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Eine höllische Groteske: witzik, ironisch, spannend und geistreich! Isak Björkhage ist in Schwierigkeiten – in außerirdisch großen Schwierigkeiten. Während Gott im Himmel scheinbar nur noch deprimiert vor sich hin vegetiert, plant Beelzebub in der Hölle einen Aufstand gegen Satan. Dazu braucht er menschliche Hilfe: Isaks kleine Schwester. Isak, der sich liebevoll um das Mädchen kümmert, ahnt von alldem nichts – bis sich vor seinen Augen die Hölle auftut und seine Schwester verschluckt. Von einer sprechenden Ratte erfährt er, was Beelzebub vorhat und dass er der Einzige ist, der die bevorstehende Apokalypse noch aufhalten kann. Kurzerhand macht sich Isak auf eine Reise bis tief hinunter in den neunten Kreis der Hölle … Von der Autorin ist bereits folgender Titel bei Droemer eBook erschienen: »Frau Bengtsson geht zum Teufel«.
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Seitenzahl: 348
Caroline L. Jensen
Die Teufel, die ich rief
Ein höllischer Roman
Aus dem Schwedischen von Frank Zuber
Knaur e-books
Gott leidet unter Burnout – da wittert Beelzebub seine Chance: Er ruft unter den Dämonen zum Aufstand gegen Satan auf. Und wenn erst einmal die Ordnung von Himmel und Hölle zusammengebrochen ist, hält die Dämonen nichts mehr in ihrem höllischen Verlies …
Von diesen Machenschaften ahnt Isak nichts. Er ist Hausmeister an seiner alten Schule und kümmert sich liebevoll um seine Schwester Thea. Doch dann erklärt ihm eine sprechende Ratte, dass Thea von Beelzebub für seine finsteren Pläne auserwählt wurde und nicht nur sie, sondern die ganze Welt in großer Gefahr ist. Kurzerhand macht sich Isak auf eine Reise bis in den neunten Kreis der Hölle …
Bitterböse, schräg und ein teuflischer Spaß!
Für meinen Sohn.
Weil nichts wichtiger als die Fantasie ist.
Du folg’ itzt mir zu deinem Heil – mein Denken
Und Urteil ist’s – ich will dein Führer sein,
Und dich durch ew’gen Ort von hinnen lenken.
Dort wirst du hören der Verzweiflung Schrei’n
Wirst alte Geister schau’n, die brünstig flehen
Um zweiten Tod in ihrer langen Pein.
Wirst jene dann im Feu’r zufrieden sehen,
Weil sie verhoffen, zu dem sel’gen Chor,
Sei’s wann es immer sei, noch einzugehen.
Dante Alighieri, Göttliche Komödie
(Übersetzung von Carl Streckfuß)
Hell is empty and all the devils are here.
William Shakespeare, The Tempest
Lasst sie doch alle zur Hölle fahren«, meinte der Grüne.
In der öden Unendlichkeit des Alls, versteckt hinter einem Meteor, vibrierten vier Strings in verschiedenen Farben. Die Elementarteilchen kreisten um ein Loch im Gewebe der Raumzeit und diskutierten, was sie darin sahen.
»Beschlüsse dieser Größenordnung müssen einstimmig gefasst werden, das wisst ihr«, sagte der Graue und wirbelte zur Seite, damit der Rote besser sehen konnte.
Durch das Loch blickten sie auf zwei junge Männer auf dem Planeten Erde. Der eine, ein eher beleibter Typ, saß in einem Einkaufswagen, der andere schob ihn in voller Fahrt eine steile Straße hinab.
»Was tun sie da?«, fragte der Gelbe.
Plötzlich prallten die Räder des Einkaufswagens gegen die Bordsteinkante. Der Wagen schnellte hoch, der Dicke fiel heraus und bekam den Griff an den Kopf. Der andere ließ sich neben ihm ins Gras fallen, und beide grölten vor Lachen.
»Sie spielen, glaube ich«, flüsterte der Rote.
»Soso. Wie gesagt: Wenn wir verhindern wollen, was da unten geschieht, müssen wir uns einig sein«, tönte der Graue und flimmerte dem Grünen zu.
»Auweia«, antwortete der Grüne. »Seht nur, was sie jetzt tun!«
Alle vier schauten in das Loch. Der Dicke hatte einen Joint aus der Hosentasche gezogen. Er zündete ihn an, nahm einen tiefen Zug und reichte ihn dem anderen.
»Dieses Loch von einem Planeten ist voll mit solchen Typen«, schimpfte der Grüne. »Warum sollten wir Zeit und Kraft für die vergeuden? Lasst dem Krieg seinen Lauf. Mit etwas Glück wird der Planet überleben. Und wenn nicht, ist es kein großer Verlust, wenn ihr mich fragt. Ich stimme dagegen.«
»Dann sieht die Sache so aus«, konstatierte der Grüne. »Ohne einstimmigen Beschluss kann der Rat nicht eingreifen. Es kommt, wie es kommt, und sie müssen sich selbst aus der Patsche helfen.«
Der Rote schwebte näher an das Loch heran, und was er sah, verhieß nichts Gutes. Der Fette sagte etwas und griff sich demonstrativ in den Schritt, worauf der andere so heftig lachte, dass ihm der Joint aus dem Mund fiel und fast die Augenbrauen verkohlte. Der Dicke kugelte sich vor Lachen.
»Du meinst«, sagte der Rote zögernd, »dass diese beiden Typen die gesamte Schöpfung vor dem Untergang retten sollen?«
Raphael hatte die Abendwinde auf den Weg geschickt, Venus behutsam auf ihre elliptische Bahn gesetzt und einen Spaziergang im zweiten Himmel gemacht, um bei den Cheruben nach dem Rechten zu sehen.
Nun gab es nichts mehr zu tun. Er konnte es nicht länger aufschieben.
Der Erzengel zupfte sein Gewand zurecht, räusperte sich und klopfte an die Tür zu Gottes Schlafzimmer.
Er wartete. Trat von einem Fuß auf den anderen und klaubte ein unsichtbares Haar vom Ärmel.
Nach einer Weile klopfte er wieder, diesmal fester, und bekam einen kläglichen Laut als Antwort. Vorsichtig öffnete er die Tür zum Allerheiligsten und sah sich um.
»Herr?«
Neben dem großen Futon stand ein goldenes Tablett, auf dem ein ganzes Brot lag. Daneben eine Karaffe voll reiner, perlender Liebe. Nichts war angerührt. Auf dem Boden lag eine Decke, die aus purer Freude und Geduld gewoben war. Darunter rührte sich etwas.
