Die verkaufte Großmutter - Hanns Heinz Ewers - E-Book

Die verkaufte Großmutter E-Book

Hanns Heinz Ewers

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Beschreibung

Eine richtige Großmutter lebt in der Nähe und kann Geschichten erzählen, so der Besitzer einer Großmutter. Otto's Großmutter lebt in Hamburg, ist also keine richtige Großmutter. Deswegen "kauft" er Jupp einen Anteil an dessen Großmutter ab. Die kann erzählen, sage ich euch! Und was sie alles zu erzählen weiss... 12 Zeichnungen ergänzen die Geschichten.

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Titel

 

Hanns Heinz Ewers

 

Die verkaufte Großmutter

 

Ein deutsches Märchenbuch

 

Mit 12 Bildbeigaben von Paul Haase

 

 

Basel, 2014

[email protected]

Die verkaufte Großmutter

I. Wie Otto Bender sich eine neue Großmutter kaufte

Als Otto schon ein halbes Jahr auf der Schule war, geschah plötzlich etwas, das ihm eine ganz neue Welt eröffnete. Bis dahin war er sehr brav gewesen und immer der Erste in der Klasse. Schon ehe er zur Schule kam, hatte er zu Hause etwas Schreiben, Lesen und Rechnen gelernt, und da sein reicher Vater ihm auch jetzt noch einen Hauslehrer hielt, der alle Schularbeiten sorgsam mit ihm durchnahm, so war es kein Wunder, daß er seine Aufgaben immer am Schnürchen konnte. – Gern ging er gerade nicht in die Schule; die anderen Jungen mochte er nicht, da sie ihm zu schmutzig waren, und sie mochten ihn nicht, obwohl sie sehr zu ihm aufsahen, weil er so sehr vornehm war und weil er ihnen von dem Lehrer immer als »Muster« vorgestellt wurde.

Aber zum Herbste kam ein neuer Junge in die Schule, der Joseph Quetschbüdel hieß; genannt wurde er immer »Jupp«. Jupp war noch viel schmutziger als alle anderen Jungen zusammen, er war so schmutzig, daß der kleine feine Otto sich die Nase zuhielt, wenn er ihn sah. Niemand mochte ihn zuerst leiden; aber Jupp verstand es, sich eine gewisse Achtung zu verschaffen, indem er gleich am ersten Tage drei Jungen durchprügelte. Am zweiten Tage stahl er Ottos schönes Schinkenbrot und aß es trotz des Widerspruchs des rechtmäßigen Besitzers ruhig auf. Und als er gar am dritten Tage zwei Stunden schwänzte, da war sein Ansehen in der Klasse völlig befestigt. Er erhielt dafür zwar von dem Lehrer eine tüchtige Tracht mit dem Rohrstocke, aber er heulte gar nicht dabei und erklärte nachher seinen Mitschülern, daß ihm das ganz gleichgültig sei, das fühle er doch nicht! Prügel erhielt er überhaupt fast jeden Tag, da er fast nichts lernte und nicht zu bewegen war, auch nur ein einziges Mal seine Schularbeiten zu machen.

Mit diesem Jupp nun schloß Otto Freundschaft, und das kam so.

Je höher Jupps Ansehen in der Klasse stieg, um so tiefer sank das von Otto – die Jungen nannten ihn den »feinen Otto« und neckten und schubsten ihn, wo sie nur konnten. Er fühlte, daß er etwas tun müsse, um seine Stellung wieder zu gewinnen und beschloß daher, mit Jupp anzubandeln. Otto war trotz seiner Bravheit gar nicht bange, so wenig vor Jupp wie vor einem anderen. Er wartete also nur eine Gelegenheit ab, und als Jupp ihm in der Pause wieder einmal sein Butterbrot weggenommen hatte, ging er auf ihn zu und erklärte ihm, daß er ihn durchhauen wolle, wenn er es ihm nicht sofort zurückgebe.

»Seht doch mal den ›feinen Otto‹!« rief Jupp und lachte so laut, daß die ganze Klasse sich um die beiden versammelte.

Otto sagte kein Wort mehr, er ballte seine kleine Hand und schlug seinen Gegner auf den Kopf. Der war aber auch nicht faul, er griff fest zu, und bald wälzten sich die Jungen in einem Knäuel am Boden herum. Nach einer Weile waren sie alle beide so erschöpft, daß sie einander losließen, keiner hatte den anderen untergekriegt. Sie standen wieder auf, um ein wenig zu verschnaufen; Jupp, der sich seinen Ellenbogen rieb, auf den er besonders hart gefallen war, bemerkte in Ottos Augen zwei dicke Tränen.

