Die Tränen der Loreley - Andreas Arz - E-Book

Die Tränen der Loreley E-Book

Andreas Arz

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Beschreibung

Eine der größten Sagen des Mittelrheintals erwacht in neuem Glanz. Louise de Lorraine, die skrupellose Tochter eines Weingutbesitzers aus Lothringen, ermordet ihren Ehemann und schmiedet bereits ihren nächsten perfiden Plan. Der junge Lothringer Henri soll seinen Platz einnehmen, um schließlich ebenfalls ihrem tödlichen Ehrgeiz zum Opfer zu fallen. Alles scheint bis ins kleinste Detail vorbereitet und perfekt inszeniert, bis Henri der wunderschönen Lorena aus dem Mittelrheintal begegnet. Eine unvorstellbare Liebe entflammt zwischen den beiden, stärker als jedes Komplott und jede Intrige. Doch Henri gerät in ein gefährliches Netz aus Machtspielen und Verrat. Louise ist fest entschlossen, ihre Machtposition um jeden Preis zu verteidigen und ihre Pläne umzusetzen. Sie wird vor nichts zurückschrecken, um ihre Ziele zu erreichen. Währenddessen zieht Lorena Henri mit ihrer magischen Ausstrahlung immer tiefer in ihren Bann und weckt in ihm den Wunsch, diesem gefährlichen Spiel zu entfliehen. Vor der malerischen Kulisse des mächtigen Rheins und der imposanten Loreley entfaltet sich ein dramatischer Kampf zwischen Macht, Betrug und der unbezwingbaren Kraft der Liebe. Die beiden Liebenden stehen vor der Frage: Hat ihre Liebe eine Chance in dieser von Gefahr und Intrigen durchzogenen Welt?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum
Prolog
Die Rheinfahrt
Die einsame Schönheit
Gefährliche Zeiten
Der Plan der Väter
Das Gift der Macht
Die Reise ins Mittelrheintal
Hartes Leben
Wie Feuer und Wasser
Unverhoffte Liebe
Das böse Erwachen
Der Tag der Feierlichkeiten
Skandal
Eiskalter Trost
Die Intrige
Schlaflose Nächte
Zurück nach Lothringen
Der Aufstand
Trügerischer Frieden
Der Friedensstifter
Falsche Schlange
Mörderische Pläne
Falscher Frieden
Vater und Sohn im Streit
Tal der Tränen
Der lange Ritt
Die unerwünschte Zeugin
Vertrauensbruch
Der Heimkehrer
Lothringen brennt
Sehnsucht
Der Aufbruch ins Ungewisse
Der gewagte Plan
Der schicksalhafte Fels
Die verborgene Wahrheit
Das Mittelrheintal im Jahr 1824
Erinnerung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

www.rheinweinfeder.de

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Arz

 

Die Tränen

der

Loreley

Impressum

E-Book Version Copyright © 2024 Andreas Arz Alle Rechte vorbehalten.

Text: Andreas Arz Lektorat: Monika Arz-Sprenger Korrektorat: Monika Arz-Sprenger, Inge Okaty

Herausgeber: RheinWeinFeder Andreas Arz, Westend Str. 3, 65391 Lorchwww.rheinweinfeder.de

Covergestaltung: Andreas Arz (unter Verwendung einzelner grafischer Bestandteile, die teils mithilfe digitaler Werkzeuge wie Midjourney generiert wurden)

Dieses Werk und alle seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Autors und des Herausgebers. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

 

Ein Feuerwerk erleuchtete das malerische Mittelrheintal entlang des Rheinufers der Weinstadt Sankt Goarshausen an einem milden Herbstabend im Jahr 1823. Die Feuerwerkskörper beschallten das Rheintal und stiegen unter dem Jubel der Menschenmenge in den Nachthimmel. Das Wasser des Rheins glitzerte wie ein Diamantenschatz, während er das Funkeln des Freudenfeuers reflektierte. An dem Ort, wo der berühmte Wein des Mittelrheintals seinen Weg in die hölzernen Fässer fand, floss dieser an diesem Tag in Strömen in die Kehlen der Menschen.

Das Spektakel war zu Ehren der Hochzeit des größten und einflussreichsten Weingutsbesitzers Graf Friedrich von Schwarzfeld, mit der bildschönen Louise de Lorraine, die aus einer Familie stammte, die ein nicht minder großes und prestigeträchtiges Weingut in Lothringen besaß. Im Rahmen der prachtvollen Hochzeit sollte ein Bündnis geschmiedet werden, welches die Weingüter der beiden Familien aus den Regionen Lothringen und Mittelrheintal verband.

Der Vater von Louise, Armand de Lorraine, kannte Friedrich von Schwarzfeld seit vielen Jahren. Sie waren ungefähr im gleichen Alter. Friedrich hätte somit ohne weiteres der Vater von Louise sein können. Dennoch plante Armand mit Kalkül dieses Zweckbündnis seiner 25-jährigen Tochter mit dem weitaus älteren Grafen vom Rhein. Insbesondere nach dem Ende der Napoleonischen Kriege und der Neuordnung Europas, suchte Armand nach Möglichkeiten, den Reichtum der Familie und damit seine Einflussnahme zu vergrößern. Die Verbindung mit Schwarzfeld schien ihm hierzu eine passende Gelegenheit.

Der beleibte Armand hatte sein Weingut mit dem Blut und Schweiß kleiner Weinbauern aufgebaut. Bereits während der Leidenszeit durch die Kriege Napoleons wusste er die Not der Menschen auszunutzen, verpachtete kleine Landstücke unter hohen Abgaben an kleine Weinbauern, die dadurch unter schwersten Bedingungen ihre Familien ernähren konnten. Diese Strategie plante er nun mit Hilfe seiner Tochter im Mittelrheintal fortzuführen.

Louise war keineswegs bestürzt über die Entscheidung ihres Vaters, sie solle eine Verbindung zu Schwarzfeld eingehen. Die Kaltherzigkeit und Fähigkeit der eiskalten Ausbeutung von Menschen, hatte sie von ihrem Vater geerbt. Somit teilte sie sein kalkuliertes Vorhaben und blickte in Wahrheit mit Verachtung auf den Liebesschwur vom heutigen Tage.

