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Spannender und schön geschriebener Jugendroman, bei dem der epische Kampf zwischen Gut und Böse im Vordergrund steht.Angicore, der junge Kaiser von Dynadan, erhält eine erschreckende Nachricht: Der Ritter des Todes, Skeletore, ist auf dem Weg nach Dynadan, um den über alles geliebten Sohn des Kaisers zu holen und mit sich nach Rana, das Reich des Todes, zu holen. Angicore und seine Frau Miran rüsten sich zum Kampf gegen den schrecklichen Skeletore - Unterstützung erhalten sie dabei von dem mächtigen Zauberer Skillion und der kaiserlichen Leibgarde, den Marudern. Wird es ihnen gemeinsam gelingen, die Bahnen des Schicksals zu verändern?-
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Seitenzahl: 211
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Claus Bork
Saga
Die Tore nach RanaÜbersetzt vonSusanne RichterOriginaltitelPortene til RanaCopyright © 2015, 2019 Claus Bork and und SAGA EgmontAll rights reservedISBN: 9788711800065
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nachAbsprache mit SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com
Angicore
Der Jaranakaiser von Dynadan, der einzig wahre Herrscher.
Miran
Die Gemahlin des Kaisers.
Gaya
Der Baum des Lebens im Wispernden Park.
Skillion
Erzzauberer von Dynadan.
Die Maruder
Die kaiserliche Leibgarde.
Leso
Kardinal am kaiserlichen Hof.
Nafimo
Kaiserlicher Zauberer.
Skeletore
Der Diener des Todes.
Tarman
Ein Maruder.
Jinzo Yol
Ein Maruder.
Unter den Ereignissen, die sich in der Zeit nach Djin abspielten, war besonders eines, das in der Erinnerung blieb.
Es wurde von einer Generation der Jaranakaiser an die nächste überliefert, bis es schließlich niedergeschrieben und in die Familiengeschichte dieser Herrscher, in der kaiserlichen Bibliothek in Krilanta, aufgenommen wurde.
Dieses Ereignis, der ausmergelnde und einsame Kampf Kaiser Angicores I. gegen den Diener des Todes, Skeletore -wurde vom Volk Dynadans als Beweis dafür betrachtet, daß der Jaranakaiser mit Recht und für immer, den Titel "Der einzig wahre Herrscher" trug und tragen sollte.
In den Familienaufzeichnungen gibt es verblüffend wenige Aufzeichnungen über die einzelnen wahren Herrscher. Das deutet darauf hin, daß die Haltung, die der Erziehung der frühen Jaranaherrscher zu Grunde lag, den Nährboden für eine fast krankhafte Eifersucht bildete, die sich unter anderem darin äußerte, daß die einzelnen Kaiser Dokumentationen über großartige Taten früherer Kaiser entfernten und vernichteten.
Der Sprung von dieser Schilderung zur Schilderung von Dizjan - "Dem Maruder" - übergeht also auch die Lebensbeschreibungen mehrerer Generationen von Jaranakaisern, die für alle Zeiten in Vergessenheit geraten sind.
Auszug aus Prinzessin Aylias Erinnerungen an den Erzzauberer Skillion.
Er stand auf dem Balkon und schaute über die Stadt.
Die Morgensonne fiel auf die roten, glasierten Dächer; sie spielte glänzend auf den farbigen Flächen, so, wie sie auch auf den Wellen auf dem smaragdgrünen Spiegel des Meeres weiter draußen spielte.
Die Masten, ein Wald aus schwarzen Stangen gegen das grüne Meer, schaukelten im Takt leicht hin und her.
Er lehnte sich schwerfällig auf die Brüstung des Balkons und fühlte sein Gewicht auf den Ellbogen. Zufrieden seufzte er und betrachtete seine sehnigen Hände. Diese Hände waren es, mit denen er die Welt aufgebaut hatte, über die er jetzt schaute. Diese beiden Hände hatten dies alles geschaffen.
