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Ein fesselnder u. nervenzerfetzender Kriminalthriller, der die Hintergründe eines schrecklichen Papst-Attentates enthüllt! Der junge römische Polizist Felipe Ventucelli erlebt den Fall seines Lebens, der diesmal sein letzter sein könnte! Völlig überraschend wird ihm die Leitung der Ermittlungen gegen die Papst-Attentäter angeboten. Felipe willigt ein und sieht sich Stück für Stück in ein perfides Intrigenspiel verstrickt, nicht ahnend, dass er nur ein Bauernopfer in den Händen einflussreicher Strippenzieher ist. Felipe nimmt die Ermittlungen auf und bemerkt zu spät, dass er dabei seinen liebsten Vertrauten in den Abgrund reißt. Während sich die Ereignisse überschlagen, ist ihm ein erbarmungloser Killer, der kein Gesicht zu haben scheint, stets einen Schritt voraus. Im folgenden Duell auf Leben und Tod, das sich zu einer halsbrecherischen Jagd, quer durch Europa, entwickelt, hinterlässt der Killer eine blutige Spur aus Leid und Verderbnis.
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Seitenzahl: 505
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Porter Thomson
Die Tage des Chamäleons
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Tag 4
Tag 5
Tag 6
Tag 7
Tag 7.1
Tag 8
Epilog
Impressum neobooks
Das Objekt
Die Nacht war hell. Sie war so hell, mit etwas Mühe hätte man sogar die Zeitung lesen können. Weiß leuchtend und groß schien der Vollmond am Sternenhimmel. Deutlich zeichneten sich die schwarzen Bäume und Büsche am Hang gegen den dunkelblauen Himmel ab. Der nahe liegende Wanderweg schlängelte sich dunkel den Berg hinab. In seinem jetzigen Erscheinungsbild hatte er Ähnlichkeit mit einem kleinen Bach, der sich seinen Weg ins Tal suchte.
Das nächtliche Idyll nicht weiter beachtend, lag etwas abseits jenen Weges ein Mann versteckt in einem Gebüsch und schaute hinab ins Tal, wo sich ihm die weitläufige Parkanlage eines luxuriösen Palastes mit Orangerie und einem historischen Reitstall im Hintergrund offenbarte. Quer durch den Park verlief eine breite Allee, gesäumt von gewaltigen Platanen, welche direkt zum Rondell vor dem Palast führte. In dieses Rondell mündete ein großes ausladendes Portal in Form einer roten Sandsteintreppe mit zweiundzwanzig Stufen. Diese hat der Mann im Gebüsch bereits vorab, während der Planungen zu seinem Job, gezählt. Alles schien versunken im nächtlichen Schlaf. Einzig ein Käuzchen in den Tiefen des Waldes vermochte diese Stille zu durchdringen.
Der Mann, komplett in schwarz gekleidet und mit einer schwarzen Sturmhaube auf dem Kopf, schaute, sein Präzisionsgewehr im Anschlag, von der Seite auf seine Uhr am Handgelenk. Die fluoreszierenden Zeiger und Punkte auf dem Zifferblatt zeigten ihm, dass es bereits 22.40Uhr war. Jeden Moment musste das Objekt erscheinen. Laut Protokoll wurde der Empfang beim Staatspräsidenten vor knapp einer halben Stunde beendet. Demnach müsste das Objekt jeden Augenblick seine Gastresidenz erreichen.
Der Mann, seines Zeichens ein professioneller Attentäter, schaute durch die hochmoderne Infrarotzielerfassungsoptik, welche auf seinem Gewehr angebracht war, und checkte noch einmal seinen Zielbereich.
Zwischen der siebenten und der fünfzehnten Stufe lag die Todeszone. In diesem Bereich hatte das Objekt keine Möglichkeit sich weder zurück in seine gepanzerte Limousine noch nach vorn in den rettenden Palast zu flüchten, ohne dass ihm der Schütze nicht wenigstens einen tödlichen Schuss hätte versetzen können.
Gut, der Killer könnte ihn auch direkt an der Limousine liquidieren! Jedoch war noch immer die Möglichkeit gegeben, gleich wohl sie verschwindend gering war, dass sein erster Schuss das Ziel verfehlte. Eilig könnten die Personenschützer das Objekt zurück in den schützenden Panzerwagen drängen. In der Todeszone hätte der Killer die Möglichkeit zumindest einen weiteren Schuss abzugeben.
Das Portal bot ein freies Sichtfeld und die helle Vollmondnacht arbeitete für den Schützen. Das Mondlicht ermöglichte es ihm jede Einzelheit im Zielbereich deutlich zu erkennen.
Die Tatsache, dass sich das Portal vom Standort des Killers knappe 800 Meter entfernt befand, bereitete ihm keine Sorgen. Das Präzisionsgewehr mit seiner Zielerfassungsoptik ist extra für derartige Distanzschüsse von einem exzellenten Waffenbauer aus Polen angefertigt worden.
Um auf Nummer sicher zu gehen hat er ein wenig die Munition modifiziert und die Spitzen der Projektile, vom Kaliber 12,7 mm, mit einer feinen Schlüsselfeile ein wenig aufgeraut. Diese feinen Grate und Kanten an den Projektilen würden die Effizienz der Geschosse bei weitem erhöhen!
Dass diese sogenannten Dum-Dum-Geschosse laut Genfer Konvention geächtet sind, interessierte den Killer nicht. Er lebte und wirkte außerhalb aller Gesetze.
Der einzige Wermutstropfen war, dass er über diese Distanz ohne Schalldämpfer schießen musste, da dieser der Waffe Reichweite und Genauigkeit raubte.
Es war inzwischen 22.45Uhr, wie ihm ein erneuter Blick auf die Uhr verriet.
Jetzt war es soweit! Gemächlich rollte die schwarze Limousine, gefolgt von einem ebenfalls schwarzen Geländewagen die Platanenalle zum Rondell hin entlang.
Der Attentäter atmete tief durch und legte ruhig ausatmend das Gewehr an. Lautlos entsicherte er die Waffe und visierte die Todeszone an. Absolut konzentriert und mit eiskalter Präzision lag die Waffe in seinen Händen und an seiner Schulter.
Die Fahrzeuge rollten halb um das Rondell herum und hielten vor der roten Sandsteintreppe. Eilig sprangen vier Männer in schwarzen Anzügen aus dem Geländewagen und der Beifahrertür der Limousine entstieg ein Priester in seinem schwarzen Gewand. Auch den kannte der Killer in seinem Versteck. Jedoch war dieser für ihn weniger von Interesse.
Mit geschultem Blick überflogen die Personenschützer die Umgebung. Erst als sie meinten, alles wäre ruhig, öffnete einer von ihnen die Fahrgasttür der Limousine.
Jetzt begann für den Killer die heiße Phase seines Jobs! Das Objekt entstieg, mühsam, gestützt von jenem Priester, der Limousine und verweilte durchatmend einen Moment vor dem Wagen.
Etwas zu Atem gekommen unterhielt er sich angeregt mit dem Priester und zeigte hinaus in den Nachthimmel.
Ja bewundere nur diese schöne Vollmondnacht! Es wird deine Letzte sein!, dachte sich der Killer und erfasste mit dem Fadenkreuz den Kopf des Objekts.
Der Priester folgte, dezent etwas hinten an, dem Objekt. Gemächlich stiegen sie, sich noch immer angeregt unterhaltend, die Treppe hinauf.
Noch zwei Stufen und sie wären in der Todeszone! Der Killer legte den Zeigefinger seiner rechten Hand auf den Abzug. Deutlich spürte er dessen kalten Stahl auf seiner Fingerkuppe.
Jetzt gab es kein zurück mehr! Nur noch vier Stufen und die Beiden befanden sich genau im Zentrum der Todeszone!
Der Profikiller hatte den Kopf des Objekts noch immer fest im Fadenkreuz. Unvermindert hielten die Personenschützer die Umgebung im Auge, während sie jeweils zu zweit auf beiden Seiten das Objekt eskortierten.
Da! Unverhofft blieben das Objekt und der Priester stehen und unterhielten sich angeregt!
Ein Schuss peitschte durch die Nacht. Das weiße Zucchetto des Objekts, samt dessen zerspringende Schädeldecke, flogen vom Kopf. Der Körper sackte leblos zusammen Fontänen von Blut schossen aus seinem offenen Schädel und ergossen sich auch über sein weißes päpstliches Gewand. Im Hintergrund zersprang ein Pflanzkübel aus demselben roten Sandstein wie die Treppe.
Sofort sprangen die Leibwächter herbei und zogen ihre Waffen. Sich des Todes des Papstes bewusst, drängten sogleich zwei der Bodyguards den Priester, der auch der Camerlengo war, zurück in die Limousine. Die anderen beiden Personenschützer suchten mit den Augen, die Pistolen im Anschlag, den Berg ab, von dem aus der Schuss kam und schrien hektisch etwas in ihre Headsets.
Der zuckende Leichnam des Papstes lag am Boden in einer breiten Lache seines Blutes. Um ihn herum, verstreut auf der Treppe, verteilten sich Teile des Schädels und einige Brocken Gehirnmasse.
Doch von Alldem bekam der Killer nichts mehr mit. Schon längst war er aufgesprungen und rannte, seine Waffe auf dem Rücken, den Berg hinauf, um auf dessen andere Seite zu gelangen. Dort wartete sein getarnter Fluchtwagen auf ihn.
Keinen Blick dem Blutbad würdigend, welches er da angerichtet hatte, verschwand er in den finsteren Tiefen des dichten Waldes.
Im Tal waren die startenden Motoren von Helikoptern zu hören die aufsteigen wollten.
