Wo die toten Hunde träumen - Manuel Deinert - E-Book

Wo die toten Hunde träumen E-Book

Manuel Deinert

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Beschreibung

Ein tierischer Freundschaftsroman von Manuel Deinert Eine Zeit des Lebens … und eine Zeit des Abschieds. Nach wochenlanger Rasenmäherei hat sich der zwölfjährige Flo seine neue Drohne mehr als verdient. Nun kann er in den Sommerferien endlich wieder mit seinem Mischlingshund Klecks auf Schatzsuche gehen. Luftarchäologie ist sein größtes Hobby und Klecks sein größter Verbündeter. Doch alles kommt anders. Flo erfährt, dass Klecks nur noch wenige Wochen zu leben hat. Seine Welt bricht zusammen. Und dann will der neue Pfarrer auch noch den Hundefriedhof schließen. Der hartherzige Mann behauptet, allein der Mensch komme in den Himmel. Doch da hat er die Rechnung ohne Flo und Klecks gemacht! Bei ihrem letzten Abenteuer lassen sich die beiden eine Menge einfallen, um den Pfarrer davon zu überzeugen, dass auch Hunde einen Platz im Paradies haben. Bei diesem Sommerabenteuer bleibt kein Auge trocken. Mit seiner tragischen und gleichsam amüsanten Geschichte zeigt der Autor in kindgerechter Sprache, wie sehr wir unseren Hund lieben können – und wie schmerzhaft der Abschied ist. Aber auch, dass wir trotz aller Trauer lachen dürfen. Und ganz nebenbei schenkt es uns Hoffnung. Hoffnung, loslassen zu können, ohne unsere Freundschaft zu verraten.

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Am Anfang ein Ende

 

 

Manchmal geraten Dinge in Vergessenheit. Wie die Entenkojen. Ich war zehn, als es mir auffiel, elf, als ich alle damit nervte, und zwölf, als ich sie entdeckte.

Meine Eltern und ich wohnten mit meinem Mischlingshund Klecks zwei Kilometer außerhalb von Westerheide in der ehemaligen Entenmühle, einem großen, um 1750 aus dicken Natursteinen gebauten Haus, das direkt an der Brücke am Moosbach stand. Mit zehn fragte ich Papa, wieso das Haus Entenmühle heiße. Zwar gab es noch das morsche Mühlrad und auch reichlich Enten im Wasser, aber wie hing das zusammen? Papa erklärte mir, dass die Erbauer damals Müller und Wildentenfänger gewesen seien; daher der Name. Weil ich ihn mit großen Augen anstarrte, fügte er schnell hinzu, dass man mit dem Mühlrad keine Enten mahlte. Auch nicht fing. Dazu brauchte man Entenkojen.

Entenkojen sind künstlich angelegte Teiche, umgeben von einem schützenden Wäldchen. Von den Außenseiten der Teiche führen mehrere Wassergräben ins Innere. Die Gräben sind mit Draht überspannt und enden in einem Fangkasten. Wenn die Wildenten im Herbst einen Rastplatz suchen und dort landen, muss der Kojenwächter sie nur in die Gräben locken und sie zum Fangkasten treiben. Damit ist ihr Schicksal besiegelt.

Bis 1890 fing man in Westerheide auf diese Weise Wildenten. Weil das so lange her war, konnte Papa mir nicht sagen, wo die Entenkojen gelegen hatten. Genauso wenig wie Mama. Oder Pfarrer Bimsstein. Auch nicht Lübbi. Doch der war ein Zugezogener, der konnte das gar nicht wissen. Schließlich fragte ich Frau Wackel. Die war nicht so alt wie die Entenmühle, aber älter als jeder andere Mensch, den ich kannte. Ihre Antwort war ein schräges Lächeln.

Darum nahm ich die Sache selbst in die Hand. Ich dachte mir, wenn die Enten damals die Teiche aus der Luft sehen konnten, würde ich das auch können. Also wünschte ich mir eine Drohne mit Kamera zum Geburtstag. Praktischerweise stand der vor der Tür.

Papa sagte mir, ich könne nicht einfach nach Entenkojen suchen, dafür brauche ich eine Genehmigung. Eine Genehmigung zur Schatzsuche. Ich lachte und er lachte auch. Doch er meinte das ernst. In Deutschland darf man nicht einfach nach alten Dingen suchen. Wenn man vorhat, mit einer Metallsonde verborgene Münzen oder Waffen aufzuspüren, oder mit einer Drohne vergessene Entenkojen, dann muss man das der Denkmalbehörde melden.

