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Zwölf spannende unveröffentlichte Fälle - eine Frau will Anzeige gegen ihren Ehemann erstatten. Weil sie angetrunken ist, wird sie nach Hause geschickt; wenige Stunden später ist sie tot. Ein neunjähriges Mädchen wird ermordet, der 17 Jahre alte Mörder hat seine Tat auf Karteikarten aufgeschrieben. Ein Vater beschließt, sich und seine drei Kinder zu vergasen, nimmt jedoch Abstand vom Selbstmord. Nach der Wende versucht er, als Opfer der DDR-Justizwillkür anerkannt zu werden. Drei von zwölf spannenden Mord- und Totschlagsfällen, die Wolfgang Swat für dieses Buch recherchiert hat und mit Tathergang, Motiven und polizeilicher Ermittlungsarbeit darstellt.
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Seitenzahl: 271
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Impressum
ISBN eBook 978-3-360-50076-2
ISBN Print 978-3-360-02183-0
© 2014 Das Neue Berlin, Berlin
Umschlaggestaltung: Verlag,
unter Verwendung eines Fotos von Bigstock
Das Neue Berlin Verlags GmbH
Neue Grünstraße 18, 10179 Berlin
www.das-neue-berlin.de
Wolfgang Swat
Die Tote an der
Wendeschleife
Authentische Mordfälle
Das Neue Berlin
Bierstreit
»Herr Wachtmeester, ich will ne Anzeige machen gegen meinen Ollen, weil der mich am Körper verletzt hat.« Die Frau, die an einem Montagabend im November 1984 gegen 19.30 Uhr an der Pforte des Volkspolizei-Kreisamtes (VPKA) in Hoyerswerda klingelt, ist nicht mehr ganz nüchtern.
»Wer sind Sie denn, und was ist passiert?«, fragt der Uniformierte durch das Fenster der Wachstube.
Er ist, anders als heute, wo Wachleute von Sicherheitsfirmen selbst bei Polizei und Bundeswehr den Empfang managen, selbstverständlich Polizist.
»Guss heeße ich. Monika Guss, und mein Oller heeßt ooch Guss, Johannes mit Vornamen. Und der hat andauernd Schnaps aus meiner Flasche gesoffen, die ich mir gekooft hab. Da hab ich se ihm weggenomm, damit er nich alles aussäuft. Und deshalb hat er mir eene geballert, hier uff de Backe«, zeigt die Frau vieldeutig auf die linke Wange. »Und geboxt auf den Arm und die Brust hat er mir ooch, und dann issa in die Kneipe abgehauen«, sprudelt es weiter aus ihr heraus.
Wachtmeister Spatz sieht keine Verletzung im Gesicht, und den Oberkörper der Frau kann er nicht untersuchen. Außerdem ist es nicht das erste Mal, dass Monika Guss wegen ihres Mannes bei der Polizei vorspricht. Vor ein paar Monaten erst war sie wegen einer angeblichen Misshandlung da, auch in angetrunkenem Zustand, und dann hatte sie alles zurückgenommen.
»Frau Guss, in Ihrem betrunkenen Zustand kann ich die Anzeige nicht entgegennehmen. Lassen Sie sich von einem Arzt Ihre Verletzungen bescheinigen, und dann kommen Sie morgen wieder her. Aber nüchtern, bitte«, bestimmt Wachtmeister Spatz und schließt die kleine Sprechluke im Fenster.
»Nicht mal geholfen wird eenem, wenn man vom Ollen grün und blau geschlagen wird«, empört sich die Abgewiesene und trollt sich. Der Polizist macht einen Vermerk im Wachbuch und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. »Die sehn wir morgen nicht wieder«, ist er sich ziemlich sicher.
Knapp sieben Stunden später klingelt Johannes Guss an der Tür des VPKA. Auch er ist angetrunken, wie zuvor seine Gattin. Was er sagt, will der diensthabende Polizist – es ist noch immer der Behördenangestellte Spatz – kaum glauben.