Er blinzelte mit den Augen gegen das scharfe Sonnenlicht.
Die Falten um seine Augen und das etwas markige Gesicht enthüllten, daß er nicht mehr ganz jung war. Nur die lebhaften, blauen Augen zeugten davon, daß er immer noch jugendliche Stärke und Glut besaß.
Die Ledersandale knatschte etwas, als er sein Gewicht vom einen Bein auf das andere verlagerte.
Er legte den Kopf zurück, schloß die Augen und holte tief Luft. Er war glücklich, fühlte das Glück wie einen rieselnden Strom der Freude in seinem Innern. Er hatte es so gut gemacht, wie er konnte; er wußte, daß es wahr war. Keiner würde mehr verlangen können...
Er war Angicore, der Jaranakaiser. Herrscher von Dynadan und Protektor von Ergol - und Illemed, dem Land auf der anderen Seite des Meeres.
Eine Biene kam summend durch die Morgenhitze, setzte sich auf seinen Arm, und machte sich daran, mit ihren Vorderbeinen die Fühler zu putzen.
Er betrachtete sie eingehend und verfiel in Gedanken. Er verweilte lange in Erinnerungen. Selbst als die Biene abgehoben hatte, und über den Hof des Palastes weitergeflogen war, auf die verlockende Blumenfülle des Parks zu, stand er da, und versuchte, sich sein Gesicht in die Erinnerung zurückzurufen.
Er dachte, wie schon so oft vorher, an Skillion.
Es waren viele Jahre vergangen. Unendlich war die Zahl der Wellen, die seitdem an die Strände Dynadans gespült worden waren. Es waren zwanzig Jahre vergangen, und die Welt hatte sich verändert.
Dann, wie nach einer plötzlichen Eingebung, drehte er sich auf den Hacken um und ging durch die Säle hinein. Seine Schritte lärmten hart in der Stille, und die Maruderwächter an den zweiflügeligen Türen richteten sich auf und starrten leer in den Raum. Er fühlte, wie sie ihm mit den Augen folgten, aber ließ sich nichts anmerken.
Er lief weiter durch die Türen, und den Gang zu den kaiserlichen Gemächern entlang.
Die Maruder schloßen lautlos die Türen hinter ihm.
Am Ende des Ganges stand noch einer. Sie bewachten ihn, so pflichteifrig wie Ameisen über ihre Königin wachen. Und obwohl er das nicht für notwendig hielt, akzeptierte er es. Er hatte die Welt sich verändern gesehen, damals, vor langer Zeit.
Er wußte, daß es wieder geschehen konnte.
Er lief weiter durch die nächsten, endlosen Gänge unter den weißen Gewölben. Die Maruder waren nicht zu sehen, aber er wußte, daß sie irgendwo in den Schatten standen und seinen Bewegungen folgten.
Wieder hatte er diesen leichten Stich im Herz. Er dachte an die Biene, die auf seinem Arm gelandet war. Sie war frei, und konnte hinfliegen wohin ihr Wille es befahl, schweben wie ein kleiner, unbewachter Planet mitten im Himmelsraum über Dynadan, ohne daß wachsame Blicke jede einzelne ihrer Bewegungen überwachten.
Vor einer Nische in der Mauer blieb er stehen. Ganz schwach fühlte er das Blinken der Augen des Maruders in der Dunkelheit.
Angicore starrte hinein. Nur die klaren, blitzenden Augen und der vergoldete Schaft des Säbels waren zu sehen.
"Guten Morgen, Soldat," sagte er, an seinen schweigenden Bewacher gewandt.
Der Schatten bewegte sich nicht. Er wartete wie eine gespannte Stahlfeder in der Dunkelheit, wartete darauf, daß etwas geschah. Höchstwahrscheinlich würde es nie geschehen, aber er würde warten...
"Guten Morgen, Euer Gnaden." Die Stimme des Maruderfechters war metallisch und tief.
