Die Verfassungsbeschwerde vom 18.12.2020 gegen die Ratifikation des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht - Ingve Björn Stjerna - E-Book

Die Verfassungsbeschwerde vom 18.12.2020 gegen die Ratifikation des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht E-Book

Ingve Björn Stjerna

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Beschreibung

Das internationale Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht ("EPGÜ") beabsichtigt - als Teil der sog. "europäischen Patentreform" - die Schaffung des ersten zwischenstaatlichen Gerichts im Bereich des Zivilrechts. Dafür sollen die entsprechenden Hoheitsrechte auf das Einheitliche Patentgericht übertragen werden, so dass Bund und Länder in dessen Zuständigkeitsbereich künftig keine Gerichtsbarkeit mehr ausüben können. Es handelt sich um einen Modellversuch, nach dessen Vorbild in Zukunft offenbar auch andere Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers von der nationalen auf eine zwischenstaatliche Ebene verlagert werden sollen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die erste Ratifikation des Übereinkommens durch die BR Deutschland auf die Verfassungsbeschwerde des Autors im März 2020 für nichtig erklärt hatte (Az. BVerfG, 2 BvR 739/17), leitete die Bundesregierung im September 2020 das zweite Ratifikationsverfahren ein. Im Anschluss an die - diesmal mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossene - Annahme des entsprechenden Gesetzentwurfs durch Bundestag und Bundesrat erhob der Autor erneut Verfassungsbeschwerde. Das Buch dokumentiert das zweite Ratifikationsverfahren und die insoweit erhobenen verfassungsrechtlichen Einwände, es macht mit der Verfassungsbeschwerdeschrift und dem diese begleitenden Eilantrag wesentliche Verfahrensdokumente erstmals der Öffentlichkeit zugänglich. Die Verfassungsbeschwerde rügt unter verschiedenen Gesichtspunkten die Verletzung des Grundrechts auf demokratische Selbstbestimmung, insbesondere infolge verschiedener Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes sowie gegen europäisches Recht. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen und einen weiteren Eilantrag mit Beschluss vom 23.06.2021 zurückgewiesen (Az. BVerfG, 2 BvR 2217/20) und damit den Weg zur Ratifikation des EPGÜ durch die BR Deutschland geebnet.

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Ingve Björn Stjerna

Die Verfassungsbeschwerde vom 18.12.2020 gegen die Ratifikation des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht

Verfahren 2 BvR 2217/20 vor dem Bundesverfassungsgericht

© 2021 Dr. Ingve Björn Stjerna

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

ISBN

Paperback

978-3-347-42302-2

e-Book

978-3-347-42304-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Vorwort

Das vorliegende Buch dokumentiert die (zweite) Ratifikation des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht („EPGÜ“) im Jahr 2020 und das sich daran anschließende Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, in dem das Gericht am 23.06.2021 mit einer Zurückweisung der gegen die Ratifikation erhobenen Eilanträge – den vorliegend dokumentierten und den eines Dritten – den Abschluss des Ratifikationsverfahrens durch die BR Deutschland erlaubte.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in diesem Verfahren einmal mehr keineswegs als unabhängiges Gericht präsentiert, sondern eher als politischer Akteur, was schon angesichts des parteipolitisch motivierten Prozesses zur Auswahl der dortigen Richterinnen und Richter nicht weiter verwundert. Bereits im Jahr 2018 hatte der Autor dieses Buches im Hinblick auf die seinerzeit von ihm gegen die erste Ratifikation des EPGÜ erhobene Verfassungsbeschwerde die Unabhängigkeit des Gerichts bezweifelt (vgl. den Artikel „Die europäische Patentreform – Fragen und Antworten zum deutschen Verfassungsbeschwerdeverfahren“, abrufbar unter www.stjerna.de/fa-vb/):

„Diese parteipolitisch motivierte Auswahl- und Ernennungspraxis ist schon angesichts der damit verbundenen politischen Ausrichtung des BVerfG bemerkenswert und lässt daran zweifeln, dass die Richter des BVerfG „unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen sind“, wie Art. 97 Abs. 1 GG dies für Richter vorgibt.

Diese enge Verzahnung der Richter des höchsten deutschen Gerichts mit der Parteipolitik ist umso relevanter in einem Verfahren wie dem zum EPGÜ, dessen Ratifikation alle Fraktionen des (damaligen) Bundestages (…) zugestimmt haben. Wie unabhängig wird die Prüfung der nach politischem Proporz bestimmten Richter in diesem, politisch über Parteigrenzen hinweg hochgradig gewollten Gesetzgebungsvorhaben ausfallen, das in positiver Kenntnis aller verfassungsrechtlichen Probleme verabschiedet wurde? Skepsis scheint berechtigt. Es käme vor dem vorstehend beschriebenen Hintergrund nicht überraschend, wenn das BVerfG seinen Beitrag zur politischen Agenda leisten und die Ratifikation des EPGÜ (…) durchwinken würde. Das Gericht agierte schon in der jüngeren Vergangenheit in politisch bedeutenden Verfahren überaus regierungsfreundlich und verschaffte verfassungsrechtlich mitunter zweifelhaftenpolitischen Aktivitäten mit rechtlich nicht immer überzeugender Begründung den Anstrich juristischer Legitimität. Auch im Fall des EPGÜ wissen die Mitglieder des zur Entscheidung berufenen Zweiten Senats zweifelsohne, was die politischen Gruppen, denen sie ihr Amt verdanken, von ihnen erwarten.“

Diese 2018 geäußerte Befürchtung hat sich letztlich bewahrheitet. Das Bundesverfassungsgericht hat sich seiner Kontrollfunktion einmal mehr enthalten und einem nicht nur verfassungsrechtlich überaus zweifelhaften politischen Projekt zur Realisierung verholfen.

Das Buch dient der Dokumentation dieses zweiten Verfassungsbeschwerdeverfahrens des Autors gegen die Ratifikation des EPGÜ in Deutschland. Es macht mit der Verfassungsbeschwerdeschrift und dem diese begleitenden Eilantrag wesentliche Verfahrensdokumente erstmals der Öffentlichkeit zugänglich. Es handelt sich um die inhaltlich unveränderten Original-Schriftsätze, die der Autor am 18.12.2020 beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat. Die Dokumente und die darin gemachten Angaben befinden sich dementsprechend auf dem Stand des 18.12.2020, insbesondere die Aktualität der darin zitierten Literatur und Internetlinks kann daher nicht garantiert werden. Die Formatierung wurde an die Vorgaben des Verlages angepasst und vereinheitlicht, im Original erkannte formale Unrichtigkeiten wie „Buchstabendreher“ u. ä. wurden korrigiert. Auf eine Veröffentlichung der sehr umfangreichen Anlagen wurde schon aus Platzgründen verzichtet. Es handelt sich bei diesen allerdings zum Großteil um öffentlich zugängliche Dokumente, die anhand der enthaltenen Anlagenliste unschwer im Internet zu ermitteln sein dürften.

