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Was ein Sommertag! Ganz allein im Schlauchboot unter blauem Himmel auf dem Moosbach durch die weiten Felder paddeln. Welch herrliches Abenteuer! Nicht jedoch für den dreizehnjährigen Karl. Der hat nämlich ein mächtiges Problem: Er muss ziemlich dringend sein Leben retten. Warum? Seit Wochen schreibt er anonyme Liebesbriefe an Emma, steckt sie in Flaschen und wirft sie in den Moosbach. Ja, wohin sonst soll man mit seinen überschwappenden Gefühlen? Und außerdem ist das total romantisch, oder nicht? Doch ausgerechnet der fiese Chris findet eine dieser Flaschen an der alten Eisenbahnbrücke. Da, wo sich die Coolen der Schule treffen. Und jetzt ist Chris stinksauer, denn Emma ist seine Zwillingsschwester, und niemand verliebt sich in die Schwester von Super-Chris! Wenn Karl also seinen vierzehnten Geburtstag erleben möchte, muss er sich an jenem glanzvollen Sommertag allein in seinem Schlauchboot dem scheinbar harmlosen Moosbach stellen und die restlichen Flaschen finden, bevor Chris es tut. Vor allem die eine, die verflixte. Die, die nicht nur Emmas Namen verrät.
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Seitenzahl: 86
Herz voll - Flasche leer?
Gefühle raus - Brief rein!
Heute, 13:35 Uhr, an der Pappelbrücke
Ich dämlicher Köttelkopp! Warum habe ich bloß auf Mama gehört? Die mit ihrem Herzgeschwurbelschnickschnack. Tanzt und hüpft durchs Wohnzimmer und singt »Emma, Emma, Emma« und erklärt mir: »Wenn dein Herz vor lauter Emma überquillt, schreib ihr einen Brief, ein Gedicht, ein Lied. Lass die Liebe raus, bevor du platzt!«
Das hätte mir verdächtig vorkommen müssen. Man platzt, wenn man seinen Mampfrekord von anderthalb Familienpizzen und zwei Litern Cola zu brechen versucht. Aber vor Liebe? Die spinnt doch!
Aber jetzt ist es zu spät. Der Misthaufen brennt und ich darf ihn löschen. Eigentlich müsste Mama mit Balu losziehen und die anderen Flaschen finden. Und zwar hoppigaloppi, bevor Chris ihr zuvorkommt.
(Mit Balu losziehen. Das klingt, als würde ich meine Mutter mit einem Bären davonjagen wollen. Keine Sorge, Balu ist mein Schlauchboot, kein Bär.)
Aber nein, Mama räumt das Haus auf und putzt und backt Kuchen. Ihre Lieblingsnichte Charlotte kommt wieder für zwei Wochen zu uns.
Und überhaupt, wenn ich Mama von der Flaschenpost erzählte, würde sie jegliche Schuld von sich weisen.
Ja, sie hat mir geraten, meine Liebe zu Papier zu bringen. Aber dass ich die Briefe einrolle und in Flaschen stecke, davon war nicht die Rede. Auch nicht davon, dass ich die Flaschen in den Moosbach werfe. Mama würde lächeln und mir durch die Haare wuscheln: »Mach dir keine Sorgen, Karlchen, die Liebe wird es klären.«
Ja, Pustekuchen! Die Liebe wird dastehen und zusehen und sich fragen: »Das ist alles meine Schuld?« Dann wird sie beschämt zur Seite gucken und sich verkrümeln.
Also, auf Liebe und Mama kann ich nicht bauen. Und Papa? Ha!, das kann ich mir gleich sparen. Sein Motto lautet: »Es passiert immer was Neues, aber nichts Gutes.«
Ich weiß gar nicht, wie meine Eltern sich gefunden haben. Papa, der Pessimist, und Mama, die Optimoptimistin. Und überhaupt, wenn Nichts gut ist, sind Mama und ich in Papas Augen ungut? Hmm, das kläre ich später. Jetzt muss ich meinen Arsch retten.
Also, rein ins Boot und die dämlichen Flaschenposts finden. Flaschenposts? Das klingt irgendwie schräg. Flaschenpöster? Flaschenposten? Wie heißen die Dinger?
Egal, ich muss meine Flaschenbriefe finden, vor allem diesen verflixten. Bevor Chris das macht und mein Leben nach nur dreizehn unspektakulären Jahren beendet.
Heute, 13:40 Uhr, auf dem Moosbach
Heiliger Honsel! Mir war klar, dass es schwierig würde, die Flaschen mit meinen Liebesbriefen zu finden. Aber so schwierig? Wo man hinschaut Brennnesseln und Sträucher. Und Wurstgräser. Ja, Wurstgräser. Der Name steht nicht im Lexikon, ich weiß. Da steht Rohrkolben. Und Papa nennt die Dinger Pfeifenputzer. Für mich sieht das da oben aber aus wie eine knackige Grillwurst, nicht wie ein Kolben.