»Herr Wachtmeister, ich möchte mich stellen. Ich habe meine Frau umgebracht«, sagt Guss und streckt dem Polizisten beide Hände entgegen in Erwartung der Handschellen, die nun klicken müssten. So weit ist es noch nicht, doch weggeschickt wie Monika Guss wird der Mann nicht. Wachtmeister Spatz verständigt den kreislichen Kriminaldauerdienst der VP und beordert einen Streifenwagen zur Wohnung, die nur ein paar Straßenzüge entfernt in der Altstadt von Hoyerswerda liegt.
Im Flur des Eckhauses vor der Tür des Nachbarn finden die Polizisten Monika Guss in einer Blutlache. Sie ist tot. Jetzt klicken bei Johannes Guss tatsächlich die Handschellen. Irgendwie scheint er darüber sogar erleichtert.
Die Beziehung zwischen Monika und Johannes Guss war keine Liebe auf den ersten Blick, eher eine der guten Gelegenheiten. Monika Traut – wie sie damals noch hieß – war zwar verheiratet, Ehemann Traut aber für längere Zeit unabkömmlich durch die Erfüllung seines »Ehrendienstes« bei der Nationalen Volksarmee zum Schutz der Arbeiter-und-Bauern-Macht. Monika ist 22 Jahre alt und Mutter eines Sohnes, als ihr im Sommer 1978 auf der Arbeit in einem der Lausitzer Tagebaue der junge Kohlekumpel Johannes Guss über den Weg läuft. Das darf man durchaus als Zufall werten, denn Johannes ist nicht gerade ein Ausbund an Fleiß und Zuverlässigkeit. Statt zu arbeiten, zieht er lieber mit Kumpels durch die Gegend und die Kneipen, was dem 18-Jährigen bereits mehrere strenge Verweise in der betrieblichen Kaderakte einbrachte. Monika, die das Leben ebenfalls eher auf die leichte Schulter nimmt, ist einem Abenteuer mit dem schwarzhaarigen, gut aussehenden Mann nicht abgeneigt. Dass er fast vier Jahre jünger ist, macht es noch spannender. Der kurzen freundschaftlichen Beziehung folgen bald die intime Nähe und die Konflikte, die sich damit verbinden. Schließlich ist ihr der abkommandierte Ehemann nicht einerlei, vor allem dann nicht, wenn er Urlaub hat vom »Dienst an der Waffe«.
Aus dem Leben zu scheiden ist für sie im Widerstreit der Gefühle für beide Männer der einzige Ausweg. Zwei Versuche unternimmt sie, beide scheitern. Einmal dreht der Ehemann noch rechtzeitig den Gashahn zu, das zweite Mal ist Johannes der Retter, ihr Geliebter, für den sie sich letztlich entscheidet. Der Ex-Ehemann zieht aus der Wohnung aus und Johannes dort ein. Wenn auch noch nicht so richtig, denn der wackere Bursche erhält sich mit einer anderen Freundin namens Hedwig ein zweites Eisen im Feuer seiner Leidenschaft. Sogar ein Kind hat er mit ihr.
Mit Monika, die er 1980 heiratet, zeugt er ebenfalls Kinder, drei an der Zahl. In den nächsten drei Jahren führt das Paar eine gute Ehe. »Nur ab und zu gab es mal Streit, wie es wohl in jeder Ehe vorkommt«, stellt er dazu fest. Dass es dabei mehrfach zu Prügeleien kommt, bei denen die Fäuste des Mannes im Gesicht der Frau landen, soll die Harmonie nicht gestört haben. Auch den Kindern seien sie gute Eltern gewesen. »Sie bekamen täglich ausreichend zu essen und zu trinken, und sie wurden fast täglich gewaschen oder gebadet.«
Verwandte und Erzieher in der Kinderkrippe haben eine andere Wahrnehmung. Die staatliche Jungendhilfe greift wegen der zunehmenden Verwahrlosung der Kinder ein und bringt sie im Heim unter.