Angicore betrachtete den Schatten mit den blitzenden, harten Augen lange. Dann ging er weiter.
Die Säulen, die dies gewaltigste Dach der Welt trugen, waren behauen wie die Bäume im Wald beim Ebenholzfelsen. Zweige und Blätter breiteten sich über das Deckengewölbe, so naturgetreu wiedergegeben, daß das menschliche Auge nur schwer diese meisterhafte Nachahmung des Künstlers der Natur erkennen konnte.
Endlich sah er die Tür, schritt auf sie zu, und blieb dann stehen.
Er stand und horchte, aber es kamen keine Geräusche von drinnen. Der Türgriff quietschte ganz leise, als er ihn herunterdrückte, wie das Wispern der Schlangen in den Tempelkellern Ergols, das war alles.
Darauf schlich er hinein, schloß die Tür hinter sich und ging so lautlos er konnte zu dem Bett hinüber.
Der Junge lag mit dem Kopf auf dem Kissen und schlief. Er seufzte wieder, der Jaranakaiser, während sich ein kleines Lächeln über sein Gesicht breitete, von den Mundwinkeln bis zu den Falten um die warmen, blauen Augen.
Er warf einen hastigen Blick in den Raum. Über die Wände, die Möbel, zur Balkontür, wo das Sonnenlicht spielte und versuchte, durch die schweren, dunklen Gardinen zu dringen.
Er ahnte schwach die Kontur eines Maruderfechters auf dem Balkon. Der Maruder dort draußen stand so still da, als wäre er tot, obgleich er so lebendig und todbringend war, wie nur etwas auf dieser Welt.
Er lauschte den regelmäßigen Atemzügen des Jungen, prägte sich, wie schon so oft vorher, jedes einzelne Detail seiner Züge ein. Die weichen, schwach roten Lippen, die langen Wimpern und die Hände mit den schlanken Fingern, die auf dem Kissen an seiner Wange lagen. Und dann die blauen Augen, die jetzt unter den weichen Augenlidern versteckt waren. Sie waren warm und schön, wie die seiner Mutter.
Angicore drehte sich um und schlich zur Tür hinüber, glitt lautlos in den Säulengang und lief weiter.
Die Decke war geschnitzt wie die Säulen, an denen er vorbeiging. Es waren Laub, Blätter und Ranken zu sehen, die sich von den behauenen Stämmen über ihm ausbreiteten. Sie waren so gut geschnitzt, daß, wenn man es nicht besser wußte, man glauben konnte, daß dies alles lebendig war.
Er liebte es, früh auszustehen und die Welt, über die er herrschte, aus dem Schlaf der Nacht erwachen zu sehen. Und er liebte es genauso, lange, einsame Spaziergänge in den Wäldern und Bergen zu machen; ab und zu von dem Jungen begleitet.
Angicore blieb stehen und legte die Hände auf das Geländer.
Während er langsam den Blick über den Rasen hinunter zu den Schwänen auf dem See im Wispernden Park schweifen ließ, dachte er dasselbe wie schon so oft vorher: daß der Junge das Kostbarste war, was er hatte, und daß ihm nichts Böses zustoßen durfte.
Das wäre sein, Angicores, Tod.
Er seufzte leise und schüttelte die düsteren Gedanken ab. Alles war friedlich und der Junge schlief - er hatte ihn gerade eben gesehen.
Er erreichte die gewundene Treppe und begab sich die Stufen hinauf. Sie war ein wenig ausgetreten, von den Schritten vieler Generationen der Jaranakaiser. Während er ging, dachte er zurück.
Er rief sich die Erinnerung an Zarafir ins Gedächtnis. Er erinnerte sich an den Gizal, der ihn auf der Treppe zurückgedrängt hatte. Er verdankte Duncan Yol sein Leben, dem besten Fechter, den ein Kaiser je in seiner Garde gehabt hatte. Und trotz all der Jahre, die vergangen waren, konnte er immer noch das Gelächter des Gizals auf der gewundenen Spirale der Treppe hören. Es war nur Einbildung, das wußte er, aber sie machte ihm eine Gänsehaut - diese Erinnerung.
