Djin - Claus Bork - E-Book

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Claus Bork

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Beschreibung

Spannender und schön geschriebener Jugendroman, bei dem der epische Kampf zwischen Gut und Böse im Vordergrund steht.Als sein Vater ermordet wird, wird Angicore zum neuen Kaiser von Dynadan gekrönt. Um die Macht über das Reich vollends an sich zu reißen, befreit Angicore Djin, die Seele des Krieges, die fortan durch das Land fährt und alles und jeden mit ihrem zerstörerischen Wahnsinn ansteckt. Erst als Angicore die schöne Miran trifft, findet er durch die Kraft seiner Liebe die Stärke, den Zauber zu beenden und den bösen Geist ein für allemal zu bannen.-

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Seitenzahl: 225

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Claus Bork

Djin

Saga

DjinÜbersetzt vonSusanne RichterOriginaltitelDjinCopyright © 2015, 2019 Claus Bork and und SAGA EgmontAll rights reservedISBN: 9788711800058

1. Ebook-Auflage, 2019Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nachAbsprache mit SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

Personen:

Angicore

Der Kaiser von Jarana, Der einzig Wahre Herrscher. Erbe des Kaiserthrones in Dynadan, dem mächtigsten Reich der Welt.

Antar - Wolf

Keram-Bars Wächter des Ebenholzfelsens. Geschaffen von Keram-Bar, um die Welt gegen die Grausamkeit zu schützen, der er selbst - durch Djin - das Leben gegeben hatte.

Djihba

Der Zauberer von Illemed, der einen Teil der bösen Schaffenskraft Keram-Bars beherrscht und sich in die Dienste des Todes begibt.

Djin

Die verarmte Seele des Krieges. Ein mächtiger Krieger, dessen Stärke auf Hass und dem Zorn auf die guten, lebenden Kräfte beruht.

Duncan Yol

Des Kaisers persönliche Leibwache, Führer der kaiserlichen Marudergarde. Sensei-Meister in Bujidjin, der Kampfkunst der Maruder, einer Kampftechnik, die auf ein hochentwickeltes Zusammenspiel zwischen Geist und Muskeln aufbaut.

Dynadan

Das Reich des Jaranakaisers.

Ergol

Das Land zwischen Dynadan und Illemed, das Steppenland der Mongolen, an den nördlichen Stränden des Meeres.

Gisal`en

Der Dämon von Illemed.

Han O’Lan

Djihbas Folterer aus Illemed, der Diener des Schattens.

Illemed

Das Land auf der anderen Seite des Meeres, von dem aus Djihba sein Netz über die Welt spinnt.

Keram-Bar

Der Erschaffer von Djin und dem Antar-Wolf. Der Zauberer, der das Rätsel der Beherrschung der gewaltigen Kräfte löste, sie aber an tote Dinge band.

Die Maruder

Die kaiserlichen Säbelfechter, die den Palast des Kaisers in Krilanta und den "Wispernden Park" bewachen. Die besten Säbelfechter der Welt.

Miran

Die Frau, die Angicores Begegnung mit der Liebe wird, und der Stärke, die unverbrüchlich mit ihr verbunden ist.

Skillion

Der einzige der alten Zauberer, der Kräfte besitzt - stark genug im Kampf gegen Djin. Reist mit ihnen über das Meer, um die Wurzel des Bösen zu finden.

Zarafir

Der Zauberer am Hof des Kaisers von Jarana in Krilanta. Jener, der Angicore von Dynadan das Ebenholzkristall gibt.

Zendo Kur

Der Kapitän auf dem Schiff " Windreiter".

Krilanta

Krilanta hieß die Stadt, die Stadt der Städte, im mächtigen Reich des Kaisers von Jarana, Dynadan. Sie war berühmt unter den Menschen und wurde in Gedichten und Gesängen gepriesen und geehrt, mehr als irgendein anderer Ort auf der Welt.

Und vielleicht, dem Kaiser von Jarana zum Gefallen, dessen Macht keine Grenzen hatte, wurden diese lobpreisenden Lieder von allen Gauklern und Troubadouren, die von weit her hierher reisten, durch die weißen Tore hineingetragen.

Der Palast mit seinen Türmen und Spitzen und hängenden Gärten war auf einen Ausläufer der fernen Berge gebaut. Das Felsplateau war in Urzeiten als das Fundament gedacht, auf dem dieses Reich aufgebaut werden sollte. So wurde es in den Sagen erzählt, und so war es gekommen.

