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Die Rhetorik der politischen Rechten verschiebt, überschreitet oft die Grenze des Sagbaren; sie widerspricht obendrein dem allgemeinen Konsens unserer Gesellschaft, missachtet ihn ganz bewusst. In ihrer profunden sprachkritischen Studie denkt Heidrun Kämper über diese Sprache und deren Gebrauch nach. Ihre Befunde werden durch Vergleiche mit völkisch-nationalistischen Texten historisch unterfüttert – mit erschreckendem Ergebnis.
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Seitenzahl: 94
Heidrun Deborah Kämper
Wie sie reden und was sie sagen
Reclam
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RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962324
2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2024
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962324-5
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014595-1
www.reclam.de
1 Einleitung – Wer spricht?
2 Sprachmilieus
2.1 Man gibt sich intellektuell
2.2 In der Mitte – bürgerlicher Populismus
2.3 Falschinformation, Verleumdung, Verschwörung – was man gerne glaubt
2.4 Der völkisch-nationalistische Nationalsozialismus – ganz nah
2.5 Schiere Gewalt – (nicht nur) in den sozialen Medien
2.6 Rechtsrock – Vehikel und Katalysator
3 Sprachliches Handeln als toxische Kommunikation
3.1 Menschenfischer – unterstellen, behaupten, Angst schüren
3.2 Wer dabei sein darf – Inklusion und Exklusion
4 Das Parlament als Bühne – Normen, Regeln und Verstöße
4.1 Parlamentarische Hotspots – Zwischenfrage, Zwischenruf, Beifall
4.2 Positionierung – Demokratie und Nazismus
5 Political Correctness – Wozu ist sprachliche Ethik gut?
6 Fazit – Würde der Sprache
Literaturhinweise
Dem folgenden Text werden vermutlich die meisten von uns zustimmen können:
Gegen Antisemitismus und für eine Normalisierung und Heilung der Beziehungen zum jüdischen Volk. […] Für die Vielfalt der Völker und Kulturen und eine multipolare Welt der Freiheit. Für die Gleichwertigkeit und das Lebensrecht aller Völker und Kulturen.
Er scheint auf den ersten Blick von den Prinzipien einer toleranten und liberalen, geschichtsbewussten Gesellschaft bestimmt zu sein: »gegen Antisemitismus«, »für eine Normalisierung und Heilung der Beziehungen zum jüdischen Volk«, »Vielfalt der Völker und Kulturen«, »Gleichwertigkeit und Lebensrecht aller Völker und Kulturen«. Das sind sehr konkrete und kaum zu beanstandende Positionierungen.
Die Formulierung aber, die die Herkunft dieses Textes deutlich macht, ist: »multipolare Welt«. »Multipolar« ist ein Fahnenwort, das eine Grundüberzeugung der Rechten ausdrückt, denn es soll heißen: keine Großmächte, die die Geschicke der ganzen Welt bestimmen, stattdessen eigenständige und selbstbestimmte Nationalstaaten (dieser Text wurde von der Internet-Seite der Identitären Bewegung inzwischen entfernt).
Das Prinzip, das mit dem Terminus Multipolarität so unverfänglich scheint, wird in der »Manifest« genannten Schrift des AfD-Politikers Maximilian Krah (geb. 1977) so klassifiziert:1 Die »politische Entsprechung der kulturellen Partikularität ist die Multipolarität«, sie sei »das Gegenkonzept zum Globalismus«. Der Gegensatz bestünde somit »zwischen einer unipolaren Welt im Sinne des globalisierten Westens samt seinem ›Ende der Geschichte‹ und einer multipolaren Welt verschiedener Großräume«. Diese würden sich »selbst organisieren, regelmäßig durch angestammte Regionalmächte, in die raumfremde Mächte nicht intervenieren dürfen«.
Diese Erklärung lässt in der Verwendung des Ausdrucks Multipolarität leicht eine bestimmte Strategie erkennen, die ich die »Hundepfeifenstrategie« nennen möchte, auf die ich auf S. 23 genauer eingehen will.
Diese beiden Texte machen deutlich: Man kann nicht von einer speziellen Sprache der Rechten sprechen und damit etwa nur die aus dem sogenannten »III. Reich« bekannten Naziwörter meinen. Die sprachlichen Erscheinungsformen (wie die von entsprechenden Gruppierungen wie Querdenkern, Reichsbürgern, Pegida, Verschwörungsgläubigen, Q-Anon-Anhängern oder Selbstverwaltern) sind vielmehr vielfältig und vor allem: Ihre politischen Botschaften lassen sich nicht immer direkt auf der sprachlichen Oberfläche erkennen, abgesehen von den mittlerweile bekannten Vokabeln wie z. B. »Schuldenwahn«, »Lügenpresse«, »Altparteien«, »Klimalüge« oder »Schuldkult«.
Die Forschung zur Sprache der politischen Rechten ist nicht untätig geblieben, viele Aspekte wurden herausgearbeitet. Es ist an der Zeit, die Erkenntnisse aus diesen Arbeiten zusammenzufassen und zu ergänzen.