»Herr?« Raphael trat zögernd an das unordentliche Knäuel heran.
Wieder erklang der klägliche Laut.
»Was sagt Ihr, geliebter Herrscher?«
Eine Hand streckte sich über den Futon und winkte ab. »Lass mich in Ruhe«, sagte Gott. »Ich will allein sein.«
Raphael zögerte, doch dann zog er vorsichtig an einem Zipfel der Decke. »Aber Herr, Ihr habt Euer Brot wieder nicht angerührt. Das kann nicht so weitergehen, Ihr werdet noch …«
Gott zog die Decke so fest an sich, dass Raphael beinahe vornüberfiel. Der Erzengel spürte den zornigen Blick seines Herrn. »Lass – mich – in – Ruhe, habe ich gesagt. Ist das so schwer zu verstehen?«
»Aber …«
»Hinaus!«, rief Gott und begrub sein Haupt wieder unter der Decke.
Raphael schluckte bekümmert und rückte die Karaffe so dicht wie möglich an seinen Herrn. »Trinkt wenigstens etwas Liebe. Mir scheint, Ihr könnt sie gebrauchen …«, sagte er und verließ schweren Schrittes den Raum. Hinter sich hörte er Gott tief seufzen. Der Herr unterdrückte gar ein Schluchzen. Tiefe Sorge befiel den Erzengel.
Vor der Tür traf er Uriel, der ein Bündel Pergamentrollen unter dem Arm trug.
»Darf man eintreten?«
Raphael schüttelte den Kopf. »Keine Veränderung. Aber du kannst es ja versuchen. Wir dürfen auf keinen Fall aufgeben!«
Uriel sah den Kollegen resigniert an und zog unverrichteter Dinge davon. Raphael lehnte die Stirn an die herrschaftlich verzierte Tür und weinte bittere Tränen.
Isak Björkhage stieg aus den Doc Martens. Der Korridor war eng, und im Vorbeigehen riss er eine Jacke von der Garderobe. Er stöhnte und wollte sie aufheben, doch dann hielt er ein. Die Jacke war senfgelb und dick gefüttert. Er hatte sie nie gesehen.
»Isak?«, rief Mutter aus dem Wohnzimmer. Dann hörte er sie sagen: »Tausend Mal habe ich ihm gesagt, dass er die Wohnungstür nicht zuknallen soll, aber du weißt ja, wie Teenager sind.« Sie lachte nervös. Isak wusste, dass sie entweder an einem Ohrring zupfte oder die Hände rang, die vom vielen Waschen rot waren.
Im Stillen wandte er ein, dass er die Tür wenigstens benutzte und sich in die Welt davor begab, während sie Tag für Tag in der Wohnung saß und langsam verfaulte. Und dass dieser »Teenager« gern eine eigene Wohnungstür zum Zuknallen besessen hätte, weil er fast zwanzig war. Doch stattdessen seufzte er und rief: »Entschuldigung, Mama!«
Er blieb vor dem Spiegel stehen und richtete die langen, schwarz gefärbten Stirnhaare, so dass sie über dem linken Auge hingen. Der schwarz-lila gestreifte Pullover war ziemlich ausgeleiert, und die graue Jeans hing locker auf seinen schmalen Hüften. Er steckte die Daumen durch die ausgefransten Löcher in den Ärmeln und zog den Pulli glatt. An seinen Fingernägeln klebten Reste von schwarzem Nagellack. Schließlich setzte er die perfekte Miene auf – eine Kombination aus Müdigkeit und Aufmüpfigkeit – und schlenderte ins Wohnzimmer.
»Isak«, sagte Anna-Karin Björkhage. »Du hättest vor fast einer Stunde daheim sein sollen. Wir haben auf dich gewartet.«
Wann kapiert sie endlich, dass ich über achtzehn bin?
Er sah seine dürre, gebrechliche Mutter mit einer Mischung aus Liebe und Verachtung an. Es war immer dasselbe. Er wollte sie in den Arm nehmen und gleichzeitig laut schreien. Ihr zärtlich über den Kopf streicheln und sie an den Schultern packen und durchrütteln. Sich dicht an sie kuscheln und sie für immer verlassen. Er räusperte sich. »Sorry. Rufus und ich haben Musik gehört, und die Zeit ist einfach davongelaufen.« Mit einer Geste deutete er an, wie die Zeit flog, da entdeckte er den Mann auf dem Sofa. »Äh?«, sagte er, und die Hand blieb in der Luft wie ein im Flug erstarrter Vogel.
Cool, dachte er. Der Poet Isak Björkhage drückt seine Verwunderung aus.
Der Mann auf dem Sofa sah ganz entspannt aus. Er lachte, aber Isak mochte sein Lachen nicht. Noch weniger gefiel es ihm, dass seine kleine Schwester Thea auf dem Schoß des Mannes saß. Dabei umklammerte sie ihren Lebensgefährten, den Frosch Herrn Hopp, so fest, dass ihre kleinen Finger ganz weiß waren.
Thea Björkhage war ein seltsames Kind. Sie war altklug, und viele fühlten sich in ihrer Gesellschaft unwohl. Manchmal sei sie geradezu boshaft, meinten die Vorschullehrer. Isak und Anna-Karin fanden dies ungerecht, schließlich war Thea erst sechs.
»Sie lässt sich eben nicht alles gefallen. Sie ist keine blöde Barbie-Puppe«, sagte Isak immer, wenn es wieder eine Schlägerei in der Vorschule gegeben hatte und Anna-Karin sich über Theas schwierigen Charakter beschwerte. Erst vor ein paar Tagen hatte er eingreifen müssen, weil die anderen Kinder sie nicht mitspielen lassen wollten. Vier gegen eine. Sie hatten ihr demonstrativ den Rücken zugedreht, als Isak kam. Der altbekannte Zorn stieg in ihm auf, und er schrie die Kinder an. Sie heulten und sagten, Thea sei böse zu ihnen gewesen. Vermutlich hatten sie recht. So süß und unschuldig sie aussah und so traurig sie auch dreinblickte, Thea hatte großes Talent, andere Kinder zu kränken und zu verschrecken. Doch das war ihm egal. Sie hat doch nur mich, dachte er zum tausendsten Mal. Nicht einmal eine richtige Mutter hat sie.
In den Armen des fremden Mannes jedoch sah sie wie ein zartes Kleinkind aus. Ihr Blick drückte abwechselnd Furcht und Verwunderung aus.