Der gutgläubige Friedrich ahnte nicht, dass er nur Teil eines perfiden Planes war, der zur Machterweiterung der Familie de Lorraine diente. Selbst der Umstand, dass Louise auf Beibehaltung ihres Nachnamens bestand, trieb ihm keine Zweifel in den Sinn. Vielmehr ließ er sich von dem Gedanken blenden, eine wunderschöne, junge Frau aus Lothringen habe sich in sein gutes Herz und das Mittelrheintal verliebt.

Der Abend schritt voran und die erlesene Festgesellschaft zog sich nach dem Feuerwerk zurück auf das Weingut von Friedrich. An einer großen Tafel wurde Platz genommen. Ein Feuer brannte im großen Kamin des Festsaales. Der Tisch war bestückt mit feinsten Speisen und teuersten Weinen. Eine kleine Kapelle untermalte die Stimmung mit anspruchsvollen Klängen. Am oberen Ende der Tafel thronte das Brautpaar. Friedrichs Augen leuchteten vor Freude und Begeisterung. Seit dem Tod seiner Frau vor vielen Jahren hatte er einen derartigen Tag des Glücks herbeigesehnt. Er war beseelt davon, dass die lange Zeit seiner Einsamkeit nun endlich ein Ende fand. Er drehte seinen Kopf zu Louise und wollte ihren Lippen einen glückserfüllten Kuss schenken. Diese bemerkte das Vorhaben ihres frisch angetrauten Mannes und schwenkte geschickt ihr Haupt in eine andere Richtung, so dass Friedrich, im Zuge seines Vorhabens, nur die Wange seiner jungen Gattin traf.

Das Ausweichmanöver irritierte ihn. Er schaute Louise befremdet an, doch diese wusste ihn zu beruhigen.

Mit leiser Stimme hauchte sie in sein Ohr: »Nicht so stürmisch, Geliebter. Unsere Gäste sollen doch keineswegs den Eindruck erhalten, wir würden uns zeitnah ihrer Gesellschaft entziehen wollen.«

Dabei setzte sie ein verführerisches Lächeln auf, welches Friedrich als ein Zeichen auf eine leidenschaftliche Hochzeitsnacht deutete. Beruhigt nahm er sein Weinglas zur Hand und widmete seine Aufmerksamkeit wieder den anderen Gästen. Louise hingegen nahm Blickkontakt mit einem Mann auf der anderen Seite der Tafel auf. Ein verdeckter aber dennoch feuriger Blick traf Victor von Schwarzfeld, den Neffen von Friedrich. Dieser senkte den Kopf, nahm sein Weinglas an den Mund, benetzte sich die Lippen und erwiderte dabei die Blicke von Louise. Langsam stellte er sein Glas wieder auf den Tisch und fuhr sich dabei genussvoll mit der Zunge über die Lippen, als würde er dabei nicht den Geschmack des Weines nachverkosten, sondern die Haut der frisch angetrauten Frau seines Onkels. Louise tat es ihm gleich. Ihre Zunge fuhr verführerisch über ihre Lippen und hinterließ eine unsichtbare Spur der Lust. Niemand bemerkte die glühende Spannung, welche den Raum durchfuhr.

Ohne den Augenkontakt abreißen zu lassen, stand Victor auf, drehte sich um und verließ unbemerkt den Raum. Louise ließ einige Minuten verstreichen. Mit Bedacht legte sie den Arm um Friedrich, zog ihn heran und küsste ihn zärtlich auf die Wange. Erfreut von dieser Geste, wandte sich der Weingutsbesitzer seiner Ehefrau zu.

Dezent flüsterte Louise ihm zu: »Ich verspüre eine leichte Erschöpfung. Wenn es dir genehm ist, ziehe ich mich einen Moment zurück.«

Friedrich war davon nicht angetan und verzog seine Mundwinkel. Es war der Tag seiner Hochzeit, welchen er vollumfänglich mit seiner neuen Liebe teilen wollte.

Enttäuscht aber verständnisvoll wisperte er zurück: »Wenn es deinem Wohlbefinden dient, ziehe dich gerne kurz zurück.«

Louise lächelte vordergründig dankbar. Sie erhob sich langsam von ihrem Stuhl, bis Friedrich zaghaft nach ihrer Hand griff. Louise zuckte und schaute irritiert zu ihrem Ehemann.

Dieser zog Louise ein Stück an sich heran und sagte leise, mit euphorischer Stimme: »Lass uns die Gäste nach Hause schicken. Dann werde ich dich begleiten und deiner Erholung dienen.«

Louise schluckte dezent und suchte nach Worten. Sie zog ihre Hand weg, legte sie an Friedrichs Hinterkopf und fuhr dabei mit ihren Fingerspitzen durch sein graues Haar.

Dabei senkte sie ihren Kopf an sein Ohr und sagte leicht bestimmend: »Dies können wir unseren Gästen doch nicht antun. Sie kamen schließlich nur wegen uns heute Abend hierher.«

Friedrich schnaufte kurz und empfand die Antwort als wahrlich nicht annehmbar.

Louise bemerkte sofort seinen Unmut und fügte an: »Bleib hier, ich komme bald zurück. Dann werden wir unseren Gästen Genüge tun und zu späterer Stunde … .«

Ohne den Satz zu vollenden, gab sie Friedrich einen zärtlichen Kuss mit der Sanftheit ihrer verführerischen Lippen auf den Mund. Gebannt versank der Ehemann in einen kurzen Moment der Trance. Als Louise ihre Lippen wieder von seinen trennte, schickte sie ein vielsagendes Lächeln dieser Geste nach. Wortlos nickend, in einem Zustand der Vorfreude, gab er dem Wunsch seiner frisch Angetrauten nach. Louise verließ, ohne viel Aufsehen zu erregen, den Raum. Die Gäste bemerkten das Verschwinden der Braut im Feierrausch nicht und frönten weiterhin fröhlich der Festlichkeit.