Düsseldorf, im November 2021

Dr. Ingve Björn Stjerna

Inhaltsverzeichnis

Verfassungsbeschwerde vom 18.12.2020

A. Vorbemerkung

B. Hintergrund

I. Inhalt des Patentschutzes

II. Umfang des Patentschutzes

III. Der Status Quo

1. Patentschutztitel

a) Nationales Patent

b) Europäisches Patent

c) Ergänzendes Schutzzertifikat

2. Zuständigkeit

a) Erteilung und Rechtsbestand

b) Verletzung

3. Situation in den EU-Mitgliedstaaten: Fallzahlen

4. Ausmaß der internationalen Duplizierung von Patentstreitigkeiten

C. Sachverhalt

I. Die Bemühungen um die Schaffung einer europ. Patentgerichtsbarkeit

II. Das EU-Gesetzgebungsverfahren zur europäischen Patentreform

1. Das Gutachten-Verfahren 1/09 vor dem EuGH

2. Die Berücksichtigung des Gutachtens 1/09 im EUGesetzgebungsverfahren

3. Der Fortgang des EU-Gesetzgebungsverfahrens nach Gutachten 1/09 und die Änderungen des Entwurfs des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht

4. Der Abschluss des EU-Gesetzgebungsverfahrens

5. Aktueller Ratifikationsstand

III. Die europäische Patentreform im Detail

1. Das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung

a) EU-Verordnung 1257/2012

b) EU-Verordnung 1260/2012

2. Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht und die Satzung des Einheitlichen Patentgerichts

a) Der Geltungsbereich des EPGÜ

b) Die Spruchkörper und deren Besetzung

c) Die Ausschüsse des Einheitlichen Patentgerichts

d) Das Auswahlverfahren und die Rechtsstellung der Richter beim Einheitlichen Patentgericht

e) Vorrang des Unionsrechts

f) Die Rechtsquellen und das materielle Recht

g) Die Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts

aa) Die sachliche Zuständigkeit in erster Instanz

(1) Die Zuständigkeit der Lokal- bzw. Regionalkammern

(2) Die Zuständigkeit der Zentralkammer

(3) Zuständigkeit bei unterschiedlichen Klagen hinsichtlich des gleichen Patents

bb) Die örtliche Zuständigkeit in erster Instanz

cc) Die Zuständigkeit des Berufungsgerichts

h) Die Verfahrenssprache und die Übersetzungsregelungen

i) Die Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts

j) Die Änderung des EPGÜ durch den Verwaltungsausschuss

IV. Die Maßnahmen zur Implementierung des EPGÜ

1. Der Vorbereitende Ausschuss des Einheitl. Patentgerichts (VA-EPG)

2. Die Sachverständigen-Gremien des VA-EPG

3. Die Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts

4. Die Auswahl der Richter am Einheitlichen Patentgericht

5. Die Bestimmung der Gerichtsgebühren und der Höchstbeträge der erstattungsfähigen Rechtsvertretungskosten, die geplante Erhebung einer „Opt-out“-Gebühr

6. Das Protokoll über die vorläufige Anwendung des EPGÜ und der vorgesehene Ablauf bis zur Arbeitsaufnahme des Einheitlichen Patentgerichts

7. Die Immunitäten und Vorrechte der Richter am Einheitlichen Patentgericht

V. Der erste Versuch der Ratifikation des EPGÜ durch Deutschland im Jahr 2017

1. Das EPGÜ, die EPG-Satzung und das Protokoll betreffend die vorläufige Anwendung

2. Das Protokoll zum EPGÜ betr. die Vorrechte und Immunitäten

VI. Das Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 739/17

1. Gerügte Grundrechtsverletzungen

2. Die Entscheidung des BVerfG vom 11.02.2020

VII. Austritt Großbritanniens aus der EU, Rückzug vom EPGÜ und den diesbezüglichen Protokollen

VIII. Der zweite Versuch der Ratifikation des EPGÜ durch Deutschland

1. Die parlamentarische Historie in Bundestag und Bundesrat

2. Das EPGÜ, die EPG-Satzung und das Protokoll betreffend die vorläufige Anwendung

D. Zulässigkeit

I. Beschwerdegegenstand

II. Beschwerdebefugnis

1. Möglichkeit der Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers

a) Prüfungsmaßstab: Recht auf demokr. Selbstbestimmung aus Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG

aa) Inhalt des Rechts auf demokratische Selbstbestimmung

bb) Anwendung auf Zustimmungsgesetze zu internationalen Übereinkommen

cc) Überprüfung durch das BVerfG

(1) Identitätskontrolle

(2) Ultra-vires-Kontrolle

b) Die in Rede stehenden Übereinkommen als tauglicher Prüfungsgegenstand einer Integrationskontrolle

aa) EPGÜ

bb) Protokoll betreffend die vorläufige Anwendung des EPGÜ

c) Mögliche Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 1. Halbsatz GG) durch Ratifikation des EPGÜ

aa) Die unklare Situation Großbritanniens

(1) Die zentrale Bedeutung Großbritanniens für das EPGÜ

(2) „Rücknahme“ der Ratifikation durch Großbritannien im Juli 2020

(3) Keine Revision des EPGÜ vor dessen Inkrafttreten

(4) Rechtliche Ansätze in der Literatur

(5) Die „Rücknahme“ der britischen Ratifikation im ZustG II

(6) Lösung vom EPGÜ nach der Wiener Konvention über das Recht der Verträge

(a) Vereinbarung bzw. Übung der Vertragsstaaten nach Art. 31 Abs. 3 WKRV

(aa) Voraussetzungen

(bb) Anwendung auf das EPGÜ

(b) Beendigung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages – Art. 25 Abs. 2 WKRV

(aa) Voraussetzungen

(bb) Anwendung auf das EPGÜ

(c) Grundlegende Änderung d. Umstände – Art. 62 WKRV

(7) Zwischenergebnis

bb) Betroffenheit der Verfassungsidentität

(1) Gehalte des Rechtsstaatsprinzips als Teil der Verfassungsidentität

(2) „Verbindung“ zum Demokratieprinzip

cc) Verletzung der Verfassungsidentität durch Ratifikation des EPGÜ

(1) Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3, 1. Halbsatz GG

(2) Der Gesichtspunkt „drohender Ultra-vires-Handlungen“

dd) Zwischenergebnis

d) Mögliche Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 1. Halbsatz GG) durch Ratifikation des Protokolls betr. die vorl. Anwendung des EPGÜ

aa) Die unklare Situation Großbritanniens

bb) Betroffenheit der Verfassungsidentität

cc) Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3, 1. Halbsatz GG

dd) Zwischenergebnis

e) Mögliche Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Garantie des gesetzlichen Richters)

aa) Betroffenheit der Verfassungsidentität

bb) Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters im Hinblick auf den Standort der Zentralkammer des Einheitlichen Patentgerichts in London

cc) Zwischenergebnis

f) Mögliche Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG wegen rechtsstaatlich unzureichender Rechtsstellung der EPG-Richter

aa) Betroffenheit der Verfassungsidentität

(1) Die richterliche Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit

(2) BVerfG, 2 BvR 780/16

bb) Rechtsstaatliche Defizite in der Rechtsstellung der EPG-Richter

(1) Das Auswahl- und Ernennungsverfahren: Das Näheverhältnis von EPG-Richtern und Patentpraktikern des Beratenden Ausschusses