»Isak«, sagte Anna-Karin noch nervöser als sonst.
Das Spiel gefiel ihm nicht.
»Das ist Benjamin …«
»… mein Papa«, flüsterte Thea und schüttelte den Kopf, als würde sie es selbst nicht glauben.
Der Mann auf dem Sofa nickte und streichelte Thea mit seiner Pranke über den Kopf. Anna-Karin rang die Hände, die röter denn je aussahen. »Setz dich, es gibt Zimtschnecken und Kuchen«, sagte sie und schob ihm einen Teller zu.
»Gibt’s kein Bier?«, fragte Isak, aber Anna-Karin runzelte die Stirn, und er setzte sich auf den Fußschemel des Lehnstuhls. Als er bemerkte, wie unbeholfen seine Mutter den Tisch gedeckt hatte, stand er wieder auf, holte Untersetzer aus dem Regal und stellte sie unter die Gläser. Was sollte er sagen? Er nahm ein Stück Kuchen und kaute. Anna-Karin schenkte Saft für alle ein.
»Also?«, sagte er endlich, und ein Krümel schoss aus seinem Mund und landete auf der Hose des Fremden.
Alle starrten ihn an.
Thea drückte Herrn Hopp so fest, dass sie ihm fast den Kopf abriss.
Isak stieg das Blut in den Kopf. Er hasste es, wie leicht er rot wurde.
Theas Papa? Unmöglich, sie hatten nie etwas von ihm gehört.
Der Mann beugte sich nach vorn, bürstete den Krümel von der Hose, streckte eine riesige Hand aus und sagte: »Ich weiß, wie seltsam das für dich sein muss. Ich heiße also Benjamin.« Isak stützte das Kinn auf die linke Hand und nuckelte an seinem Ärmel. Er starrte die Hand an, doch er nahm sie nicht.
»Aber Isak …«, beschwerte sich Anna-Karin. Er hasste diesen kläglichen, flehenden Ton.
Schließlich streckte er die Hand aus.
»Hej, Benjamin«, sagte er. »Isak.« Seine langen, schmalen Finger verschwanden in Benjamins Pranke. Eine Fliege kam aus dem Nichts und setzte sich auf Isaks Unterarm. Er zog ihn zurück und schlug nach ihr.
»Ich weiß«, sagte Benjamin. »Deine Mutter hat viel von dir erzählt. Du scheinst ein tüchtiger junger Mann zu sein.« Wieder streichelte er Thea über den Kopf, und sie streckte sich wie eine Katze. Isak lief es kalt den Rücken hinunter. Er konnte nicht länger zusehen und suchte Ablenkung.
»Wo ist Gumman?«
Anna-Karin lachte verlegen und zeigte zum Fenster. »Sie liegt da drüben. Benimmt sich schon den ganzen Nachmittag komisch.«
Isak rief, aber Gumman kam nicht. Er stand auf und schob die Gardine zur Seite. Dahinter lag der alte Border Terrier der Familie. Gumman glich mehr denn je einer mürrischen alten Schachtel. Sobald sie Benjamin sah, fing sie an zu knurren.
»Ich verstehe es nicht. Sie ist so ein lieber Hund und mag sonst alle Besucher. Besonders, wenn sie Zimtschnecken haben«, sagte Anna-Karin und rang wieder die Hände. Isak nahm Gumman auf den Arm und steckte die Nase in ihren Nacken. Er schloss die Augen, um für einen Moment in den vertrauen Duft zu flüchten. Gumman beruhigte sich, aber sobald Isak sie absetzte, huschte sie zwischen seinen Beinen hindurch und verschwand in der Küche.
»Du fragst dich sicher, warum ich hier bin«, sagte Benjamin und streichelte Thea, als wäre sie sein Kuscheltier. Isak fasste einen Entschluss. Er drehte sich um.
»Nein, eigentlich nicht.« Er blieb mit geballten Fäusten am Fenster stehen. Draußen zeichneten sich die Hochhäuser am Abendhimmel ab.
»Nein?« Benjamin klang erstaunt.
»Vielmehr frage ich mich, wo Sie die ganze Zeit gewesen sind.«
»Isak!« Anna-Karin schüttelte den Kopf und blickte betroffen drein.
»Was denn?«, fragte Isak mit eiskalter Stimme. »Das hast du dich doch auch gefragt, oder etwa nicht? Jeden Abend sitzt du in der Küche, rauchst und fragst dich, wo er steckt. Du hast dich bloß nie getraut, es zu sagen.«
Es wurde still im Raum.
»Du bist nur neidisch, dass mein Papa zurückgekommen ist und nicht deiner!«, piepste Thea und streckte ihm die Zunge heraus.
Isaks Magen schnürte sich zusammen, ein dicker Kloß steckte in seinem Hals. Mit einem tiefen Atemzug unterdrückte er die Sehnsucht.
Anna-Karin sah aus, als würde sie jeden Moment heulen.
Thea verbarg das Gesicht in Herrn Hopps Bauch.
Benjamin sah Isak mit schmalen Augen an und neigte den Kopf. Isak errötete erneut, aber er erwiderte den Blick so selbstsicher wie möglich. Sein Vater hatte sie verlassen, als Isak ein Jahr alt gewesen war, und seitdem war er der Mann in der Familie. Die Rolle wurde ihm aufgezwungen, aber er war in sie hineingewachsen. Seit er denken konnte, hatte er sich um Mutter und Thea gekümmert, und trotz aller Bitterkeit hatte er nicht vor, dies jemand anderem zu überlassen – jedenfalls noch nicht.
Benjamin lachte gekünstelt. »Neunzehn Jahre und schon so erwachsen.«
Isak wusste nicht, ob dies ein Kompliment oder eine Beleidigung war. Er fuhr sich durch die Haare.
»Na und?« In diesem Moment stellte er fest, dass alle Kissen plattgedrückt in einer Ecke des Sofas lagen. Er hob eines nach dem anderen auf, schüttelte sie auf und legte sie ordentlich nebeneinander.
»Du hast recht. Ich schulde euch eine Erklärung.« Benjamin drehte eine Locke von Theas blondem Haar um den Zeigefinger. »Vor allem dir, mein Schatz.«
Anna-Karin nickte verunsichert.
Isak beruhigte sich ein wenig.
»Das war mutig, Isak, mir alles ins Gesicht zu sagen. Könnte es sein, dass das Leben dich irgendwie … ungerecht behandelt hat? Du scheinst ziemlich abgehärtet. Komm, setz dich. Nimm noch ein Stück Kuchen, dann erzähle ich dir alles.«
Thea ließ Herrn Hopps Hals los.