Mir war es wichtig, keinen Ärger zu bekommen, also rief ich dort an. Der Mann am Telefon amüsierte sich köstlich über mein Anliegen und erteilte mir eine mündliche Genehmigung. Vier Wochen später schickte ich ihm Fotos und einen Lageplan. Da klang er nicht mehr belustigt, sondern begeistert.

Ich fand nämlich nicht nur heraus, wo die Teiche gelegen hatten. Ich entdeckte auch morsche Holzpfosten und Draht in den mittlerweile versumpften Wiesen. Da kam die Denkmalbehörde zu uns gefahren, maß alles aus, stellte eine Schautafel an den Wegrand und gratulierte mir. Mit meinen zwölf Jahren sei ich der jüngste Hobbyarchäologe Westfalens, sagte ein Mann mit lustigem Schnurrbart und Nickelbrille zu mir und überreichte mir eine Urkunde und ein rotes Halstuch mit dem Logo der Denkmalbehörde.

Meine Eltern meinten, ich sei ganz schön hartnäckig gewesen, und waren mächtig stolz auf mich. Ihr Sohn war Entdecker der Entenkojen! Neben der Entenmühle die zweite Sehenswürdigkeit in dem beschaulichen Westerheide mit seinen knapp zweitausend Einwohnern und den Straßen, die alle Namen von Wasserpflanzen trugen.

Die Erfahrung, ein Entdecker zu sein, war wie Schokolade: Ich wollte mehr davon. Mit Begeisterung blätterte ich Opas vergilbte Heimatblätter durch und hoffte, weitere Hinweise auf vergessene Orte zu finden. In einem Bericht las ich von einem uralten Friedhof, den man vor zehn Jahren in unserem Dorf gefunden hatte. Beim Bau des neuen Pfarrbüros war man darauf gestoßen. Seit über zweihundert Jahren hatte er vor der Kirche gelegen. Er war auf keiner Karte eingezeichnet gewesen und so waren alle Einwohner von Westerheide jahrelang auf dem Weg zum Gottesdienst über zwei Dutzend Skelette gelaufen. Wenn das nicht aufregend ist!

Ich fand in den alten Heften leider keine Hinweise. Dafür las ich einen Bericht über Luftarchäologie – so nennt man das, was ich getan hatte: mit Drohnen oder Flugzeugen Gebiete abfliegen und nach Spuren der Vergangenheit suchen.

Meine Eltern wunderten sich über mein neues Hobby. Mama meinte, das liege an der Entenmühle. Die knarzenden Bodendielen und der moderige Keller hätten mich verzaubert. Papa glaubte, das Buddeln habe ich mir von Klecks abgeguckt. Sie hatten beide Unrecht. Ich fand es einfach nicht fair, dass Dinge, die anderen Menschen einmal wichtig waren, vergessen wurden. Das war, als würde man die Menschen selbst vergessen. Wie jene auf dem Friedhof.

Allerdings brauchte ich eine neue Drohne, da meine nach zahlreichen Abstürzen nur noch von Panzerband und Klebstoff zusammengehalten wurde. Leider lag mein nächster Geburtstag nun in weiter Ferne. Darum mähte ich den ganzen Frühling so viel Rasen in Westerheide, dass ich nicht nur grüne Zehen bekam, sondern auch eine neue Drohne.

Klecks fand mein neues Hobby ebenfalls großartig. Wir verbrachten mehr Zeit draußen als ein Postbote! Und er liebte die Drohne. Er jagte ihr nach, brachte sie nach der Landung zurück oder trug die Steuerkonsole.

So auch an jenem Sommertag, der in meiner Erinnerung immer der Anfang vom Ende sein wird. Klecks hielt die Steuerkonsole zwischen den Zähnen, seinen Kopf stolz nach oben gestreckt, ebenso den Schwanz. Mit seinen Pfoten wippte er bei jedem Schritt würdevoll auf und ab, als trüge er eine Königskrone im Maul.

