Das abenteuerliche Karaganda - Claus Bork - E-Book

Das abenteuerliche Karaganda E-Book

Claus Bork

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Beschreibung

Karaganda – ist ein Land, bevölkert von Insekten, die sowohl positive als auch negative Eigenschaften besitzen. Eine demokratische und doch top-down gesteuerte Gesellschaft, mitten in einer primitiven anarchistischen Umgebung. Gleichzeitig eine Gesellschaft, die mit Bedrohung und Angst die Grundlagen seiner eignen Demokratie verunsichert. Auf der einen Seite wird Karaganda zusammengehalten durch die Kraft der Ehrwürdigen Mutter – die Mutter der Wespen des Staates Akorn, sowie durch die Mutter der Kriegerameisen des Ameisenstaates Grünn. Auf der anderen Seite ist Karaganda gespalten durch Manipulation und Lügen der Libelle Ganj, dem Führer der Verteidigungstruppen von Karagandas. Parallel folgt man Kapitän Zip von der Wespenflotte, der versucht den Zusammenhang der Dinge zu verstehen...

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Vorwort

Die Raubtiere unter uns - zu denen ich in gewissem Maße selbst gehöre, werden weiter jagen und die Schwachen ausbeuten, bis zu dem Tag, an dem die Schwachen die Verhaltensmuster und das Böse in all diesem sehen und nicht mehr akzeptieren, in der Rolle der Beute zu leben.

Herausgegeben vom gleichen Autor:

(Im Dänemark, Dänisches Sprache)

Kinderbücher:

Das Schlangenauge – 1985

Der Meister von Glaur – 1985

König Atlon vom Regenbogen – 1985

Jugendbücher:

Schwarzer Sigurd – 1987

Das Land hinter den Nebeln – 1988

Drachenreich – 1989

Die Kinder der Wellen – 1987

Djin – 1988

Die Pforten nach Rana – 1989

Muffys Gesetz - 1998

Romane für Erwachsene:

DEER – 1990

WTC-gate - 2015

Meinen Kinder: Jesper, Sebastian, Casper und Liv - und meiner ex Frau Lisbeth gewidmet.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

Nachschrift

1. Kapitel

Es war eine gewalttätige Welt gewesen, bis sie die große Veränderung durchlief. Es gab nur wenige, die fähig waren, sich an die Zeit vor der Gemeinschaft zu erinnern. Die einzelnen Individuen der mannigfaltigen Populationen der Gemeinschaft nahmen die Tage wie sie kamen. Sie lebten jetzt in Hektik, die sie vom Gott Zarg zugeteilt bekommen hatten - ein mühsames Leben vom Ende eines Winters bis zum Beginn des Nächsten. Sie zählten Millionen, jeder mit seinen Wünschen und Ansprüchen - entsprungen aus ihrem begrenzten Bewußtsein.

Aber es gab in diesem komplizierten Reich auch Weisheit. Sie wurde durch Generationen Ehrwürdiger Mütter vererbt. Sie trugen alle Erfahrungen ihrer Art in ihrer Erinnerung. Man sagte von zweien von ihnen, daß sie durch die Kraft ihrer Seelen reisen konnten, hinaus hinter die Grenzen der physischen Existenz, und die eierlegenden Riesenkörper verlassen konnten, die für ihre Lebensdauer dazu verurteilt waren, an derselben Stelle zu verbleiben. Diese zwei Mütter waren die Mutter der Wespen in der Behausung Akorn und die Mutter der großen Kriegerameisen in der Behausung Grünn. Aber es gab auch andere mächtige Individuen in dem, was an der Oberfläche ein Reich der Ordnung und des Friedens war.

Es sollte nie Zweifel daran herrschen, daß Königin Sols Eingebungen gut und reell waren, da sie aus eigenem Willen begründete, was sich mit der Zeit zu der Gemeinschaft entwickelte. Die Libelle Ganj wurde ihre physische Stärke - und ihr Gegenpol in der Balance, die sie zwischen den sanften, milden und verzeihenden Kräften - und der zornigen Stärke zu schaffen versuchte, die in den Schatten von Ganjs Seele herrschte.

Schließlich soll erwähnt werden, daß so, wie es Licht und Dunkelheit gibt, es auch hier die sanfte, erschaffende Kraft von Königin Sol - und die brutale, gnadenlose Seite der Kraft des Gottes Zarg gab, in der Gestalt des Skolopenders, der " Das Blanke Ding" bewachte.

Auszug aus Spys Erinnerungen an die Zeit der Gemeinschaft.