Das unstete Leben des Johannes Guss beginnt schon in der Kindheit und dreht sich immer schneller in Richtung Abgrund. Die Ehe der Mutter wird geschieden; ob er, das Kuckuckskind, der Grund ist, ist unbekannt. Mit seinen drei Geschwistern lebt er gemeinsam mit Mutter und Oma zusammen. Die Schule schafft Johannes nur mit dem Abschluss der sechsten Klasse, nicht aus Dummheit, sondern weil er macht, was ihm gerade in den Sinn kommt. Und das hat mit Lernen sehr wenig zu tun. Die Lehre als Teilfacharbeiter für Anlagen und Geräte im örtlichen Braunkohlekombinat »Glückauf« schafft er mit der Note drei, das Geleistete in der Tagebauentwässerung der Kohlegrube verdient kaum ein Mangelhaft. Aus Jux dreht er den Hauptschalter einer Wasserableitungsanlage aus, was zum Stillstand des Tagebaus führt. Die Verhandlung vor der betrieblichen Konfliktkommission mit einer Geldbuße von 350 Mark ist die Quittung. Zur Besinnung bringt ihn das gesellschaftliche Gericht nicht. Es folgen Fehlschichten, fristlose Kündigung, neue Arbeitsstellen in immer kürzeren Abständen und lange Phasen von Fehlschichten, zwei Strafen wegen Rowdytums und gefährlicher Körperverletzung und schließlich die Registrierung als »kriminell gefährdete Person« bei der Abteilung Inneres des Rates der Stadt Hoyerswerda mit Auflagen und Meldepflichten.
Die Ehe zwischen Monika und Johannes Guss halten nur noch Bier und Schnaps und zunächst das Miteinander im Bett zusammen. Mit den Geldsorgen nehmen Handgreiflichkeiten und Gewalt zu. Der Hass auf die einst Geliebte entlädt sich im Juli 1983 mit einem wuchtigen Stoß mit dem Knie ins Gesicht der Ehefrau. Die Folgen sind ein doppelseitiger Bruch des Unterkiefers, stationäre Behandlung und acht Wochen Beschwerden beim Kauen und Sprechen. Johannes Guss zieht weg von der Gattin, zurück ins »Hotel Mama«. Das verlassene Eheweib nutzt die neu gewonnene Freiheit für Alkoholpartys und intime Belustigungen, was Ehemann Johannes als Fremdgehen geißelt.
Statt einen Schlussstrich unter die sinnlose Ehe zu ziehen, entscheiden sich beide für ihre Fortsetzung. »Weil ich kein Geld für die Scheidung hatte, haben wir uns geeinigt, dass wir es noch einmal miteinander versuchen«, begründet Guss den Neubeginn Ende des Jahres 1983. Der erweist sich schon drei Monate später als Fehlstart. Sie streiten sich um Schnaps, Bier, Zigaretten und Geld und stellen fest, dass das Verlangen nach Alkohol stärker ist als alles andere, was Frau und Mann für ein gemeinsames Leben bindet. Abscheu und Hass gewinnen die Oberhand und kulminieren an jenem Novembermontag im Jahr 1984 auf grausame Weise.
Der Tag beginnt für Johannes Guss wie immer. Gegen elf Uhr am Vormittag gelingt es ihm endlich, sich aus dem Bett zu schälen. Der Gaststättenbesuch in seiner Stammkneipe »Zum Bierfass« am Vorabend steht ihm ins Gesicht geschrieben. Ein schlechtes Gewissen quält ihn aber wegen der Sauferei nicht, und ebenso wenig, dass er, wie seit Wochen schon, erneut jeder vernünftigen Arbeit und damit einem Einkommen aus dem Weg geht. Aufforderungen der Abteilung Inneres des Rates der Stadt und eines Betriebes, in dem ihm ein Arbeitsplatz zugewiesen worden war, nimmt er nicht zur Kenntnis. Warum auch? Schließlich hat ihm das Kreisgericht vor ein paar Tagen mitgeteilt, dass er demnächst seine Haftstrafe anzutreten hat. Sieben Monate Freiheitsentzug hat man ihm aufgebrummt, nur weil er der Nachbarin ein paar Ohrfeigen gegeben hatte. Die verbleibenden Tage in Freiheit will der 24-Jährige noch ungestört genießen.
