Die ungewollte Braut des Lords - Anne Gracie - E-Book

Die ungewollte Braut des Lords E-Book

Anne Gracie

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Beschreibung

Ein ehrenhafter Lord und seine ungewollte, bezaubernde Braut …
Das Finale der prickelnden Regency Romance-Reihe von Erfolgsautorin Anne Gracie

Vor acht Jahren bewahrte der ehrenhafte Leutnant Luke Ripton ein unschuldiges junges Mädchen vor einer Zwangsheirat, indem er sie vor dem Krieg kurzerhand selbst heiratete und in die Obhut eines Klosters gab. Die anschließende Annullierung betrachtet er als bloße Formsache – doch acht Jahre später ist der Krieg vorbei, Luke ist plötzlich Lord Ripton … und noch immer ungewollt verheiratet.

Isabella wartete fast ein Jahrzehnt sehnsüchtig darauf, endlich von ihrem Ehemann aus dem Kloster befreit zu werden. Dass dieser Ehemann nicht nur gutaussehend, sondern auch arrogant ist und unbedingten Gehorsam verlangt, hatte sie sich so nicht vorgestellt. Doch die leidenschaftliche Wut ist nicht das einzige Gefühl, das die unbändige Isabella bei Luke weckt …

Weitere Titel dieser Reihe
Ein Schurke zur rechten Zeit (ISBN: 9783986371340)
Im Herzen ein Earl (ISBN: 9783986371364)
Eine geheimnisvolle Lady (ISBN: 9783986371371)
Wie vergisst man eine Lady? (ISBN: 9783986371395)

Erste Leser:innenstimmen
„Regency Romance nach meinem Geschmack: humorvoll, romantisch und fesselnd.“
„Neben der schönen Liebesgeschichte, machen vor allem die Charaktere den Charme des Buchs aus.“
„Würdiges Finale der atemberaubenden historischen Liebesroman-Reihe!“
„Gefühlvoll, aber auch mit viel Humor erzählt.“

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Seitenzahl: 546

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Über dieses E-Book

Vor acht Jahren bewahrte der ehrenhafte Leutnant Luke Ripton ein unschuldiges junges Mädchen vor einer Zwangsheirat, indem er sie vor dem Krieg kurzerhand selbst heiratete und in die Obhut eines Klosters gab. Die anschließende Annullierung betrachtet er als bloße Formsache – doch acht Jahre später ist der Krieg vorbei, Luke ist plötzlich Lord Ripton … und noch immer ungewollt verheiratet.

Isabella wartete fast ein Jahrzehnt sehnsüchtig darauf, endlich von ihrem Ehemann aus dem Kloster befreit zu werden. Dass dieser Ehemann nicht nur gutaussehend, sondern auch arrogant ist und unbedingten Gehorsam verlangt, hatte sie sich so nicht vorgestellt. Doch die leidenschaftliche Wut ist nicht das einzige Gefühl, das die unbändige Isabella bei Luke weckt …

Impressum

Erstausgabe 2012 Überarbeitete Neuausgabe März 2022

Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-570-6

Copyright © 2012 by Anne Gracie Titel des englischen Originals: Bride by Mistake

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition was published by arrangement with Berkley, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

© für die deutsche Übersetzung © CORA-Verlag in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg. 

Copyright © 2015, CORA-Verlag in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2015 bei CORA-Verlag in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg erschienenen Titels Skandal um die geheime Braut (ISBN: 978-0-42524-579-8).

Übersetzt von: Andrea Härtel Covergestaltung: ARTC.ore Design unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com: © Konmac, © PhotoFires PeriodImages.com: © Maria Chronis, VJ Dunraven Productions, PeriodImages.com Korrektorat: KoLibri Lektorat

E-Book-Version 29.09.2022, 08:48:48.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Die ungewollte Braut des Lords

1. Kapitel

London, 1819

„Sie sind verrückt, Ripton!“

Luke Ripton zuckte mit den Achseln und nahm die Zügel auf. „Der Zweispänner kann repariert werden, Jarvis. Seien Sie lieber froh, dass Ihre Pferde unverletzt sind.“

„Was ich ganz bestimmt nicht Ihnen zu verdanken habe!“, schnaubte Jarvis. „Mich so riskant zu überholen … Sie hätten mich beinahe gestreift!“

„Aber ich habe es nicht getan“, unterbrach Luke ihn kalt. Der Mann fuhr wirklich wie eine überängstliche Debütantin. „Sie hatten keinen Grund, mir so abrupt auszuweichen. Sie hätten nur die Nerven behalten müssen.“

„Die Nerven? Na, warten Sie!“ Jarvis wollte sich auf ihn stürzen, wurde aber von seinen Freunden zurückgehalten, die zugesehen und auf das Rennen Wetten abgeschlossen hatten.

„Beruhige dich, Jarvis! Lord Ripton hat mit Fug und Recht gewonnen“, stellte einer der Freunde fest.

„Es war ausgesprochen dumm von dir, ihn überhaupt herauszufordern“, meinte ein anderer, der schon etwas zu betrunken war, um Taktgefühl zu zeigen. „Jeder weiß doch, dass es Ripton gleich ist, ob er lebt oder stirbt.“ Er hickste. „Das macht ihn unbesiegbar.“

Luke tippte mit dem Finger an die Krempe seines Hutes und fuhr einfach davon. Stimmte das? War es ihm gleich, ob er lebte oder starb? Darüber dachte er nach, als er in die Stadt zurückfuhr. Er bog in die Upper Brook Street ein und kam zu dem Schluss, dass etwas Wahres dran war. Er war sich nicht ganz sicher, ob er es verdiente, am Leben zu sein. Oft genug hatte er das Schicksal herausgefordert.

Doch wie es aussah, hatte das Schicksal etwas anderes mit ihm vor. Der Brief in seiner Tasche bestätigte das.

Er hielt vor dem Stadthaus seiner Mutter an. Das Haus gehörte ihm, er hatte es zusammen mit dem Titel geerbt, als sein Onkel und seine Cousins vor zwei Jahren ertrunken waren. Doch obwohl Luke große Zuneigung für seine Mutter und seine jüngste Schwester empfand, war es ihm lieber, nicht bei ihnen zu wohnen. Seine Mutter hatte die Neigung, zu viel Aufhebens um ihn zu machen. Luke bevorzugte seine aus mehreren schönen Zimmern bestehende Junggesellenwohnung in der Clarges Street, wo ihn niemand fragte, woher er kam und wohin er ging.

„Gott sei Dank!“, rief Lady Ripton aus, als Luke den Salon betrat. Sofort läutete sie nach frischem Tee und Gebäck.

Er küsste sie auf die Wange. „Ich komme doch nicht zu spät, oder?“ Sie hatte ihn eingeladen, sie am Vormittag zu besuchen, und es war schon kurz vor elf.

„Nein, aber ich habe mir natürlich Sorgen um dich gemacht. Diese schrecklichen Rennen! Ich verstehe einfach nicht, warum …“

„… warum aufdringliche Wichtigtuer dich mit Dingen belästigen, die dich nichts angehen“, fiel Luke ihr ins Wort. Verdammt! Er hatte sich solche Mühe gegeben, derartige Aktivitäten vor seiner Mutter geheim zu halten.

„Die mich nichts angehen? Mein Sohn, mein einziger Sohn, der Kopf und Kragen riskiert bei tollkühnen …“

„Meinem Kopf und meinem Kragen geht es ausgezeichnet, Mama. Ich entschuldige mich dafür, dass du dir völlig unnötig Sorgen gemacht hast“, entgegnete Luke steif. Und wenn er herausfand, wer da seiner Mutter gegenüber so geschwätzig gewesen war, würde Luke ihm an den Kragen gehen. „So, und worüber wolltest du nun mit mir sprechen?“

Als ob er das nicht gewusst hätte! Seine Mutter und seine Schwester kannten zurzeit nur ein Thema – Mollys bevorstehendes Debüt. Obwohl Luke ihr völlig freie Hand gelassen hatte, alles zu bestellen, was ihr gefiel, suchte seine Mutter immer noch seine Zustimmung für die von ihr ausgesuchten Arrangements. Das war ihre Art, ihn daran zu erinnern, dass er das Familienoberhaupt war. Wie sie wohl reagiert hätte, wenn er jemals selbst einen Vorschlag gemacht hätte?

Seine Mutter war Witwe, seit Luke zur Schule gegangen und Molly noch ein kleines Mädchen gewesen war. Seit seinem achtzehnten Lebensjahr war er dann im Krieg gewesen, und sie hatte es allein geschafft, seine beiden älteren Schwestern erfolgreich unter die Haube zu bringen. Sie war es gewohnt, zu kommandieren, doch wenn ihr das jemand gesagt hätte, wäre sie entsetzt gewesen. Denn das war eindeutig die Aufgabe eines Mannes.

Also vollzog sich jede Woche das gleiche Ritual: Seine Mutter unterrichtete ihn von ihren Plänen und den anfallenden Ausgaben, und Luke segnete das Ganze ab.

Er trank seinen Tee und hörte nur mit halbem Ohr zu. An diesem Tag interessierte er sich noch weniger als sonst für ihre Vorbereitungen. Er musste ihr von dem Brief in seiner Tasche erzählen.

Der würde ihr nicht gefallen.