Ganj saß auf der morschen Fläche des Eichenstumpfes und betrachtete das Land, das sich meilenweit nach allen Seiten ausbreitete.

Er war eine Libelle.

Die großen, blanken Augen näherten sich einander in ihrer Krümmung, mitten über dem hervorgeschobenen Kopf, und gaben ihm ein unermessliches Blickfeld.

Er streckte seine vier Flügel vom Körper und ließ sie von den ersten, sanften Strahlen der Morgensonne wärmen.

So saß er jeden Morgen - hinausblickend über das Reich, das er als das Seine betrachtete. Er genoß, es erwachen zu sehen, zu sehen, wie die Sonne die erstarrten Seelen auftaute, sie aus ihren Träumen in den Höhlen unter der Erde und der Rinde zurückholte und den Funken entzündete, der das Leben weitergehen ließ.

Er fühlte seine Macht, als etwas fast mit den Händen greifbares - fühlte sie ruhig einen Augenblick, um sie dann zu ignorieren. Er hatte sich an sie gewöhnt und dachte seltener und seltener über sie nach.

Garm, der Nashornkäfer ärgerte ihn oft damit. Es sei eine Alterserscheinung, behauptete Garm - das mit dem resigniert und bloßen genießen. "Das Leben ist ein ständiger Kampf…" Ganj wiederholte in sich den Klang seiner Stimme. "Die Jungen stehen auf dem Sprung, um Anteil an den Privilegien der Alten zu bekommen."

Ganj schob den Gedanken an Garm von sich und sah suchend zur Behausung am Waldrand.

Es schmerzte in seinem alternden Körper und er bewegte den Kiefer auf und ab, um die Blutzirkulation in Gang zu bringen.

Die ersten Ameisen zeigten sich in den Löchern der Behausung. Sie entfernten eifrig die Zweige und Halme, die die Eingänge die ganze Nacht bedeckt hatten. Ihre krummen Kiefer streckten sich aus der Dunkelheit wie blauschwarze, glänzende Zangen.

Ganj wurde auf seinen eigenen zunehmenden Hunger aufmerksam und beschloß, sich zurück nach Eichberg zu begeben, um die erste Mahlzeit des Tages einzunehmen. Aber bevor er sich ganz umgedreht hatte, hielt er inne und lauschte. Ein Geräusch war an seine Ohren gedrungen.

Eine Wespe landete vor ihm, schüttelte den Staub von den Fühlern und legte die Flügel auf dem Rücken zusammen. Erst danach wandte sie sich ihm zu, direkt und ohne Umschweife so wie immer.

"Guten Morgen, Hochwohlgeboren." Sie hatte eine schneidende Stimme. "Ich dachte mir, heute frühzeitig zu starten. Die Ameisen behaupten, daß es regnen wird."

"Guten Morgen, Kapitän Zip," polterte Ganj.

Kapitän Zip von der Wespenflotte wartete schweigend, halb bedeckt vom dunklen Schatten der Libelle.

Ganj ließ den Blick am ganzen Horizont entlanglaufen, ohne den Kopf drehen zu müssen. Dann richtete er endlich seine Aufmerksamkeit auf die Wespe und fragte: "Warum dieser Eifer? Ist etwas im Gange - etwas, wovon ich wissen sollte?"

Kapitän Zip schüttelte den Kopf, sodaß der Chitinpanzer in seinem Nacken knackte. „Nein, aber ich möchte alles gerne schaffen, bevor der Regen einsetzt. Ich bin nicht gern gezwungen in einer Baumspitze Schutz zu suchen - und dort vielleicht eine ganze Nacht hindurch gefangen zu sein. "Zips Stimme bebte ganz leicht." Man muß sich ja nicht Zargs Zorn aussetzen…"

Ganj murmelte bekräftigend. Er hatte die Flügel über seinen breiten Rücken gelegt. "Wir müssen alle Zargs Gesetze einhalten…" sagte er zustimmend, worauf er sich bereitmachte, weiter zu krabbeln.

"Laß mich dich nicht aufhalten, mein junger Freund." Ganj drehte den Kopf ein wenig und sah auf die Wespe herab. Kapitän Zip war erstarrt, stand da und betrachtete sein eigenes Spiegelbild in der gewaltigen Augenkrümmung der Libelle.

"Aber eines sollst du wissen," setzte Ganj fort. "Es hängt viel von dir und deiner Wespenflotte ab. Viel mehr, als ich im Stande bin, aufzudecken.

Die Wespe stand angespannt da und horchte.

"Enttäusch mich nicht…" flüsterte Ganj scharf.