(2) Die fehlende richterliche Unabhängigkeit

(a) Zeitlich begrenzte Amtszeit

(b) Fehlender Rechtsschutz der EPG-Richter gegen Eingriffe in ihre Rechtsstellung

cc) Zwischenergebnis

g) Mögliche Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG wegen Unvereinbarkeit des EPGÜ mit dem Unionsrecht

aa) Betroffenheit der Verfassungsidentität

(1) EuGH: Unionsrechtswidrige Übereinkommen dürfen nicht ratifiziert werden

(2) BVerfG: Unionsrecht ist kein Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes

(3) Die Bedeutung des Unionsrechts

(4) Anhaltspunkte für e. Unionsrechtswidrigkeit des EPGÜ

bb) Die Unionsrechtswidrigkeit des ursprünglichen Entwurfs eines Übereinkommens zur Schaffung einer europäischen Patentgerichtsbarkeit in EuGH-Gutachten 1/09

cc) Bestätigung des Gutachtens 1/09 in späteren Entscheidungen des EuGH

(1) EuGH-Gutachten 2/13

(2) EuGH, C-583/11 P - Inuit Tapiriit Kanatami u.a

(3) EuGH, C-284/16 – Slowakische Republik / Achmea BV

(4) EuGH, C-64/16 – Associação Sindical dos Juízes Portugueses / Tribunal de Contas

(5) EuGH-Gutachten 1/17

dd) Die Änderungen des Übereinkommensentwurfs nach Gutachten 1/09

ee) Unveränderte Unionsrechtswidrigkeit auch des EPGÜ

(1) Verstoß gegen die Grundsätze der Autonomie des Unionsrechts und der Vollständigkeit des Systems der Rechtsbehelfe

(a) Die Eigenschaften des Benelux-Gerichtshofs

(b) Die Grundanforderungen an ein mit dem Unionsrecht vereinbares internationales Gericht

(c) Das Einheitliche Patentgericht erfüllt die Anforderungen an ein mit dem Unionsrecht vereinbares internationales Gericht nicht

(aa) Das Einheitliche Patentgericht ist kein gemeinsames Gericht der Mitgliedstaaten

(bb) Bestätigung der Unionsrechtswidrigkeit des EPGÜ in der jüngsten Rechtsprechung des EuGH

(cc) Auch Rechtsdienste von EU-Institutionen bezweifeln die Vereinbarkeit des EPGÜ mit dem Unionsrecht

(2) Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 AEUV infolge fehlender Kompetenz d. EU-Mitgliedstaaten zum Abschluss des EPGÜ

(a) Die Kompetenzlage hins. des Abschlusses des EPGÜ

(b) Unzulässigkeit des Abschlusses des EPGÜ ohne Beteiligung der EU

(c) Zulässigkeit des Abschlusses des EPGÜ ohne Beteiligung der EU allein durch die Mitgliedstaaten bei Ausschluss von Drittstaaten?

(3) Verstoß gegen Art. 2 S. 1 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie Art. 47 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta infolge mangelnder Unabhängigkeit des Einheitlichen Patentgerichts

(a) Richterliche Unabhängigkeit als Voraussetzung wirksamen Rechtsschutzes

(aa) EuGH, C-64/16 – Associação Sindical dos Juizes Portugueses / Tribunal de Contas

(bb) EuGH-Gutachten 1/17

(b) Rechtsstaatliche Defizite in der Rechtsstellung der EPG-Richter

(c) Verletzung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit sowie des Anspruchs auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht

(4) Die Rügen der Generalanwälte in den Schlussanträgen zu EuGH-Gutachten 1/09

(a) Verstoß gegen Art. 2 S. 1 EUV, Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta infolge Verletzung der Verteidigungsrechte des Beklagten durch verschiedene Regelungen hinsichtlich der anzuwendenden Verfahrenssprache

(aa) Die Kritik der Generalanwälte in den Schlussanträgen zu EuGH-Gutachten 1/09

(bb) Unterschiedliche Verfahrenssprachen in einem Verletzungsverfahren und Nichtigkeitsverfahren bzgl. des gleichen Patents (Art. 33 Abs. 3 S. 2 Buchst. b), Art. 49 Abs. 6 EPGÜ)

(cc) Die Geltung des Gerichtsstandes bzgl. eines von mehreren Beklagten auch für alle anderen (Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b EPGÜ)

(dd) Der Gerichtsstand bei Sitz des Beklagten außerhalb der EU (Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 4 EPGÜ)8

(ee) Die Sonderregelung für EU-Mitgliedstaaten, die keine EPGÜ-Vertragsstaaten sind (Art. 51 Abs. 3 EPGÜ)

(b) Verstoß gegen Art. 2 S. 1 und Art. 19 Abs. 1 S. 3 EUV sowie Art. 47 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta infolge unzureichenden Rechtsschutzes hins. administrativer Entscheidungen des Europäischen Patentamts beim Einheitlichen Patentgericht

(aa) Die Kritik der Generalanwälte in den Schlussanträgen zu EuGH-Gutachten 1/09

(bb) Derzeit beim BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerden gegen Handlungen des Europäischen Patentamts

(cc) Die unzureichende Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts für administrative Entscheidungen des Europäischen Patentamts in EuGH-Urteil C-146/13

(ee) Unzureichender Rechtsschutz hins. administrativer Entscheidungen des Europäischen Patentamts beim Einheitlichen Patentgericht

(5) Verstoß gegen die der Grundsätze der Autonomie des Unionsrechts sowie Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 und Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 267 AEUV bei Ratifikation des EPGÜ mit Großbritannien als Vertragsmitgliedstaat

ff) Zwischenergebnis

2. Betroffenheit

III. Rechtswegerschöpfung/Subsidiarität

IV. Beschwerdefrist

E. Begründetheit

I. Prüfungsmaßstab

II. Das EPGÜ als tauglicher Gegenstand einer Integrationskontrolle

III. Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 1. Halbsatz GG) durch Ratifikation des EPGÜ

IV. Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 1. Halbsatz GG) durch Ratifikation des Protokolls betreffend die vorläufige Anwendung des EPGÜ

V. Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Garantie des gesetzlichen Richters)

VI. Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG wegen rechtsstaatlich unzureichender Rechtsstellung der EPG-Richter

VII. Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG wg. Unvereinbarkeit des EPGÜ mit dem Unionsrecht

1. Fortdauernde Unvereinbarkeit des EPGÜ mit dem Unionsrecht

2. Aussetzung des Verfahrens und Ersuchen des EuGH um Vorabentscheidung über die Vereinbarkeit des EPGÜ mit dem Unionsrecht

F. Annahme der Verfassungsbeschwerde

I. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung

II. Annahme zur Grundrechtsdurchsetzung angezeigt

1. Grobe Verkennung des durch e. Grundrecht gewährten Schutzes

2. Leichtfertiger Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen

Anlagenliste

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 18.12.2020

A. Sachverhalt

B. Zulässigkeit

I. Zulässigkeit des Hauptsacheverfahrens

II. Keine Vorwegnahme der Hauptsache

III. Rechtsschutzbedürfnis

C. Begründetheit: Folgenabwägung

I. Keine offensichtliche Unbegründetheit der Hauptsache

II. Folgenabwägung

III. Hohe Wahrscheinlichkeit der Verfassungswidrigkeit des ZustG II

IV. Dringlichkeit

Verfassungsbeschwerde vom 18.12.2020

Vorab per Telefax (ohne Anlagen) an 0721 - 9101 382

Bundesverfassungsgericht Schlossbezirk 3 76131 Karlsruhe

Düsseldorf, den 18.12.2020

Verfassungsbeschwerde

des Herrn Rechtsanwalt Dr. Ingve Björn Stjerna, (…) Düsseldorf,

- Beschwerdeführer -

wegen Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG durch Art. 1 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19.02.2013 über ein Einheitliches Patentgericht i.V.m. dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht.

