Die VögelInsel | Erotischer Roman - Carrie Fox - E-Book

Die VögelInsel | Erotischer Roman E-Book

Carrie Fox

0,0

Beschreibung

Dieses E-Book entspricht 196 Taschenbuchseiten ... Durch abenteuerliche Umstände landen zwei verliebte Paare auf einer Insel. Da lassen frivole Spielchen nicht lange auf sich warten. Telefonsex unter Deck, spontane Liebe im Leuchtturm oder spritziges Badevergnügen - beide Paare erleben erotische Lust, heißen Sex und erste Eifersucht. Doch die wilde Leidenschaft hält nicht lange, denn ein gewaltiger Sturm zieht auf. Können sich die Paare vor den gigantischen Nordseewellen auf den Leuchtturm retten und wird ihre Liebe standhalten? Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 279

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum:

Die VögelInsel | Erotischer Roman

von Carrie Fox

 

1964 in Dinslaken geboren, verbrachte Carrie Fox ihre Jugend in Duisburg, wo sie auch heute wieder lebt. Ihr beruflicher Lebenslauf führte sie über eine handwerkliche Ausbildung zur Verkaufsberaterin in einem Baumarkt.Außer einer Eins in Deutsch und Kunst zeichnete sich nie ab, dass sie ihren privaten Ausgleich einmal im Schreiben finden würde. Nachdem sie über 50 wissenschaftliche Artikel für eine historische Fachzeitschrift verfasst hatte, veröffentlichte sie 2021 ein Sachbuch zur Geschichte. Seit 2010 widmet sich Carrie dem Schreiben erotischer Romane und liefert jedes Jahr ein neues Buch.

 

Lektorat: Ulrike Maria Berlik

 

 

Originalausgabe

© 2022 by blue panther books, Hamburg

 

All rights reserved

 

Cover: © nickvango @ 123RF.com

Umschlaggestaltung: MT Design

 

ISBN 9783966412377

www.blue-panther-books.de

Das Meer ist das Ziel

Professor Hagedorn rückte sein Mikrofon am Hemdkragen zurecht, damit er über die Lautsprecher im Hörsaal gut zu verstehen war.

»Die männlichen Wale besitzen einen Penis aus elastischem Gewebe, der bei großen Arten eine Länge von zweieinhalb bis drei Metern erreicht.«

Ein belustigtes Raunen ging durch den Saal. Die Hälfte der anwesenden Studenten kicherte. Marina, die sich für den Studiengang Meeresbiologie angemeldet hatte, lehnte sich schmunzelnd auf dem gepolsterten Holzstuhl zurück und grinste, als sie sich das Ausmaß eines solchen Penis vorstellte. Ihre Nachbarin Vera stupste sie an, und als sich die Blicke der Mädels trafen, lachte Marina laut auf. Wenn sie neben Vera saß, waren Lacher vorprogrammiert, denn ihre ulkige Art sowie ihr lustiger Gesichtsausdruck steckten sie jedes Mal an. Sie brauchte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte und das Lachen aus ihrem Gesicht verschwand. Gleich darauf war es ihr peinlich, sich gehen gelassen zu haben. Sie beschloss, von jetzt an ernst zu sein und dem Unterricht zu folgen. Sie räusperte sich entschuldigend.

»Ich kann nicht verstehen, was daran witzig ist«, versuchte Professor Hagedorn die kichernde Meute zu beruhigen.

Marina grunzte verhalten und konnte ein erneutes Lachen nicht verhindern.

»Vor einigen Jahren hatte sich ein Blauwal in die Nordsee verirrt. Als man den toten Wal am Strand fand, stellte es sich als Riesenaufwand heraus, das Tier zu bergen. Man musste es zerlegen und die Wissenschaftler des Naturkundemuseums hatten sich sofort wertvolle Teile des Tieres gesichert. Das Prachtstück der Sammlung war nun mal der Penis des Riesensäugers. Er war einen Meter sechsundfünfzig lang und dermaßen schwer, dass man ihn kaum zu zweit tragen konnte. Der Präparator des Landschaftsverbandes schätzte ihn auf einen Zentner. Die Leute von der Bergung hatten Mühe, ein Gefäß finden, das groß genug für den glitschigen Penis war.«

Erneut ging Gelächter durch die Reihen. Marina stellte sich die puddingartige, schlaffe Masse des abgestorbenen Wal-Penis vor und dachte an einen Metallcontainer, der überquoll. Wie ekelhaft. Es war eindeutig der bessere Gedanke, sich einen menschlichen, strammen Penis vorzustellen. Sie lächelte insgeheim.

»Wieder ein potentes Tier gestorben. Da müssen die Wal-Damen aber getrauert haben«, warf ein männlicher Student aus den unteren Reihen ein.

»Die Trauer und das Verhalten der Wale werden wir in einer anderen Unterrichtsstunde durchnehmen, heute geht es zunächst um die Fortpflanzung der Tiere.«

Professor Hagedorn verdunkelte per Fernbedienung den Raum und projizierte ein Bild eines Wal-Penis an die weiße, hohe Wand neben sich. Marina betrachtete das Glied des Meerestieres. Es hatte nichts mit einem menschlichen Phallus gemeinsam. Es erinnerte sie an eine Rute, eine Schlange oder ein dünnes Horn. Eine Eichel konnte sie auch nicht entdecken. Die Begattung des Walweibchens musste also ziemlich unspektakulär gewesen sein und ausgesehen haben, als wenn ein langer Wurm in seinem Erdloch verschwand. Sie verglich es mit einem menschlichen, bleistiftdünnen Penis. Den würde sie auch nicht beim Eindringen spüren. Ob das Walweibchen eine Penetration überhaupt mitbekam? Und wie wäre das überhaupt mit Wal-Orgasmen? Die Wissenschaft würde es sicher nie herausfinden können. Wenn Marina an die Walgesänge dachte, waren Geräusche darunter, die an Hochgefühle denken ließen. Wer weiß, was in der Wal-Welt alles kommuniziert wurde, wovon der Mensch keine Vorstellung hatte. Vielleicht waren ihre Paarungsgesänge nur eine Art Vorgeschmack und die Orgasmus-Melodien waren der Höhepunkt in ihrer hochfrequentierten Unterhaltung?