Im menschenleeren Gang außerhalb des Festsaales bewegte sich Louise, anstelle in das eheliche Schlafzimmer, zum Gästetrakt des Weingutes. Mit Bedacht schritt sie leise die Treppe zu den Zimmern hinauf, gepaart mit ständiger Vorsicht, unbemerkt zu bleiben. Oben angekommen schritt sie in den Gang, in dem sich ein Gästezimmer an das andere reihte. In einer der Türen stand Victor und blickte mit gierenden Augen auf die Frau seines Onkels. Diese schritt langsam an ihn heran. Wortlos blickten sich die Schönheit und der muskulöse Mann, der im gleichen Alter wie Louise war, an.

Wieder schlotzte sich Victor mit der Zunge über die Lippen und fragte in anzüglichem Ton: »Hat sich die Braut verlaufen?«

Louise wog ihren Kopf verführerisch auf den Schultern und antwortete mit einem vielsagenden Unterton: »Nein. Ich wollte nur die Zimmer kontrollieren. Das Wohl unserer Gäste liegt mir sehr am Herzen.«

Nach den Worten ließ sie ihren Mund ein Stück weit geöffnet, trat näher an Victor heran und hauchte ihren Atem seinem Kopf entgegen.

Die gierende Haltung Victors wich einem unbändigen Gefühl des Verlangens. Mit einem schnellen Griff packte er Louise, zog sie an sich heran. Die junge Frau wehrte sich keine Sekunde, ergab sich, ohne zu zögern, der Lust ihres Gegenübers. Victor löste eine Hand von Louises Körper und öffnete rücklings die Zimmertür. Im Zuge glühender Wollust verschwand das in sich verwobene Paar im Raum. Die Tür knallte zu und hinterließ den spärlich beleuchteten Gang im Gästetrakt wieder in Stille.

Es verging eine Stunde und unten im Festsaal begann sich Friedrich nach der Gesellschaft seiner Ehefrau zu sehnen. Er schob seinen Stuhl zurück und wollte sich auf den Weg machen, um sich nach dem Befinden seiner angeblich erschöpften Frau zu erkundigen. Noch nicht ganz vom Stuhl erhoben, tauchte Victor neben seinem Onkel auf, legte die Hand fest auf seine Schulter und schob Friedrich auf den Stuhl zurück. Dabei nahm er den Platz von Louise, neben seinem Onkel, ein.

Dieser sagte etwas erschrocken: »Victor, mein lieber Junge. Ich habe deine Gesellschaft den ganzen Abend bereits vermisst.«

Der durchtriebene Neffe antwortete: »Dies dachte ich mir. Aber ich wollte das frisch vermählte Brautpaar in den ersten Stunden nach der Trauung ganz sich selbst und den anderen, besonderen Gästen überlassen.«

Erfreut über diese Aussage erwiderte Friedrich: »Das ist sehr zuvorkommend von dir. Doch bist du mir einer meiner wichtigsten Gäste. Meine Braut und ich freuen uns sehr, dass du diesen Tag mit uns geteilt hast.«

Victor setzte ein berechnendes Lächeln auf und fuhr fort: »Das ehrt mich sehr. Wo ist eigentlich die neue Flamme im Herzen meines lieben Onkels?«

Friedrich antwortete erklärend: »Ihr war nicht ganz wohl. Sie wollte sich einen Moment zurückziehen. Gerade in der Sekunde deines Erscheinens wollte ich nach ihr sehen.«

»Oh, ich hoffe, der schönen Louise fehlt es an nichts?« ,hinterfragte Victor, wohlwissend um die wahren Umstände des Verschwindens.

»Ich denke, es wird alles in Ordnung sein«, entgegnete Friedrich und sagte weiter, »doch vorsichtshalber werde ich nach ihr sehen. Sie ist schon eine geraume Zeit den Festlichkeiten fern geblieben.«

Die Worte Friedrichs waren noch nicht verklungen, da betrat Louise unter dem Raunen der Gäste wieder den Festsaal. Ihr Verschwinden war in der vergangenen Stunde nicht unbemerkt geblieben, wobei niemand einen Verdacht hegte, was die Gründe des Fernbleibens waren.

Louise ergriff umgehend die Initiative, um keinen Funken des Misstrauens aufkommen zu lassen, da sich Victor zur gleichen Zeit ebenfalls der Gesellschaft entzog.

Mit befreiter Stimme rief sie in den Raum: »Liebe Gäste, bitte entschuldigt die Unhöflichkeit meiner kurzen Auszeit. Dieser überwältigende Tag hat seinen Tribut gefordert, doch möchte ich der Feier keinen Abbruch tun. So habe ich mich kurz zurückgezogen, um mich jetzt wieder voll umfänglich eurem Wohlergehen zu widmen.«

Dabei machte sie einen anerkennenden Knicks vor den Gästen und fuhr fort: »Und jetzt erlauben sie, dass ich mich nun wieder an die Seite meines geliebten Mannes geselle.«

Dabei lachte sie und schritt dem freudestrahlenden Friedrich entgegen. Angekommen bei ihrem Mann, stand Victor von ihrem Platz auf und platzierte Louise an die Seite ihres Ehegatten. Beide vermieden es, sich entlarvende Gesten oder Blicke entlocken zu lassen, trotz der lustvollen Begegnung, die weiterhin in den Gliedern von Louise und Victor brannte.

Friedrich richtete dezent eine Frage an seine Gattin: »Geht es dir wieder besser?«

Louise zögerte einen Moment mit der Antwort. Folgte unbemerkt mit ihren Augen dem sich wieder zu seinem Platz bewegenden Victor und antwortete ketzerisch: »Oh ja, diese letzte Stunde hat mich wahrlich erfrischt.«

 

Sechs Monate später

 

Friedrich kehrte nach einem ermüdenden Tag in den Weinbergen in das Haupthaus seines Weingutes zurück. Bei der Bearbeitung seiner Weinberge überließ er nichts dem Zufall und kontrollierte penibel die Leistung seiner Arbeiter bei der Pflege der Reben.

Louise erwartete bereits ihren Mann am Eingang des Hauses. Der Anblick seiner Frau entlockte Friedrich trotz seiner Müdigkeit ein erfreutes Lachen. Er nahm seine Gattin in den Arm und küsste sie zärtlich auf die Wange.

