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Lord Rowley ist der attraktivste Lebemann und Exzentriker seiner Zeit. Allein und im Exil weit weg von England und der strengen Gesellschaft um Königin Viktoria, ist er besorgt, dass sein schlechter Ruf den seiner Tochter schädigen könnte. Daher arrangiert er eine angesehene Begleitperson für Darcia, die Witwe des französischen Botschafters am Hof von St. James unter dem Decknamen der Comtesse de Sauze. Womit er allerdings nicht rechnet ist die Abenteuerlust seiner Tochter – was wird ihr in England widerfahren?
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Seitenzahl: 183
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Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2019
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
Als Hintergrund für die Handlung des Romans habe ich die Bauzeit des Hauses Waddesdon Manor von 1874-1889 durch Baron Ferdinand de Rothschild beschrieben. Er vereinigte die Schönheit der französischen Schlösser aus dem 16. Jahrhundert, die ich erwähnt habe, um in England eines der schönsten, exotischsten, zauberhaftesten Märchenschlösser zu bauen, die man sich denken kann.
Die Zimmer und Möbel, die ich beschrieben habe, können alle in Waddesdon besichtigt werden. Sie sind der Öffentlichkeit zugänglich, mit Ausnahme des Bildes ‘Venus, Merkur und Cupido’.
In den Räumen von Waddesdon sind mehr Schätze angesammelt, als in jedem anderen Haus, das ich jemals besichtigt habe. Und jeder, der schöne Antiquitäten liebt, sollte James de Rothschild dankbar sein, der bei seinem Tod 1957 das Haus und seine Schätze dem National Trust vermacht hat.
»Ich habe volles Verständnis dafür, Darcia, daß deine Tante dich morgen in Paris sehen möchte.«
»Ja, Ehrwürdige Mutter.«
»Du weißt, daß ich es mißbillige, wenn meine Schülerinnen nach Paris fahren, geschweige denn, wenn sie etwas in der Stadt zu erledigen haben.«
»Ja, Ehrwürdige Mutter.«
»Ich hätte gedacht, daß du das deiner Tante erklärt hast und daß sie statt dessen zu uns ins Kloster kommt.«
»Vielleicht ist die Reise zu anstrengend für sie, Ehrwürdige Mutter.«
Es herrschte Schweigen, als die Oberin das Mädchen von der anderen Seite des Schreibtischs aus aufmerksam ansah.
Es bestand kein Zweifel daran, daß Darcia unter ihrer Oberhut eine Schönheit geworden war.
Vielleicht widerstrebte es ihr deswegen, obwohl sie selbst nicht wußte warum, das Mädchen die sichere, beschützte Atmosphäre der Klosterschule verlassen und in »die liederlichste Stadt der Welt« reisen zu lassen, wie man Paris in ganz Europa nannte.
Dennoch mußte die Oberin zugeben, daß Darcia in jeder Hinsicht eine Musterschülerin geworden war.
Sie hatte hart gearbeitet. Kein anderes Mädchen in der Schule kam ihr in den Leistungen gleich, und sie war die einzige englische Schülerin, die von allen Mädchen der anderen Nationalitäten geliebt winde und der Liebling der Lehrschwestern war.
Darcias Haar hatte einen roten Schimmer und ihre Augen einen ungewöhnlichen haselnußgrünen Ton, der einmalig unter den Hunderten von Mädchen war, die durch ihre Hände gegangen waren.
Ihr gefiel die Art, wie Darcia dasaß und ruhig auf die Entscheidung wartete, ob sie ihre Tante besuchen dürfe, ohne Ungeduld zu zeigen, obwohl sie bisher weder eine Zusage noch eine Ablehnung erhalten hatte.
Die Oberin kam zu einem Entschluß und sagte: »Also gut, Darcia. Du darfst nach Paris fahren. Und da deine Tante schreibt, daß sie einen Kurier für dich schicken will, muß ich keine Begleitung für dich zur Verfügung stellen. Aber du mußt es ihr bitte sagen, daß diese Art von Vereinbarungen nicht nach meinem Geschmack ist.«
»Das will ich tun, Ehrwürdige Mutter«, sagte Darcia bescheiden. »Und vielen Dank, daß ich die Einladung meiner Tante annehmen darf.«
»Ein Bote wartet draußen, du mußt sofort eine Antwort schreiben«, sagte die Oberin.