Ehefrau Monika, die ebenfalls daheim ist, bekommt Johannes nur kurz zu Gesicht. Sie verschwindet gegen Mittag mit einem Bekannten für ein paar Stunden auf dessen Wochenendgrundstück. Wenigstens bringt sie bei der Heimkehr eine Pulle Korn mit, aus der allerdings schon ein Viertel fehlt. Im Einkaufsnetz klappern zwischen einem Stück Butter und einem Bund Suppengrün einige leere Bier- und Seltersflaschen. Guss stärkt sich mit ein paar Schluck aus der Schnapsflasche und verschwindet mit dem Leergut in die nur knapp hundert Meter entfernt liegende Verkaufsstelle. Der Erlös der Flaschen reicht für eine Schachtel Zigaretten der Arme-Leute-Marke »Karo« und zwei Selters. Drei Flaschen Bier, das hat er gesehen, stehen noch in der Küche. Später erleichtert er das Portemonnaie von Ehefrau Monika um die letzten 1,60 Mark, die da noch drin sind, für eine weitere Schachtel »Karo«, setzt sich in den Sessel und sieht fern, während die Hausfrau in der Küche das Suppengrün putzt und mit einem Stückchen Fleisch im Kochtopf versenkt. Eine Prozedur, die ihr nicht mehr ganz leicht fällt. Schließlich ist der Pegel in der Schnapsflasche inzwischen beträchtlich gesunken.
Als Johannes sich auch noch ein »Körnchen« genehmigen will, herrscht ihn die Gattin an: »Sauf mir nicht meinen Schnaps weg. Die Flasche habe ich mitgebracht. Und räum endlich die Schalen vom Suppengrün weg, die du da hingeschmissen hast«, hört er sie meckern.
»Die haste selber da hingeschmissen in deinem Suff.«
Ein Wort gibt das andere. Der Streit wird immer lauter und heftiger.
»Ich hab die Schnauze voll von dieser ewigen Stänkerei«, kocht es in ihm. »Andauernd hältst du mir Sauferei vor, dabei säufst du noch viel mehr.« Guss gibt der Gattin eine Ohrfeige, schnappt sich seine Jacke vom Kleiderhaken und macht sich auf »Zum Bierfass«, das nur knapp zehn Gehminuten entfernt von der Wohnung schnell erreicht ist. Dort, da ist er sich sicher, sind seine Kumpels, und die rechnen ihm nicht jedes Glas vor. Monika zieht sich ebenfalls an und geht zur Polizei, um den »Ollen« anzuzeigen wegen »der Verletzung des Körpers«. »Dem werd ich’s zeigen«, schwört sie sich.
Zehn kleine Bier, die Gewohnheitstrinker Johannes in den vier Stunden im »Bierfass« konsumiert, haben seinen Durst noch nicht gestillt. Zu Hause angekommen, sucht er nach dem köstlichen »Wittichenauer«, von dem noch etwas da sein muss. Zwei leere Flaschen stehen auf dem Küchentisch, die dritte ist nirgends zu finden. Monika, die im Bett liegt und ein Buch liest, gibt sich ahnungslos. »Das Bier habe ich ausgetrunken. Na und …«
Wutschnaubend dreht sich Guss um und sucht überall, im Korridor, im Bad und im Wohnzimmer, nach dem »Wittichenauer Bock«. Die Flasche ist und bleibt verschwunden, obwohl er alles und vor allem die Küche fast auf den Kopf stellt. Plötzlich steht Monika in der Tür, geht in ihrem blau-weißen Nachthemd zum Kühlschrank, lehnt sich gegen die Tür und schaut belustigt dem Treiben ihres Mannes zu.
