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Morten Rykers ist ein meisterhafter Kunstdieb. Nach seinem letzten erfolgreichen Coup wird er von einem unwiderstehlichen Typen angesprochen, mit dem er umgehend im Bett landet. Doch danach erwartet ihn eine böse Überraschung. Denn der Mann, der sich ihm als Damian vorgestellt hat, ist in Wirklichkeit ein Wächterdämon. Und er unterbreitet Morten ein Angebot, das dieser nicht ablehnen sollte ...
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Seitenzahl: 244
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Lena Seidel
Simone Singer
Die Wächterdämonen 1
© dead soft verlag, Mettingen 2012
© die Autoren
http://www.deadsoft.de
Graphische Arbeiten: Toni Kuklik
Kontakt: [email protected]
Motiv: © konradbak – fotolia.com
2. Auflage 2013
ISBN 978-3-943678-02-4 (print)
ISBN 978-3-943678-95-6 (epub)
Personen und Orte sind frei erfunden.
Romanfiguren können darauf verzichten, aber im richtigen Leben gilt: Safer Sex!
Für Kristina, Janina und Nadine.
Ohne euch wäre ich nicht so weit gekommen. Danke.
Lena
Seit Anbeginn der Zeit hat der Teufel Pakte und Verträge mit den Menschen geschlossen. Auch wenn seine Ausbeute gut war, schafften es doch immer wieder Menschen, mit Bauernschläue und Tricks eine Hintertür aus solchen Pakten zu finden. Früher war das nicht weiter schlimm für den Herrn der Finsternis, es gab genügend Opfer, deren Seele er in die Hölle reißen konnte.
Die Zeiten änderten sich, die Zahl der Menschen, die um dämonischen Beistand baten, nahm ab. Heute ist es eine Katastrophe für die Hölle, wenn ein Mensch es schafft, aus einem solchen Vertrag zu entkommen.
Um das zu verhindern, entsandte er Dämonen auf die Erde, die überwachten, dass die Abmachungen eingehalten werden und die neue Vertragspartner akquirierten.
Morten Rykers lehnte sich gemütlich in dem Stuhl der Flughafencafeteria zurück und schmunzelte still vor sich hin, während er darauf wartete, dass ihm die Bedienung seinen bestellten Espresso brachte. Während er sich die blonden Locken aus dem Gesicht strich, stellte er fest, dass er wieder einmal unglaubliches Glück gehabt hatte. Wenn man eines der bekanntesten Gemälde dieser Welt aus einem der berühmtesten Museen dieser Welt stahl – und das mit Erfolg! – musste man ein gutes Quantum Glück haben. Können allein reichte da nicht aus.
Sein Blick fiel auf die unscheinbare Plastiktüte, die auf dem Stuhl neben ihm stand, und aus seinem Schmunzeln wurde ein breites selbstzufriedenes Grinsen. Niemand würde vermuten, dass sich in dieser Tüte das Objekt befand, das gerade in diesem Moment rund um den Erdball fieberhaft gesucht wurde. Und niemand würde vermuten dass er, ein zwar gut aussehender, aber nicht besonders auffälliger junger Mann, ein Kunsträuber war, nach dem die Polizei mehrerer Länder verzweifelt fahndete. Der dickste Staub hatte sich allerdings schon gelegt, denn er hatte das Gemälde bereits seit gut einer Woche in Besitz. Mit kochend heißer Ware sollte man nicht handeln. Morten wartete lieber, bis sie ein wenig abgekühlt war.
Beiläufig sah Morten auf die Uhr. Sein Auftraggeber hatte noch eine Viertelstunde Zeit bis zu ihrem Treffen, bei dem das Gemälde und eine große Menge Bargeld den Besitzer wechseln würden.
Morten streckte die langen schlanken Beine, die in engen Jeans steckten, weit unter dem Tisch aus. Die Bedienung, ein leicht gestresst wirkendes Mädchen, kam zurück und stellte die Tasse mit dem Espresso vor ihm ab. Er nickte ihr dankend zu, griff nach der Tasse und trank einen Schluck. Das tat gut und würde ihn für die nächste Zeit hoffentlich so wach halten, dass er diesen Deal über die Bühne bringen und ohne einzuschlafen nach Hause fahren konnte. Das Flugzeug seines Klienten sollte laut Anzeigetafel pünktlich ankommen.
Wieder sah er sich in dem Café um – und stockte, als er den Mann musterte, der soeben das Lokal betrat. Die blutrote Mähne hatte eine Signalwirkung auf Morten, und für eine Sekunde blieb ihm der Atem weg, als er einen Blick aus intensiv grünen Augen auffing.