»Danke«, antwortete Darcia und machte einen respektvollen Knicks, ehe sie hinausging.
Als sie die Tür des Zimmers hinter sich geschlossen hatte, stieß sie einen kleinen Freudenschrei aus und hüpfte - die Mutter Oberin hätte es unziemlich genannt - in ihr Klassenzimmer, das im Augenblick leer war.
Sie öffnete ihren Schreibtisch, holte eine Ledermappe heraus, in der sich etwas Schreibpapier befand und schrieb einige Zeilen.
Die Mutter Oberin wäre überrascht gewesen, wenn sie Darcias Antwort gelesen hätte:
‘Liebster,
ich kann es bis morgen kaum erwarten und werde so schnell, wie Deine Pferde mich zu Dir bringen, bei Dir sein.
In Liebe und mit tausend Küssen,
Darcia. ‘
Sie versiegelte den Umschlag, und dann ging sie gemessenen Schrittes durch die Halle, wo eine Nonne ihr den Brief aus der Hand nahm und einem Diener gab, der draußen vor der Tür wartete.
Sie sah ihm durch die halboffene Tür nach.
Er ritt auf einem edlen, schönen Pferd davon.
Sie lief die Treppe hinauf, um das Kleid auszuwählen, das sie morgen tragen würde, wenn sie zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder Paris besuchte.
Es war eine äußerst elegante Kutsche, die Darcia früh am nächsten Morgen abholte. Die Kutsche war gut gefedert und insofern anonym, als kein Wappen oder anderer Schmuck auf die Türblätter gemalt war und auch das silberne Zaumzeug der vier Pferde keinerlei Insignien trug.
Ein Kutscher und ein Lakai saßen auf dem Kutschbock, ein Diener wartete respektvoll vor der Klostertür. Es war ein älterer weißhaariger Mann, der sich höflich verbeugte, als Darcia heraustrat.
Sie nickte, sprach aber nichts, als sie in die Kutsche stieg.
Der ältere Mann setzte sich mit dem Rücken zu den Pferden, und als die Kutsche sich in Bewegung setzte, beugte sich Darcia vor und winkte der Nonne Lebewohl, die ihre Abfahrt beobachtete, ehe sie die Klostertür hinter sich schloß.
Erst dann lehnte sich Darcia im Sitz zurück und sagte zu dem Mann, der ihr gegenübersaß: »Wie geht es dir, Briggy?«
»Gut, wenn ich Sie sehe, Miss Darcia!« antwortete er. »Sie sind groß geworden und haben sich in den letzten zwei Jahren so sehr verändert, daß ich daran zweifele, ob der Herr Sie überhaupt wiedererkennen wird.«
»Ich kann es kaum erwarten, bis ich ihn wiedersehe«, sagte Darcia mit weicher Stimme. »Die zwei Jahre ohne ihn waren sehr, sehr lang.«
»Das habe ich mir gedacht, Miss Darcia«, sagte Mr. Briggs. »Aber der Herr wollte, daß Sie sehr gut erzogen werden.«
»Ich bin so vollgestopft mit Wissen, daß ich mir manchmal wie ein Topf pâté de foie gras vorkomme«, sagte Darcia.
Sie lachten.
