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Streaming auf der Couch: Kinofilme und Blockbuster bequem daheim anschauen, noch bevor sie in die Kinos kamen. Das machte die Website kino.to möglich. Nirgendwo anders klickten mehr User auf Links, um sich Filme herunterzuladen. Selbst Kim Dotcom mit seiner Videoplattform Megavideo stand anfänglich nur im Schatten dieses Streaming Portals. Damit zählte kino.to zu den TOP 25 der beliebtesten Websites im deutschsprachigen Raum, noch vor RTL. Gründer Dirk Böttcher füllte eine längst überfällige Lücke und pinkelte zugleich dem "Selbstbedienungsladen" der Anwalt-Mafia und der milliardenschweren Filmindustrie Hollywoods an die Beine. Denn diese konnten durch gesetzeswidrige Abmahnungen und das jahrelange Hinhalten der Kinobesucher und anschließendem Verleihen von Filmen auf DVD utopische Einnahmen verzeichnen. Ist Streaming illegal? Das rief auch die deutsche Gesetzgebung auf den Plan, die nun mit unliebsamen Wahrheiten konfrontiert wurde: Gesetzeslücken und Grauzonen, wohin das Auge reichte. Unter Vortäuschung falscher Tatsachen wurde Dirk B. verhaftet. Was folgte, waren Showprozesse gegen Böttcher, eine völlig übertriebene U-Haft und schmierige Deals seitens der Staatsanwaltschaft, die bis heute nicht eingehalten werden. Es wurde mit allen Mitteln versucht, die Unzulänglichkeiten zu vertuschen und das Gesicht des deutschen Rechtsstaates aufrecht zu halten. Anwälte, die sich heute mit dem Fall beschäftigen, teilen einstimmig diese Meinung: Wäre es zum Prozess gekommen, hätte man Dirk B. sofort freisprechen müssen. Erfahre alles, was sich wirklich hinter den Kulissen abspielte, wie kino.to entstand, die Filmindustrie revolutionierte und das deutsche Gesetz vor neue Herausforderungen stellte.
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Seitenzahl: 278
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Vorwort vom Autor
1 Der Überfall
2 Wie alles begann
3 Verknackt für die erste Raubkopie
4 Content-Industrie ist zum Kotzen
5 Sicherheit aus der Südsee
6 Das Team von kino.to
7 Der Boom
8 Die Rolle von Kim Dotcom bei kino.to
9 Beschiss durch Rastin
10 Dubai Sponsor
11 RTL Now
12 Die Russen
13 Bestechung kostet Geld
14 Der Hacker
15 Kämpfe der Streamingportale
16 Ishikawa übernimmt
17 Der Knockout durch das Ehepaar
18 Der Teil des Deals
19 Die Showprozesse
20 Verrat durch den besten Freund
21 Schulterzucken aus Karlsruhe
Schlussworte
Falls jemand einmal Probleme in Deutschland bekommt, sollte er sich genau überlegen, ob er wirklich einen Deal mit dem deutschen Staat eingeht.
Unter Umständen kann es besser sein, einen Deal mit der Mafia zu machen. Dort wird dieser wenigstens eingehalten.
Dirk Böttcher – Gründer von kino.to
Die Namen der beteiligten Personen im Buch wurden frei geändert.
Eventuelle Übereinstimmungen mit anderen lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und unbeabsichtigt.
Leipzig, 14. Juni 2011
Etwas rummst.
Ich reiße die Augen auf und schaue in mehrere MPi-Läufe. What the fuck, denke ich und merke, wie mir vor Angst das Blut in den Adern gefriert. Das muss der Osteuropäer sein, ich hatte es geahnt. Nun sitze ich hier nackt im Wasserbett, während er und seine Brüder mein Geschäft übernehmen wollen. Wie auch immer sie das jetzt anstellen werden.
Mein Geschäft ist Werbung im Internet. Das zumindest erzähle ich Freunden und Familie, wenn ich erkläre, womit ich so viel Geld verdiene. Dass ich der Kopf der Plattform kino.to bin, wissen zu diesem Zeitpunkt die wenigsten. Meiner Ex-Frau ist es egal, solange sie von meinem Geld profitiert, meine Kinder sind zu klein, für die macht Papa schlicht Arbeit und Susi habe ich weder eingeweiht, als sie unser Kindermädchen war, noch heute, nachdem sie meine Freundin geworden ist. Sie soll die Zeit mit mir genießen, so wie ich mich darüber freue, dass abends jemand an meiner Seite ist, mit dem ich über ganz andere Dinge sprechen kann. Volker, meinen besten Kumpel, habe ich zum kino.to-Grafiker befördert, damit auch endlich mal Schluss mit Ebbe auf seinem Konto ist und das Gejammer aufhört.