»Wie sieht es bei dem Weibchen aus? Ist es von innen her geeignet gebaut, dass es so eine gewaltige Länge aufnehmen kann?« Die Frage kam aus dem hinteren Teil des Saals.

Der Professor stand auf, steckte das Mikrofon in seine Jackentasche und schlenderte, mit einem Lächeln auf den Lippen, durch den Mittelgang des Saals in Richtung obere Reihen. Es war ein spitzbübisches Lächeln, das sein Gesicht sympathisch erscheinen ließ. Mit dem Zeigefinger schob er seine moderne Brille in Fernsichtposition.

Marina bewunderte seinen eleganten Gang, der durchaus etwas Bestimmendes hatte. Er trug feine schwarze Lederschuhe, die auf Hochglanz poliert waren. Sein hellgrauer Anzug war aus edlem Stoff, keine einzige Sitz- oder Knickfalte hatte sich während des gesamten Unterrichtstages gebildet. Sie umfloss seine Beine wie schmeichelnder Satin. Dazu passend trug er eine edle schwarze Krawatte, die ihn aussehen ließ, als sei er gerade von einer wichtigen Versammlung des obersten Gremiums gekommen. In seinem noblen Anzug sah er unwiderstehlich aus. Seine Bewegungen hatten Ausdruck. Es gefiel ihr, wie er seine Hände beim Erklären hob und mit ihnen gestikulierte. Es sah aus, als balancierte er damit handgroße Bälle. Unwillkürlich dachte sie daran, wie er ihren Busen massieren würde. Seine Hände beschrieben gerade einen Halbkreis. Gleitend, mit gespreizten Fingern. Sie glitt in eine erotische Fantasiewelt. Wie sich das wohl anfühlte, wenn er ihre Brust berührte? Ob er großen Druck ausübte oder zärtlich war? Ihre Gedanken waren weit abgeschweift, sie hatte nicht mehr zugehört, was der Professor sagte. Sein Auftreten deutete auf sein großes Wissen hin, seine Hände gestikulierten und umschrieben ohne Worte Dinge, die sie sofort verstand. Es beeindruckte sie, zu erkennen, was der Professor meinte, bevor er es aussprach.

Er schritt durch den aufsteigenden Korridor der Stuhlreihen und wandte seinen Kopf nach rechts und links. Dann näherte er sich ihr. Er setzte sich unvermittelt auf ihre Tischkante. Sie erschrak, ihre Atmung stockte vor Überraschung und ihr Herz stolperte kurz. Aber sie freute sich insgeheim über die Tatsache, dass ihr heimlicher Schwarm neben ihr platzgenommen hatte. Ein Bein ließ er herunterhängen, das andere stand fest auf dem Boden und seine Hand stützte sich auf dem Oberschenkel ab. Er lehnte sich in ihre Richtung und verbreitete den dezenten Duft eines besonderen Parfums. Herb, männlich, leicht und zugleich verzaubernd. Es gehörte wohl zum Auftreten eines Hochschulprofessors. Es war ein Geruch, der ihren Riechnerv liebreizend kitzelte.

Sie sah ihn an und musterte erneut seine sportliche Erscheinung. Diesmal sah er in ihr Gesicht und lächelte unvermutet. Sie lächelte leicht berauscht zurück und war in Gedanken versunken. Wie angenehm dieser Geruch war, er entzündete ihre Neugier auf diesen Mann wie ein Streichholz, das entflammte. Er passte gut in ihr Sympathie-Raster. Er war größer als sie, etwa eins achtzig, hatte eine junge, sportliche Figur und besaß eine angenehme Ausstrahlung, die sehr verlockend auf sie wirkte. Wie alt mochte er sein? Seine Statur sah jung aus, vielleicht um die dreißig. Seine blauen Augen konnten tief blicken, jedenfalls hatte sie den Eindruck, als könne er ihre Gedanken lesen.

Er hatte sich zu ihr gesetzt. Das hatte er noch nie gemacht. Sie freute sich darüber, doch gleichzeitig war es ihr peinlich, weil sämtliche Studenten in ihre Richtung blickten. Sie sah in das Gesicht des Professors. Sein Kinnbärtchen hob und senkte sich beim Sprechen. Sie hatte es des Öfteren beobachtet, wenn sie ihn von der Seite her betrachtet hatte. Sie fand es ausgesprochen niedlich. Wie gern würde sie es anfassen. Ob es kratzig wie das Fell eines Terriers war? Oder weich wie ein samtüberzogenes Schaumstoffpölsterchen? Er war ihr noch nie so nahegekommen, dass sie seine Aura spüren konnte. An der Art, wie er sich ihr genähert hatte, las sie einen vorsichtigen Annäherungsversuch. Oder täuschte sie sich in ihm?