Durch die Wiesen folgten wir dem Moosbach, der sich durch die endlosen Felder schlängelte. Aus der Luft betrachtet, glich er einem blaugrünen Band, das einen gelbbraunen Flickenteppich durchzog. Der Flickenteppich bestand aus unzähligen Mais, Roggen, Weizen und Gerstenfeldern, die unser Dorf in mehreren Kilometern Umkreis umgaben. Und das Dorf wirkte von oben betrachtet wie ein grauer Taubenschiss. Ein Faden zog sich durch diesen Fleck: die Hauptstraße. In die eine Richtung führte sie nach Försterhausen, in die andere zur Bundesstraße, wo Opa und Papa ihre Werkstatt hatten.

Der Himmel war an jenem Tag blau und wolkenlos. Ein Sommertag für Poeten und Sänger, wie Pfarrer Bimsstein dazu sagte. Ich konnte nicht singen, ich war die Ente unter den Singvögeln. Und Gedichte schreiben? Das überlässt man lieber den Mädchen.

Dennoch genoss ich die Sonne und ringsum das Gewimmel von Bienen, Schmetterlingen, Heuschrecken und Libellen.

Am Vorabend hatte ich mir auf Google Earth den westlichen Teil von Westerheide angeschaut. Nicht die taubengrauen Häuserreihen, sondern die Felder weit draußen. Da ich kein Flugzeug besaß, war das für mich der einfachste Weg, erste Spuren zu finden. Und tatsächlich hatte ich ein paar sonderbare Schattierungen auf einem der Felder entdeckt. Und die galt es mit Hilfe meiner Drohne zu filmen.

»So, Klecks!«, sagte ich und verglich unseren Standpunkt mit dem GPSSignal auf meinem Smartphone. »Das sieht gut aus. Irgendwo hier befindet sich das Feld.«

Ich bat ihn, mir die Steuerkonsole zu geben. Schwanzwedelnd ließ er sie in meine Hand fallen und setzte sich neben mich.

Ein letztes Mal kontrollierte ich die Kamera unter der Drohne, die Akkuanzeige auf dem Steuermodul, die Rotorblätter und die Kufen. Alles war perfekt. Ich küsste mein rotes Halstuch, das ich seit dem Besuch der Denkmalbehörde jeden Tag trug, und ließ die Drohne mit einem Jubelruf starten.

Klecks schaute ungeduldig zu mir auf und leckte sich die Schnauze. Auf mein Zeichen stürmte er los und sprang durch das Gras der Drohne hinterher, die langsam an Höhe gewann. Bis zu hundert Meter weit konnte sie fliegen. Für maximal zehn Minuten. Das war nicht viel. Aber es musste reichen, um meinen Verdacht zu bestätigen. Gern hätte ich eine bessere Drohne gehabt, aber dafür hätte ich in ganz Westerheide und Försterhausen Rasen mähen müssen.

Die Drohne flog höher und höher. Klecks gab die Verfolgung auf und tollte durch die Wiese, die sich zwischen Maisfeld und Moosbach wand. Das Gras wuchs kniehoch und überall blühten bunte Wildblumen. Aufgeregt schnupperte Klecks am Schilfrohr, bog es beiseite und schreckte einige Schmetterlinge auf, die sich darauf sonnten. Dann steckte er seine Nase in ein paar blaue Blumen und nieste kräftig.

»Hatschi!«, rief ich lachend und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

Klecks rieb sich mit der Pfote über die Schnauze und schnüffelte weiter. Während er einer Libelle nachjagte, konzentrierte ich mich wieder auf die Drohne. Die Schattierungen, die ich auf dem Satellitenbild gesehen hatte, konnten Grundmauern einer alten Römervilla sein, die vor ewig langer Zeit dort gestanden hatte. Und die zu finden, war mein größter Traum.

Natürlich gab es keine Mauern mehr zu sehen. Wind und Wetter der letzten Jahrhunderte hatten Erde, Blätter und Gestein über sie geschüttet. Aber Spuren davon konnte man wie Fußabdrücke im Boden lesen. Sogenannte Bewuchsmerkmale.

So nennt man in der Archäologie den unterschiedlichen Wuchs von Pflanzen aufgrund von ungleich feuchtem Boden. Das klingt kompliziert, ist aber total logisch: Gräser und Getreide reagieren empfindlich auf Veränderungen im Boden. Wenn sich in der Erde alte Mauern oder Schutzgräben befinden, wachsen die Pflanzen darüber entweder schwächer oder kräftiger als die umliegenden. Über Mauern verlieren sie an Kraft, weil die Wurzeln nicht tief genug gelangen und die Erde trockener ist. Über Gräben gedeihen sie hingegen üppiger, weil sich darin mehr Humus bildet und der die Feuchtigkeit länger speichert.

