner Tochter, seiner »Prinzessin«, was Ronny mit ihr angestellt habe, wie könne er es wagen.
»WIE EINEN SOHN HABE ICH DICH IN MEINEM HAUSE AUFGENOMMEN … WIE EINEN GOTTVERFICKTEN SOHN!!«
Dann packte Thum ihn am Kragen und hämmerte Ronny mit dem Hinterkopf gegen die nächste Wand.
Ronny wollte etwas sagen, wollte fragen, was überhaupt los war, aber er rang immer noch nach Luft. Im nächsten Moment schon hielt Thum ihm die Fotos unter die Nase. Schwarzweiß-Polaroids. Darauf: Julia in Leder mit freier Möse. Julia angekettet. Julia auf Knien, unterwürfig zu ihm hinaufblickend. Ronnys Griff in Julias Haar, ihren Kopf nach hinten zerrend, seinen steifen Schwanz dicht vor ihrem Gesicht. Und so weiter.
»DU BEHANDELST MEIN MÄDCHEN WIE EINE VON DEINEN HUREN! DU HAST SIE ZU DEINER SCHLAMPE GEMACHT!!«
Thum trat zurück. Ronny sackte nach vorne. Lief damit unweigerlich in Brunos nächsten Schlag. Der sein Kinn traf und ihn wieder nach hinten schleuderte.
»HAB ICH DIR NICHT GESAGT, DU SOLLST DEINE PFOTEN VON MEINEM MÄDCHEN LASSEN?«
Ronny rutschte an der Wand herab zu Boden.
»HAB ICH DIR DAS NICHT GESAGT?«
Thum holte zu einem Tritt aus und jagte seinen Fuß in Ronnys Seite. Dann noch einmal und wieder und wieder. Der große Mann war außer sich vor Wut. Loderte geradezu vor heiligem Zorn. Ronny glaubte, eine Rippe knacken zu hören. Mein Gott, dämmerte es ihm in diesem Augenblick zum ersten Mal: Thum würde ihn umbringen!
Wo zur Hölle steckte eigentlich Corinna?
5
Frank Silbig war wieder allein. Kerk hatte ihn mit einigen freundlichen, aber zugleich inhaltsleeren Worten vertröstet und ihm zu verstehen gegeben, dass das Warten sich lohnen würde. Wobei das nackte Mädchen offenbar eine Art Köder dargestellt hatte. Ein Köder, der funktioniert hatte, wie Silbig innerlich zugab.
Es war inzwischen nicht nur reine Neugierde, die ihn dazu bewog zu bleiben.
Silbig versuchte, seine herumrasenden Gedanken abzulenken, indem er sich in ein herumliegendes »ef-Magazin« vertiefte, offenkundig eine Zeitschrift für Libertäre und Neoliberale. Gerade hatte ein Artikel Naomi Braun-Ferenczis über die Zwangsprostitution seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als Silbig durch ein Klopfen an der Tür schon wieder aufgeschreckt wurde. »Ja bitte?« fragte er und sah auf. Ein weiteres Mädchen trat ein, bekleidet diesmal, wenn auch nur mit engen, knappen Shorts und einer praktisch durchsichtigen Bluse. »Martin Thum«, flüsterte sie.
Dann trat er in den Raum. Es wirkte, als würde er das Zimmer allein durch seine Gegenwart augenblicklich in Besitz nehmen. Ihm folgte ein hochgewachsener Mann mit einer Schlägervisage.
»Thum«, stellte er sich vor, reichte Silbig seine fleischige Hand, drückte ebenso kurz wie fest zu. »Sorry, ich wurde aufgehalten. Was Geschäftliches.« Eine rasche Kopfbewegung in Richtung seines Begleiters: »Das ist Bruno. Meine Rechtsabteilung.«
»Herr Thum. Bruno.« Silbig neigte zur Begrüßung den Kopf und lächelte. Die beiden Männer blieben ernst. Thum führte seinen Gast zurück an den Schreibtisch.