Isak zuckte betont lässig mit den Schultern, setzte sich Benjamin gegenüber und nahm einen Himbeerkeks.
Im neunten Graben des achten Höllenkreises fand ein geheimer Rat statt. Beelzebub, der Herr der Fliegen und einer der sieben Prinzen der Hölle, lauschte den Schreien, die durch den Graben hallten, während die Verschwörer zusammenkamen. Ringsumher hackten Schwertdämonen die armen Sünder entzwei, die in ihrem irdischen Leben Zwietracht zwischen den Menschen gesät hatten. Es war geradezu poetisch, sich hier zu versammeln, dachte Beelzebub stolz. Ein zufriedenes Grinsen zierte sein geschwollenes Antlitz. Immer mehr gefallene Engel und niedere Dämonen trafen ein und machten es sich in Mulden und Felsspalten bequem, die schön glitschig von halb geronnenem Blut waren. Eisengeruch lag in der Luft. Einige drehten ängstlich die Köpfe. Die Pforte zum neunten und inneren Kreis der Hölle war nicht weit. Sie wurde von Riesen bewacht, die seit Jahrhunderten miese Laune hatten.
Beelzebub überblickte die bunte Schar. Seine Brust schwoll vor Stolz. Er streckte die Zunge heraus, befeuchtete die Lippen, und als er zur Rede anhob, erklang ein lautes Summen wie von Millionen Fliegen.
»Darf ich um etwas Ruhe bitten? Danke«, sagte er.
Die Versammlung reagierte nicht.
Die meisten von ihnen waren gefallene Engel, die nach zwölfhundert Jahren Strafe im Abgrund auf eine Rückkehr ins Himmelreich gehofft hatten. Sie hatten an Satans Revolte gegen Gott teilgenommen, aber die war bekanntlich schiefgelaufen. Gott hatte die Hölle erschaffen und ein Drittel seiner Engel hinabstürzen lassen.
Inzwischen waren mehr als sechstausend Jahre vergangen. Fast siebentausend. Und sie saßen immer noch hier.
Nun wollten sie die Sache selbst in die Hand nehmen. Es hatte nicht viel Überredungskunst gekostet, eine große Gang zusammenzutrommeln.
Beelzebub räusperte sich geräuschvoll und spreizte die gewaltigen Nasenflügel. Noch immer keine Reaktion. Bucon hatte seinen riesigen, haarigen Körper in eine glühende Spalte gequetscht. Hass sprühte aus seinen Augen, als er die anderen Dämonen betrachtete.
Was kann man vom Dämon des Hasses anderes erwarten, dachte Beelzebub und kicherte in sich hinein.
Eine schmächtige Gestalt mit dem Kopf eines Einhorns und langen Klauen kroch schmeichlerisch nach vorn. Sie machte eine Geste, die die ganze Hölle umfasste, und sah Beelzebub fragend an.
»Nein danke, Amdusias, es ist gut so«, sagte Beelzebub. Amdusias, der für die Endlosschleife kakophonischer Musik in der Hölle sorgte, zuckte mit den Schultern und kroch auf seinen Stein zurück.
Neben Bucon prügelten sich drei Dämonen, dass die Fetzen flogen.
Beelzebub schrie so laut, dass sich ein Stein von den Wänden des Grabens löste: »Ruhe!«
Die Dämonen schnaubten und verstummten. Wenn einer der Wächter oder gar Satan persönlich hörte, was hier vorging …
Zur höllischen Kakophonie und den Schreien der Sünder rollte der Stein die Wand hinab, prallte gegen einen Vorsprung und flog in hohem Bogen auf Amdusias Kopf. Er rieb sich den Schädel und fluchte, und alle brachen in schallendes Gelächter aus.
»Genug!«, rief Amon. Dass er hier war, verwunderte Beelzebub. Amon war einer von Satans sieben Söhnen, als Prinz der Hölle herrschte er über deren westlichen Teil. Er strich mit den Klauen durch sein langes goldenes Haar und streckte sich. Seine goldene Rüstung klapperte, auf dem Brustpanzer prangte ein blutrünstiger Löwe.
Alle schwiegen.
Amon machte einen Kratzfuß.
»Danke, Amon. Und Ehre euch allen, die ihr gekommen seid.« Er zählte. »Siebzehn seid ihr. Und jeder von euch hat viele Legionen unter sich. Besonderer Dank gilt dir, Eligos. Dein Talent wird uns unentbehrlich sein.«
Eligos, eine gespenstische Erscheinung, lenkte sein ebenso gespenstisches Ross in die Mitte der Schar. Es bäumte sich auf und schlug mit den Flügeln. Beelzebub hatte es aus einer Pferdeleiche aus dem Garten Eden geschaffen und Eligos geschenkt, weshalb dieser sich verpflichtet fühlte.
»Ich betone«, sagte Eligos, »dass meine Gabe, den Ausgang eines Krieges vorherzusagen, nicht unbedingt für dieses … Vorhaben gilt. Das ist etwas ganz anderes als die Konflikte der Menschen.«
»Dafür haben wir volles Verständnis«, sagte Beelzebub, und Eligos ritt beruhigt an den Rand der Versammlung zurück.
»Und was ist das für ein Vorhaben?«, fragte eine grelle Stimme.
Beelzebub streckte sich, und sein Gesicht schwoll noch stärker an. »Ach, Duer … tritt vor!«
Eine merkwürdige Gestalt stelzte auf fünf Ziegenbeinen heran. Sie hielt den Kopf gebeugt, redete aber so deutlich, dass alle sie verstanden. »Danke. Ich will wissen, was wir hier tun und wie es rein logisch funktionieren soll. Welche Folgen wird es haben? Sollen wir es wirklich tun?«
Die Schöneren unter den Dämonen machten sich über ihn lustig, und Duer wurde wütend: »Haha. Wer zuletzt lacht … Apropos: Habt ihr Ipos gesehen?«
Die Dämonen schnaubten erwartungsvoll, und aus einer dunklen Grotte antwortete eine heisere Stimme: »Hier bin ich.« Es folgte ein tiefer Seufzer, dann trat Ipos hervor.
Die gesamte Schar kugelte sich vor Lachen.
Ipos war es gewohnt, dass die anderen Höllenbewohner sie wegen ihres Aussehens mobbten. Sie hielten sich schon die Bäuche, wenn sie die Hufe auf dem steinigen Boden klappern hörten und die Engelsgestalt mit dem Kopf eines Löwen und den Hinterbeinen einer Ziege sich näherte. Die Krönung allerdings war der weiße, flauschige Hasenschwanz. Sogar der hasserfüllte Bucon schüttelte sich und wischte verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.