»Brauchst nicht zu suchen. Ich hab gesagt, dass ich das Bier ausgetrunken habe.«
»Quatsch nicht blöd rum. Wo ist denn dann die leere Flasche? Haste wohl weggeschmissen. Versteckt haste das Bier, so wie du meinen Schnaps auch immer versteckst. Gib’s endlich zu, sonst passiert was.«
Guss greift sich voller Wut das Küchenmesser, das noch vom Suppengrün-Schälen auf dem Küchentisch liegt, nimmt es links zwischen Daumen und Zeigefinger und drückt Monika die Messerspitze gegen den Hals unterhalb des Kehlkopfes. »Gib das Bier her, oder ich steche zu.«
Statt des Hopfengetränks erhält er nur ein verächtliches, höhnisches Lachen. »Das Maß ist voll, ich will endlich Ruhe haben, rauskommen aus diesem Eheleben. Ich mache Schluss damit«, schießt es ihm durch den Kopf. Sekunden später spürt die Frau, dass es dem Mann ernst ist mit seiner Drohung. Guss nimmt das Küchenmesser in die rechte Faust und zögert einen kurzen Moment. »Will ich das wirklich tun?« Er bleibt wild entschlossen und rammt die Klinge von oben nach unten in den Hals des wehrlosen Opfers. Das Blut an der Klinge ekelt ihn so sehr, dass er das Messer nach dem Herausziehen flüchtig abwischt und Richtung Küchenschrank wirft. Die Frau, die ihre Hände auf den Hals presst, interessiert ihn nicht. Er staunt lediglich darüber, dass sie nicht sofort tot zusammengebrochen ist.
Johannes Guss geht ins Wohnzimmer, zündet sich eine »Karo« an, legt sich auf die Couch und schaltet den Fernseher ein. Er hört noch, wie Monika die Wohnung verlässt und beim Nachbarn klingelt. Dort öffnet kurz vor Mitternacht niemand. Guss nickt für ein reichliches halbes Stündchen ein. Brennender Durst bringt ihn zum Erwachen. Er torkelt für ein Glas Wasser in die Küche und entdeckt überall in der Wohnung Blut: an der Badtür, am Kühlschrank, auf dem Fußboden in der Küche. Mit Abwaschlappen und Scheuertuch macht er sich an die Beseitigung der Blutlachen und spült die Lappen im Spülbecken und der Badewanne aus. Er geht mit einem nassen Tuch in den Treppenflur, um auch dort mögliche Blutspritzer zu beseitigen. Vor der Tür des Nachbarn hockt seine Frau mit bis zur Brust angezogenen Knien, auf denen das Gesicht ruht, so als schlafe sie. Ihre rechte Hand ist nach hinten abgewinkelt. Guss fühlt den Puls, ein Lebenszeichen stellt er nicht fest. »Sie ist tot.« Der Gedanke erschreckt ihn nicht. »Endlich hat die ganze Stänkerei ein Ende, und ich kann neu anfangen«, geht es ihm durch den Kopf.
Er kehrt zurück in die Wohnung, hängt das nasse Tuch, das er noch immer in der Hand hält, in der Küche hinter dem Vorhang auf die Stehleiter, richtet das zerwühlte Sofa her, räumt Aschenbecher und Trinkglas vom Tisch und steckt sich die angebrochene Schachtel »Karo« in die Hosentasche. Es soll ordentlich aussehen, wenn die Polizei kommt. Guss zieht sich den Anorak an, der im Wohnzimmer über dem Sessel liegt, und geht Richtung Gaststätte »Zum Bierfass«, biegt an der Kreuzung vor dem Park rechts ab, läuft am alten Krankenhaus vorbei und klingelt kurze Zeit später beim VPKA, wo er dem Polizisten Spatz gesteht: »Herr Wachtmeister, ich habe meine Frau umgebracht.«
Was Johannes Guss am nächsten Tag beim Haftrichter aussagt und was er an Details liefert, stimmt mit den Ergebnissen der Tatortermittlungen der Cottbuser Morduntersuchungskommission (MUK) überein. Noch im Morgengrauen waren die Kriminalisten aus den Betten geklingelt und nach Hoyerswerda beordert worden. Sie finden das Opfer hockend vor der Wohnung des Nachbarn, von dem sie sich Hilfe erhofft hatte. Ihr Klingeln blieb ungehört.