Doch unser Attentäter war schon längst entschwunden.
Neue Perspektiven
Die christliche Welt lag in Trauer über das plötzliche Ableben des Pontifex. In den Nachrichten hieß es: »Plötzlich und völlig unerwartet ist vergangene Nacht der heilige Vater auf seiner Reise in Igoschetsien verstorben.« Auf allen Fernsehkanälen hat man das Programm geändert und statt der allmorgendlichen Sitcoms eine Sondersendung über den verstorbenen Papst angesetzt, gefolgt von einer mehr oder weniger interessanten Dokumentation über den Papst indessen Folge sich ein noch schlechterer Fernsehfilm über den Papst anschloss. Zu jeder vollen Stunde folgte eine topaktuelle Sondernachrichtensendung in der auch nur immer wieder schon längst Bekanntes wiederholt wurde.
Felipe legte angenervt sein Marmeladenbrötchen beiseite und schaltete mit einer Fernbedienung den kleinen Fernseher in der Küche ab. Er fand es immer wieder scheußlich wie sich die Medien scheinbar über den Tod einer prominenten Person maßlos ergötzen konnten.
»Mit dem Tod kannst du die größten Einschaltquoten erzielen!«, hatte Felipe einmal von einem alten Freund, der da Journalist war, gehört. So ganz wollte er ihm das damals nicht glauben. Aber sah er sich das Fernsehprogramm des heutigen Morgens so an... Sollte sein Freund mit dieser Behauptung doch gar nicht mal so verkehrt liegen?
Das Telefon klingelte. Felipe stand auf, band sich seinen Morgenmantel zusammen und ging auf den kleinen Flur zum Telefon, welches auf einem kleinen Schränkchen stand.
„Ventucelli!“, sprach er in den Telefonhörer.
„Campresi hier!“, antwortete ihm die äußerst gereizte und unhöfliche Stimme seines Vorgesetzten. „Bewegen Sie schleunigst Ihren Hintern in´s Kommissariat. Sie werden hier dringend verlangt!“
„Aber anziehen darf ich mich doch noch, oder?“, antwortete ihm Felipe gereizt, als er auf die Uhr schaute und feststellte, dass er ja noch nicht einmal spät dran war.
„Kommen Sie mir bloß nicht so! Also kommen Sie schon! Sie haben hier äußerst wichtigen Besuch den man nicht warten lassen sollte.“
„Ja na gut! Ich bin schon so gut wie unterwegs.“
Es knackte in der Leitung und die Verbindung war getrennt. Einen Moment schaute Felipe den Telefonhörer an und legte schließlich kopfschüttelnd auf.
„Idiot!“
Er ging ins Schlafzimmer um sich anzuziehen. Lorella lag noch immer, tief schlafend und auf dem Rücken liegend, im Bett. Ihre langen, welligen, schwarzen Haare lagen wild auseinander gebreitet auf dem Kopfkissen und unter ihren Augenlidern bewegten sich die Augäpfel hin und her. Sie schien zu träumen! Die schönen Brüste der neunzehnjährigen hübschen jungen Frau luden Felipe förmlich ein.
„Hab leider keine Zeit Ihr süßen Dinger!“, flüsterte er, um Lorella nicht zu wecken, und zog sich an.
Sein hellblaues Hemd, keine Krawatte - ganz wichtig, und ein einfacher grauer Anzug bildeten seine Dienstkleidung.
Aus seinem Nachtschränkchen nahm er sich seine Dienstwaffe und steckte sie in seinen Pistolenhalfter unter der Jacke.
Das war sein einziger Verstoß gegen die Dienstvorschriften, die da vorschrieben, dass die Dienstwaffe daheim in einem eigenen abschließbaren Waffenschrank aufbewahrt werden musste. Er hatte wohl einen solchen Waffenschrank! Jedoch fand er es müßig, jeden morgen die Zahlenkombination einzugeben und die Pistole aus diesem Waffenschrank in der Besenkammer zu holen. Anders wäre es gewesen, wenn er Familienvater mit Kindern und so gewesen wäre. Aber so als Single, hier und da mal eine Liebelei? Nein! Für Felipe machte das unter diesen Umständen wenig Sinn, jedes mal seine Waffe in der Besenkammer zu verstauen.
Zärtlich gab er der noch immer schlafenden Lorella einen Kuss, streichelte zum Abschied noch einmal leicht eine ihrer Brüste und verließ das Haus.
Morgens war um diese Uhrzeit in Rom die Hölle los. Da war mit dem Auto partout kein durchkommen. Daher hatte es sich Felipe angewöhnt mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Es war nicht weit bis zum Kommissariat und er, so fand es Felipe selbst, auch wenn Lorella immer wieder beschwichtigte, konnte es auch ein wenig vertragen. Nach seinem Empfinden hatte er einen leichten Bauch angesetzt. Außerdem war Felipe noch jung. Frisch von der Polizeischule war er zudem auch gut im Training.
Es war ein schöner angenehm milder Morgen im Juli.
Wenn nicht dieser Stadtlärm wäre, könnte man sogar die Vöglein zwitschern hören!, dachte sich Felipe und sauste den Gehweg entlang um eine Kurve. Recht ruckartig musste er plötzlich zur Seite ausweichen. Sonst hätte er eine alte Frau über den Haufen gefahren.
„Entschuldigung Signora!“, rief er nach hinten und erntete dafür wildes Gekeife.
Felipe machte sich nichts daraus. Zu gut wusste er, dass es um diese Zeit der morgendlichen Rushhour lebensgefährlich sein konnte auf der Straße Rad zu fahren.
Er kam gut voran. Schon nach wenigen Minuten hatte er das Kommissariat erreicht. Er sicherte an einem Laternenmast sein Fahrrad mit drei Schlössern und ging gemütlich, er war ja schließlich nicht zu spät, zur Eingangstreppe der Dienststelle. Er sprang die fünf Stufen zur großen Glastür hinauf und stieß sie unsanft auf, wie er es immer tat, weil Felipe wusste, dass sie im Schwung abgebremst wurde um nicht irgendwo anzuschlagen.
Der Wachmann am Empfang sprang auf.
„Mensch Ventucelli wo bleibst du denn?! Alle paar Minuten geht mir der Alte auf den Sack...!“
„Bin doch schon da!“, unterbrach ihn Felipe. „Sogar überpünktlich!“, fügte er noch hinzu als er auf seine Uhr schaute, die erst fünf Minuten vor Sieben anzeigte.
„Ja ja, nun mach schon! Du sollst direkt zum Chef ins Büro kommen!“
„Zu ihm ins Büro?“ Jetzt war Felipe doch erstaunt. „Dann muss es sehr wichtig sein!“
Zu Schulden kommen lassen hat er sich nichts. Er hat sich immer brav an die Dienstvorschriften gehalten. Um eine aufgeflogene Bestechung konnte es auch nicht gehen. So etwas gab es bei Felipe nicht. Er war wohl als Frischling ein solch kleines Licht bei der römischen Kriminalpolizei, dass ihn bisher hat niemand schmieren wollen. Auch persönlich hatte Felipe seine Vorbehalte gegen diese weit verbreitete Form des „Nebenverdienstes“. Zu sehr hafteten ihm wohl noch die auf der Polizeischule eingebläuten Ideale der Polizeiarbeit an.
Zügig lief Felipe jetzt die Treppen des schmalen Korridores empor in den dritten Stock, wo sich das Büro von Campresi befand. Vor dessen großer schwarzer Tür hielt er einen Moment inne, richtete noch einmal seinen Anzug her und klopfte an.
„Herein!“, hörte er Campresi von drinnen rufen. Langsam öffnete Felipe die große Tür und trat ein.
„Na endlich! Ventucelli!“
Felipe schloss die Tür hinter sich und erblickte Campresi, der neben seinem Schreibtisch stand. Dieser kleine rundliche Mann mit schwarzem Haarkranz und einem Schnauzbart hielt eine Akte in der Hand. Was Felipe jedoch noch mehr verwunderte, war die Tatsache, dass auf Campresis gemütlichen Chefsessel hinter dem Schreibtisch irgendein Priester im schwarzen Gewand mit einem roten Zucchetto und einer ebenfalls roten Bauchschärpe saß. Er hatte die Hände vor der Brust gefaltet und sah Felipe mit einer aufgesetzt wirkenden traurigen Mine an. Dabei fiel Felipe als erstes seine lange spitze Nase und ein schwerer Siegelring an seinem rechten Ringfinger auf.
Der Priester, den Felipe nach schneller Auswertung seiner ersten Eindrücke als Kardinal einstufte, erhob auch gleich das Wort ohne Campresi noch einmal die Gelegenheit dazu zu geben.
„Signor Ventucelli! Ich freue mich, dass Sie es so schnell einrichten konnten, uns Ihre wertvolle Zeit zu opfern.“
„Man tut was man kann!“, erwiderte Felipe und reichte dem Kardinal über den Schreibtisch hinweg die Hand.
„Ventucelli!!“, zischte Campresi und deutete einen auf den Kardinal gerichteten Handkuss an.
Das geht nun aber doch zu weit!, dachte sich Felipe.
Da ergriff der Kardinal auch schon seine Hand.
„Ich merke schon, wir haben mit Ihnen die richtige Wahl getroffen. Für die Aufgabe, die Sie erwartet, brauchen wir einen Mann der Tat, mit einem reinen Gewissen und keinen, entschuldigen Sie den Ausdruck, Speichellecker oder Arschkriecher.“
Das fand selbst Felipe für einen Kleriker eine derbe Ausdrucksweise, gleichwohl Felipe noch nicht mit so vielen Priestern, um nicht zu sagen mit noch keinem, zu tun hatte. Aber irgendwie macht dieser Foupax den Kardinal in Felipes Augen gleich viel sympathischer, menschlicher.