Erleichtert über die geschaffte Arbeit des Tages sagte er: »Endlich ein Lichtblick nach diesem nicht enden wollenden Tag.«

Louise fragte vordergründig interessiert: »Ist etwas besonderes vorgefallen?«

»Nein, nein«, entgegnete Friedrich erschöpft und fuhr fort, »es war nur äußerst kraftraubend heute. Die neuen Arbeiter sind unerfahren und es bedurfte ein großes Maß an Aufmerksamkeit, um ihre Geschicke zu lenken.«

Tröstend legte Louise ihre Arme um den Hals ihres Mannes und antwortete: »Dann komm´ jetzt mit nach oben. Es gibt Neuigkeiten.«

Interessiert blickte Friedrich auf und fragte neugierig: »Was ist passiert?«

Louise erwiderte seinen Blick vielsagend mit einem Lächeln auf den Lippen.

»Geduld. Komme mit nach oben. Ich habe etwas vorbereitet.«

Entkräftet, aber euphorisch begleitete Friedrich seine Louise in den Speisesaal des Hauses. Auf dem Tisch stand ein kristallener Dekanter mit Rotwein gefüllt, daneben ein Glas.

»Was hat dies zu bedeuten?« ,fragte Friedrich.

»Ich möchte mit dir anstoßen!« ,entgegnete Louise.

Ihr Ehegatte war verwirrt, schließlich stand nur ein Glas auf dem Tisch.

Er hinterfragte: »Mit nur einem Glas?«

Louise lächelte vertrauenserweckend und erwiderte ihrem Mann: »Ja, nur ein Glas für dich. Ich sollte unter den gegebenen Umständen keinen Wein zu mir nehmen.«

Friedrichs Miene erhellte sich. Er bekam eine Ahnung, warum seine Frau nur für ihn ein Glas vorbereitete.

»Ist es das, was ich denke?« ,fragte Friedrich in einem aufkommenden Freudentaumel.

Wortlos lächelnd nickte Louise ihrem Gatten entgegen. Dieser nahm Louise freudestrahlend in den Arm und konnte seine Gefühle nicht verbergen.

In glückseliger Ekstase rief er dabei in den Raum: »Ich kann es nicht glauben. Gott sei gedankt für diesen Moment.«

Er holte tief Luft, machte eine kurze Pause, schaute Louise tief in die Augen und jauchzte vor Glück: »Ich liebe dich so sehr, ich kann es kaum in Worte fassen.«

Louise löste sich von Friedrich, begab sich zum Tisch und schenkte ihrem Mann ein Glas von dem Rotwein ein. Sie nahm es auf und hielt es ihrem Mann entgegen.

Dabei sagte sie auffordernd: »Jetzt musst du für uns beide trinken.«

Friedrich nahm seine Frau beim Wort, hob das Glas an seine Lippen und nahm einen tiefen Schluck von dem schweren Rotwein.

Er nahm das Trinkgefäß herunter, doch Louise hielt seine Hand fest und schob diese mit dem Weinglas wieder seinem Mund entgegen.

Dabei forderte die junge Frau: »Mein Geliebter, ein derart kleiner Schluck reicht doch nicht für uns beide und ist dem Anlass wahrlich nicht gerecht.«

Friedrich lachte, hob das Glas wieder an seine Lippen und entleerte es in einem Zug.

Er stellte das leere Gefäß auf dem Tisch ab und nahm seine Frau wieder in den Arm. Über Friedrichs Schulter hinweg verwandelte sich Louises Lächeln in diabolische Gesichtszüge. Friedrich bemerkte diesen Wandel bei seiner Frau nicht, er hielt weiter an ihr fest, bis ihn ein seltsames Gefühl beschlich. Er verspürte ein schmerzhaftes Stechen in seiner Brust, welches sich mit jeder Sekunde verstärkte. Friedrich begann zu röcheln und löste sich von seiner Frau. Der Weingutsbesitzer griff sich panisch an die Brust und fuhr mit der Hand zu seinem Hals hinauf. Wie eine unsichtbare Schlinge legte sich etwas um seinen Hals und nahm ihm die Luft zum Atmen. Das Röcheln wurde stärker, die Schmerzen unerträglich. Friedrich taumelte nach hinten, stürzte über einen hinter ihm stehenden Stuhl. Im Fallen riss er die Decke mitsamt des Dekanters vom Tisch. Der Rotwein verteilte sich auf dem Boden des Speisesaals und schimmerte wie Blut im einfallenden Licht des Abendrotes. Friedrichs Augen schrien vor Panik. Er sah seine Frau an und nahm trotz seines kritischen Zustandes jetzt ihren bösartigen Gesichtsausdruck wahr. Aus einem Nebenzimmer tauchte Victor auf und stellte sich neben Louise. In ausufernder Panik streckte Friedrich die Hand nach seinem Neffen aus und rief ihm mit letzter Kraft entgegen: »Victor, hilf mir!«

Anstatt sofort zu seinem leidenden Familienmitglied zu eilen, griff er in seine Jackentasche, zog ein Tuch heraus und näherte sich langsam seinem am Boden liegenden Onkel. Sein Blick war stechend und die Augen verrieten, dass er alles andere vor hatte, als dem Bruder seines unlängst verstorbenen Vaters zu helfen. Zitternd und von Schmerzen gezeichnet, erkannte Friedrich die niedere Absicht seines Neffen. Mit letzter Kraft versuchte er, Victor von sich fernzuhalten, doch es war zu spät. Der durchtriebene Liebhaber seiner Ehefrau drückte ihm das Tuch fest über Mund und Nase. Die Schmerzen lähmten Friedrich. Die letzte verbliebene Luft in seinen Lungen wurde von den stärker werdenden Krämpfen aufgezehrt. Jetzt dauerte es nicht mehr lange, bis die letzte Lebenskraft aus Friedrichs Körper entwich. Das Zucken wurde weniger, die Augen glasig, und der Tod breitete seinen Schleier über Friedrich von Schwarzfeld aus.

Victor stand auf und trat rücklings neben Louise, die abfällig auf den toten Körper ihres Mannes starrte.