„Was nun den Ball betrifft … Ich dachte mir, etwa vierzig Gäste vorher zum Dinner einzuladen. Molly und ich haben schon eine Liste aufgesetzt, aber es stellt sich natürlich die Frage, wen wir für dich einladen sollen. Ich meine natürlich nicht unsere lieben Freunde Rafe, Harry, Gabe und ihre Ehefrauen – die stehen selbstverständlich schon auf unserer Liste. Molly hat nie vergessen, wie ihr großen Jungen ihr damals als kleinem Mädchen versprochen habt, bei ihrem Debüt mit ihr zu tanzen. Ein Glück, dass ihr alle aus dem Krieg zurückgekehrt seid.“

Nicht alle, dachte Luke, aber seine Mutter hatte Michael auch nicht sehr gut gekannt.

„Gibt es irgendjemand Besonderen, den ich für dich einladen soll? Irgendeine ganz spezielle Dame?“, betonte sie feinfühlig.

„Lady Gosforth vielleicht?“ Das war die Großtante seiner Freunde.

Seine Mutter schlug ihm leicht auf die Hand. „Nimm mich nicht auf den Arm, Luke, du weißt ganz genau, was ich meine. Es ist zwei Jahre her, seit du den Titel deines Onkels geerbt hast, und es wird höchste Zeit für dich, einmal ernsthaft über eine Heirat nachzudenken.“

Aha. Das war sein Stichwort. Luke stellte die Teetasse ab. „Was das betrifft, so habe ich sogar sehr ernsthaft darüber nachgedacht.“ Verdammt ernsthaft, genau genommen.

Seine Mutter beugte sich eifrig nach vorn. „Du hast also eine Braut im Visier?“

„Mehr als das, ich habe sie so gut wie sicher an der Hand, könnte man sagen.“ Er schluckte. Es war viel schwieriger als gedacht, einzugestehen, was er getan hatte.

„So gut wie an der Hand? Ich verstehe nicht. Heißt das, du bist kurz davor, ihr einen Heiratsantrag zu machen?“

„Nein. Ich bin verheiratet.“

„Verheiratet?“ Seine Mutter erstarrte – ihre Hand mit der Teetasse begann zu zittern, die Tasse entglitt ihren Fingern und fiel klirrend auf den Tisch. Tee ergoss sich über die sorgfältig polierte Tischplatte, aber seine Mutter achtete nicht darauf. Lange Zeit sagte sie gar nichts, und als sie dann wieder sprach, bebte ihre Stimme. „Das kann nicht dein Ernst sein.“

„O doch, das ist mein Ernst.“ Er stand auf und ging hinüber zur Anrichte, wo eine Karaffe mit Sherry stand.

„Aber wann hast du denn geheiratet? Und wer ist das Mädchen? Und warum, um Gottes willen, warum?“

Er schenkte ihr ein Glas Sherry ein und überlegte, wie er seine Heirat im bestmöglichen Licht erscheinen lassen konnte. Das würde nicht einfach werden. Er war sich nicht sicher, ob es überhaupt ein bestmögliches Licht dafür gab.

Noch immer ganz schockiert, nahm sie ihm das Glas ab. „Sag mir nicht, sie ist so ein berechnendes Geschöpf, das dich hereingelegt …“

„Nichts dergleichen!“, erwiderte er schroff. „Halt mich nicht für dumm, Mama. Sie ist eine Dame, sehr ehrenwert, aus sehr guter Familie …“

„Eine Witwe“, vermutete seine Mutter mit dumpfer Stimme.

„Weit gefehlt. Sie ist jung, im gleichen Alter wie Molly, noch nicht einundzwanzig.“

Seine Mutter musterte ihn skeptisch und fragte sich sichtlich, wo der Haken an der Sache war. „Wie heißt sie? Aus welcher Familie stammt sie?“

„Ihr Name ist Isabella Mercedes Sanchez y Vaillant, und sie ist die einzige Tochter des Conde de Castillejo.“

Seine Mutter hob die Augenbrauen. „Sie ist Ausländerin?“

„Spanischer Adel.“ Ein stummer Tadel schwang in seiner Stimme mit.

„Flüchtlinge also.“ Sie seufzte. „Ich vermute, sie ist völlig verarmt.“

„Ganz im Gegenteil, sie ist die Erbin. Und sie ist auch kein Flüchtling.“

Seine Mutter sah verwirrt aus. „Ich habe nichts von einer spanischen Erbin gehört, die zu Besuch in London weilt. Wo hast du sie kennengelernt?“

„In Spanien, während des Krieges.“

„Während des Krieges?“ Seine Mutter zuckte zusammen. „Schon vor so langer Zeit? Was hat sie in all den Jahren denn gemacht?“

„Gestickt und für den Unterricht gelernt, nehme ich an.“

„Gestickt …“ Sie verstummte, sah ihn aus schmalen Augen an und fuhr dann würdevoll fort: „Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für Scherze, Luke. Warum habe ich sie noch nicht kennengelernt? Oder ihre Eltern? Und warum eine so heimliche Hochz…“

„Ihre Eltern sind tot. Und du hast sie aus dem triftigen Grund nicht kennengelernt, weil sie noch in Spanien ist.“

„In Spanien?“ Seine Mutter runzelte die Stirn. „Aber es ist Jahre her, seit du zuletzt in Spanien warst. Das verstehe ich nicht. Wie kannst du ein Mädchen geheiratet haben, das sich immer noch in Spanien aufhält?“

Luke blickte zur Seite. „Die Hochzeit hat schon vor einiger Zeit stattgefunden.“

Sie beugte sich vor, sichtlich erfüllt von einer düsteren Vorahnung. „Vor wie langer Zeit?“

„Im Frühling 1811.“

Sie rechnete nach. „Vor acht Jahren? Als du neunzehn warst?“ Sie starrte ihn verwirrt an. „Und in der ganzen Zeit hast du nie daran gedacht, mir das zu erzählen? Warum, Luke? Warum?“

„Ich hielt es damals für richtig so.“ Es war die einzige Erklärung, die er abzugeben bereit war.

Seine Mutter lehnte sich zurück, schloss die Augen, als wäre das alles zu viel für sie, und fächelte sich Luft zu, obwohl es nicht warm war. Immerhin war es erst März. „Gestickt?“ Sie öffnete abrupt die Augen und richtete sich ruckartig auf. „Wie alt war das Mädchen damals? 1811 war Molly erst …“

„Dreizehn. Und, ja, Isabella war fast dreizehn, als ich sie geheiratet habe.“

„Du hast ein Kind geheiratet?“ Ihre Stimme überschlug sich beinahe. „O Gott, der Skandal, wenn das bekannt wird!“

„Ich habe nicht vor, es publik zu machen.“

„Aber, Luke … dreizehn! Ein Kind! Wie konntest du nur?“ Sie sah ihn entsetzt an.

„Sei nicht albern, Mama“, erwiderte er scharf. „Natürlich habe ich sie niemals angerührt. Wofür hältst du mich?“ Da er merkte, wie verwirrt und betroffen sie immer noch war, fuhr er fort. „Ich habe sie geheiratet, um sie zu beschützen. Und dann habe ich sie in die Obhut ihrer Tante gegeben, die Nonne ist.“

Seine Mutter schüttelte resigniert den Kopf. „Auch noch katholisch. Das hätte ich mir denken können.“ Sie schwenkte ihr Sherryglas ein paarmal, leerte es und verkündete entschlossen: „Wir werden die Ehe annullieren lassen.“

„Nein, das werden wir nicht.“

„Aber du warst noch keine einundzwanzig und durftest laut Gesetz ohne die Einwilligung deiner Eltern gar nicht heiraten. Und wenn das Mädchen noch unberührt ist, steht einer Annullierung nichts im …“

„Nein.“

„Aber natürlich! Du wendest dich einfach an …“

„Mutter!“

Sie biss sich auf die Unterlippe und sank in sich zusammen.

„Ich habe bereits eine Annullierung beantragt. Der Antrag wurde abgelehnt.“

„Aus welchem Grund …?“

„Die Ehe ist rechtskräftig, Mutter“, teilte er in einem Tonfall mit, der keinen Widerspruch duldete. Luke hatte nicht vor, seiner Mutter oder sonst irgendeinem Menschen zu erklären, warum eine Annullierung nicht möglich war.

Sie sah ihn ungläubig an, erkannte aber, wie entschlossen er war. „Und was willst du nun tun?“

„Die Ehe akzeptieren, natürlich. Ich habe keine andere Wahl.“

„Und das Mädchen?“

„Hat auch keine andere Wahl.“

„Das habe ich mir schon gedacht, Luke, aber wie denkt sie darüber? Wie fühlt sie sich?“

Er warf ihr einen ausdruckslosen Blick zu. „Ich habe keine Ahnung. Es spielt keine Rolle, was sie denkt oder fühlt – die Ehe ist rechtskräftig und daran sind wir beide gebunden. Ich muss hoffentlich nicht ausdrücklich betonen, dass das unter uns bleibt, Mama.“

„Natürlich“, murmelte sie.

„Die Spanier sind arrangierte Ehen gewohnt, dies hier ist also nichts Ungewöhnliches. Außerdem ist sie im Kloster aufgewachsen.“

Seine Mutter schaute verwirrt. „Was hat denn das damit zu tun?“

„Sie wird gelernt haben, zu gehorchen“, erklärte Luke. „Nonnen weihen ihr Leben der Armut, der Keuschheit und dem Gehorsam.“

Seine Mutter blinzelte. „Ich verstehe“, erwiderte sie matt.