»Auf den Satellitenbildern sah das hier aber anders aus«, sagte ich zu Klecks. »Hier wächst ja nur Mais! Hoffentlich sind wir richtig.«

»Wuff! Wuff!«, antworte Klecks und schaute zu mir auf, als teilte er meine Sorge.

Klecks war kein Schäferhund. Auch kein Golden Retriever. Und kein Dackel. Erst recht kein Pudel. Und auch kein Terrier. Nichts von all dem war Klecks. »Er ist ein Senfhund«, behauptete Papa und grinste dabei immer bis über beide Ohren. Unsere Tierärztin meinte, Klecks sei ein Mischling. Mir war es einerlei. Er war einfach der beste Hund der Welt.

Er reichte mir bis zur Hüfte, hatte kurzes schwarzes Fell und lustige weiße Flecken um die Augen. Daher hatte Mama ihn Klecks getauft.

So lustig diese Kleckse aussahen, das Witzigste an Klecks' Kopf waren seine Ohren. Er konnte sie in alle Richtungen drehen, wie zwei Antennen. Meist hingen sie seitlich herunter, aber manchmal richtete er sie auch nach vorn oder zur Seite. Wenn er rannte, klappten sie nach hinten um und dann grinste er wie verrückt. Ich hatte immer Angst, er würde wie mit einem Köcher Fliegen damit fangen, aber er hatte die saubersten Ohren der Welt. Wann immer Mama mir die Ohren mit einem Waschlappen wusch, beneidete ich ihn darum. Seine musste man nie reinigen.

»Juchhu!«, rief ich und blickte auf ein Meer aus Roggen. Wir waren auf dem richtigen Weg.

»Weißt du, Klecks«, erklärte ich ihm, »im Mais kann man Bewuchsmerkmale nicht erkennen, Der steht zu weit auseinander. Aber in einem Roggenfeld sind die Spuren gut zu sehen.«

Besonders in einem so trockenen Sommer, dachte ich und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Es hatte die letzten Wochen weniger geregnet als in der Wüste.

»Hätte ich nur eine bessere Drohne!«, seufzte ich und steuerte meine kreuz und quer über das Feld. »Dann wüsste ich genau, welchen Bereich ich absuchen muss.«

So konnte ich nur hoffen, die richtige Stelle zu erwischen. Später würde ich mir die Aufnahmen am Computer anschauen und analysieren. Und vielleicht würde ich tatsächlich eine alte Römervilla finden und wieder den netten Mann von der Denkmalbehörde anrufen.

Das war nicht unmöglich, die Römer hatten vor über zweitausend Jahren versucht, die nördlichen Länder zu erobern. Dabei waren sie durch Westfalen gezogen. Doch Hermann, der Fürst der Cherusker, verpasste ihnen einen Tritt in den Hintern und zeigte ihnen, was er von den Eroberungsplänen hielt. Die Römer waren daraufhin schnurstracks zurück nach Rom gerannt und hatten ihre Feldlager, Häuser sowie allerlei Geld und Waffen zurückgelassen. Das alles lag jetzt unter all dem Mais und Roggen und Weizen.

»Unter der Kornkammer Westfalens«, kicherte ich und dachte an Papa. »Wir sind die Kornkammer Westfalens!«, posaunte er immer. Er war zwar weder Bauer noch Müller, aber ihm gehörte die einzige Werkstatt weit und breit: Fritzenkötter & Sohn. Der Firmenname war irreführend, denn Papa war der Sohn und Opa der Fritzenkötter. Gemeinsam reparierten sie Traktoren und Rasenmäher und fühlten sich als wichtiger Teil der Kornkammer Westfalens.

Klecks sprang in den Moosbach und schlabberte daraus. Ich hatte ebenfalls tierischen Durst, da wir schon seit zwei Stunden unterwegs waren, aber aus dem Bach wollte ich nicht trinken. Auch wenn das Wasser glasklar war und Klecks und ich alles gemeinsam machten, gab es drei Grundsätze: Ich aß kein Hundefutter, trank nicht aus Pfützen und Bächen – und machte mein Geschäft nicht draußen. Zumindest nicht das große.

»Sieh nur, Klecks, sieh nur!«, rief ich und fuhr mir durch die schulterlangen Haare, die mir dauernd ins Gesicht fielen.

