Drachenreich - Claus Bork - E-Book

Drachenreich E-Book

Claus Bork

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Beschreibung

Das Abenteuer geht weiter: Der Junge Jesper und sein Rabenfreund, der Schwarze Sigurd, auf neuen Abenteuern im Land der Fantasie.Der jetzt 12-jährige Jesper geht nicht mehr gern in die Schule. Er nimmt jede Gelegenheit wahr um zu schwänzen und andere unvernünftige Dinge zu tun. Auf dem Weg in die Schule trifft er den Jungen Zola, der raucht und flucht und irgendwie interessant ist. Er erzählt Jesper von dem magischen Land Khanpur, wo man seine Schulbücher einfach verbrennt und überhaupt nie Dinge tun muss, zu denen man keine Lust hat. Das fasziniert Jesper und er folgt Zola in den Wald, wo der Durchgang nach Khanpur zu finden ist.Doch schon bald stellt sich heraus, dass Zola nicht der ist, der er vorgibt zu sein. Mithilfe des Zauberers Merlin und dem Drachenritter Sir Lanzelot entdeckt Jesper, dass Zola ein junger Drache ist, der den Auftrag hat, ihn zu entführen und zu Kartzan, dem Oberhaupt der Drachen zu bringen, denn der Menschenjunge soll dort eine entscheidende Rolle bei der Übernahme der Weltherrschaft durch die Drachen spielen. Eindeutig ein Fall für die alten Freunde aus Abenteuerland, darunter natürlich dem Raben Schwarzer Sigurd, Jespers Freund, mit dem er schon viele gefährliche Situationen gemeistert hat...-

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Claus Bork

Drachenreich

Saga

DrachenreichOriginaltitel: Dragens RigeÜbersetzt von Susanne RichterCopyright © 2015, 2019 Claus Bork und SAGA EgmontAll rights reservedISBN: 9788711800041

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

Der Schwarze Sigurd:Jespers Freund aus Abenteuerland. Ein denkender, sprechender, schelmischer Freund.
Jesper Aksel Bergmann:Ein sogenannter, ganz gewöhnlicher Junge von elf Jahren.
Henrik S. Sørensen:Ein sogenannter, ganz gewöhnlicher Junge von elf Jahren.
Merlin:Der Zauberkönig aus Abenteuerland.
Archimedes:Merlins kluge Eule.
Khanpur:Das Land hinter dem Haus, hinter dem Tunnel, hinter den listigen Drachen.
Holte:Eine ganz gewöhnliche Vorstadt von Kopenhagen.
Kartzan:Der alte Drachen mit den bösen, bösen, bösen Augen.
Zola:Der junge, listige Drache.
Trefino:Der Zauberer am Hof von Khanpur.
Sir Lanzelot:Der Drachenritter über allen Drachenrittern.
Sir Gawain:Der verchromte Ritter aus Abenteuerland.
Der einsame König:Der König vom Rosengarten, im Land hinter den Nebeln.
Der Hund mit den Augen so groß wie Teetassen:Ein Hund, der tausende von Meilen in der Zeit zurücklegen kann.

Einleitung

Jesper Aksel Bergmann saß bequem ausgestreckt auf der Kante eines Stuhls, mit den Ellbogen auf dem Tisch und mit einer Hand das Kinn stützend. In der anderen Hand hielt er einen Bleistift, mit welchem er kleine Schnörkel in sein Rechenheft zeichnete, statt der Zahlen, die dort stehen sollten.

Es war Sonntagnachmittag.

Die Uhr hatte sich inzwischen bis halb vier geschleppt, und immer noch nieselte der Regen draußen. Es war kurz gesagt ein grauer, trister und langweiliger Tag.

"Ich hasse Schularbeiten," dachte Jesper Aksel Bergmann bei sich.

Seine Mutter, die auf dem Sofa saß und strickte, hob den Blick von den Nadeln und sah ihn mißbilligend an.

"Konzentrier dich jetzt," sagte sie. Es war nicht das erste Mal am Nachmittag, daß sie das sagte. Sie war spürbar gereizt.

"Warum muß ich das spezifische Gewicht lernen?" fragte er.

Seine Mutter seufzte. "Weil..." begann sie und holte tief Luft. "Weil es nützlich für dich ist zu lernen. Darum!"

Jesper sah mit einem verträumten Blick aus dem Fenster. "Ich will leben, ohne an so ein spezifisches Gewicht, Brüche oder Prozente zu denken!" flüsterte er trotzig.