Kein Haus oder Turm konnte darum in die Höhe schießen und den Blick auf diesen strahlend weißen Palast und die Fülle von bunt leuchtenden Blumen verdecken, die sich wie festgefrorene Schaumspritzer über die Kante der meterdicken Mauern und die Balkone und Erker der Türme breiteten.

Im Park, dessen Ausdehnung größer als die des ganzen Hafens war, wanderten Herden von Hirschen im Schatten der Riesenbäume umher, still, wie Gespenster.

Nichts brauchten sie zu fürchten, denn die masthohen Mauern umringten den Palastpark und den Wald und dämpften die Geräusche der Welt zu einem sanften Flüstern im Wind.

Mitten durch den Park floß ein langsam rieselnder Fluß und hier, zwischen den Arkaden und Ampfer blättern, segelten Höckerschwäne umeinander herum, wie Schiffe auf dem Weltmeer, erhaben, leise und zerbrechlich.

So mächtig war er, der Kaiser, daß das schwere, vergoldete Gittertor in der Mauer nie abgeschlossen war, und man nie einen einzigen bewaffneten Wächter im Park sah - obwohl es sie natürlich gab.

Das ganze riesige Areal, das dieser Park einnahm, war überwachsen mit Klee, und gerade diese Kleeblüte war das Symbol des Kaisers von Jarana.

Kein Mensch, der im Besitz seiner geistigen Kräfte war, konnte sich vorstellen, diese kleebedeckte Wiese in diesem stillen, versiegelten Heiligtum zu betreten.

Hier wurden große Ideen geboren, hier wachte das bedrückende Empfinden der Größe der Macht des Kaisers, geschützt vor allem, was Menschen an Bösem hervorbringen konnten, durch die Säbel der Maruderfechter und die Zauberkünste des Zauberers Zarafir.

Draußen vor den Mauern breiteten sich die weißen Häuser der Stadt über das Land, bis hinunter zum Meer und zum Hafen. Und alle Dächer waren mit roten, glasierten Ziegeln gedeckt, die im Licht der Sonne glänzten oder wie rotes Marmor funkelten, wenn die Zauberformeln des Magiers Zarafir den Regen auf diesen Teil von Dynadan herunterriefen.

Die Windreiter

Er stand auf dem Balkon und blickte hinunter über die Stadt. Die Morgensonne fiel auf die roten, glasierten Dächer und das Licht spielte glänzend auf den blanken Flächen, so wie es auf den Wellen des smaragdgrünen Meeres weiter draußen spielte. Die Masten, ein Wald von schwarzen Stämmen gegen das grüne Meer, schwankten leicht im Takt hin und her.

Er lehnte sich schwer gegen die Balkonbrüstung, und genoß sein eigenes Gewicht auf seinen Ellbogen. Er war jetzt ein großer Bursche, siebzehn Jahre alt und sich seiner keimenden Männlichkeit bewußt.

Er ließ den Blick über die Türme und Spitzen schweifen, lauschte dem leisen, scharfen Schlagen der Wimpel in dem lebhaften Wind. Seine Augen verweilten einen Moment auf zwei Maruderfechtern, die im Hof hinter den kaiserlichen Ställen trainierten. Er bemerkte, wie sie sich gegenseitig bewachten, mit ruhigen, tänzelnden Bewegungen über die Pflastersteine wirbelten, während die Klingen der Säbel im Sonnenlicht glänzten und funkelten.

Dann hörte er Fußtritte auf dem blankpolierten Boden hinter sich, richtete sich auf und drehte sich eilig um.

Zarafir, der kaiserliche Magier, kam auf ihn zugegangen.

Als der Zauberer Angicore entdeckte, klärte sich sein sonst immer so ernstes Gesicht mit einem beherrschten Lächeln auf, und er hob die Hand zum Gruß.

"Guten Morgen, mein Junge."

Er war der einzige, außer seinem Vater - dem allmächtigen Kaiser von Jarana - der sich erlaubte, auf diese Weise zu ihm zu sprechen.

Aber Zarafir war auch kein gewöhnlicher Bürger. Zarafir war mächtig, vielleicht mächtiger als sein Vater, der Kaiser, und Angicore wußte das.