„So, das war es. Ich muss jetzt gehen.“

„Luke Ripton, wage es nicht, diesen Raum zu verlassen, ehe du mir nicht alles zu Ende erklärt hast!“

Luke zog eine Braue hoch. „Ich habe dir alles gesagt, was du wissen musst.“

Sie verdrehte die Augen. „Typisch Mann!“

Das klang wie ein Vorwurf, auf den er sich aber keinen Reim machen konnte; was sollte er denn anderes sein als ein Mann? Seine Mutter schien jedoch eindeutig das Bedürfnis zu haben, die Geschichte noch einmal genauer zu erörtern. Widerstrebend setzte er sich wieder.

„Warum hast du mir nicht früher von dieser Ehe erzählt?“

„Ich dachte, das sei nicht von Bedeutung.“ Er hatte gedacht, er würde sowieso bald ums Leben kommen. Oder die Ehe ließe sich annullieren.

„Nicht von Bedeutung?“ Sie starrte ihn mit weit offenem Mund an. Das kannte er von ihr nicht.

„Es war Krieg, Mama. Alles Mögliche hätte uns zustoßen können. Ihr. Mir.“ Er zuckte mit den Achseln. „Aber dazu ist es ja nicht gekommen.“ Sie schloss den Mund, öffnete ihn dann wieder, doch Luke fuhr hastig fort. „Für den Fall meines Todes hatte ich die notwendigen Vorkehrungen getroffen. Alle wären gut versorgt gewesen, du hattest also nichts zu befürchten.“

Sie sah ihn eine Weile schweigend an. „Nur den Verlust meines Sohnes.“

Wieder zuckte er mit den Achseln. „Aber es ist ja nichts passiert. Und was die Reaktion der Gesellschaft auf die Neuigkeit meiner Heirat betrifft, so werde ich es so darstellen, als reiste ich aus einem anderen Grund nach Spanien …“

„Um deine spanischen Besitztümer aufzusuchen? Die du immer vernachlässigt hast.“

Er erstarrte. Dieser Vorwurf behagte ihm nicht, obwohl etwas Wahres dran war. Er hatte vorgehabt, die spanischen Besitztümer zu verkaufen, nichts wollte er mehr mit ihnen zu tun haben. Er wünschte keine Erinnerungen an seine Zeit in Spanien. Er hasste das Land; allein der Gedanke, dorthin zurückzukehren, machte ihn krank.

Doch das Schicksal hatte ihn erneut gebeutelt. Die Annullierung war abgelehnt worden, und nun blieb ihm nichts anderes übrig, als noch einmal in dieses verfluchte Land zu reisen, in das er nie wieder einen Fuß hatte setzen wollen und in dem Erinnerungen geweckt wurden, die er verzweifelt zu vergessen versucht hatte.

„Ja, wegen der spanischen Besitztümer, wenn du so willst. Und dann kehre ich eben mit einer spanischen Braut zurück.“

„So könnte es gehen“, stimmte seine Mutter zu. „Aber … ach, Luke, das alles macht mich so traurig. Ich hatte immer gehofft, du würdest irgendwann ein reizendes Mädchen finden, das …“

„Eine Vernunftehe kommt mir sehr gelegen“, unterbrach er sie schroff. „So, möchtest du noch etwas wissen, bevor ich gehe?“ Es hatte keinen Sinn, seine Mutter noch länger in dem Traum schwelgen zu lassen, er würde eines Tages ein ähnliches Eheglück finden wie sie und sein Vater. Das waren ihre Träume, nicht seine.

Seine Träume … Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken. Je weniger er darüber sprach, desto besser.

„Ist sie wenigstens hübsch?“

Er dachte an das letzte Mal, als er Isabella gesehen hatte – an ihr verschwollenes, mit blauen Flecken übersätes Gesicht, an ihre knochige Gestalt und die viel zu große Nase, wie ein Vogeljunges sah sie aus, frisch geschlüpft und hässlich. „Sie war kaum dreizehn, Mama. In den letzten acht Jahren hat sie sich bestimmt verändert.“

Seine Mutter merkte, dass er ihrer Frage auswich. „Werde ich sie mögen?“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte er hilflos. „Ich habe sie gerade mal einen Tag gekannt, und das unter außergewöhnlichen Umständen. Wer weiß, wie sie jetzt ist? So, und nun muss ich aber wirklich gehen …“

„Eins noch.“

Er wartete. Angespannte Stille trat ein. Seine Mutter schien sich innerlich zu winden, sie zerknüllte ein Taschentuch zwischen den Fingern.

„Luke, mir ist klar, du sprichst nicht gern über … über … Ich habe deine Privatsphäre auch immer respektiert, das weißt du, aber jetzt muss ich dich das fragen. War das die Sache, die dir in Spanien passiert ist und über die du nie sprechen willst?“

Er erstarrte und wandte den Blick ab. „Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Nur, weil du es nicht einräumen willst, heißt das noch lange nicht, dass deine Mutter dir nicht anmerkt, dass dir in Spanien etwas Schreckliches widerfahren ist“, erwiderte sie sanft.

„Ich war im Krieg, Mama“, gab er mit harter Stimme zurück. „Der Krieg verändert die Menschen.“

„Ich weiß“, sagte sie leise. „Ich habe es bei allen von euch Jungen gespürt. Ihr kamt alle verändert zurück. Aber bei dir, mein geliebter Sohn, war es mehr; es war etwas sehr Persönliches, und diese Wunden saßen viel tiefer.“

Beinahe wäre er bei ihren Worten zusammengezuckt. Sie kann es nicht wissen, sagte er sich. Niemand wusste davon. Er hatte mit niemandem darüber gesprochen, nicht einmal mit Rafe, Harry oder Gabe.

„Ich habe miterlebt, wie deine Freunde sich erholten und sesshaft wurden, einer nach dem anderen, nur du nicht. Was immer es war, es quält dich bis heute.“

Er zwang sich zu einem unbefangenen Tonfall. „Nun, was auch immer mich deiner Meinung nach quält, diese Ehe ist es jedenfalls nicht. Ehrlich gesagt, ich habe bisher kaum einen Gedanken daran verschwendet. Sie war einfach nur ein junges Mädchen in Mollys Alter, das in Not war. Indem ich sie geheiratet habe, konnte ich ihr ein schreckliches Schicksal ersparen. Ich dachte, wir könnten die Ehe später annullieren lassen, aber …“ Er hob schicksalsergeben die Hände. Ehe seine Mutter weiter auf dem Thema beharren konnte, erhob er sich. „Ich habe mit Isabellas Tante korrespondiert – die Nonne, wie du dich erinnerst – und ihr mitgeteilt, dass ich Isabella so bald wie möglich abholen werde. Ich breche morgen nach Spanien auf.“

„Morgen?“ Sie setzte sich kerzengerade auf und war, wie er erwartet hatte, schlagartig abgelenkt. „Aber Mollys Ball findet in drei Wochen statt!“

„Bis dahin bin ich wieder hier“, versicherte er. „Ich habe Molly versprochen, während ihres Debüts mit ihr zu tanzen, als ich in den Krieg zog, und dann noch einmal, bevor ich nach Waterloo ging. Es besteht nicht die Gefahr, dass ich mein Versprechen nicht halten kann. Ich habe genug Zeit, um zum Kloster der Engel zu reisen und pünktlich wieder zurückzukehren. Außerdem werde ich Rafe und Harry über meinen Plan in Kenntnis setzen, sodass sie dir zur Seite stehen, falls du einen männlichen Rat oder Hilfe benötigst.“

Seine Mutter winkte ungeduldig ab. „Und was ist, wenn du aufgehalten wirst?“

Er küsste sie leicht auf die Wange. „Ich habe alle Steine überlebt, die Bonaparte mir in den Weg gelegt hat, Mama. Was könnte mich jetzt noch aufhalten?“

Vom Haus seiner Mutter fuhr Luke geradewegs zum Apocalypse Club in St. James. Er war kurz nach der Schlacht von Waterloo gegründet worden und sprach in erster Linie junge Offiziere an, die im Krieg gedient hatten. Es handelte sich um ein kleines diskretes Etablissement, in dem Luke und seine Freunde sich sehr wohlfühlten. Anders als Nichtmitglieder es vermuteten, gab es hier nur ein Thema, über das fast nie gesprochen wurde, und das war der Krieg.

An diesem Abend würde es anders sein.

Luke fand Rafe und Harry in einem der Salons; die beiden saßen entspannt zurückgelehnt in dick gepolsterten Ledersesseln, tranken Brandy und streckten die Beine dem Feuer im Kamin entgegen – ein Bild typisch männlicher Zufriedenheit.

Wie schafften sie das nur? Luke litt immer noch unter ständiger Ruhelosigkeit, obwohl der Krieg schon seit Jahren zu Ende war. Seit vier langen Jahren.

Rafe erhob sich. „Das wurde aber auch Zeit, dass du kommst.“

Harry stellte seinen Brandy ab, erhob sich, hieb Luke freundschaftlich auf den Arm und wies mit dem Kopf zum Speisesaal hinüber. „Los, komm! Der Duft von Steaks und Nierenpastetchen lockt mich schon seit gut zwanzig Minuten.“

„Dazu habe ich keine Zeit“, wehrte Luke ab. „Ich reise morgen früh nach Spanien.“

„Nach Spanien?“ Seine beiden Freunde sahen ihn verblüfft an.

„Du hast doch geschworen, keinen Fuß mehr in dieses Land zu setzen!“, erinnerte Rafe ihn.