"Zarg möge verbieten, daß es jemals geschehen wird!" rief die Wespe aus.

"Scht," brachte Ganj ihn zum Schweigen. "Natürlich nicht, mein Freund - natürlich nicht." Er beobachtete die Wespe als sie abhob und durch die Baumkronen davonjagte, getragen vom Summen ihrer eiligen Flügel.

Ganj bewegte sich behäbig über Eichberg hinweg, dem einzigen Eichenstumpf in Karaganda - und die Heimat der obersten Macht in Königin Sols wohlgeordnetem Reich.

Hinter dem massiven Äußeren des Eichen Stumpfs war er durchkreuzt von einer Unzahl von Gängen und Spalten, die sich bis ganz zu den unterirdischen Sälen zwischen den Wurzeln erstreckten. Dies repräsentierte das Zentrum der Welt in ihrem Bewußtsein, von hier gingen alle Gesetze und Verordnungen aus, die alles in einem festen Griff hielten - und von hier breitete sich das Netz von Fäden aus, das seine Wurzeln in des Erschaffers, Zargs, Gedanken hatte. Zarg, den niemand von ihnen jemals gesehen hatte - Zarg, der die Kraft selbst war, die in den Ehrwürdigen Müttern lebte, einem der Grundelemente von Karagandas Macht.

Ganj näherte sich einem der dunklen Eingänge. Die Kreuzspinne studierte ihn aus der Dunkelheit. Sie war immer auf der Hut, so wie alle Kreuzspinnen es in allen Eingängen zum Eichberg waren. Ganj brummte einen Gruß, während er sie passierte, aber die Spinne antwortete ihm nicht.

Ganj hatte nur Verachtung für Spinnen übrig, aber er bemühte sich, dies nicht zu zeigen. Er wußte aus überlieferten Berichten, daß viele seiner eigenen Vorväter in den klebrigen Fäden der Kreuzspinnennetze gefangen worden waren und ihr Leben hatten lassen müssen, auf traurige und schändliche Weise. Er trug diese Berichte tief in seiner Seele versteckt - und sprach nie mit jemandem darüber.

Er hielt inne und vertiefte sich in Gedanken. Einmal, vor langer Zeit, bevor Sol nach Karaganda kam, war er selbst in Orcas Spinnennetz gefangen worden. Er mußte sich anstrengen, um sich an Einzelheiten zu erinnern. Es war ihm fast geglückt, es zu verdrängen.

Von allen Spinnennetzen der Welt hatte es gerade Orcas Netz sein müssen, Ganj schauderte bei der Erinnerung. Er erinnerte sich schwach an das Gefühl von festgeklebten Flügeln und seine eigene, gewaltige Wut - bevor das Sausen der Spinnenfäden vor seinem inneren Ohr auftauchte. Es hatte seinen eigenen Gesang, so ein Spinngewebe. Eine grausame Hymne, die wie eine Fanfare des Todes für den war, der sich in den Fäden verfangen hatte. Wenn man diesen Gesang hörte, wußte man instinktiv, daß es die Schritte des Todes über die Fäden waren - man wußte es, ohne es jemals vorher gehört zu haben.

Es war ihm geglückt, sich fast freizuzerren, genug, daß Orca ihm nicht nahe kommen konnte. Er hatte die Fäden zerbissen und ihr mit seinem gewaltigen Kiefer gedroht. Orca, die fette, glänzende Spinne hatte ihn durch ihre tausend Augen beobachtet. Er hatte seinen eigenen Tod sich in diesen Augen abspielen sehen. Dann war die Spinnwebe geborsten. Orca hatte ihn angezischt, als er auf die Erde wirbelte.

In den Zeiten, die folgten, hatte Ganj Orca unter Beobachtung gehalten. Sie hatte ihm Ehrfurcht eingejagt - ein Gefühl, dessen Existenz er nur widerwillig erkannte - und wenn, dann nur vor sich selbst. Sie hatte ein Spinnennetz quer über den Bach gebaut.

Es war nie vorher geschehen, und Ganj wußte es, wie alle anderen es auch wußten, daß dies eine ganz beispiellose Tat war. Je mehr Ehrfurcht sie säte, je mehr haßte er sie. Er sah sie in Träumen vor sich, zerteilt, zerrissen und tot. Aber morgens saß sie immer noch da, fett und glänzend in ihrem riesigen Netz, mitten über dem Bach. Zuletzt fühlte Ganj, daß gerade diese, ihre Existenz, ein Hohn war, der gegen ihn gerichtet war. Aber erst später, viel später hatte er seine Rache bekommen.

