Die verlorene Puppenstube - Mona Kaminski-Lagowski - E-Book

Die verlorene Puppenstube E-Book

Mona Kaminski-Lagowski

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Beschreibung

Woher komme ich, und warum bin ich so wie ich bin? Diesen Fragen geht Mona Kaminski-Lagowski nach, in dem sie in ihre Kindheit abtaucht und sich an Orte, aber vor allem an Menschen erinnert, die sie begleitet und geprägt haben.

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Mona Kaminski-Lagowski, ehemalige freie Journalistin und Lehrerin, hat bereits 2010 mit ihrer Schwester ein Buch herausgegeben; nach der Lyrik hat sie sich zum ersten Mal der Prosa gewidmet. Sie verlebt die Wintermonate überwiegend in Ostwestfalen, während sie den Rest des Jahres im ländlichen Pommern verbringt.

Für Annette, Peter und Jan

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Meine Puppenstube

Der Jahreszeit entsprechend

Frau und Herr Brückner mit Ingeborg

Oma Scheid

Tante Hilde, Onkel Walter und das rote Sofa

Der Till ist da!

Ein blutiger Sonntag

Kindergartenzeit

Abschied vom Weinberg

Die Last und Liebe meiner Eltern

VORWORT

Auch wenn es heißt „Du sollst nach vorne schauen, nicht zurück!“, so muss ich diesem Satz leider vehement widersprechen, weil ich glücklich bin, zurückschauen zu können und zwar mit einer Intensität, die mich meine Kindheit noch mal erleben lässt!

Und das tut einfach nur gut!

MEINE PUPPENSTUBE

Welchen Wert bestimmte Dinge wirklich für uns Menschen haben, realisiert man erst, wenn diese abhandenkommen.

Ich denke, ich war wohl elf Jahre alt, als ich zu Weihnachten endlich die langersehnte „Puppenstube“ bekam!

Es war zwar kein Puppenhaus, sondern „nur“ winzige kleine Möbel vom Doppelbett bis hin zum kleinen Metallherd in hellblauer Farbe; dazu passend die winzigen Töpfe und Pfannen. Da diese Einrichtung ein Zuhause brauchte, bastelte ich aus einem Karton das passende Haus und zelebrierte dann das Aufstellen der Möbel sehr akribisch, denn jedes Möbelstück sollte seinen richtigen Platz finden.

Meine fünfzehn Monate ältere Schwester konnte mit diesem Spielzeug so gar nichts anfangen; sie tauchte abends lieber mit der Taschenlampe und einem Buch unter der Bettdecke ab und verbrachte so manche Nacht lesend. Da wir uns bis zum Studium das Kinderzimmer immer teilten, blieb dem anderen selten etwas verborgen, was uns natürlich noch enger zusammenschweißte, denn zurückblickend kann ich wirklich feststellen, dass es zwischen uns eigentlich nie richtig „gekracht“ hatte.

Meine Schwester tauchte ab in die Geschichten ihrer Bücher, ich hingegen lebte in der kleinen Welt der Puppenstube und genoss es einfach die Möbel immer wieder anders zu arrangieren.

Mit zwölf Jahren mussten wir leider aus unserer Wohnung, in der wir gerade mal zwei Jahre gewohnt hatten, wieder ausziehen; wir zogen an den Stadtrand der Kreisstadt, was bedeutete, dass der große Sportplatz direkt unterhalb des Hauses lag, und links daneben befand sich das wunderschöne Freibad mit 50-Meter- Becken und 5-Meter-Sprungturm. Da ich sportbegeistert und sehr sportlich war, schon im Turnverein regelmäßig am Training teilnahm, schloss ich mich schnell dem Leichtathletikverein an, trainierte Weit- und Hochsprung, Kugelstoßen und Sprint. Alles wurde direkt vor der Haustür mit großer Leidenschaft geübt und an so manchem Sportfest auf die Probe gestellt. Aber genauso wie mich der Sportplatz anzog, entdeckte ich dann meine große Leidenschaft im Schwimmen, wurde Mitglied in der DRLG und verbrachte nun auch so manchen Nachmittag oder Abend im 50-Meter-Becken beim Training. Und es dauerte nicht lange, dass mich mein Trainer bei Wettkämpfen in den Disziplinen Freistil, Brust- und Rückenschwimmen starten ließ, die dann meistens mit einem Zeltlager übers Wochenende verbunden waren. Ich sehe mich noch, als wäre es erst gestern gewesen, am Lagerfeuer auf der Iburg sitzend, bei Gitarrenmusik und „The eve of distruction“ hörend und mitsingend. Meine Freizeit als Teenager verbrachte ich nur noch mit Sport; ich liebte das Training und ich liebte auch den Wettkampf! So war es nicht verwunderlich, dass ich die Einrichtung der Puppenstube aus unserem Zimmer verbannte und sie in einem Schrank im Keller ordentlich aufstellte.