»Und wie geht es Papa?«
»Gut«, sagte Mr. Briggs, »aber ich brauche Ihnen nicht zu sagen, Miss Darcia, daß er das Leben immer noch in vollen Zügen genießt.«
»Könnte man etwas anderes von ihm erwarten?«
»Kaum.«
»Wo wohnen wir in Paris? Ich dachte, unser Pariser Haus stünde leer?«
»Nein, wir haben es aufgemacht, Miss Darcia, vor allem, weil der Herr Sie dort sehen will. Er hat mir aufgetragen, daß niemand Sie sehen darf oder erfährt, daß Sie ihn besuchen. Er legt großen Wert darauf.«
Darcia war überrascht, aber ehe sie etwas sagen konnte, fuhr Mr. Briggs fort: »Der Herr gab mir diesen Schleier für Sie. Sie sollen ihn über Ihre Kappe legen, wenn Sie von der Kutsche ins Haus gehen. Er möchte nicht, daß das Personal weiß, woher Sie kommen. Der Kutscher mußte Verschwiegenheit schwören. Er ist schon lange in unseren Diensten und kein Schwätzer.«
Darcia lachte amüsiert.
»Das ist echt Papa. Aber warum? Weshalb diese Geheimnistuerei, und warum bin ich unwillkommen?«
»Das sind Sie nicht, Miss Darcia«, sagte Mr. Briggs, »und hoffentlich empfinden Sie es nicht als ungehörig von mir, wenn ich sage, daß Sie eine Schönheit geworden sind und daß dem Herrn eine Überraschung bevorsteht.«
»Das hoffe ich, das hoffe ich sehr«, sagte Darcia. »Schon als Kind wußte ich, daß Papa nur schöne Frauen liebt, und ich habe jede Nacht gebetet, daß ich hübsch sein möge und ihm gefalle, wenn ich erwachsen bin.«
»Ihre Gebete wurden erhört, Miss Darcia.«
»Danke, Briggs.«
Darcia hatte die Wahrheit gesagt, als sie erwähnte, daß sie ihr ganzes Leben lang gewußt hatte, daß ihr Vater nur schöne Frauen liebte, und daß sie ihn gern hatten oder richtiger, daß sie ihn vergötterten.
Nur kamen und gingen sie in rascher Folge, so daß sie selbst kaum Gelegenheit hatte, die verführerischen Damen, die im Haus lebten und augenfällig ein sehr intimes Verhältnis mit ihrem Vater pflegten, näher kennenzulernen.
Wenn sie zurückblickte, fiel es ihr oft schwer, sich an ihre Namen zu erinnern oder ihre Gesichter voneinander zu unterscheiden. Eines hatten sie jedoch alle gemeinsam: da sie sich bei dem charmanten, gut aussehenden, verführerischen Lord Rowley beliebt machen wollten, gaben sie sich die größte Mühe, sein einziges Kind zu verhätscheln und zu verwöhnen.
Merkwürdigerweise hatte das keinen negativen Einfluß auf Darcias Charakter.
Schon als sie noch sehr jung war, erkannte sie, daß vieles von dem, was sie zu ihr sagten, unaufrichtig war, und daß die Freundlichkeit, die sie ihr entgegenbrachten, nur geheuchelt war, um ihren Vater zu beeindrucken. Sie konnte ihre Gefühle verstehen, weil es für sie selbst keinen attraktiveren und faszinierenderen, vielleicht war das richtige Wort »anziehenderen«, Mann gab als ihren Vater, der von seiner Umwelt als der größte Frauenheld seiner Zeit bezeichnet wurde.
Als Darcia älter wurde, stellte sie intuitiv fest, daß ihr Vater zur falschen Zeit geboren worden war.
In den wilden, ausschweifenden Tagen Prinz Georges wäre er in seinem Element gewesen, ein Vorbild der Stutzer und Kavaliere, die den »Lustigen Prinzen« umschwärmten, den Prinzregenten und späteren George IV.
Statt dessen wurde Lord Rowley in der erstickenden Wohlanständigkeit des viktorianischen Hofes als ein Exzentriker betrachtet, der in seinen Extravaganzen zu weit ging und in dieser heuchlerischen Gesellschaft zum schwarzen Schaf wurde.
‘Nicht ertappt zu werden’, das war das Motto jener, denen es gelang, sich zu amüsieren, ohne den Unwillen der ‘Witwe von Windsor’ zu erregen.