Etwas später kam sein Vater nach Hause. Sie hörten ihn die Füße hart auf dem Fußabtreter abwischen, draußen vor der Waschküchentür, und darauf seine trockene Feststellung, als er seine Jacke zum Trocknen aufhängte: "Verdammt, wie das regnet..."

"Das ist mein Vater," dachte Jesper Aksel Bergmann. "Er hat es weit gebracht in diesem Leben, denn er liebt die Bruchrechnung."

Die Tür ging auf und der Vater trat ein. Er klatschte in die Hände und sagte vergnügt: "Aber freut euch, es ist ein Hochdruckgebiet auf dem Weg."

"Ich will lieber gar nicht wissen, was ein Hochdruckgebiet ist..." dachte Jesper.

"Wie geht es mit den Rechenaufgaben?" fragte sein Vater und lehnte sich über den Tisch. Dann erstarrte er gleichsam, runzelte die Brauen und räusperte sich. "Aber - du hast ja noch nicht einmal angefangen?"

"Ja, ich bin," seufzte Jesper. "Ich hab' nur die übersprungen, die ich nicht 'rauskriegen kann."

"Das... das sind ja alle!" stöhnte sein Vater.

"Tjah..." murmelte Jesper und dachte an den Schwarzen Sigurd und Merlin und Archimedes und Tinga.

"Und ich, ich habe ein Geschenk für dich gekauft," zischte sein Vater enttäuscht.

"Am Sonntag?" fragte Jesper mißtrauisch.

"Ich hab es gestern gekauft," knurrte sein Vater, der sich absolut nicht darum kümmerte, wenn seine Worte in Zweifel gezogen wurden. Er dachte etwas nach. Dann hellte sich sein Gesicht auf, und er sagte: "Aber du kannst es trotzdem bekommen."

Es war etwas Abwesendes in seinem Blick, was Jesper beunruhigte. Er mußte auf irgendeine furchtbar ausgeklügelte Idee gekommen sein, dachte er.

Der Vater drehte sich und ging leise summend in die Küche.

"Du sollst es trotzdem bekommen," rief er über die Schulter. "Ha, ha..." lachte er." Ja, du sollst es haben, mein lieber Junge."

Jetzt war Jesper Aksel Bergmann ernstlich auf der Hut. Er betrachtete den Vater mit zusammengekniffenen Augen, als dieser mit einem großen, hübsch eingepackten Karton in den Händen zurückkam.

"Bitteschön, mein Junge. Von deiner Mutter und mir für unseren tüchtigen Jungen, der so fleißig in der Schule ist."

Die Mutter hatte sich erhoben und fasste den Vater an der Hand, während sie, mit einer Stimme, die vor Sorge bebte, fragte: "Geht es dir auch gut, lieber Hermann?"

Der Vater lachte und blinzelte schelmisch Jesper zu, der dastand und das Paket hielt, als ob es eine Bombe mit Zeitzünder wäre, die jeden Augenblick hochgehen konnte.

"Mir geht es prächtig," rief sein Vater mit Nachdruck. "Ganz und gar prächtig. Pack es jetzt aus, mein kleiner Freund."

"Ich bin nicht klein!" sagte Jesper Aksel Bergmann und schob das Kinn vor.

"Nein," sagte der Vater lächelnd und hob mahnend einen Finger in die Luft. "Du bist ein großer, tüchtiger, wohlerzogener und strebsamer Junge."

"Hm," murmelte Jesper und wog das Paket in den Händen. Aber da er ja auch einer der neugierigsten Jungen der Welt war, oder zumindest in Holte, begann er sofort danach, es auszupacken.

"Eine Sodawassermaschine!" Jespers Stimme hatte einen schrillen Unterton vor lauter echter Freude.

"Aber, Hermann..." begann die Mutter.

"Ruhig, meine Liebe, ruhig..." Der Vater klopfte beruhigend ihre Hand. "Ich bin ein pädagogisches Genie - nichts weniger," behauptete er selbstzufrieden.

Sie standen lange und sahen ihn an, seine Eltern. Die Mutter mit allen Anzeichen von Verwirrung im Gesicht, der Vater mit einem Ausdruck, so listig und falsch, wie ein Fuchs.

"Wollen wir sie zusammensetzen?" fragte Jesper.

Der Vater lächelte nur.

"Dann können wir etwas Sodawasser machen?" blieb Jesper dabei.

Sein Vater lehnte sich zu ihm und pflanzte seinen Zeigefinger direkt auf seine Nase.