In einem ersten Schritt wird beantragt, wie folgt zu erkennen:

I. Das Verfahren wird ausgesetzt. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Vertrages über die Europäische Union (EUV) und des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht angesichts des Umstandes, dass dieses mit dem Einheitlichen Patentgericht ein Gericht schafft, das separat von den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten operiert, diese im Umfang seiner Zuständigkeit ersetzt und mit der direkten Anwendung von Unionsrecht betraut ist, im Hinblick auf den Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts und den Grundsatz der Vollständigkeit des Systems der Rechtsbehelfe mit Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 und Art. 19 Abs. 1 EUV sowie Art. 267 AEUV vereinbar?

2. Ist das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht angesichts des Umstandes, dass die Europäische Union keine Vertragspartei dieses Übereinkommens ist, mit Art. 3 Abs. 2 AEUV vereinbar?

3. Ist das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht angesichts des Umstandes, dass die Richter des Einheitlichen Patentgerichts

– in einem Verfahren ausgewählt werden, das die Mitwirkung von in der anwaltlichen Beratungspraxis aktiven Angehörigen der rechtsberatenden Berufe nicht ausschließt, so dass letztere in Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht vor von ihnen ausgewählten Richtern auftreten können,

– nur für eine (erneuerbare) Amtsdauer von sechs Jahren bestellt werden, wobei eine Entfernung aus dem Amt auch vor Ablauf der Amtsdauer durch Beschluss der Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder des Präsidiums des Einheitlichen Patentgerichts möglich ist,

– gegen Eingriffe in ihre Rechtsstellung keine Rechtsschutzmöglichkeiten haben,

im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit sowie den Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht mit Art. 2 S. 1 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie Art. 47 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta vereinbar?

4. Ist das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht angesichts dessen Regelungen zur anzuwendenden Verfahrenssprache

– in Art. 33 Abs. 3 S. 2 Buchst. b), Art. 49 Abs. 6 EPGÜ,

– in Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b) EPGÜ,

– in Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 4 EPGÜ, und

– in Art. 51 Abs. 3 EPGÜ

jeweils i.V.m. den Regelungen zu Übersetzungen (Art. 51 Abs. 1 EPGÜ) und Verdolmetschung (Art. 51 Abs. 2 EPGÜ) im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit sowie das Recht des Beklagten auf eine effektive Verteidigung mit Art. 2 S. 1 EUV, Art. 47 Abs. 2 und Art. 48 Abs. 2 der EU Grundrechtecharta vereinbar?

5. Ist das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht angesichts des Umstandes, dass dieses keine Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgericht jenseits von Art. 32 Abs. 1 Buchst. i) EPGÜ i.V.m. Art. 9 Abs. 3 VO 1257/12 gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamts vorsieht, insbesondere hinsichtlich der Ablehnung eines Antrags auf Erteilung eines europäischen Patents, im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und auf die Grundsätze der Autonomie, der Einheit und des Vorrangs des Unionsrechts sowie das Gebot effektiven Rechtsschutzes mit Art. 2 S. 1 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie Art. 47 Abs. 1 der EUGrundrechtecharta vereinbar?

6. Ist das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht angesichts des Umstandes, dass dieses mit Großbritannien einen Vertragsmitgliedstaat umfasst, der nach Unterzeichnung und Ratifikation des Übereinkommens erklärt hat, nicht länger der Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union unterliegen und durch dessen Rechtsprechung nicht länger gebunden sein zu wollen, im Hinblick auf den Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts mit Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 und Art. 19 Abs. 1 EUV sowie Art. 267 AEUV vereinbar?

In der Sache wird beantragt, wie folgt zu erkennen:

II. Es wird festgestellt, dass Art. 1 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19.02.2013 über ein Einheitliches Patentgericht (Beschluss des Bundestages vom 26.11.2020, Plenarprotokoll 19/195, S. 24677 (C), BT-Drucksache 19/22847) den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG verletzt.

III. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

 

Begründung:

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde – im Anschluss an das Verfahren 2 BvR 739/17 erneut – gegen die Ratifikation des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht durch das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19.02.2013 über ein Einheitliches Patentgericht („ZustG II“), das im Bundestag am 26.11.2020 mit qualifizierter Mehrheit (Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG) angenommen wurde und dem der Bundesrat am 18.12.2020 ebenfalls mit qualifizierter Mehrheit zugestimmt hat. Durch das Übereinkommen soll erstmals ein internationales Gericht mit Zuständigkeit im Bereich des Privatrechts geschaffen werden. Hierfür soll die in Art. 92 GG bestimmte Gerichtshoheit von Bund und Ländern modifiziert und im Umfang der ausschließlichen Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts (Art. 32 EPGÜ) auf letztgenanntes übertragen werden, so dass im Rahmen dieser Zuständigkeit künftig keine Gerichtsbarkeit von Bund und Ländern mehr ausgeübt werden kann.

Das Inkrafttreten des Übereinkommens erfordert nach dessen Art. 89 Abs. 1 die Ratifikation und Hinterlegung der Beitrittsurkunde durch mindestens 13 der 25 Vertragsstaaten, worunter diejenigen drei Mitgliedstaaten sein müssen, in denen es im Jahr vor dem Jahr der Unterzeichnung des Übereinkommens die meisten geltenden europäischen Patente gab. Dies sind Deutschland, Großbritannien und Frankreich (vgl. BT-Drucks. 19/22847 (Anlage VB 23), S. 97, Zu Art. 89). Zum aktuellen Zeitpunkt haben sechzehn Vertragsstaaten das Übereinkommen ratifiziert und die entsprechende Urkunde hinterlegt, Großbritannien hat seine Ratifikation im Juli 2020 „zurückgenommen“. Die Bundesregierung geht davon aus, dass das EPGÜ mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch Deutschland in Kraft treten würde.

Das ZustG II i.V.m. dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht berührt unter fünf Gesichtspunkten die Verfassungsidentität und verletzt damit den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 38 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG.

Zunächst verstößt die Ratifikation des EPGÜ angesichts der unklaren rechtlichen Situation Großbritanniens gegen den Grundsatz der Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 Abs. 3, 1. Halbsatz GG) als Bestandteil der zur Verfassungsidentität rechnenden Kerngehalte des Rechtsstaatsprinzips (hierzu Rn. 256 ff. und Rn. 557 f.).

Gleiches gilt im Hinblick auf die Ratifikation des Protokolls betreffend die vorläufige Anwendung des EPGÜ (hierzu Rn. 335 ff. und Rn. 559 f.).

Durch die Zuordnung des derzeit ausdrücklich in London vorgesehenen Standorts der Zentralkammer des EPG an einen anderen Ort wird gegen die Garantie des gesetzlichen Richters verstoßen (hierzu Rn. 341 ff. und Rn. 561 f.).