Die schlanke Gestalt bewegte sich elegant und geschmeidig durch den Gang, auf der Suche nach einem freien Tisch. Jede einzelne Bewegung hatte etwas Anziehendes und Großartiges an sich, das ihm einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte und in seinem Inneren ein Kribbeln auslöste, dem er sich nicht entziehen konnte.
Dieses Kribbeln verstärkte sich, als der schöne Fremde auf seinen Tisch zukam. Morten konnte gerade noch verhindern, dass ihm der Mund aufklappte, denn diese hypnotischen Augen hatten seinen Blick eingefangen und hielten den Kontakt aufrecht, mit jedem Schritt, den der Mann sich ihm näherte.
Die Welt schien stillzustehen, die Realität verblasste, einzig der Rothaarige füllte Mortens Wahrnehmung aus. Morten war selbstbewusst genug, um sich davon nicht einschüchtern zu lassen, eher im Gegenteil. Fest erwiderte er das Starren, das in ein visuelles Verschlingen ausartete. Dies animierte den Unbekannten zu einem breiten Grinsen. Morten meinte, darin – neben der Belustigung – so etwas wie Anerkennung zu sehen. Oder bildete er sich das nur ein?
Mortens Anspannung wuchs von Sekunde zu Sekunde und er musste sich beherrschen, um sich nicht auf die Unterlippe zu beißen. Gerade, als er direkt vor ihm stand und die Spannung kaum aushaltbar war, löste der andere mit einem kehligen Lachen den Blick und ging an seinem Tisch vorbei, um sich einige Plätze weiter in einer dunkleren Nische niederzulassen.
Es kostete Morten sehr viel Anstrengung, sich nicht den Hals bei dem Versuch zu verrenken, den Mann hinter sich anzustarren. Das wäre nicht nur auffällig, sondern auch albern gewesen. Also schaute er ihm nicht hinterher, sondern heuchelte Desinteresse. Um sich ein wenig abzuregen, trank er seinen Espresso aus, der inzwischen leicht abgekühlt war. Dadurch schmeckte er zwar nicht mehr ganz so gut, der Koffeinkick hielt ihn aber wach. Er hatte in der Nacht zuvor zu lange an seiner Spielkonsole gesessen und erst bemerkt, wie spät es war, als der Morgen graute. Nervosität war für Morten ein Fremdwort, zumindest, wenn es sich um Kundentermine handelte.
Kaum hatte er die Tasse mit einem leisen Klacken wieder auf dem Tisch abgesetzt, hörte er neben sich ein gekünsteltes Räuspern, das ihn aufsehen ließ. Er musterte einen Mann im mittleren Alter vom Typ ‚reicher Geschäftsmann'. Genau das war er ja auch, soweit Morten wusste. Jedenfalls reich genug, um einen Geldbetrag in einer Höhe bei sich zu tragen, dessen Nennung bei den meisten Menschen einen Schwindelanfall ausgelöst hätte.
Morten nickte seinem Auftraggeber freundlich zu und deutete mit der Hand höflich auf den freien Stuhl an seinem Tisch.
„Haben Sie es?“, lautete die erste Frage, die sein Auftraggeber ohne eine Begrüßung an Morten stellte.
„Natürlich“, erwiderte er mit einem Nicken auf die Tüte, die nachlässig neben ihm auf dem Stuhl lag. „Haben Sie das Geld?“
Morten konnte sich nicht helfen, er kam sich gerade vor wie in einem schlechten Krimi aus den 50er Jahren. Normalerweise lieferte er seine Ware bei einem Mittelsmann des Auftraggebers oder in dessen Büro ab und erhielt sein Geld per Überweisung auf ein gesichertes Auslandskonto. Dieses Treffen hier war Oldschool und hatte etwas Skurriles an sich. Persönliche Meetings fanden normalerweise nur beim Erstkontakt mit neuen Kunden statt. Allzu oft kam das nicht vor, denn er hatte einen festen Kundenstamm, den er sich mittels Mundpropaganda über mehrere Jahre hart erarbeitet hatte. Da dieser Mann jedoch ein Stammkunde war, machte Morten für ihn eine Ausnahme.