»Das möchten Sie wohl gern wissen, Marina?« Eindringlich sah er in ihre Augen.

Was meinte er? Sie hatte nicht mehr zugehört. Was hatte er zuletzt gesagt? Sein Bärtchen konnte er nicht meinen. Ach nein. Das Walweibchen. Sie fühlte sich wie aus einem Traum herausgezogen und brauchte eine Sekunde, um wieder bei der Sache zu sein.

»Wie bitte? Ach so … Ich möchte mir das Weibchen von innen vorstellen können«, erwiderte sie leicht durcheinander und konnte sich dem erotischen Blick des Hochschullehrers nicht entziehen.

Bezog er das Gespräch jetzt auf sich selbst und sie? Schön wäre es, wenn er sich für sie interessierte. War es tatsächlich ein Versuch der Annäherung? Vor allen anderen Studenten? Nein, das konnte nicht sein. Vielleicht veränderte das Thema Walkopulation ihre Auffassungsgabe. Sicher war alles Einbildung. Sie versuchte, erneut wissenschaftlich zu denken, und schüttelte die heimlichen, erotischen Gedanken aus ihrem Kopf.

»Wissen Sie, wenn ein Walweibchen zwanzig Mal größer ist als der Mensch, sind ihre Eingeweide so ausgelegt, dass sie mühelos den Penis in sich aufnehmen kann.«

»Eingeweide? Wie nennt man die weiblichen Geschlechtsteile eines Wals überhaupt?«, fragte sie.

»Ich bezeichne sie als Rinne, weil man von außen nicht allzu viel sieht. Um den Zwei-Meter-Penis des Blauwales zu parken, braucht man eine entsprechende Parklücke. Diese befindet sich an der Unterseite des Walweibchens. Es ist eine zwei Meter fünfzig lange und glatte Rinne, die den Penis in die Vulva führt und dort aufgenommen wird. Ihre Gebärmutter vergrößert sich übrigens auf sieben Meter, wenn sie mit dem Waljungen tragend ist.«

Die Rinne, die den Penis in die Vulva führte. Marina stellte sich vor, wie gleitend das auf der glatten Walhaut vor sich gehen musste und wie der Walschwanz im Walweibchen verschwand. Lautlos und aalglatt, wie ein öliger Finger über eine Glasscheibe glitt.

Sie bemerkte ein leichtes Ziehen im Unterleib und eine verdächtige Feuchte in ihrem Höschen. Sie drückte ihre Schenkel zusammen. Der Zwischenraum der Oberschenkel wurde warm, als sie daran dachte, wie es sein könnte, wenn der Schwanz des Professors an ihr entlang glitt und seinen Weg wie von selbst in ihr feuchtes Schmuckstück fände. Leises Verlangen stieg in ihr auf und entführte sie in eine Welt voller erotischer Gedanken.

Noch saß er neben ihr auf dem Tisch und seine Körperwärme strahlte deutlich spürbar auf sie ab. Wenn sie nur wüsste, wie sie an ihn herankommen könnte. Am liebsten nähme sie jetzt zärtlich seine Hand. Ihre Finger zuckten, als sie ihn ansah. Aber alle Augen waren auf den Professor gerichtet, sie war also automatisch im Blickfeld sämtlicher Studenten. Nein, eine unauffällige Berührung war unmöglich. Wenn die anderen es mitbekämen und ihre Hand bei ihm auftauchen sehen würden, könnten schlechte Gerüchte entstehen, die sich wie ein Lauffeuer verbreiteten. Sie ließ es lieber sein, sonst könnte es sehr peinlich für sie enden. Sie fragte sich, wie sie es bewerkstelligen konnte, an Professor Hagedorn heranzukommen.

Plötzlich legte er für einen kurzen Moment seine Hand auf ihre Schulter. Überrascht sah sie ihn an. Seine Hand lag warm auf ihr, als hätte sie ein Engel berührt. Sie bildete sich ein, dass diese Stelle heiß auf ihrer Schulter brannte. Dann nahm er sie wieder herunter. Es wirkte noch eine Weile nach und sie genoss das schöne Gefühl.

Er erhob sich nun demonstrativ von der Tischplatte, stellte sich neben sie und sah prüfend in die Runde der Kommilitonen. Schade, er hätte ruhig noch eine Weile bei ihr auf der Tischplatte sitzen bleiben können. Als er den Platz neben ihr verließ, war es ihr, als würde der warme Ofen neben ihr ausgehen. Wirklich schade. Doch der gern gesehene Professor musste seine Arbeit machen und den Schülern Lehrreiches beibringen. Die Unterrichtspläne waren straff ausgerichtet und Wiederholungen gab es kaum.

Er hinterließ einen leichten Hauch seines herben Parfums, dessen Duft sie in ihrer Nase behalten wollte. Er wirkte so verlockend auf sie, wie sie noch nie einen Duft empfunden hatte. Professor Hagedorn stand mit dem Rücken vor ihr. Wie groß er war. Was für eine Erscheinung. Als er in Richtung Pult schritt, betrachtete sie seine schmalen Schultern, die er optisch zu verbreitern versuchte, indem er Schulterpolster trug. Sie konnte die Abgrenzung unter dem Stoff deutlich erkennen. Soso. Er war also ein eitler Pädagoge, der viel tat, um gut auszusehen. Jedenfalls so viel, dass sie ganz hin und weg von ihm war.

»Die Rinne des Weibchens befindet sich unsichtbar am hinteren, unteren Drittel des Körpers.«

»Eine riesige Fotze!«, warf ein begeisterter Student ein, der es seinem Tischgenossen sagen wollte. Doch der ganze Saal bekam es mit und alle lachten.