Silbig wusste nicht ganz, wie er beginnen sollte. Wie eröffnete man das Gespräch mit einem Mafioso? »Hallo, wie geht es Ihnen? Jemand Interessantes erschossen heute?« Angestrengt suchte er nach den richtigen Worten, während er sich bemühte, nach außen hin locker zu wirken.
Glücklicherweise nahm ihn Thum die Mühe eines Vorgeplänkels auf sehr direkte Art ab. »Sie wissen, weshalb ich Sie habe hierher kommen lassen?« begann er ohne Umschweife. Er schien nicht gerade in bester Laune zu sein.
»Im Groben ja. Ich habe gerade auch noch einmal mit Ihrem Mitarbeiter, Herrn Kerk, gesprochen. Sie möchten, dass wir uns um ein Buchmanuskript von Ihnen kümmern.«
»Genau, ja. Ghostwriting, lektorieren, verlagsfertig machen, den großen Verlagen anbieten. Was Ihre Agentur eben so tut. Alles auf der Grundlage von meinen Vorgaben natürlich.«
Silbig hatte seine Akten wieder aus dem Koffer gezogen. »Da haben wir es ja … Und der Titel soll tatsächlich …?«
»›Über das Verrecken‹, genau.«
Silbig hüstelte. »Das ist ein bisschen ungewöhnlich. Den einen oder anderen Verleger könnte diese Deutlichkeit vielleicht abschrecken.«
Thum schnaubte. »Das wäre in dieser Branche das erste Mal. Außerdem beschreibt der Titel am deutlichsten, worum es in meinem Buch geht.«
Silbig begann zu blättern. »Und das wäre Ihre Rolle …«
»… im Wiesbadener Geschäftsleben. Genau, ja.«
»Das ist …« – Silbig rang nach den richtigen Worten – »… in einigen Geschäftsbereichen natürlich auch eine etwas delikate Angelegenheit.«
Ein missmutiges Grunzen. »Hören Sie mal, ja? Ich war und bin mit allem, was ich mache, sehr erfolgreich. Das ist es, was hier zählt. Der Markt kennt keine Moral, keine Unterscheidung in gesellschaftlich wertvoll oder schädlich. Er kennt nur Angebot und Nachfrage, Gewinner und Verlierer. Eigenverantwortung und Wettbewerb – das ist es, was zählt!«
Silbig schluckte. Wie sollte er dem Mafiapaten von Wiesbaden diplomatisch beibringen, dass er modernen Sklavenhandel und brutale Gewalt gegen Menschen irgendwie problematisch fand? »Sie bringen Leute um«, wandte er schließlich schüchtern ein. Er hoffte, dass das nicht allzu vorwurfsvoll oder naseweis klang.
Thum verdrehte die Augen. Er wirkte wie jemand, der sich gerade fragte, wie er diesem Jüngelchen diplomatisch beibringen sollte, dass hier in Wiesbaden die Uhren etwas anders tickten als im Rest des Landes. »Haben sie schon mal etwas von ›Survival of the fittest‹ gehört? Das Überleben der Tüchtigsten? Das Kroppzeug wird ausgejätet, und zum Schluss hat man eine Gesellschaft von Menschen, die wirklich in der Lage sind, sich zu behaupten und die Welt voranzubringen. Ich versichere Ihnen, es hat, seit ich hier in Wiesbaden etwas zu sagen habe, kein einziges Mal Fälle von unnötiger Gewalt gegeben. Wenn wir in dieser Hinsicht aktiv wurden, dann nur, wenn wir uns zur Wehr setzen mussten, wenn es Profit brachte, oder wenn uns jemand dabei im Wege stand. In solchen Fällen wird er natürlich weggeputzt, das ist klar.«
Silbig rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. »Verstehen Sie meine Einwände bitte nicht als Kritik. Aber es ist ja auch so, dass wir, also wenn wir das Manuskript anbieten, müssen wir uns ja auf Einwände, die zu erwarten sind, da müssen wir uns schon irgendwie drauf vorbereiten. Viele deutsche Verlage beurteilen Morde, Schutzgelderpressungen und Drogengeschäfte immer noch ein bisschen ungnädig. Dann heißt es oft schnell: Das ist gegen das Gesetz … Oder wir fangen uns die Kritik ein, wir würden mit diesem Titel PR für eine kriminelle Vereinigung betreiben.«