Nach einem Moment des Schweigens sagte Victor mit Blick auf den toten Friedrich: »Es sieht so aus, als habe er sich über die glückliche Botschaft eines Nachkommens zu Tode gefreut.«

Louise grinste mit bösartiger Miene und erwiderte: »Den es jedoch nie gab oder geben wird!«

 

 

 

 

 

Die Rheinfahrt

 

Auf dem Rhein im Jahr 2024

 

Mit großer Begeisterung in ihren Augen rannte die kleine Lisa an die Reling auf dem Freiluftdeck des Ausflugsschiffes Rhein Star. Wild wedelte sie mit den Händen, um die Aufmerksamkeit ihrer Familie zu erhaschen, die ein paar Meter weiter an einem Tisch versammelt saßen.

Freudestrahlend jauchzte sie: »Guckt mal, guckt mal, da ist eine Burg mitten im Rhein!«

Dabei zeigte sie mit dem Finger auf Burg Pfalzgrafenstein, die sich inmitten des Rheins auf Höhe der Weinstadt Kaub scheinbar aus dem Wasser erhob. Nicht nur Lisa wurde in den Bann dieses Anblicks gezogen. Auf dem ganzen Deck wurden von den Fahrgästen die Handys gezückt und scharfe Erinnerungsfotos geschossen. Viele von ihnen verbrachten ihre Urlaube im majestätischen Mittelrheintal. Die Einzigartigkeit und Historie der Region war weltbekannt und lockte Jahr für Jahr Millionen von Menschen an, die in den magischen Bann dieses Streckenabschnitts des Rheins gezogen wurden.

Kapitänin Bianka dämpfte etwas die Geschwindigkeit der Rhein Star, um jedem die Möglichkeit für den perfekten Schnappschuss zu geben. Dies nutzte auch Lisas Mutter Isabell, die ein Bild von ihrer Tochter schoss, mit der Pfalzgrafenstein im Hintergrund.

»Ey, ich will auch auf´s Bild«, tönte es aus dem Hintergrund.

Lisas Bruder Erik kam angestürmt und gesellte sich zu seiner Schwester. Von den beiden Sprösslingen knipste Mutter Isabell weitere Bilder vor dem imposanten Bauwerk im Rhein.

Aus dem Hintergrund beobachtete Großmutter Maria die Begeisterung ihrer Enkelkinder. Es machte ihr große Freude, mit welcher ausgeprägten Euphorie die Kinder die Fahrt auf dem Rhein genossen. Sie kannte die Schönheiten dieser Region bereits, war viele Male hier gewesen. Die Familie war aus Norddeutschland angereist und verbrachte eine Woche Urlaub im Mittelrheintal. Eingebucht hatten sie sich in der Stadt Assmannshausen im anliegenden Rheingau. Von dort aus starteten sie ihren Ausflug rheinabwärts mit dem Ziel Loreley.

Nachdem die Rhein Star Kaub und die Pfalzgrafenstein hinter sich gelassen hatte, nahmen Mutter und Kinder wieder am Tisch Platz. Es war ein perfekter Tag für einen Ausflug. Die Sonne schien kraftvoll in das Rheintal. Der Wind streichelte zart über die Köpfe der Fahrgäste hinweg. Es war mitten im Frühling und der Duft dieser Jahreszeit war allgegenwärtig. Die erblühenden Weinberge, welche langsam wieder ein saftiges Grün in den Hängen annahmen, rundeten ein beispielloses Panorama ab.

Die Kinder plapperten fröhlich vor sich hin. Mutter Isabell versuchte geduldig, die vielen Fragen der Geschwister kindgerecht zu beantworten. Lisa und Erik waren aufgeregt, konnten das Erreichen des Ziels Loreley kaum erwarten. In Vorbereitung auf den Urlaub hatte ihnen ihre Mutter bereits die bekannten Geschichten und Sagen rund um diesen besonderen Ort erzählt. In vergangenen Zeiten ließen sich Dichter und Denker bereits von der Loreley inspirieren. Es entstanden Mythen und Legenden, die diesen Platz für viele Menschen zu einem mystischen Anziehungspunkt machten.

Großmutter Maria war schweigsam. In Gedanken schwelgend, blickte sie auf den Rhein und verfolgte den Wellengang des Wassers, der vom Schiff zu den Ufern gelenkt wurde. Obgleich die Motoren der Rhein Star im Hintergrund tuckerten, war das friedliche Rauschen des Flusses unüberhörbar. Maria schien die Atmosphäre in vollen Zügen in sich aufzunehmen.

Lisa wandte sich an ihre Großmutter und fragte: »Oma, warum sind wir nicht schon früher hierher gefahren? Das ist ja viel besser als die Strandurlaube jedes Jahr.«

Maria drehte sich zu ihrer Enkelin, kam zurück aus ihrem Gedankentunnel. Sie lächelte und suchte nach einer Antwort. Ihr war klar, dass die Begeisterung der Kinder groß war und andere Urlaube in den Schatten stellte. Schließlich hatten sie eine derartige Landschaft vorher noch nie gesehen. Mit Bedacht wählte sie ihre Worte, da Maria ihre Schwiegertochter Isabell nicht in Verlegenheit bringen wollte, die mit ihrem Mann, Marias Sohn Paul und den Kindern jedes Jahr, fast traditionell, Inselurlaub an der Nordsee machte.

Sie nahm Lisa in den Arm und antwortete ihrer Enkelin: »Bis heute wart ihr noch zu klein. Jetzt, wo ihr beide schon länger in der Schule seid, dachte ich mir, ist es an der Zeit für euch, dieses besondere Fleckchen Erde kennenzulernen.«

Erik brachte sich ein: »Schade, dass Papa arbeiten muss. Dem hätte es hier sicher auch gut gefallen.«

»Er kommt das nächste Mal mit. Außerdem war er mit eurer Oma schon hier gewesen«, ergänzte Mutter Isabell tröstend.

»Ehrlich? Papa war schon mit dir hier Oma?« ,hinterfragte Lisa.

Großmutter Maria schwieg einen Moment, wirkte nachdenklich, bevor sie Lisa antwortete.

Geheimnisvoll erwiderte sie ihrer Enkelin: »Ja, euer Papa war schon mit mir und eurem Großvater hier gewesen. Es war Opa sehr wichtig, dass euer Vater diesen Ort kennenlernt.«

Bevor Maria die Antwort weiter ausführen konnte, musste sie schlucken und eine Träne unterdrücken.