Marina atmete auf, anscheinend war sie nicht die Einzige, die frivole Gedanken hegte. Vor allen Dingen Gedanken, die sich um ihn drehten. Sie ermahnte sich selbst, sich zusammenzureißen. Wie konnte sie nur daran denken, ihn anmachen zu wollen? Sie wusste, dass dieser Kurs wichtig für sie war, aber durch dieses zweideutige Reden war sie völlig aus der Konzentration gebracht worden. Sie schloss ihre Augen für einen kurzen Moment, kniff sie zusammen und atmete tief durch, als wenn sie dadurch ihre frivolen Gedanken in normale Bahnen lenken könnte.

»So«, sagte Professor Hagedorn abschließend laut und unterbrach damit ihren Gedankenfluss.

Dann projizierte er das nächste Bild mit dem Beamer an die Wand. Es zeigte die Walmutter bei der Geburt ihres Jungen. Der Professor setzte sich auf den Stuhl und der Unterricht wurde ernsthaft fortgeführt. Marina bekam die ganze Fortpflanzungsgeschichte nebst Größenvergleichen vorgeführt. Das waren wertvolle Informationen, so konnte sie die Tiere und ihr Verhalten besser verstehen. Schließlich wollte sie nach ihrem Studium die Weiten der Ozeane erforschen. Mit dem Schiff hinaus aufs Meer fahren, hinabtauchen in die Tiefen und ihre Forschungen mit einer Unterwasserkamera dokumentieren. Sie wollte Bilder liefern, die besser waren, als die hier gezeigten. Sie hatte vor, die Meere der Welt kennenzulernen. Die Unterwasserwelt, die Flora und Fauna. All die großen und kleinen Tiere des Ozeans und die Art, wie sie lebten. Sie wollte die Länder besuchen, die sich an die Meere anschlossen, und in ferner Zukunft eine Weltreise unternehmen. Das war ihr Traum von einem erfüllten Leben nebst außergewöhnlichem Beruf. Aber bis dahin musste sie noch viel lernen.

Professor Hagedorn hatte den Raum abgedunkelt, damit die Studenten die Bilder der Walfamilie besser erkennen konnten. Ihre Gedanken schweiften erneut ab. Sie fragte sich, wie Sex unter Wasser sich anfühlen mochte, und stellte sich vor, wie er sie im Meer beglückte.

Wieso musste sie ständig an Sex denken, sobald sie ihn wahrnahm? Kaum war er in ihrer Nähe, knisterte die Luft und sie konnte sich seiner Ausstrahlung nicht entziehen. Ihr Blick senkte sich heimlich auf seine Hose und sie fragte sich, wie gut er bestückt sein mochte. Daran, wie sich die Hosenfalte seiner hellgrauen Anzughose an die Hüftknochen legte, konnte sie erahnen, dass es sich nicht um etwas Kleinwüchsiges unter der Bekleidung handelte.

Gedanklich strafte sie sich selbst. Es gehörte sich nicht, auf eine Männerhose zu starren. Hoffentlich hatte er ihre neugierigen Blicke nicht bemerkt. Der Saal war abgedunkelt, wahrscheinlich bemerkte niemand, wohin sich ihr Blick verfing. Sie spürte, wie die Röte heiß in ihr Gesicht schoss, und sie sah vorsichtig zum Nachbarn herüber. Er hatte nichts bemerkt und Vera neben ihr vermutlich auch nicht. Sie lachte in sich hinein. Es machte ihr Spaß, sich im Halbdunkel vorzustellen, wie ein Professorenschwanz aussähe.

Nach dem Unterricht verschwand er zügig. Er nahm seine Aktentasche und eilte aus dem Saal. Es war merkwürdig, dass er jedes Mal wie der Blitz verschwand, aber Marina wusste, dass es daran lag, den Lehrraum zu wechseln und pünktlich in einem anderen Unterricht zu sein. Es störte sie jedoch, dass sie niemals die Chance hatte, den Professor persönlich anzusprechen. Bis sie ihren Platz am erhöhten Ende verlassen und zu ihm hinuntergelaufen war, war er längst weg. Ob er sie überhaupt jemals zuvor bemerkt hatte? Das galt es herauszufinden. Sie war ganz wild darauf, ihn privat kennenzulernen.

***

»Na so was! Jetzt hat sie mir tatsächlich auf die Hose gestarrt«, dachte Hagedorn und ließ sich verlegen blickend auf seinem Stuhl nieder.

Er hatte das Publikum vor sich, sah prüfend in die Runde der Studenten und bediente den Beamer, um das nächste Bild an die weiße Wand zu projizieren. Marina ließ er vorsichtshalber nicht aus den Augen. Unauffällig natürlich, niemand sollte bemerken, dass er sie insgeheim fest im Blick hatte.

Sie saß ganz oben in der Reihe, als hätte sie in einem Kino den Bestplace gebucht. Wie lange starrte sie ihn schon an? Merkte sie denn nicht, wie sehr es ihn anmachte? In seiner Hose zuckte es verdächtig. Das machte sie doch extra. Wenn er nur sicher wäre, ob hinter den Beobachtungen ihrerseits etwas Ernstes steckte.