Oben auf der Treppe blieb er einen Augenblick stehen und sah sich um. Es gab nur die nackten, rauhen Wände, beleuchtet von den kleinen Fenstern mit den Spitzbögen. Dann trat er an die Tür und bewegte die Klinke.
Obwohl sie all diese Jahre nicht geöffnet worden war, glitt die Tür mit verblüffender Leichtigkeit auf. Sie knarrte etwas in den Angeln, dann war sie offen.
Angicore ging ein paar Schritte vor und blieb stehen. Er erkannte den Geruch von Zarafirs Kräutern wieder, nur war er stärker und ranziger als damals. Sie hingen immer noch in dicken Gebinden vom Balken an der Decke, bedeckt von einer dicken Lage Staub.
Er ließ den Blick im Raum herum wandern, nahm sich viel Zeit, alles zu beobachten, bevor er etwas anrührte. Es war das erste Mal, daß er diesen Ort betrat, seit er ihn vor zwanzig Jahren verlassen hatte.
Das Bett war leer.
Als er das letzte Mal dastand, wo er jetzt stand, hatte Zarafir in dem Bett gelegen - ein sterbender, alter Mann, dessen mächtige, magische Kräfte nicht länger im Stande waren, weder sich selbst, noch ihn, seinen Kaiser, zu schützen. Nun stand er hier wieder, und fand alles so vor wie damals, nur das Bett war leer.
Als er über den Fußboden weiterging, wirbelte der Staub in kleinen Wolken um seine Füße. Er schaute aus dem Fenster hinaus, über das Meer, nach Illemed.
Wie nach einer plötzlichen Eingebung, drehte er sich um, langsam.
In der entferntesten Ecke, im Schatten der Tür, die immer noch halb offen stand, stand ein sehr alter Mann und betrachtete ihn.
Seine grauen Augen waren wie ein gewaltiger Abgrund in seinem faltigen Gesicht. Er stand mit den Händen über dem Bart, der ihm bis zum Leib reichte, gefaltet da. Der Bart war grau, wie mattgeschliffenes Eisen, derselben Farbe, die auch seine Augen hatten. Er sagte nichts, stand nur da und schaute quer über den staubigen Boden.
Angicore, der Jaranakaiser, trat einen Schritt vor und streckte ihm die Hand entgegen.
"Ich sah dich schon einmal," flüsterte er.
Der Alte nickte langsam, ohne den Blick von ihm abzuwenden.
"Du bist Zeit..."
Der Greis nickte wieder.
"Sahst du die Dinge geschehen und wie es seitdem gekommen ist?" Das war mehr eine Feststellung als eine Frage, aber der Alte nickte immer noch.
"Gibt es etwas, was ich hätte anders machen sollen?" fragte Angicore. Der erste Keim von Unruhe wuchs in seiner Seele.
"Das, was geschehen ist, ist geschehen," antwortete Zeit ruhig. "Nichts davon, läßt sich mehr ändern."
Angicore befeuchtete die Lippen mit der Zunge und ließ den Blick durch das Turmzimmer wandern. In all den Jahren, die vergangen waren, hatte er Zeit nicht ein einziges Mal gesehen.
Und das, obwohl er öfter nach ihm Ausschau gehalten hatte.
Nun stand er vor ihm, keine drei Schritte weg...
"Warum kommst du hierher?" fragte Angicore.
"Ich bin dort zu finden, wo es etwas zu erinnern gibt," antwortete Zeit ruhig. "Hier werden Dinge geschehen, die es wert sind, daß man sich an sie erinnert."
Angicore sah sich verwirrt um.
"Hier?"
Zeit schüttelte den Kopf und betrachtete ihn mit seinem unergründlichen Blick.
"Hier, in diesem Land, in diesem Palast."