Luke zuckte mit den Achseln. „Ich habe keine andere Wahl. Setzt euch, ich erkläre es euch.“

Er erzählte ihnen die Geschichte, aber nur in ganz groben Zügen – die Umstände, die zu dieser Heirat geführt hatten, gingen nur ihn und Isabella etwas an, und nicht einmal diese beiden hier, seine engsten Freunde, brauchten die schmutzigen Details zu erfahren.

„Du warst die ganze Zeit verheiratet?“ Rafe konnte es nicht fassen. „Und du hast uns gegenüber nie ein Wort darüber verloren? Ich glaube es einfach nicht!“ Er lehnte sich zurück und sah Luke mit seinen leuchtend blauen Augen eindringlich an.

„Es ist aber so“, versicherte Luke. „Ich hatte einen Einsatz in den Bergen und traf sie auf dem Rückweg zum Hauptquartier. Es war …“, er schluckte. „Ich habe sie zu ihrem Schutz geheiratet. Es war … Ihr wisst ja, was passieren kann.“

„Du meinst, du wurdest zu dieser Heirat überlistet? Wir waren ja alle noch Grünschnäbel damals.“

Luke schüttelte den Kopf. „Nein, ich wurde ganz und gar nicht überlistet. Die Heirat war meine Idee.“

„Und wo ist diese Isabella jetzt?“, wollte Rafe nach einer Weile wissen.

„Wo ich sie zurückgelassen habe. Im Kloster. In Spanien.“

„In einem Kloster?“

„Großer Gott, sie ist doch keine Nonne, oder?“, fragte Harry.

„Nein, verdammt, sie ist keine Nonne“, erwiderte Luke gereizt. Er hatte genug von all den Fragen, obwohl ihm klar war, dass sie durchaus berechtigt waren. Die Fragerei seiner Mutter hatte ihm gereicht.

„Weiß deine Mutter davon?“, erkundigte Rafe sich prompt. „Nein, natürlich nicht, sonst hätte sie nicht die ganzen letzten Jahre damit verbracht, dir unzählige Debütantinnen zu präsentieren.“ Er schüttelte den Kopf. „Das erklärt, warum du nie einen Blick für die hübschesten Mädchen der Gesellschaft übrig gehabt hast.“

Luke verzog das Gesicht. „Ich hätte nie eins von diesen Mädchen heiraten können. Das waren ja noch Kinder!“

Rafe schnaubte. „Im Gegensatz zu deiner reifen dreizehnjährigen Braut!“

„Sie war genauso alt wie Molly, Rafe!“, fuhr Luke ihn an. „Hättest du sie etwa schutzlos in den Bergen zurückgelassen?“

Rafe kannte Molly, seit Luke den damals einsamen Schuljungen mit nach Hause gebracht hatte. Das pausbäckige Baby Molly hatte ihn vom ersten Moment an angebetet. Rafe schwieg.

„Und warum hast du sie in Spanien zurückgelassen?“, fragte Harry. „Warum hast du sie nicht nach Hause zu deiner Mutter geschickt?“

„Weil es keine Ehe auf Dauer sein sollte“, erwiderte Luke unwirsch. „Es war nur als vorübergehende Maßnahme gedacht. Ich … Wir dachten, die Ehe könnte später wieder annulliert werden. Und außerdem …“ Er verstummte.

Harry schwenkte bedächtig den Brandy in seinem Glas. „Außerdem dachtest du, dass du vorher ums Leben kommen würdest.“ Er warf Rafe einen Blick zu. „Wir wissen noch, in welchem Zustand du nach Michaels Tod warst.“

Das Feuer knisterte und knackte im Kamin.

„Ich habe sie vor Michaels Tod geheiratet“, sagte Luke.

In der Ferne konnten sie das Klirren von Geschirr und Besteck hören. Michael war der Fröhlichste von ihnen allen gewesen, intelligent, unkompliziert, jedermanns Liebling.

Luke zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren. „Ich habe meiner Mutter heute von Isabella erzählt. Sie ist nicht gerade glücklich, dass ich so kurz vor Mollys Debüt das Land verlasse …“

„Das überrascht mich nicht …“, fing Rafe an.

„… daher bot ich ihr an, sie könne sich an dich wenden, wenn sie und Molly Rat und Hilfe brauchen. Sie auf Gesellschaften begleiten, zum Einkaufen – solche Dinge eben.“

Rafe gab sich alle Mühe, sich nichts von seinem Entsetzen anmerken zu lassen. „Eh … es ist mir natürlich ein Vergnügen, Lady Ripton beistehen zu können.“

Harry lachte schallend auf. „Hast du nicht gehört, wie vergnüglich Rafe die Vorbereitungen für Ayishas erste Saison in London fand? Endlose Debatten über Seide, Spitzen, Häubchen …“ Er wedelte mit der Hand. „Rafe, mein Junge, du wirst ganz in deinem Element sein!“

Rafe bedachte Harry mit einem finsteren Blick. „Du und Nell, ihr hättet Ayisha nie Lady Gosforth vorstellen dürfen. Einkaufen ist der Lebensinhalt dieser Frau! Sie hat sogar meine vernünftige Ayisha damit angesteckt.“

Harry grinste. „Eine Naturgewalt, diese Tante Gosforth.“

„Natürlich bezog sich mein Angebot auch auf dich, Harry“, verkündete Luke sanft. „Du weißt doch, wie sehr meine Mutter an dir hängt.“

Harrys Grinsen erstarb. „Verdammt! Du weißt, dass ich mich nicht gut auf all diesen gesellschaftlichen Kram verstehe.“

„Und doch wirst du ihr helfen.“ Das war keine Frage. Er wusste, dass sie es tun würden.

Seine Freunde seufzten und nickten. Rafe füllte ihre Gläser nach. „Du weißt, es wird viel Gerede über diese Ehe geben“, bemerkte er. „Es könnte unangenehm werden. Dir ist klar, dass man Wetten darauf abschließt, wer von euch zuerst heiratet, du oder Marcus.“

Luke verzog das Gesicht. „Ich weiß. Es wäre gut, wenn ihr es so darstellt, als wäre ich in einer wichtigen Angelegenheit auf meinem Besitz in Spanien. Mein Onkel besaß Weinberge im Süden des Landes, falls ihr euch erinnert. Kein Wort über irgendeine Braut, nur geschäftliche Angelegenheiten.“

„Ausgezeichnet“, stimmte Rafe zu. „Wenn du dann mit einer hold errötenden Braut am Arm aus Spanien zurückkehrst, werden alle denken, ihr wärt euch begegnet, hättet euch Hals über Kopf ineinander verliebt und innerhalb von ein, zwei Wochen geheiratet.“

„Soll die gehobene Gesellschaft doch klatschen über diese Blitzhochzeit.“ Harry nickte. „Darauf trinke ich.“

Sie hoben ihre Gläser.

Nach einer Weile meinte Rafe: „Weißt du, ich glaube, wenn du eine spanische Braut mit nach Hause bringst, wird ihr hier jede Frau im heiratsfähigen Alter die Augen auskratzen wollen. Ich hoffe, sie ist atemberaubend hübsch.“

Luke nahm einen Schluck von seinem Brandy. „Das ist sie nicht. Aber sie ist ein tapferes kleines Geschöpf. Sie wird schon zurechtkommen.“

Lukes Mutter fand lange keinen Schlaf. Ihr Sohn hatte immer streunende und verletzte Wesen mit nach Hause gebracht; von dem ersten Vogel, den er mit einem gebrochenen Flügel gefunden hatte, angefangen bis zu Jungen aus der Schule wie Harry und Gabe, die keine eigene Familie hatten, oder Rafe, dessen Vater ihn nicht akzeptierte und ihn das spüren ließ.

Es war eine Sache, den eigenen Sohn wegen seiner Hilfsbereitschaft und Güte verletzten und benachteiligten Kreaturen gegenüber zu lieben, aber eine ganz andere, ihn durch die Ehe an ein solches Geschöpf gebunden zu sehen.

In den letzten vier Jahren hatte sie beobachtet, wie die jungen Damen der Gesellschaft Luke verführerisch angelächelt und mit ihm kokettiert hatten; sie hatten nur Augen für sein hübsches Gesicht und, nachdem sein Onkel gestorben war, seinen Titel gehabt. Es hatte sie nicht weiter beunruhigt, dass Luke nur wenig Interesse an ihnen gezeigt hatte. Die meisten waren oberflächliche Geschöpfe, die ihren geliebten einzigen Sohn gar nicht verdienten.

In diesem Jahr war sie sich sicher gewesen, dass sie ein paar sehr hübsche Mädchen mit Charakter entdeckt hatte, die Art von Mädchen, die Luke um seiner selbst lieben würden.

Nun war das alles hinfällig geworden.

Sie griff nach der heißen Milch, die sie sich hatte kommen lassen, doch die war inzwischen kalt geworden und eine eklige Haut hatte sich darauf gebildet. Sie schob das Glas zur Seite. Ihr Bett fühlte sich kälter und leerer an denn je. Sie hatte nie aufgehört, Lukes Vater zu vermissen, nie aufgehört, nachts die Hand nach ihm auszustrecken, und immer war sie morgens allein aufgewacht. Die Liebe ihres Lebens. Eigentlich hatte sie keinen Grund, sich zu beklagen, schließlich hatten sie zwanzig sehr glückliche Jahre miteinander verbracht.

Genau das wünschte sie sich auch für Luke, für jedes einzelne ihrer Kinder. Eine Liebe, die ein ganzes Leben lang währte.

Sie zog die Decke hoch und versuchte zu schlafen.