Dies bedeutete, daß man ein gewisses Maß an Vorsicht aufwenden mußte, aber Lord Rowley hatte von Vorsicht nie viel gehalten. Er mißachtete die Konventionen, bis ihm der Boden in England zu heiß wurde und er sich im Ausland niederließ und als Abschiedsgeste eine der liebsten Hofdamen der Königin mitnahm.
Einen Monat vor Darcias sechzehntem Geburtstag wurde sie in die Klosterschule von Sacré Coeur geschickt, nachdem ihr Vater für sie lange nach einer Schule gesucht hatte, in der erstens kein anderes englisches Mädchen als Schülerin angemeldet war, und die zweitens außerordentlich hohe geistige Anforderungen stellte.
Darcia erhob keine Einwendungen, denn sie hatte im Laufe der Jahre gelernt, daß dies vergeudete Mühe war. Aber sie war doch überrascht, als er ihr eröffnete, daß sie in der Schule als ‘Darcia Rowell’ angemeldet worden war.
Bevor sie ihn nach dem Grund dafür fragen konnte, erklärte er ihr augenzwinkernd: »Erstens zweifle ich daran, daß sie dich aufgenommen hätten, wenn sie wüßten, wer dein Vater ist, und zweitens bist du von jetzt an nur du selbst und wirst nicht mehr durch deine Beziehung zu mir kompromittiert.«
»Ich werde durch dich nicht kompromittiert«, sagte Darcia ärgerlich. »Ich bin stolz, sehr, sehr stolz darauf, deine Tochter zu sein. Kein anderes Mädchen auf der ganzen Welt hat solch einen interessanten und originellen Vater oder einen, der das Leben so heiter auffaßt.«
»Das wäre alles recht und schön, wenn du ein Junge wärst«, antwortete Lord Rowley. »Aber du bist ein Mädchen, mein Liebling, und ich hoffe, ein sehr hübsches Mädchen. Deshalb muß ich dir eine Chance geben, du selbst zu sein, und das ist der erste Schritt dazu.«
Er ging durch das geschmackvoll möblierte Zimmer, in dem sie miteinander sprachen, ehe er fortfuhr:»Wenn du älter bist, werde ich dir mehr über die Schwierigkeiten erzählen, auf die du stoßen wirst, aber im Augenblick möchte ich, daß du nicht nur schön, sondern auch klug wirst, weil die meisten Frauen sehr dumm sind. Das ist auch der Grund, weshalb wir ihrer nach kurzer Zeit überdrüssig werden.«
»Ich dachte, Dolores - ich erinnere mich nicht an ihren Nachnamen - die vor etwa acht Monaten bei uns war, hatte mehr Verstand als alle anderen«, sagte Darcia.
Ihr Vater lachte.
»Sie hatte einen anderen Fehler, aber das betrifft etwas, worüber ich mit dir nicht sprechen kann.«
»Warum nicht, Papa?«
»Verdammt noch mal, weil du meine Tochter bist. Und weil du eine Dame bist.«
Ihr Vater war sehr ernst, als er sagte: »Ich schicke dich für zwei Jahre weg.«
Darcia stieß einen entsetzten Schrei aus, und ihr Vater sagte tadelnd: »Keine Widerrede. Ich tue es zu deinem Besten, und Gott weiß, wie ich dich vermissen werde. Aber ich weiß, es ist richtig so.«
Es gab keine weiteren Diskussionen darüber, und so jung Darcia war, wußte sie genau, wie er sich ihre Zukunft vorstellte, und sie bemühte sich, es ihm recht zu machen.
Die Mehrzahl der Frauen, die in das Leben ihres Vaters getreten waren, waren vornehme Damen, und die anderen, die es auch gab, brachte er niemals ins Haus.
Die Damen stammten aus gutem Haus, viele von ihnen waren mit Männern in hohen Positionen verheiratet, und sie ließen sich von ihrer Verliebtheit dazu hinreißen, sich töricht und unvorsichtig zu benehmen.
Abgesehen davon jedoch war ihr Benehmen Darcia gegenüber korrekt. Darcia wußte, daß ihr Vater niemals schlechte Manieren tolerieren oder irgend etwas, das er als ungraziös ansah, in seiner Umgebung dulden würde.