Gewaltig waren die Berichte, die Ganj den Respekt seiner Untertanen sicherten, und viele waren es, die behaupteten, bei seinem Kampf gegen Orca dabei gewesen zu sein. Nur er selbst kannte die Wahrheit - und er behielt sie für sich.

Er erwachte aus seiner träumenden Trance und begab sich weiter durch Eichbergs verschnörkelte Gänge. Die Silhouette der Kreuzspinne zeichnete sich gegen den hellen, blauen Himmel in der Öffnung ab. Sie stand wie auf dem Sprung da, unbeweglich und versteinert, während seine Schritte sich zu einem schwachen Echo verliefen.

2. Kapitel

Es war vielleicht der tiefsitzende Lebenswille, der sich in seiner Kriegerseele versteckte; samt der Tatsache, daß er bis zur Vollkommenheit loyal gegenüber allem war, an was er glaubte, was Kapitän Zip von der Wespenflotte zu dem machte, was er war. Was er nie verstehen lernte war, daß diese Rechtgläubigkeit in sich selbst den Keim zur Feindschaft von seiner Umgebung barg. Aber sie schaffte als Gegenstück die Grundlage für eine wahre Freundschaft mit den ehrwürdigen Müttern und den Schutz, der darin begründet lag.

Auszug aus Spys Erinnerungen an die Zeit der Gemeinschaft.

Kapitän Zip jagte wie der Wind durch die kühlen Schatten des Waldes. Die Flügel waren wie er, schnell und hastig. Er fühlte es, als würde er von seinem eigenen, schnarrenden Summen getragen. Genau, das war er. Und gerade dahinein setzte er seine Ehre. Er hatte keine Ambitionen Karagandas oberster Führer zu werden - darin lag seine Stärke, und seine Freiheit. Er genoß großen Respekt, weil keiner, oder nur ganz wenige, Zweifel an seinen Motiven hegten.

Ein Duft in der Luft brachte ihn dazu, umzukehren und zu suchen. Ahornsaft war das Beste, was er kannte. Er folgte der Duftspur zwischen die Bäume, bis er einen Sonnenstrahl in einem Tropfen glänzen sah.

Die Rinde war oben am Stamm etwas gerissen. Er mußte seinen Fund den Ameisen berichten. Aber erst wollte er ihn selbst schmecken. Er setzte sich auf den Stamm und trank vorsichtig von dem Tropfen.

Als er soviel er konnte getrunken hatte, schwang er sich hinaus in die Luft und kreiste summend zwischen den Bäumen herum, bis er sich die genaue Lage des Baumes gemerkt hatte. Daraufhin flog er weiter.

Er landete auf dem Flugfeld, gerade als der erste Sonnenstrahl es erreichte. Es war eine wahre Freude des Lebens in diesem Teil des Waldes.

"Akorn," seufzte Zip behaglich. Er kam fast jeden Morgen hierher, und jeden Morgen war seine Freude, nach Hause zu kommen, dieselbe. Ein Tag ist eine lange Zeit im Leben einer Wespe.

Hier in Akorn, der größten Behausung des Waldes, war er als Ei gelegt worden. Hier hatten selbstaufopfernde Arbeiterwespen ihn als Larve gepflegt - hatten aufgepaßt, daß ihm nicht zu warm und nicht zu kalt wurde. Und sie hatten Feinde ferngehalten, während er wuchs und wuchs. Sobald er die Wände seiner Zelle niedergebrochen hatte, hatte ihn jemand angesehen und gesagt, daß aus ihm etwas Großes werden würde. Und weil er eine Jungwespe mit Lebenslust war, hatte er das geglaubt.

Er schlief jede Nacht in Eichberg, weil er unter den wenigen Auserwählten war, die über Königin Sols Leben wachten. Wie alle Wespen hatte er einen starken, ererbten Instinkt, der ihm gebot, den Ort zu verteidigen, wo er als Larve ausgebrütet worden war, aber andere hatten bestimmt, daß das für ihn nicht gelten sollte.

Die Wespenwache betastete ihn mit den Fühlern und rief ein wohlbekanntes Kommando. Die Wespen im Hauptgang standen stramm, bevor er sie passierte.

"Willkommen in Akorn," rief der Wachkommandeur mit scharfer Stimme.

"Danke," murmelte Zip und wollte hineinkrabbeln.

"Ich bin gebeten worden, ein Ersuchen zu überbringen," setzte der Wachkommandeur fort. Zip blieb stehen und betrachtete ihn. "Die Ehrwürdige Mutter wünscht Sie zu sehen," sagte die Wache.