Zarafir herrschte über die Winde, die Wellen des Meeres und die Seelen. Er beschritt Wege, die kein anderer Mensch gehen konnte; darum ging er immer allein.

"Guten Morgen, Zarafir."

Angicore nickte der Gestalt freundlich und wohlwollend zu, die sich auf ihn zu bewegte.

Zarafir trat zu ihm auf den Balkon hinaus und ließ seine schlanken Hände auf der Brüstung ruhen. Dann kniff er die blauen Augen zu zwei Schlitzen zusammen und blieb einen Augenblick in Gedanken vertieft so stehen.

Angicore betrachtete das gealterte Gesicht, die lange, krumme Hakennase, die schmalen, farblosen Lippen und das grauweiße, struppige Haar. Er kannte dieses Gesicht so gut wie alles andere, was für ihn Bedeutung hatte. Er ließ Zarafir in Ruhe nachdenken und wartete.

"Sie kommen heute zurück..." sagte Zarafir plötzlich.

Angicore folgte der Richtung seines Blickes. Das Meer lag wie eine glitzernde, silbrige Fläche im Nebel, ganz bis zum Horizont. Über der schimmernden Meeresoberfläche hing der Dunst wie ein flimmerndes Federbett. Möwen kreisten über dem Wasser, tauchten in den warmen Dunst und veränderten ihre Formen, wurden zu schwebenden Dämonen, bis sie nach oben schoßen, und wieder zu Möwen wurden.

"Wer kommt zurück?" fragte Angicore.

"Die Windreiter, mein Junge. Das stolzeste Schiff das jemals hier in Dynadan zu Wasser gelassen wurde."

Während er sprach, schaute er über die Dächer der Stadt hinweg, über das Meer bis an den Rand der Welt.

Angicore richtete sich auf, legte die eine Hand auf den Schaft des Schwertes und sagte, so beherrscht wie er konnte:

"Du bist ein mächtiger Mann Zarafir." Er versuchte stolz zu klingen. Aber Zarafir gegenüber bekam er immer dieses eigentümliche Gefühl seiner eigenen Zerbrechlichkeit, wie Tau auf dem Gras, bevor die Sonne ihn verdunstet. Ein Gefühl, das sich für den Thronerben des größten und ruhmreichsten Thrones der Welt nicht gehörte.

Zarafir nickte schweigend und beobachtete ihn.

"Der Wind gehorcht deiner Stimme, genau wie die Pferde in den kaiserlichen Ställen. Die ganze Welt gehorcht deiner Stimme, Zarafir." Angicore sah ihn fest an. "Und doch dienst du meinem Vater, dem Kaiser - wie jeder andere Untertan."

Zarafir nickte wieder.

"Warum bist du nicht der Kaiser, Zarafir?" Angicore flüsterte.

Zarafir wandte sich zu ihm, kratzte sich am Kinn und antwortete:

"Es ist nicht die ganze Welt, die auf meine Stimme hört. Ich habe nur begrenzte Kraft, mit den Augen der Welt gesehen. Und es ist nicht mein Schicksal, Kaiser zu sein. Außerdem..."

Er hob die Hand, als wolle er verhindern, daß er von Angicore unterbrochen würde.

"Außerdem würde ich kaum ein guter Kaiser sein. Ein Kaiser muß seine Zeit für viele verschiedene Ziele nutzen. Für Dinge, mit denen sich zu beschäftigen, ich nicht geschaffen bin." Dann lehnte er sich vor und senkte die Stimme. "Außerdem ist dein Vater ein guter Kaiser, Angicore. Er ist der Kaiser von Dynadan, ich bin der Magier von Dynadan, laß es dabei bleiben."

Während sie mit ihren Gedanken beschäftigt waren, begannen die Glocken in dem weißen Turm am Hafen zu läuten. Das tiefe, schwere Dröhnen erfüllte die Straßen und die Luft über dem Nebel, wurde vom Wind getragen und verhallte über dem Meer.

Am Anfang war es nur ein Punkt. Dann kam es näher, wuchs gegen den weichen, blauen Himmel und nahm Form an.

Angicore stand gegen die Brüstung gelehnt und starrte.

Weit unter ihm, außerhalb der weißgescheuerten Mauern, liefen Menschen - Männer, Frauen und Kinder zum Hafen hinunter. Ihr eifriges Rufen erfüllte die Straßen und die Luft zwischen den Häusern.