Eines Tages erhielten meine Geschwister den Auftrag von meiner Mutter, den Keller aufzuräumen! Ich hatte von dieser Aktion nichts mitbekommen. Als mich meine Mutter in den Keller schickte und ich zufällig dabei in den Schrank schaute, stand ich mit Entsetzen vor dem leeren Schrankfach: meine geliebte, sorgfältig aufgestellte, und teilweise auch selbst gebastelte Einrichtung der Puppenstube war weg! Unter Schock stehend musste ich feststellen, dass „mein Zufluchtsort“, die heile Welt im Regal, verschwunden war! In diese Welt konnte ich abtauchen, sie mir so gestalten wie es mir gefiel, die Möbel mit einer Intensität umstellen, ausräumen und wieder neu einordnen, ohne dass mir jemand Vorschriften machte. Meine Geschwister hatten den Auftrag meiner Mutter sehr erfolgreich beendet, aber für mich brach diese Welt zusammen: Wutentbrannt lief ich zu meiner Mutter, der ich völlig aufgelöst erzählte, dass von meiner Puppenstube nichts mehr da war. Sie war mit meinem Schmerz komplett überfordert, denn ich war wohl inzwischen vierzehn Jahre alt, und was wollte eine Vierzehnjährige noch mit einer Puppenstubeneinrichtung? Sie versuchte die Aktion meiner Geschwister zu entschuldigen: „Kind, reg dich nicht so auf! Sie haben sich dabei bestimmt nichts gedacht!“ „Genau“, schoss es mir durch den Kopf, völlig gedankenlos wurde der Auftrag ausgeführt, und ich musste nun damit fertig werden, dass die kleine heile Welt der Puppenstube nicht mehr existierte! Für mich war diese Aktion meiner Geschwister nicht nachvollziehbar; mein fünf Jahre älterer Bruder nahm sich von meinen Vorwürfen überhaupt nichts an, aber auch meine sonst so empathische Schwester äußerte sich mit keinem Wort!

Erst viele Jahre später, als ich schon verheiratet war und einen Sohn hatte, kündigte mir meine Schwester während eines Besuches bei ihr an, dass sie mit mir einen wichtigen Termin in einem Geschäft in der Stadt habe. So fuhr ich mit ihr nichts ahnend in ein wunderschönes Spielzeuggeschäft, das zauberhafte handgefertigte Puppenhäuser aus Holz anbot. Als wir vor diesen eindrucksvollen Puppenhäusern standen, meinte meine Schwester zu mir: „Ich möchte, dass du dir ein Puppenhaus aussuchst!“ Ich sah sie fassungslos an, und sie fügte noch hinzu: „Ich will endlich mein schlechtes Gewissen erleichtern!“ Und so suchte ich mir ein großes Puppenhaus mit zwei Zimmern unten und einem abnehmbaren Dachgiebel aus; außerdem fand ich im Geschäft bereits die passenden Bewohner für das Haus: Vater, Mutter und Kleinkind! Da das Haus jedoch leer stand, schenkte mir meine Schwester zu Weihnachten auch noch einen Bastelbaukasten für Miniaturmöbel! Dieser Aufwand war mir jedoch zu groß, und so suchte ich auf Flohmärkten oder in Geschäften nach passenden Möbeln für dieses schmucke Haus. Es machte mir trotz meines Alters große Freude, dieses Haus einzurichten, und für diesen Prozess ließ ich mir sehr viel Zeit, denn es sollte alles stimmig sein. Seit mehr als 25 Jahren steht dieses Puppenhaus in meinem Arbeitszimmer! Das Ritual, die Möbel in den Zimmern von Staub zu befreien, macht mich glücklich, und beim Tun versinke ich in die heile und unbeschwerte Welt meiner Kindheit: es überkommt mich jedes Mal ein Gefühl der vollkommenen Glückseligkeit vermischt mit etwas Wehmut.

Meine Geschwister und ich (links) in Madrid, kurz vor unserer Ausreise (1957)

Der Haupteingang zum Haus am Weinberg

DER JAHRESZEIT ENTSPRECHEND

Am 01.05.1958 zog meine Familie von Madrid in die Kreisstadt Büren nach Südwestfalen. Hier stellt sich natürlich die Frage, warum eine Familie aus einer spanischen Großstadt ausgerecht doch eher in ein ländliches Gebiet nach Deutschland umzieht: ganz einfach! Mein Vater gab seine Stelle als Geschäftsführer auf und wollte eigentlich mit uns allen nach London umziehen, um dort sein neues Büro zu eröffnen; da es in London aber noch keine deutschen Schulen gab, wollte meine Mutter auf keinen Fall nach England! So schlug ihre beste Freundin Mechthild Brückner, die auch in Madrid lebte, meiner Mutter vor, in eine kleine freie Wohnung ihrer Eltern zu ziehen, die sich im zweiten Stock einer alten Fachwerk-Villa befand. Als wir im „Haus“ am Weinberg ankamen, machte sich mein Vater nach kurzer Zeit nach London auf und kam nur noch alle drei Monate zu uns und zwar über einen Zeitraum von zwei Jahren.