In der Klosterschule gab es viele Unterrichtsfächer, die sie extra belegen konnte, und Darcia glaubte, daß ihr Vater es gutheißen würde, wenn sie möglichst viele belegte.
Die Mädchen hatten nicht nur spezielle Tanz- und Reitlehrer, sondern sie konnten auch Fechten lernen, wenn sie wollten, und merkwürdigerweise taten es einige.
Die Mutter Oberin sah dies mit Stirnrunzeln, aber die Eltern der italienischen Schülerinnen wünschten es, denn sie waren der Meinung, es würde ihren Töchtern Gewandtheit und das gleiche schnelle Reaktionsvermögen vermitteln, das sie von ihren Söhnen verlangten.
Außerdem lernte Darcia Klavierspielen, Singen und Malen. Und sie malte lieber in Öl als mit Wasserfarben, was für junge Damen damals als schicklich galt.
Sie bemühte sich, alles, was sie lernen konnte, konzentriert zu erfassen, weil sie wußte, daß ihr Vater das wünschte, und sie wollte ihm Freude machen.
Lord Rowley mochte ein Frauenheld sein, aber er war auch ein außergewöhnlich intelligenter Mann.
Er sprach fünf Sprachen fließend, und er hatte merkwürdigerweise einen akademischen Grad in Oxford erlangt, obwohl er niemals Zeit zum Arbeiten gefunden hatte, und abgesehen davon, daß er ein unübertrefflicher Frauenkenner war, war er auch ein Pferde-Experte.
Er beteiligte sich an Pferderennen und gewann in allen Klassen. Und da er in einem draufgängerischen Stil ritt, der ihn zum Liebling des Publikums machte, erntete er laute Jubelrufe auf jedem Rennplatz, auf dem er erschien.
Er förderte sein öffentliches Ansehen, wiederum gegen die königliche Mißbilligung, indem er bei allem, was er besaß, die Farbe gelb favorisierte. Seine landwirtschaftlichen Fahrzeuge auf seinem Gut, seine Phaetons, seine Kutschen und Reisewagen waren alle gelb, und ihn selbst sah man nie ohne eine gelbe Nelke im Knopfloch.
Die Menschen nannten ihn »Rowley, der Wüstling«, und sie liebten ihn.
Seine Freunde liehen sein Geld, fanden Entschuldigungen für sein ausschweifendes Benehmen und waren loyal, bis es absolut nicht mehr möglich war.
Lord Rowleys Frauen wankten niemals und liebten ihn, selbst nachdem er ihnen den Laufpaß gegeben hatte.
Als sich Darcias Kutsche Paris näherte, begann ihr Herz schneller zu schlagen, bei dem Gedanken daran, ihr Vater könnte nach all der Mühe, die sie sich mit ihrem Äußeren gegeben hatte, enttäuscht von ihr sein.
Sie hatte jede ihrer Bewegungen geübt, jede Geste ihrer Hände, um so graziös wie möglich aufzutreten.
Sie hörte auf ihre eigene Stimme, ganz gleich ob sie sang oder sprach, bis sie sicher war, daß sie wohlklingend war.
Sie hatte nicht vergessen, daß ihr Vater einmal über eine Frau sagte, die ihm nachlief: »Sie hat eine Stimme wie eine Wachtel! Frauen sollten Stimmen wie Nachtigallen haben, wenn sie wollen,daß man ihnen zuhört.«
Sie hatte auch Deutsch gelernt, und das war wirklich eine Leistung gewesen neben den Französisch-, Spanisch- und Italienisch-Stunden.
Sie beherrschte nun alle diese Sprachen fließend und zweifelte nur daran, ob sie auch Englisch gut genug sprach.
Als die Kutsche durch den Bois fuhr, beugte sie sich hinaus, doch dann fiel ihr ein, daß ihr Vater nicht wünschte, daß sie gesehen wurde, und sie lehnte sich in den Sitz zurück.