Dabei muss man sich von Anfang an klarmachen, dass die kategorielle Zuordnung ›politisch rechts‹ problematisch (geworden) ist. Spätestens, seitdem das BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) politische Schnittstellen mit der AfD aufweist, ist die Eindeutigkeit, mit der man früher rechts und links voneinander unterschieden hat, ins Wanken geraten.
Im Folgenden soll mit den Begriffen »rechts« bzw. »Rechte« jedoch weiterhin eine politische Richtung bezeichnet werden, die sich durch folgende Überzeugungen beschreiben lässt: Ungleichheit der Menschen, autoritäres Denken, Vergangenheitsbezogenheit, ethnische Homogenität des Staates, antidemokratische Tendenzen sowie: deutliche Bezüge zu Vokabular und Denkmodellen der NS-Zeit.
Die AfD hat sich in der Parteienlandschaft nicht nur stabilisiert, sondern ihre Zustimmungswerte steigen, entgegen allen Prognosen. Sie hat sich außerdem (nicht nur im Osten) weiter radikalisiert und gilt in Teilen (die Junge Alternative zur Gänze) als gesichert rechtsextrem. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Thüringischen Landtag Björn Höcke (geb. 1972) darf ungestraft als »Faschist« bezeichnet werden. Man denkt über ein Parteiverbot, zumindest über eine Grundrechtsverwirkung nach, und man sichert den Rechtsstaat ab, indem die Bestimmungen zur Arbeitsweise des Verfassungsgerichts im Grundgesetz verankert werden sollen. Dann würde für Änderungen, die das höchste Gericht betreffen, künftig nicht nur eine einfache, sondern eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erforderlich sein.
All diese Entwicklungen geben Anlass, von der Sprache, vom Sprachgebrauch her zu zeigen, dass die AfD (und die Neue Rechte) sich erheblich radikalisiert hat, so dass heute nicht mehr von einer »Grundsympathie für Gewalt als ultima ratio« von »einzelnen Vordenker[n]«2 die Rede sein kann. Die omnipräsente sprachliche Radikalität macht vielmehr deutlich: AfD und Neue Rechte stellen eine grundsätzliche Gefährdung der Demokratie dar.
Der folgende Beitrag verfolgt einen sprachkritischen und zugleich historisch-vergleichenden Ansatz im Zeichen einer Verantwortungsethik. Denn: In Bezug auf den Gegenstand dieses Beitrags ist in meinen Augen die Linguistik im Sinn verantwortungsethischen Handelns aufgefordert, ihren gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Und genau dies umschreibt der Begriff »verantwortungsethisch«. Der Soziologe Max Weber (1864–1920) unterscheidet zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethik:3
Wir müssen uns klarmachen, daß alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ›gesinnungsethisch‹ oder ›verantwortungsethisch‹ orientiert sein. Nicht daß Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede. Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt – religiös geredet: ›Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim‹ – oder unter der verantwortungsethischen: daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.
»[A]lles ethisch orientierte Handeln« meint also auch wissenschaftliches Handeln, wenn etwa Sprachgebrauch, Texte, Diskurse analysiert werden. Und »für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns« aufzukommen meint solches wissenschaftliche Handeln, das mit der Gesellschaft und in der Gesellschaft in Austausch steht: Wenn der Linguistik eine verantwortungsethische Dimension im Sinne Webers zugeschrieben wird, dann ist damit z. B. eine Linguistik gemeint, deren Vertreterinnen und Vertreter mit dem Bewusstsein ihrer Stellung in der Gesellschaft als professionelle Sprachzuständige sprachliche Normverstöße, sprachlich umgesetzte Tabuverstöße und Missachtungen des gesellschaftlichen Wertekonsenses aufzeigen.
Die empirische Grundlage des Beitrags bilden vor allem Grundsatzprogramme, Reden sowie parlamentarische Debattenbeiträge. Auch werden aktuelle Publikationen und Social-Media-Posts hinzugezogen.
Die AfD ist ein sprachliches Chamäleon. Sei es im Grundsatzprogramm von 2021, in Reden, Interviews, Facebook- oder Instagram-Posts – die Rechte spielt auf der Klaviatur der Stile.
Nach Sprachmilieus zu fragen bedeutet: Vokabular und Aussagen in einen Zusammenhang zu bringen mit soziologischen Kriterien, die stilistische Varianten deutlich machen. Wir können fünf Stilvarianten voneinander unterscheiden, die entsprechend unterschiedlichen Sprachmilieus entstammen.
Der bereits erwähnte AfD-Politiker Krah war 2024 Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl. Er veranlasste wegen seiner verharmlosenden Äußerungen in Bezug auf die SS die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen dazu, die Zusammenarbeit mit der AfD im Europaparlament aufzukündigen. Krah führte 2023 aus,4 rechte Politik bemühe sich »um Übereinstimmung mit Tradition und Natur« und erfordere »also keinen übermäßigen geistig-abstrakten Begründungsaufwand«. Anders sei es für die Linke, weil »linke und liberale Ansätze sich ja von Tradition und Natur emanzipieren und damit auf eine abstrakte, rationale, rein geistige – eben: intellektuelle – Begründung angewiesen« seien.