Er ließ die Studenten die Fotos ansehen und selbst diskutieren. Er ging nicht dazwischen und ermahnte seine Klasse, sondern ließ sie gewähren. Es hatten sich Diskussionsgrüppchen gebildet und Hagedorn versank in Gedanken. In höchst erregende Gedanken – er musste aufpassen, dass er keinen Steifen bekam. Das wäre ungeheuer peinlich vor der Gruppe. Diese Studentenklasse kam ihm wie eine Raubtiermenge vor, die ihn zerfleischen würde, wenn sie spitzbekäme, an was er dachte.

Marina war ihm bereits vor mehr als einem halben Jahr aufgefallen. Er konnte nicht sagen, woran es lag, dass er sie beobachtete, sobald er ihr begegnete. Es musste an ihrer Erscheinung liegen. An ihrem offenen Wesen, ihrem silberhellen Lachen oder an ihrer blonden Haarpracht, die weich und lockig über ihre Schulter bis zu den Hüften fiel. An heißen Sommertagen kam sie mit einem Pferdeschwanz zum Unterricht. Das ließ sie wie ein Grundschulmädchen erscheinen. Ihre Statur war schlank, sie hatte wohlgeformte Beine und einen jungfräulichen Busen, der vermutlich nicht größer als eine Handvoll war. Ihre niedliche Stupsnase ließ sie viel jünger aussehen, als sie war, und ihre blauen, großen Augen blickten ihn direkt und unschuldig an.

Jetzt, im halbdunklen Raum, sah er zu ihr herüber. Sie reckte in diesem Moment ihren langen, schlanken Hals, um die Walfamilie an der Wand besser sehen zu können. Mit der linken Hand strich sie durch ihr goldschimmerndes Haar und klemmte es hinter einem Ohr fest. Ihre Hand verharrte kurz auf ihrem Hals. Wie elegant das aussah. Was für eine schön geformte Ohrmuschel. Sie hatte feine Ohrläppchen. Es hing ein silberner Ring daran, in dem ein Delfin hin und her wackelte. Er war winzig und sicher nicht zu schwer für diese niedlichen Ohren. Er wünschte sich, einmal daran knabbern zu dürfen und ihr leise Worte ins Ohr zu hauchen. Er hätte es gern jetzt versucht, aber er musste vorsichtig sein.

Vor einiger Zeit hatte er sich von einer jungen Studentin im ersten Semester einlullen lassen, hatte sich mit ihr zusammen sehen lassen und das Ende vom Lied waren schwere Vorwürfe wegen des Verdachts der Bevorzugung. Er hatte sich darauf eingelassen, sie nicht wie alle anderen Studentinnen zu behandeln, weil er sich wie ein Schuljunge in sie verknallt hatte. Sie sah aus, wie er es sich gewünscht hatte. Klein und niedlich. Es war nichts geschehen, als er sich mit ihr auf eine Cola in einem Biergarten getroffen hatte. Sie hatten sich gegenseitig auf die Wangen geküsst, mehr nicht. Aber sie wurden von einem anderen Studenten beobachtet, der es gleich dem Studienrat gemeldet hatte. Wäre die junge Frau unter achtzehn gewesen, so hätte er sogar mit dem Verdacht auf Verführung Minderjähriger leben müssen. Seine Unschuld wurde zwar bestätigt und öffentlich bekannt gegeben, dessen ungeachtet blieb der Makel des Verdachts auf ein Verhältnis mit einer Studentin für eine gefühlte Ewigkeit an ihm haften. Zum Glück hatte es niemand auf der Internetseite der Universität veröffentlicht.

Er musste aufpassen, was er zukünftig tat, und er achtete peinlich darauf, nicht denselben Fehler zu wiederholen. Selbst wenn sie alt genug war, zögerte er mit Bedacht und musste sich zunächst vergewissern, ob sie fühlte wie er. Ansonsten könnte er erneut in eine Falle tappen. Aus diesem Grund war sein Büro die meiste Zeit geschlossen und er nahm Anmeldungen zu einem Gespräch mit seinen Studenten ungern an.

Sein Misstrauen war vom Gefühl her richtig, doch musste er ihr bei passender Gelegenheit gestehen, wie wahnsinnig toll er sie fand, sonst hatte er keine Chance bei ihr. Sie war zweiundzwanzig und sich ihrer Ausstrahlung bewusst. Zumindest in seiner Gegenwart. Ihr junges Aussehen faszinierte ihn. Die großen Augen, die schönen Haare, der kurze Rock. Als er sich vorhin auf ihrem Tisch positionierte, hätte er sie am liebsten geküsst. Sie hatte eine liebreizende Ausstrahlung, die zugleich so sexy war, dass er am liebsten nicht mehr von diesem Platz aufgestanden wäre. Sie hatte ihm positive Zeichen gesendet, durch ihren Blick, der mehr als tausend Worte sagte. Sie hatte unverkennbar Interesse an ihm. Er hatte ihre Nähe gesucht, ohne sie zu berühren. Das war schwer. Er hatte den Unterricht fortgesetzt, als wenn er nichts für sie empfand. Das war noch schwerer. Er konnte sich kaum zurückhalten, sie in den Arm zu nehmen, denn sie bezauberte ihn, wie ihn noch keine andere bezaubert hatte.

Ein leichtes Parfum von Maiglöckchen lag auf ihrer Haut, er konnte es riechen, wenn er nah bei ihr war. Er glaubte, eine leichte Nervosität bei ihr zu erkennen. Sie war auf jeden Fall anders als die anderen gewöhnlichen Studentinnen. Sie war fantastisch feminin und gleichzeitig süß wie ein Kind. Sie hatte die Kurven an den richtigen Stellen. Ihre Figur war ein Traum. Er hatte sich vorgestellt, sie in einem knappen Ledermini zu sehen, und vor seinem geistigen Auge erschien ihm ihr Hintern prall und glatt unter dem Leder. Er durfte sich nicht vorstellen, wie sich das anfühlte, sonst konnte er eine Erektion nicht verhindern. Das war am allerschwersten.