Dass ich sonst fast niemanden einweihe, dass ich nicht will, dass irgendjemand erfährt, was ich mache, ist der Filmindustrie, den Neidern, den osteuropäischen Konkurrenten und deren Kontakten zur Unterwelt geschuldet. Es liegt nicht daran, dass etwas Illegales an meinen Geschäften auffliegen könnte, denn es gibt meiner Erkenntnis nach nichts Verbotenes an meinen Projekten. Kino.to ist, so bin ich überzeugt, nicht illegal, es ist nur vielen ein Dorn im Auge, weil viele Leute durch mich kostenlos Zugang zu Hunderttausenden von Filmen kriegen, die gerade erst in den Lichtspielhäusern anlaufen oder noch nicht einmal das. Kino.to ist nichts anderes als ein Branchenbuch, die Gelben Seiten für Film-Streaming. Für illegales Hochladen der Filme sind wir nicht verantwortlich. Nutzer posten die Links zu Filmen, zu irgendwelchen Servern, die irgendwo auf der Welt stehen. Wir sind damit lediglich das umfassendste Link-Verzeichnis von Filmen im deutschsprachigen Raum, aber haben auf keinem Server eine eigene Filmdatei liegen. So wie eBay als Handelsriese noch nie ein einziges Produkt selbst verkauft hat, habe ich zu keiner Zeit einen einzigen Film irgendwo hoch- oder runtergeladen. Oder nehmen wir Facebook: Der größte Content-Anbieter der Welt hat noch nie einen einzigen Content selbst erzeugt.
Deshalb fühle ich mich dahingehend sicher: Kino.to selbst hat keine Urheberrechtsverletzung begangen, lediglich einer Milliarden-Industrie ans Bein gepinkelt – wenngleich mir natürlich bewusst ist, dass ich in einem Netzwerk zugange bin, dass tatsächlich Dinge tut, die nicht sauber sind. Wir sind juristisch jedoch unbedenklich, war ich mir sicher! Ich kann es nicht ändern, dass die Onlinewelt anders funktioniert als die analoge. Ich habe nur eine Lücke gefüllt. Hollywood hätte das auch machen können. Haben sie aber nicht. Warum? Weil erst Filmportale wie das unsere den Bedarf deutlich gemacht haben. Es beweist, dass die Menschen Filme sehen wollen, wann und wo sie möchten, und bestenfalls für (fast) umme. Mit Netflix, Maxdome und Co. hat Hollywood letztlich nachgelegt.
Dass mir diese Plattform obendrein jede Menge Geld bringt, war so nie geplant. Wenn ein Klick auf irgendeine eingebundene Google Anzeige einen halben Cent einbringt, klingt das nicht viel. Wenn man aber plötzlich vier Millionen User täglich auf der Seite hat, die alle wie wild überall draufklicken, schwillt das Konto unglaublich schnell an. Natürlich ruft das auch die Neider, Konkurrenten und Hollywood auf den Plan. Plötzlich wollen alle etwas von den Millionen abhaben und schrecken nicht davor zurück, mir diesen Osteuropäer auf den Hals zu hetzen. Da bin ich mir sicher.
Tja, und mit so viel Kohle, quasi über Nacht, ist auch nachvollziehbar, dass sich ein einfacher Typ wie ich nicht irgendeine schäbige Bude anmietet. Nein. Zum Wohnen habe ich die fette Villa auf Mallorca, und für meine Wochenenden in Deutschland muss es natürlich das geilste Penthouse sein, das Leipzig zu bieten hat. Blick auf Hauptbahnhof und Innenstadt. Ganz oben, über dem Hotel Royal, mit direktem Zugang zum Aufzug, mit Terrasse, weißen Ledersofas, lichtdurchflutet und klimatisiert. Wie so ein Showroom von Rolf Benz eben, und die Jahresmiete wird bar und im Voraus bezahlt. Unten in der Tiefgarage steht mein roter 160.000 Euro Audi R8.
Gestern, wie immer um die Mittagszeit, sitze ich in der Goldenen Kugel. Angeblich chinesisches Essen. Oder japanisch oder was auch immer. Asiatisch eben. Für einen Ossi wie mich auf jeden Fall exotisch genug. Vor allem aber gehe ich hier hin, weil es unten im Haus ist. Ich muss nur Aufzug fahren, um Mittagessen zu kriegen. Immer wieder gern frage ich die Bedienung:
»Sag mal, bist du eine echte Chinesin?«,
»Nei, imme noch Vietnam«,
sagt sie mit ihrem niedlichen Akzent.
