Die Verjagten - Heinrich Mann - E-Book

Die Verjagten E-Book

Heinrich Mann

0,0
0,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Verjagten ist eine Erzählung von Heinrich Mann. Zusammen in diesem Band mit Der Bruder. Auszug: Seit gestern ist nun auch die sechzehnjährige Linda Barocci gestorben. Alle, die sie kannten, sagen, daß sie glücklich zu leben verdient hätte, denn sie war gut und tapfer, was sie schon lange vor ihrem letzten Unglück bewiesen hatte, draußen vor Porta Agnese bei ihrem Verwandten Nazzarri, der ihr nachstellte. Nazzarri Umberto hatte seine Gärtnerei gleich hinter dem Heiligtum Santa Agnese. Er war ein stattlicher Mann mit lebhafter Gesichtsfarbe. Die Linda, blond, weiß und sehr zierlich, fand ihr Heil, wenn die Laune ihn ankam, stets nur in ihrer Schnelligkeit. Denn der Garten ist groß und geht in das offene Feld über. Wenn der Nazzarri der Kleinen lästigfiel, trat manchmal seine Gattin dazwischen, die Frau Amelia, oder besser gesagt, sie rief ihrem Gatten von der Tür her Namen zu, die keine Kosenamen waren; aber persönlich zur Stelle zu sein ward ihr schwer wegen des Gewichts ihres Körpers. Diese beleibte Person hatte ein gutes Herz, das die Linda die versuchte Untreue ihres Gatten nie entgelten ließ. Vielmehr bezeigte sie ihr das innigste Mitleid und warnte den Nazzarri vor allem Unglück, das seine böse Lust nicht verfehlen werde heraufzurufen. Er aber wollte nicht hören. Gereizt durch den Widerstand des Mädchens, hetzte er sie oft umher wie toll, und besonders zu der Stunde, wo auf die Campagna die Dämmerung herabsteigt. Dann sahen Nachbarinnen Linda dahin huschen über den Boden, klein und leicht wie eine Fledermaus, und irgendwo darin verschwinden. Denn die Erde hat dort versteckte Löcher, die zu den alten Katakomben hinabführen, und in ihnen findet man schwer den, den man sucht, wenn auch zuweilen solche, die man nicht gesucht hat, und die das Licht scheuen. Der Nazzarri mußte draußen warten, bis es der Linda gefiel, zurückzukehren. Einmal, sagten sie, habe er achtundvierzig Stunden lang warten müssen. So verzweifelt war das Mädchen, daß es sich drunten verirrt hatte und halb verhungert hervorkam.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Verjagten

Die VerjagtenDer BruderAnmerkungenImpressum

Die Verjagten

Seit gestern ist nun auch die sechzehnjährige Linda Barocci gestorben. Alle, die sie kannten, sagen, daß sie glücklich zu leben verdient hätte, denn sie war gut und tapfer, was sie schon lange vor ihrem letzten Unglück bewiesen hatte, draußen vor Porta Agnese bei ihrem Verwandten Nazzarri, der ihr nachstellte. Nazzarri Umberto hatte seine Gärtnerei gleich hinter dem Heiligtum Santa Agnese. Er war ein stattlicher Mann mit lebhafter Gesichtsfarbe. Die Linda, blond, weiß und sehr zierlich, fand ihr Heil, wenn die Laune ihn ankam, stets nur in ihrer Schnelligkeit. Denn der Garten ist groß und geht in das offene Feld über. Wenn der Nazzarri der Kleinen lästigfiel, trat manchmal seine Gattin dazwischen, die Frau Amelia, oder besser gesagt, sie rief ihrem Gatten von der Tür her Namen zu, die keine Kosenamen waren; aber persönlich zur Stelle zu sein ward ihr schwer wegen des Gewichts ihres Körpers. Diese beleibte Person hatte ein gutes Herz, das die Linda die versuchte Untreue ihres Gatten nie entgelten ließ. Vielmehr bezeigte sie ihr das innigste Mitleid und warnte den Nazzarri vor allem Unglück, das seine böse Lust nicht verfehlen werde heraufzurufen. Er aber wollte nicht hören. Gereizt durch den Widerstand des Mädchens, hetzte er sie oft umher wie toll, und besonders zu der Stunde, wo auf die Campagna die Dämmerung herabsteigt. Dann sahen Nachbarinnen Linda dahin huschen über den Boden, klein und leicht wie eine Fledermaus, und irgendwo darin verschwinden. Denn die Erde hat dort versteckte Löcher, die zu den alten Katakomben hinabführen, und in ihnen findet man schwer den, den man sucht, wenn auch zuweilen solche, die man nicht gesucht hat, und die das Licht scheuen. Der Nazzarri mußte draußen warten, bis es der Linda gefiel, zurückzukehren. Einmal, sagten sie, habe er achtundvierzig Stunden lang warten müssen. So verzweifelt war das Mädchen, daß es sich drunten verirrt hatte und halb verhungert hervorkam.