Er sah auf die Armbanduhr. In wenigen Minuten musste er bei der nächsten Vorlesung sein. Er hatte die Zeit überzogen, weil er sein Thema nicht abbrechen wollte. Nun musste er sich beeilen. Er erhob sich, suchte seine Papiere zusammen und schob sie in die Mappe, bevor er den Beamer ausschaltete. Er knipste anschließend das Neonlicht an und stand mit erhobener Hand vor den Schülern. Ein Murren und ein bedauerndes Oh gingen durch den Saal.

»Ruhe bitte! Leider reicht die Zeit heute nicht mehr aus, um das Thema zu beenden. Am kommenden Mittwoch, dem letzten vor den Semesterferien, werde ich daher eine weitere Unterrichtsstunde in Sachen Walfamilie geben.« Er neigte seinen Kopf zum Gruß und erntete Applaus. Bald hatte er die Chance, Marina erneut nah zu sein. In der nächsten Stunde. Am Mittwoch.

Bedenkliche Wetterprognose

Daniel saß wartend auf dem Besucherstuhl im Büro. Er träumte von seiner Reise nach Bolivien, die er am Anfang seiner Expeditionen unternommen hatte. Wie herrlich das gewesen war.

Sommer in den Anden und er war als Wetterforscher mitten im Naturschutzgebiet gewesen. Hier war das Feeling am besten, die Berge am höchsten und die Leute am zugänglichsten, auch wenn sie ihm nur als durchreisende Karawane mit einer großen Lamaherde begegnet waren. Ihre traditionelle Kleidung hatte ihn an die Inkas erinnert, die Ureinwohner des Landes. Niemals war ein Land, das er später bereist hatte, derart landschaftsreich, kulissenhaft und mit historischem Charme behaftet gewesen.

Dass er viele Orte in der Welt sehen durfte, sah er als persönliche Belohnung. Sein Studium hatte er mit Bravour beendet und er durfte sich fortan zu den Wissenschaftlern zählen. Mit seinen dreißig Jahren fand er, dass er ziemlich welterfahren war. Die letzte der vierzehn Reisen, die er in den zwei Jahren nach seinem Studium unternommen hatte, hatte ihn nach Island gebracht. Er hatte dort die Auswirkungen der Aluminiumproduktion auf die Wetterprognosen erfahren. Diese Werte spiegelten sich noch heute in seinen Berechnungstabellen wider. Je nachdem, aus welcher Richtung der Wind wehte oder wo er sich gerade aufhielt.

Er wurde aus seinen Träumereien gerissen, denn ihm gegenüber nahm der Chef des Institutes für Geophysik auf dem braunen Knautschledersessel Platz. Er sah ihn freundlich an und machte einen Gesichtsausdruck, als wolle er ihm etwas zu Weihnachten schenken. Bestimmt hielt er wieder eine außergewöhnliche Überraschung für ihn bereit.

Doktor Fliss war der Big Boss im Zentrum für Umwelttechnik und Wetterforschung. Er war korpulent, trug ständig wollene Westen über seinem Hemd und eine dicke Hornbrille auf der Nase. In den letzten Jahren war er stark kurzsichtig geworden, sodass er bloß noch im Büro arbeitete und selten eine Wetterstation oder einen Forschungsstandort besuchte. Die Zeiten seines besten Alters waren vorbei.

Daniel erledigte jetzt die Reisen für ihn. Er verstand sich gut mit ihm und sie arbeiteten perfekt Hand in Hand. Ständig erhielt er von ihm neue Aufträge, um die Atmosphäre zu untersuchen und Wetterprognosen zu erstellen. Der Big Boss setzte ihn dort ein, wo er erhöhte Ozonbildung vermutete oder an Wetterscheiden im Gebirge. Es war Daniels Aufgabe, sich mit wetterbedingten Phänomenen auseinanderzusetzen und die Entstehung eines Wetterproblems zu erkennen. Oft waren es Umweltgifte, die seine Untersuchungswerte beeinträchtigten. Auch verbotene Deponien gefährlicher Stoffe konnten die Wetterberechnungen verfälschen. Seine Hauptaufgabe war es, Wolkenformationen zu analysieren und deren Wetterauswirkungen auf die wirtschaftliche Lage zu berechnen. Einmal hatte er eine Aufgabe mit der Aussicht, einen bevorstehenden Orkan zu prognostizieren. Seine Aufgaben waren spannend und nicht mit normalen Tätigkeiten zu vergleichen. Er hätte um nichts in der Welt diesen Job für einen anderen eintauschen wollen.

»Haben Sie ausgewertet, wie das Wetter im Winter in Nordeuropa wird? Es hat eine enorme Bedeutung bekommen«, stellte der Boss fest und bot ihm ein Glas Wasser an.

Daniel nickte und griff das Glas.

»Vielen Dank.«

»Wir müssen die Energieliste für die Unternehmen planen.«

»Ich habe sie bereits analysiert«, sagte er und legte Doktor Fliss einen Stapel Auswertungen, sowie einen Stick mit Wetterdaten vor.