Geschickt verbarg sie ihre Emotion und fuhr fort: »Euer Papa war allerdings älter als ihr heute. Wir waren hier, kurz bevor Opa gestorben ist. Es lag ihm viel daran, diese Reise zu unternehmen.«

Die Kinder lauschten gebannt den Worten ihrer Großmutter. Ihren Opa hatten sie nie kennengelernt. Er starb, bevor ihr Vater Paul seine heutige Frau, ihre Mutter Isabell, kennenlernte. Nur von den Erzählungen ihres Papas und den Bildern an der Wand im Haus, kannten sie ihren Großvater.

Lisa wollte mehr wissen.

»Warum wollte Opa, dass Papa hier das Mittelrheintal kennenlernt?«

Maria setzte ein vielsagendes Lächeln auf und antwortete: »Habt Geduld. Bevor ich euch die Geschichte erzähle, schaut da vorn.«

Mit diesen Worten lenkte sie die Aufmerksamkeit ihrer Familie wieder auf den Rhein, der mittlerweile von beiden Uferseiten immer enger in sein Bett gedrückt wurde. Das rechte und linke Ufer war augenscheinlich zum Greifen nah.

Erik kommentierte dies fasziniert: »Boah, schaut mal wie nah das Ufer hier ist. Da könnte man ja fast von einer auf die andere Seite schwimmen.«

Mutter Isabell intervenierte umgehend: »So einen Blödsinn schlag dir mal gleich aus dem Kopf.«

Dabei zeigte sie nach unten auf das Wasser. Der Rheinstrom hatte sich durch die Verengung deutlich beschleunigt.

Isabell weiter: »Wenn du da hinein fällst, nimmt dich der Rhein mit und lässt dich nicht mehr los.«

Zustimmend nickte Oma Maria mit dem Kopf und ermahnte: »Hört auf eure Mutter. Wir sind hier an einer der engsten Stellen am Rhein, und der Kraft des Flusses sind an diesem Ort schon viele unterlegen.«

Damit spielte Maria nicht nur auf die Gefahren an, denen man sich aussetzte, beim Versuch, den Rhein schwimmend zu durchqueren. Bevor Sprengungen von Unterwasserriffs und das Ausbaggern einer Fahrrinne die Schifffahrt auf dem Fluss entscheidend erleichterten, war diese Passage eine der gefährlichsten für die damalige Rheinschifffahrt. Viele Schiffer, die ohne Kenntnisse über die Untiefen des Rheins an dieser Stelle und ohne die Hilfe eines lokalen Lotsen diese Passage durchqueren wollten, erlitten ein dramatisches Schicksal. Die Schiffe liefen auf unter der Wasseroberfläche liegende Felsen, kenterten und wurden von dem mächtigen Strom des Rheins verschlungen.

Die warnenden Worte zeigten Wirkung. Erik und Lisa blickten nach unten und konnten die gewaltige Kraft der Rheinströmung förmlich erahnen.

»Seht dort vorn«, rief Großmutter Maria.

Über den Bug der Rhein Star hinaus, tauchte ein gewaltiger Felsen auf der rechten Rheinseite auf. Die Augen der Kinder wurden riesengroß, als sie diese imposante Felswand erblickten. Die Begeisterung war nicht nur bei Lisa und Erik spürbar. Alle Gäste auf dem Schiff raunten in einer Mischung aus Staunen und Ehrfurcht. Es war der berühmte Loreley-Felsen. Das Raunen wurde abgelöst von einem traditionellen Volkslied, das über die Lautsprecher der Rhein Star abgespielt wurde. Nachdem die ersten Klänge vorüber waren, setzte ein Chor in dem Stück mit dem Gesang ein.

 

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,

dass ich so traurig bin;

ein Märchen aus alten Zeiten,

das kommt mir nicht aus dem Sinn.

 

»Was ist denn das für ein komisches Lied?« ,fragte Erik.

»Hört zu und lauscht«, antwortete seine Großmutter.

Dabei lehnte sie sich bedächtig zurück, schloss die Augen und genoss das Lied in vollen Zügen. Ein Lächeln begann sich bei Maria abzuzeichnen und eine Träne kullerte aus ihrem Augenwinkel. Die Kinder und ihre Mutter Isabell schauten Maria fasziniert an. Diese strahlte eine Energie aus, welche ihre Familie förmlich in einen Bann zog.

Die Rhein Star umfuhr den Loreley-Felsen, und die Stadt Sankt Goarshausen tauchte am rechtsrheinischen Ufer auf. Doch davor erstreckte sich ein schmaler Landarm, nur wenige Meter breit, vom Ufer weg in den Rhein und war in seinem Verlauf parallel zum Rheinufer gelegen. Die Rhein Star fuhr an dem Landarm vorbei, und an dessen Ende tauchte eine Statue auf. Es war die Figur einer wunderschönen Frau mit augenscheinlich langem Haar. Sitzend war sie auf einem kleinen, steinernen Sockel dargestellt.

Maria öffnete die Augen. Mit dem letzten Ton des abgespielten Liedes wanderte ihr Blick auf die Statue der Frau. Einen Moment lang blickte Maria die kunstvolle Figur an, bevor sie sich ihrer Familie zuwandte. Diese war bereits ganz gespannt, was Oma Maria jetzt zu sagen vorhatte. Schließlich war sie ihnen noch die Geschichte schuldig, warum ihr Großvater unbedingt wollte, dass Vater Paul diesen Ort kennenlernt.

»Wie hat euch das Lied gefallen?« fragte Maria.

Isabell lächelte und antwortete: »Es war sehr schön, hat mir gut gefallen.«

Lisa verzog etwas die Mundwinkel und scherzte: »Naja, Lady Gaga finde ich besser.«

Großmutter Maria lachte über den Kommentar ihrer Enkelin, wurde dann wieder ernst und begann auszuführen: »Der Text dieses Liedes wird dieses Jahr 200 Jahre alt. Heinrich Heine hat ihn verfasst. Auch ihn haben damals die Sagen und Geschichten über die Loreley ergriffen und zu diesem Text inspiriert.«

Isabell fragte interessiert nach: »Was denkst du hat ihn zu den Worten beflügelt?«

Maria entgegnete: »Das werden wir wohl nie erfahren. Es gab zwar in dieser Zeit bereits viele Geschichten über den Felsen und seine Legende«, sie machte eine kurze Pause, hob den Kopf und sagte weiter, »doch eine Geschichte blieb bisher unerzählt, die vielleicht einen Beitrag zu seiner Inspiration geleistet haben könnte.«

»Was ist das für eine Geschichte?« ,fragte Lisa aufgeregt.