Sein Gegenüber schob ihm eine lederne Aktentasche über den Tisch zu, die das Gefühl der Absurdität bei Morten nur verstärkte. Mit eisernem Willen verbot er sich ein dreckiges Grinsen. Er griff nach der Plastiktüte und reichte sie dem anderen, nahm dafür im Gegenzug die Aktentasche an. Er stellte sie neben sich auf dem Stuhl ab und ließ den Verschluss aufschnappen. Morten schaute kurz in das Innere, strich mit den Fingerspitzen über die gebündelten Scheine. Jetzt eines davon herauszuholen und es genauer zu überprüfen, wäre allerdings zu auffällig gewesen, also musste er sich mit dieser raschen, nicht sonderlich genauen Kontrolle zufriedengeben. Der ältere Herr, dessen Namen Morten nicht kannte, warf ebenfalls nur einen flüchtigen Blick in die Tüte, nickte dann knapp und stand anschließend auf.
„Es war angenehm, mit Ihnen Geschäfte zu machen“, sagte der Mann mit einem kleinen Lächeln und gierig blitzenden Augen, wandte sich ab und verließ das Café, bevor die Bedienung überhaupt Gelegenheit hatte, an den Tisch zu kommen und eine Bestellung aufzunehmen.
Für die kurze Zeit dieses ‚Geschäftstreffens‘ hatte Morten alles um sich herum ausgeblendet und damit den rothaarigen Mann vergessen, der hinter ihm saß.
Als er fertig war, blinzelte er über die Schulter, nur um zu bemerken, dass der schöne Mann ihn direkt mit seinen durchdringenden Augen fixierte.
Morten bemerkte, dass er ein Glas Orangensaft vor sich stehen hatte. Doch er hatte nicht viel davon getrunken, das Getränk wirkte weitgehend unangetastet.
Morten schaute nun wieder auf seine leere Espressotasse. Hatte der Typ ihn etwa die ganze Zeit beobachtet? Und, was viel wichtiger war: Hatte er etwas gesehen?
Selbst wenn, versuchte Morten sich zu beruhigen, es hätte ein vollkommen normales Geschäft sein können. Ein normaler Handel.
Sicher, saubere Geschäfte wurden bestimmt in der Öffentlichkeit getätigt, an einem neutralen Ort, spottete er über sich selbst. Und dabei wurde immer mit einem riesigen Koffer voller Bargeld bezahlt. Morten hoffte bloß, dass der Fremde nicht erspäht hatte, was sich in seinem Koffer befand. Aber nein, dazu war der Moment des geöffneten Koffers zu flüchtig gewesen, der Winkel, in dem er das Behältnis der fünf Millionen geöffnet hatte, viel zu klein. Er selbst hatte nicht überprüfen können, ob der Koffer in der Tat bis zum Boden mit Geldscheinen gefüllt war. Sein Käufer hatte sich auch darauf verlassen müssen, dass es tatsächlich das Original war.
Morten war in der Szene dafür bekannt, gute Arbeit zu leisten, und deswegen war ihm bisher nie ein Betrug untergekommen. Zumindest nicht, seit er für Leute mit Einfluss tätig war.
Er schaute sich noch einmal um und sah, wie der Mann gerade eine Nummer auf seinem Handy wählte – eine kurze Nummer – um ihn dann wieder mit einem gefährlichen Grinsen anzustarren. Der Typ hatte doch jetzt nicht die Polizei gerufen, oder? Oder gehörte er etwa selbst zu dem Verein? Morten schmunzelte über diese Eingebung. Er hatte das sichere Gefühl, dass dieser Kerl absolut nichts von einem Polizisten an sich hatte. Trotzdem war Vorsicht die Mutter des Fabergé-Eis. Deswegen wurde es Zeit, zu verschwinden.
Er schaute auf die Uhr und mimte ein Stirnrunzeln, nahm seinen Koffer und ging nach vorn zur Theke, um seinen Espresso zu bezahlen. Gerade wies Morten das Wechselgeld zurück, als er eine melodische Stimme hinter sich hörte, die die Kellnerin neugierig aufblicken ließ.
„Wollen Sie etwa schon gehen?“
Ein Blick nach hinten bestätigte den unwohlen Verdacht, dass es sich dabei um den rothaarigen Fremden handelte.
„Dabei habe ich extra eine Verabredung abgesagt, in der Hoffnung, ein paar Worte mit Ihnen wechseln zu können.“
Die Enttäuschung in der Stimme des anderen wirkte gespielt. Morten drehte sich nun herum und war erstaunt festzustellen, dass der Mann nur wenige Zentimeter größer war als er selbst. Vom Sitzen aus betrachtet hatte seine gesamte Erscheinung ihn wirken lassen, als sei er zwei Meter groß.