»Vieles ist von der Wettervorhersage abhängig. Je nach den vorhergesehenen Wintertemperaturen fallen die Daten jedes Jahr unterschiedlich aus. Die Tendenz zur weiteren Erderwärmung steht klar in den Ergebnissen der Wetterstatistiken, wenn man sie mit Temperaturen der Vergangenheit im selben Zeitraum vergleicht. Der Klimawandel ist auf dem Vormarsch«, erklärte Doktor Fliss.

»Man darf die Auswertungen nicht unterschätzen.«

»Manchmal frage ich mich, wohin das führen soll«, überlegte der Chef.

»Worauf wollen Sie hinaus? Wartet eine neue Aufgabe auf mich?« Daniel spürte die Sehnsucht nach fernen Ländern und war gespannt, wohin es ihn dieses Mal verschlagen würde. Bisher hatte er die Länder besucht, in denen es beständige Wetterveränderungen gegeben hatte.

»Ich weiß nicht, ob Ihnen dieser Ort gefallen wird, Daniel.«

»Wieso? Was kommt jetzt? Der Tanz auf dem Vulkan? Ein Flug in den Kosmos? Oder muss ich einsam in der Wüste zelten?«

Er lachte. Es konnte nicht wirklich schlimm werden. Es hatte ihm jedes Mal gefallen, wenn er einen neuen Auftrag erhalten hatte. In jeder Himmelsrichtung, egal ob in sengender Hitze oder in eiskalten Gegenden. Ständig und überall waren ihm dabei interessante Leute begegnet, die ihm seinen anstrengenden Job versüßten.

Er war ein freiheitsliebender Einzelgänger, deswegen geschah es nicht oft, dass er sich an eine Frau heranmachte und deren Sympathie erntete. Er hatte selten Erfolg mit neuen Bekanntschaften. Doch er hatte zumindest beobachten können, dass in Sachen Sex der Spruch »Andere Länder, andere Sitten«, ebenso galt. Wahrscheinlich war es der Knackpunkt, warum er sich immer zurückgehalten hatte. Er wusste, dass ihm eine Fernbeziehung nichts nützte, und dass der Kontakt in fremden Ländern Schwierigkeiten mit sich bringen konnte. Deswegen hatte er sich nie festgelegt. Flüchtige Bekanntschaften waren ihm zur Gewohnheit geworden, darum hatte er sich schon länger mit niemandem mehr tiefer und eingehender beschäftigt. Seine Freiheitsliebe hatte ihm zwar gelegentlich anderer Länder Charme, wie auch nächtliche Freuden bereitet, jedoch nie eine Bindung entstehen lassen.

Er strich eine Haarsträhne aus der Stirn, als er sich über den Tisch beugte, um besser erkennen zu können, was Doktor Fliss ihm gleich anbieten würde. Der Chef drehte den Bildschirm des Computers in seine Richtung.

»Ich habe meine Daten sekundengenau übermittelt. Je nach Abgabeplan. Ich war in den entlegenen Teilen Europas, in der eisigen Antarktis, in Asiens Dschungel und in Nordafrikas Gebirge. Was also sollte mich noch umhauen?«

»Der globale Klimawandel wird durch Ihre Arbeit und die Wetterdaten erforscht. Es gibt noch gefährdete Gegenden, wo ganze Landmassen in Gefahr sind, sollte das Wetter einen bestimmten Punkt erreichen.«

Daniel dachte an die Inseln um Hawaii, die in der Vergangenheit von Orkanen gebeutelt wurden.

»Spannen Sie mich nicht auf die Folter, sagen Sie schon. Wo muss ich hin?«

»Die Schiffer und Inselbewohner sind abhängig von exakten Hochwasserwarnungen. Dieses Mal brauchen Sie nicht weit zu reisen. Sie müssen auf die Insel Pellworm.«

In seinem Kopf wanderte sein Zeigefinger auf der Weltkarte umher. Nicht weit reisen? Er fragte sich, wo diese Insel lag. Pellworm … nie gehört. Er suchte in Gedanken Europa ab. Er vermutete die Insel unterhalb von Skandinavien und freute sich insgeheim auf gastfreundliche, rotblonde Menschen, auf Moose und Flechten, in die er sich legen konnte, auf Polarlichter an warmen Abenden und auf Schlittenfahrten mit Rentieren im Winter.

»Wo liegt die Insel?«

»In der Nordsee.«

»Was?« Daniel war enttäuscht. Nordsee. Das war ja gleich um die Ecke. Aus war der Traum vom exotischen Nordland. Kein Polarlicht, keine Rentiere, keine Frauen. Es war, als wenn Doktor Fliss das Licht in seinem Kopf ausgeschaltet hätte.

»Es wird schon gut werden, vor allem haben Sie dort Ihre Ruhe. Wir haben ein Haus für Sie angemietet. Leider etwas heruntergekommen, aber Sie haben Zeit, es bewohnbar zu machen. Die Forschungen können bis zu einem Jahr andauern.«

»Ich wusste nicht, dass der Arsch der Welt so nahe liegt.«

»Nana! Sie haben es noch nicht gesehen und fangen an zu nörgeln? Ich glaube, dass dieser Auftrag trotzdem spannend werden wird.«

»Worum gehts da, Herr Doktor?«

»Ich werde es Ihnen erzählen. Versetzen Sie sich in das Jahr 1634.«

»Boss, ich bin kein Historiker.«

Doktor Fliss lächelte schief und sah ihn über den Rand seiner dicken Brille an.