Luke und seine Freunde waren niedergeschlagen und resigniert aus dem Krieg zurückgekehrt, gleichzeitig aber waren sie auch erfüllt von einer Ruhelosigkeit, die sie immer wieder in die waghalsigsten Unternehmungen trieb. Waghalsig genug, um das Haar einer Mutter weiß werden zu lassen.

O ja, Luke hatte versucht, all das vor ihr zu verheimlichen. Er achtete streng darauf, nie etwas vor ihren Augen zu tun, das sie beunruhigen könnte. Trotzdem hatte sie davon gehört.

Lukes Vater war als junger Mann genauso wild gewesen, deshalb hatte sie sich bemüht, Geduld mit Luke und seinen Freunden zu haben. Und wenn Luke und Rafe sich diese schrecklichen, haarsträubend schnellen Kutschenrennen lieferten, dann sagte sie sich, sie sollte lieber dankbar sein, dass sie heil aus dem Krieg zurückgekehrt waren. Auch wenn sie es anscheinend darauf anlegten, sich nun zu Hause das Genick zu brechen.

Doch Lukes Freunde hatten einer nach dem anderen geheiratet und, ach, es hatte ihr so gutgetan, mit anzusehen, wie die einst so einsamen, ungeliebten Jungen zu Männern herangewachsen waren und sich in Frauen verliebt hatten, die ihre Ehemänner vergötterten. Sie hatte beobachtet, wie eine tiefe innere Sicherheit und echtes Glück die Ruhelosigkeit vertrieben hatten.

Sie hatte sich so verzweifelt gewünscht, ihr Sohn würde das Gleiche finden.

Vor acht Jahren jedoch hatte ihn eine gute Tat für immer an ein fremdes Mädchen aus dem Ausland gebunden; ein Mädchen, das ebenso wenig mit ihm verheiratet sein wollte wie er mit ihr.

Seiner Mutter, aber vielleicht auch dem fremden Mädchen zuliebe hatte er gute Miene zum bösen Spiel gemacht, doch es war genau so wie mit diesen Kutschenrennen. Sie wusste, dass er ihr nicht die ganze Geschichte erzählt hatte.

Sie hatte die größten Bedenken, was diese Heirat betraf. Irgendetwas Schreckliches war Luke in Spanien zugestoßen, als er ein junger Lieutenant gewesen war. Seine Behauptung, das hätte nichts mit diesem Mädchen zu tun gehabt, überzeugte sie nicht.

Ihr Sohn verstand sich sehr gut darauf, seine Gefühle zu verbergen. Luke würde immer dafür sorgen, dass niemand – weder seine Mutter noch seine Schwestern, noch nicht einmal seine Freunde – irgendeinen Verdacht schöpfte. Er war edelmütig bis ins Mark und stolz, genau wie sein Vater. Lieber würde er sterben als zuzugeben, dass dieses fremde Mädchen ihn – bewusst oder unbewusst – in eine lieblose Ehe getrieben hatte. Und dass er verzweifelt unglücklich war.

Lady Ripton grämte sich zutiefst.

2. Kapitel

Spanien, 1811

Die Geschichte spielte sich ganz unerwartet ab, keiner hätte je damit rechnen können. Luke hatte Ausschau nach dem Feind gehalten – nach Franzosen –, aber auch nach spanischen guerrilleros und Banditen, denn in den Bergen wimmelte es nur so von ihnen, und manchmal konnte Luke sie nicht auseinanderhalten. Die Engländer und die guerrilleros waren Verbündete, doch ein einzelner Mann zu Pferd war eine leichte Beute für verzweifelte Männer, und auch von denen gab es viele in den Bergen.

Das, was kommen sollte, kündigte sich an in Form eines Schreis. Hoch und schrill. Der Schrei einer Frau, vielleicht eines Mädchens. Luke Ripton, vor Kurzem ernannter Lieutenant in der Armee Seiner Majestät, zögerte. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Frau als Köder eingesetzt wurde, um ihn in eine Falle zu locken, aber er hatte seine Mission bereits erfüllt. Weder hatte er Geheimbotschaften noch Gold bei sich.

Wieder ertönte der Schrei, gellend und er klang nach Todesangst. Luke trieb sein Pferd den steilen, mit Buchen und Kiefern bewachsenen Abhang hinunter, geradewegs auf das Geräusch zu. Durch eine Lücke zwischen den Bäumen sah er einen kräftigen, untersetzten Mann, der sich über ein kleines, dünnes weibliches Wesen beugte. Es war an Händen und Füßen gefesselt, zappelte und wand sich wie ein Fisch am Haken.

Luke zog seine Pistole, doch durch die Bäume konnte er nicht richtig zielen. Er wollte auf keinen Fall das Mädchen treffen, also ritt er weiter auf die beiden zu.

Der Mann öffnete seine Hose und stürzte sich auf das Mädchen, das die gefesselten Hände zu Fäusten ballte und ihrem Peiniger damit einen harten Schlag auf die Nase versetzte. Der schrie auf, taumelte nach hinten und schlug sich die Hände vors Gesicht; als er sie wieder fortnahm, waren sie rot von Blut. Wütend packte er die Handgelenke des Mädchens und wollte es festhalten, aber sie biss ihn in die Hand. Fluchend schlug er ihr mit dem Handrücken ins Gesicht.

Blutend und benommen sank das Mädchen zu Boden, und der Mann warf sich auf den kraftlosen, schmalen Körper.

Brüllend sprang Luke vom Pferd und rannte los. Es kam ihm vor, als käme er nur quälend langsam voran. Der Angreifer schien so mit seinem Opfer beschäftigt zu sein, dass er ihn gar nicht hörte. Mit einem Satz stürzte Luke sich auf ihn, packte ihn am Kragen und zerrte ihn mit aller Kraft von dem Mädchen weg. Der Mann landete im Staub, kam mit einer Pistole in der Hand wieder auf die Beine und schoss unvermittelt auf Luke.

Luke spürte einen brennenden Schmerz an seinem Hals, als hätte man ihn mit einem glühenden Schürhaken versengt. Der Mann stürmte auf ihn zu. Luke schoss.

Der andere zuckte zusammen, als wäre er getroffen worden, blieb aber stehen. „Die Juwelen sind nicht mehr da“, grollte er heiser in einem Dialekt, den Luke nur mit Mühe verstand. „Und das Mädchen gehört mir.“ Er trug die schäbigen Überreste einer Uniform. Seine Nase blutete heftig, und auf seinen Wangen zeichneten sich frische Kratzspuren ab.

Ein Deserteur, dachte Luke. Ein Mann, der nichts mehr zu verlieren hatte. „Ich interessiere mich nicht für die Juwelen“, erwiderte Luke auf Spanisch. Aus den Augenwinkeln sah er, wie das Mädchen an seinen Fesseln zerrte. „Nur für das Mädchen.“

„Für dieses magere kleine Luder willst du sterben?“ Der Mann zog mit einer Hand seine Hose hoch und blickte suchend über die Lichtung.

Luke wusste genau, was er dachte. Ein Pferd. Ein Mann. Ein leichtes Spiel. Der Mann war älter, zäher und bösartiger als Luke. Lukes andere Pistole befand sich in seiner Satteltasche. Trotzdem wich Luke nicht zurück. Er stellte sich zwischen den Mann und das Mädchen und bereitete sich auf den Kampf vor.

„Also los!“ Der Deserteur ließ die Pistole mit dem offensichtlich leer geschossenen Magazin fallen und zog ein tödlich aussehendes Messer. Er entblößte seine gelben Zahnstummel, lächelte hinterhältig und stürzte sich auf Luke.

Die Messerklinge blitzte auf im Sonnenlicht, und Luke wich instinktiv zur Seite. Die Klinge verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Von der Seite trat Luke dem Mann mit aller Kraft gegen das Knie. Eigentlich hätte es brechen müssen, doch der Mann taumelte nur kurz und ging wieder mit dem Messer auf Luke los.

Luke hob blitzschnell eine Handvoll Erde auf und warf sie dem Mann ins Gesicht. Gleichzeitig schlug er ihm mit der Handkante auf die Kehle. Der Deserteur gab ein würgendes Geräusch von sich und zielte mit dem Messer auf Lukes Gesicht. Luke hieb mit der Faust auf das Handgelenk des anderen und versuchte, ihm das Messer zu entwinden. Eine Weile rangen sie verzweifelt miteinander, und die Klinge näherte sich Lukes Kehle. Luke kämpfte dagegen an, bis er glaubte, seine Sehnen müssten vor Anstrengung reißen. Das Gesicht des Mannes war nur wenige Zentimeter entfernt; er stank und sein Atem roch faulig.

Abrupt lockerte der Deserteur seinen Griff, als gäbe er sich geschlagen, dann drehte er plötzlich das Handgelenk, um zuzustechen. Doch Luke kannte diesen Trick. Er ging leicht in die Knie, brachte damit seinen Feind aus dem Gleichgewicht und rammte ihm dessen eigenes Messer in den Leib.

Innerhalb einer Sekunde war alles vorbei. Der Mann keuchte auf und sackte langsam zu Boden. Fassungslosigkeit und Ungläubigkeit spiegelten sich in seinen Augen wider, auch dann noch, als sie allmählich zu brechen begannen. Schützend krümmte er den Leib um das Messer, sein eigenes Messer, das tief in seinen Eingeweiden steckte.

Luke trat einen Schritt zurück, seine Lungen schmerzten. Einen Moment lang beobachtete er ihn, dann wandte er dem sterbenden Mann den Rücken zu.