Wenn das mal gutgeht, dachte Beelzebub, der sich selbst kaum halten konnte.
»Hier bin ich«, wiederholte Ipos nachdrücklich und versuchte, Haltung zu bewahren. »Und so weit ich sehen kann, bin ich der einzige Wahrsager hier.«
Die Dämonen verstummten.
Als Ipos sich jedoch Hufe klappernd in ihre Grotte zurückzog, brach das Gelächter wieder aus. Sogar Beelzebubs mächtige Schultern zitterten, aber er beherrschte sich.
»Ipos«, sagte er, »ich freue mich, dass du hier bist. Wir werden dich dringend brauchen, deshalb schlage ich vor, dass wir Ipos mit gebührendem Respekt behandeln.«
Er blickte scharf in die Runde.
»Komm zur Sache«, mahnte Duer, der Philosoph auf fünf Ziegenbeinen.
Wenn das mal gutgeht, dachte Beelzebub erneut, atmete tief ein und begann seine Rede.
»Freunde! Seit über sechstausend Jahren sind wir verstoßen. Wir wurden in den Abgrund gestürzt. Geächtet und gequält. Viele von uns sind daran verzweifelt. Wir wurden aus dem himmlischen Leben gerissen, um unser Dasein in der Hölle zu fristen. Und das alles nur, weil wir uns Satans Streben nach Selbständigkeit angeschlossen hatten. Nach Freiheit. Es war schrecklich, von Gottes Gnade in dieses Loch zu fallen. Unser Leben hatte mit einem Mal jeden Sinn verloren. Was sollten wir tun, wie konnten wir es ertragen? Wohl jeder von uns hat sich am Anfang diese Frage gestellt. Die ersten tausend Jahre waren die härtesten, nicht wahr?«
Ein allgemeines Nicken bekräftigte seine Worte, und Beelzebubs Brust schwoll an. »Das erste Jahrtausend war eine Qual, weil wir es einfach geschehen ließen, aber was passierte dann?«
Sein Blick wanderte von Dämon zu Dämon.
»Wir haben einen neuen Sinn gefunden!«, rief Bucon aus seiner glühenden Spalte.
»Ja. Besonders du, Bucon«, antwortete Beelzebub.
In diesem Moment ging ein Schnauben durch die Menge. Astaroth, der Fürst der Spione, landete plötzlich als grauer Nebel in ihrer Mitte. Er war kaum zu sehen, aber man spürte seine Anwesenheit.
Ipos sprang auf und kreischte: »Spion!«
»Setz dich«, sagte Beelzebub. »Astaroth ist auf mein Geheiß hier. Wir werden gleich hören, was er zu sagen hat.« Ipos gehorchte, aber sie warf böse Blicke auf die Stelle, wo sie Astaroth vermutete.
Der Herr der Fliegen seufzte. »Wir fanden also einen neuen Sinn, wie Bucon sagte. Wir wurden die Antithese zu Gott und seinem Himmelreich. Wir ließen uns nicht mehr vom Abgrund quälen, sondern wurden ein Teil des Abgrunds. Unser Führer – der einst so großartig war – lehrte uns, dass wir nur existieren, um Gottes Plan zu vereiteln. Satan lehrte uns auch, wie wir unseren Sinn gegen Gottes neuestes Projekt richten, das er so liebt: die Erde und die Menschen.«
Menschen. Bei diesem Wort spuckten viele Dämonen auf den Boden.
»Ja, er war ein guter Führer, Satan. Ich kann es nicht anders sagen. Ich war selbst im Pandämonium, als er mit Moloch und Belial auf die Idee kam, den Menschen in Gestalt einer Schlange die Erkenntnis und Freiheit von Gottes Tyrannei zu erbieten. Ihr wisst alle, wie erfolgreich er war. Das Verhältnis der Menschen zu Gott ist nachhaltig gestört, seit Eva in den Apfel biss.«
Ein spontaner, aber sehr kurzer Applaus ertönte im Graben.
»Wo wir gerade von ihm reden, wo steckt eigentlich Belial?«, fragte Duer.
Beelzebub warf Astaroth einen fragenden Blick zu. Die Antwort schien aus mehreren Richtungen gleichzeitig zu kommen: »Der Kronprinz patrouilliert in seinem Feuerwagen an den Ufern des Acheron. Er will nichts mit der Sache zu tun haben. Er hat sich zum ›Dämon der wahren Selbständigkeit‹ ausgerufen und sagt, er führe seinen eigenen Krieg.«
Beelzebub schüttelte den Kopf. »Das ist Verrat. Aber es hat keinen Einfluss auf das, was wir tun müssen. Besser, er führt seinen eigenen Krieg, als sich auf Satans Seite zu schlagen.«
»Ist das dein Plan? Ein Krieg gegen Satan? Warum?«, fragte Duer, der immer alles logisch erklären wollte.
Beelzebub wippte auf den Hacken auf und ab. »Wie ich bereits sagte, ich war dabei, als Satan sich von Gott befreien wollte. Ich war dabei, als er sich auf der Erde einschlich. Ich habe ihn bei allem unterstützt. Aber was hat es uns gebracht?« Er drehte sich um. »Amdusias, was hat es dir gebracht? Wo hat es uns hingeführt?«
Amdusias war verlegen. »Ich weiß nicht«, sagte er schließlich.
»Wo, glaubst du, solltest du heute sein?«
Amdusias zögerte. »Zurück … im Himmelreich.«
Einige Dämonen lachten höhnisch, andere schnaubten. Bucon stieß laute Flüche aus, und eine graue Rauchfahne stieg aus seinem Mund.
»Aber es ist wahr!« Amdusias bäumte sich auf, schüttelte die Einhornmähne und fuhr die Klauen aus. »Die Prophezeiung lautete, dass wir nur zwölfhundert Jahre schmoren sollten und uns danach vergeben würde. Wir sollten längst wieder … daheim sein.«
»Und, wo ist jetzt dein Zuhause?«, feixte Ipos. Hohngelächter brach aus. Amdusias spannte die Muskeln an, als wolle er Ipos überfallen. Bucon feuerte die beiden an, und Halphas, der Chef der höllischen Rüstkammer, zauberte zwei Schwerter aus dem Nichts und warf sie den Streithähnen zu.
Beelzebub griff sich an die Stirn und schüttelte den Kopf.