»Er heult!« rief er triumphierend.

»Dummer Betteljunge!« schrie Otto.

»Was hast du denn besser wie ich?«

»Nicht mal ein Butterbrot hat er!« höhnte Otto.

»Wenn ich keins habe, nehm ich deins.«

»Ein Betteljunge bist du, weiter nichts! Hast du vielleicht ein Pony, oder einen großen Hund oder einen Springbrunnen vor dem Hause?«

»Das ist alles gar nichts!« erklärte Jupp ruhig, »aber hast du vielleicht eine Großmutter?«

»Natürlich habe ich eine,« erwiderte Otto, »sie wohnt in Hamburg und war erst Pfingsten zu Besuch bei uns!«

»Was?« höhnte Jupp und steckte die Hände in die Hosentaschen, »das soll eine richtige Großmutter sein? Richtige Großmütter wohnen nie in Hamburg! Sie sind immer zu Hause, sitzen im Lehnstuhl hinter dem Ofen und haben ganz krumme Finger! – Ich habe eine richtige!«

Otto wurde stutzig, seine Großmutter saß allerdings nie im Lehnstuhle hinter dem Ofen, auch hatte sie keine krummen Finger. Ob sie wirklich gar keine richtige Großmutter war? – Inzwischen waren die anderen Jungen weggegangen, da trat Jupp ganz leise zu Otto heran und sagte ihm ins Ohr:

»Wenn du mir zehn von deinen schönen Glasknickern gibst, kannst du meine Großmutter mithaben!«

Otto drehte sich um:

»Ich will deine Großmutter nicht.«

»Du bist dumm!« antwortete Jupp. »So billig bekommst du nie wieder eine richtige Großmutter!«

Dann kam der Lehrer herein, und die Lesestunde fing an.

 

Jupps Großmutter kam Otto nicht aus dem Kopfe. – Er dachte den ganzen Tag an sie und in der Nacht träumte er davon. Und ehe er am anderen Morgen zur Schule ging, überlegte er sich, daß er ja über dreißig Glaskugeln habe, und daß er sicher noch mehr bekommen könne, wenn er seine Mutter darum bitten würde. Er steckte sich die Taschen voll und ging zur Schule.

Als er Jupp sah, rief er ihn heran.

»Hier sind zehn Knicker. Ich will deine Großmutter mithaben.«

Jupp besah sich schweigend die Kugeln, eine nach der anderen, und steckte sie langsam in seine Tasche.

»Diese da hat einen Sprung, dafür muß ich eine andere haben!«

Otto gab noch eine andere, und Jupp steckte beide in die Tasche.

»Wenn die Schule aus ist, kannst du mitkommen,« sagte er, »ich will dir die Großmutter zeigen.«

Als es zwölf Uhr schlug, zogen die beiden Jungen aus der Schule. Jupp führte seinen neuen Freund durch alle möglichen engen Gassen, die dieser bis dahin noch nie gesehen hatte. Endlich kamen sie an ein großes, verfallenes altes Haus.

Hinten im Hofe standen ein paar niedrige schmutzige Gebäude; in eins derselben ging Jupp hinein. Otto folgte ihm.

Vom Gange aus öffnete Jupp ganz leise die kleine Türe eines Zimmers und ließ seinen Freund durch die Ritze sehen.

Erst konnte Otto gar nichts erkennen, so dunkel war es in dem Raume. Allmählich unterschied er einen wurmstichigen alten Tisch, ein paar Stühle mit zerbrochenen Lehnen und einen wackeligen schwarzen Ofen, in dem ein qualmiges Kohlenfeuer rauchte. Hinter dem Ofen saß eine furchtbar häßliche alte Frau auf einem Lehnstuhle. Sie trug einen grauen geflickten Mantel, ihr Gesicht war gelb und grau und ganz mit Runzeln bedeckt. Die Nase hing fast über den Mund, und zwischen den Lippen lugte ein langer Zahn heraus. Die Hände hatte sie auf einen großen Krückstock gestützt und wirklich! die Finger waren ganz krumm und die Nägel sahen wie Krallen aus.

»Hast du sie gesehen?« frug Jupp leise.

»Ja,« flüsterte Otto atemlos, »sie ist sehr häßlich!«

»Natürlich ist sie sehr häßlich,« erklärte Jupp stolz, »sie ist überhaupt die häßlichste, die es gibt! – Sie ist eben eine ganz richtige Großmutter.«

Dann schloß er vorsichtig die Türe und brachte seinen Freund, der froh war, daß er wieder wegkonnte, noch ein paar Straßen zurück.