Das Mädchen sah, wie Luke sich zu ihm umdrehte und zerrte noch heftiger an seinen Fesseln. Sie war schmutzig und fast nackt, die Wirbelsäule und die Rippen zeichneten sich deutlich auf dem mageren kleinen Körper ab.

„Hab keine Angst“, sagte Luke auf Spanisch. „Niemand wird dir mehr etwas tun, kleine señorita.“

Über die Schulter hinweg starrte sie ihn wütend mit Augen voller Panik an und riss weiter an ihren Fesseln, obwohl sie ihr dabei tief ins Fleisch schneiden mussten. Luke drehte sich das Herz im Leibe um, das Mädchen war wirklich noch ein Kind.

„Hör auf, Kleines, du tust dir nur noch mehr weh.“ Luke zog seine Jacke aus und hängte sie ihr um, um ihre Blöße notdürftig zu verhüllen. Sie zögerte, ihre goldbraunen Augen musterten ihn trotzig und argwöhnisch.

„Alles ist gut“, fuhr Luke sanft fort. „Ich werde dir nichts tun.“ Er kauerte sich vor sie, zog sein Messer hervor und streckte die Hände nach ihren gefesselten Füßen aus. Sofort hob sie abwehrbereit die Hände und krümmte die Finger zu Krallen. Ihre Fingernägel waren abgebrochen und blutig. „Ganz ruhig, niña. Hab keine Angst.“ Er sprach im gleichen Tonfall, mit dem er ein schreckhaftes Pferd beruhigte. „Ich schneide nur deine Fesseln durch.“

Sie blickte zur Seite, und Luke sah den blutverschmierten Stein, der neben ihr auf der Erde lag.

Er lächelte. „Damit hast du dem Unhold also die Nase eingeschlagen? Kluges Mädchen. So, und nun wollen wir zusehen, dass wir dich befreien.“ Mit ruhigen, bedächtigen Bewegungen schnitt er die Lumpen durch, mit denen ihre Füße gefesselt waren. „Und jetzt deine Hände.“ Zögernd streckte sie sie ihm entgegen, und er durchtrennte auch diese Fessel.

Sofort wickelte die Kleine sich in seine Jacke, um ihre Nacktheit vor ihm zu verbergen. Ihr magerer Körper war der eines Kindes und wies noch keinerlei weibliche Formen auf. Unter der Schmutzschicht auf ihrer Haut waren Blutergüsse, Kratzer, Schnitte und frisches Blut zu erkennen. Ihre noch nicht entwickelten Brüste, ihr Bauch und ihre Oberschenkel waren ebenfalls zerkratzt und blutverschmiert.

Sein Herzschlag stockte. War er zu spät gekommen?

Mühsam stand sie auf, die schmutzigen Finger fest um den blutigen Stein geschlossen. Mit der anderen Hand knöpfte sie sich seine Jacke zu, während ihr Blick zwischen ihrem Angreifer und Luke hin und her huschte.

„Er ist tot“, erklärte Luke still. „Ich habe ihn umgebracht. Du bist jetzt in Sicherheit, niña. Es ist vorbei.“

Ihre Augen waren riesig und goldbraun wie die eines wilden kleinen Falken; eine Gesichtshälfte war blau unterlaufen und schwoll bereits an, ihre Lippen waren aufgeplatzt und bluteten immer noch leicht.

Sie war herzzerreißend jung, vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt. Im gleichen Alter also wie Lukes jüngste Schwester Molly. Aber es lagen Welten zwischen seiner glücklichen, behüteten kleinen Schwester und diesem grimmigen, übel zugerichteten Kind.

Lukes Kehle war wie zugeschnürt. Der Krieg war kein Ort für kleine Mädchen. „Du bist jetzt in Sicherheit“, wiederholte er, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Er hatte keine Ahnung, ob sie ihn überhaupt verstand. Sie sah aus wie eine Spanierin, konnte aber auch genauso gut Baskin sein. Oder sogar Französin, dachte er. Bislang hatte sie kein Wort gesprochen.

Er wiederholte auf Französisch, dass sie in Sicherheit war und er ihr nichts tun würde. Ihre Augen flammten hasserfüllt auf beim Klang dieser Sprache – sie war also doch Spanierin –, und so fügte er hinzu: „Ich bin Engländer, ich tue dir nichts.“ Er konnte kein Baskisch, daher blieb er beim Spanischen.

Lange Zeit herrschte Stille, dann fing sie plötzlich heftig an zu zittern.

Instinktiv streckte er die Arme aus, um sie an sich zu ziehen, doch sie wich zurück und hob die Faust mit dem Stein.

Er machte ein paar Schritte zurück und hielt die Handflächen hoch. „Entschuldige. Ich wollte dich einfach nur trösten.“

Die goldbraunen Augen waren voller Zweifel.

„Du bist genauso alt wie meine kleine Schwester“, sagte Luke hilflos und ärgerte sich sofort über sich selbst. Warum sollte sie sich für seine Schwester interessieren?

Er war fast zwanzig Jahre alt, ein erwachsener Mann, ein Offizier – und doch hatte er zum ersten Mal in seinem Leben keine Ahnung, was er tun sollte. Er war den Umgang mit Frauen gewohnt, und da er mit drei Schwestern aufgewachsen war, hatte er stets geglaubt, das weibliche Geschlecht ziemlich gut zu verstehen. Doch in solch einer Situation hatte er sich noch nie zuvor befunden.

Er wünschte, seine Mutter wäre hier gewesen. Sie hätte gewusst, was nun zu tun war und wie man das Mädchen trösten konnte. Selbst seine beiden herrischen älteren Schwestern, Susan und Meg, wären ihm jetzt willkommen gewesen. Sie waren beide schon verheiratet, Molly natürlich nicht. Nicht seine kleine Schwester, die im kommenden Monat dreizehn wurde.

Er betete zu Gott, dass Molly niemals erfahren musste, wie viel Böses es auf der Welt gab.

Die Beine des Mädchens ragten lang, mager und ungebührlich nackt unter seiner Jacke hervor. Mit einer Hand versuchte es, die Jacke weiter nach unten zu ziehen, in der anderen hielt es noch immer den Stein.

Luke kehrte der Kleinen den Rücken zu und machte sich daran, ihre Kleidung einzusammeln, die auf der Lichtung verstreut war. Er hob einen langen Rock auf, der offenbar zu einem Reitkostüm gehörte. Er war völlig zerfetzt. Dann fand Luke eine kurze braune Jacke, wunderhübsch geschnitten und von sehr guter Qualität. Auch sie war jetzt völlig ruiniert. Jedes einzelne Teil ihrer Kleidung war zerfetzt. Das Schwein musste ihr die Kleider förmlich vom Leib gerissen haben. Aber warum hatte er die Sachen dann auch noch in Fetzen geschnitten?

„Sie werden keine Juwelen finden“, ertönte eine kleine heisere Stimme hinter ihm.

Die Juwelen sind nicht mehr da.

„Ich weiß nichts von irgendwelchen Juwelen“, teilte Luke ihr mit. „Ich wollte dir nur deine Sachen bringen. Nimm mein Hemd, es ist lang – länger als die Jacke – und wird dich ordentlich bedecken. Ich habe es heute Morgen sauber angezogen.“ Er zog sich das Hemd aus und warf es ihr zu.

Sie machte keine Anstalten, es aufzufangen, sodass es vor ihren Füßen auf den Boden fiel. Ihre Augen schienen zu glühen.

Sie brauchte eindeutig noch etwas Zeit, um sich zu beruhigen. „Kümmere dich jetzt erst einmal um dich selbst, chiquita.“ Er nickte in die Richtung des dahinplätschernden Baches am Rande der Lichtung. „Während du dir das Blut und den Schmutz abwäschst, werde ich dieses Schwein hier begraben. Danach unterhalten wir uns.“

Er pfiff und augenblicklich erschien sein Pferd Brutus. Luke hatte in der Satteltasche immer einen kleinen Spaten dabei; er war hilfreich bei Bränden, aber auch, wenn in regnerischen Nächten Gräben um das Zelt herum ausgehoben werden mussten.

Aus den Augenwinkeln bemerkte Luke, wie das Mädchen sein Hemd aufhob und sich über den anderen Mann beugte. Vermutlich wollte es sich vergewissern, dass er wirklich tot war. Luke konnte es ihr nicht verübeln.

Er fand eine Wasserfurche am entgegengesetzten Ende der Lichtung und fing an, sie auszuschaufeln; das Loch musste breit und tief genug werden, um einen Mann darin begraben zu können. Keinen Mann, ein Ungeheuer.

Nach ein paar Minuten sah er, wie die Kleine langsam auf den Bach zuging, ohne Luke dabei aus den Augen zu lassen. Gut. Sie würde sich besser fühlen, sobald sie den Schmutz und das Blut abgewaschen hatte.

Er schaufelte, bis er schweißgebadet war. Der Bergboden war hart und steinig. Ein nicht sehr tiefes Grab also – mehr hatte der Schuft auch nicht verdient.

Luke hielt einen Moment inne und war froh, dass er kein Hemd trug und eine leichte Brise ihm Kühlung spendete. Er sah zum Bach hinüber. Die Kleine nahm sich viel Zeit beim Waschen. Sie saß mit dem Rücken zu ihm bis zur Taille im kalten Bergbach und schrubbte ihren Körper wie besessen.