Zum Glück schritt Amon ein. Er trennte die beiden und drohte: »Ich werfe euch den Riesen vor!« Ipos und Amdusias zischten einander an, doch allmählich beruhigten sie sich.
»Danke, Amon«, sagte Beelzebub. »Amdusias ist nicht der Einzige, der diese Hoffnung hegte, Ipos. Es gab eine solche Prophezeiung, aber sie hat sich nicht bewahrheitet. Trotzdem waren viele von uns lange Zeit mit dem Abgrund zufrieden. Damals ging es uns gut. Warum? Weil wir einen starken Führer hatten. Einen Führer mit Ideen. Mit Visionen. Und wir hatten ein Ziel. Wir liebten unsere neue Rolle hier in der Hölle. Die sechstausend Jahre waren eine interessante Zeit, wenn ich das so sagen darf. Aber jetzt sieht die Lage anders aus. Sagt nicht, dass ihr es nicht bemerkt habt.« Beelzebub ließ den Blick über die Versammlung schweifen. »Baal-Berith, wenn du so freundlich wärst?«
Die Chefarchivarin der Hölle ritt auf einem roten Hengst herbei, von dessen Hufen Funken sprühten.
»Hier bin ich!«
»Vielleicht kannst du das, was ich sagen will, auf bessere Weise zusammenfassen?«
Baal-Berith nickte. Sie trug eine Militäruniform auf der nackten roten Haut. »Kraft meines Amtes kann ich zwei Dinge mit Sicherheit sagen. Erstens: Wir haben unser Höllendasein erfolgreich begonnen. Wir hatten einen starken Führer, wie Beelzebub sagt. Satan lernte bald, aus der Hölle zu steigen, und immer mehr von uns folgten ihm. Die Menschen stellten sich als leicht korrumpierbar heraus. Immer öfter wurden wir von Menschen gerufen, die nach Macht, Reichtum und Wissen dürsteten. Satan war ein hervorragender Heerführer. Zweitens: Wir hatten einen starken Gegner. Manche nannten es Sklaverei, wenn wir die Wünsche der Menschen erfüllten, aber Satan hat uns die Wahrheit gezeigt. Den Wunsch eines korrupten Menschen zu erfüllen steht im Einklang mit unserem höchsten Ziel, nämlich Gottes Plan zunichtezumachen. Gott bestraft die Sünder hart. Ihr wisst ja selbst, wie es hier aussieht. Seit über sechstausend Jahren herrscht offener Krieg zwischen Himmel und Hölle, und ich möchte behaupten, dass die meisten von uns damit zufrieden waren, auch wenn unsere Siege leicht errungen waren.«
Baal-Berith nickte Beelzebub zu und ritt wieder zur Seite.
»Es gibt nur ein Problem«, sagte Beelzebub. Hier legte er eine längere Kunstpause ein und ließ ein böses Lächeln auf seinen Lippen spielen. »Ich bin nicht mehr zufrieden.«
Die ganze Hölle schien nach Luft zu ringen. Die kakophonische Musik spielte laut. Die Sünder schrien und jammerten. Nur die Dämonen schwiegen.
Beelzebub hatte Hurrarufe erwartet. Vielleicht Applaus oder wenigstens ein höhnisches Lachen von Bucon.
Er schwitzte. Schwefelgestank stieg aus seinen Achseln. Er zwang sich, weiterzureden. »Leraje war der Erste, der mich auf unser Unglück aufmerksam gemacht hat.«
Die Dämonen schauten sich erschrocken um. Selbst unter seinesgleichen war Leraje alles andere als beliebt. Er säte Zwietracht, wohin er kam.
»Auf den bist du eingegangen?«
Beelzebub konnte nicht sehen, von wem der Einwand kam. »Ich weiß, ich weiß. Aber er hat einen wichtigen Punkt angesprochen. Unsere Aufgabe ist es, Gottes Plan zunichtezumachen, nicht wahr?«
Alle nickten, aber keiner sagte ein Wort.
»Hat jemand von euch Gott in letzter Zeit gesehen? Hat jemand seinen Willen auch nur gespürt?«
Ein Raunen ging durch die Schar.
»Nein? Das dachte ich mir. Es scheint, dass Gott keinen Willen mehr hat. Oder habt ihr irgendeinen Widerstand bemerkt?«
Bucon hatte plötzlich aufgehorcht und zwängte sich aus seiner Felsspalte. Sein mächtiger Bauch quoll hervor, und Flammen sprühten aus seinen Augen. »Gott«, sagte er und zog eine Grimasse, »ist nichts als ein kleiner Furz im Weltall.«
Der Schrei eines gepeinigten Sünders unterstrich seine Aussage.
»Sag ihm das doch selbst«, murmelte Duer.
»Beelzebub sagt die Wahrheit. Wo ist der Streit? Wo ist Gott? Was tut er? Was wir Krieg nannten, ist längst vorbei. Wenn der Gegner nicht mehr kämpft, kann man nicht mehr von Krieg reden.«
Beelzebub grinste zufrieden. »Genau, Bucon. Gott ist irgendwie abwesend.«
»Vielleicht ist er tot«, schlug Ipos vor und erntete wieder Gelächter.
»Und was bleibt uns?«, fragte Beelzebub. »Ich dachte, wir hätten eine Berufung. Der Krieg gegen die Menschen. Die furchtbaren Legionen des Teufels waren unsere Heimat. Aber was tut Satan? Hat jemand eine Ahnung?«
Der Spion Astaroth meldete sich zu Wort: »In diesem Moment sitzt unser Führer im Pandämonium. Er hält Rat und diskutiert über neue Prunkgewänder. Der Höllenhund Naberius liegt betrunken zu seinen Füßen und lobpreist ihn.«
»Kommt euch das nicht irgendwie bekannt vor?«, fragte Beelzebub und grinste so böse wie möglich. »Gegen wen hat Satan damals gekämpft? Genau: gegen einen machthungrigen Führer, der nur auf dem Thron saß und sich von Schleimern anbeten ließ. Und was ist heute aus ihm geworden? Ein Abbild seines einstigen Todfeindes!«
Bucon war so wütend, dass überall Flammen aus seinem Körper schlugen. Seine dichte Behaarung wurde versengt, doch sie wuchs sofort nach. Es stank höllisch. Die Dämonen nickten nachdenklich.