»Und das ist genau der Zahn, den wir den Leuten mit diesem Buch ziehen wollen!« Thum schlug mit der Pranke auf seinen Schreibtisch. »Das ist ein völlig falscher Blickwinkel! Der Grundirrtum ist, dass der Staat sich immer noch in das reinhängen will, was eigentlich Sache der Wirtschaft wäre. Wir sind keine kriminelle Vereinigung. Wir akzeptieren nur einfach diese ständige Einmischung nicht. Wir sind autark! Und als autonome, außerstaatliche Gesellschaftsform haben wir natürlich unsere eigenen Regeln, die andernfalls der Staat übernehmen würde. Sie sagen: Wir bringen Leute um. Das ist nichts anderes als unsere Form der Todesstrafe. Würden Sie die USA als eine kriminelle Vereinigung bezeichnen?« Er sprach jetzt schneller, redete sich ein wenig in Rage. »Wir handeln mit Drogen, sagen Sie. Was ist mit der staatlichen Tabaksteuer? Wir wollen eine finanzielle Entlohnung dafür haben, dass von uns betreute Einzelhändler in Ruhe ihrem Geschäft nachgehen können, dass ihnen nichts passiert – auch nicht durch Leute, die mit unserer Organisation gar nichts zu tun haben. Das nennen Sie Schutzgelderpressung. Und wir haben unser Schweigegebot, die Omerta, das ist unsere Form des Datenschutzes. Aber wir nutzen auch der Gesamtgesellschaft. Etliche Menschen, die auf dem offiziellen Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben, kommen bei uns unter, bis hin zu hoch ausgebildetem Fachpersonal. Chemiker, Chemiefacharbeiter, Apotheker und Pharmazeuten, die sonst auf der Straße säßen, werden von uns engagiert, um neue Genuss- und Aufputschmittel zu erzeugen. Den Gewinn, den wir damit machen, lassen wir auf einem Weg, den unsere Kritiker Geldwäsche nennen, wieder in die Wirtschaft fließen, gründen kleine Unternehmen, bauen sie aus, kurbeln so den allgemeinen Wohlstand an. Das wird vom Durchschnittsbürger bis jetzt alles noch gar nicht gesehen! Aber genau darum geht es mir! Jeder darf uns kritisieren, natürlich, das ist ein freies Land. Aber viele Leute hacken auf uns herum, die zu anderen, ebenso üblen Zuständen die Klappe halten. Und unser Standpunkt kommt in den Medien so gut wie überhaupt nicht vor! Ich möchte, dass wir das ändern. Ich will, dass wir all diese Fakten in unserem Buch rüberbringen.«
Silbig wusste einen Moment lang nicht, was er erwidern sollte.
»Falls Sie mit im Boot sind«, ergänzte Thum. »Aber deswegen sprechen wir ja gerade miteinander. Soll ich Ihnen sonst noch irgend etwas erklären?« Er warf einen missmutigen Blick auf seine Uhr. »Oder haben Sie sich schon entschieden? Kann ich auf Ihre Unterstützung zählen?«
6
Mit schmerzverzerrtem Gesicht betastete Ronny seine Nase. Immerhin schien sie nicht gebrochen zu sein. Auch seine Rippe war noch heil. Er wusste nicht, ob Thum das beabsichtigt hatte oder nicht. Sicher war, dass der Alte ihn fertig machen wollte.
Zum Schluss hatte Ronny zusammengekrümmt auf dem Boden gelegen, ein einzelnes, bewegungsunfähiges Bündel Schmerz, nur noch zu einem flachen, keuchenden Atmen in der Lage. Über ihm türmte sich die massige Gestalt des Paten. Thum ließ die Fotos von Ronny und Julia auf ihn herabregnen und teilte ihm mit, dass er 24 Stunden Zeit hatte, die Stadt zu verlassen. Ein letztes Treffen mit Julia kam ausdrücklich nicht in Frage. Andernfalls würde Ronny noch diese Woche in Wiesbaden sein Grab finden.