"Du kannst sie selbst zusammensetzen, mein großer, tüchtiger Junge."

"Nun hat er mich," dachte Jesper Aksel Bergmann.

"Aber, Hermann..." begann die Mutter.

Der Vater brachte sie mit einer einzigen Handbewegung zum Schweigen. "Ruhig, meine Liebe. Die Sache ist in den besten Händen - ich bin ein pädagogisches Genie, vergiß das nicht!"

"Die Sache..." dachte Jesper. "Ich bin eine Sache!"

Der Vater lächelte ihm zu, nahm den Karton aus seinen Händen, stellte ihn vor sich auf den Tisch und öffnete ihn. Darauf zog er ein Stück Papier hervor, das er feierlich hochhielt in die Luft, damit alle es sehen konnten.

"Dieses, mein Junge, ist eine Gebrauchsanweisung." Seine Stimme überschlug sich fast vor lauter Begeisterung.

"Gott bewahre..." dachte Jesper Aksel Bergmann.

Der Vater blätterte in ihr. "Sieh, zuerst..."

Jesper dachte nach, daß es knackte. Er hörte fast nichts von all dem, was sein Vater aus der Gebrauchsanweisung erklärte. Er dachte nach und spekulierte, bis er eine Idee hatte.

"Das ist ja etwas mit Strom," sagte er dann, sehr vorsichtig. "Da dürfen Kinder gar nicht mit 'rumfummeln!" Er wandte sich nur an seine Mutter.

"Kinder sterben, wenn sie einen Schlag kriegen," setzte er mit einer Stimme fort, die vor unterdrücktem Schrecken bebte. Gleichzeitig sah er sie mit den treuherzigsten Augen, die ein 'kleiner‘ Junge machen konnte, an.

"Hermann!" Seine Mutter griff den Vater am Arm. "Es ist vielleicht doch das Beste, wenn du die Maschine zusammensetzt."

Der Vater starrte sie wie erschlagen an. "Aber, aber..." begann er.

"Das pädagogische Genie..." dachte Jesper Aksel Bergmann und atmete erleichtert auf.

Sein Vater betrachtete die Sodawassermaschine und suchte nach einem Weg aus dieser unerwarteten Niederlage.

"Na, aber es eilt ja auch gar nicht - sie läuft ja nicht weg," flüsterte er dann. Eine neue Idee hatte in seinem undurchschaubaren Gehirn Form angenommen, und wieder bekam er diesen siegesgewissen Glanz in den Augen.

Jesper leckte sich nervös die Lippen. Jetzt war er es wieder, der die Kurve kratzen mußte. Jetzt oder nie!

"Dann liegt sie irgendwo 'rum und schlägt Wurzeln, und dann sind alle Schrauben weg," sagte Jesper, fast einfach so dahin.

"Na, na, na..." rief sein Vater aus. Selbst seine Mutter betrachtete ihn mit einem strengen Zug um den Mund. Aber ihm war der Triumpf sicher.

"Genau, wie der Rasenmäher, Mutter..." sagte Jesper, mit einer von Tränen erstickter Stimme.

Das gab den Ausschlag. Das war das Stichwort, und schon während er es sagte, wußte Jesper, daß er sie geschlagen hatte. Die Mutter betrachtete das Gras draußen in dem nieselnden Regen.

Das Gras, das nun einen halben Meter hoch im ganzen Garten stand.

"Ich werd' dir helfen," schienen die Augen seines Vaters zu sagen, worauf er sich in Gang setzte, die Maschine zusammenzubauen.

"Hm, naja..." seufzte seine Mutter und ging zurück zu ihrem Strickzeug.

Als sie fertig auf dem Küchentisch stand, strahlend und funkelnd in ihrer weißen Plastikhaube, rief sein Vater nach ihm.

"Sieh," sagte er stolz. "Hübsch nicht?"

Jesper mußte zugeben, daß sie hübsch war. Aber er dachte mehr an das blubbernde, frische Sodawasser, das in einem kurzen Augenblick heraussprudeln würde, in unfaßbar großen Mengen.

"Lies hier," sagte sein Vater und zeigte auf ein goldenes Schild an der Seite der Maschine. "Kindersicher," sagte er ungeduldig. "Kann von Kindern jeden Alters bedient werden."