"Es sind schlechte Zeiten im Anmarsch!" murmelte Zarafir. Angicore sah ihn verständnislos an. Dann wandte er wieder seine Aufmerksamkeit dem Schiff zu und vergaß es.

Zarafir stand allein mit seinen Gedanken da, dem Wind lauschend und der Warnung, die er mit sich brachte...

Das Schiff glitt durch die Außenmolen, während die Männer in den Masten die Segel refften. Die Luft zwischen den drei Masten war ein Gewimmel von Körpern; schwitzenden, muskulösen, sonnenverbrannten Männern, die mit Tauen und Taljen arbeiteten. Über dem Achtersteven flatterte die lange, gezackte Flagge, eine goldene Kleeblüte auf leuchtendblauem Grund, das Symbol des Kaisers.

Die Frauen standen am Kai und warteten. Sie hatten Blumen in den Händen und Kinder auf den Armen. Aber keine von ihnen hatte ganz kleine Kinder dabei, denn die Windreiter waren mehr als drei Jahre fort gewesen und die Männer an Bord waren die Väter der Kinder.

Den ganzen Kai entlang stand die kaiserliche Säbelgarde, die Maruder, in glänzenden Panzerhemden und Helmen. Ihre gelben Hosen waren in die blankpolierten, schwarzen Stiefel gesteckt. Alle hielten sie die linke Hand am Säbel Schaft, zum Zeichen, daß sie bereit waren.

Ihre rechten Arme, die Schwertarme, hingen locker an der Seite herunter. Auf den Handrücken hatten sie eine Kleeblüte in die Haut tätowiert.

Auf dem Kai, dort wo die Landungstreppe die zwei Etagen hinauf auf das schräge Deck der Windreiter führte, stand der kaiserliche Schatzmeister und wartete.

Er war ein kleiner, korpulenter Mann mit schwitzenden, roten Wangen und nervös plinkernden Augen. Er zog unablässig seinen weißen Kragen zurecht und trocknete mit einem parfümierten Taschentuch seine Stirn.

An seiner Seite stand Zarafir.

Die Trossen wirbelten durch die Luft, wurden von eifrigen Händen ergriffen und die Windreiter wurde so festgezurrt, daß nicht einmal der schlimmste Sturm sie aus ihrer Vertäuung hätte reißen können.

Dann endlich stellten sich die Männer in langen Reihen auf das Deck.

Sie hatten alle die gleichen schwarzen Hosen und blauweißgestreiften Troyer an.

Die Masten knarrten ein wenig, während der Kapitän seine Leute inspizierte. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit dem Kai zu und ging den Landgang hinunter.

Die Frauen und Kinder winkten und riefen. Dasselbe taten alle anderen, die an diesem sonnig, warmen Vormittag hierhergekommen waren. Und das waren fast alle Bürger von Krilanta. Nur wenige waren es, die nicht einen Verwandten oder einen Freund an Bord des Schiffes hatten.

Aber inzwischen senkte sich eine merkwürdige, mißmutige Stimmung über das Gewimmel am Kai und die angrenzenden Straßen. Tausende von Gesichtern starrten und stierten die Leute auf dem Schiff an, ohne es zu begreifen.

Zarafir ließ den Blick an den Reihen der versteinerten Gesichter entlangschweifen. Und als er es gesehen hatte, verstanden es auch die anderen am Kai. Daß die Leute auf dem Schiff weniger waren, viel weniger, als damals fortgezogen waren.

Die, die nun zurückgekehrt waren, standen da und schauten auf die rotglasierten Dächer der Stadt, mit düsteren, trübsinnigen Mienen.

Und die Freude und das Glück, die vorher die Luft erfüllt hatten, verschwanden wie Tau in der Sonne. Die Schar auf dem Kai sah auf die Blumen in ihren Händen herab und versuchte die Freude wiederzugewinnen, die sie gefühlt hatte. Aber sie fanden sie nicht und blieben mißmutig.

Es senkte sich ein tödliches Schweigen über die zahlreiche Menschenschar und die Schritte des Kapitäns auf dem Landgang dröhnten scharf zwischen den Häusern.

Der Schatzmeister huschte ihm geschäftig entgegen und sprach die üblichen, höflichen Formalitäten. Der Kapitän antwortete ihm mit einem steifen Nicken, dann schritt er zielbewußt auf den von Pferden gezogenen Wagen zu, der darauf wartete, ihn zum Palast des Kaisers von Jarana zu bringen.