Und obwohl Morten immer schlagfertig und kaum um eine Antwort verlegen war, starrte er jetzt in die grünen Augen seines Gegenübers und merkte, dass ihm die Worte fehlten. Dafür hatte er das seltsame Gefühl, als würde sich die Luft um ihn herum elektrisch aufladen und seine Nervenenden zum Kribbeln bringen. Seine Finger schlossen sich fester um den Griff der Aktentasche, und diese einfache Geste ließ ihn wieder er selbst werden.
„Sie wechseln doch schon ein paar Worte mit mir“, entgegnete er freundlich, aber reserviert. Er hatte noch immer keine Ahnung, wie er den Fremden einschätzen sollte. Außer, dass er verdammt gut aussah und, wie er nun zu hören bekam, ein raues Lachen hatte, das durchaus sexy wirkte. Überrascht stellte Morten fest, dass sein Mund trocken wurde und ein Schauer wie ein Blitzschlag durch seine Lenden raste.
„Haben Sie es wirklich so eilig, dass wir nicht einen Kaffee zusammen trinken können?“, hörte er den anderen wie durch eine Watteschicht hindurch fragen und spürte, wie er bereits langsam nickte, bevor der Rothaarige ausgesprochen hatte.
„Kommen Sie, ich lade Sie ein. Wir können auch gern woanders hingehen, wenn es Ihnen hier zu ungemütlich ist“, erklärte der Mann freundlich. Als hätte er Mortens Fluchtimpuls geahnt, fügte er hinzu: „Kennen Sie sich in der Stadt aus und können mir etwas empfehlen?“
Morten glaubte zu träumen. Er war außerstande, sich den hypnotischen Augen zu entziehen. Ehe er begriff, was er tat, nickte er. Schon wieder.
„Ich kenne ein nettes kleines Café“, murmelte er wie ferngesteuert, festigte seinen Griff um den Bügel der Tasche und marschierte aus dem Restaurant, ohne darauf zu achten, ob der andere ihm nun folgte oder nicht.
Tatsächlich schritt der Mann an Mortens Seite her.
„Das ist schön. Ich bin Damian“, sagte der Fremde und stellte sich damit ungefragt vor.
Nachdem Morten ebenfalls seinen Namen genannt hatte, kam das Gespräch zum Erliegen. Der Flughafen eignete sich nun wirklich nicht für eine Unterhaltung. Zwischen etlichen Reisenden, die hektisch und mit Koffern und Taschen beladen umherliefen, bildeten sie eine richtige Ausnahme. Sie waren fast wie zwei ruhende Pole in einem schnellen Fluss der Menschheit. Die meisten wirkten nervös oder in Eile, abgesehen von einigen Geschäftsleuten, die an das Fliegen gewöhnt waren. Man sah viele lächelnde Gesichter, erschöpfte Heimkehrer, freudige Wiedervereinigungen und Menschen, die sehr ernüchtert und um etliche Scheine erleichtert den Zoll verließen.
Morten und Damian wollten ein Taxi nehmen und verließen daher die Ebene der Terminals, um nach draußen zu gelangen.
Je länger er sich in Damians Gegenwart befand, desto merkwürdiger und geheimnisvoller kam er Morten vor. Es war nicht nur das Aussehen des anderen Mannes, das eine gewisse Anziehung auf ihn ausübte. Nein, irgendwie kam es ihm vor, als stecke mehr dahinter. Eine Menge mehr. Morten war neugierig genug, um dieses ‚mehr‘ ergründen zu wollen.
Um ihn herum schienen die Menschen den außergewöhnlichen Mann in seiner Begleitung gar nicht wahrzunehmen. Jedenfalls konnte er niemanden entdecken, der Damians unnatürlich roten Haaren auch nur einen flüchtigen Blick zuwarf. Die Passanten wichen zu beiläufig aus, als wüssten sie nicht, was sie taten, sondern als handelten sie instinktiv. Fast so, als wäre er gar nicht da.
Fragend betrachtete Morten seinen Begleiter. Verdammt, was zum Geier stimmte da nicht? War er einfach nur übermüdet und bekam nicht alles mit, was um ihn herum geschah?
Damian grinste ihn lediglich an und zeigte keinerlei Anzeichen dafür, dass irgendetwas eigenartig war.
Als sie am Taxistand angekommen waren, übernahm Morten erneut die Führung, stieg ein und nannte dem Taxifahrer die Adresse eines Cafés, in dem er sich öfter aufhielt. Die Fahrt über verbrachten sie schweigend.
Die Stille war Morten unangenehm, andererseits war er auch froh, dass Damian nicht nach dem Inhalt seines Koffers fragte. Morten blieb gern so lange bei der Wahrheit, wie es möglich war. So ließen sich die Lügen leichter verstecken.