Dann zog Thum ab, mit Bruno im Schlepptau. Die Tür krachte ins Schloss. Ronny blieb zusammengekrümmt liegen. Etwas später hörte er tappende Schritte von bloßen Füßen. Die nackte Schlampe, an deren Namen er sich gerade nicht erinnerte, tauchte in seinem Blickfeld auf. Sie hatte ihre Hände jetzt doch vor ihren Körper geschlagen, blickte Ronny entsetzt an. Er war noch immer nur zu einem rasselnden Atmen in der Lage. Schließlich streifte sie hurtig ihre wenigen Klamotten über und huschte davon.
Er hatte offenbar nicht erwarten können, dass sie ihn verarztete.
Miststück.
Nach einer Weile schaffte es Ronny, ausreichend Kräfte zu sammeln, um sich in die Höhe zu stemmen. Gottlob waren es bis zur Couch nur ein paar Schritte. Dort hinein ließ er sich wieder fallen. Immerhin lag es sich hier bequemer als auf dem kalten Fußboden. Seine Zunge fuhr über die angeschwollene Lippe.
Sobald er sich von dem Schock halbwegs erholt hatte, begannen seine Gedanken zu rasen.
War das denn möglich, was gerade passiert war? Offenbar ja. Gab es noch eine Möglichkeit, sich mit Thum wieder zu verständigen? Offenbar nicht. Aber das durfte doch nicht wahr sein! Was für verfluchte Fotos waren das eigentlich, und wie waren sie in Thums Hände gelangt? 24 Stunden! Das war doch ein Unding! Er konnte doch nicht von jetzt auf gleich seine Zelte hier in der Stadt abbrechen. Nicht, nachdem er es so weit geschafft hatte!
Wiesbaden hatte immer schon eine große Faszination auf ihn ausgeübt, schon als er noch ein Teenager gewesen war. Ronny war etwa 30 Kilometer von der Stadt entfernt in der Gemeinde Heidenrod groß geworden – ein wahrhaft sprechender Name. Das Christentum hatte sich dort niemals ganz durchsetzen können, und gerade zur Jahrtausendwende feierten hier neuheidnische Kulte ihre Wiedererweckung. Ronny schloss sich ihnen an, lernte die Jahresfeiern ebenso kennen wie die Sexualrituale, denen er bald sein besonderes Interesse widmete. Woraufhin ihn eines Nachts sein Kumpel Norbert darauf ansprach, ob Ronny seine Begierden nicht einmal auf etwas professionellere Weise ausleben wolle. Er kenne da jemanden in Wiesbaden, der könne einen wie Ronny in seinen Reihen gerade gut gebrauchen.
Ronnys Herz schlug augenblicklich schneller, als er den Namen dieser Stadt hörte. Wiesbaden! Kaum zu glauben, welche Assoziationsflut allein dieser Name in seinem Kopf auslöste. Nizza des Nordens! Luxus und Sünde in einem! Die deutsche Stadt mit dem höchsten Anteil an Millionären, aber zugleich Hochburg und Drehscheibe des internationalen Verbrechens. Der Frankfurter Flughafen war nicht weit, und nicht umsonst hatte auch das BKA gerade in Wiesbaden seinen Sitz bezogen. Gewaltige Chancen zu Macht und Reichtum. Aber auch: moderner Sklavenhandel, Zwangsprostitution, Menschenverachtung, Gewalt. Hier hatte Roland Koch seine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft begonnen. Und der letzte Politiker, der in Wiesbaden Recht und Ordnung verkörpert hatte, war ausgerechnet Manfred Kanther gewesen. Diese Stadt war ein Sumpf. Und versprach jedem, der bereit war, seine Skrupel zu vergessen, doch den Weg zu unvorstellbarer Macht.