Zarafir folgte ihm mit den Augen, bis er im Gewimmel verschwand.

Und das, was ein Tag der Freude und des Wiedersehens hatte werden sollen, verwandelte sich so unbegreiflich in eine Stunde der Angst, denn keiner wußte, was es bedeutete und keiner konnte sich vorstellen, welche Gefahren und Sorgen die Heimgekehrten hatten durchmachen müssen, auf ihrer Fahrt über das Meer.

Die Warnung

Der Kapitän der Windreiter, Zendo Kur, stand vor dem Kaiser von Jarana, der behaglich zurückgelehnt auf einem mit Gold belegtem Stuhl vor der offenen Balkontür saß. Auf jeder Seite des vergoldeten Thrones lag ein rauhaariger, schläfriger Wolfshund. Ihre Köpfe lagen auf den Vorderpfoten und sie beobachteten die Versammlung durch ihre halbgeschlossenen Augen.

Der Kaiser selbst sah ruhig vor sich hin. Er spielte mit einem Messer, das er zwischen den Fingern hielt, und rollte langsam die scharfe Klinge auf der Haut hin und her, ohne es zu beachten.

Dieser Kaiser, über den so viel Großes geschrieben und gesungen worden war, war der natürliche Mittelpunkt der Welt. Und darum war es nur natürlich, daß Zendo Kur um eine Audienz ersuchte, um einen Bericht über die Reise der Windreiter, Dynadans Stolz, abzugeben.

Das markante Gesicht des Kaisers hatte entspannte Falten, und die bohrenden, grauen Augen schauten auf diese Versammlung mächtiger Männer, die immer zur Stelle waren, umgesehen zu werden.

Der Kaiser sah ruhig auf die Menge der Gesichter. Er kannte sie alle, sie waren alle Bürger seiner Gnaden. Und sie waren alle da, so, wie er es am liebsten sah. Sie stellten sich auf Zehenspitzen, die, die am weitesten hinten standen, um von ihm gesehen und bemerkt zu werden, dem mächtigsten unter den Herrschern. Der Kaiser lächelte vor sich hin; lächelte über ihren Eifer, ihn zufriedenzustellen. Und sie lächelten zurück und nickten untertänigste, erleichtert über seine hochehrwürdige, gnädige Geste. Diskret im Hintergrund, aber doch in effektiver Reichweite, standen die Maruder mit kalten, ausdruckslosen Blicken und den Händen lässig auf den Säbelschäften.

Angicore saß auf einem schön geschnitzten Stuhl mit überkreuzten Beinen und den Händen im Schoß. Er war das ganze Ebenbild seines Vaters und genoß allen Respekt und alle Aufmerksamkeit, die mit Recht einem solchen Herrschernachkommen zuteilwerden sollte. Auch er beobachtete den Kapitän, aber er war nicht fähig, seine innere Aufregung zu verstecken, so wie es die älteren Staatsmänner konnten. Er hob den Blick, ließ ihn über die Menge der Gesichter schweifen, bis er unter ihnen Zarafir entdeckte. Dann entspannte er sich und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Kapitän.

"Was meinen Sie mit `dunklen Kräften`?" fragte der Kaiser von Jarana.

Er hatte sich vorgebeugt, mit einer Hand auf dem einen Knie ruhend und einem verbissenen Ausdruck im Gesicht.

Die Maruder sahen den Kapitän an, sahen durch ihn hindurch, mit ihren harten, wachsamen Augen.

Der Kapitän sah auf die Gardinen, die in dem sanften, warmen Sommerwind schwankten, und zuckte leicht mit den Schultern. Die Stille war so überragend und tief, daß sie fast Formen annahm und sich berühren ließ. Es knisterte leise durch das Salz im Stoff, als der Kapitän den Arm hob. Die Maruder folgten der gleitenden Bewegung der Hand, angespannt wie Federn in Menschengestalt.

"Das ist schwer zu erklären, Euer Gnaden."

"Versuch es!" sagte der Kaiser tonlos.

"Es ist, als hätte ein Geist seine Arme über der Welt ausgebreitet," murmelte der Kapitän. Er hob eine schwielige Faust, hielt sie vor den Mund und hustete. Seine Stimme zitterte vor Aufregung und sein Blick flackerte nervös vom Kaiser und Angicore zu den Marudern an den Wänden.