»Leraje mag ein Stänkerer sein, aber in einem hat er recht: Sowohl unser Feind als auch unser Führer sind schwach geworden. Es gibt keinen Krieg mehr – und somit hat unser Dasein seinen Sinn verloren!«
Amon und Amdusias sprangen auf. Eligos und Baal-Berith lenkten ihre Rosse in die Mitte der Schar. Die Botschaft war angekommen.
»Da ist was dran«, murmelte Duer.
Na endlich, dachte Beelzebub und bat mit einer Geste um Ruhe. Viele schielten zu Astaroth hinüber, dem keiner wirklich traute. Dafür blickten sie nun voller Bewunderung zu Beelzebub auf.
Der wartete, bis Stille eingekehrt war, dann flüsterte er: »Es ist Zeit für eine Veränderung. Meine Freunde … es ist Zeit für eine Revolution!«
Später am Abend lag Isak auf dem Bett und starrte an die Decke. Neben ihm stand eine halb leere Flasche Bier, auf seiner Brust lag ein aufgeschlagenes Buch. Es war sinnlos, er hatte wieder und wieder denselben Satz gelesen, ohne etwas zu verstehen. Der Kloß steckte noch im Hals, und er dachte an seinen Vater.
Ich bin erwachsen, ich brauche ihn nicht mehr, versuchte er und trank einen Schluck, doch das Kinderzimmer, in dem er noch immer wohnte, höhnte den Gedanken.
Sein Vater war nicht spurlos verschwunden, wie damals Benjamin, aber er hätte es ebenso gut tun können. Isak schloss die Augen und schlug die Hände vors Gesicht. Vor siebzehn Jahren hatten seine Eltern sich scheiden lassen. Der Vater wohnte nur drei Autostunden entfernt, doch seit Isaks sechstem Geburtstag hatte er sich nicht mehr blicken lassen. Er hatte es oft versprochen, aber die Besuche waren immer im letzten Moment geplatzt. Jedes Mal verschwand ein weiteres Stück von ihm aus der Erinnerung, und als Isak zwölf war, hörten auch die Versprechen auf. Vater hatte ihn nie eingeladen, nicht ein einziges Mal. Er lebte einsam und schien damit zufrieden.
Isak ballte die Fäuste und rieb sich die Augen. Vor langer Zeit hatte er geschworen, nie wieder wegen Papa zu weinen, aber es war schwer.
Thea hat recht, dachte er. Ich bin neidisch.
Durch die dünnen Wände hörte er, wie Anna-Karin den Küchenabzug einschaltete und den Wasserhahn aufdrehte. Sie wusch sich vor und nach jeder Zigarette die Hände. Auch vor und nach dem Essen. Vor und nach allem. Sie waren rot und trocken. Manchmal bekam die Haut große Risse, dann cremte sie die Hände dick ein und trug Baumwollhandschuhe. Isak wusste, dass sie sich vom Leben betrogen fühlte. Zwei Kinder von zwei Vätern, und bis heute hatte keiner der beiden etwas von ihr wissen wollen. Ihren Job bei einem Marktforschungsinstitut erledigte sie von zu Hause. Er sei ideal, behauptete sie, weil sie auf diese Weise viel Zeit mit den Kindern verbringen könne. In Wirklichkeit hasste sie es, fremde Leute anzurufen und zu stören, und Isak wusste es.
Du müsstest uns nicht so viel Zeit opfern, du müsstest nur da sein, wenn wir dich brauchen.
Die letzten fünf Jahre hatte sie im Prinzip in ihrem apricotfarbenen Morgenrock verbracht, während Isak immer mehr Verantwortung übernommen hatte: für sich selbst, für Thea, für die Wohnung, einfach für alles. Es war fast ein Wunder, dass sie nicht trank. Dafür rauchte sie eine Zigarette nach der anderen, wenn sie abends in der Küche saß, Kreuzworträtsel löste und Früchtetee trank.
Du schaffst dein eigenes Klischee, dachte er, trank das Bier aus und zog eine Grimasse. In ein paar Jahren hängst du an der Flasche und fragst dich, was passiert ist. Der Joint, den er mit Rufus gedreht hatte, steckte in der Hosentasche. Eigentlich hatte er ihn aufheben wollen, doch nun öffnete er das Fenster und zündete ihn an. Zwei tiefe Züge später sah die Welt ein klein wenig freundlicher aus. Vielleicht war das, was heute geschehen war, ja doch nicht so schlimm.
Als Benjamin seine Geschichte erzählte, hatte Isak einen Funken in Mutters Augen bemerkt. War es Hoffnung? Vertraute sie darauf, dass er zurückkehrte? Benjamin war nach der einzigen Nacht, die sie zusammen verbracht hatten, spurlos verschwunden. Sieben Jahre lang hatte Anna-Karin geglaubt, es läge an ihr und dass sie nur für einen Quickie im Suff tauge.
Großmutter war die einzige normale Erwachsene in der Familie gewesen. Besonders gern erinnerte er sich an einen Abend mit ihr. Er hatte noch protestiert, dass er keinen Babysitter mehr brauche, aber insgeheim hatte er sich gefreut. Sie sah, was mit Mutter los war, und machte sich Sorgen, genau wie er. Wenn sie allein waren, hatten sie viel Spaß. Sie spielten stundenlang Karten, und egal, ob Großmutter gewann oder verlor, sie schüttelte sich jedes Mal vor Lachen. Ihre Umarmungen waren ganz anders als die seiner Mutter, sie umarmte ihn wie ein Kind. Bei Mutter fühlte es sich an, als würde sie ihn aussaugen. Großmutter hingegen gab ihm mit jeder Berührung etwas. Sie hatte Mutter an jenem Abend zum Ausgehen bewegt, was ihm nie gelungen war.
Benjamin war nicht verschwunden, weil er nichts mehr von Anna-Karin wissen wollte. Aber seine Geschichte war …
Isak schüttelte den Kopf, drückte den Joint aus und legte sich wieder aufs Bett. Völlig verrückt, diese Geschichte!
In der Wohnung über ihnen sang Francesca Bardolli Tonleitern. Isak setzte den Kopfhörer auf, hörte »Funeral of Hearts« von HIM und dachte an Irina.
Irina Tarakanova war siebzehn Jahre alt und wohnte mit ihrem Vater Nikolaj im Haus gegenüber. Sie waren auf dasselbe Gymnasium gegangen, aber Isak war fertig, und sie ging noch in die elfte Klasse. Nach fast einem Jahr miserabler Beratung auf dem Arbeitsamt fand Isak einen Teilzeitjob – als Hausmeister an seiner alten Schule. Es war frustrierend, an einen Ort zurückzukehren, den er längst hätte verlassen müssen, doch dass er Irina nun jeden Tag wiedersah, wog den Frust fast auf.