Darüber hinaus fehlt es den Richtern am Einheitlichen Patentgericht infolge des im EPGÜ und der EPG-Satzung bestimmten Auswahl- und Ernennungsverfahrens an der erforderlichen Unvoreingenommenheit, sie sind zudem nicht hinreichend unabhängig, was gegen das Rechtsstaatsprinzip als Bestandteil der Verfassungsidentität verstößt (hierzu Rn. 351 ff. und Rn. 563 f.).

Weiterhin verstößt das EPGÜ gegen das Unionsrecht und verletzt damit insofern die Verfassungsidentität, als die Übertragung von Hoheitsrechten nur im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung erfolgen darf und die deutschen Staatsorgane einer Übertragung von Hoheitsrechten durch ein internationales Übereinkommen überhaupt nur dann zustimmen dürfen, wenn dieses Übereinkommen selbst rechtmäßig, insbesondere mit dem Unionsrecht vereinbar ist (hierzu Rn. 378 ff. und Rn. 565 ff.).

– Das EPGÜ verletzt den Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts und den Grundsatz der Vollständigkeit des Systems der Rechtsbehelfe und verstößt somit gegen Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 267 AEUV, denn mit dem Einheitlichen Patentgericht sieht es die Schaffung eines separat von den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten operierendes Gericht vor, das diese in seinem Zuständigkeitsbereich ersetzt und mit der direkten Anwendung von Unionsrecht betraut wird. Hierdurch wird – entgegen den Vorgaben des EuGH in dessen Gutachten 1/09 – das durch die EU-Verträge geschützte Kooperationsverhältnis zwischen den nationalen Gerichten und dem EuGH verletzt (hierzu Rn. 426 ff.).

– Zudem verstößt das EPGÜ gegen Art. 3 Abs. 2 AEUV, denn den EUMitgliedstaaten fehlt bereits die Kompetenz zum Abschluss des EPGÜ ohne Beteiligung der Europäischen Union (hierzu Rn. 467 ff.).

– Den Richtern am EPG fehlt die erforderliche Unabhängigkeit, was gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit sowie den Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht Art. 2 S. 1 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie Art. 47 Abs. 2 der EUGrundrechtecharta verstößt (hierzu Rn. 480 ff.).

– Weiter verletzt das EPGÜ durch verschiedene Regelungen hinsichtlich der anzuwendenden Verfahrenssprache die durch Art. 2 S. 1 EU i.V.m. der EUGrundrechtecharta geschützten Verteidigungsrechte des Beklagten (hierzu Rn. 501 ff.).

– Durch die unvollkommene Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts, insbesondere die Ausklammerung bestimmter Entscheidungen des Europäischen Patentsamts, wird der durch Art. 2 S. 1 und Art. 19 Abs. 1 S. 3 EU i.V.m. der EU-Grundrechtecharta geschützte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verletzt (hierzu Rn. 521 ff.).

– Zuletzt wird durch die Ratifikation des EPGÜ mit Großbritannien als Nicht- EU-Mitgliedstaat, der das Unionsrecht und die Rechtsprechungshoheit des EuGH ablehnt, gegen das Unionsrecht, nämlich gegen den Grundsatz der Autonomie des Unionsrechts sowie Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 und Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 267 AEUV (hierzu Rn. 539 ff.).

A.

Vorbemerkung

1. Aus der ersten Verfassungsbeschwerde wurde der Abschnitt zum Hintergrund ebenso übernommen, wie große Teile der Sachverhaltsschilderung – jeweils ergänzt und angepasst an die aktuelle Situation. Die auch vorliegend geltend gemachten Rügen, die bereits Bestandteil der ersten Verfassungsbeschwerde waren, wurden aktualisiert.

B.

Hintergrund

2. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ratifikation des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht („EPGÜ“). Dieses Übereinkommen ist Teil eines Legislativpakets für eine europäische Reform des Patentrechts, das gemeinhin auch als „europäisches Patentpaket“ bezeichnet wird. Es umfasst die Schaffung eines neuen Patentschutztitels, des sog. europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung („Einheitspatent“) sowie eines Einheitlichen Patentgerichts („EPG“), einer zwischenstaatlichen Gerichtsbarkeit im Bereich des Privatrechts mit ausschließlicher Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über die Verletzung bzw. den Rechtsbestand des besagten „Einheitspatents“ sowie herkömmlicher europäischer „Bündelpatente“.

3. Einleitend soll zunächst ein allgemeiner Überblick zum Thema Patentschutz und Patentdurchsetzung gegeben (ab Rn. 4) und die die historischen Bemühungen um die Schaffung eines einheitlichen europäischen Patents und einer Patentgerichtsbarkeit in Grundzügen beschrieben werden (Rn. 31 ff.), bevor näher auf das EU-Gesetzgebungsverfahren zur Patentreform und die Inhalte der entsprechenden Legislativakte eingegangen wird (Rn. 35 ff.). Im Anschluss werden die Maßnahmen zur Implementierung des EPGÜ geschildert (Rn. 140 ff.) und das im Anschluss an den ersten Ratifikationsversuch (Rn. 170 ff.) erfolgte Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 739/17 thematisiert (Rn. 177 ff.). Abschließend werden der Rückzug Großbritanniens von der europäischen Patentrefom (Rn. 188 ff.) und das (zweite) parlamentarische Verfahren in Deutschland zur Ratifikation des EPGÜ angesprochen (ab Rn. 199).

I. Inhalt des Patentschutzes

4. Patentschutz wird erteilt für a) technische Erfindungen, die b) neu sind, c) auf erfinderischer Tätigkeit beruhen und d) gewerblich anwendbar sind (z. B. § 1 Abs. 1 PatG). Sind diese vier sog. Patentierbarkeitsvoraussetzungen erfüllt, kann eine Erfindung erfolgreich zum Patent angemeldet werden.

5. Zu unterscheiden sind hierbei zwei Sachebenen: Diejenige der Patenterteilung – bzw. nach Erteilung des Rechtsbestands – einerseits und diejenige der Patentverletzung andererseits. Über die Patenterteilung wird im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens durch die jeweils zuständige Erteilungsbehörde entschieden, mit entsprechenden amtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfen im Falle der Erteilungsverweigerung. Ein erteiltes Patent kann von jedermann in einem amtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Verfahren in seinem Rechtsbestand angegriffen werden. Ergibt sich hier, dass die Patentierbarkeitsvoraussetzungen bei Erteilung nicht vorlagen, wird das Patent mit ex nuncWirkung für nichtig erklärt.

6. Demgegenüber befinden über die Verletzung eines erteilten Patents die Zivilgerichte. Dem Kläger stehen gegen jeden unbefugten Dritten, der die patentierte Erfindung ohne seine Zustimmung benutzt, eine Reihe zivilrechtlicher Ansprüche zu, insbesondere auf Unterlassung, Schadensersatz oder Vernichtung. Der Beklagte kann sich damit verteidigen, dass eine rechtswidrige Benutzung der Erfindung nicht vorliegt und/oder das betroffene Patent zu Unrecht erteilt wurde, also nichtig ist. Letzteres kann er in Deutschland – anders als in den meisten anderen Ländern – im Verletzungsverfahren nicht unmittelbar einwenden, da hier über den Rechtsbestand und die Verletzung eines Patents infolge des Gewaltenteilungsgrundsatzes durch unterschiedliche Gerichtsbarkeiten – Zivilgerichtsbarkeit hinsichtlich der Verletzung, Verwaltungsgerichtsbarkeit hinsichtlich des Rechtsbestandes – entschieden wird (sog. „Trennungsprinzip“).