"Wir fuhren in den Hafen von Illemed, dem Land, wo es sich unbeschwert leben läßt, und die Sorgen nur ein Nebel in der Erinnerung sind," sprach er weiter. "Aber das Leben ist nicht mehr unbeschwert in Illemed, und das Leid hat den Weg in alle Herzen gefunden."

Er schloß den Mund, stand da und starrte auf den Boden.

"Weswegen macht man sich Sorgen in Illemed?" wollte der Kaiser wissen.

"Das weiß ich nicht, Euer Gnaden," sagte der Kapitän.

"Sprich weiter!" sagte der Kaiser.

"Wir gingen an Land, um frische Früchte und frisches Gemüse zu holen, denn nichts darf doch einem Schiff aus Dynadan verweigert werden?"

Er sah den Kaiser fragend an. Der nickte.

"Aber wir trafen auf Waffen, Euer Gnaden. Und uns wurde mit Hass und Verachtung begegnet. Wir mußten kämpfen, um die Leute zu befreien, die an Land gegangen waren."

Er befeuchtete die Lippen mit der Zunge und holte tief Luft. "Wir verloren viele, in Illemed..."

All die großen Staatsmänner, alle, die sich im Saal befanden und aus den offenen Balkontüren sehen konnten, auf die glitzernde, golden schimmernde Fläche des Meeres, starrten Zendo Kur ungläubig an. Und so sehr erwarteten sie den Zorn des Kaisers, daß keiner zu sprechen wagte, aus Furcht, diesen Zorn auf sich zu ziehen.

"Wir hatten getrocknetes Fleisch und eingesalzenen Fisch und lebende Schafe an Bord. Also setzten wir die Fahrt durch die inneren Fahrwasser fort und passierten die Gay-Tiefe, danach setzten wir Kurs auf Erzurum. Wir hatten gehört, daß die Dunkelheit von dort kommen sollte."

"Die Dunkelheit?"

"Sie folgte uns, die ganze Zeit. Tag und Nacht lagen die schwarzen Galeeren am Horizont und bewachten uns. Ich glaube, sie dachten, wir wären zu viele an Bord, und daß wir zu gut ausgerüstet wären, als daß sie einen Angriff hätten wagen können. Aber auf den Inseln in der Bucht vor Erzurum sandte ich eine Expedition an Land, die herausfinden sollte, wie sich dort das Leben abspielte."

Zarafir bahnte sich einen Weg durch die Menge und näherte sich dem Rücken des Kapitäns. Er stellte sich ruhig hin und wartete an seiner Seite, ohne etwas zu sagen.

"Schwarze Galeeren..." der Kaiser starrte entrüstet vor sich in die Gesichter. "Ich bin der Kaiser von Dynadan, ich übe die Gerechtigkeit in diesem Teil der Welt aus und brauche der Furcht in meinem Herzen keinen Platz zu geben!" Er hob die Augenbrauen und die Menge murmelte zustimmend.

Aber selbst Angicore konnte sehen, was für einen tiefen Eindruck Zendo Kurs Bericht hinterlassen hatte und wie schockiert sie nun waren, ihn zu sehen. Denn sie hatten ihn davonziehen sehen als Führer des stolzen Schiffes Windreiter, einen Mann mit dem Körperbau eines Bären, der klaren Urteilskraft eines Zauberers und einem unbezwingbaren, eisernen Willen.

"Wenn dem nur so wäre, Euer Gnaden..." Zendo Kurs Worte waren kaum hörbar.

Die Menge starrte ihn wie gelähmt an. Bis jetzt hatte noch niemand Zweifel an den Fähigkeiten des Kaisers von Jarana, als unbestrittenes Oberhaupt Dynadans geäußert und lange genug gelebt, um es zu bedauern.

Die Maruder, die an den Wänden standen, rührten sich.

Die Wolfshunde hoben die Köpfe und knurrten drohend in den Saal hinein.

Zarafir trat einen Schritt vor, hob abwehrend die Hand und mahnte sie, zu schweigen. Dann sah er einen Augenblick dem Kapitän in die Augen, richtete dann seine ganze Aufmerksamkeit auf den Kaiser und sprach.