"Was wird passieren?" flüsterte Angicore mit bebender Stimme.
"Das kann ich dir nicht erzählen," antwortete Zeit, "das weißt du. Du weißt auch, wo du die Antwort bekommen kannst."
Angicore nickte und holte tief Luft.
"Du hast einen Zipfel von Skillions gewaltiger Kraft gefunden," sagte Zeit leise. "Du hast etwas von dem gefunden, was alle im Laufe ihres Lebens zu finden wünschen. Du hast selbst gewaltige Kräfte in dir, Angicore von Dynadan!"
Der Blick des Kaisers flackerte über die Wände, zum Fenster und dem Anblick der schaumbedeckten Wellen, tief unten vor den weißen Mauern.
Zeit räusperte sich heiser. "Du suchtest und fandest einen Teil der Wahrheit, die versteckt in dem liegt, was sie Budjidjin nennen. Ich folgte Keram Bar, einmal, vor langer Zeit. Keram Bar und Skillion. Später folgte ich dem, der dein Freund werden sollte, Duncan Yol. Nach seinem Tod folgte ich dir, Angicore -Kaiser der Menschen!"
"Ich habe dich nie vorher gesehen, bis jetzt," seufzte Angicore.
"Man sieht mich nicht - ich lasse mich sehen!" antwortete Zeit spitz.
Angicore nickte, er wußte, daß es die Wahrheit war.
"Du wirst deine gewaltigen Kräfte brauchen, wenn du dich gegen das, was auf dem Weg ist, schützen willst. Ich habe es kommen sehen, nun warte ich hier, zusammen mit dir."
Es war kein Mitgefühl in Zeits klangloser Stimme, auch nicht in dem abgrundtiefen Blick.
"Jemand will mich meiner kaiserlichen Macht berauben?" versuchte Angicore.
Zeit schüttelte langsam den Kopf.
"Jemand will meine Schätze stehlen?"
Allein der Gedanke war absurd. Die Schätze aller Jaranakaiser waren zu allen Zeiten in den Kellern unter dem Palast versteckt gewesen. Es würde ein Heer brauchen, sich Zugang zu ihnen zu verschaffen. Und wenn Fremde endlich durchstießen, in die kaiserlichen Schatzkammern, würde die letzte Schlacht in den Kellern stattfinden. Und in den Kellern würden die Maruderfechter warten. Die Frage war sinnlos, aber die einzige, die ihm gerade einfiel.
Zeit lächelte kalt und es knirschte in seinem steifen Gewand.
Noch einmal schüttelte er den Kopf.
"Du würdest es mir nie sagen, selbst, wenn ich es erraten würde?" murmelte Angicore.
"Nein," seufzte Zeit.
"Warum bist du hergekommen? Was hast du erwartet, zu finden?"
Der uralte Mann breitete die Arme aus.
"Hier gibt es nur verstaubte Bücher und Kräuter, die schon lange ihre heilende Kraft verloren haben."
"Ich kam, um nach dem Rest zu suchen..."
Angicore rieb sich am Kinn und sah sich um. "Ich weiß alles über die Sachen von Zarafir, die an anderen Stellen als hier aufbewahrt werden. Nun bekam ich Lust, hierher zurückzukehren und nachzusehen, was dieser Turm versteckt."
"Ich habe schon lange auf dich gewartet," unterbrach Zeit ihn.
"Dann hast du deine Zeit verschwendet," sagte Angicore.
"Nein," antwortete Zeit und lachte gedämpft vor sich hin, "ich verschwende meine Zeit nie." Er zeigte mit einem krummen Finger auf die Kräuterbündel unter dem Deckenbalken. "Ich habe diese Kräuter all diese Jahre von der Decke herabrieseln sehen. Aber du verschwendest deine Zeit, Angicore von Dynadan. Du hast nicht viel Zeit - und doch verschwendest du die, die du hast, hier zusammen mit mir."