Das Taxi entließ sie an der Mündung einer Fußgängerzone. Morten bezahlte und marschierte vor Damian her. Mehr oder weniger jedenfalls, denn der andere war nur einen halben Schritt hinter ihm. Er war erleichtert, als das kleine Café in Sicht kam, zu dem er Damian bringen wollte, langsam wurde das andauernde Schweigen unerträglich. Das Café lag ganz in der Nähe seiner Wohnung und war ein richtiger Insidertipp. Um diese Uhrzeit war es fast leer, was Morten bevorzugte, weil er sich in größeren Menschenmengen schnell unwohl fühlte und sie vermied, wo er nur konnte.
Morten stieß die Glastür auf, ein kleines Glöckchen bimmelte hell, die Verkäuferin hinter der Bäckertheke hob den Kopf und lächelte ihre Gäste freundlich an.
Erst als sie in gemütlichen, altmodischen Korbstühlen saßen, die bei jeder Bewegung leicht knarzten, und auf dem kleinen Tisch mit der Marmorplatte vor ihnen dampfender Espresso stand, musterte Morten Damian erneut und kam einmal mehr nicht umhin, ihn verdammt anziehend zu finden. Eigentlich mehr als das. Der Typ war heiß!
„Wohnen Sie eigentlich hier oder sind Sie nur zu Besuch?“, fragte Damian und brach damit endlich das Schweigen. Dabei klang er weit weniger neugierig, als der Inhalt dieser Frage vermuten ließ. Vielmehr schien sein Begleiter sich zu langweilen und wollte sich deshalb mit ihm unterhalten.
„Ich wohne hier“, erklärte er, nachdem er seine Espressotasse nach einem genießenden Schluck wieder auf die winzige Untertasse gestellt hatte. Er versank für einen kleinen Moment in diesen Augen, die ihn so faszinierten.
„Hier im Café?“, fragte Damian scherzend nach.
Während er so breit grinste, konnte Morten einen genaueren Blick auf das Gesicht seines Gegenübers werfen. Hinter den schmalen Lippen entblößte sich eine makellose weiße Zahnreihe. Interessant war dabei, dass seine Eckzähne etwas länger zu sein schienen, als die Norm war. Solche Menschen hatte Morten noch nicht oft gesehen. Erschreckenderweise war einer davon der Chirurg gewesen, der ihm den Blinddarm entfernt hatte.
Im Gegensatz zu den Passanten schien die Bedienung Damian sehr wohl wahrzunehmen und betrachtete ihn mit großen Augen und einem besonders freundlichen Lächeln. Neben dem auffälligen Mann ging Mortens Erscheinung geradezu unter, so war zumindest sein Eindruck. Seine dunkelblonden, schulterlangen Locken wirkten im Gegensatz zu Damians schillernder Erscheinung direkt langweilig. Trotzdem nahm Damian keine Sekunde die Augen von ihm, auch wenn die Kellnerin ihn nicht unbedingt unauffällig anflirtete.
„Was?“ Morten blinzelte verwirrt. Er war so in Gedanken gewesen, dass er gar nicht mitbekommen hatte, was Damian gesagt hatte. Geduldig und mit einem schiefen Schmunzeln wiederholte Damian seine Frage, was Morten auflachen ließ.
„Nein, nicht hier im Café. Ein paar Straßen weiter, in einer kleinen Wohnung. Wie man das üblicherweise macht, wenn man irgendwo wohnt.“
Morten stützte den Ellbogen auf die Tischplatte und legte sein Kinn in die Handfläche, sein Blick hing wie festgeklebt am Gesicht seines Gegenübers. Nur beiläufig bekam er mit, dass die Bedienung immer wieder um sie herumschwirrte.
Damian hob bereits seine leere Tasse in ihre Richtung, damit sie sie auffüllen konnte. Das irritierte Morten, denn sein Espresso war noch viel zu heiß, als dass er nur daran denken konnte, ihn zu trinken. Hatte Damian etwa eine höhere Hitzeresistenz?
„Wohnen Sie auch hier in der Stadt?“, erkundigte sich Morten. Sie befanden sich in einer Großstadt, die Chancen standen also nicht allzu schlecht, dass Damian ebenfalls hier lebte.
Hm, überlegte Morten. Wieso war das überhaupt interessant? Er würde den Kerl nicht wiedersehen. Das war viel zu ... gefährlich. In mehr als nur einer Hinsicht.
„Ja, ich lebe seit Kurzem in dieser Stadt. Nicht ganz freiwillig zwar, aber ... nun ja.“
Für einen Moment schaute Damian die junge Kellnerin an, doch dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder Morten. „Nicht freiwillig?“, hakte Morten nach. Auch wenn er es lieber sein lassen sollte, der Mann interessierte ihn.