Zip fühlte, wie das Blut schneller in seinem Körper pulsierte. Die Ehrwürdige Mutter, dachte er, ohne zu antworten.

Da war nur eine Mutter. Sie war Mutter von ihnen allen. Allen fünfhunderttausend. Er konnte sie nicht warten lassen. Er verließ das Flugfeld und hastete hinein in den hektischen Lebensnerv, der Akorns Hauptgang ausmachte.

Sie waren unzählbar, die vielen Verzweigungen und Seitengänge, die Akorns Verkehrsadern bildeten. Aus allen Seitengängen wimmelten eifrige Wespen heraus, stießen miteinander im Hauptgeng zusammen, und setzten wie ein lebender Mahlstrom aus Beinen und Flügeln ihren Weg zum Zentrum fort. Es war ein wahres Summen von Flüchen und Verbannungen, Beschuldigungen und Entschuldigungen. Aber es gab nur wenige Kämpfe und noch weniger Tötungen. Hunderte von Duftströmen trieben vorbei, während man nach und nach vorankam. Düfte aus Vorratskammern und Düfte von Exkrementen, für die manche ausersehen waren, sie aus dem Weg zu schaffen.

Zip nahm eine besondere Stellung als Chef der Wespenflotte ein. Überall befühlten sie ihn mit den Fühlern und murmelten Grüße durch die summenden Duftströme.

In den äußersten Quadranten bauten sie wieder. Neue Kammern wurden für kommende Generationen von Larven errichtet. Akorn wuchs jeden Tag in die Baumkrone, und Skeptiker meinten, daß es schon zu schwer war, und daß ein Sturm das Wachstum der Behausung dazu bringen könnte, in einer Katastrophe zu enden. Aber noch hatte kein Sturm Akorn verschlingen können, und der unaufhörliche Strom von Eiern der Ehrwürdigen Mutter wurde hinunter getragen und eingemauert in neue Zellen, die mit Nahrung gefüllt waren.

Es machte ihm ein kribbliges Gefühl, dieses Schaffen. Er würde über ihr Recht, sich zu entfalten, wachen, mit allem, was er zu geben hatte.

Zip blieb in der breiten Nische nahe Akorns Zentrum stehen.

Obwohl sie von dem wimmelnden Leben im Hauptgang abgeschnitten war, war es, als ob dort eine unsichtbare Linie zwischen ihnen gezogen war. Hier, in die Vorkammer zum Zentrum, setzte keiner seinen Fuß ohne einen ganz besonderen Grund, und ohne sicher zu sein, daß die Wachen es gutheißen würden.

Im Innern der Nische verengte sie sich zu einer schmalen Passage. Vor ihr standen die Wächter der Ehrwürdigen Mutter. Sie waren besonders ausgewählt, und bildeten den stärksten und abgehärtesten Kern von ihnen allen. Zip kannte jeden einzelnen von ihnen, denn sie waren am gleichen Tag ausgebrütet worden wie er.

Er ließ sich von ihren Fühlern betasten, und um ihnen seinen Respekt zu zeigen, befühlte er sie. Das war ein wichtiges Element im Leben der Wespen, das Betasten. Es diente auch dazu, ihnen ein Gefühl von Zusammengehörigkeit zu geben, von Zusammenhalt.

"Es ist etwas anderes," dachte Zip, " von einer Wespe befühlt zu werden, als sich von einem Rüsselkäfer betasten zu lassen." "Wie geht es Ihr heute?" flüsterte Zip.

"Die Ehrwürdige Mutter schenkt der Welt neues Leben," antwortete die Wache. " Aber es ist eine besondere Unruhe dort drinnen, und ohne daß ich weiß warum, weckt es in mir einen unwiderstehlichen Drang zu töten."

Zip betrachtete mit allen Sinnen angespannt den Wächter. Er erkannte ihn leicht von den übrigen, weil sein Kiefer deformiert war und einen Überbiß verursachte.

"Sie hat gewünscht, mich zu sehen," sagte Zip scharf und presste sich an ihm vorbei. Sie machten ihm Platz, gerade genug, daß er sich hineinzwängen konnte.

3. Kapitel

Es gab Umstände, wo es die volle Übereinstimmung zwischen den Wünschen der machtvollen Mütter und den Gesetzen von Königin Sol nicht gab. Aber solange Königin Sol es schweigend akzeptierte, gab es keine Probleme. Schließlich waren es ja die wenigsten, die von all diesen Dingen wußten.

Auszug aus Spys Erinnerungen an die Zeit der Gemeinschaft.

Sie war ein prächtiger Anblick, die Ehrwürdige Mutter.