Campresi hingegen schien sich wohl irgendwie ertappt zu fühlen und war rot angelaufen. Diesen Gesichtsausdruck kannte Felipe. Campresi war wütend!
Der Kardinal stand auf und kam um den Schreibtisch herum. Er war groß und schlank, sehr groß und sehr schlank! Felipe musste hoch zu ihm aufschauen. Der Kardinal war bestimmt eineinhalb Köpfe größer als er.
„Sie haben einen angenehm festen Händedruck. Das zeugt für einen Mann der Tat, der Entschlossenheit! Das ist gut!“ Der Kardinal kam an Felipes Seite und sprach jetzt leiser weiter. „Weswegen ich Sie aufgesucht habe, Signor Ventucelli...“ Sein Blick ging zur Seite zu Campresi. „Bestünde eventuell die Möglichkeit, dass ich mit Signor Ventucelli unter vier Augen sprechen könnte?“
Das gibt es doch nicht! Er will den Chef aus seinem eigenen Büro schmeißen!
Campresi lief noch röter an und seine Augen quollen jetzt leicht hervor. Nur mit aller größter Mühe vermochte er es sich zu beherrschen.
„Aber sicher doch!“, brachte er lediglich gequetscht hervor. „Ich gehe nen Espresso trinken!“
Wütend schmiss er die Akte auf den Schreibtisch und ging strammen Schrittes zur Tür.
„Sie sind zu gütig, Signor Campresi!“, rief ihm der Kardinal noch hinterher, bevor die große Tür zuknallte.
„Er ist ein etwas ungemütlicher Zeitgenosse.“, wandte er sich wieder Felipe zu. „Ihn als Chef zu haben, stelle ich mir als nicht immer so einfach vor.“
„Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben und Herausforderungen.“, erwiderte Felipe mit dieser Floskel um überhaupt etwas zu erwidern, hatte er doch noch immer keinen Schimmer, was dieser Kardinal ausgerechnet von ihm wollte.
„Ja, da sagen Sie ein wahres Wort! Gleichwohl nur eine Floskel, so trifft es doch irgendwie auch den Grund meines Besuches bei Ihnen. Ich möchte mich erst einmal vorstellen. Ich bin Kardinal Holzenberg.“
Jetzt erst fiel Felipe der ganz leichte deutsche Akzent in seinem Italienisch auf, welches ansonsten aber tadellos war.
„Als Abgesandter der römischen Kurie habe ich zuerst den italienischen Justizminister aufgesucht. Nachdem ich ihm mein Anliegen vorgebracht und auch die Problematik erklärt hatte, empfand er es für das Beste mich mit dem römischen Polizeipräsidenten bekannt zu machen. Mit dem bin ich dann im EDV-System die Personaldateien aller italienischen Polizisten durchgegangen. Nach dem wir eine Suchmaschine mit verschiedenen Suchkriterien gefüttert hatten, spuckte der Computer unter anderem Ihre Akte aus. Und nun bin ich hier.“
„Ja das ist schön, dass ich Ihrem Suchraster entspreche. Aber ich weiß doch noch immer nicht, was Sie eigentlich von mir wollen!“
Felipe tat nicht nur ahnungslos.
Der Kardinal legte eine Hand auf Felipes Schulter.
„Darauf komme ich jetzt zu sprechen. Zuvor muss ich Sie aber bitten, im Falle dass Sie meine Anfrage ablehnen, über unsere Unterhaltung Stillschweigen zu bewahren.“
Felipe zögerte. Irgendwie wurde das Alles immer mysteriöser. Zuerst ist da die Tatsache, dass ihn ein Kardinal aufsucht, vor dem sogar Campresi kuscht. Dann kommt dieser von der römischen Kurie. Der Computer spuckt ihn, Felipe Ventucelli den Frischling, als Idealbesetzung aus. Und nun auch noch diese Geheimniskrämerei! Aber neugierig war er schon!
„Sie können sich meiner Verschwiegenheit sicher sein!“
Kardinal Holzenberg schien erleichtert zu sein und atmete hörbar aus.
„Nun denn! Ich weiß jetzt nicht, inwieweit Sie mit den Vorkommnissen der letzten Nacht vertraut sind.“
„Sie meinen, dass heute Nacht in Igoschetsien der heilige Vater verstorben ist? Nun, daran konnte man heute morgen…“
„Er ist nicht einfach so verstorben!“
Felipe war wie vom Donner gerührt und trat einen Schritt zurück.
„Nicht einfach so?? Ja aber...!?“
„Der heilige Vater ist einem äußerst grausamen Attentat zum Opfer gefallen!“
Felipe setzte sich auf die Schreibtischkante.
„Eure Eminenz!!! Mal ganz davon abgesehen, dass das schrecklich ist!!! Aber Sie wissen schon, dass ich frisch von der Polizeischule komme und sozusagen von Tuten und Blasen noch keine Ahnung habe!? Ein Papstattentat!!!“ Felipes Stimme überschlug sich vor Aufregung. „Ich glaube, das ist dann doch eine Nummer zu groß für mich. Haben Sie nicht eine eigene Polizeibehörde?“
„Da haben Sie wohl recht. Ich nehme es Ihnen nicht übel, dass Sie nicht so sehr über die inneren Abläufe im Vatikan Bescheid wissen. Der Vatikan ist durchzogen von Klüngel, Intrigen und halbseidenen Machenschaften. Selbstverständlich kann man nichts beweisen! Unser sogenannter Polizeiapparat ist wie gelähmt, weil da so ziemlich jeder in irgendeiner Affäre, in welcher auch immer gearteten Natur, involviert ist. An ein freies und investigatives Arbeiten ist da nicht mehr zu denken! Deshalb hat mich der innerste Zirkel der römischen Kurie zu Ihrem Justizminister geschickt um bei ihm um Amtshilfe zu bitten.“
„Aber warum ich? Wir haben doch so viele sehr gute und engagierte Kommissarios bei uns, die zu allem Überfluss auch noch jede Menge Erfahrung haben.“
„Erfahrung ist das Eine, Loyalität und der Glaube an das Recht sind das Andere. Wir suchen einen Polizisten mit diesen hehren Attributen, der dann auch noch ein guter Polizist ist. Sie haben in Ihrem Jahrgang mit den Bestnoten abgeschlossen und sich nie etwas zu Schulden kommen lassen. Sie haben jeder Versuchung widerstanden und gesetzestreu das Unrecht bekämpft. Ihr psychologisches Profil weist Sie als überaus intelligenten Mann aus, der über eine außerordentliche logische Auffassungsgabe und gesteigerte kognitive Fähigkeiten verfügt. Über Ihre hervorragende praktische Ausbildung brauche ich gar nicht erst zu reden. Signor Ventucelli, finden Sie für uns den Papstmörder und die Hintermänner! Sie sind jung und frei, nicht belastet und eingeengt in Ihren Fähigkeiten durch...“ Holzenberg zögerte einen Moment. „...diverse Leichen im Keller und eingefahrene Routinen. Sie denken auch mal quer und schlagen unkonventionelle Wege ein.“
Woher will der das Alles wissen?, dachte sich Felipe. Schmiert er mir gerade Honig ums Maul? Will er mich einlullen? Wenn ja, warum?
„Es sollte Ihr Schaden nicht sein! Ihnen stünde eine glänzende Karriere bevor. Selbstverständlich habe ich von Ihrem Justizminister schon die Zusage, dass Sie für uns arbeiten dürfen. Der Vatikan stünde Ihnen bei Ihrer Arbeit selbstverständlich mit allen seinen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zur Seite. Also Signor Ventucelli, nehmen Sie die Herausforderung an?“
Felipe wurde schon jetzt von der Verantwortung die man ihm aufbürden wollte, fast erdrückt, obwohl er doch noch nicht einmal zugesagt hatte! Sollte er wirklich dieser gigantischen Aufgabe gewachsen sein? Was würde passieren, wenn er versagt?
„Warum machen Sie aus dem Attentat so ein Geheimnis?“, fragte Felipe um in seinen Gedankenspielen weiter voran zu kommen.
„Ich dachte mir schon, dass Sie mich das fragen. Signor Ventucelli, dieses Attentat ist nicht nur ein gemeines Verbrechen, sondern auch ein Politikum der obersten Kategorie! Es gibt bis jetzt kein Bekennerschreiben oder Dergleichen. Ob Sie es nun glauben oder nicht, der Papst hatte auf der ganzen Welt auch viele Feinde, seien es nun religiöse Fanatiker oder politische Gegner. Jetzt schon das erfolgreiche Attentat zu verkünden, könnte die Verantwortlichen noch mehr erstarken lassen, triumphieren lassen. Diesen Erfolg darf man ihnen nicht gönnen! Voreilige Schlüsse auf den oder die Täter zu ziehen, könnte schwerste internationale Konflikte, bis hin zu Kriegen auslösen. Deswegen ist es auch unabdingbar, dass Ihre Ermittlungen, sollten Sie denn den Auftrag annehmen, unbedingt geheim, im Verborgenen stattfinden müssen, zumindest vorerst!“
„Wie soll ich in einem derartigen Mordfall ermitteln, wenn ich den Leuten, die ich befrage, nicht erzählen darf weshalb ich Sie befrage? Und was passiert, wenn ich scheitere?“
„Sollten Sie, wovon ich nicht ausgehe, scheitern, haben Sie keinerlei persönliche Konsequenzen zu tragen und gehen, nachdem Sie uns wieder verlassen haben, Ihrer bisherigen Arbeit nach. Zu Ihrer anderen Frage, ich habe nicht behauptet, dass es einfach wird. Aber die Zeugen, die Sie befragen werden, wissen ja doch schon über das Attentat Bescheid. Auch die haben wir zur Verschwiegenheit angehalten.“
„Ich möchte gar nicht wissen wie Sie die Leute überzeugt haben.“, warf Felipe mit einem etwas ironischen Unterton ein. Holzenberg schaute Felipe einen kurzen Moment mit scharfen blitzenden Augen an, um auch sogleich wieder sein leutseliges Gesicht aufzusetzen.