Mit dieser Aussage spricht Krah gerade nicht das intellektuelle Milieu an, um das die Neue Rechte wirbt. Er sucht vielmehr Menschen zu erreichen, die gegenüber Intellektualität Vorbehalte haben, und er benutzt dazu in populistischer Manier gedämpfte, aber sichtbare Intellektuellenschelte.
Dennoch: Die Nähe der Neuen Rechten erfordert eine Einbeziehung eines bestimmten intellektuellen Sprachmilieus, dem sie entstammt, mit einer deutlichen und ausdrücklichen Affinität zur AfD. Mit Organen wie Sezession und Compact und einem Vordenker wie dem Verleger und Rechtsextremisten Götz Kubitschek (geb. 1970) gelingt es ihr anscheinend immer mehr, eine entsprechende eher intellektuell interessierte Klientel anzusprechen.
Der AfD-Funktionär Marc Jongen verwendet eine Sprache, die beispielhaft für das intellektuelle Sprachmilieu ist. Jongen ist Schüler des renommierten Philosophen und Ausrichters des philosophischen Quartetts Peter Sloterdijk (geb. 1947) und bemüht sich anscheinend nachdrücklich um das Prädikat »Parteiphilosoph« (sein Lehrer hat sich indessen von ihm distanziert). Er weist große Nähe zur sogenannten Neuen Rechten, zu den entsprechenden Personen wie Götz Kubitschek und zu ihren Medien wie der Zeitschrift Sezession auf.
Dass ein Philosophiepromovend und Universitätsdozent sich eines gehobenen, fremdwortreichen und abstrakten Sprachstils bedient, kann wenig überraschen. Sprachlich interessant ist indes die Übertragung der AfD-Themen in den intellektuellen Stil. Der Gebrauch der Vokabeln »thymotisch«, »Thymo«, »thymotisiert« liefert gute Beispiele für diese Transformation. Die Beispiele stammen aus einem Interview, in dem es um das Thema Islam bzw. Migration geht. Um den entsprechenden Phänomenen zu begegnen, plädiert Jongen für eine Änderung der Mentalität der Deutschen. In der Aneignung der Gemütsverfassung des Thymos, der Erregtheit und Empörungsbereitschaft, über die Muslime verfügten, sieht er eine Lösung des Problems: Er stellt eine »thymotische Unterversorgung« der deutschen Gesellschaft fest und fordert, die Thymos-Spannung in unserer Gesellschaft zu verschärfen, den deutschen Thymos wieder hochzuregulieren. Er verweist in diesem Zusammenhang auf »thymotisierte Islamisten«, nennt den Islam eine »hochgepushte thymotische Bewegung«. Das spontane Singen der deutschen Nationalhymne sei ein positives Beispiel. Dies »war ein thymotischer Moment«.5
Findet man diesen Stil an anderer Stelle? Auch Maximilian Krah hat sich die Kategorie des Thymos angeeignet.6 Da die »rechte Politik nicht auf eine intellektuelle Begründung angewiesen ist, bleibt politisch rechte Intellektualität oft Stückwerk und gibt sich wenig Mühe«. Das werde zu einer Gefahr, »wenn man es den Linken nachmacht und beginnt, die eigene politische Position nur noch intellektuell zu begründen – ohne zu begreifen, daß rechte Politik gerade nicht nur Ratio ist, sondern eben auch Fühlen, Spüren und Erfahrung«, nämlich (als Abschluss und Höhepunkt seiner Argumentation): »Thymos und Mythos«.
Mit dem wenig gebräuchlichen Fremdwort Thymos wird einem Zustand das Wort geredet, der in Bezug auf ein anderes Milieu mit »Wutbürger« personifiziert werden könnte. Ein Wutbürger ist die typische Sozialfigur für die AfD, das Wutbürgertum schafft ihr die Voraussetzung für ihre Politik der Emotionalisierung, des Schürens von Hass, Angst und Zorn. Dass diese Sozialfigur nicht auf das Milieu der Bildungsfernen und Grundsicherungsempfänger beschränkt sein soll, belegen die angeführten Beispiele.
Die (Neue) Rechte und die AfD hat längst auch die bürgerliche Mitte erreicht.7 Dies ist keine Neuigkeit. Und wenn es heißt, dass die Neue Rechte bzw. die AfD ihren Platz inzwischen durchaus in eben diesem Milieu hat, dann spiegelt sich diese Tatsache natürlich auch im Sprachstil wider. Diesen Sprachstil kennzeichnet ein Vokabular, das in gewisser Weise unauffällig ist, und in Formulierungen, die allgemeinem Standard zu entsprechen scheinen.
Dass die AfD sich von Beginn an um die bürgerliche Mitte bemühte, dokumentieren bereits die ersten Sätze ihres Grundsatzprogramms aus dem Jahr 2016.8 Es beginnt mit einer expliziten Selbstkennzeichnung, die aus Zuschreibungen besteht, die fernab jeglicher politischen Extremität zu sein scheinen: »Wir sind Liberale und Konservative. Wir sind freie Bürger unseres Landes. Wir sind überzeugte Demokraten.«9