Also machte sich Ronny auf den Weg. Nicht ohne Bedacht hatte er sich den Abend des 30. April für seine Ankunft gewählt: Im heidnischen Kalender entsprach das Beltane – Fruchtbarkeitsfest, Zeit des Chaos, des Sex, der ungezügelten Energie, der Stärke und Reife. Welcher Tag, wenn nicht dieser! Die uralten Symbole und Stationen im Jahreslauf waren wichtiger, als manch einer heute dachte.
Als Ronny aus den Hallen des trutzigen Hauptbahnhofes trat, fiel sein Blick als erstes auf das gewaltige dreieckige Delta-Gebäude, das direkt daneben mit seinen spiegelnden Fassaden über den Dächern der Stadt thronte. Große Athene, Göttin der Städte, durchfuhr es Ronny, was musste das für ein Gefühl sein, dort oben ein Büro zu besitzen und all die Menschen, die hier wimmelten, wie Ameisen zu seinen Füßen zu haben!
»Ich will so hoch hinaufsteigen, dass ich, wenn ich scheiße, niemanden verfehle.« Das war schon immer Ronnys Credo gewesen, wenn auch zunächst nur insgeheim. (In Bewerbungsschreiben, die er an mögliche Arbeitgeber in der nächsten Kreisstadt Bad Schwalbach versandt hatte, hätte dieser Satz immer etwas deplatziert ausgesehen.) Jetzt sah er zum ersten Mal seine Chance gekommen. Er wusste nicht einmal genau warum, aber irgendwie war es, als ob Wiesbaden mit all seinen Möglichkeiten als ein einziges Versprechen auf ihn wartete.
Und so wandelte er zum allerersten Mal über die Straßen, von denen es hieß, dass sie mit Sperma und Blut geteert waren, und er durchstreifte die Häuserschluchten, in denen immer noch Frauenschreie vergangener Jahre nachzugellen schienen.
In den Wochen darauf machte ihn Norbert näher mit den Gegebenheiten des Molochs vertraut, bläute ihm insbesondere ein, welche Zonen zum Hoheitsbereich welcher Banden gehörten. Etwas, das in Wiesbaden nicht gerade übersichtlich gegliedert war. »Mit meinem roten Jaguar muss ich verdammt aufpassen, nicht falsch abzubiegen«, erklärte Norbert. »In manchen Vierteln verneigen sie sich vor dir. In anderen schlagen dir die Jugos die Fresse ein.« Ronny erfuhr, dass das Westend ein Zuhause für Menschen aus über 50 Ländern darstellte, wobei die Türken die Hoheit besaßen. Der Einfluss des kriminellen Teils dieser bunten Mischung reichte über die Mauritiusstraße und die Citygalerie bis in die Fußgängerzone. Klarenthal hingegen wurde von den Russen kontrolliert, der Schiersteiner Hafen von Malaien, den Wiesbadener Drogenhandel beherrschten die Marokkaner. Im Parkcafé und im Europalace konnte man am besten weibliches Fickfleisch aufgreifen, wobei letzteres Etablissement seit diversen Schlägereien, Raubüberfällen, einer behaupteten Vergewaltigung und einer tödlichen Messerstecherei zwischen einem US-Soldaten und einem Italiener etwas viel unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Falls man mehr auf Knaben und junge Männer stand, boten die Reisinger-Anlagen am Hauptbahnhof eine breite Palette zwischen 13 und 18 Jahren. Ronny lernte, welche Internetcafés der Geldwäsche dienten und in welchen Fitnessstudios man am besten Nachwuchs rekrutierte. Er erfuhr, dass man nirgendwo einfacher Autos knacken konnte als nachts auf dem extrem schlecht beleuchteten Park&Ride-Parkplatz auf der Mainzer Straße, und er bekam die Stellen des Rheins gezeigt, wo sich bestimmter Schleusen wegen starke Strudel bildeten, die unerbittlich alles und jeden in die Tiefe zogen. Natürlich führte Norbert Ronny auch an die diversen heidnischen Begegnungsstätten, auf denen Wiesbaden letztlich errichtet worden war, von der Blutlinde von Frauenstein bis zu dem versteckten Opferplatz im Schatten der russisch-griechischen Kapelle am Neroberg.