Sein Unbehagen wuchs, während er sie beobachtete, und ohne genau zu wissen, warum, näherte er sich langsam dem Bach. Sein Hemd und seine Weste lagen ordentlich zusammengefaltet am Ufer, daneben befand sich das bösartig aussehende Messer des Deserteurs. Die Klinge war inzwischen sauber abgespült und frei von Blut. Großer Gott, die Kleine musste es ihm aus dem Leib gezogen haben!

Sie schrubbte sich mit dem groben Sand aus dem Bach. Immer wieder nahm sie eine Handvoll davon und malträtierte damit ihre zarte Haut.

„Hör auf, niña! Lass das!“ Luke trat einen Schritt auf sie zu. Erst zögerte er wegen ihrer Nacktheit, doch dann nahm er sein Hemd und watete in den Bach. Sie schlug mit den Fäusten nach ihm, doch er warf ihr das Hemd über den Kopf, wickelte die Ärmel fest um sie und trug sie aus dem Wasser.

Sie wehrte sich wie eine kleine Wildkatze, wand sich, trat nach ihm und versuchte, ihn zu beißen, aber damit hatte er gerechnet, nachdem er mit angesehen hatte, wie sie sich vorhin gegen ihren Angreifer zur Wehr gesetzt hatte. Er wickelte sie einfach nur noch fester in das Hemd, drückte sie an sich und redete leise und beruhigend in einer Mischung aus Englisch und Spanisch auf sie ein. Allmählich schienen seine Worte zu ihr durchzudringen, und sie begann zu begreifen, dass er ihr nicht wehtun wollte. Ihre Gegenwehr wurde schwächer und hörte schließlich ganz auf.

Er lockerte seine Umarmung. Sie sah ihn aus großen goldbraunen Augen an, in denen sich ihre Erschöpfung widerspiegelte.

„Du darfst dich nicht selbst bestrafen, niña“, flüsterte er sanft. „Es war nicht deine Schuld. Es war nicht deine Schuld.“

Eine ganze Weile starrte sie ihn schweigend an.

„Alle Spuren, die er an dir hinterlassen hat, sind beseitigt“, versicherte er und hoffte inständig, dass es auch wahr war.

Sie biss sich auf die Lippe, wandte den Blick ab und seufzte tief. Und dann fiel plötzlich alle verzweifelte Sprödigkeit von ihr ab, und sie wurde zu einem kleinen Mädchen, das bitterlich in seinen Armen weinte.

„Ganz ruhig, Kleines, es ist alles vorbei“, raunte er wieder und wieder hilflos. Er streichelte tröstend ihren schmalen Rücken und wünschte sehnlichst, ein anderes weibliches Wesen wäre bei ihm und wüsste, was zu tun sei.

Tränen setzten ihm immer schwer zu, und das hier waren noch nicht einmal die leicht fließenden Tränen, die er von seinen Schwestern gewohnt war. Jedes Schluchzen klang wie hart abgerungen, aus tiefster Tiefe kommend, als würde es sie zerreißen. Der knochige kleine Körper zitterte unkontrolliert in seinen Armen.

Luke hielt sie einfach nur ganz fest und murmelte tröstende Worte. Nach einer Weile gab sie einen langen, zittrigen Seufzer von sich und wurde still.

„Vielen Dank, señor. Ich bitte um Entschuldigung für … meinen Ausbruch“, sagte sie höflich, als betreibe sie Konversation beim Tee, was ihn angesichts ihrer Situation fast schockierte. „Sie können mich jetzt herunterlassen.“

Seine Jacke lag auf dem weichen Gras am Ufer. Dort setzte Luke sie ab. „Bleib hier und ruh dich aus“, forderte er sie auf. „Zieh die Jacke an, damit du nicht frierst, und breite das Hemd zum Trocknen aus. In der Sonne wird das nicht lange dauern. Ich schaufele inzwischen das Grab fertig.“

Er nahm seine Arbeit wieder auf. Wenig später vernahm er ein Geräusch und sah auf. Sein Pferd graste friedlich am Ufer des Baches. Die Kleine ging auf Brutus zu, flüsterte leise mit ihm und streckte die Hand aus, als hätte sie etwas zu fressen für ihn. Brutus reckte neugierig den Hals, doch als das Mädchen näher kam, schüttelte er den Kopf und trottete nervös außer Reichweite. Luke schmunzelte und grub weiter. Dieses Spiel konnte den ganzen Tag dauern. Er hatte seinem Pferd beigebracht, nur zu ihm zu kommen.

Er war fast fertig mit dem Grab, als er eine Bewegung hinter sich wahrnahm und sich umdrehte.

Sie trug sein Hemd. Es reichte ihr bis unterhalb der Knie und war immer noch feucht und zerknittert. Sie hatte lange Beine, eher mager als schlank, staksig wie die eines neugeborenen Fohlens. Ihre kleinen Füße waren nackt und staubig. Das feuchte dunkle Haar war zu einem straffen Zopf geflochten, den sie sich mit ungeübten Fingern zu einem schiefen Kranz um den Kopf geschlungen hatte.

Ihre Verwundbarkeit schmerzte ihn. Über seinem Hemd trug sie seine Jacke, fest zugeknöpft bis zum Hals. Es war eine kurze Jacke, die ihm bis zur Taille reichen sollte. Bei ihr fiel sie weit über ihre noch nicht ausgeprägten Hüften. Um die Schultern bauschte sie sich, die Kleine hatte die Ärmel, so gut es ging, hochgekrempelt. Sie sah aus wie ein Mädchen, das Verkleiden spielte.

Nur der harte Ausdruck auf dem übel zugerichteten Gesichtchen sprach eine andere Sprache. Aber selbst ohne die blauen Flecken und Schwellungen war sie ein seltsam aussehendes kleines Ding. Ihre Gesichtszüge wollten irgendwie nicht recht zueinanderpassen – diese großen goldbraunen Augen, der viel zu breite Mund, das spitze Kinn und die kühne Nase, die wohl das Vermächtnis eines römischen Vorfahren war. Mit ihrer schiefen Frisur, den aufgeplatzten Lippen und dem rasch dunkler werdenden Bluterguss auf der Wange wirkte sie ausgesprochen tragisch, wie ein frisch geschlüpfter und aus dem Nest gefallener Jungvogel.

Luke hatte sein Leben lang aus dem Nest gefallene Jungvögel gerettet.

„Fühlst du dich jetzt besser, Kleines?“, fragte er freundlich. Das zerschundene Gesicht wirkte plötzlich angespannt. Dumme Frage – natürlich nicht! Er lächelte sie beschwichtigend an und ging einen Schritt auf sie zu.

„Keine Bewegung, señor!“, warnte sie und richtete eine Pistole auf ihn.

Die Pistole des Deserteurs! Die Kleine musste sie in den Falten von Lukes Jacke verborgen haben. Mit leerem Magazin, aber das konnte sie nicht wissen. „Hab keine Angst“, sagte er. „Ich würde dir niemals wehtun, um nichts in der Welt.“

Anstatt zu antworten, spannte sie den Abzug. Lässig und geschickt.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Wie ich sehe, bist du vertraut mit dem Umgang mit Pistolen. Aber diese hier ist nicht geladen.“

„Sí, das ist sie.“

„Nein“, erklärte er. „Es ist keine Kugel mehr drin, weil er auf mich geschossen hat. Siehst du, sie hat meinen Hals gestreift.“ Er zeigte ihr die noch immer brennende Stelle.

„Ich weiß. Ich habe gesehen, wie er auf Sie geschossen hat. Ich habe die Pistole nachgeladen.“

„Du hast was getan?“

Sie nickte in die Richtung des Toten. „Ich habe ihm die Munition und das Schießpulver abgenommen.“ Er sah sie sprachlos an. „Er ist doch tot“, verteidigte sie sich, als hätte Luke sie des Diebstahls bezichtigt.

„Natürlich. Ich war nur überrascht, dass du weißt, wie man eine Pistole lädt.“

Sie zuckte mit den Achseln, als wäre nichts Besonderes dabei. „Mein Vater hat mir gezeigt, wie man mit einer Pistole umgeht, als ich noch ein Kind war.“

Als ich noch ein Kind war. Als wäre sie schon lange kein Kind mehr.

„Ich muss jetzt fort von hier“, verkündete sie und sah sich um. „Rufen Sie Ihr Pferd. Ich kann es nicht einfangen.“

Luke lächelte. „Wir haben es nicht eilig.“

„Sí, das haben wir.“ Sie zögerte, betrachtete ihn eine Weile nachdenklich und erklärte dann: „Männer sind hinter mir her. Wenn sie mich einholen …“ Sie schluckte und zeigte auf den Toten. „Mein Cousin Ramón wird mir das Gleiche antun wie dieses Schwein dort!“

„Dein Cousin?“

„Sí. Nun ja, erst wird er mich heiraten, obwohl er mich hasst und weiß, dass ich ihn auch hasse. Er wird sagen, er täte das, weil er ein Ehrenmann ist!“ Sie spie das Wort förmlich aus. „Doch die Wahrheit ist, dass das die einzige Möglichkeit für ihn ist, an die …“ Sie verstummte.

An die Juwelen heranzukommen? Luke geriet ins Grübeln. War sie etwa eine reiche Erbin?

„Und nachdem er mich geheiratet hat und sich meiner ganz sicher ist, wird er mit mir … genau das tun.“ Verzweiflung schwang in ihrer Stimme mit.

„Nein, das wird er nicht“, widersprach Luke entschlossen. „Das lasse ich nicht zu.“

„Sie wollen mir helfen?“, fragte sie ungläubig.