»Die Wetterprognosen von heute und die Vorkommnisse von damals beziehen sich auf weitere Forschungen, die ergeben haben, dass eine große Sturmflut bevorsteht. Vielleicht noch in diesem Jahr. Alle Auswertungen deuten auf einen Meerwassersanstieg und eventuelle Seebeben.«

»Gut, erzählen Sie mir, was damals passiert ist.«

»Es gab eine gewaltige Sturmflut, die man Grote Mandränke nannte. Sie hören an der Bezeichnung, wie schlimm gewesen sein musste. Es war eine gewaltige Sturmflut, die über die Nordseeküste fegte und alles wegspülte und untergehen ließ. Große Teile fruchtbaren Landes zwischen Sylt und Nordfrieslands Küsten gingen unter. Zusammenhängende Landteile wurden zu verstreuten Inseln und Halligen. Wo man vorher bequem über Land fuhr, war nichts mehr zu sehen, nur noch das wilde Meer. Die Sturmflut veränderte den Küstenverlauf für immer. Die Insel, zu der Sie reisen, ist ein Überbleibsel. Eine überschaubare, eingedämmte Insel, die in Gefahr ist, unterzugehen.«

Daniel staunte. Er war jahrelang in den interessantesten und buntesten Ländern der Erde unterwegs gewesen, hatte sich überschwänglich mit dem Leben anderer Völker beschäftigt, rauschende Feste gefeiert und sich um das langweilige Deutschland nicht gekümmert. Doch diese Geschichte schien interessant zu werden. Es hörte sich an wie die Atlantis-Theorie. Wie ein geheimes Abenteuer, das nur Eingeweihte kannten. Geheimnisvoll und zugleich fremd, obwohl es im eigenen Land stattfand. Wer kannte schon Pellworm und sein Schicksal? Vermutlich niemand, außer den Inselbewohnern selbst. Exakt das machte seinen Job interessant und außergewöhnlich. Dass er Aufgaben bekam, von dessen Existenz niemand wusste, außer sein Boss und er.

»Wann muss ich los?«, fragte er, begierig auf die neue Forschungsstation und plötzlich brennend interessiert.

Es könnte ein hochgefährlicher Job werden. Er war auf einmal Feuer und Flamme, die Spannung elektrisierte seine Sinne, als ob er mitten in einen Vulkan steigen sollte. Diese Geschichte der Insel hatte er nicht vermutet. Das war es, was seine Spannung hielt. Speziell der Nervenkitzel für seine ungewöhnlichen Standorte in der Forschung machten ihn zu einem freien, unabhängigen Mann, der sein Leben auskosten konnte. Im Gegenzug musste er in jeder Sekunde bereit sein, Daten zu übermitteln. Messgeräte und Sensoren übernahmen zwar die Funktion, doch sie bedurften einer ständigen Überwachung und Kontrolle. Es waren wöchentliche Berichte, die er noch extra verfasste. Wenn es spannend wurde, blieb er an seiner Sache dran und legte sich ins Zeug, eine gute Arbeit abzuliefern und die Forschungsergebnisse schnellstens preiszugeben. Doktor Fliss gab diese Informationen nachfolgend an die Handelsunternehmen weiter, die wetterabhängig disponierten oder auslieferten. Das Hauptgeschäft bestand darin, Standorte für Windkrafträder zu überprüfen, aber in den meisten Fällen ging es um Heizöl und den wirtschaftlichen Preisanstieg.

»Nächste Woche werden Sie auf der Insel erwartet. Sie nehmen den Flieger nach Hamburg und steigen danach in den Bus. Eine Fähre wird Sie auf die Insel bringen.«

Die beiden Männer standen auf. Ein Handschlag besiegelte den Pakt über den neuen Standort und mit einer freundschaftlichen Umarmung verabschiedeten sie sich.

»Ich rufe Sie in einigen Tagen an, Daniel. Dann besprechen wir, was Sie tun müssen, und regeln Ihre neuen Arbeitsanweisungen.«

***

Als Marina zu Hause ankam, warf sie ihren Rucksack salopp in die Ecke neben der Couch und zog sich die Jacke von den Schultern. Sie hängte sie an den Haken, der als Garderobe an der Tür befestigt war, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und atmete erleichtert aus. Endlich zu Hause. Sie wohnte in einem Apartment mit offener Küchenzeile. Dieser Raum war praktisch angelegt. Er beinhaltete alles, was sie brauchte, und das war nicht viel.

Wieder war ein Tag an der Universität geschafft. Heute war es besonders interessant mit Professor Hagedorn gewesen. Belustigt dachte sie über die zweideutige Unterrichtsstunde über die Fortpflanzung der Wale nach, während sie ihre Schuhe von den Füßen streifte und barfuß in Richtung Küchenzeile ging. Sie brühte einen frischen Kaffee auf und setzte sich auf das bequeme Sofa. Sie genoss die Kühle des Laminatbodens an ihren Fußsohlen und dachte daran, wie es wäre, sie in kaltes Wasser zu tauchen. Anschließend legte sie die Beine hoch, ließ sich auf den Rücken sinken und verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf.

All ihre Gedanken drehten sich um ihn. Nicht nur, dass er einen ausgezeichneten Unterricht gegeben hatte, sondern er hatte sich dermaßen großflächig in ihrer Gedankenwelt ausgebreitet, dass sie nichts anderes tun konnte, als ständig an ihn zu denken. Es hinderte sie allerdings daran, sich genug Lernstoff zu verinnerlichen. Wenn sie es nicht schaffen sollte, die Gedanken an ihn loszuwerden, könnte es in einem Lerndesaster enden. Dabei war es wirklich wichtig für sie.