II. Umfang des Patentschutzes

7. Der an dem Patent Berechtigte – also dessen Inhaber oder der anderweitig durch Benutzung Befugte, z. B. ein Lizenzinhaber – erwirbt die ausschließliche Befugnis, die darin beschriebene patentierte Erfindung, also die Lehre zum technischen Handeln, zu benutzen (sog. Benutzungsrecht) und jeden Dritten von deren unmittelbarer oder mittelbarer Benutzung auszuschließen (sog. Ausschließlichkeitsrecht), §§ 9, 10 PatG. Art und Umfang des Ausschließlichkeitsrechts hängen davon ab, in welche Kategorie die entsprechende Erfindung fällt. Es gibt Erzeugnispatente, Verfahrenspatente und Verwendungspatente, für welche die dem Patentinhaber vorbehaltenen unmittelbaren Benutzungshandlungen jeweils individuell definiert sind.

8. Im Fall eines Erzeugnispatents ist es jedem Dritten verboten, das Erzeugnis, das Gegenstand des Patents ist, herzustellen, es anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen (§ 9 S. 2 Nr. 1 PatG).

9. Handelt es sich um ein Verfahrenspatent, ist es jedem Dritten untersagt, das Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, anzuwenden oder, wenn der Dritte weiß oder es auf Grund der Umstände offensichtlich ist, dass die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist, zur Anwendung im Geltungsbereich dieses Gesetzes anzubieten (§ 9 S. 2 Nr. 2 PatG).

10. Im Fall eines Verwendungspatents, das eine besondere Art von Verfahrenspatent darstellt, darf kein Dritter das durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestellte Erzeugnis anbieten, in Verkehr bringen, gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einführen oder besitzen (§ 9 S. 2 Nr. 3 PatG).

11. Über diese Arten unmittelbarer Benutzung hinaus ist jedem Dritten auch die mittelbare Benutzung einer patentierten Erfindung verboten. So ist es – im Geltungsbereich des PatG – unzulässig, ohne Zustimmung des Patentinhabers anderen als zur Benutzung der patentierten Erfindung berechtigten Personen Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen, zur Benutzung der Erfindung anzubieten oder zu liefern, wenn der Dritte weiß oder es auf Grund der Umstände offensichtlich ist, dass diese Mittel dazu geeignet und bestimmt sind, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden (§ 10 Abs. 1 PatG).

12. Bestimmte Handlungen hat der Gesetzgeber vom Patentschutz ausgenommen, so dass eine unmittelbare oder mittelbare Benutzung des Patents in diesen Fällen auch dann nicht rechtswidrig ist, wenn sie gegen den Willen des Berechtigten erfolgt (z. B. die „erlaubten Handlungen“ in § 11 PatG oder das „Vorbenutzungsrecht“ in § 12 PatG).

13. Wird gegen die genannten Ausschließlichkeitsrechte verstoßen, die patentierte Erfindung also unmittelbar oder mittelbar gegen den Willen des Berechtigten benutzt und erfolgt dies auch rechtswidrig, wird das Patent verletzt. In diesem Fall stehen diesem Berechtigten vielfältige Ersatzansprüche zu (vgl. §§ 139 ff. PatG), vor allem Unterlassung (§ 139 Abs. 1 PatG) und Schadensersatz (§ 139 Abs. 2 PatG).

III. Der Status Quo

14. Das Patentrecht wird bestimmt vom Grundsatz der Territorialität, wonach ein für ein bestimmtes Hoheitsgebiet erteiltes Patent nur dort Wirkung entfaltet.1 Daher kann dieselbe Erfindung in unterschiedlichen Staaten – nach den dort jeweils geltenden rechtlichen Regeln – zum Patent angemeldet werden. Die erteilten Patente unterstehen der Rechtsordnung des jeweiligen Erteilungsstaates und sind voneinander unabhängig.2 Demnach ist das herkömmliche System geprägt durch ein Nebeneinander nationaler Schutzrechte, über deren Verletzung und Rechtsbestand im Grundsatz jeweils durch die nach nationalem Recht zuständigen Institutionen entschieden wird.

15. Die europäische Patentreform zielt darauf ab, das Patentsystem zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union dadurch weiter zu vereinheitlich, dass nicht nur ein einheitliches Patent mit einheitlichen Rechtswirkungen geschaffen werden soll, sondern auch eine einheitliche Gerichtsbarkeit mit ausschließlicher Zuständigkeit für bestimmte Streitigkeiten in Bezug auf bestimmte Patentschutztitel, nämlich das herkömmliche europäische Patent und das – neu geschaffene – europäische Patent mit einheitlicher Schutzwirkung.

1. Patentschutztitel

16. Derzeit gibt es dem Grunde nach zwei unterschiedliche Patentschutztitel, das nationale Patent und das sog. europäische Patent.

a) Nationales Patent

17. Ein nationales Patent wird beim Patentamt des betreffenden Staates beantragt und hat nach Erteilung nur auf dem Gebiet dieses Staates Geltung.

b) Europäisches Patent

18. Daneben gibt es das sog. europäische Patent, das auf der Grundlage des Europäischen Patentübereinkommens vom 05.10.1973 („EPÜ“) im Rahmen eines einheitlichen Erteilungsverfahrens durch das Europäische Patentamt in München erteilt wird.

19. Um den Erwerb von Patenten im internationalen Umfeld zu erleichtern, wurden seit den 1970er Jahren internationale Übereinkommen abgeschlossen, die auf eine Vereinheitlichung der Erteilungsvoraussetzungen, des Anmeldeverfahrens und eine Rechtsanpassung des materiellen Patentrechts abzielten. Eines der im hiesigen Kontext wichtigsten ist das EPÜ. Mit diesem Übereinkommen wurde eine entsprechende internationale Organisation, die Europäische Patentorganisation, gegründet, der inzwischen 38 Vertragsstaaten3 – die (ohne Großbritannien) 27 EUMitgliedstaaten sowie 11 weitere Staaten (inklusive Großbritannien) – angehören. Ihr wurde die Aufgabe der Erteilung sog. „europäischer Patente“ übertragen, die durch das Europäische Patentamt, das zweite Organ der Europäischen Patentorganisation neben dem Verwaltungsrat, ausgeführt wird. Grundlage hierfür ist das EPÜ, das ein einheitliches Erteilungsverfahren zur Verfügung stellt.