Aber zurück zum Thema. Die mistigen Flaschen könnten sich überall verstecken! Sie könnten an einer Wurzel oder an einem Zweig hängengeblieben sein. Sie könnten sich aber genauso gut unter einem Brennnesseldickicht verbergen. Hier ist alles voller Grünzeug.
Und Mücken! Ganze Schwärme schweben über dem Wasser. Die scheinen nur auf mich gewartet zu haben. Ich bin völlig zerstochen. Mein Blut muss wirklich köstlich sein. Besser als Froschblut oder Entenblut oder was auch immer sich hier in der Uferböschung versteckt.
Mama wird denken, dass ich Masern habe. Und Charlotte wird mich auslachen. Sie ist voll die Sportskanone. Sie wird mir erzählen, dass sie schon tausend Kilometer mit dem Kanu durch Kanada gepaddelt ist, oder so’n Zeug.
Wenn ich in dem Tempo weitermache, bin ich heute Nacht noch unterwegs. Der Moosbach ist nur fünf oder sechs Meter breit und schlängelt sich gemütlich durch die Landschaft. Klingt einfach, allerdings muss ich die ganzen vier Kilometer bis zur Eisenbahnbrücke absuchen. Dort hat Chris die Flaschenpost gefunden. Dass ich daran nicht gedacht habe, ich Vollpfosten!
Liebe macht blind, heißt es. Ja, ich war blind. Blind, die Folgen meiner Liebesbriefschreiberei abzusehen. Ich hätte wissen müssen, dass die Flaschenbriefe nicht über Nacht bis zur Nordsee schwimmen. Es sind dreihundert Kilometer bis dahin!
Bei der Fließgeschwindigkeit braucht es Tage oder Wochen dafür. Und natürlich müssen die Flaschen an Brücken vorbei und natürlich können sie überall steckenbleiben. Dass eine aber ausgerechnet an der Eisenbahnbrücke steckenbleibt und Chris sie findet! Das ist doch kein Zufall! Das kann nur mit Schicksal oder höheren Mächten erklärt werden. Und die scheinen etwas gegen mich zu haben.
Klatsch!
Wieder so eine Mistmücke! Ach, könnte ich mein Flaschenpostproblem auch einfach so wegklatschen!
Heute, 8:07 Uhr, in der Schule
Die Klasse jubelt. Nicht, weil Frau Numsen zu spät zum Unterricht kommt, nein. Chris erzählt mit breiter Brust, er habe gestern eine Flaschenpost gefunden. »Ich stehe auf der Eisenbahnbrücke und da sehe ich etwas im Wasser schimmern. Also springe ich hinunter und finde das hier!«
Triumphierend reckt er seinen Arm in die Luft und sieht aus wie die Freiheitsstatue. Nur hält er statt einer Fackel eine Flasche in der Hand. Mein Herz springt mir an die Schädeldecke. Ich erkenne sie sofort: meine Halbliter Colaflasche. (Ich weiß, kein romantisches Transportmittel für einen Liebesbrief. Aber hey, ich konnte schlecht eine Flasche Wein aus dem Keller klauen und mich betrinken.)
Chris grinst wie sein Namensvetter Mister Hemsworth und die Mädchen kriegen große Herzchenaugen. Sie himmeln ihn an, diesen Angeber! Dabei quert die Eisenbahnbrücke den Bach in zwei Metern Höhe, nicht in zwanzig. Und Züge fahren da schon ewig nicht mehr. Okay, Steine liegen in dem flachen Wasser, aber ein Held ist Chris deswegen noch lange nicht. Eher ein Tor. (Haha!)
Ich tue dezent desinteressiert, male Kreise auf mein Hausaufgabenheft und versuche mein Herz wieder in die Brust zu teleportieren. Mein Schweigen fällt niemandem auf. Ich spiele nicht die erste Geige in der Klasse. Auch nicht die zweite. Ich bin eher der Typ Triangel: wenig Einsätze, wenig Beachtung.
Jeder will natürlich wissen, was in der Flaschenpost steht. Sie rufen und bedrängen Chris von allen Seiten. Auch Emma. Sie trägt ein blaues Kleid mit Blümchen. Seufz …
Chris genießt es, im Mittelpunkt zu stehen. Genüsslich schraubt er den Flaschendeckel ab. »Gleich wird es für jemanden verdammt peinlich«, lacht er.
Ich schlucke. Er wird doch nicht meine letzte Flasche gefunden haben? Nein! Nein! Nein!
Chris dreht die Flasche um und der Zettel flutscht in seine Hand. Alle warten gespannt, dass er ihn aufrollt und vorliest.
Er räuspert sich und beginnt: »Liebe Emma!«
Die Klasse applaudiert. Nur ich nicht. Und Emma. Emma steht mit offenem Mund da und eine leichte Röte huscht über ihre Wangen. Ihr Blick wandert zu Lilli, ihrer besten Freundin. Die macht große Augen und zuckt die Schultern. Emma lächelt unsicher.