Großmutter Maria nahm das vor ihr stehende Weinglas auf, nippte an ihrem halbtrockenen Riesling, stellte es wieder auf den Tisch und begann zu erzählen.

»Es war für euren Großvater eine Herzensangelegenheit, dass sein Sohn, euer Vater, diesen Ort und diese eine vergessene Geschichte kennenlernt. Spitzt die Ohren und hört gut zu, was sich damals hier zugetragen hatte.«

 

 

 

 

 

Die einsame Schönheit

 

Es war einer dieser unvergleichlichen Tage im Frühjahr des Jahres 1824. Die Natur hatte die letzten Schatten eines langen Winters vertrieben und war vollends aus ihrem Schlaf erwacht. Das Mittelrheintal erblühte unter den Strahlen der einfallenden Sonne. Vater Rhein nahm die engen Kurven des Tals, ließ kraftvoll die Muskeln seiner Strömung spielen und warf dabei das warme Licht der Sonne auf die Weinberge in den Hängen. Ein sanfter, kühler Wind wehte durch die Rebzeilen und trug dabei den Duft einer frisch erwachten Natur auf seinem Rücken. Aus dem Süden kehrte eine Schar von Vögeln in heimische Gefilde zurück, besangen das Spektakel und machten das Mittelrheintal zu ihrem Konzertsaal.

Hoch oben in den Weinbergen erhielten die gefiederten Heimkehrer besondere Unterstützung. Zwischen den Reben kniete eine junge Frau und widmete sich voller Anmut und Hingabe den austreibenden Pflanzen. Ihr langes, blondes Haar, das einem goldenen Schleier glich, bewegte sich elegant im sanften Wind. Die blauen Augen funkelten einem Diamanten gleich, während sie gekonnt den Rebstock beschnitt. Ihre vollen Lippen wurden von einem dezenten Lächeln verziert, dabei hauchte sie aus dem leicht geöffneten Mund eine Melodie, die wohlklingend mit dem Gesang der Vögel harmonierte. Von Zeit zu Zeit stoppte sie mit ihrer Arbeit und blickte hinunter zum Rhein. Dabei nahm die Schönheit Züge von der wohl duftenden Brise in sich auf. Mit Sehnsucht getränkten Blicken schaute sie rheinaufwärts, sah die Schiffe, die sich vorsichtig durch die herausfordernde Passage manövrierten. Sie erhob sich langsam und ließ ihr Werkzeug sinken, war ganz und gar im Bann des Tals gefangen. Dieser Anblick fesselte die junge Frau stets und hinterließ eine Spur aus Einsamkeit gepaart mit Hoffnung in ihrem Herzen. Die Bilder, die dabei in ihrem Geist entstanden, konnte sie nicht deuten. Sie wusste nur so viel, dass diese in Zukunft ihr Schicksal bestimmen würden.

Ein gellender Ruf durchschnitt ihre friedvollen Gedanken und ließ zudem die sanfte Melodie aus ihrem Mund verstummen.

»Lorena, was stehst du da und glotzt ins Tal? Mach dich gefälligst wieder an die Arbeit!«

Der Ausruf war mit einem derart aggressiven Ton untermalt, dass die junge Frau zusammenzuckte und sich umgehend wieder ihrer aufgetragenen Tätigkeit widmete.

Mit bösen Blicken verfolgte Gustav Wagner die schöne Lorena und stellte sicher, dass sie sich wieder an die Arbeit machte. Diese griff beherzt zu ihrem Werkzeug und schenkte den Pflanzen wieder ihre volle Aufmerksamkeit. Nachdem Wagner sicherstellte, dass Lorena wieder ihrer Arbeit nachging, drehte er sich um und führte eine vorher begonnene Unterhaltung mit einem anderen Winzer weiter.

Gustav Wagner gehörte mit seiner Familie zum Arbeiterstamm des großen Weingutes der von Schwarzfelds. Nachdem der einflussreiche Gutsherr Graf Friedrich eines plötzlichen Todes verstorben war, hatte seine Witwe Louise de Lorraine die Führung des Weingutes übernommen. Sie leitete dieses mit harter Hand und gab den Druck an die Arbeiter weiter. Dies veranlasste Gustav Wagner, die Zügel bei seiner Familie anzuziehen, um eine gute Figur gegenüber seiner Dienstherrin abzugeben. Er arbeitete hart und spannte dabei, ihm gleichgestellt, seine beiden Söhne Otto und Ernst ein. Dann gab es noch Lorena. Sie war kein leibliches Kind von Gustav. Dieser hatte sie als kleines Kind im Alter von acht Jahren bei sich aufgenommen. Lorenas Mutter war bei der Geburt gestorben, und ihr Vater folgte seiner Frau einige Jahre später. Lorena wurde zur Waise. Familie Wagner nahm sich ihrer an und solange Gustavs Frau noch am Leben war, wurde Lorena als vollwertiges Familienmitglied behandelt. Dies änderte sich mit dem Tod ihrer Stiefmutter. Gustav wurde immer jähzorniger. Er hatte Lorena nie akzeptiert, bezeichnete sie stets als sentimentale Laune seiner Frau. Solange diese allerdings noch am Leben war, hielt sie eine schützende Hand über die junge Lorena. Mit dem Tod von Mutter Wagner starb auch das letzte bisschen Herzlichkeit, das die junge Frau bis dahin, seit dem Tod ihres liebenden Vaters erfahren hatte.