„Ja.“ Er legte sich die Hand aufs Herz. „Bei meinem Ehrenwort als englischer Gentleman.“

„Englisch?“ Ihre Augen wurden schmal. „Sie hören sich nicht an wie ein Engländer.“

Luke zuckte mit den Achseln. Er war dunkelhaarig, dunkeläugig und sprach Spanisch wie ein Einheimischer, deswegen hatte man ihn auch auf diese Mission geschickt. „Auch Engländer können Spanisch sprechen.“

Sie schnaubte. „Aber nicht so. Sie klingen nicht wie ein Engländer. Sie haben einen andalusischen Akzent.“

Sie hatte ein gutes Gehör. „Als Kind habe ich den Sommer immer auf dem andalusischen Besitz eines Verwandten verbracht“, gab er zu. Er und seine beiden jüngeren Cousins waren von seinem Onkel, dem Earl of Ripton, dorthin geschickt worden, um etwas über den Weinbau zu lernen. Damals hatte er Spanien geliebt.

Immer noch nicht überzeugt, runzelte sie die Stirn. „Sie sehen auch nicht aus wie ein Engländer. Engländer haben rote Gesichter und blaue Augen.“

Luke musste trotz der Situation lachen. „Nicht alle von uns, das verspreche ich dir. Ich bin wirklich Engländer. Lieutenant Luke Ripton, Sonderkurier unter dem Kommando von General Sir Wellesley persönlich, zu deinen Diensten.“ Er salutierte.

Sie wirkte nach wie vor misstrauisch und senkte auch nicht die Pistole. „Dann sagen Sie mal etwas auf Englisch.“

„Du bist ein äußerst misstrauisches Mädchen“, sagte er in seiner Muttersprache, „aber das kann ich dir nicht verübeln, nach allem, was du durchgemacht hast.“ Sie antwortete nicht, und er kam sich ein wenig töricht vor. „So, und nachdem ich dir nun meinen Namen verraten habe“, fuhr er auf Spanisch fort, „sag mir, wie du heißt?“

„Isabella“, erwiderte sie widerstrebend.

„Also gut, Isabella, wir werden bald von hier aufbrechen, aber zuerst muss ich diesen Kerl hier begraben.“

Zornig murmelte sie etwas auf Spanisch vor sich hin.

„Ja, ich weiß, aber es muss sein“, teilte er ihr entschieden mit.

Als er das nächste Mal aufsah, hatte sie die Pistole weggesteckt. Sie beobachtete ihn genau und schlang die Arme um ihren Leib, als wäre ihr kalt. Aber es war nicht kalt an diesem Tag.

Endlich war die Grube groß genug. Luke wischte sich den Staub von den Händen, an denen einige neue Blasen zu sehen waren, zerrte den Leichnam zum Grab und rollte ihn hinein.

„So, und nun noch ein paar letzte Worte.“

Sie sah ihn mit glühenden Augen an. „Er hat keine letzten Worte verdient, gar nichts!“

Luke wandte sich wieder dem Grab zu. „Herr, hier liegt ein Schurke, der unter anderem sein Land verraten und auf brutale Weise ein Kind angegriffen hat. Möge er Deine göttliche Gerechtigkeit erfahren.“ Er warf Isabella einen kurzen Blick zu und fuhr auf Englisch fort: „Und schenke diesem mutigen kleinen Mädchen Deinen Segen, auf dass es körperliche und seelische Heilung findet. Amen. Möchtest du auch etwas sagen?“, fragte er die Kleine.

Sie trat an den Rand des Grabes, stieß einen unverständlichen Fluch aus und spuckte hinein. Anschließend bekreuzigte sie sich.

„Gut.“ Er fing an, das Grab zuzuschaufeln. „Je eher ich damit fertig bin, desto schneller können wir von hier verschwinden.“

Sofort begann sie, mit dem Fuß Erde in das offene Grab zu treten. Die ersten Klumpen fielen auf das Gesicht des Toten. Ihre Miene wurde hart und sie trat erneut, wieder und wieder.

Schon bald war nur noch ein länglicher Erdhügel zu sehen. „Jetzt treten wir die Erde fest. Mit aller Kraft. So!“ Luke stampfte mit dem Stiefel auf, und nach einer Weile trat sie einen Schritt vor und stampfte ebenfalls zögerlich mit ihrem kleinen nackten Fuß. Er hinterließ einen vollkommenen Abdruck in der dunklen Erde. Sie starrte den Abdruck an, und die verschiedensten Gefühlsregungen huschten über ihre Züge. Sie sah auf und merkte, dass Luke sie beobachtete. Mit trotziger Miene stampfte sie noch einmal. Und noch einmal. Es wirkte wie ein Tanz auf dem Grab, ein zorniger, rachsüchtiger Tanz. Wahrscheinlich war es vollkommen falsch, sie das tun zu lassen. Eine sehr junge Dame zu ermutigen, barfuß auf einem Grab herumzutrampeln, war vermutlich etwas, das seine Mutter zutiefst schockiert hätte. Andererseits war seiner Mutter auch noch nie so etwas zugestoßen wie diesem Kind. Zorn war besser als Selbstvorwürfe. Zorn brannte zuerst, dann heilte er.

Endlich waren sie fertig. In kurzer Zeit würde das Gras jedes Anzeichen dessen, was hier geschehen war, überwuchert haben. Jedes äußerliche Anzeichen.

Luke ging zum Bach und wusch sich den Schmutz ab, dann schöpfte er das klare, kühle Wasser mit den Händen und trank durstig.

Hinter sich vernahm er ein Klicken. Ein Abzug, der gespannt wurde. Er drehte sich um und sah sein wildes Vogelkind an.

„Und nun, señor, keine weitere Verzögerung. Rufen Sie Ihr Pferd. Wir müssen fort von hier.“

„Steck das Ding weg. Auf Drohungen reagiere ich nicht.“ Er zog sein Messer hervor und fing an, seine Fingernägel zu säubern. Dabei pfiff er leise vor sich hin.

Nach einer Weile gab sie ein unzufriedenes Geräusch von sich, stampfte mit dem Fuß auf und steckte die Pistole vorsichtig weg. „Hier, bitte!“

Er lächelte und schob das Messer wieder in seine Tasche. Dann hob er zwei Finger an seinen Mund und stieß einen grellen Pfiff aus. Brutus hob den Kopf und trabte auf sie zu. „Kannst du reiten?“, wollte Luke wissen.

„Seit ich laufen kann.“

„Auch rittlings?“

Sie schnaubte. „Natürlich.“

Interessant. Wohlerzogene junge Damen ritten nur im Damensattel. Sie steckte wirklich voller Widersprüche. Luke zog eine Baumwollunterhose aus seiner Satteltasche und reichte sie ihr. „Zieh das an.“

Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu.

„Sie ist sauber“, teilte er ihr mit. „Und sie verhindert, dass du dir die Schenkel wund reitest.“

Sie zog die Hose an und kämpfte gereizt damit, dass sie ihr immer wieder über die Hüften rutschte. Luke holte einen dünnen Strick aus der Satteltasche, den sie sich mit finsterer Miene um die Taille knotete. „Ich hoffe, diese Schweine brennen in der Hölle, weil sie meine Kleidung zerschnitten haben.“

Luke runzelte die Stirn. „Diese Schweine? Waren es denn mehr als einer?“

„Sí. Zwei. Sie kannten meine Eskorte.“

„Eskorte?“

Sie bedachte ihn mit einem hochmütigen Blick – ein echtes Kunststück bei dem sicher schmerzenden Zustand ihres Gesichts. „Natürlich hat mein Vater mir eine Eskorte mitgegeben. Ich hätte auch meine duenna mitgenommen, aber Marta ist zu fett zum Reiten. Papa schickte drei seiner vertrauenswürdigsten Männer – Esteban, Diego und Javier. Aber das Schwein und sein Kumpan kannten sie. Sie standen ebenfalls mal in den Diensten meines Vaters.“ Sie spuckte auf den Boden. Auch das war etwas, das eine wohlerzogene junge Dame niemals getan hätte. „Deserteure, aber das wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht. Sie sagten, Papa hätte sie mit einer Botschaft geschickt, und als wir nichts ahnend anhielten, töteten sie Esteban, Diego und Javier.“ Sie warf ihm einen schuldbewussten Blick zu. „Zuerst konnte ich entkommen – beim ersten Schuss rief mir Javier noch zu, ich solle fliehen –, aber dann lahmte mein Pferd plötzlich, und sie haben mich erwischt.“

Luke sah prüfend über die Lichtung. Es war kein anderer Mann zu sehen, weder tot noch lebendig. „Was ist mit dem zweiten Mann passiert?“

„Sie haben sich gestritten, und dann ist er mit meinem Pferd und all meinen Habseligkeiten geflohen.“

„Du meinst, mit den Juwelen?“

Sie verdrehte die Augen. „Sie nicht auch noch! Wie oft muss ich noch sagen, dass es keine Juwelen gab? Als ob ich mit irgendwelchen Juwelen durch eine Gegend reiten würde, in der es von Banditen nur so wimmelt! Deshalb ist meine Kleidung ja ruiniert. Die Tölpel dachten, ich hätte Juwelen darin eingenäht.“ Sie stieß einen Fluch aus.

„Wie kamen sie denn auf die Idee?“, erkundigte Luke sich neugierig. Ihr Angreifer hatte ganz konkret von Juwelen gesprochen, nicht von Geld oder anderen wertvollen Dingen.