»Die Großmutter kann alle Geschichten erzählen, die es auf der ganzen Welt gibt und wenigstens noch hundert mehr,« erklärte er.

 

Für ein paar Tage hatte Otto genug von Jupps Großmutter; als dieser ihm aber immer wieder sagte, welch herrliche Geschichten die Großmutter wisse, da bekam er doch Lust, auch einmal eine zu hören.

»Du könntest mich einmal mitnehmen, wenn sie eine erzählt!« meinte er.

Worauf Jupp ihm erklärte, das ginge nicht.

»Warum denn nicht?«

»Du kannst doch nicht verlangen, daß du für zehn Glaskugeln die Großmutter ganz mitbekommst! Nur zum Sehen! – Wenn du sie ganz mithaben willst, mußt du noch mehr geben, ich will dir nachher sagen, was.«

Nach der Schule warteten die beiden Jungen, bis alle anderen Schüler fort waren. – Dann sagte Jupp zu Otto:

»Hast du zwei Schiefertafeln?«

»Sogar drei; zwei habe ich zu Hause.«

»Gut, dann können wir diese hier zum Kontrakt benutzen!«

»Wozu?«

»Zum Kontrakt! Wenn man was Wichtiges abmacht, muß man es immer schriftlich machen, sagt mein Vater, sonst gilt es nicht! Und das nennt man dann Kontrakt. – Nun schreibe, was ich dir sage!«

Otto schrieb alles auf die Schiefertafel. Als er fertig war, setzten beide ihre Namen darunter; Otto schrieb »Otto Bender«, und Jupp kritzelte etwas, das »Jupp« heißen sollte. Dann fiel Jupp ein, daß Otto vielleicht später noch etwas bekommen könne, das er auch gern haben möchte, aber er wußte nicht, wie er das in den Kontrakt bringen sollte. Er besann sich ein wenig, dann sagte er zu Otto:

»Schreib noch darunter: Und noch was anderes.«

Der Kontrakt sah so aus:

Jupp nahm die Tafel und gab Otto die Hand.

»So,« sagte er, »jetzt hast du die Großmutter ganz mit.«

II. Liese auf der Milchstraße

Ein paar Tage darauf erzählte die Großmutter den beiden Jungen eine Geschichte:

Die kleine Liese war von ihrer Mutter mit hinausgenommen worden auf die große Wiese, wo das Feuerwerk stattfand; aber da das Feuerwerk erst zu einer Zeit anfing, zu der Liese für gewöhnlich schon längst im Bette lag, und da sie an diesem Sonntagnachmittag noch besonders eifrig mit anderen kleinen Mädchen herumgetollt hatte, so war sie so todmüde, daß sie gleich die Äuglein zumachte, als die Mutter sie auf den Arm nahm.

Das Feuerwerk war sehr schön; Raketen blitzten eine nach der anderen auf und schossen himmelhoch in die Luft; prächtige Feuergarben prasselten dann aus der Höhe herab und große Flammenräder drehten sich im Kreise. Am schönsten aber waren die roten, blauen und gelben Kugeln, die hoch hinaufflogen, oben stehenzubleiben schienen und einen prächtigen Regenbogenstreifen zur Erde warfen, bis sie endlich mit einem Knalle zerplatzten.

»So sieh doch zu, dummes Ding!« sagte die Mutter zu Liese und stieß sie an.

Gerade flog eine schöne blaue Kugel in die Luft hinauf, als Liese die Augen aufmachte. Sie sah den bunten Streifen, der dicht vor ihr zur Erde niederging. Schlaftrunken griff sie mit beiden Händen danach, und ehe die Mutter sich dessen versah, war das kleine flinke Ding daran in die Höhe geklettert.

»Ich komme gleich wieder,« rief sie ihrer entsetzten Mutter zu, »ich will nur die schöne Kugel da herunterholen!«

Aber als sie schon so hoch war, daß sie glaubte, die Kugel mit den Händen greifen zu können, zerplatzte ihr diese vor der Nase. Sicher wäre Liese nun heruntergefallen, wenn sie nicht eine lange weiße Schnur gesehen hätte, die in der Luft baumelte. Schnell griff sie danach und hielt sich tapfer daran fest. Sie fühlte, wie sie langsam immer höher hinaufgezogen wurde; bald konnte sie gar nichts mehr da unten auf der Erde erkennen. Ihr wurde ganz schwindlig; sie schloß beide Augen und hielt sich nun so fest wie möglich an der Schnur. – Das ging so eine gute Weile; endlich fühlte sie, wie sie auf festen Boden heraufgezogen wurde.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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