Sie lacht und hält sich dabei die kleine Hand vor den kleinen Mund.
»Natürlich«, sage ich.
Ein Typ, drei Tische weiter, schaut zu mir rüber. Er hat lockiges Haar und ein spitzes Gesicht wie ein Igel.
»Wie imme?«, fragt sie mich.
»Na klar.«
Sie weiß, was ich will und schreibt es sich doch jedes Mal auf einen Zettel. Dann geht sie hinter den Tresen und ruft irgendwas kompliziert Klingendes in Richtung Küche. Sofort hört man die Töpfe klappern. Es ist nie viel los in der Goldenen Kugel, die Köche scheinen nur auf mich zu warten. Das Igelgesicht trinkt auch bloß einen Lycheesaft. Was sitzt der denn im China-Restaurant und kippt sich Saft rein? Wenn du Durst hast, kaufste dir was zu trinken. Kommt doch kein normaler Mensch auf die Idee, auf ’nen Lycheesaft in die »Goldene Kugel« zu gehen. Der Typ ist mir nicht koscher. Ich weiß nicht, was es ist, aber seine Anwesenheit macht mich nervös. Hab ich den Kerl nicht schon mal irgendwo gesehen?
Keine Ahnung, aber ich habe ein ungutes Gefühl. Und weil ich beim besten Willen keine Lust auf Paranoia habe, brauche ich jetzt Ablenkung. Ich esse fix zu Ende, zahle die Zeche und nehme den Fahrstuhl nach oben in meine Hütte, um ein paar Stunden zu zocken.
Ich starte Call of Duty und vergesse alles andere um mich herum. Meinen Zockerfreunden geht es genauso. Wir sind diese Spinner mit Spielsucht. In der echten Welt hat sich keiner von uns je gesehen. Aber das Laster verbindet, und auch, dass wir alle ähnlich hässliche Headsets aufhaben, wenn wir Strategien für unsere Landung in der Normandie besprechen, die Maschinengewehre laden und in den Dünen Deckung suchen.
Deckung vor den sechs MPi-Läufen wäre jetzt wünschenswert. Ich sitze nackt im Bett.
»Die Arme oben lassen«, brüllt einer der Behelmten.
Ich weiß gar nicht, wann ich die hochgerissen habe. Aber er hat recht, sie werden langsam schwer und sacken ab. Ich gehorche. Und während ich die Arme also wieder durchstrecke, fällt mir auf, dass der Typ gar keinen osteuropäischen Akzent hat. Das ist reinstes Sächsisch. Ich lasse die Arme wieder einen Zentimeter runter.
»Oben lassen, sage ich!«, brüllt dieser Typ zum zweiten Mal.
Kein Osteuropäer. Kein Pole, kein Weißrusse, kein Ukrainer. Zumindest dieser eine nicht. Die anderen schweigen unter ihren schwarzen Helmen. Ja, die haben alle die gleichen schwarzen Helme auf. Die tragen sogar identische Uniformen. Die haben Steffens Uniform an. SEK-Steffen, der Freund von Susis bester Freundin Janine. Gestern erst hatte ich ihn zum ersten Mal in seiner Einsatztracht gesehen.
Während ich mit meinen Zockerfreunden in den Dünen der Normandie liege und versuche, die Züge des Feindes zu verstehen, klingelt etwas. Ich ignoriere es erst, dann klingelt es wieder. Beim dritten Mal setze ich das Headset ab. Es ist meine Türklingel. Dass die jemand drückt, passiert so gut wie nie.
»Ja, bitte?«
»Steffen hier, kommste ma runter?«, fragt Steffen.
»Warum kommste nicht hoch?«, will ich wissen.
»Geht nicht, bin hier kurz vorm Einsatz.«
Keine Ahnung, warum er mich jetzt rausklingelt. Aber okay: Es ist schließlich der Freund von Susis Janine, und irgendwie sind wir inzwischen auch ganz gute Kumpels geworden. Meistens erzählt er mir, was mit Janine nicht läuft, was sie wann wie gesagt hat, und ich muss ihm dann erklären, was es bedeuten könnte. Aber eigentlich weiß er das alles selber.
»Gib mir zwei Minuten«, sage ich, knöpfe mein Hemd zu, greife nach Kippen und Feuerzeug und fahre runter.
Ich erkenne ihn erst gar nicht.
»Alter, wie siehst du denn aus?«, frage ich.