„Nun denn Signor Ventucelli, Wo drückt denn noch der Schuh?“
„Ich vermute mal, dass das ein Fulltimejob wird. Könnte ich dann auf dem Gebiet des Vatikans eine Wohnung oder wenigstens ein Zimmer beziehen? Hinzu kommt, dass ich seit kurzem eine...“ Felipe zögerte einen Moment. „...Lebensgefährtin habe, die ich sehr liebe!“
Das klang vielleicht etwas anständiger als wie »eine Braut am Start« oder so. Das seine Beziehung zu Lorella schon was festes war konnte man nun wirklich nicht sagen. Sie kannten sich ja erst vier Wochen!
Holzenberg grinste etwas zynisch. Er hatte wohl die nette Umschreibung durchschaut. Scheinbar war er gar nicht so weltfremd, wie man es den Klerikern gemeinhin nach sagte.
Hey! Das sind auch nur Männer!, dachte sich Felipe.
„Wir könnten es in Ihrem Ausnahmefall arrangieren, dass Sie und Ihre Freundin eine kleine Wohnung auf dem Vatikan beziehen können, sofern Sie sich denn an gewisse Regeln halten. Ich denke da zum Beispiel an den Austausch von Zärtlichkeiten in den öffentlichen und nicht öffentlichen Gemäuern des Vatikans und die Art und Weise der Kleidung in den öffentlichen Bereichen. Aber das würden wir noch genauer besprechen wenn es soweit ist.“
„Das hört sich schon mal ganz gut an! Wäre da noch die Frage der Vergütung. Ich muss ja von irgendwas leben, ebenso meine Freundin.“
„Abgesehen davon, dass Sie alles, was Sie und Ihre Freundin zum leben brauchen, vom Vatikan kostenfrei gestellt bekommen, werden Sie, sollten wir uns denn einig werden, zum Oberinspektor befördert und zusätzlich entsprechend entlohnt. Nach dem Ergreifen des Täters und seiner Hintermänner erhalten Sie eine Prämie von einer Millionen Euro.“
„Du meine Güte!“ Felipe war überwältigt und setzte sich auf einen Stuhl gegenüber Campresis Sessel. „Das muss ich erstmal sacken lassen!“
„Es ist verständlich, dass das etwas viel auf einmal für Sie sein muss. Aber dennoch bräuchte ich recht kurzfristig, um nicht zu sagen in den nächsten Stunden Ihre Entscheidung. Ich hoffe Sie verstehen das. Die Zeit drängt! Wir wissen nicht wie lange wir die wahre Todesursache des Papstes noch geheim halten können.“
Das sah Felipe sogar ein.
„Wenn ich Ihr Angebot schriftlich haben könnte, stünde einer Partnerschaft nichts mehr im Wege.“
„Etwas Derartiges erwartete ich und habe mir daher die Freiheit genommen schon mal etwas vorzubereiten.“
Holzenberg ging um den Schreibtisch herum und nahm aus einer Aktenmappe die am Boden stand einen vorab aufgesetzten, auf diesen Tag datierten, Vertrag heraus.
„Lesen Sie den Vertrag genau durch und stellen Sie Fragen bei Unklarheiten. Anderenfalls zeichnen Sie einfach beide Exemplare gegen.“
Felipe las den Vertrag genau durch und fand nichts daran auszusetzen. Er überprüfte noch das zweite Exemplar auf seine Gleichheit und unterschrieb.
„Signor Ventucelli! Ich freue mich auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit!“
Holzenberg und Felipe schüttelten sich die Hände.
Die Geheime Zusammenkunft
In einer entlegenen Ecke, vom Hauptportal aus gesehen im rechten Seitenschiff, saßen nebeneinander, vor dem Schrein irgendeines Heiligen, in einer dunklen wenig beachteten Nische, auf einer Holzbank zwei Priester im einfachen Ornat und schienen, die Köpfe gesenkt, flüsternd im Gebet vertieft zu sein. Nur jemand, der zwei unscheinbaren betenden Priestern im Petersdom seine volle Aufmerksamkeit schenkte, würde feststellen, dass sie scheinbar immer nur abwechselnd beteten. Und erst wenn sich dieser Jemand direkt neben die Beiden stellte, würde er feststellen, dass diese Priester gar nicht beteten, sondern sich unterhielten!
„Die Suche war erfolgreich! Der Herr hat uns den Weg zu einem jungen Mann gewiesen, der sich unserer Sache von ganzem Herzen annehmen wird. Mit Gottes Hilfe können wir ihn auf dem rechten Wege leiten. Bruder Emilio geht zu Bischof Warren und übermittelt ihm wortwörtlich »die Saat ist eingebracht«. Er wird dann Bescheid wissen. Wir unterdessen werden unserem jungen Freund jede Hilfe zukommen lassen, um ihn in seiner Arbeit zu bestärken und den rechten Weg finden zu lassen.“
„Seid Ihr sicher den Richtigen gefunden zu haben?“, flüsterte jetzt dieser Bruder Emilio. „Ist er denn gottesfürchtig? Wird er denn nicht das Ansehen des Herren beschmutzen? Bruder Reinhardt, gerade jetzt in dieser schweren Zeit, ist es von größter Wichtigkeit das Ansehen der Kirche nicht zu beschmutzen. Bis zur Beisetzung und dem anstehenden Konklave darf es keine Probleme geben!“
„Macht Euch keine Sorgen, Bruder Emilio! Der junge Mann ist zwar kein gläubiger Christ, aber reinen Gewissens. Er ist jung und lässt sich von einer führenden Hand gut leiten. Die Tatsache, dass er kein ausgesprochener Christ ist, erweist sich später von Vorteil wenn die Hintergründe bekannt werden. Dann stellt er die neutrale Position in den Ermittlungen dar und beweist unsere Weltoffenheit. Also sorgt euch nicht und gebt Bischof Warren wortwörtlich Bescheid »die Saat ist eingebracht«. Gott sei mit Euch! Verweilt noch einen Moment, bevor Ihr geht.“
Der ältere Priester erhob sich. Durch das einfallende Licht eines kleinen Fensters konnte man jetzt dessen Gesicht mit seiner langen spitzen Nase erkennen. Er hielt dem jungen Priester die rechte Hand mit dem großen Siegelring, darauf die Insignien von Opus dei, entgegen. Bruder Emilio deutete einen Kuss auf diesem Ring an, woraufhin sich der ältere Priester umdrehte und das Seitenschiff verließ. Zügigen Schrittes trat er vor den Petersdom. Seitlich von ihm wartete eine schwarze Limousine mit verdunkelten Scheiben. Als sich der Priester auf sie zu bewegte stieg auch schon ein Chauffeur aus und öffnete ihm die Tür.
„Eure Eminenz!“, sagte er höflich und verbeugte sich ein wenig.
„Danke Sergio! Wir fahren in mein Büro!“
„Sehr wohl!“
Neuigkeiten
In Anbetracht der Umstände nahm sich Felipe für den restlichen Tag frei. Schließlich stand er doch mit sofortiger Wirkung beim Vatikan unter Vertrag! Jedoch begann sein Dienst beim neuen Arbeitgeber erst am nächsten Morgen. Alles passte! Felipe hatte einen neuen fantastischen Job, die Sonne schien, der Himmel war blau und die morgendliche Luft war noch angenehm frisch. Beschwingt fuhr er nach Hause und konnte es kaum erwarten seiner Lorella die Neuigkeiten zu erzählen. Er hoffte sie würde genauso begeistert sein wie er. Felipe konnte es noch immer nicht fassen. Er war jetzt Oberinspektor und verdiente dessen Geld! Sollte er den Fall lösen wäre er sogar Millionär! Bei diesem Gedanken hätte er auf seinem Fahrrad am liebsten laut los gejubelt. Doch konnte er sich geradeso zusammenreißen.
An einem Lebensmitteldiscounter, an dem er vorbeifuhr, hatte Felipe einen Geistesblitz, stellte sein Fahrrad ab und kaufte noch schnell eine Flasche des teuersten Sekts, den es in diesem Laden gab. Auf ein solches Erfolgserlebnis musste er doch mit seiner Lorella anstoßen!
Nach zwei weiteren Straßen war Felipe da und stand einen Moment vor dem großen lehmfarbenen Mietshaus mit den schier unzähligen kleinen schwarzen Fenstern. Er schaute hinauf in den fünften Stock, wo sich seine Wohnung befand, und lächelte.
Lange werde ich hier wohl nicht mehr wohnen!, dachte er noch bei sich und lief zur Haustür, in fast froher Erwartung der zehn Treppen, die er jetzt zu bezwingen hatte, gab es doch in diesem betagten und etwas maroden, Haus keinen Fahrstuhl!
Im Laufschritt, seine Tasche unter dem Arm und die Sektflasche in der anderen Hand, eilte Felipe die Treppen hinauf ohne außer Atem zu geraten. Vier Jahre in diesem Haus härteten ab.
Vor seiner Wohnung angekommen schloss er leise auf und betrat den kleinen Flur. In der Wohnung schien noch alles ruhig zu sein. Felipe schaute auf die Uhr. Es war knapp 10.30Uhr. Also kein Grund zur Sorge! Er grinste breit.