20. Das hieraus resultierende europäische Patent ist jedoch kein einheitliches Schutzrecht, sondern ein „Bündel“ nationaler Patente der Vertragsstaaten und wird deshalb auch als europäisches „Bündelpatent“ bezeichnet. So kann der Anmelder eines europäischen Patents im Rahmen seiner Anmeldung wählen, in welchen der derzeit 38 EPÜVertragsstaaten sein Patent Gültigkeit haben soll. Mit dem Erteilungsbeschluss zerfällt das europäische Patent dann in ein „Bündel“ nationaler Patente der gewählten Staaten. Der Erteilungsbeschluss durch das Europäische Patentamt steht einem solchen der nationalen Patentämter der Vertragsstaaten gleich, ein durch das Europäische Patentamt erteiltes Patent hat unmittelbare Wirkung in den vom Anmelder benannten Vertragsstaaten. Der Vorteil eines europäischen Patents für den Anmelder liegt daran, dass er in einem einzigen, einheitlichen Erteilungsverfahren Patentschutz für bis zu 38 Staaten, die EPÜ-Mitgliedstaaten, erlangen kann, anstatt hierfür auf die jeweiligen nationalen Erteilungsverfahren angewiesen zu sein, die vielfach eigenen Regeln folgen und sich auch in der Verfahrensdauer mitunter nicht unerheblich unterscheiden. Darüber hinaus bleibt der Harmonisierungseffekt begrenzt, denn insbesondere die Rechtswirkungen der jeweiligen nationalen Bestandteile des europäischen „Patentbündels“ und die Folgen seiner Verletzung bestimmen sich nach dem jeweiligen nationalen Recht.4

c) Ergänzendes Schutzzertifikat

21. Für nationale Patente und die nationalen Teile eines europäischen Patents kann zudem ein sog. ergänzendes Schutzzertifikat erteilt werden, das sich an die Schutzdauer des Patents von 20 Jahren (§ 16 PatG) anschließt, wenn dies durch EU-Verordnung vorgesehen ist (§ 16a PatG). Entsprechende Zertifikate können derzeit für Patente in Bezug auf Arzneimittel und Pflanzenschutzmittel erworben werden (§ 16a PatG). Sinn und Zweck ist es, bei Erzeugnissen, die einer staatlichen Regulierung unterliegen und bei denen die Verwertung des Patents infolge eines oftmals längeren Erteilungsverfahrens entsprechend verzögert wird, die effektive Schutzdauer zu verlängern. Die in Bezug auf Patente geltenden Normen werden daher auf ergänzende Schutzzertifikate entsprechend anwendbar erklärt.

2. Zuständigkeit

22. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über Verletzung und Rechtsbestand eines nationalen Patents bzw. der nationalen Bestandteile eines europäischen Bündelpatents liegt bei den zuständigen Behörden bzw. Gerichten des Staates, für den das betreffende Patent Gültigkeit hat. Lediglich für europäische Patente gibt es im Hinblick auf den Rechtsbestand – korrespondierend mit dem Erteilungsverfahren – ein vereinheitlichtes Verfahren vor eigenen Beschwerdeinstanzen des Europäischen Patentamts.

a) Erteilung und Rechtsbestand

23. Ein nationales deutsches Patent wird beim Deutschen Patent- und Markenamt („DPMA“) in München beantragt. Mit seiner Erteilung (§§ 49 Abs. 1, 58 Abs. 1 S. 3 PatG) entfaltet es Geltung auf dem deutschen Staatsgebiet. Innerhalb einer Frist von neun Monaten nach seiner Erteilung kann beim DPMA Einspruch gegen es eingelegt und sein Rechtsbestand im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens zur Überprüfung gestellt werden (§§ 59 ff. PatG). Nach Ablauf dieser Frist kann der Rechtsbestand des Patents mit einer Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht in München angegriffen werden (§§ 81 ff. PatG), also im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

24. Ein europäisches Patent wird – wie ausgeführt – beim Europäischen Patentamt beantragt. Mit seiner Erteilung (Art. 97 EPÜ) zerfällt es in ein Bündel nationaler Patente derjenigen Vertragsstaaten des EPÜ, für die Schutz beantragt wurde (Art. 2 Abs. 2, Art. 3, Art. 64 Abs. 1 EPÜ). Innerhalb einer Frist von neun Monaten nach der Erteilung kann der Rechtsbestand des europäischen „Bündelpatents“ in einem einheitlichen Verfahren vor dem Europäischen Patentamt angegriffen werden (Art. 99 EPÜ). Nach Ablauf dieser Frist ist der Rechtsbestand für jedes einzelne Patent des Bündels nach den Regeln des jeweiligen Staates anzufechten (Art. 2 Abs. 2, Art. 64 Abs. 3 EPÜ), für den deutschen Teil eines solchen „Bündelpatents“ also mittels eine Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht. Für den deutschen Teil eines europäischen Patents ist eine solche Nichtigkeitsklage gesperrt, solange ein Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt möglich ist oder läuft (§ 81 Abs. 2 PatG).

b) Verletzung

25. Über die Verletzung eines nationalen deutschen Patents befinden die Zivilgerichte, sachlich zuständig sind die spezialisierten Patentstreitkammern der Landgerichte (§ 143 PatG).

26. Auch im Fall eines europäischen Patents bestimmt sich die Verletzungsfrage für jeden Teil des „Bündels“, also jedes der vom Anmelder ausgewählten einzelnen nationalen Patente, nach den hierfür geltenden nationalen Regeln (Art. 2 Abs. 2, Art. 64 Abs. 3 EPÜ). So folgt ein mit Wirkung für Spanien erteiltes europäisches Patent bzgl. des spanischen Teils den hierfür in Spanien geltenden Regeln, ein etwaiger deutscher Teil folgt den deutschen Regeln usw. In der Theorie kann dies dazu führen, dass der Inhaber eines europäischen Patents mit Wirkung für mehrere Vertragsstaaten im Falle einer Verletzung, die sich über mehrere dieser Staaten erstreckt, in jedem ein separates Verletzungs- und ggf. Rechtsbestandsverfahren führen muss.

3. Situation in den EU-Mitgliedstaaten: Fallzahlen

27. Im Hinblick auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist anzumerken, dass gerichtliche Auseinandersetzungen in Bezug auf Patente traditionell lediglich in einer Handvoll Ländern mit einem ins Gewicht fallenden Umfang stattfinden. Zum Vergleich seien Zahlen aus der Untersuchung “Study on the Caseload and financing of the Unified Patent Court”5 der Europäischen Kommission vom 07.11.2011 erwähnt, in der die mögliche Auslastung des EPG vor dem Hintergrund verschiedener Fallzahlen aus den EU-Mitgliedstaaten erörtert wird. Nach den dort genannten Zahlen6 aus dem Jahr 2009 gab es in Deutschland insgesamt 1.364 Gerichtsverfahren mit patentrechtlichem Bezug und damit mehr als in allen übrigen EU-Mitgliedstaaten zusammen. In Frankreich gab es im gleichen Zeitraum 219 entsprechende Verfahren, in Großbritannien 165, in den Niederlanden 104 und in Italien 64. In allen anderen übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gab es entsprechende gerichtliche Auseinandersetzungen über Patente nur in einem deutlich geringeren Ausmaß von bis zu 30 Verfahren, dabei sind weniger als 5 Verfahren im Jahr nicht selten. Die Situation hat sich seit 2009 nicht wesentlich geändert.