»Dienstkleidung halt«, sagt Steffen und klopft mit der linken Hand auf den schwarzen Helm, den er unter dem rechten Arm trägt. Vor seiner Brust hängt eine Maschinenpistole, geladen und gesichert. Auf der anderen Straßenseite warten seine Kollegen im VW-Bus, auch die bis Oberkante-Unterlippe bewaffnet und vermummt.
»Was habt ihr denn vor?«
»Ach, nur so ’ne Möchtegern-Drogenbande besuchen«, sagt Steffen.
»Alles klar, sieht beeindruckend aus«, sage ich.
»Sinn und Zweck«, meint Steffen.
Dann sagt er erst mal nichts, und ich mache mir eine Kippe an.
»Brauchst du noch was, wegen dem Urheberrechtsscheiß?«, frage ich ihn. Er hatte da irgendwann irgendwo irgendwas im Netz gezogen und eine Abmahnung gekriegt.
»Nee«, sagt er, »aber ein Bierchen heute Abend ist doch mal wieder angebracht.«
»Du«, sage ich, »wird schwierig. Muss noch bisschen was Geschäftliches über die Bühne bringen.«
»Ach so, geht in Ordnung.«
»Alles klar«, sage ich, »dann mal Hals und Beinbruch.«
Ich haue ihm auf seine gepolsterte Schulter.
»Ach, hör ma’, Dirk«, sagt er.
»Ja?«
»Wann machst du denn eigentlich wieder nach Malle?«
Ich werfe die Kippe weg und wundere mich, warum er das wissen will. »Morgen Mittag«, sage ich, »warum?«
»Ach, nur so«, sagt Steffen und winkt ab.
»Ah, okay!?« sage ich.
»Dann mach’s gut«, sagt Steffen und geht langsam in seiner schweren Uniform zu den Kollegen über die Straße zurück. Etwas irritiert fahre ich wieder hoch. Komische Aktion.
Vom Wohnzimmerfenster aus kann ich Steffen und seine Kollegen gut da unten sehen. Sie stehen rum und reden kaum miteinander. Nach zehn Minuten steigen sie in ihren Bus und fahren los.
Ich gehe zurück an den Rechner, setze das Headset wieder auf und stelle fest, dass meine Jungs die Dünen längst verlassen haben. Ich bleibe sicherheitshalber erst mal in Deckung.
Jetzt stehen also Steffens SEK-Kollegen ausgerechnet ein paar Stunden vor meinem Abflug nach Mallorca hier in meinem Schlafzimmer. Hat Steffen deswegen so komisch gefragt? Steckt am Ende sogar sein Kopf in einem der Helme? Das kann nicht sein. Und wenn doch? Fuck, ich kann ja jetzt schlecht fragen, ob er auch gerade auf mich zielt. So ein Arschloch. Nur der Gedanke, dass hier das SEK vor mir steht und nicht der Osteuropäer, beruhigt mich ein bisschen. Das SEK schießt auf keinen, der nicht auf ’s SEK schießt.
Ich höre Stimmen aus meinem Wohnzimmer und versuche irgendetwas zu verstehen. Es ist auch mindestens eine Frauenstimme dabei, aber die klingt nicht nach Susi. Die muss also schon vorher los sein. Es ist gut, dass sie das hier nicht mitbekommt. Der Freund nackt auf dem Wasserbett, sechs SEK-Typen an der Bettkante und vermutlich große Aufregung im Wohnzimmer. Ich will mir gar nicht vorstellen, dass die auch früh um sechs oder gestern Abend hätten einreiten können, als Susi hier war.
Sie kommt nach Feierabend immer zu mir. Meistens schläft sie auch in meiner Wohnung. Wenn ich auf Mallorca bin, lernt sie hier mit Freundinnen von der Ausbildung und macht sich einen schönen Abend. Wenn ich zu Hause bin, machen wir uns den immer zu zweit. Gemütlich essen gehen, dann auf dem Sofa einen Film gucken, Susi vom Tag erzählen lassen und sie gegen 10 Uhr abends ins Bett begleiten. Sie muss früh um sieben raus. Und wenn ich sie nicht ins Bett bringe, pennt sie mir auf dem Sofa weg, und das mag sie nicht. Gegen Mitternacht schleiche ich mich aus dem Schlafzimmer, denn dann ist kino.to Zeit. Unter der Woche nachts sind nicht so viele User auf den Servern. Der beste Moment für Wartungsarbeiten an der Website. Ich wähle mich mit meinem iMac ins offene Hotel Royal WLAN ein, um keinen Netzzugang zu nutzen, der mit meinem Anschluss in direkter Verbindung steht. Zusätzlich verwende ich eine VPN-Software, um hundertprozentig sicherzustellen, dass mich niemand hacken kann. Ich checke das Backend, telefoniere mit den kino.to-Kollegen über abhörsichere Leitungen und lobe Volker immer wieder für die Titelgrafik aus dem Avatar-Film, die er vor Jahren für die kino. to-Startseite entworfen hat. Viel mehr hat er seitdem für sein Geld im Monat zwar nicht gemacht, aber das juckt mich nicht, er ist mein bester Freund. Die anderen schmunzeln jedes Mal bei dem Thema, und dann sprechen wir wieder über Servereinstellungen und diskutieren über die 10.000 Euro, die die Serverbetreiber in Russland im Monat on top bekommen, damit sie Anfragen zur Sperrung von kino.to aus Hollywood, von deutschen Behörden oder sonst woher einfach ignorieren.