„Berufliche Gründe“, erklärte Damian salopp.
Offensichtlich hatte er keine Lust, das Thema zu vertiefen.
„Was machen Sie eigentlich beruflich?“, fragte er Morten mit einer Handbewegung zum Aktenkoffer. „War das vorhin ein ... Geschäftstreffen?“ So, wie Damian die Stimme senkte und ihn angrinste, war mehr als klar, dass er zumindest eine grobe Ahnung davon hatte, was da vorhin am Flughafen über den Tisch gegangen war.
Einen Augenblick stockte Morten und hielt unbewusst die Luft an. Wirklich unvorbereitet traf ihn die Frage jetzt nicht, doch er hatte ehrlich gehofft, ihr zu entkommen. Fehlanzeige. So zuckte er nur vage die Schultern und hob einen Mundwinkel zu einem schiefen Lausbubengrinsen.
„Ich bin Spezialist für Wiederbeschaffung“, umschrieb er seine Tätigkeit geschickt. „Und ja, das war ein Geschäftstreffen.“ Sein Ton machte deutlich, dass er darüber nicht reden wollte, egal wie viel Damian ahnte oder nicht ahnte. Dafür drehte er aber den Spieß um, nachdem sie gerade beim Thema waren. Dass Damian kein Bulle und ihm daher nicht auf den Fersen war, war ihm aus einem unerklärlichen Grund vollkommen klar. Bisher hatte er sich noch nie bei so etwas getäuscht, und ihm waren bei Gott schon so einige Undercoverpolizisten untergekommen.
„Was machen Sie beruflich?“, stellte er die Gegenfrage, obwohl es ihn eigentlich nicht wirklich interessierte. Das hier war schließlich nur eine zufällige Bekanntschaft und nicht der Anfang einer Beziehung. Auch wenn Morten den unverschämt gut aussehenden Rotschopf sicher nicht von der Bettkante schubsen würde.
Damian lachte leise und stürzte seinen zweiten Espresso in einem Zug hinunter.
„Ich bin im Außendienst tätig. Und ich übernehme unter anderem Teile des Controllings.“
Wieder schlug Mortens Instinkt an und sagte ihm, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Vielleicht ein Teil davon. Auf jeden Fall schien mehr dahinter zu stecken.
„Lassen Sie uns nicht über Berufliches sprechen. Heute ist mein freier Tag und ich habe wenig Lust, ihn mit solchen Themen zu vergeuden. Mit meiner Freizeit weiß ich wirklich Besseres anzufangen.“
„Was denn zum Beispiel?“, hörte Morten sich fragen. Die Worte waren von allein über seine Lippen gekommen, wie automatisch. Damian hatte wahrhaftig eine paralysierende Wirkung auf ihn.
„Zum Beispiel mit einem netten Mann einen Kaffee zu trinken“, entgegnete Damian. Sein Blick ging tief und ließ erahnen, dass er mehr von seinem freien Tag wollte als das.
Kurz schoss Morten die Frage durch den Kopf, woher Damian eigentlich die Gewissheit nahm, dass er bei ihm landen konnte. Hatte er „homosexuell“ quer über die Stirn tätowiert und wusste nichts davon?
Damians Ausdruck verscheuchte diesen winzigen Anflug von Rationalität nur zu schnell wieder und Morten ging wie ferngesteuert in den Flirtmodus über. Er lächelte Damian leicht an und legte dabei den Kopf ein wenig schief, strich sich die blonden Locken aus der Stirn und lehnte sich seinem Gesprächspartner entgegen. Bei der ganzen Aktion nahm er keine Sekunde lang die Augen von dem unglaublich hübschen Gesicht, das von den Haaren eingerahmt wurde wie ein kostbares Gemälde von einem Platinrahmen. Stilvoll, außergewöhnlich, edel und doch in gewisser Weise verwegen.
„Nun, das machst du ja gerade. Dann hat sich dein freier Tag doch schon gelohnt“, tat er mit rauer Stimme kund, wobei plötzlich die Hoffnung in ihm aufstieg, dass es nicht beim Kaffeetrinken bleiben würde.
Möglicherweise war das sogar der Fall, denn Damian lehnte sich ebenfalls vor, stützte seinen Arm auf den Tisch und bettete das Kinn in seiner Handfläche. Mit einem Finger fuhr er sich über die Lippen, eine eindeutige und anzügliche Reaktion auf Mortens offensichtliche Flirtversuche. Der Wechsel vom distanzierten ‚Sie‘ zum vertraulichen ‚Du‘ war unbemerkt und fließend vonstattengegangen.