Hatte Lorella wie jetzt gerade keinen Job, schlief sie meistens noch um diese Zeit. War denn Lorella auch ein aufgewecktes fröhliches Mädchen, das für jeden Spaß zu haben war und mit der man sich auch wunderbar unterhalten konnte, so hatte sie doch eine große Leidenschaft. Oder war es doch eher eine Schwäche? Lorella schlief gern, viel und dann auch lange, sehr lange!
Sollte jetzt jemand meinen, Lorella ließe sich irgendwie gehen, weit gefehlt! Denn Lorella war auch ein Organisationstalent. Irgendwie brachte sie es stets fertig ihre große Leidenschaft, das Schlafen, mit dem restlichen Tagwerk überein zubringen, wie auch immer! So war sie immer gepflegt, trat stets modisch und sehr sexy gekleidet auf, achtete ständig auf ihre Figur und nahm all ihre Termine und Verpflichtungen wahr. Aber heute standen keine Verpflichtungen und Termine an. Also... schlief Lorella entsprechend länger!
Felipe stellte die Tasche ab und schlich durch den kleinen Flur ins Schlafzimmer. Da lag sie! Seine Lorella in voller Pracht. Nur halb zugedeckt, war ihr brauner Rücken zu sehen und sie atmete ruhig. Jedoch hatte sie jetzt ihr Haar zu einem buschigen Zopf nach hinten gebunden. Also musste sie an diesem Morgen zumindest einmal munter gewesen sein, folgerte Felipe, war doch an jenem frühen Morgen ihr Haar noch offen. Er setzte sich zu ihr aufs Bett, stellte die Sektflasche leise neben sich auf den Fußboden und streichelte liebevoll Lorellas samtig weichen und makellosen Rücken. Seine Hand glitt bis zu den beiden hübschen Grübchen in Höhe ihrer Taille.
„Guten Morgen Liebling!“, hörte Felipe sie verschlafen nuscheln. „Musst du denn gar nicht arbeiten?“
Lorella genoss die Streicheleinheiten und räkelte sich verführerisch unter der Decke. Felipe massierte ihr nun mit beiden Händen den Nacken.
„Ich brauche da heute nicht mehr hin und morgen auch nicht und überhaupt...“
Schlagartig drehte sich Lorella um und setzte sich auf.
„Was soll das heißen? Bist du etwa...?“
Ihr Gesicht war jetzt besorgt.
„Nein Liebling! Du brauchst dir keine Sorgen machen!“
Felipe rückte näher zu Lorella und küsste sie liebevoll.
„Was soll das heißen, keine Sorgen machen!?“
Lorella schob ihn etwas von sich. Felipe lächelte und genoss ihre Ahnungslosigkeit.
„Sieh mal Schatz. Dieses blöde Kommissariat...“
„Jetzt sag nicht, dass du selber gekündigt hast! Bist du denn total...“
„Nein nein! So verrückt bin ich nun auch wieder nicht! Ab sofort bin ich Oberinspektor beim, jetzt halte dich fest, beim Vatikan!“
Felipe strahlte und erwartete nun, dass Lorella drauf los jubeln würde, sich für ihn freuen würde.
„Beim Vatikan??? Du??? Wie kann das sein? Du bist ja noch nicht einmal christlich erzogen, geschweige denn katholisch!“
Lorella legte sich mürrisch wieder ins Kissen und schaute zur Zimmerdecke.
Da fiel Felipe die Geschichte ein, die ihr Lorella erst vor ein paar Wochen, bei ihrem ersten Date erzählt hat. Sie hatte sich erst kürzlich beim Vatikan mit besten Noten und ausgezeichneten Referenzen um ein Volontariat beworben. Es kam auch zu einem Vorstellungsgespräch. Doch bei diesem Vorstellungsgespräch stellte sich heraus, dass Lorella Protestantin ist. Damit hatte sich diese Volontariatsstelle im Vatikan erledigt.
Unter diesem Gesichtspunkt war es natürlich etwas verwunderlich, dass man Felipe engagiert hat. Doch letztendlich führte er es auf seine hervorragenden Fähigkeiten als Polizist zurück, wie es dieser Kardinal Holzenberg nannte. Zudem waren auch die Umstände etwas anders. Doch davon durfte er seiner Lorella natürlich nichts erzählen!
„Ach Liebling!“, sagte Felipe und legte sich zu ihr. „Ich weiß wie du dich fühlen musst.“ Er umkreiste mit dem Zeigefinger eine ihrer hübschen Brüste und umspielte schließlich ihren Nippel.
„Es war nicht meine Idee! Die haben mich gefragt! Es ist da etwas vorgefallen im Vatikan, worüber ich dir leider nichts erzählen darf.“
Sein Finger fuhr zu ihrem ovalen Bauchnabel.
„Auf jeden Fall hat nach langem Suchen der Computer meinen Namen ausgespuckt. Und nun wollen die mich haben. Der Justizminister höchst persönlich hat mich da hin versetzt!“
Seine Hand legte sich auf ihre Taille. Felipe schaute Lorella ins Gesicht, auf dem schon wieder ein Lächeln zu sehen war.
„Ist da kein Haken bei der Sache?“, fragte Lorella noch etwas skeptisch und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes.
„Ich habe alles schriftlich und konnte keinen Haken finden. Hinzu kommt, dass ich als Oberinspektor bezahlt werde und wir eine neue Wohnung und Verpflegung für umsonst bekommen. Nach der Lösung des Falls bekomme ich eine fette Prämie.“
Felipe wollte seiner Freundin noch nicht sagen, wie hoch diese Prämie sein würde. Nachher käme das bei Lorella irgendwie angeberisch rüber, schien sie doch schon etwas neidisch zu sein!
Er beugte sich über Lorella, während seine Hand unter die Decke fuhr und sich zwischen Lorellas Schenkel schob. Bereitwillig öffnete sie diese ein wenig.
„Pass bloß auf dich auf Schatz! Ich traue dem Ganzen nicht!“, hauchte Lorella nur noch und ließ ihre Hände unter Felipes Hemd gleiten. Geschickt öffneten sie seine Hose, just in dem Moment als Felipes Finger in ihr versanken. Warm umfassten ihre Hände seine harte Erregung.
„Schatz, wir wohnen bald im Vatikan!“, hauchte Felipe und legte sich auf Lorella. Leidenschaftlich schienen ihre Körper miteinander zu verschmelzen.
Fast reibungslos
Die alte TU-152 vibrierte unter dem Dröhnen der scheinbar noch älteren Triebwerke. Eine hübsche exotisch wirkende Stewardess schob mit einem Trolli durch den Mittelgang und bot kleinere Snacks und kalte Getränke an. Die Passagiere nahmen vor allem die kalten Getränke dankbar an, da die Luft doch ziemlich stickig und erdrückend war. Die Klimaanlage hatte wohl auch ihre besten Tage bereits hinter sich.
Kordes hielt sich zurück und begnügte sich mit einem doch eher lauwarmen Mineralwasser.
Es konnte nicht mehr lange dauern. Ein Blick auf seine schwarze Uhr mit den hellgrünen Punkten und Zeigern verriet ihm, dass die Maschine in knapp zehn Minuten in Moskau landen würde, wenn sie denn nicht übermäßige Verspätung hätte. In Moskau blieben Kordes 1 Stunde und 15 Minuten Zeit, bevor ihn eine British Airways nach Amsterdam bringen würde. Das sollte reichen um das Verladen der antiken Bronzestatue für das niederländische Museum für Völkerkunde zu beaufsichtigen. Diese hatte Kordes in Igoschetsien erstanden und würde sie dem Museum spenden.
Ob die Holländer etwas damit anfangen konnten war ihm relativ egal. Wichtig war für Kordes nur, dass diese Figur heile in den Niederlanden ankam!
Er lehnte sich zurück, trank das warme Wasser und schloss die Augen. Ein breites Lächeln zog sich über sein Gesicht. Bis jetzt hatte alles wunderbar nach Plan funktioniert. Das Objekt war liquidiert! Kordes verdrängte so gut es ging, dass er den Papst erschossen hat. Um seine Persönlichkeit, seine Aura oder seine gesellschaftliche Bedeutung in der Welt so wenig wie möglich an sich heran zu lassen, bezeichnete er ihn weiterhin als Objekt.
Er hatte nicht die geringste Ahnung, was seine Auftraggeber dazu bewegt haben könnte, den Papst ermorden zu lassen. Er wollte es auch gar nicht wissen. Für ihn war es ein Geschäft, ein Job und bedeutete 50 Mio. US-Dollar auf seinem Schweizer Nummernkonto!
Er war rundherum zufrieden mit seiner bisherigen Arbeit, hatte er doch alle Sicherheitsorgane ausgetrickst, die unmittelbar nach der Liquidierung mit Helikoptern ausgeschwärmt waren, in dem er sich mit einem Geländewagen des russischen Militärs, den er schon vor Wochen gestohlen hatte, absetzte. Er fuhr durch die Nacht und über entlegene Wege und Straßen. Er passierte dank seiner russischen Offiziersuniform, die er sich zugelegt hatte, unbeschadet einige harmlose Straßenkontrollen. Zum Glück waren in Igoschetsien die Russen noch immer allgegenwärtig, einflussreich und verhasster denn je.
Dank seiner perfekten Russischkenntnisse, welche er damals vor 25 Jahren in Russland erworben hatte, und seiner exzellent gefälschten Ausweispapiere schöpfte niemand Verdacht.
In einer einsamen und verlassenen Datscha an einem kleinen See, verwandelte er sich wieder in den Handelsreisenden Helmut Krüger aus Düsseldorf.