Ab und zu ändern wir auch die Passwörter. Ein längerer Prozess, denn der Zugang zu Servern, Konten und Dateiordnern ist besser geschützt als mein Onlinebanking. 512-Bit-Verschlüsselung statt der 128-Bit-Standard-Sicherheit. 36 Stellen haben die Passwörter, und es würde zehn Jahre oder mehr dauern, die zu knacken. Das schafft kein Computer. Die Passwörter entwickeln wir aus Assoziationsbrücken, auf die kein anderer Mensch kommen kann. Selbst ich brauche ein paar Tage, um sie mir merken zu können. Bis dahin laufe ich mit einem Spickzettel in der Hosentasche rum. So skurril das klingen mag: Für Passwörter ist das der sicherste Ort der Welt. Wenn ich den Zettel in den Safe lege und die Wohnung verlasse, weiß ich nicht wirklich, ob er noch da ist, wenn ich wiederkomme. Wenn ich ihn in der Hosentasche habe, trage ich ihn fast auf der Haut. Und wenn ich schlafe, liegt die Jeans mit dem Zettel griffbereit neben dem Bett.
Das SEK muss die Jeans beim Entern des Schlafzimmers zur Seite geschoben haben. Ich entdecke sie in der Zimmerecke neben der Tür. Ich schaue nicht direkt hin, um nicht die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken.
»Ich bin Staatsanwalt Soundso«, sagt ein Mann in Jeans und Altherrenjacke, der plötzlich auf der Schwelle zu meinem Schlafzimmer steht.
Soll ich jetzt meinen Namen mitteilen? Ich sage nichts, schaue ihm aber direkt in die Augen. Er wirkt nervös oder mindestens angespannt.
»Hier habe ich den Durchsuchungsbeschluss für Ihre Wohnung«, verkündet er laut und hält einen Schriebs hoch, den ich beim besten Willen nicht lesen kann.
»Wir ermitteln gegen Sie wegen des Verdachts auf Urheberrechtsverletzung«, sagt er.
Ich versuche mein Lächeln zu verkneifen. Sie können gerne ermitteln, aber sie werden nichts finden. Das aber ist schon zu viel der Regung.
»Wo sind die Waffen? Gib uns deine verdammten Waffen«, brüllt der SEK-Typ, der Einzige, der anscheinend das Maul aufmachen darf. Vermutlich ist er der Kapo der Truppe.
»Ich habe keine Waffen, aber Sie dürfen selbstverständlich gerne alles überprüfen«, sage ich höflich, und als ob sie darauf hätten warten müssen, legen sie los.
Eine Tür des weißen Einbauschranks nach der anderen wird aufgerissen, alles durchwühlt. Als sie bei meinen Unterhosen ankommen, frage ich: »Könnten Sie mir freundlicherweise eine rüber werfen? Ich würde mich gerne anziehen.«
Der Staatsanwalt nickt und verlässt den Raum, der Kapo hält mir eine Unterhose hin. Während ich sie mir im Bett sitzend anziehe, nutze ich den leicht veränderten Blickwinkel ins Wohnzimmer. Ich sehe die Frau, deren Stimme ich vermutlich vorhin gehört hatte. Der Staatsanwalt steht vor ihr wie ein Hund vorm Herrchen. Jetzt scheint sie Anweisungen zu geben, er nickt und kommt langsam zurück zum Schlafzimmer.
»Stehen Sie bitte auf und kommen Sie mit in die Wohnstube.«
So vorsichtig es geht, richte ich mich auf.
»Aber langsam, und die Hände bleiben oben«, schnauzt der Kapo.