Lorena war 21 Jahre alt und stand unter der harten Hand ihres Stiefvaters. Egal wie engagiert sie arbeitete, Blut und Schweiß im Weinberg ließ, es war in den Augen Gustavs nie genug. Eher gönnte er seinen Söhnen einen freien Tag, bevor er Lorena für ihre harte Arbeit würdigte. Selbst im familiären Wohnhaus wies er ihr lediglich eine kleine Kammer unter dem Dach zu. Ein tristes Dasein ohne ein Licht am Ende des Ganges, der sich Leben nennt. Doch nicht für Lorena. Jeden Tag aufs Neue verspürte sie eine besondere Kraft, welche die junge Schönheit immer wieder motivierte, nach einer kurzen Nacht die Augen zu öffnen. Ihr war nie klar geworden, woher diese Energie herrührte. Doch eines war sicher, ein Blick aus der Höhe ins Rheintal hinunter, ihr eigener Gesang, den sie den Felsen entgegenschickte und diese die Melodie im Chor als Echo zurücksendeten, entfachten dieses Gefühl.

Der Tag neigte sich dem Ende entgegen. Gustav und seine Söhne waren bereits ins heimische Wohnhaus zurückgekehrt, überließen Lorena die verbleibende Arbeit. Diese führte ihre Aufgaben gewissenhaft zu Ende. Die letzte Rebe des Weinbergs hatte ihren Schnitt bekommen. Lorena steckte ihr Rebmesser ein und nahm anstatt den Weg ins Tal einen kleinen Pfad den Berg hinauf zu einem Plateau, auf dem höchsten Punkt der Felsen. Sie hatte keine Sorgen, es würde sie jemand zu Hause vermissen. Solange Lorena in den frühen Morgenstunden wieder zur Arbeit bereitstand, war alles andere belanglos.

Auf dem Weg nach oben summte sie verträumt eine Melodie vor sich hin. Eine ältere Frau kreuzte ihren Weg, erfreute sich an den sanften Klängen und fragte: »Lorena, wohin möchtest du noch zu so später Stunde?«

Die junge Schönheit merkte auf, hatte die entgegenkommende Frau nicht bemerkt. Erfreut, eine nette Bekannte anzutreffen, blieb sie stehen und antwortete mit zierlicher Stimme: »Ich habe meinen Weinberg fertig und mache nur noch ein paar Schritte, bevor ich wieder in meine Kammer gehe.«

Die alte Frau nahm die traurige Untermalung in Lorenas Stimme wahr. Vielen im Ort war nicht verborgen geblieben, dass Gustav alles andere als ein sorgender Vater für die angenommene Lorena war.

Tröstend erwiderte sie: »Ach mein Kind, mach dir kein schweres Gemüt. Das Schicksal hat für uns alle einen Plan. Ich bin mir ganz sicher, für eine gute Seele, wie die deine, hat es sicher einen besonderen Plan.«

Lorena lächelte und antwortete: »Vielleicht. Der Himmel ist heute Abend ganz klar. Damit habe ich in jedem Fall Mond und Sterne an meiner Seite.«

»Pass auf dich auf«, sagte die alte Frau und verabschiedete sich, bevor sie ihren Weg zurück ins Tal fortsetzte. Lorena schritt den Pfad weiter hinauf, vorbei an schiefernen Felswänden, bis auf den Gipfel des Felsens. Oben angekommen, schritt sie an den Rand des Abgrunds und blickte in das vom Abendrot erfüllte Mittelrheintal. Vor ihr tat sich ein über 130m tiefer Abgrund bis an das Ufer des Rheins auf. Vielen Menschen würde diese Höhe Schweißperlen vor Angst auf die Stirn treiben. Doch nicht Lorena. Der Blick aus dieser Höhe gab ihr ein Gefühl von Freiheit, das sie in ihrer Kammer unter dem Dach des heimischen Wohnhauses nie verspüren könnte.

Wieder stimmte sie mit ihrer engelsgleichen Stimme eine Melodie an. Verstärkt von den Felswänden verwandelten die Töne das Tal in einen mystischen Ort, in dem jetzt ein unsichtbarer Zauber innewohnte. Mond und Sterne erschienen am Himmel, als wären sie nur gekommen, um einem Konzert der schönen Lorena beizuwohnen.

 

 

 

 

 

 

Gefährliche Zeiten

 

 

Lothringen im Frühjahr 1824

 

Ein Schleier von morgendlichem Nebel durchzog die hügelige Landschaft der Lothringer Weinberge. Aus dem Osten funkelten die ersten Sonnenstrahlen durch die zierlichen Nebelschwaden und spendeten den Weinreben einen Hauch von Wärme. Der Himmel war klar und strahlte in einem frischen Blau, das eine schier endlose, friedliche Tiefe inne hatte. Die Natur erwachte unter dem Gesang vorbeiziehender Vögel und versprühte einen Duft von harmonischer Frische, wie sie der frühe Frühling mit sich brachte.

Die natürliche Szenerie wurde mehr und mehr von klappernden Pferdefuhrwerken untermalt, die von kräftigen Pferden über die Wege zwischen den Weinbergen gezogen wurden. Eine Schar motivierter Weinberg-Arbeiter befand sich auf den Pritschen der Fuhrwerke. Bewaffnet mit Scheren stand für sie die wichtige Arbeit des Rebschnittes wieder an. Diese Tätigkeit gehörte zu den Aufgaben der Winzer und ihrer Arbeiter in dieser Zeit des Jahres. Die Reben wurden zurückgeschnitten, um die Anzahl der Triebe zu reduzieren. Damit sollte die Kraft der Pflanze auf weniger, aber dafür qualitativ bessere Triebe konzentriert werden. Dies sorgte zudem für eine bessere Durchlüftung der Rebe und großzügigere Sonneneinstrahlung. Damit wurden beste Voraussetzungen geschaffen, großartige Weine aus diesen Weinbergen zu erzeugen. Seit Januar waren die Arbeiter mit dieser Form der Reberziehung beschäftigt. In den ersten Tagen des Jahres war es noch sehr kalt in den Weinbergen gewesen, somit freuten sich die fleißigen Frauen und Männer über den einsetzenden Frühling.

Die Fuhrwerke erreichten einen Weinberg, dem an diesem Tag die Aufmerksamkeit durch die Truppe geschenkt wurde. Die Pferde stoppten. Ein Mann von kräftiger Statur sprang vom Fuhrwerk und sicherte dieses an einem Pfahl im Boden.

---ENDE DER LESEPROBE---