Er verstaute sein Präzisionsgewehr in die eigens dafür präparierte Bronzestatue, eine wunderschöne nackte Frau mit einer großen Amphore auf den Schultern. Der Deckel am Fußende der Statue wurde mit Gips über gespachtelt und mit Bronzefarbe, die exakt den Farbton der Statue hatte, geschickt verschleiert. Die Figur packte er in eine Transportkiste, die bereits in einem bereitstehenden zivilen Transporter aus Igoschetsien stand, und vernagelte diese. In großen schwarzen Buchstaben stand „Fragile“ darauf.
An den Überführungsdokumenten, die sogar echt waren, gab es nichts auszusetzen. Seinen schwarzen Anzug der letzten Nacht und die russische Uniform verbrannte er restlos.
Den Geländewagen versenkte Kordes im See, in dem er ihn über eine Klippe fahren ließ, die sich unmittelbar am Rande des Sees befand. An dieser Stelle war der See besonders tief.
Von einer Durchsage des Kapitäns wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Auf Russisch verkündete dieser, dass die Maschine nun bald landen würde und die Passagiere sich doch bitte anschnallen möchten. Kordes schnallte sich an und klappte die Lehne seines Sessels wieder in eine aufrechte Position. Er sah aus dem Fenster und konnte unter sich schon die Megacity von Moskau sehen. Deutlich stachen die fünf markanten spitzen Hochhäuser, von denen eines die Lomonossow-Universität war, hervor. Sie waren über die ganze Stadt verteilt. In ihrer Anordnung zueinander sollen diese fast identischen fünf Hochhäuser den roten Stern der Sowjetunion symbolisieren. Unwillkürlich musste sich Kordes an seine Studienzeit, damals an eben dieser Lomonossow Universität, erinnern. Hier studierte er Politwissenschaften und erlernte die russische Sprache. Hier entdeckte ihn auch zunächst der sowjetische Geheimdienst KGB, warb ihn an und ließ ihn durch den ostdeutschen Geheimdienst ausbilden. Nach dem Fall der Mauer tauchte er unter, verschaffte sich eine neue Identität und machte sich sozusagen „selbständig“. Und das Geschäft lief gut! Über eine mangelnde Auftragslage konnte er sich nie beschweren. Am schwierigsten war der Anfang, erst einmal einen Fuß in die Eingangstür dieser „Serviceszene“ zu bekommen. Kordes konnte ja nur schlecht Werbung von sich als Auftragskiller in der Tagespresse machen!
Der Beginn seiner Karriere war, dank seiner ausgezeichneten Russischkenntnisse, eines dieser russischen „Inkassounternehmen“ in Deutschland, die für ihre überzeugende Art und Weise berühmt und gefürchtet waren. Hier schaffte er sich mit seiner sauberen, konsequenten und schnellen Arbeit schon bald einen Namen in der Inkassoszene.
Nach etwa drei Jahren erhielt Kordes den Auftrag, von einem säumigen Kunden, einem doch recht wohlhabenden Industriellen aus dem Mittelstand, welcher der Spielsucht verfallen war, einige hunderttausend Euro einzutreiben.
Kordes besuchte ihn zu Hause. Seine Frau war nicht da. Als er an dessen Tür klingelte und sich als Igor von „Stalin-Inkasso“ vorstellte, wurde der Kunde zunächst bleich und erstarrte vor Schreck. Ohne zu zögern stieß ihn Kordes in seine Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Ein kleines Mädchen mit zwei Zöpfen und kurzem Kleidchen kam singend die Treppe herunter gelaufen und wäre beinahe Zeuge geworden, wie Kordes dem Kunden einen Finger brechen wollte. Doch bekam er noch gerade so die Kurve und sprach den Kunden auf sauberem Deutsch wie einen Kumpel an. Daraufhin schickte der verängstigte Kunde seine Tochter nach draußen zum Spielen. Kaum war das kleine Mädchen außer Hörweite, hatte der Kunde auch schon eine Faust in der Magengrube. Der Mann sackte grässlich gurgelnd zusammen. Kordes packte dabei dessen Kopf und krachte sein Knie in das Gesicht des Kunden. Schreiend stürzte der Mann mit einer gebrochenen Nase nach hinten auf den Fliesenfußboden.
Nach einer eingehenden Behandlung, bei der Kordes auch die weiße Perserkatze der Ehefrau, durch einen sauberen Genickbruch töten musste, öffnete der Kunde, auch wenn es ihm mit zwei gebrochenen Fingern sichtlich schwer fiel, den Tresor hinter einem Gemälde im Wohnzimmer und beglich seine Rechnung.
Einige Wochen später wurde Kordes, über seinem damaligen Chef, eine Visitenkarte von einem anderen Industriellen, einem Freund dieses betreffenden Kunden, zugesteckt.
So kam es, dass er auf Grund einer Empfehlung eines ehemaligen Kunden zu seinem ersten Auftragsmord in Portugal kam. Von da an ging es mit seinem Geschäft immer weiter bergauf, bis gestern, wo er erfolgreich seinen größten und bedeutendsten Auftrag ausgeführt hat. Die nächsten Jahre, wenn nicht gar für immer, würde er abtauchen müssen. Diesbezüglich war das Honorar für diesen Job angemessen. Kordes dürfte vielleicht nie wieder in Erscheinung treten!
Das Flugzeug ging jetzt merklich in den Sinkflug über und setzte kurze Zeit später auf der Landebahn auf. Die Maschine rollte aus und drehte sich einmal.
Kordes schaute aus dem Fenster und stellte zu seinem Entsetzen fest, dass das Flugzeug von Militärfahrzeugen umringt war. Was hatte das zu bedeuten? Sollte man ihm etwa auf die Spur gekommen sein? Wie sollte er sich verhalten? Als russischer Offizier ging er ja nun nicht mehr durch! Sollte er seine jetzige Tarnung fallen lassen und sich auf den russischen Präsidenten berufen, den er einmal, während seiner Ausbildung, flüchtig kennen gelernt hat? Lächerlich! Wahrscheinlich hatte ihn Putin schon längst vergessen!
Er könnte sich einer Kalaschnikow von einem der Soldaten bemächtigen und sich frei schießen. Auch Quatsch! Die Übermacht war zu riesig!
Er könnte die Maschine mit der Kalaschnikow kidnappen! Und dann? Sollte er sich vielleicht nach Teheran oder Mogadischu oder weiß der Geier wohin ausfliegen lassen? Nein! Es würde alles nichts bringen! Auf die eine oder andere Art hätte er plötzlich ein Gesicht, eine Identität. Es wäre eine Frage der Zeit, bis sie ihn geschnappt hätten. Kordes beschloss abzuwarten und situationsabhängig zu improvisieren. Manchmal war ja alles ganz harmlos! Er besaß vortrefflich gefälschte Ausweispapiere und die Überführungsdokumente für die Statue waren auch in Ordnung. Vielleicht kontrollierte man einen Tag nach dem Papstattentat pro Forma alle Flugzeuge die aus Igoschetsien kommen?
Eine Gangway wurde an das Flugzeug heran gefahren. Kordes konnte erkennen, dass ein Offizier mit Pistole und drei Soldaten mit Kalaschnikow bewaffnet die Gangway hoch kletterten. Bereitwillig öffnete die hübsche exotische Stewardess das Schott und der Offizier, gefolgt von den drei Soldaten betrat das Flugzeug. Sofort tuschelte die Stewardess mit dem Offizier und schaute in die Richtung von Kordes. Jedoch schaute sie ihn nicht direkt an, wie ihm auffiel, obwohl sie ihn hätte klar erkennen können. Sollte es etwa eine ganz andere Bewandtnis mit der Kontrolle haben?
Plötzlich hatte Kordes etwas sehr Scharfes am Hals und eine hektische Männerstimme hinter ihm begann auf Russisch zu schreien.
„Bleibt zurück!“ Er hatte einen kaukasischen Akzent, wie Kordes bemerkte. „Dawei! Dawei!“, schrie er ihn an.
Die Frauen unter den Passagieren begannen zu kreischen.
„Aufstehen!“
Der Kaukase drückte die Klinge noch fester an seinen Hals. Schmerzhaft schnitt sie in die dünne Haut und Kordes fühlte wie es an seinem Hals feucht wurde. Er erhob sich langsam.
Die Soldaten und der Offizier richteten ihre Waffen auf den Mann.
„Lass das Messer fallen, du tschetschenischer Hund!!!“, schrie der Offizier.
Auch das noch! Ein Tschetschene!
Kordes wusste, das Tschetschenen in der Klemme bis zum Äußersten gingen und sich lieber umbringen ließen, als sich zu ergeben. Der Tschetschene ging rückwärts mit Kordes an der Klinge in Richtung des hinteren Ausganges.
Das ist mir jetzt echt zu blöd!, dachte sich Kordes, schnappte sich mit einer blitzschnellen Bewegung das Handgelenk der bewaffneten Hand, drehte sich ebenso schnell samt dem Arm des Tschetschenen einmal um und verdrehte den Arm noch stärker. Dem stechenden Schmerz in Ellenbogen und Schultergelenk ausweichend beugte sich der Tschetschene vorn über. Das Knacken des brechenden Ellbogengelenks, welches Kordes ihm mit einem gewaltigen Fauststoß zertrümmerte, war durch das ganze Flugzeug und über das Gekreische der Frauen hinweg zu hören.
Gellend schreiend sackte der Tschetschene zusammen. Sofort hatte Kordes ihn dingfest gemacht und das Keramikmesser den Soldaten zugeschoben.