Für meine Mutter waren diese Jahre eine ziemlich große Herausforderung, weil wir nun, im Gegensatz zu der riesigen Dienstwohnung in Madrid, sehr beengt wohnten, dazu noch in einer Stadt, in der meine Mutter so gut wie niemanden kannte, und wir Kinder alle spanisch sprachen. Sie war alleinerziehend, und der Ehemann und unser Vater war weit weg; Telefone gab es nicht; Kommunikation fand per Brief oder per Telegramm statt! In der heutigen Zeit ist es kaum vorstellbar, dass so eine Form von Familienleben und vor allem eine Ehe funktionieren konnte. Mein Vater überraschte uns alle drei Monate mit kurzen Besuchen und brachte uns Kindern und unserer Mutter Kleidungsstücke, aber auch Taschen und Regenschirmen mit typischen englischen Schottenmustern mit, die wir ganz stolz in der kleinbürgerlichen Stadt zur Schau stellten.

Meine Eltern hatten absolut keine Ahnung in was für ein Haus wir einziehen würden, und vor allem wir Kinder waren total überrascht, dass eine alte Fachwerkvilla, die 1891 von einem Hermann Scheid selbst entworfen und erbaut wurde, unser neues Zuhause werden sollte! Das Areal, auf dem die alte Villa stand, war riesig: das große Grundstück nahm mit den unterschiedlichen angrenzenden Gebäuden und verschiedenen Gärten über zwei Drittel der Straße, dem sogenannten Weinberg ein. Und sei es noch nicht genug hatte Herr Walter Brückner 1923/24 auf der linken Seite des „Weinberges“, in Nachfolge seines Schwiegervaters Hermann Scheid, eine Nisthöhlenfabrik mit eigener Gattersäge errichten lassen, in der neben Nisthöhlen auch Futterhäuser und Vogelschutzgeräte hergestellt wurden. Diese Fabrik erstreckte sich über mehr als die linke Hälfte der Straße. Bewohnt war die alte Villa nur noch von der Witwe des Hermann Scheid, Elisabeth Scheid, ihrer Tochter Elisabeth, verheiratet mit Walter Brückner und einem der vier Kinder, Ingeborg.

Für uns Kinder war das Haus am Weinberg mit seinen Nebengebäuden und seiner Umgebung ein Abenteuerspielplatz, den es eigentlich nur in Märchen gibt. Vor allem in den Wintermonaten lag über dem Weinberg ein Hauch des Verwünschtseins oder eine Art Verzauberung. Die Winter in den späten fünfziger Jahren und auch noch in den sechziger Jahren waren hart; es fiel viel Schnee, und es wurde sehr kalt. Wir wohnten im obersten Stockwerk; es gab einen kleinen Ofen im Wohnzimmer und einen noch kleineren im Schlafzimmer, der nicht immer beheizt wurde. Dieser kleine Ofen stand genau neben meinem Kinderbett und dazwischen befand sich unser weißer „Pinkelpott“. Meine Schwester schlief mit meinen Eltern im großen Doppelbett bzw. im Bett meines Vaters, wenn er nicht da war. Mein Bruder hatte ein winzig kleines Zimmer neben dem Wohnzimmer, ohne Heizung, aber mit kleinem Waschbecken.

Ich erinnere mich an einen Abend im Winter; meine Eltern hatten mal Besuch und saßen in fröhlicher Runde im Wohnzimmer. Da ich unbedingt auf die Toilette musste, ich diese aber in der Kälte auf halber Treppe nicht aufsuchen wollte, kletterte ich ganz mutig aus dem Kinderbett und wollte mich auf das Töpfchen setzen ohne meine Eltern zu behelligen, aber das hatte ich nicht besser gewusst, denn als ich mein Geschäft erledigt hatte, kam ich leider mit meiner rechten Pobacke an den heißen Ofen und verbrannte mir den Allerwertesten. Durch mein Geschrei wurde meine Schwester wach und meine Mutter kam aufgeregt ins Schlafzimmer gelaufen, um nach der Ursache meines Geschreis zu sehen. Sie staunte nicht schlecht, als sie mich zwischen meinem Bett und dem Ofen fand. Sie hob mich sofort hoch, sah sich meine Brandwunde an, tröstete mich und legte mich zurück ins Bett. Um mir etwas Erleichterung zu verschaffen, schmierte sie mir Penatencreme auf den Allerwertesten (ein beliebtes Allheilmittel meiner Mutter) und damit war die Sache erledigt! Von da an vermied ich es, mich zwischen Ofen und Bett zu setzen und stellte mir das Töpfchen vor das Bett meiner Eltern, weit ab aus der Gefahrenzone.