Als sie in die breiten Straßen mit den großen eleganten Häusern einbogen, reichte ihr Mr. Briggs ohne ein Wort zu sagen den Schleier.
Amüsiert dachte Darcia, daß der Schleier typisch für ihren Vater war, er war nicht dunkel und häßlich, sondern hauchzart wie ein Spinnengewebe mit zarten blauen Punkten.
Sie legte ihn über ihre kleine Kappe und ließ ihn auf die Schulter fallen, so daß es schmeichelnd und verführerisch wirkte.
Sie trug ein Kleid, das sie sich selbst gekauft hatte. Es war viel zu elegant für die Schule.
Außerdem betonte das sehr enge Mieder über der schmalen Taille ihre tadellose Figur in einer Weise, über die die Oberin die Stirn gerunzelt hätte.
Darcia hatte das Kleid in einem französischen Modejournal abgebildet gesehen und eine ihrer Freundinnen gebeten, es für sie zu bestellen, als diese in die Ferien nach Hause fuhr.
»Es wird bei dieser Schneiderin sehr teuer sein«, hatte sie ihre Freundin gewarnt.
»Das macht nichts«, antwortete Darcia. »Ich muß ein Kleid haben, das ich tragen kann, ohne mich zu schämen, wenn meine Verwandten mich zu sich einladen.«
»Hoffst du, daß sie das tun werden?« fragte ihre Freundin. »Sie kommen dich niemals besuchen, Darcia, und du fährst nie in den Ferien nach Hause.«
»Meine Verwandten leben in England«, sagte Darcia. »Sie möchten, daß ich die Schule abgeschlossen habe, ehe wir uns wiedersehen.«
Es gab einige Mädchen, die in der gleichen Lage waren wie sie selbst.
Ein Mädchen stammte aus Griechenland, das andere aus Teheran.
Deshalb blieb Darcia in den Ferien nie allein in der Schule zurück, aber sie war jedesmal froh, wenn die anderen Schülerinnen zurückkehrten und der normale Schulalltag wieder begann.
Die Kutsche blieb vor einem imposanten Hauseingang stehen, und Darcia bemerkte, daß mehrere livrierte Diener davor warteten.
Ein roter Teppich lag auf den Stufen, und als sie das Haus betrat, das sie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte, fand sie, daß alles so typisch für ihren Vater war, daß sie es sofort als sein Haus erkannt hätte, selbst wenn sie nicht gewußt hätte, daß er sie hier erwartete.
Die Bilder und die kostbaren Möbel waren charakteristisch für alle seine Häuser. Und ebenso typisch waren die Blumenarrangements, die die Halle und die Salons schmückten.
Aber für Darcia war in diesem Augenblick nichts wichtig außer dem Mann, der am anderen Ende des Zimmers stand.
Sie warf den Schleier weg und lief mit einem kleinen Freudenschrei auf ihn zu.
»Papa! O Papa, wie schön, dich wiederzusehen!«
Lord Rowley nahm sie in die Arme und küßte sie auf beide Wangen. Dann sagte er: »Es war eine lange Zeit, mein Püppchen. Laß mich dich anschauen.«
Er hielt sie auf Armeslänge von sich, und als sie etwas verlegen wurde, nahm sie ihre Kappe ab und warf sie auf den Fußboden, bevor sie sich an ihn schmiegte und ihn immer und immer wieder küßte.
»Du bist entzückend«, sagte Lord Rowley mit Befriedigung. »Du bist deiner Mutter sehr ähnlich. Sie war noch hübscher als du, aber du hast ihre ebenmäßigen Gesichtszüge, und wenn du älter wirst, bist du eine Schönheit. Ich habe wieder einmal auf das richtige Pferd gesetzt!«
Darcia lachte.
»Papa, ich kann dir nicht sagen, wie wundervoll es ist, deine Stimme zu hören und deine köstliche Ausdrucksweise. Aber ich bin kein Pferd, ich bin eine erwachsene Frau. Darf ich nun wieder zu dir zurückkommen und mit dir zusammenleben?«
Das hatte sie ihn schon von dem Augenblick an fragen wollen, als sie den Brief erhalten und der Mutter Oberin erklärt hatte, daß ihre ‘Tante’ sie sehen wollte.