Der Kaiser richtete sich auf und horchte. Er hörte die Schritte des Maruders auf den steinernen Stufen draußen. Der Säbel, der sich langsam auf dem Weg aus der Scheide befand, warf ein gedämpftes Pfeifen die Spirale der Treppe hinunter.
Angicore drehte sich auf den Hacken um und öffnete die Tür.
Er sah ein letztes Mal zu dem alten Mann, und nickte ihm zum Abschied zu.
"Danke," flüsterte er, "daß du mir diese Warnung hast zukommen lassen. Nun muß ich die Bedrohung suchen und finden, bevor sie zu groß wird."
"Suche nahe bei dir selbst..." sagte Zeit tonlos.
Der Maruder folgte ihm die Treppe hinunter, wie ein Schatten in dem gewundenen Schacht aus Stein. Jedes Mal, wenn der Kaiser stehenblieb, um nachzudenken, blieb der Maruder hinter ihm auch stehen.
"Suche nahe bei dir selbst!" Er überlegte wie rasend, was das bedeuten konnte, aber keine der Antworten, die ihm einfielen, ergab einen Sinn.
Er verließ den Turm und ging zu den Ställen.
Der Maruder folgte ihm mit drei Schritten Abstand.
Noch war die Sonne nicht weit über das Gewölbe des Himmels gelangt, und die Schatten bargen noch die letzte Kälte der Nacht in sich.
Der feuchte Dampf der fünftausend Pferde in den Ställen lag wie ein leichter Dunst über den langen, geraden Reihen der Stallgebäude. Als er endlich dorthin gelangte, wo sein eigenes Pferd stand, war es gesattelt und reitfertig.
Er wechselte die Kleidung in einem Raum hinter dem Stall, und ließ sie das Pferd hinausführen.
Kurze Zeit später war er auf dem Weg.
Er ritt auf seinem schwarzen Trakehner, durch die Tore an der Nordseite der Stadtmauer und weiter hinaus, auf dem staubigen Weg.
Der letzte Tau hing wie ein grauer Schleier über den Äckern und wurde von den Strahlen der steigenden Sonne verdunstet.
Im passenden Abstand hinter ihm folgten zwei Maruder im vollen Galopp. Sie hatten schnelle Pferde, fast so schnell, wie seines.
Er ritt weiter in den Wald hinein, folgte dem Pfad nach Westen, als der sich teilte, und ritt am Waldrand weiter, in die Dünen, und blieb erst stehen, als die Wellen den Sand von den Hufen des Trakehners wuschen. Hier, an der Grenze des Meeres, setzte er sich im Sattel zurück, und hob die Hand schützend gegen die blendende Sonne vor die Augen. Und dann spähte er über das unendliche, Eis grüne Fläche des Wassers, dem entgegen, von dem er glaubte, daß es kommen müßte, dorthin, von wo er glaubte, daß es kommen würde.
Aber während er so dasaß, in der Morgensonne, die die Meeresfläche mit einem glitzernden, flimmernden Dunst belegte, verging die Zeit. Die Zeit, von der er nur wenig hatte.
Die Maruder saßen wie zwei unerschütterliche Statuen in den Sätteln. Ihre Augen verweilten nur selten bei ihm. Sie suchten die Umgebung nach allem ab, was wie eine Drohung gegen ihn, den einzig wahren Herrscher, gedeutet werden konnte.
Er legte den Kopf schräg und lauschte den Wellen, die in einem langsamen, schwerfälligen Rhythmus an den Strand spülten. Er lauschte der Stimme des Meeres, hörte alles, was sie denen erzählte, die ihre Sprache verstanden.
Er lauschte der Welt, so wie Skillion es getan hatte, einmal, vor langer Zeit. Aber die Stimme erzählte ihm nichts von dem, was er gerne wissen wollte. Vielleicht, weil er sie nicht ganz so gut verstand wie Skillion.
Hinter sich fühlte er die Anwesenheit der Maruderfechter, den schweigenden...