"Schön," sagte Jesper. "Ich starte mit etwas Cola, glaub ich, und hinterher gurgele ich etwas Grapefruit-Tonic ‘runter"

Sein Vater lächelte so seltsam. Jesper wußte, daß ein neues Hindernis im Weg war. Vor ihm auf dem Tisch lag eine Kohlensäurepatrone und verschiedene, kleine Flaschen mit Essenzen. Jesper las auf ihnen, während der Vater die Kohlensäurepatrone montierte.

"15-20 Prozent Essenz pro Einheit Wasser. Was ist Prozent?" fragte Jesper.

"Das mußt du doch wissen," sagte sein Vater, der gleichzeitig einem großen Fragezeichen glich. Er lehnte sich zu Jesper hinunter.

"Oder hast du vielleicht in den Rechenstunden nicht aufgepasst, mein lieber Junge?"

"Jetzt hat er mich wirklich!" dachte Jesper Aksel Bergmann.

"Funktioniert sie?" hörten sie seine Mutter aus der Stube rufen.

"Wer zuletzt lacht, lacht am besten," zischte sein Vater und verließ die Küche.

"Alles Unglück dieser Welt!" dachte Jesper, und da stand er nun, vor einer funkelnden, neuen Sodawassermaschine, mit allem, was man brauchte, um perlendes, sprudelndes Sodawasser zu machen - und konnte es nicht tun, weil er nicht wußte, was Prozente waren.

Sein Vater kicherte in der Stube. Er hörte auch die Stimme seiner Mutter. "Was ist so amüsant, Hermann?" Aber es kam keine Antwort. Nur eine Reihe unartikulierter Laute und ein hicksendes Kichern.

Das erste Mal in seinem elfjährigen Leben ärgerte sich Jesper Aksel Bergmann, daß er nie in der Schule aufgepasst hatte. Aber er war ein sehr, sehr dickköpfiger Junge.

"Ich mach mir eigentlich gar nicht so viel aus Sodawasser," dachte er und ging in sein Zimmer hinauf.

Zola

Am nächsten Tag, als er auf dem Weg zur Schule war, war er ernstlich böse. Die Sodawassermaschine hatte mitten auf dem Küchentisch gestanden und ihn angegrinst, als er sein Essenspaket holte.

Zehn Minuten nach neun kurvte er beim Fahrradständer um die Ecke und überquerte den Rasen zum Eingang des Schulhofes. Alle anderen waren längst in die Klassen hochgegangen. Er kam zu spät, wie immer. Gerade als er durch das Tor schritt, rief ihn jemand.

"Hey, Winzling..."

Jesper reagierte normalerweise nicht auf Worte wie Winzling oder klein, aber etwas an der Stimme brachte ihn dazu, es doch zu tun.

Er blieb stehen und drehte sich um. Es war ein großer Junge. Er stand an einen gemauerten Pfeiler am Tor gelehnt, mit den Armen über der Brust gekreuzt. Er hatte eine Schirmmütze nachlässig in den Nacken geschoben und in seinem Mundwinkel baumelte eine Zigarette.

"Man kommt wohl zu spät, was?" sagte der Junge.

"Hm," nickte Jesper Aksel Bergmann. Irgendetwas war an dem Jungen. Etwas gleichzeitig Anziehendes und gefährliches.

"Bist du auch zu spät gekommen?" fragte Jesper. Es schien ihm nicht, daß er den Jungen überhaupt schon einmal gesehen hatte.

"Ha..." rief der große Junge, nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und schnippte sie mit zwei Fingern ins Gras.

"Leute von meinem Kaliber gehen, verdammt nochmal, nicht in die Schule, Mann," spottete er.

"Was bedeutet Kaliber?" fragte Jesper.

"Sag mal, hast du das nicht in der Schule gelernt?" fragte der Junge mit gerunzelten Augenbrauen.

Jesper steckte die Hände in die Seiten. "Ich passe nicht auf in den Stunden," antwortete er. "Ich setz nur meine Füße in die Schule, weil meine Eltern mich dazu zwingen."

"Halts Maul," sagte der Junge und kam näher. "Das ist wirklich stark, Mann!"

"Er ist tatsächlich ein netter Kerl," dachte Jesper.

"Rauchst du, Kleiner?" Der Junge hielt ihm eine Packung Zigaretten unter die Nase.

"Äh, nee, oder danke..." antwortete Jesper und hielt abwehrend die Hände vor sich.

"Das lernst du, nur ruhig," sagte der Junge verständnisvoll und spuckte auf den Asphalt. "Wie heißt du, übrigens?"

"Jesper Aksel Bergmann," antwortete Jesper.