Ich tue mein Bestes, in dieser Haltung aus dem Wasserbett herauszukommen, ohne Wellen zu schlagen und über Bord zu gehen. Als ich endlich auf festem Boden stehe, sehe ich die Jeans in der Ecke liegen. Ich bin mutig und frage jetzt einfach, mehr verlieren kann ich eh nicht mehr. »Darf ich mir vielleicht auch noch die Hose anziehen?«, will ich wissen und versuche mit dem Kopf in Richtung Jeans zu zeigen.
Der Staatsanwalt guckt erst das SEK an, als ob er von da Antwort erwarten würde, dann dreht er sich zu der Frau im Wohnzimmer. Die nickt fast unmerklich.
»Ja«, sagt der Staatsanwalt, und es klingt wie eine Frage.
»Ob ich mir diese Jeans, eventuell …«
»Ich habe Sie schon verstanden, Herr Böttcher«, sagt er, »Sie dürfen.«
Langsam nehme ich die Arme runter und spüre, wie das Blut endlich wieder zu zirkulieren beginnt. Dann bücke ich mich bedächtig, hebe die Jeans auf, ziehe sie an und habe das Gefühl, dass sich der Zettel mit den Passwörtern in der Hosentasche nach außen abzeichnet wie ein Kropf. Sie werden ihn finden, sie müssen ihn entdecken, sobald sie mich durchsuchen.
»Die Arme wieder nach oben und langsam in die Wohnstube«, sagt der Kapo.
Eskortiert von Schwerbewaffneten mache ich mich auf den Weg rüber ins Wohnzimmer. Susi ist tatsächlich nicht zu sehen, Gott sei Dank! Ich kann nicht genau zählen, wie viele Leute da gerade am Rumwühlen sind. Ich sehe aber, dass sie noch nicht am Schreibtisch angekommen waren. Der iMac steht da mit seinem schwarzen Bildschirm. Es sieht so aus, als wären die Zugänge zu Servern und Konten sicher. Aber der iMac ist nicht ausgemacht. Ich habe ihn nicht runtergefahren in der Nacht. Er schlummert nur im Ruhemodus vor sich hin. Eine kleine Bewegung mit der Maus, ein Tastendruck auf die Leertaste und der Lüfter wird sich in Bewegung setzen, der Bildschirm anspringen und kino.to ist am Arsch. Bis jetzt sind wir nur kurz davor, aber ich kann das Unheil schon riechen.
Ich starre auf den Bildschirm, die Leute suchen fleißig. Meyer ist inzwischen abgedampft. Plötzlich läuft mir der Staatsanwalt wieder ins Sichtfeld. Zusammen mit Meyer und dessen GVU, der Gesellschaft zur Verfolgung von Verstößen gegen das Urheberrecht, versuchen sie mich seit Jahren dranzukriegen, was ihnen aber nicht gelingen will, weil es ja keine von mir begangenen Straftaten gegen das Urheberrecht gibt. Jetzt allerdings, da hier der Staatsanwalt und SEK gemeinsam auftreten, bin ich sicher, dass die so lange im Rechner und auf den Servern suchen werden, bis sie etwas finden. Irgendetwas winzig Kleines, das wir alle irgendwo haben und das dann unter dem tosenden Applaus von Hollywood gegen mich eingebracht wird.
Der Staatsanwalt, fängt plötzlich an zu fauchen. »Her mit den Passwörtern!«, giftet er mich an. Ich spüre den Spickzettel an meinem Oberschenkel.
»Ohne meinen Anwalt gebe ich Ihnen gar nichts«, zitiere ich fast alle Blockbuster, die ich selbst auf kino.to gesehen habe.
»Wie Sie wünschen«, ruft er und trampelt wie Rumpelstilzchen auf den iMac zu.
»Meine Spezialisten knacken das Ding«, schreit er und reißt den Netzstecker aus der Wand.
KaBoom! Das war es dann mit dem Ruhemodus, jetzt ist das Ding erst mal richtig aus.
Der Staatsanwalt nimmt den Mac unter den Arm und trägt ihn wie eine Trophäe durchs Wohnzimmer, wie Steffen gestern seinen schwarzen Helm.
»Herr Staatsanwalt«, sage ich, »ich glaube, Sie haben die Nummer gerade megamäßig verrissen.«
»Nein«, sagt er.
Er versucht ruhig mit einer Stimme des Triumphs und der Überlegenheit zu sprechen: »Sie haben es verrissen, Böttcher, Sie haben Straftaten begangen, und dieser Rechner wird Sie überführen.«
»Wird er nicht, Herr Staatsanwalt«, sage ich, »selbst, wenn Sie reinkommen würden, würden Sie nichts finden. Aber Sie werden ja nicht einmal reinkommen.«
Er guckt mich an, als sei ich der neue Freund seiner hässlichen Tochter.