Erleichtert und jubelnd begannen die anderen Passagiere zu applaudieren. Die Soldaten übernahmen den noch immer schreienden Tschetschenen und schliffen ihn aus dem Flugzeug.
Kordes erhob sich und täuschte vor, außer Atem zu sein. Es musste ja keiner wissen, dass es für ihn ein Leichtes war bewaffnete Gegner außer Gefecht zu setzen oder gar zu töten! Es sollte immer noch den Anschein haben, als habe er in einem Anfall von Größenwahn einfach nur riesiges Glück gehabt.
Eine Passagierin, eine ältere Frau, verband ihm mit einem sauberen weißen Stofftaschentuch provisorisch den nicht mehr so stark blutenden Hals.
„Mein Mann da drüben hätte ihnen liebend gerne geholfen. Aber er ist ja auch schon weit über siebzig und nicht mehr der Fitteste.“, wollte ihn die Frau in ein Gespräch verwickeln. Doch ignorierte Kordes schlicht das Geschwätz der alten Frau und tat unterdessen entsetzt über das Blut auf seinem weißen Hemd. Hektisch tuend, zog er aus seiner Hosentasche ein weißes Papiertaschentuch hervor und versuchte, wider besseres Wissens, sein Hemd zu reinigen. In einem passenden Moment würde er das Hemd sicher entsorgen.
„Das ist ruiniert! Das können sie ruhig weg schmeißen!“ Der Offizier trat an Kordes heran und schüttelte ihm die Hand. „Wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Herr eh...“
„Krüger! Helmut Krüger aus Düsseldorf.“
„Dieser Mann, den Sie so heroisch überwältigt haben war ein von uns seit langem gesuchter gefährlicher Verbrecher, der schon viele russische Menschenleben auf dem Gewissen hat.“
„Oh mein Gott!!“, rief Kordes aus und tat entsetzt über die Tatsache wie gefährlich doch sein Gegner gewesen sei. „Und ich war so leichtsinnig!“
„Das waren Sie allerdings! Wir hatten alles unter Kontrolle! Aber nun ist ja alles vorbei und noch einmal gut gegangen. Wo haben Sie so zu kämpfen gelernt?“, plauderte der Offizier unbeschwert mit Kordes und geleitete ihn zurück auf seinen Platz.
„Ach ich weiß auch nicht, es kam einfach so aus mir raus! Man sieht ja immer so viel im Fernsehen.“, war in diesen seltenen Momenten seine Standardantwort. Untermalt mit einer weinerlichen Dramaturgie kam das dann auch immer recht gut rüber.
„Nun denn, Herr Krüger!“, verabschiedete sich der Offizier höflich. „Ich hoffe der Rest Ihrer Reise wird angenehmer für Sie verlaufen. Wenn Sie noch die Zeit dafür haben, dann kaufen Sie sich in unserem Deauty Free Shop ein neues Hemd. Natürlich geht das auf unsere Kosten! Berufen Sie sich einfach auf Major Koroljow!“
Er klopfte Kordes noch zweimal auf die Schulter und ging zum Ausgang.
Die Stewardess war über die Bordanlage zu hören und entschuldigte sich mit ihrer hübschen Stimme für die unschönen Szenen der letzten Minuten. Die Maschine würde jetzt an ihr Terminal heran fahren, wo die Passagiere wie geplant die Maschine verlassen könnten.
Kordes holte aus seinem Handgepäck, einer kleinen Reisetasche, ein neues weißes Hemd heraus, zog das alte aus und ersetzte es durch das neue Hemd. Das alte Hemd packte er in die Tasche zurück. Einen Teufel würde er tun und das Hemd einfach wegschmeißen! Daran haftete sein Blut, seine DNA! Man konnte nie vorsichtig genug sein! Wenn er sicher und ungestört war, würde er es rückstandslos verbrennen.
Die blutende Wunde an seinem Hals gestillt, und ein frisches Hemd angezogen, lehnte sich Kordes zurück, schloss einen Moment die Augen und atmete durch.
Na das klappte bis jetzt doch fast reibungslos!, dachte er sich und lächelte.
Das große Unbekannte
Morgens um 6.00Uhr war Rom gerade dabei zu erwachen. Die Kühle der Nacht war noch nicht der Wärme des Tages gewichen und die ersten Schwärme von Tauben zogen durch die Straßen und Gassen der Ewigen Stadt. Dass der Morgen graute, konnte man auch nicht mehr sagen. Die Häuser warfen zwar noch lange Schatten, jedoch war die Sonne schon so stark, dass man es als taghell bezeichnen könnte. Einzig die schmalen Gassen zwischen den hohen Häusern der Stadt lagen noch im Dunkeln.
Im Vergleich zur Rush-hour, die erst in knapp einer Stunde so richtig begann, war der Verkehr noch recht ruhig und die Autos kamen ohne nennenswerte Staus durch die Stadt. Gleichwohl der Morgen so richtig angenehm, frisch und sonnig war, zog es Felipe diesmal vor mit einem Bus des städtischen Nahverkehrs zu fahren. Zum einen war der Vatikan doch ein ganzes Ende entfernt, zum anderen konnte Felipe die Zeit nutzen sich geistig auf den ersten Tag an seinem neuen Arbeitsplatz vorzubereiten. Mit ihm im Bus saßen erstaunlich viele Leute. Ob diese nun alle zur Arbeit wollten, oder von ihr kamen, oder vielleicht ganz und gar woanders hin wollten, vermochte Felipe nicht zu sagen. Die Leute schauten gelangweilt, schweigend und teilweise verträumt aus den Fenstern oder einfach nur vor sich hin.
Ein junger Mann, Felipe vermutete, dass es ein Student war, hatte sich Ohrhörer angelegt und las in einem Buch. Felipe fragte sich wie er das machte? Wie konnte sich dieser junge Mann auf die Handlung des Buches konzentrieren wenn da ständig laute Musik vor sich hin dröhnte? Wenn denn Felipe in seltenen Fällen die Zeit hatte ein Buch zu lesen, dann brauchte er absolute Ruhe um so richtig in die Handlung des Buches abtauchen zu können.
Felipe schüttelte leicht den Kopf um seine momentanen Gedanken beiseite zu schieben.
Du wolltest eigentlich über deinen neuen Job nachdenken!, ermahnte er sich zur Ordnung.
Er hatte noch immer nicht den Hauch einer Ahnung was ihn heute im Vatikan erwarten würde. Wie würden die Priester zu ihm sein? Würden sie kooperieren oder, aus missverstandener Diskretion heraus, sprichwörtlich dicht machen? Felipe hatte noch nie groß mit Klerikern an sich zu tun gehabt, außer vielleicht mit Kardinal Holzenberg. Er wusste noch nicht wie er mit den Kirchenmännern umgehen sollte ohne sie gleich zu verprellen. War ihnen der normale menschliche Umgangston zu banal oder trivial? Lebten sie gar in einer anderen geistigen Ebene, ihr Leben gänzlich Gott gewidmet? Oder konnte man sich mit ihnen wie mit normalen Menschen unterhalten? Wie sollte er vorgehen? Wo sollte er ansetzen? Fragen, Fragen, Fragen! Nichts als Fragen!
Felipe schlug sich vor Frust mit der Faust aufs Knie. Was würde er in einem normalen Mordfall zuerst machen? Was hat er in der Polizeischule gelernt? Normalerweise würde er als erstes den Tatort begehen, einen Blick auf die Leiche werfen. Die Spurensicherung würde den Tatort untersuchen und Spuren sichern. Das waren die ersten und wichtigsten Punkte einer Untersuchung. Die fielen vorerst aus! Denn Felipe war ja nicht in Igoschetsien! Felipe würde normalerweise eventuelle Zeugen über den Tathergang befragen. Das fiel auch erstmal aus! Die waren auch in Igoschetsien! Felipe schniefte durch die Nase und schüttelte den Kopf.
Fassen wir zusammen!, sinnierte er weiter. Was haben wir? NICHTS!!! Blödsinn!! Was haben wir wo wir ansetzen können? Der Papst wurde bei einem Attentat erschossen. Ergo, irgendwo im Leben des Papstes musste es ein faules Ei gegeben haben, was ihm letztendlich den gewaltsamen Tod beschert hat. Es gab Feinde im Leben des Papstes!, das wusste er schon von Kardinal Holzenberg. Welcher dieser Feinde musste einen solchen Hass auf den Papst gehegt haben, um ihn gleich zu töten oder töten zu lassen?
Dieses faule Ei musste Felipe finden! Bis dahin würde jeder der von Felipe befragt wird als verdächtig eingestuft werden! Selbstverständlich würde er das nicht Kardinal Holzenberg erzählen! Im Moment war dieser Mann sein Schlüssel in hoffentlich alle Bereiche des Vatikans!
Jetzt stand für Felipe fest, dass er unter diesen Umständen etwas über den Menschen Papst in Erfahrung bringen musste. Wie war er wirklich? Was waren seine Stärken, was seine Schwächen? Was hielten die anderen Bewohner des Vatikans von ihm? Gab es Vertrauenspersonen des Papstes, wie zum Beispiel einen Butler, einen Sekretär oder ein einfaches Dienstmädchen? Felipe wusste ja nicht wie es bei Päpsten zu Hause so ablief!
Na endlich! Langsam bildet sich aus meinen Gedanken ein verschwommenes Gebilde, was man schon beinahe als Strategie bezeichnen könnte!
Als erstes wollte sich Felipe ganz harmlos den Vatikan zeigen lassen, insbesondere die Privaträume des Papstes. Vielleicht traf er ja dort die eine oder andere Vertrauensperson des Papstes, die Felipe in ein scheinbar harmloses Gespräch verwickeln könnte. Er würde auch das Büro des Papstes, wenn es denn so was gab, inspizieren wollen. Manchmal gab es ja dort Unterlagen aus denen er schlau werden könnte.