So groß und schön war sie, daß die Drohnen, die um ihren Körper herumkrabbelten, ihn an Ameisen auf einem Baumstumpf erinnerten. Zip krabbelte ganz bis vor sie hin und wartete mit andächtigem Schweigen. Sie war seine Mutter, wie sie die Mutter aller war - aller in Akorn.

Es dauerte lange bevor sie sprach, aber er war sicher, daß sie die ganze Zeit ihre Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatte. Sie ließ ihn mit seinen eigenen Gedanken dasitzen, bis er sich an die Geräusche in Akorn gewöhnt hatte. Hier in ihrem Saal waren sie wie ein gedämpftes Echo von einer fernen Quelle, aber er war verblüfft darüber, wie viel man hören konnte. Sie wußte über alles Bescheid - ohne daß er verstand, wie man dieses Pulsieren in Akorns Lebensnerven wahrnehmen konnte, hier im Saal der Ehrwürdigen Mutter.

Plötzlich hörte er ein neues Geräusch. Ein Geräusch, das er nie vorher gehört hatte. Er hob den Kopf und wandte sich in die Richtung des Lautes. Und gerade da wandte sich die Ehrwürdige Mutter das erste Mal an ihn.

"Man wird so froh zu leben, daß man mit allen Mitteln dem Tod entgehen will," sagte sie. Sie hatte eine scharfe, piepende Stimme.

Ihr Körper schaukelte hin und her in wellenartigen Bewegungen. Sie legte die schleimigen Eier ab, in einem endlosen Strom. Die Drohnen warteten um sie herum und trugen eifrig die Eier fort, sobald sie herauskamen.

"Ich habe auf jedes Bein ein Auge," versprach Zip. " Nichts entgeht meiner Aufmerksamkeit."

"Was das Auge nicht sieht, enthüllt das Ohr," piepte seine Mutter.

Wieder erreichte das scharfe Geräusch sein Ohr. Es war ein Rufen, ein lockendes, aufstachelndes Rufen von einer Stelle in der Nähe. Es erregte ihn ganz gewaltig, dieses Rufen. Er begann seine Fühler zu putzen, um es nicht zu zeigen.

"Es ist der Ruf des Todes, den du hörst." Sie hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. "Aber wessen?"

Zip sah auf ihren gewaltigen Körper. Die Eier wurden weiter herausgepumpt, selbst während sie sprach.

"Du sollst etwas für mich tun," setzte sie fort.

"Wenn es überhaupt etwas gibt, womit ich Ihnen dienen kann, ist es mir eine…"

Sie seufzte und unterbrach ihn. "Du sollst soviele sammeln lassen, wie du brauchst. Du kannst es machen wie du willst. Aber tu es bald - am besten sofort. Denn jeder Augenblick, den du wartest, wird Leben aufs Spiel gesetzt."

"Wessen Leben?" fragte Zip verständnislos.

"Meins!" sagte sie scharf.

Er ahnte einen Keim von Furcht in ihrem Tonfall. Ein leichtes Zittern, das einen Zipfel des Schleiers ihrer innersten Gedanken

hob.

"Du sollst dem Geräusch nachgehen, dem lockenden Rufen. In der Kammer, von wo es kommt, wird das gefunden, das mein Tod werden kann. Du sollst die Wände niederreißen und das töten, was du darin findest. Du darfst keinen einzigen vergessen, nicht einen - verstehst du das?"

Zip befühlte sie mit den Fühlern, um sie zu beruhigen. Sie seufzte schwach.

"Nicht alle wollen mir Böses," redete sie weiter. "Aber einer von ihnen will es, ich weiß bloß nicht wer." Sie holte schwer Luft. "Darum müssen sie alle sterben!"

Das ferne Rufen erreichte seine Gedanken, und drohte ihm die Konzentration zu rauben.

"Wer sind sie?" fragte er.

"Königinnen wie ich!" flüsterte sie. "Ehrwürdige Mütter!"

Das lähmte ihn. Es war ein fürchterlicher Gedanke. Und doch begriff er nun, daß er es die ganze Zeit gewußt hatte. Erregung, Furcht und Eifer zur selben Zeit. Er versuchte, seine Gedanken zu sammeln.

Sie beobachtete ihn aus den kleinen Augen in dem enormen, sich wiegenden Körper.

"Wir könnten noch eine Behausung im Wald gebrauchen," begann er vorsichtig. "So wie es jetzt ist, steht und fällt alles mit Akorn."

Sie antwortete ihm nicht. Es war für ihn fast schlimmer, als wenn sie Unzufriedenheit mit seiner Meinung Ausdruck gegeben hätte.