Deutlich sichtbar sind für die Spezialisten die Bemühungen des Täters, in der Wohnung die Blutspuren zu beseitigen. Die Tatwaffe finden sie unter dem Küchenbüfett an der Scheuerleiste, die den Wandabschluss bildet. Das Messer ist 285 Millimeter lang, die Klinge, an der Blut haftet, misst 171 Millimeter und ist 18 Millimeter breit. Hinter dem Vorhang auf der Trittleiter hängt ein feuchtes Tuch, das rötlich gefärbt ist.
Die Gerichtsmediziner diagnostizieren bei der Leichenschau die Verletzung der rechten Lunge als Todesursache. Monika Guss ist verblutet. Sie hat noch etwa eine halbe Stunde nach dem Stich gelebt und hätte bei sofortiger Hilfe gerettet werden können. Aufgrund der Länge und des Verlaufs des Stichkanals gehen die Pathologen davon aus, dass der Stich mit großer Kraft ausgeführt wurde, und zwar mit dem unter dem Küchenschrank sichergestellten Messer.
Johannes Guss bestreitet weder vor dem Haftrichter noch in mehreren polizeilichen Vernehmungen, dass er seine Ehefrau ganz bewusst getötet hat. »Ich hatte die Schnauze voll«, sagt er mehrfach.
Zwei Monate danach widerruft er in einem entscheidenden Punkt sein Geständnis. »Bei der ersten Vernehmung habe ich noch unter Schock gestanden und war in keiner guten geistig-körperlichen Verfassung. Ich war nervlich am Ende und konnte nicht die völlige Wahrheit sagen. Ich habe nur aus Reflex und ohne Überlegung gehandelt.« Die Tat als solche räumt er ein, den Vorsatz nicht. »Ich habe während des Zustechens an nichts gedacht.«
Statt Mord vielleicht nur Totschlag und eingeschränkte Schuldfähigkeit, weil er vom Opfer durch das höhnische Lachen gereizt wurde und außerdem unter Alkoholeinfluss stand?
Johannes Guss kommt damit nicht durch. Fast einen Monat lang wird er an der Medizinischen Akademie »Carl Gustav Carus« in Dresden psychiatrisch untersucht. Strafmildernde geistige Krankheiten, ein Handeln im Affekt oder eingeschränkte Wahrnehmung nach übermäßigem Alkoholgenuss stellt der Gutachter nicht fest.
Das Bezirksgericht Cottbus verurteilt Johannes Guss nach dreitägiger Verhandlung im Juni 1985 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Schuldmindernde Aspekte, mit denen die Verteidigung eine zeitlich befristete Strafe anstrebt, erkennen die Richter nicht. Das Oberste Gericht der DDR weist die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil zurück.
Durch eine Amnestie der DDR-Regierung wird die lebenslange Freiheitsstrafe auf 15 Jahre herabgesetzt. Guss verbüßt seine Strafe in Haftanstalten in Brandenburg und Leipzig. Im Oktober 1992 lehnt das Kreisgericht Leipzig die vorzeitige Entlassung von Johannes Guss ab, obwohl die Staatsanwaltschaften Cottbus und Leipzig einem Antrag des Strafgefangenen zugestimmt hatten. Erst Ende Juli 1995 wird der weitere Freiheitsentzug mit einer fünfjährigen Bewährungszeit ausgesetzt.
Fund in der Jauchegrube
Dunkelheit hat sich über den trüben November-Sonntag 1984 gelegt. Wer nicht dringend raus muss in das ungemütliche Herbstwetter, bleibt lieber in der warmen Stube. Erst recht, wenn das Ziel alles andere als anheimelnd ist. Die beiden Personen, die abends gegen halb sieben mit Taschenlampen durch die Finsternis schleichen, sind die Geschwister Marit und Jürgen Diehl. Sie haben einen Kalksandsteinbau als Ziel, zu dem nur eine einzige, schwach leuchtende Glühlampe, die unruhig im Wind hin und her pendelt, den Weg weist. Der graue Flachbau ist ganze sechs Quadratmeter groß. Es ist das Toilettenhaus für die Bewohner der beiden Häuser, mit denen das Grundstück bebaut ist.
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