Die Drohne taumelte hin und her, rauf und runter, als wirbelte ein Sturm sie herum. Dabei war es windstiller als in einem Hühnerei.

Panisch bog ich den Hebel des Steuermoduls in alle Richtungen, doch nichts geschah. »Vielleicht ist die Drohne außerhalb der Reichweite«, versuchte ich mir das Problem zu erklären. »Sie hat einfach keinen Empfang mehr.«

Klecks kam angerannt und schaute mich mit großen Augen und heraushängender Zunge an.

»Mist!«, rief ich und sah eine rote Lampe aufleuchten. »Jetzt verabschiedet sich auch noch der Akku.«

Das Lämpchen blinkte dreimal und erlosch.

»Oh nein!,« ärgerte ich mich. »Sie stürzt ab!«

Jetzt war es eine Frage von Sekunden. Wenn ich Glück hatte, landete die Drohne auf dem schmalen Wiesenstreifen am Bach und es ging nur ein Rotorblatt kaputt. Wenn ich Pech hatte, fiel sie ins Wasser und meine komplette Drohne samt allen Aufnahmen war verloren. Und mitten im Feld würde ich sie nicht vor dem Winter wiederfinden.

»Komm, Klecks«, rief ich und rannte los.

Die Drohne verlor an Höhe und ich hoffte, sie noch einzuholen. Klecks trottete hinter mir her. Die Hitze schien ihn ganz schön zu schlauchen.

Ich spurtete durch das Gras und fiel beinahe in einen ausgetrockneten Feldgraben, der die Wiese von der Landstraße trennte. Die Drohne taumelte wie eine riesige betrunkene Libelle ihrem Aufprall entgegen.

Ich vergewisserte mich, dass kein Auto kam, und setzte zum Sprung an. Da hörte ich ein Motorengeräusch und hielt inne – im Gegensatz zu Klecks. Der sprang mit wehenden Ohren über den Graben. Und während ich aus Leibeskräften »Nein!« schrie, prallte Klecks gegen einen weißen Geländewagen.

 

WUFF

 

 

Was ist denn mit meinem Kopf los? Der fühlt sich an, als wäre ich vor eine Wand gesprungen. Moment! Ich bin vor eine Wand gesprungen. Eine Blechwand. Genau! Da war dieses Auto. Uff! Und ich mitten rein.

Wow, was riecht denn hier so seltsam? Kranker Hund, Schweine, Medizin, Leckerchen. Oje! Wir sind bei der kleinen Frau, wo es immer weh tut. Die guckt überall rein. Ins Maul, in die Ohren, manchmal sogar hinten, wo man von Natur aus gar nicht reingucken sollte.

Flo? Flo, wo bist du? Da! Alles klar. Puh! Wenn Flo dabei ist, wird alles gut.

Hey, was macht dieser Mann hier? Und wieso trägt der mich? Moment! Ich kenne ihn. Der ist manchmal in Papas Werkstatt. Der riecht nach Schweinen. Dabei ist er gar keins. Obwohl, er hat keine Haare auf dem Kopf und sooo große Segelohren! Als könnte er damit fliegen. Aber er fliegt nicht. Er fährt ein Auto. Moment! Er fährt DAS Auto! Das eine, vor das ich volle Pulle gesprungen bin.

Holla! Was ist jetzt los? Es dreht sich alles. Mir ist ganz schwindelig. Ich mache lieber die Augen wieder zu und schlafe eine Wei …

 

Ein tragischer Glücksfall

 

 

In der Praxis war nicht viel los. Allein die runde Tine saß mit dem runden Rollo im Wartezimmer. Rollo war ihr schwarzer Mops und wahrscheinlich hatte er wieder was am Magen. Das hatte er ständig. Tine gab ihm alles Mögliche zu futtern. Sie ging mit mir in dieselbe Klasse und die Ähnlichkeit zwischen ihr und Rollo war erschreckend. Beide hatten ein Knautschgesicht, aus dem sie die Welt grummelnd und brummelnd anstarrten.