Er breitete die Arme aus und rief mit lauter Stimme: "Gib mir eine Antwort..."
Aber es kam keine Antwort. Das Meer trotzte dem Kaiser der Menschen und erzählte von anderen Dingen.
Schließlich gab er auf, drehte das Pferd um und ritt zwischen den Dünen zurück in den Wald, von den Marudern gefolgt.
Den ganzen Tag beriet er sich mit seinen Ratgebern, hörte sich alles an, was ihn und sein Reich betraf und befahl, daß alle, die nach Krilanta gereist kamen, sich am Hofe einfinden und Bericht darüber ablegen sollten, wohin sie reisen wollten und was das Ziel ihres Besuches war.
Aber auch das brachte kein Ergebnis.
Am Abend faßte er darum den Beschluß, allein durch das vergoldete Tor zu gehen und den Klee im Wispernden Park zu betreten.
Er verließ die leuchtenden, mondbeschienenen Stufen der meterbreiten Marmortreppe und ging mit langsamen Schritten über den Kies im Palastgarten. Es knirschte trocken unter den harten Sohlen, ein Geräusch, das man weithin hören konnte -denn es war das einzige Geräusch, das es gab.
Während er ging, betrachtete er die Sterne. Sie waren von unendlicher Zahl, wie die Körner in dem Kies, den seine Stiefel betraten. Er stellte sich vor, daß er auf so einem Korn lief, der allmächtige Jaranakaiser, und fühlte sich auf einmal völlig unbedeutend.
Sein Blick wanderte vom Himmel weg und fiel stattdessen auf die goldenen Tore, die sich vor ihm auftürmten.
Auf jeder Seite der Tore stand ein Maruder Wache.
Sie standen mit gespreizten Beinen da und rührten sich nicht sofort. Erst, als er näher kam, und sie sehen konnten, wer er war, richteten sie sich auf und schlugen die Hacken zusammen. Es dröhnte im Hof, bis der Lärm, den sie hervorgebracht hatten, seinen Weg über die Dächer fand und verhallte.
Einer von ihnen machte Anstalten, für ihn das Tor zu öffnen, aber er gebot ihm mit einer Handbewegung, es sein zu lassen.
Er wollte es selbst tun.
Er zog das Tor hinter sich zu. Es war schwer und forderte für einen Augenblick seine ganze Kraft.
Dann lief er weiter in die Dunkelheit und die Schatten, über die großen Rasenflächen, die in weich geschwungenen Hügeln zum Fluß und zum See abfielen.
Das Wasser gluckerte über die Steine und floß träge an ihm vorbei, auf die unterirdische Grotte an der Mauer zu. Von dort floß es weiter in einem unterirdischen Tunnel zum Meer.
Er wanderte im Schatten der Gayabäume, in der Dunkelheit unter den gewaltigen Kronen. Ihre Ranken und Blätter hingen wie ein Schleier über ihm, am Ufer entlang.
Mitten im Wispernden Park ging er auf eine Brücke, überquerte den Fluß und betrat das Ufer auf der entgegengesetzten Seite.
Es war eine besondere Brücke, diese, seine Brücke. Gehauen aus einem einzigen Gayastamm und doch imstande, den breiten Abgrund, den der Fluß bildete, zu überspannen.
Er lauschte seinen eigenen Schritten und fühlte sich beobachtet.
Er, Angicore herrschte hier, so lange es Tag war. Er herrschte hier, bis die Sonne hinter den Bergen im Westen unterging. Aber nachts herrschte ein anderer als er im Wispernden Park.
Er lief weiter zwischen den Zwillingssteinen hindurch und ging langsamer. Der Baum stand vor ihm, der Baum Gaya. Er war so groß, daß kein Turm seines weißen Palastes über seine Krone ragte. Seine Millionen von Blättern hingen wie kleine glänzende Silbermünzen im Mondschein, und lange, bevor er ihn erreichte, war er schon in seinem Schatten gewandert.