4. Ausmaß der internationalen Duplizierung von Patentstreitigkeiten

28. In der Praxis kommen Parallelstreitigkeiten in mehreren Staaten jedoch vergleichsweise selten vor. Die Europäische Kommission geht in ihrer vorgenannten Untersuchung “Preliminary Findings of DG Internal Market and Services - Study on the Caseload and financing of the Unified Patent Court” davon aus, dass nur zehn Prozent aller Patentverletzungsstreitigkeiten in Europa in mehr als einem EU-Mitgliedstaat ausgetragen werden,7 in 90 Prozent der Fälle bleiben entsprechende Auseinandersetzungen demnach auf einen Mitgliedstaat beschränkt. Europäische Patentpraktiker nehmen fünf bis acht Prozent an.8

29. In einer Anhörung im EU-Gesetzgebungsverfahren zum „Patentpaket“ erklärte ein französischer Patentpraktiker, zehn Prozent aller Patentverletzungsstreitigkeiten in Europa fänden in mehr als einem Mitgliedstaat statt, von diesen zehn Prozent nur ein Fünftel vor drei Gerichten.9 Eine Duplizierung von Rechtsstreitigkeiten findet in der Praxis somit nicht in einem relevanten Umfang statt.

1 BGHZ 49, 331 (333 f.); zuvor RGZ 51, 139 (140).

2 BGHZ 49, 331 (333 f.); RGZ 84, 370 (375); 51, 263 (266 f.).

3 www.epo.org/about-us/organisation/member-states_de.html (Kurzlink: bit.ly/2mN6qDx).

4 Vgl. Art. 2 Abs. 2, Art. 64 Abs. 3 EPÜ.

5 “Study on the Caseload and Financing of the Unified Patent Court” der Europäischen Kommission vom 07.11.2011, abrufbar unter www.xup.in/dl,12840267.

6 Study Caseload and Financing (Fn. 5), S. 12.

7 Study Caseload and Financing (Fn. 5), S. 15.

C.

Sachverhalt

30. Vor diesem grob beschriebenen Hintergrund soll nachfolgend der Inhalt der europäischen Patentreform näher dargestellt werden.

I. Die Bemühungen um die Schaffungeiner europäischen Patentgerichtsbarkeit

31. Nachdem das EPÜ vorrangig der Schaffung eines einheitlichen Erteilungsverfahrens und einheitlicher Erteilungsvoraussetzungen diente, wurde nachfolgend wiederholt der Versuch einer weitergehenden Harmonisierung des Patentrechts, insbesondere der Schaffung eines gemeinschaftlichen Patentschutztitels, unternommen.

32. Um eine solche Harmonisierung zu erreichen, erarbeiteten die neun Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1975 das „Gemeinschaftspatentübereinkommen“ („GPÜ“). Dieses sah die Schaffung eines „europäischen Patents für den gemeinsamen Markt“ vor, das vom Europäischen Patentamt nach den Vorschriften des EPÜ erteilt werden sollte, aber – anders als das europäische „Bündelpatent“ – mit einheitlichen Rechts- und Schutzwirkungen in allen Vertragsstaaten ausgestattet und autonom sein sollte. Die Einschränkung der Schutzwirkungen sowie die Ansprüche und Verfahren im Falle der Patentverletzung sollten sich nach nationalem Recht bestimmen, für gerichtliche Auseinandersetzungen sollten die Gerichte der Vertragsstaaten zuständig sein. Das Inkrafttreten des GPÜ scheiterte daran, dass die hierfür bestimmte Ratifikation durch alle Vertragsstaaten nicht zustande kam. Auch spätere Versuche, das GPÜ in Kraft zu setzen, zuletzt durch die „Vereinbarung über Gemeinschaftspatente“ („GPÜ II“), blieben mangels Erreichens der erforderlichen Anzahl von Ratifikationen erfolglos.

33. Parallel zu den Verhandlungen über einen einheitlichen Patentschutztitel bemühte man sich um die Schaffung einer zentralen Gerichtsbarkeit für Patentstreitigkeiten.10 Im Jahr 1999 wurde einer Arbeitsgruppe die Aufgabe übertragen, ein Protokoll zum EPÜ hinsichtlich der Errichtung eines Gerichtssystem für Streitigkeiten über die Verletzung und den Rechtsbestand von Patenten zu entwickeln, das einheitliche Verfahrensregeln sowie ein gemeinsames Berufungsgericht umfassen sollte. Als Resultat präsentierte die Arbeitsgruppe im Jahr 2000 einen Entwurf für ein „European Patent Litigation Protocol“ („EPLP“).11

34. Auf der Grundlage des EPLP wurde nachfolgend der Entwurf eines Übereinkommens für die Errichtung eines europäischen Patentstreitsystems („European Patent Litigation System“, kurz „EPLA“) erarbeitet. Danach sollte eine „Europäische Patentgerichts-barkeit“ als neue internationale Organisation geschaffen werden. Ihre Organe sollten ein Verwaltungsrat und das Europäische Patentgericht sein, strukturell also ähnlich dem EPÜ, welches die Europäische Patentorganisation mit den Organen des Verwaltungsrats und des Europäischen Patentamts geschaffen hatte. Die Pläne zum EPLA wurden letztlich nicht weiterverfolgt, da die Europäische Kommission den Abschluss eines solchen Übereinkommens durch die EU-Mitgliedstaaten als unionsrechtswidrig ansah. Sie war der Ansicht, das in Frage stehende Rechtsgebiet unterfalle bereits dem Unionsrecht, so dass den Mitgliedstaaten die Kompetenz zum Abschluss eines solchen Übereinkommens fehle.12 Hierauf wird nachfolgend noch näher zurückzukommen sein, denn dieser Kompetenzmangel besteht gleichermaßen für das EPGÜ. Die von der Europäischen Kommission ihrerseits vorgelegten Vorschläge13 zur Schaffung einer Patentgerichtsbarkeit, bestehend aus einem Gericht erster Instanz und dem EuGH, hatten sich zuvor als nicht mehrheitsfähig erwiesen.

II. Das EU-Gesetzgebungsverfahren zur europäischen Patentreform

35. Auf der Grundlage einer im Jahr 2006 durchgeführten öffentlichen Konsultation zur zukünftigen Patentpolitik sah die Europäische Kommission ein unverändertes Bedürfnis für die Schaffung einer europäischen Patentgerichtsbarkeit mit Zuständigkeit für die herkömmlichen europäischen Patente sowie für zukünftige europäische Gemeinschaftspatente und präsentierte zwei Vorschläge für eine entsprechende Gerichtsbarkeit sowie ein Gemeinschaftspatent.14

36. Der Rat der EU legte nachfolgend ein Arbeitspapier zur Weiterentwicklung der Diskussion vor, in dem die Kernelemente eines zukünftigen europaweiten Patentstreitsystems beschrieben wurden.15 Basierend auf den Ergebnissen der politischen Diskussionen und dem im Rahmen der öffentlichen Konsultation eingereichten Eingaben der Nutzer wurde im Frühjahr 2008 der Entwurf eines Übereinkommens für eine europäische Patentgerichtsbarkeit vorgestellt,16 parallel wurden die Arbeiten an einem europäischen Gemeinschaftspatent wieder aufgenommen. Da der Ratspräsidentschaft eine politische Einigung über die Patentgerichtsbarkeit und das Gemeinschaftspatent bei getrennter Beratung schwierig erschien, wurde die Idee eines sog. „europäischen Patentpakets“ geboren, in dessen Rahmen die Diskussionen zu beiden Themen gebündelt werden sollten.17

37. In einem aktualisierten Entwurf wurde Ende 2008 vorgeschlagen, das Übereinkommen über die Patentgerichtsbarkeit als gemischtes Übereinkommen zwischen der EU, ihren Mitgliedstaaten sowie weiteren, nicht der EU angehörigen Staaten abzuschließen.18