"Na ja, da kannst du ja nichts für," sagte der Junge und biß sich auf die Lippen. "Das ist auch die Schuld deiner Eltern. Genau wie all die anderen Unglücke in deinem Leben, an denen sie Schuld sind."

"Was für Unglücke?" fragte Jesper und versuchte, die flapsige Art des anderen zu reden nachzuahmen.

"Denk nach, Mann. Die Schule - in die du dich jeden Tag schleppen mußt; der Abwasch, das Aufräumen des Zimmers - nur um einige Beispiele zu nennen."

"Tjah..." seufzte Jesper. Da war ja etwas dran, wenn man es auf diese Weise serviert bekam.

"Und dann das, mit der Sodawassermaschine..." flüsterte der Junge und beobachtete ihn aus dem Augenwinkel.

Jesper schrak zusammen. "Woher weißt du das ?"

Der Junge zündete sich noch eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. "Ähh..." murmelte er und sah in den Himmel. "Sowas weiß ich eben einfach." Der Rauch dampfte zwischen den Lippen heraus, als er sprach.

Jesper Aksel Bergmann war sichtlich imponiert.

"Nee, du, ich kenne einen Ort, wo es einfach toll ist," sagte der Junge beiläufig.

"Na..." antwortete Jesper und versuchte, nicht allzu interessiert zu wirken. Der Junge wandte ihm die Seite zu, aber betrachtete ihn aus dem Augenwinkel, ohne daß er es bemerkte. Er blies Rauchringe in die Luft und sah sie über den Rasen hinwegsegeln.

"Wo ist es?" fragte Jesper zuletzt.

"Wo ist was?"

"Der tolle Ort," sagte Jesper vorsichtig.

Der Junge drehte sich wieder zu ihm. Dann lächelte er breit, sodaß er seine langen, gelben Zähne entblößte. Und es glühte in seinen Augen, vor Erwartung.

"Es ist ein Land," sagte er. "Ein Land, wo man verflucht nochmal machen kann, was man will - und wenn dort einer sagt, man soll das eine oder andere tun, dann..."

Er hielt in seinem Wortschwall inne und betrachtete die Zigarette zwischen seinen Fingern.

"Was dann?"

Der Junge lehnte sich zu ihm und sagte mit tiefer, drohender Stimme: "Dann bittet man ihn, einem den Puckel 'runterzurutschen!"

Er war gefährlich, dieser Junge, dachte Jesper. Aber es war toll, ihn als Freund zu haben. "Wie heißt das Land?"

"Khanpur," sagte der Junge. "Jedes Jahr am St. Hans-Tag verbrennt man alle Schulbücher, die es gibt."

'Wahnsinnig,‘ dachte Jesper. "Aber - woher kommen denn so viele?"

"Was, so viele?"

"Viele Bücher," sagte Jesper. "Wenn man erst alle verbrannt hat, woher kommen dann noch so viele?"

Der Junge drehte sich blitzschnell und stach ihm mit einem Finger auf die Brust.

"Jetzt sei du nicht so verdammt schlau, denn sonst kommst du nicht mit, verstanden?"

Jesper nickte. Es konnte auch egal sein, das mit den Büchern. Hauptsache war, daß er mitkommen durfte. "Ich muß nur um vier zu Hause sein," sagte er. Denn dann ist die Schule vorbei, und dann hat meine Mutter Tee für mich gemacht, wenn ich nach Hause komme."

"Ja... ja," sagte der Junge und spuckte wieder. "Selbstverständlich, Macker."

Jesper lehnte seine Schultasche gegen den Pfeiler am Eingang zum Schulhof.

Dann geschah es, daß, gerade als sie losgehen wollten, Henrik hinunter auf den Schulhof kam. Er entdeckte Jesper und rannte los.

"Warum kommst du nicht nach oben?" fragte er keuchend, als er sie erreichte.

"Wir wollen nach Khanpur, ich und mein Freund," sagte Jesper begeistert.

"Was für ein Freund?" fragte Henrik. "Da ist doch nur der da."

Der Junge betrachtete Henrik mit skeptischer Miene.

Jesper nahm Henrik am Arm und zog ihn vor den fremden Jungen. "Das hier ist mein bester Freund - Henrik. Und..." Er dachte einen Augenblick nach. "Wie heißt du, übrigens?"

"Zola," antwortete der Junge ungeduldig. "Willst du mit, oder

was?"

"Wo war es, wo ihr hinwollt?" fragte Henrik, der Zola über den Rand der Brille betrachtete.

"Das geht dich nichts an," sagte Zola mürrisch.