Er blieb stehen und betrachtete den knorrigen Stamm. Er war so dick, wie Zarafirs Turm und so alt wie das Land Dynadan. So mächtig war sie, die Kraft des Baumes, daß sie diesem Ort ihren Namen gegeben hatte. Er stand da und wartete im Staub, dort wo die knorrigen Wurzeln sich in die Tiefe der Erde bohrten.
Ein sachter Wind flüsterte in den Zweigen über seinem Kopf.
Er fühlte die Anwesenheit des Gedankens, der diesen Ort schützte. Hier, zwischen den Zwillingssteinen, war noch nie Blut vergossen worden. Es würde auch in Zukunft nie geschehen.
Er wußte das. Selbst, als Han O`Lan über das Meer zog, geschickt von Djihba aus Illemed, war hier nicht gekämpft worden. Keiner konnte hinterher erklären, weswegen. Aber er wußte, warum.
Die Ranken des Gayabaumes senkten sich über ihm hinunter, so langsam, wie der Mond über das Himmelsgewölbe zieht, und genauso leise.
Er blieb stehen und ließ es geschehen.
Die Zweige knackten leicht, während die Blätter an ihm vorbeizogen und die Sterne verschwinden ließen. Schließlich stand er in vollkommener Dunkelheit, mit geschlossenen Augen und hektisch klopfendem Herzen.
Dann geschah es.
"Willkommen, Angicore von Dynadan."
Die flüsternde Stimme war rauh und doch sanft, so alt wie die Welt selbst und doch voller Lebenskraft. Der Baum sprach zu ihm, wie er einmal vor langer Zeit zu Skillion gesprochen hatte.
"Danke," flüsterte er und wartete.
"Wir wissen, warum du gekommen bist, oh Angicore von Dynadan. Wir wissen, warum..." Sie holperte ihm entgegen, Gayas gleichzeitig heisere und weiche Stimme.
"Ich traf Zeit..." begann der Kaiser.
"Wir wissen Bescheid," flüsterte Gaya.
Die Zweige schaukelten leicht im Wind und die Ranken schabten gegen seinen Mantel, befühlten ihn vorsichtig, ohne ihm Schaden oder Schmerz zufügen zu wollen.
"Jemand will mir Böses antun," sagte Angicore. "Ich möchte wissen, wer, damit ich meine Maßnahmen treffen kann. Ich möchte nicht, daß noch einmal dasselbe eintrifft wie damals, als das Böse über das Meer kam, aus Illemed."
"Das wird nicht geschehen, vorläufig," flüsterte der Baum. "Dazu bist du zu weise, Angicore, dazu bist du zu weise. Denn du hast verstanden, was nur so wenige Herrscher verstehen: daß Menschen, die gut leben, den Frieden möchten."
"Ich tu es, so gut ich es vermag," antwortete der Kaiser.
"Wir wissen Bescheid..." holperte Gaya. Die Blätter um ihn raschelten.
Angicore wartete, daß Gaya weitersprach, aber die Stimme war verstummt. Nachdem er eine Weile gewartet hatte, fragte er: "Was ist es, das geschehen wird? Was kann so gefährlich für mich sein, daß ich nicht im Stande bin, mich dagegen zu schützen? Ich gebiete doch über das stärkste Heer der Welt!"
"Wir wissen von allem, über das du gebietest, Angicore. Wir wissen alles, denn Wir stehen hier auf dem Hügel und sehen jeden einzelnen Tag über die Welt hinaus. Wir sehen, was wert ist, gesehen zu werden."
Die Stimme sprach langsam zu ihm, um sicherzugehen, daß er es verstand.
"Aber auch Wir haben gesehen, was geschieht. Und trotz unserer gewaltigen Kraft, sind Wir nicht in der Lage, zu helfen, denn es ist etwas, das nur die Menschen betrifft. In einer solchen Sache können nicht einmal Wir, Gaya, eingreifen. Aber du sollst wissen, daß Wir, Gaya, mit dir leiden!"