Auf keinen Fall durfte Felipe den Personenschutz des Papstes unbefragt lassen. Kaum einer kam dem Papst näher als sein oder seine Personenschützer. Wer waren die Personenschützer überhaupt? Waren das welche von der Schweizergarde oder ein besonderer Dienst für sich?
Doch schon recht bald musste Felipe nach Igoschetsien, die noch vorhandenen Spuren auswerten, solange sie noch warm waren. Das stand für ihn fest. Er musste ebenso einen Blick auf die Leiche des Papstes werfen. Das Aussehen der Verletzungen ließ oftmals Schlüsse auf den Tathergang zu.
Der Busfahrer sagte die vorletzte Station vor Felipes Ausstieg an.
Na siehst Du! Jetzt hast Du schon einen richtigen kleinen Plan!, dachte sich Felipe, lehnte sich zurück und konnte sich dabei ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. Er stand nicht mehr so ganz ohne was da!
Nun war er doch schon recht gespannt und aufgeregt auf seinen ersten Arbeitstag. Jetzt wo er sich so was wie eine Strategie über sein weiteres Vorgehen zurechtgelegt hatte, war die größte Unsicherheit oder Scheu verflogen.
Wenn es etwas gab, was Felipe hasste, dann war es die Vorstellung plan- und ziellos durch die Gegend zu laufen. Um dies zu vermeiden war er immer bestrebt sein Leben so halbwegs durchzuplanen. Viele deuteten dies als penibel, pingelig oder kleinkariert. Felipe sah das natürlich ganz anders! Er selbst fand zum Beispiel, kein guter Hausmann zu sein. Auch machte die Ordnung auf seinem Schreibtisch nicht allzu viel her.
Der Bus hatte die vorletzte Station passiert. Gleich musste Felipe raus. Er stand schon mal auf und begab sich nach hinten zur Ausgangstür. Er drückte den Signalknopf für den Busfahrer und sprang, kaum dass sich die Tür geöffnet hatte, die Aktentasche in der Hand, aus dem Bus. Da er der Einzige war, der ausstieg und auch keine Leute einstiegen, fuhr der Bus auch sogleich weiter.
Felipe stand nun da und atmete tief durch. Die Luft war um diese Zeit einfach nur herrlich frisch! Zügig ging er los und erreichte bald das Portal zum Petersplatz. Kaum hatte er die Grenze zum Vatikan überschritten, wurde er auch schon von den ersten Überwachungskameras eingefangen. Felipe machte sich einen Spaß und winkte freundlich in die Objektive der Geräte, obgleich er wusste, dass in den seltensten Fällen jemand permanent im dazu gehörenden Kontrollraum saß und alle Monitore überwachte.
Zügig überschritt Felipe den Petersplatz in Richtung sixtinische Kapelle, wo er sich um Punkt 7.45 Uhr mit Kardinal Holzenberg treffen wollte. Es war inzwischen schon 7.38 Uhr, wie Felipe mit einem Blick auf sein Smartphone feststellte. Da er lieber fünf Minuten früher da sein wollte als exakt pünktlich, erhöhte er seine Geschwindigkeit und rannte schon fast über den Petersplatz. Er hatte keinen Blick für die Taubenschwärme, die sich auf dem großen Platz tummelten und, durch seine Eile aufgescheucht, davon flogen.
Genau um 7.40 Uhr hatte er sein Ziel erreicht, blieb vor dem Eingang des alten Gebäudes stehen und atmete erneut tief durch. Er richtete seinen Dienstanzug her und schaute sich um.
Die Sonne stand knapp über dem Hauptportal zum Petersplatz und erfüllte diesen mit ihren warmen Strahlen. Vielleicht waren deshalb so viele Tauben anzutreffen, weil sie die Energie der morgendlichen Sonnenstrahlen tankten?
Sein Blick schweifte weiter zum Palast, in dem der Papst zu wohnen pflegte. Felipe fand, dass dieser Palast bis auf seine Größe ein eher schlichter Bau mit wenig Prunk und Pomp war. Er wusste nicht zu sagen wo genau der Wohnbereich des Papstes war. Er hat sich einfach nie mit diesem Thema beschäftigt! Doch konnte er sich auch nicht vorstellen, dass ein Mensch allein ein so riesiges Gebäude bewohnen konnte!
Weiter schweifte sein Blick zum alles überragenden, ehrfurchtgebietenden, alles in den Schatten stellenden, gigantischen Petersdom, als wäre er der Nabel der Welt! Vielleicht wurde dieser Eindruck ja auch mit dessen Erbau bezweckt? Noch heute wollte man am liebsten ehrfurchtsvoll, allein wegen der technischen Meisterleistung der damaligen Zeit, in die Knie gehen. Wie musste es da erst einem streng gläubigen Katholiken ergehen?
Felipe nahm seine Aktentasche in die andere Hand. Nicht dass sie irgendwie schwer war! Heute war bis auf ein paar Sandwichs, ein paar Stifte, ein Schreibblock und seine Unterlagen für die vatikanische Verwaltung nichts in ihr enthalten. Er nahm immer seine Aktentasche mit zur Arbeit. Sie hat ihn schon durch die letzten drei Jahre seiner Schulzeit, durch seine Polizeischulzeit und durch sein bisheriges noch junges Arbeitsleben begleitet. Felipe hatte sie schon fast lieb gewonnen und wollte sich nur ungern von ihr trennen. Er hatte sie immer dabei, ob er sie nun brauchte oder nicht!
Ein Blick auf sein Smartphone verriet ihm dass es bereits 7.46 Uhr war.
Na ja! Besser mein Chef ist zu spät als ich!
Felipe glaubte Kardinal Holzenberg als seinen Chef bezeichnen zu dürfen. Immerhin hatte der ihn ja auch eingestellt!
Er drehte sich um, mit der Absicht sich das Gebäude hinter ihm genauer anzuschauen, als er von weitem, hinter seinem Rücken, ein Fahrzeug nahen hörte. Er drehte sich erneut um. Eine große schwarze Limousine mit verdunkelten Scheiben, ein Mercedes älteren Baujahres, rollte, aus Richtung Papstpalast kommend, auf ihn zu.
Das wird er wohl sein!, dachte sich Felipe und lief die paar Stufen vom Portal hinunter auf den Platz. Der Wagen hielt an und ein Chauffeur stieg aus. In schwarzem Anzug mit einer schwarzen Schirmmütze auf dem Kopf, bestätigte der Mann das allgemeine Klischee eines Chauffeurs. Er kam auf Felipe zu.
„Signor Ventucelli?“
„Ja! Der bin ich!“
Felipe reichte dem Mann die Hand, der über derart persönliches Verhalten ihm gegenüber etwas irritiert zu sein schien. Dennoch erwiderte er Felipes Handschlag.
„Monsignore Holzenberg schickt mich, Sie zu ihm, in seine Diensträume zu bringen. Er bittet Sie zu entschuldigen, dass er Sie nicht persönlich begrüßen kann.“
„Schon vergessen!“ Felipe klopfte dem Mann auf die Schulter. „Dann lass uns mal zum Kardinal fahren!“
Der Chauffeur schaute Felipe verblüfft an.
Mein Gott! Hat der nen Besen verschluckt, so steif wie der ist?, dachte sich Felipe.
Der Chauffeur wollte ihm gerade die Tür zum Fahrgastbereich öffnen, als Felipe auch schon die Beifahrertür geöffnet hatte und Platz nahm.
„Ähm..., Signor Ventucelli?“, sagte der Fahrer kleinlaut und hielt noch immer die Tür geöffnet. Felipe schaute ihn lächelnd an.
„Sehe ich etwa aus wie der Kardinal? Ich bin hier ein genauso kleines Licht wie Sie!“
„Wie Sie meinen!“
Der Mann schlug die Tür zu, die nur leise, einem Windhauch gleich, kaum hörbar ins Schloss fiel.
Ach deutsche Autos sind doch was feines!, dachte sich Felipe.
Der Chauffeur setzte sich hinters Steuer und fuhr, stur nach vorne schauend, los.
Felipe musterte ihn. Er war ein Durchschnittstyp, von etwa fünfzig Jahren. Er hatte schwarzes Haar mit leichten grauen Ansätzen an den Schläfen und war glatt rasiert. Nicht ein Bartstoppel war zu sehen.
Wie lange der wohl jeden Morgen für eine derart gründliche Rasur braucht?
Er war weder dick noch schlank. Noch zeigte überhaupt irgend etwas an ihm etwas Markantes. Sein Gesicht war absolut gleichmäßig, eben gewöhnlich! Weder hatte er eine Knollennase noch eine lange spitze Nase, wie Holzenberg. Seine Lippen waren weder dünn noch übermäßig definiert. Er hatte auch keine hohe Stirn, nichts! Stünde dieser Mann auf dem Petersplatz, über den sie gerade fuhren, in zivil mit zwei anderen Personen, man würde ihn glatt übersehen!
„Mein Name ist übrigens Felipe! Wir werden künftig wahrscheinlich häufiger miteinander zu tun haben!“
„Ich bin Signor Balduci!“, erwiderte dieser teilnahmslos, auf die persönliche Annäherung seitens Felipe in keinster Weise eingehend.
„Na Klasse! Seid Ihr Angestellten hier alle so gesprächig?“
„Falls Sie es vergessen haben, der heilige Vater ist vorgestern verstorben!“
Ach Du meine Güte! Sind hier etwa alle streng gläubige Katholiken und stehen unter kollektiver Trauer?