"Ich werde mein Bestes tun," flüsterte er endlich und zog sich zurück.

Er wählte sein Gefolge unter den Wachen aus.

Die lockende Stimme rief immer noch. Zip lauschte, und es fiel ihm auf, daß es nun zwei waren. Während er diese neue Situation überlegte, begann eine dritte Stimme, ihn zu sich zu rufen.

Sie suchten die Königinnenkammern auf - eine nach der anderen. Ihre Stimmen konnten überall in dem großen Komplex gehört werden, den Akorn ausmachte. Überall erzeugte ihr Rufen eine Stimmung von Angespanntheit und Erwartung. Als ob die Stimmen unsichtbare Fäden durch die Gänge schickten - Fäden, die ihren Weg in die hintersten Winkel der Seelen aller Wespen fanden.

Zip entdeckte, daß eine große Anzahl Wespen sich auf eine Reise vorbereitete. Es war etwas ganz besonderes an ihrer Erregung, etwas, das ihm sagte, das sie bereit waren fortzuziehen. Aber er zögerte noch, denn er war noch nie vorher in einer ähnlichen Situation gewesen.

Er redete zwei Wespen an, die Seite an Seite im Gang Aufstellung genommen hatten. Sie bewegten die Hinterteile in rythmischen Bewegungen auf und ab. Jedesmal wenn eine lockende Stimme in den Korridoren widerhallte, nickten sie gereizt im Takt mit den Köpfen.

"Was geht da vor?" fragte Zip.

"Das weiß ich nicht," antwortete die eine Wespe kurzatmig. "Aber warum steht ihr so da?"

"Das ist die Stimme," antworteten sie im Chor. Zip bemerkte, daß auch er selbst dastand und den Körper wiegte.

Die Wespenkrieger hatten in den Gängen Aufstellung genommen. Sie standen in Front zur Kammer und erwarteten sein Signal. Auch sie standen da und bewegten die Hinterteile in rythmischen Bewegungen auf und ab - und hatten es deutlich schwer, sich zu konzentrieren.

Er betrachtete die Schatten und Wölbungen der Kiefer. Er bekämpfte das berauschende Gefühl, das drohte, ihn zu übermannen, und wartete auf den Augenblick, an dem er wieder klar denken konnte.

"Reißt die Wände nieder!" kommandierte er.

Sie schnitten die Wände mit ihren Mahlkiefern herunter. Während sie damit herumpolterten, war es einen Augenblick still in der Kammer. Dann begann die klare Stimme, sie wieder zu sich zu locken. Sie war jetzt viel deutlicher, wo die Wände durchbrochen waren.

Sie betrachteten sie durch das Loch. Die junge Königin füllte fast den ganzen Raum aus, der ihre Zelle war. Sie war kleiner als die Ehrwürdige Mutter - aber sie war jung und schön. Sie glänzte immer noch wie eine Larve. Ihr lautes Rufen war verstummt.

Zip zwängte sich halb durch die Öffnung und betastete sie mit den Fühlern. Die Krieger blieben draußen im Gang stehen, unentschlossen.

Sie wiegte in aufstachelnden Bewegungen vor und zurück.

"Wer bist du?" fragte Zip mit Spannung, die durch seinen Körper rieselte.

"Ich bin die Ehrwürdige Mutter," seufzte sie. Er wußte, das es stimmte.

"Aber wir haben schon eine Ehrwürdige Mutter," protestierte er.

"Führ mich zu ihr," lockte sie. "Dann werden wir sehen…"

Zip zog sich in den Gang zurück. Die Wachen waren aufgeregt. "Wenn sie sich begegnen, werden sie bis zum Tod kämpfen," rief er. "Wenn sie beide sterben, wird Akorn sterben. Tötet sie!"

Sie wimmelten an ihm vorbei. Sie rasten voran wie in einem Rausch und zerrissen und zerschnitten sie. Er blieb im Gang stehen und sah sie ihren Kopf vom Körper trennen. Es wirkte fast, als hätte sie darauf gewartet, daß es geschehen würde. Es war kein Klagen in ihrer Stimme - kein Flehen um Gnade. Aber wenn sie es gewußt hatte, warum hatte sie sie dann zu sich gerufen?

Er war schon damit beschäftigt, die Richtung zur nächsten anzupeilen. Es waren jetzt mehr Stimmen, allzu viele, als daß er sie überschauen konnte.