"Euer Gnaden. Auch ich habe die Bedrohung bemerkt, die sich über die Welt ausbreitet. Noch bevor die Windreiter am Horizont sichtbar wurde, wußte ich, daß etwas nicht in Ordnung war." Er sah Angicore an, der nickte.

"Ich bitte Euch. Gebt diesem Mann eine Chance, zu beweisen, welche Gefahren an seiner Seele gezehrt haben. Einen Mann wie Zendo Kur zu verurteilen, einen Mann, der so viele Jahre seinen Wert für den kaiserlichen Thron bewiesen hat, ohne ihm diese Chance zu geben, wäre gegen jede Vernunft."

Der Kaiser von Jarana öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Aber dann schloß er ihn wieder und sank in seinen Stuhl zurück. Die Maruder warteten mit ihren Säbeln halb aus den Scheiden gezogen.

Der Kaiser nickte verbissen, ohne etwas zu sagen.

Zarafir wandte sich zu Zendo Kur und legte die Hände auf seine Schultern.

"Schließ die Augen mein Freund. Laß es in dein Bewußtsein dringen, was der Nährboden dieser großen Furcht ist. "

Der Kapitän schloß sie und schwankte ein wenig vor und zurück. Auch Zarafir schloß seine Augen und ließ die eine Hand über dem Boden schweben, über den offenen Platz vor dem Thron.

Die Gardinen wurden in den Saal geweht und das Geschrei der Möwen drang zu ihnen hinein, vom Hafen her.

Dann zitterte es in der Luft. Eine Spannung ohne Laut. Sie wurde ganz langsam ausgelöst und verdichtete sich im Raum vor der von Schweiß tropfenden Stirn des Kapitäns.

Und plötzlich, wie von einer fremden, unwirklichen Welt hervorgerufen, nahm es vor ihnen allen Formen an, sichtbar für ihre erschrockenen Blicke, umgeben von einem gräulichen, flimmernden Schein.

Es trat aus Zendo Kurs Körper heraus, war von ihm hierher getragen worden, vielleicht ohne sein Wissen. Es war ein Gisal, ein Wesen menschlichen Ursprungs - aber nicht mehr Mensch; ein Wesen, das große Kräfte in sich hatte, große Kräfte, wie die Zarafirs.

Es hatte nicht das markante Gesicht des Menschen und nicht die Ausstrahlung des Menschen von Gefühl und Bewußtsein.

Es strahlte den Willen eines bösen Erschaffers aus, der wie ein saurer Gestank durch die Luft wallte und verursachte, daß sie alle, jeder einzelne, laut schrien vor Angst.

Die schwarzen Gewänder flatterten um es herum, während es sich langsam um sich selbst drehte und seine brennenden, blanken Augen durch die zunehmende Dunkelheit schweifen ließ.

Schwere Wolken zogen vom Meer herauf, und der Lärm der laufenden Menschen unten in den Straßen, drang zu ihnen hinein.

Dann trat es auf den Thron zu, während es heiser aus der Kehle fauchte.

Die Maruder stürzten vor, im Nu glänzte die Luft von dem hitzigen Tanz der blanken Klingen durch die Stille.

Angicore sprang auf, zog sein Schwert und warf sich vor seinen Vater. Aber es fegte ihn zur Seite, unsanft und schonungslos und er krachte auf den Boden, während das Schwert über die glatte Fläche dahinrutschte.

Im nächsten Augenblick stieß der Kaiser von Jarana, der mächtigste Herrscher seit der Erschaffung der Welt, einen langgezogenen, klagenden Schrei aus und sank über der einen Armlehne des Thrones zusammen.

Der Gisal lief zum Balkon, wo die Schwerter glänzten und mit heulendem Zucken die Luft zerrissen. Dann fiel er mit großer Kraft gegen die Brüstung und stürzt mit einem heiseren Jammern über sie hinweg.

Zarafir stand mitten im Saal und starrte auf den Thron. In seinen Augen spiegelte sich so großer Schmerz, daß kein Mensch vermochte ihn allein zu ertragen. Der Kapitän, Zendo Kur, lag vor seinen Füßen, in einer verrenkten Stellung und hatte den steifen Blick an die Decke gerichtet.

Die Maruder hasteten zu Angicore hinüber, nahmen ihn vorsichtig an den Armen und zogen ihn hoch in den Stand. Als sie sich vergewissert hatten, daß er unbeschadet war, richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf den Thron, wo andere einen Kreis um den Kaiser von Jarana gebildet hatten.