»Ein Notfall«, rief Herr Zitterbart der Arzthelferin zu und deutete mit dem Kinn auf den bewusstlosen Klecks, den er auf den Armen trug. »Der Hund wurde angefahren.«

Die Frau am Empfang sprang auf und führte uns zu einem Behandlungsraum. »Kommen Sie, kommen Sie.« Im Lauf wandte sie sich um. »Jenny? Hol bitte die Frau Doktor. In Raum eins wartet ein Notfallpatient.«

Aus einem Nebenzimmer kam Jenny gehuscht. Bei meinem Anblick blieb sie stehen, sah mich irritiert an und rannte grußlos weiter. Jenny ging ebenfalls mit mir in dieselbe Klasse und half in den Ferien in der Tierarztpraxis mit. Im Gegensatz zu Tine war Jenny weder brummelig noch rund. Sie war anders.

Ich folgte Herrn Zitterbart und Klecks in das helle Zimmer. Es roch wie üblich nach Hundefutter und Desinfektionsspray. Herr Zitterbart legte Klecks auf den Behandlungstisch und sprach beruhigend auf ihn ein. »Alles wird gut, alter Freund. Du schaffst das.«

Meine Knie zitterten. Ich befürchtete, umzukippen. Rasch hielt ich mich am Tisch fest und hockte mich hin. Ängstlich kaute ich auf einem Zipfel meines Halstuches. Ich rückte näher an Klecks, bis sich unsere Nasen fast berührten. Sanft tätschelte ich seinen Kopf. »Klecksi, hörst du mich?«

»Sieh nur!«, rief Herr Zitterbart.

Klecks versuchte zu blinzeln und schob seine Schnauze ein wenig nach vorn, bis seine Nase gegen meine drückte.

»Guten Tag, Herr Zitterbart«, sagte Frau Doktor Kluckhuhn, als sie den Raum betrat. »Wie geht es Ihnen? Sind Ihre Schweine wohlauf?« Herr Zitterbart winkte ab und da erst bemerkte sie mich. »Du, Florian?« Mit Tränen in den Augen schaute ich sie an und zeigte auf Klecks. Ihr Blick folgte meiner Hand. »Oje, was ist passiert?«

Ich erzählte ihr alles und augenblicklich wurde die kleine Frau, die kaum größer war als ich, ganz emsig. Zuerst horchte sie Klecks ab, dann tastete sie seine Rippen und Beine ab. Klecks schien die Aufregung zu spüren, angestrengt öffnete er die Augen, schleckte mir die Nase ab und versuchte aufzustehen.

»Sachte, sachte, Herr Klecks«, sagte Frau Doktor Kluckhuhn und streichelte ihm sanft die Flanken. Sie sprach die Tiere immer mit Herr und Frau an. »Es sind meine Patienten«, hatte sie mir einmal erklärt, als ich deswegen kicherte. »So viel Höflichkeit muss sein.«

Sie zwinkerte mir zu. »Herr Klecks kommt durch. Er hatte wohl einen Schutzengel. Ich habe keine Brüche feststellen können. Aber vorsorglich möchte ich ihn gerne röntgen.« Sie fuhr Klecks auf einem Rolltisch ins Nebenzimmer. »Ihr wartet hier. Es dauert nicht lange.«

Ich ließ mich auf den Boden plumpsen und schluchzte. Meine Haare fielen mir ins Gesicht und Tränen der Erleichterung rollten mir über die Wangen. Mit meinem Halstuch wischte ich sie weg, doch es kamen immer mehr.

»Schon gut«, sagte Herr Zitterbart erleichtert. »Mir fällt auch ein Stein vom Herzen.« Er setzte sich auf einen Stuhl, der in der Ecke stand, und fuhr sich mit der Hand über die Glatze. »Wenn Klecks nur Prellungen hat, ist er bald wieder fit. Dann könnt ihr weiter in den Feldern toben.«

»Danke, Herr Zitterbart«, brachte ich hervor.

»Danke? Wofür? Ich habe Klecks angefahren!«

»Ja, und Sie haben uns hergebracht.«

»Das ist selbstverständlich. Aber sag mal, was hast du da draußen hinter den Feldern gemacht?« Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen. »Hast du etwa eine Märchenblume gesucht?«

Ich lächelte unsicher. »So was in der Art.«

Und dann erzählte ich ihm von meiner neuen Drohne und der römischen Villa und von Bewuchsmerkmalen. Das Sprechen beruhigte mich. Klecks war nicht schwer verletzt und alles würde gut werden.

Schließlich lehnte sich Herr Zitterbart nach vorne und deutete auf mein Halstuch. »Ist das wieder so ein EntenkojenDing?«

Ich nickte und zupfte an meinem Halstuch.