Er versuchte, sie voneinander zu unterscheiden, um sie zu zählen. Er war sich nicht sicher, ob es sieben oder acht waren. Sie machten weiter, wie es begonnen hatte. Sie töteten die ersten fünf, ohne auf Probleme zu stoßen. Aber es gab ein Problem - die Zeit. Die jungen Königinnen waren nicht größer, als daß sie sich mit Mühe in Akorns Gängen bewegen konnten. Erst wenn sie begannen Eier zu legen, würden sie größer und schwerer werden.

Als sie die sechste Kammer erreichten, entdeckten sie, daß die Wand zur Kammer von innen aufgebrochen war. Die schleimige Spur auf dem Boden zeigte ihnen, daß sie schon auf dem Weg zu Akorns Zentrum war.

"Sie ist auf dem Weg zur Ehrwürdigen Mutter!" rief einer.

"Die eine wird wohl genauso gut wie die andere sein," antwortete ein anderer.

"Haltet sie auf!" kommandierte Zip und eilte voran. Die übrigen folgten ihm so schnell ihre sechs Beine sie tragen konnten.

Sie holten sie in den tiefen Gängen nahe des Zentrums ein. Sie schafften es gerade noch ihr den Weg vor der Passage zum Saal der Ehrwürdigen Mutter zu versperren.

Zip legte den Kopf zurück und drohte ihr mit seinen Mahlkiefern. Sie blieb stehen und betrachtete ihn. "Das ist ja wohl keine Art und Weise, eine Ehrwürdige Mutter zu behandeln?" sagte sie vorwurfsvoll.

"Wo willst du hin?" fragte Zip.

"Ich muß ausfliegen," sagte sie überzeugend. " Ich muß hinaus in die Sonne, die ich noch nie gesehen habe, zwischen den Bäumen schweben, die ich auch noch nie gesehen habe, um eine neue Behausung zu gründen, die wachsen - und mit den Generationen viel größer als dieses Akorn werden wird!"

"Dann gehen Sie den falschen Weg," sagte er und erinnerte sich, daß sie eine Königin war.

"Ich will nur der Ehrwürdigen Mutter einen letzten Respekt erweisen," sagte sie entschuldigend. " Ich will ihr von meinen Plänen erzählen und ihrem weisen Rat lauschen - ich habe ihr so viel zu verdanken."

"Das haben wir alle," antwortete Zip unsicher.

Eine andere Stimme drang zu ihm. Es war ein Flüstern, so leise wie nur ein Gedanke, und nur er konnte es hören.

"Laß es nicht geschehen. Laß sie nicht zu mir kommen. Sie ist es, die ich fürchtete, sie ist die falscheste von allen."

"Wenn du mich vorbei läßt, mache ich dich zum Kapitän der Wespenflotte," lockte sie.

"Aber das bin ich schon," murmelte Zip verwirrt. Ein Keim von Unruhe wuchs in seiner Seele.

"Eine werde ich ausfliegen lassen," flüsterte die Stimme aus dem großen Saal. " Aber erst mußt du diese töten, die jetzt vor dir steht - sie ist die von ihnen, die bleiben will."

"Führ mich zu meiner Mutter," bat die junge Königin. "Laß sie mich ein letztes Mal sehen."

Er tötete sie dort im Gang - nur eine Puppenlänge von der Passage zum heiligen Saal. Die Ehrwürdige Mutter lag in dem halbdunklen Saal und hörte es. Sie enthüllte nicht, was sie dachte, aber etwas Eindruck muß es auf sie gemacht haben, denn während sie mit der jungen Königin kämpften, legte die Mutter kein Ei.

Sie durchbrachen die Wand zur letzten.

Ganz Akorn wußte was geschah - und was schon geschehen war. Das Gerücht ging wie ein Lauffeuer durch die ganze Behausung. Fast bevor ein Ereignis eingetroffen war, wußten alle Wespen in hunderten von Gängen Bescheid. Es war überall eine fieberhafte Stimmung. Eine Stimulation der Freude ohne Grenzen.

Als die Wand einstürzte hörte ihr Rufen auf. "Was gedenkst du zu tun?" fragte Zip.

"Das ist ja wohl keine Art, mit einer Ehrwürdigen Mutter zu sprechen," tadelte sie ihn.

"Hier in Akorn gibt es schon eine Ehrwürdige Mutter," antwortete Zip. Er war um eine Erfahrung reicher.

Sie dachte kurz nach. " Ich will ausfliegen," sagte sie dann.

"Wann?" fragte er.

Sie bemerkte seinen zweifelnden Tonfall und antwortete dementsprechend, denn auch sie war aus dem Schaden der anderen klug geworden.

"Sofort."