Sie wußte sofort, daß der Brief von ihrem Vater war, denn sie hatte keine Tante, die an ihr interessiert gewesen wäre. Außerdem war in einer Ecke des Briefpapiers ein unauffälliges Zeichen, das sie vor zwei Jahren verabredet hatten.
Ihr Vater schrieb ein kleines ‘R’, und Darcia malte ein kleines Herz, weil sie fand, daß dies zu ihm paßte.
»Gerade deshalb bat ich dich, nach Paris zu kommen«, sagte Lord Rowley. »Aber erzähle mir zuerst von dir selbst.«
»Ich habe nichts Interessantes zu erzählen, Papa. Ich habe dir alles, was irgendwie wichtig war, jeden Sonntag in den langweiligen Briefen an meinen ‘Onkel Rudolph’ beschrieben, und sie an dein Büro in London geschickt.«
Lord Rowley lachte.
»Ich muß zugeben, es fiel mir schwer, sie zu lesen, bis auf jene, die du mir heimlich geschrieben hast.«
»Das konnte ich nur dann tun, wenn eines der Mädchen von Verwandten aus der Schule geholt wurde, oder wenn sie in Ferien gingen. Gewöhnlich kontrollierten die Schwestern unsere Briefe, um zu sehen, ob sie ordentlich geschrieben waren. Wir konnten uns über nichts beschweren.«
»Hattest du etwas zu beanstanden?«
»Nein«, sagte Darcia. »Es war genau die Schule nach deinem Geschmack. Wir wurden angehalten zu arbeiten. Unser Seelenheil lag ihnen besonders am Herzen.«
Lord Rowley lachte. Ein Diener kam herein und brachte eine Flasche Champagner.
»Ich bin der Meinung, wir sollen auf unser Wiedersehen anstoßen«, sagte Lord Rowley, »auch wenn es nur kurz ist.«
»Nur kurz, Papa?«
Lord Rowley antwortete nicht sofort.
Er wartete, bis der Diener das Zimmer verlassen hatte und sagte dann: »Ich bin von Tangier herübergekommen, um deine Zukunft mit dir zu besprechen.«
»Hast du in Tangier gelebt? Ich fragte mich oft, wo du wohl sein magst.«
»Ich war den ganzen Winter über dort«, sagte Lord Rowley. »Aber jetzt, wo es wärmer wird, denke ich daran, nach Griechenland zu reisen.«
»O Papa, bitte nimm mich mit«, bat Darcia. »Ich habe ein wenig Griechisch gelernt, und es würde mir Spaß machen, mich darin zu üben.«
»Deine Ausbildung, was das Bücherwissen angeht, sollte jetzt beendet sein!«
»Dann nimm mich mit, weil ich bei dir sein will. Ich liebe dich, Papa, und ich habe die Monate, die Tage, ja die Sekunden gezählt, bis wir wieder zusammen sind.«
In seine Augen trat eine Zärtlichkeit, die nur wenige Frauen in ihm hervorzaubern konnten.
Er war fünfzig Jahre alt, sah aber zehn Jahre jünger und sehr attraktiv aus, aber es war nicht das gute Aussehen allein, das ihn so anziehend machte.
Es war das Funkeln seiner Augen, ein leichter zynischer Zug um seine Lippen und eine Art der Sorglosigkeit dem Leben gegenüber und eine unglaubliche Gelassenheit.
Er trank einen Schluck Champagner, dann sagte er: »Ich möchte dich nicht beunruhigen, mein Liebling, aber meine Pläne sehen anders aus, als die deinen. Und selbst wenn du es kaum glauben kannst, denke ich dabei nur an dich und nicht an mich.«
Darcia sah ihn besorgt an und fragte dann leise: »Willst du damit sagen... daß du mich nicht bei dir haben willst, Papa? Ich bin fast achtzehn Jahre alt und kann nicht länger zur Schule gehen.«