„Es ist zumindest kein schlechter Anfang“, sagte Damian und ließ diese Aussage im Raum stehen. Mehr musste er nicht sagen, Morten verstand ihn auch so. Erneut fuhr er sich durch seine Locken. Kaum zu glauben, dieser Mann schaffte es tatsächlich, ihn nervös werden zu lassen. Dieses Gefühl steigerte sich, als Damian schließlich eine weitere Frage stellte.
„Hast du heute schon was vor?“
„Bis jetzt nicht“, lautete Mortens Antwort, die von einem lasziven Lächeln begleitet wurde. „Aber wer weiß, eventuell fällt mir mittendrin etwas Interessantes ein. Oder vielleicht bekomme ich ja ein Angebot, das ich nicht ausschlagen kann.“
Okay, das war frech. Aber hey, er war ein Meisterdieb, und das wurde man nicht ohne eine gewisse Portion Frechheit.
Nun lag der Ball auf jeden Fall auf Damians Spielfeld und Morten war mehr als nur gespannt, ob und was Damian daraus machte. Ein nervöses Kribbeln nistete sich in seinem Bauch ein und breitete sich von dort wie ein hartnäckiger Virus in seinem Körper aus. Besonders in seinen Lenden, die erwartungsvoll zogen. Morten stutzte. Das war sonst nicht seine Art, gleich so auf einen Mann zu reagieren. Egal, wie hübsch er auch sein mochte. Normalerweise war Morten eher kühl und überlegt und ließ sich kaum zu solchen spontanen Aktionen hinreißen.
„Soso“, sagte Damian weiterhin grinsend und beschloss anscheinend, ein wenig länger in Ballbesitz zu bleiben. Zu schnell nach vorn zu spielen konnte schließlich dazu führen, dass man das Tor verfehlte. So zumindest Mortens interner Spielbericht. Trotzdem wünschte er sich, dass Damian den Ball endlich nach vorn dribbeln oder ihm deutlich machen würde, dass sie nicht in der gleichen Liga spielten.
„Vielleicht habe ich tatsächlich ein Angebot für dich. Zumindest, wenn du wirklich dafür geeignet bist. Dazu komme ich später. Jetzt kannst du dir schon einmal überlegen, ob du erst mit mir schlafen willst oder ob ich erst deine ganze Welt und alles, was du bisher geglaubt hast, auf den Kopf stellen soll.“
Das war eine sehr interessante Aussage, fand Morten. Wenigstens war sein Begleiter nicht so vermessen, ihm zu sagen, dass er seine Welt auf den Kopf stellen würde, INDEM er mit ihm schlief. Trotzdem hatte es das Angebot in sich. Morten rieselte ein erregender Schauer über den Rücken und das Ziehen in seinen Lenden verstärkte sich auf eine drängende Weise.
„Ich würde sagen, ich lasse mich erst einmal überraschen, ob du im Bett gut genug bist, um irgendwas auf den Kopf zu stellen, bevor ich dir meine gesamte Welt überlasse.“ Ein freches Grinsen schloss diese Aufforderung ab, das von einer heißen Gier in seinem Innern begleitet wurde.
„Gut, dann sind wir uns ja einig. Ich muss auch erst sichergehen, dass du in meiner Welt bestehen könntest, ehe ich sie dir vollständig offenbare“, war Damians schelmische Antwort, mit der Morten wenig anfangen konnte.
Entweder war der Kerl ein Scherzkeks oder ein Spinner. Doch beides waren keine Ausschlusskategorien für ihn. Dazu war Damian einfach zu heiß.
„Also, wenn du hier in der Nähe wohnst, könnten wir zu dir gehen, sofern dir das recht ist. Ansonsten spendiere ich uns ein Hotel.“
Himmel, da kam Damian direkt zum Punkt und noch schneller zur Sache. Einen kurzen Moment zögerte Morten seine Antwort heraus und überlegte dabei fieberhaft, ob er das, auf was er sich da einzulassen schien, vor sich selbst vertreten konnte.
Er wusste nichts über Damian. Außer dass er irrational scharf auf ihn war. Andererseits war er ja nicht total hilflos, sollte sich sein Begleiter als gefährlich erweisen. Gefährlich für seine Gesundheit oder sein Leben, korrigierte Morten sich amüsiert. Für alles andere war er nämlich eindeutig gefährlich – und dagegen hatte Morten rein gar nichts einzuwenden.