An weiblichen Kontakten fehlte es Isak nicht. Im Gegenteil. Rufus, der übrigens in Irinas Parallelklasse ging, fragte ihn oft, warum er so viel Glück bei Frauen hatte. Waren es der Dreck unter den Fingernägeln oder die Arbeitshosen und das Werkzeug, die sie anzogen? Isak wusste es besser. Sie fanden ihn interessant. Älter. Etwas rauh und wild nach außen, aber oft mit einem Buch in der Hand. Einer, den die Mädchen zähmen wollten. Er wusste, dass er gut aussah, und hatte es vielleicht etwas zu oft ausgenutzt. Dass er oft Gras dabeihatte, machte ihn nicht weniger attraktiv.
Von seinem Fenster aus konnte Isak in Irinas Küche sehen. Nikolaj saß jeden Abend am Küchentisch, rauchte Pfeife und las. Blätterte mit nikotingelben Fingern in alten, zerlesenen Bänden. Auf seine Weise war er eine männliche Version von Isaks Mutter, mit dem Unterschied, dass er sich um seine Tochter kümmerte. Und er strahlte Ruhe aus. Er trug einen dichten Bart, wahrscheinlich um seinem Helden Alexander Solschenizyn zu huldigen. Im Sommer saß er immer im Hof und erzählte jedem, der es hören wollte, vom großen Literaturland Russland. Daheim war er Journalist gewesen, aber in Schweden arbeitete er an der literaturwissenschaftlichen Fakultät der Uni. Er rauchte, las, strich sich durch den Bart und trank Tee aus kleinen, bunten Gläsern, während er die Nachbarn aufforderte, Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch zu lesen.
An manchen Abenden setzte sich Irina zu ihm in die Küche, und es sah aus, als würde er sie unterrichten. Isak hätte viel darum gegeben, ihre Gespräche zu hören. Irina war nicht wie die anderen Mädchen. Ab und zu beugte sich Nikolaj über den Tisch und streichelte seiner Tochter über die Wange. Dann brannte es in Isaks Bauch. Er stellte sich vor, dass er dasselbe tat und sie lächelnd die Augen niederschlug.
Er erinnerte sich genau an den Moment, in dem er sich in sie verliebt hatte. In der Schule war sie ihm kaum aufgefallen, dort war sie nur eines der süßen, stillen Mädchen, mit denen man selten sprach. Aber vor einem Jahr hatte es einen Flohmarkt im Wohnviertel gegeben. Isak wollte einigen Schrott verkaufen, den seine Mutter nie wegwerfen würde, und bekam einen Stand neben Irinas. Ihr Tisch war voller Bücher, und beim Stöbern fand er ein Exemplar von Bulgakows Der Meister und Margarita.
»Das ist eines meiner Lieblingsbücher. Hast du es gelesen?«, sagte sie.
Isak schüttelte den Kopf und las den Klappentext laut vor: »Ein mystischer Fremder taucht in Moskau auf. In seiner Gesellschaft befinden sich eine nackte Frau, ein Mann mit einer Jockeymütze und eine riesige schwarze Katze, die Zigarren raucht und mit Pistolen schießt.« Er kratzte sich am Kopf. »Das klingt ja voll … abgefahren. Könnte mir gefallen.«
»Es kommt noch schlimmer«, flüsterte Irina, und in diesem Moment sah er sie zum ersten Mal richtig an. »Der mystische Mann ist kein anderer als der Teufel selbst.« Sie lachte.
Ein sanftes, ansteckendes Lachen.
»Hast du es gelesen?«
Irina nickte. »Ich bin vielleicht ein bisschen parteiisch, aber ich liebe die meisten großen Russen. Es ist immer wie ein Sieg der Unterlegenen, wenn sie schreiben. Zauberhaft, aber trotzdem politisch. Na ja, mit Ausnahme von Tolstoi vielleicht.« Sie lachte wieder.
Isak war sichtlich erstaunt. Diese Frau hatte etwas Besonderes. Sie war hübsch und sanft, aber offenbar verdammt clever. Und dieses Lachen! Er wünschte, sie würde nie aufhören.
Sie war nicht wie die anderen Mädchen in der Schule. Vor allem nicht wie die, die ihm auf dem Schulhof hinterherliefen, mit ihren engen Jeans, blonden Locken und Schmollmündern. Irinas Haare waren dunkelbraun, glatt und glänzend. Sie trug sie meist offen, nur eine kleine Klemme auf der Seite hielt sie aus dem sommersprossigen Gesicht. Er wusste, dass sie sich für die Sommersprossen schämte, aber in Isaks Augen war jeder kleine Fleck perfekt. Sie war perfekt: große, sanfte Augen und ein breiter Mund mit vollen Lippen. Auch ihre leicht gebeugte Körperhaltung störte ihn nicht. Im Gegenteil, er sehnte sich danach, sie aufrecht und stolz zu machen. Das einzige Problem war, dass er seit diesem blöden Fest vor ein paar Monaten nicht mehr richtig mit ihr gesprochen hatte. An dem Abend waren sie zusammen auf einem Sofa gelandet und hatten über eine Stunde lang miteinander geredet.
Aber dann dieser Blick … Seitdem traute er sich nicht mehr.
Es war in den Winterferien geschehen. Neben der Schule stand eine alte Fabrik, deren Keller als Übungsraum für alle möglichen Amateurbands diente. Dort gab es oft Feten. Rufus und seine Kumpel hatten ihn eingeladen, und es war wie immer: chaotisch, verqualmt und alkohollastig. Doch plötzlich sah er Irina und winkte sie zu sich.
»Was machst du denn hier?«, schrie er, um den Krach zu übertönen.
Sie deutete an, dass sie ihn nicht verstand, und er zog sie in einen anderen Raum, wo es etwas ruhiger war. Sie setzten sich auf ein altes Sofa, das nach Bier und Zigaretten roch. Irina saß einen Meter von ihm entfernt, lachte und schüttelte den Kopf, als er ihr sein lauwarmes Staropramen anbot.
»Danke, ich hab das hier.« Sie zog eine Flasche Smirnoff Ice aus einer Tüte. »Der ist noch kalt. Außerdem mag ich kein Bier. Hast du einen Öffner?«
»Gib mal her«, sagte Isak, hielt den Kronkorken an die Tischkante und zog die Flasche so fest nach unten, dass er abfiel.
»Danke.« Sie trank einen Schluck. »Was hat du vorhin gesagt?«