In den Jahren danach arbeitete sich Ronny in der Wiesbadener Unterwelt nach oben. Er lernte, wie man die Mädchen besorgte, sie gefügig machte und abrichtete. Wegen seiner sexuellen Aggressivität und seiner heidnischen Orientierung hatte er bald den Namen des ständig lüsternen Waldgottes Pan als Ehrentitel erhalten. Norbert wurde das Treiben in Wiesbaden irgendwann zu heiß, und er setzte sich ab in das vergleichsweise beschauliche Frankfurt. Ronny stieg in der Hierarchie auf und gewann Murat als Kumpel und Gefolgsmann in einem. Schließlich erweckte Ronny das Interesse Thums, des Paten, der sich mit ihm verabredete – im Restaurant des Wiesbadener Nobelhotels »Schwarzer Bock«. Ronny musste innerlich grinsen, als er dort an einem der edel gedeckten Tische Platz nahm, zwischen den Bildern modernster Kunst und einem Blick auf den efeudurchrankten Innenhof. Der »Schwarze Bock«: Wie viel deutlicher als durch diesen Namen für jenen Ort, an dem die wahren Herren der Stadt speisten, fernab von Rathaus und Landtag, hätte man es noch machen können, welche Sicht der Dinge in Wiesbaden tatsächlich immer noch dominierte? Der »Schwarze Bock« war natürlich nichts anderes als eine Anspielung auf jenen bockbeinigen Gott Pan, Verkörperung von sexueller Gier und Boshaftigkeit zugleich, den die christliche Kirche als Vorlage für ihre Teufelsvorstellung genommen hatte, um damit das Heidentum als Verkörperung des Bösen zu brandmarken und es so zu unterdrücken, wenn nicht ganz zu vernichten. Aber im Untergrund lebte es immer noch, eroberte sich auf uneinsehbaren Pfaden Macht und Einfluss zurück und verlangte noch immer seine Opfer.
Es war wie bei der menschlichen Seele: Was einer gewaltsam ins Unterbewusstsein verdrängte, um es nicht mehr wahrzunehmen, hatte seine Macht dadurch keineswegs verloren. Vielleicht war es sogar noch mächtiger geworden, indem es sich jedem bewussten Einfluss entzog und jetzt aus dem Geheimen wirkte, sich an unerwarteten Stellen zu Wort meldete. Die meisten Wiesbadener, das merkte Ronny schnell, wussten nichts von dem jahrtausendealten Erbe ihrer Stadt. Die offizielle Geschichtsschreibung begann erst mit der Römerzeit. Davor aber hatte man auf andere Weise gebetet. Etwa zu Sirona, der keltischen Göttin der Unterwelt. Heute trug ein Wiesbadener Frauengesundheitszentrum diesen Namen. Seine Flyer lagen in den unterschiedlichsten städtischen Einrichtungen aus, bis hin zur Landesbibliothek, aber kaum einer, der diesen Namen las, wusste, was es damit auf sich hatte.
In eben jener Landesbibliothek, einem beeindruckenden Gebäude, das vielleicht noch am ehesten Zugang zu den vergessenen Zeiten gewährte, erkundete Ronny an einem freien Abend die Wiesbadener Stadtgeschichte ein wenig näher. Amüsiert las er, dass schon im Mittelalter manche Mönche vor den Wassern der Kurstadt gewarnt hatten – denn dort gab es die Bademädchen, Expertinnen in Sachen »Tanz, Massieren und besondere Kräutermischungen«, wie es hieß. Die Bäder von Wiesbaden, so bekundeten christliche Würdenträger, seien »Fest des Bauches, öffentliches Haus der Venus, Spielwerk des Teufels«. Anständige Frauen, die diese aufsuchten, kehrten als »Teufelsweiber« zurück, sobald sie einmal von den wallenden Dämpfen in eine Laune gebracht worden waren, die sie glauben ließ, sie befänden sich im irdischen Paradies, und alles um sie herum sei schön.