„Wir können zu mir gehen“, entschied er dann und wunderte sich, warum in seinem Magen ein wilder Ball heißer Vorfreude platzte.
„Schön“, sagte Damian, der mit einem Mal so zufrieden lächelte, als hätte er den Deal seines Lebens abgeschlossen. Jetzt wirkte er tatsächlich ein wenig kühler, fast schon abgeklärt, was Morten nicht so wirklich in den Kram passte. Dennoch konnte er es nicht erwarten, endlich zu zahlen.
Nun, da alles gesagt war, schwieg Damian erneut.
Erst als Morten die Tür zu seinem Loft aufschloss, gab Damian einen anerkennenden Pfiff von sich.
Was hatte er in dieser vorzüglichen Wohngegend erwartet? Eine Studentenbude?
„Nicht schlecht“, ließ Damian dann auch verlauten und Morten konnte sich ein zufriedenes Grinsen endgültig nicht mehr verkneifen.
Er führte seinen Gast in das stilvoll eingerichtete, weitläufige Wohnzimmer. Viel weiter schaffte er es aber nicht. Irgendeine Sicherung brannte bei ihm durch und er wirbelte herum, warf seine Arme um Damians Hals und küsste ihn mit einem Hunger, den er in dieser Art von sich nicht kannte.
Morten war schon ein wenig angefressen, als Damian in den Kuss kicherte, so als ob er das erwartet hätte. Er gab dem Geldkoffer, den er eilig abgestellt hatte, einen ärgerlichen Tritt, sodass er genau in der Nische zwischen einer kleinen Anrichte und einer schweren Bodenvase Platz fand, ohne dafür seine Lippen von Damians zu nehmen.
Mortens Wut wurde besänftigt, als sich Damians starke Arme um seine Taille schlangen und sein Kuss genauso leidenschaftlich erwidert wurde.
Unsanft wurde Morten rückwärts zum Sofa gelotst, ein weißes, halbrundes Designermöbel mit einer breiten Ottomane. „Praktisches Ding“, raunte Damian und schubste Morten lieblos auf die Sitzfläche. Damian leckte sich über die Lippen und für einen Moment bildete sich Morten ein, dass die grünen Iriden von sich aus leuchteten.
Morten blinzelte. Nein, da hatte er sich wohl geirrt. Damians Augen waren einfach nur von einem unglaublich intensiven Grün und sie schienen bis auf den Grund seiner Seele schauen zu können. Er fühlte sich paralysiert unter diesem stechenden Blick.
Er griff nach Damians Hand und zog ihn mit einem Ruck zu sich auf die Couch, keuchte leise auf, als er seine Hände unter Damians Pullover schob und die warme, beinahe schon heiße Haut unter seinen Fingerkuppen zu spüren bekam.
Und wieder lachte Damian ihn anscheinend aus, während er seine Lippen an seinen Hals legte und sanft hinein biss.
Mit einem Bein kniete er zwischen Mortens Schenkeln, mit dem anderen neben ihm. Damian drückte ihn mit den Fingerspitzen nach unten, aber nur, um sofort über ihm zu sein und seinen Mund in einem weiteren Kuss zu verschließen.
Gierig und unbeherrscht erwiderte Morten den neuen Kuss, während er unter Damian vor Erregung zu zittern begann. Himmel, was war das nur? Wie konnte ein einzelner Mann eine solche Wirkung auf ihn haben? So schnell? Sie kannten sich nicht einmal zwei Stunden ... Trotzdem glaubte Morten, dass er auf der Stelle jämmerlich eingehen würde, wenn er Damian nicht sofort zu spüren bekam. Ein leises, sehnsüchtiges Wimmern presste sich aus seiner Kehle und wurde von Damians Mund gedämpft. Er fühlte Damians Knie zwischen seinen Beinen, nahe an seinem Schritt. Nahe, aber noch lange nicht nahe genug.
Wie eine Schlange wand er sich unter Damian und rutschte das kleine Stück hinunter, das gefehlt hatte, um dessen Bein an einer sehr empfindlichen Stelle zu haben.
Lachend löste Damian den Kontakt zwischen ihnen.
„Ungeduldig?“, fragte er ihn.
Morten spürte eine Hand auf sich, die sich auf einem klaren Kurs nach unten befand. Das heizte Morten nur noch weiter an und es ärgerte ihn, dass Damian sich im Gegensatz zu ihm so gelassen gab. Es wurde Zeit, zum Gegenangriff überzugehen!
Dabei stellte er fest, dass Damian gar nicht so cool war, wie er tat. Im Gegenteil, er war verdammt heiß. Auf mehrere Arten.