»Der Rechner«, sage ich, »war im Ruhemodus. Sie hätten ihn nur aufwecken müssen und hätten den Zugang gehabt. Sie haben aber den Stecker gezogen und damit ist alles verschlüsselt, was sich verschlüsseln kann. 512-Bit sage ich nur.«
Jetzt versteht der Staatsanwalt und wirkt, als wolle er das Gerät vor Wut durch die geschlossene Terrassentür schmeißen. Ich tue so, als fühlte ich mich blendend. In mir sieht es jedoch anders aus. Noch immer spüre ich den Phantomschmerz der Passwörter in meiner Hosentasche, während sich die Durchsuchungsbrigade durch mein Wohnzimmer kramt. Ich stehe in der Mitte des Raums, und sie kommen stets näher. Sie umkreisen mich. Sobald sie meine Jeans durchsuchen, ist es aus. Mit erhobenen Händen werde ich sie kaum daran hindern können. Und sobald sie die Zettel finden, haben sie gewonnen.
Sommer 2002
eMule ist eine geile Sache. Zum einen ein genialer Filesharing-Client, mit dem du alle möglichen Dateien quer über den Erdball mit deinen Kumpels austauschen und zusammen nutzen kannst.
Gemeinsam sind wir stark, das haben wir schon beim Fall der Berliner Mauer gemerkt. Zum anderen ist er kostenlos. Das gefällt mir. Nicht, dass ich als Ossi auf Almosen angewiesen bin, aber so was Kostenloses spricht dich irgendwie an.
Da ich schon immer ein Faible für Netzwerke habe, will ich die eDonkey-Community gern unterstützen. Aus dem Grunde bastele ich mir meinen persönlichen eD2k-Link zusammen, damit die Leute da draußen wenigstens wissen, woher die hochgeladenen Dateien kommen. Meinen eigenen eD2K-Server stelle ich kostenlos für die jungen Cracks zur Verfügung. Für einen Moment fühle ich mich wie ein Gönner, dem das World Wide Web Standing Ovations gibt.
Doch die Jungs hinter den schwarzen Masken sehen derzeit alles andere als den heiligen Messias in mir. Bewegungslos und mit vollem Fokus starren ihre Blicke auf mich. Fest entschlossen, mich bei der kleinsten Bewegung in Moleküle zu zerlegen. Der Zettel in meiner Hose beginnt förmlich zu brennen. Ich kann schon die Rauchschwaden riechen. Mit aller Kraft versuche ich, einen auf cool zu machen und blicke lässig in die Runde der schwarzen Männer. Der Staatsanwalt schaut mit hochroten Augen auf mich und ich habe das Gefühl, seine Blicke sind weitaus tödlicher als alle Maschinengewehre um mich herum.
Ring! Es klingelt.
Ich fühle mich wie am Ende der fünfzehnten Boxrunde und höre ein Klingeln an der Wohnungstür.
»Die Arme oben lassen!«, schnauzt der Kapo.
Is ja gut, denke ich. Immerhin sprichst du mehr als drei Worte. Nach fünfzehn Runden Boxen bin ich platt. Vermutlich kommt jetzt ein heißes Girl in den Ring und läutet die nächste Runde ein. Immerhin verschafft mir die Türklingel eine kleine Verschnaufpause und lenkt meine Gedanken weg vom Zettel in meiner Hose, sodass sich der imaginäre Rauch langsam verziehen kann.
Die Tür öffnet sich und ein junger Schnösel betritt meine Wohnung und wird von einem MEK-Beamten begleitet. Jung schon, aber das Runden-Girl wäre mir jetzt lieber gewesen.
»Mein Name ist Krause. Ich bin vom Finanzamt Leipzig. Sind Sie Dirk Böttcher?«
Alter, was soll der Scheiß, denke ich. Das haben mich heute schon zig Leute gefragt. Mindestens zwei Fußballmannschaften an Manpower haben alle Schränke durchwühlt, sauber ausgeräumt und durchsucht. Immerhin haben sie ordentlich gearbeitet und sich Mühe gegeben, nicht allzu viel durcheinanderzubringen. Vielleicht lag es auch an der blonden Kommissarin. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass die Truppen das nicht zum ersten Mal machen.
»Ja der bin ich«, antworte ich kurz und knapp.
»Gut«, fährt der Schnösel in siegesbewusstem Ton fort, »dann unterschreiben Sie bitte hier kurz.« Er labert etwas von Millionen Schulden, die ich angeblich beim Finanzamt offen haben sollte und die ich dem deutschen Staat schulden würde.