Ach, Emma, wenn du wüsstest …
»Weiter! Weiter!«, grölt die Menge.
Doch da kommt Frau Numsen und beendet den Tumult.
Heute, 13:46 Uhr, auf dem Moosbach
Gute Idee! Ich benutze einfach mein Paddel, um die Brennnesseln beiseitezuschieben. Und die Wurstgräser. Und die ganzen Blumen und das andere Grünzeugs. Das ist hier wie im Dschungelbuch. Alles grün und dicht und voller Blüten und Schmetterlinge.
»Uaah!«
Und Libellen.
Stechen Libellen? Die sehen so aus. Wozu hat man sonst einen Stachel am Hintern?
»Geh weg! Husch! Hau ab!«
Jetzt schwirrt eine um mein Boot. Die will mich angreifen! Nee, Moment, sie glaubt, Balu ist ein Wassertaxi.
»Ja, mach’s dir bequem da vorne. Ich nehm dich ein Stück mit, kein Problem.«
Die spinnt doch!
Okay, dann machen wir es dir mal ungemütlich. Ich schaukel nach links, schwapp, ich schaukel nach rechts, schwapp, ich schaukel nach links, schwapp, …
»Hey, hiergeblieben!«
Das verdammte Paddel haut ohne mich ab.
»Hey!«
Das darf nicht passieren. Schnell! Schnell! Schneeeell!
»Hab ich dich, du Saupaddel!«
Boah! Das war knapp. Beinahe wäre das Paddel auf und davon gewesen. Zum Glück kann ich mich strecken wie eine Spaghetti.
»Ja, klar, und du guckst dir da vorne alles an, oder was?«
Das kann ja lustig werden. Vier Kilometer Bachufer warten auf mich. Vier Kilometer voller schadenfroher Libellen und widerspenstiger Paddel. Und ich habe, Moment, kurzer Blick nach hinten, fünfzehn Meter geschafft.
Ja, das ist nicht viel. Aber es ist noch kein Kapitän vom Himmel gefallen. Ein Pilot schon eher. Hehe. Aber den brauchen wir hier nicht. Wir brauchen einen erfahrenen Mann des Meeres. Und einen Spürfuchs.
Eine Spürnase habe ich. Ich wittere jede Pizzeria drei Meilen gegen den Wind. Ob das beim Flaschensuchen hilft, weiß ich nicht. Aber ich will’s hoffen. Ich habe nur diesen Nachmittag, um die Flaschen zu finden und mein Leben zu retten. Heute Abend kommt Charlotte zu uns und morgen wird Chris sich auf die Suche machen. Und wenn er die verflixte Flasche findet, bin ich dran. Dann kann ich die Schule wechseln. Sofern ich noch dazu komme.
Also los, du Paddelkönig.
Heute, 9:35 Uhr, in der Pause
Alle stehen um Chris herum und johlen. Auch Emma, die mittlerweile nicht mehr rot vor Rührung, sondern vor Wut ist. Ich tummel mich ein wenig abseits. Es soll niemand Verdacht schöpfen. Meine Hände sind zwar nass wie der Tafelschwamm, aber ich muss hierbleiben. Wenn ich jetzt gehe, wissen alle Bescheid.
Chris räuspert sich. »Meine Damen und Herren, treten Sie näher und werden Sie Zeuge eines besonderen Spektakels.«
Chris liebt Melodramatik und Emma mault ihn an. »Du darfst das nicht vorlesen, der Brief ist für mich!«
»Das wissen wir nicht«, lacht er.
Sie funkelt ihn an. »Wie viele Emmas kennst du?«
»Na, nur dich, Schwesterchen.«
»Dann gib sie her!«
Er streckt sich und beginnt zu lesen:
Liebe Emma,
achtundvierzig Stunden sind seit
meinem letzten Brief vergangen.
Achtundvierzig Stunden voller
Sehnsucht nach Dir. Ich lese ein
Buch, und lese überall Deinen
Namen. Ich schaue fern, und sehe
überall Dich. Ich zocke, und bin
in Gedanken immer bei Dir.
Mein Leben ist sinnlos ohne Dich.
Ich wache auf und mein erster Gedanke
bist Du. Ich schlafe ein und mein
letzter Gedanke bist Du.
Wenn Du mich nur verstehen könntest!
In Liebe,
Dein heimlicher Verehrer
Chris lacht und mir fällt ein Stein vom Herzen. Er hat nicht meine letzte Flasche gefunden, sondern meine dritte. Somit weiß niemand, von wem der Brief stammt, nur für wen er ist – was für Emma schlimm genug ist, mein Leben aber fürs Erste verlängert.
Die Jungs jubeln und lachen und klatschen und rufen: »Emma hat einen Verehrer!«