Er lag immer noch auf dem Stuhl, halb über der breiten Armlehne hängend, in einer unnatürlich verrenkten Stellung. Sein aschgraues Gesicht und der Ausdruck des starren Schreckens darin, ließ sie einen Augenblick stehenbleiben.

Angicore schwankte zu ihm, schweigend und ängstlich.

Eine verwirrende Mischung von Gefühlen durchströmte ihn. Er betrachtete unsicher die leblose Gestalt seines Vaters und fühlte, wie ein Abgrund sich vor ihm öffnete, fühlte wie der Felsen unter ihm weg glitt - der Felsen der Geborgenheit und der erhabenen Würde, der das einzige war, was sie gemeinsam hatten, dieser Kaiserliche Vater und er.

Es war wie ein böser Traum, ein Traum, der jede Sekunde vorbei sein konnte und sich als Streich entpuppen konnte, der seinen Sinnen gespielt worden war. Er suchte in seinem Innern nach einem Weg aus diesem Traum, entdeckte aber nur, daß es keinen gab.

Das Unwetter heulte über Dynadan und der Regen peitschte von dem schwarzen Himmel, fegte die Gardinen zur Seite und lief in breiten Bächen über den Fußboden.

Zarafir bahnte sich einen Weg durch die Menge, kniete sich vor seinen Kaiser und legte seine Hand auf dessen Hals. Doch aus seinem verbissenen Gesichtsausdruck und seinen schweren Atemzügen folgerten auch sie die fürchterliche Tatsache, daß er, der Inbegriff alles Mächtigen und der erhaben war über alles, was menschliche Niedertracht sich ausdenken konnte, tot war... Getötet von einem Funken dessen, was da kommen sollte, das in einer Welt fern von Dynadan wuchs, auf der anderen Seite des Meeres.

"Die Stunde der Prüfung ist gekommen..." Zarafir starrte in die Dunkelheit hinaus, zwischen den flatternden Gobelins hindurch, starrte auf die schwarze Angst, die den Himmel und die Luft zwischen den Nebelbänken erfüllte - und in ihre Herzen drang.

Er stand ruhig mit vor dem Bauch gefalteten Händen und einem müden Gesichtsausdruck da. Überall um ihn herum hatte der erste Schock sich gelegt und sich in eine fast fieberhaft, hektische Geschäftigkeit gewandelt.

Die Maruder waren sehr schnell im Ziehen ihrer Säbel. Sie sahen Angicore an, und warteten darauf, daß er die Führung übernahm und Befehle erteilte. Sie sahen ihn nicht als den Jungen, der einmal den Thron erben würde - sie sahen ihn nicht als das Kind, das noch nicht bereit war. Sie sahen ihn als den Kaiser von Jarana - den einzig wahren Herrscher. Sie reagierten auf nichts anderes in dieser Welt, als auf seine Stimme.

Der kaiserliche Schatzmeister drängte sich mit einem irren Gesichtsausdruck und wütende, unzusammenhängende Beschuldigungen ausstoßend, zu Zarafir. Während er sich durchdrängelte zog er ein Messer aus dem lose herabhängenden Gewand, das seine korpulente, schwitzende Gestalt verhüllte. Zarafir starrte auf das Messer, das von den dicken Fingern umklammert wurde, ohne Anstalten zu machen, sich zu schützen.

Die Maruder warteten, die Blicke fest auf Angicore gerichtet.

Der Schatzmeister hob das Messer, unartikulierte Laute floßen in endlosen Strömen über seine Lippen und wurden zu einem unverständlichen Stammeln.

Zarafir, für ihn fühlte er die tiefste Zuneigung, wegen ihm war er nun fähig, zu handeln.

"Haltet ihn auf..." Angicores Ruf war kaum verklungen, da sank der tote Körper des Schatzmeisters auch schon schlaff unter den leuchtenden, zischenden Säbeln auf den Boden.

Der Kapitän der Maruder, Duncan Yol, betrachtete den toten Körper mit deutlichem Unbehagen, darauf drehte er sich auf den Hacken um und ging durch den Saal, in Richtung auf Angicore.

"Milord..." Er grüßte mit zur Decke erhobenem Säbel.

"Wir stehen zu ihren Diensten - Ihr seid der Kaiser, der einzig wahre Herrscher von Dynadan!"