Ronny musste grinsen, als er das damals gelesen hatte. Sex, Drogen und moralische Korruption … Je mehr sich die Dinge änderten, desto mehr blieben sie doch dieselben. Was diese Mönche wohl gesagt hätten, wenn sie Wiesbaden 600 Jahre später gesehen hätten? Der gleiche Sündenpfuhl, nur unglaublich viel größer, noch verkommener, jetzt Menschen aus aller Herren Länder beherbergend und aus dem Untergrund heraus regiert von einem Menschen namens Martin Thum. Dem geheimen Herren der Bäder.
Und mit diesem Thum hatte sich Ronny damals unterhalten, im »Schwarzen Bock«, über gebeiztem Lachs mit Mango-Chutney und Honigkokos-Mousse mit Erdbeeren. Das Gespräch verlief für beide zur größten Zufriedenheit. Kurze Zeit später stieg Ronny zur rechten Hand des Paten auf. Und beim gemeinsamen Golfspiel lernte er schließlich dessen mörderscharfe Tochter Julia kennen …
Und das alles, diese beispiellose Bilderbuchkarriere, sollte nun mit einem Schlag vorüber sein? Ronny konnte es immer noch nicht fassen! Und je länger er auf seinem Sofa lag und sich von den Prügeln erholte, desto mehr entflammte in ihm der Widerstand, sich das nicht einfach so gefallen zu lassen. Den größten Sündenpfuhl Deutschlands einfach so verlassen, noch dazu vom Hof gejagt wie ein räudiger Hund? Niemals! Aber was konnte er nur tun, gegen die Macht des Paten? Ronny glaubte nicht daran, dass ein klärendes Gespräch noch irgend etwas würde bewirken können. So gut hatte er Thum kennen gelernt: Wenn der Alte einmal eine Entscheidung getroffen hatte, dann blieb er dabei.
Also gab es nur noch einen einzigen Weg.
Ronny griff nach seinem Handy, schnickte es auf und wählte die Nummer von der vielleicht einzigen Frau in dieser Stadt, vor der er Respekt hatte. Chantal, die Stripperin.
7
»Lieber Himmel, wer hat dich denn so zugerichtet?« fragte Chantal. Sie war eine große Frau mit hohen Wangenknochen, grün funkelnden Augen und leicht südländischem Einfluss in ihren Gesichtszügen. Den dunklen Teint ihrer Haut bedeckte eine kobaltblaue elegante Robe, die in den prachtvollen Luxusläden der Wilhelmstraße einiges gekostet haben musste.
Ronny schnaubte. »Du solltest erst mal den Verlierer sehen.«
Sie saß ihm in ihrem Boudoir gegenüber, das für sie Arbeitszimmer und Aufenthaltsraum zugleich war. Ein kleiner Schreibtisch mit dem neuesten, geradezu winzigen iMac von Apple darauf, ein Glastisch, mehrere Designerstühle in hellen Farben, eine einladende, gemütlich aussehende Eckcouch. Darauf räkelte sich Chantal gerade und wirkte wie eine Katze, die sich dem Milchtopf näherte. Sie überging Ronnys Antwort mit einem Lächeln. Er konnte ihr nichts vormachen, natürlich nicht. Chantal durchschaute alles, wusste alles, fand alles heraus, was sie wollte.
»Was führt dich zu mir, Ronny? Was können wir füreinander tun?«
Er sah sie an und versuchte, seine Gedanken unter Kontrolle zu bringen, sich auf den eigentlichen Grund seines Besuches zu konzentrieren. Manchmal war seine unersättliche Begierde ein arger Fluch. »Informationen«, sagte er. »Ich brauche Informationen.«
Ihr Lächeln wurde etwas maliziöser. »Natürlich. Wie immer. Was alle wollen.«
»Du bist darin ja auch sehr gut.«
»Danke.«