Haha. Ich muss innerlich lachen. Seit Jahren führe ich auf Malle ordnungsgemäß meine Steuern an den spanischen Fiskus ab. Und dieser Jungspund frisch von der Uni will hier seinen ersten Grand – Prix – Sieg einfahren und fix Feierabend haben und mich mit einem schmierigen Stück Papier in den Bau bringen. Denkste!
»Mein Name ist Dirk Böttcher. Alles Weitere besprechen Sie bitte mit meinem Anwalt« entgegnete ich trocken.
Zugegeben, mein Anwalt ist weit und breit nicht zu sehen. Irgendwie will ich dennoch cool erscheinen. Vor allem keine Blöße zeigen vor dem Möchtegern-Staatsanwalt.
Automatisch schaue ich zum Nachttisch, auf dem mein iPhone normalerweise stationiert ist. Das ist aber nicht da. Für einen Moment stutze ich und lasse beide Arme sinken.
»Arme oben lassen, verdammt noch mal!«, schnauzt es zum gefühlt hundertsten Mal vom Kapo. Mein Gott, Alter, hast du ’ne leiseste Ahnung, wie beschissen es ist, mit beiden Armen eine Ewigkeit herum zu stehen? Na gut, so eine hässliche Sturmmaske den ganzen Tag tragen zu müssen, scheint im Übrigen nicht das Gelbe vom Ei zu sein. Vielleicht ist der Typ damit auch besser dran …
»Ich möchte meinen Anwalt sprechen«, spreche ich vorsichtig in den Raum hinein. Die Jungs um mich herum scheinen alle schwerhörig zu sein. Keine Reaktion.
»Ihr Handy haben wir beschlagnahmt, Böttcher«, höre ich den Staatsanwalt schnippisch fauchen. »Wir werden jeden Kontakt ausfindig machen und Ihnen das Handwerk legen.«
Er stockt kurz. Die blonde Kommissarin winkt ihn zu sich. Was die beiden bequatschen, kann ich leider nicht hören.
Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf meine Arme.
Als Fußbodenleger kannst du keinen Blumentopf gewinnen. Du malochst den ganzen Tag und als Dankeschön darfst du außerdem Geld mitbringen. Wenigstens daheim am Abend noch ein bisschen zocken, das bringt Abwechslung in das ansonsten recht öde Tagesgeschäft. Gut, dass es Musik zum Downloaden gibt, die sich die MP3-Junkies aus dem Internet saugen. Dadurch entsteht meine erste Domain, die ich auf meinem Server registriere: saugstube.com. Diese Domain ist dasselbe, was Google heute macht: Du gibst einen Suchbegriff ein und dir werden diverse Links angeboten, ordentlich untereinandergeschrieben, nicht mehr und nicht weniger. Später peppen wir das alles etwas auf, räumen zusammen und sortieren alles nach Genres und Abteilungen, damit sich die User besser zurechtfinden. Games, Apps, Filme und MP3 – das alles kann man bei uns anklicken. Nach dem Klick leitet dich der Link zu deiner eD2K-App, wie zum Beispiel eMule weiter, mehr macht die Website nicht. Ein einfacher Index, den der User anklickt. Danach öffnet sich das passende Programm dazu.
Im Unterschied zum späteren kino.to haben wir hier ´ne große Community, wo die Leute noch direkt Links eintragen können. Die erscheinen dann auch auf der Seite. Das ist noch echtes Basteln und Schrauben im World Wide Web. Dazu ein Forum, in dem die Junkies aktiv unterwegs sein können, eben ’ne echte Community!
Die Community in meiner Wohnung ist leider ebenso echt. So richtige Kerle zum Anfassen, die nur für dich da sind. Die körperliche Nähe suche ich allerdings in keiner Weise. Ich wünsche, ich könnte mich unsichtbar machen und einfach verschwinden.
»Na, was haben wir denn da?«
Ich zucke zusammen. Die Stimme kommt vom Staatsanwalt aus dem Nachbarzimmer.
Er rückt triumphierend mit einem Bündel Geldscheinen an. »Hab‘ ich’s doch gewusst, Böttcher. Sie hinterziehen Steuergelder! Schauen Sie mal, was wir hier gefunden haben.« Stolz zeigt er es Krause, der wie sein geschmierter Handlanger aussieht. Dem geht bestimmt gleich einer ab, weil er meine Bude doch noch mit einem Erfolg verlassen und seinem Boss im Finanzamt endlich einen Fahndungserfolg präsentieren kann.
»Das sind 15.000 Euro in bar. Woher haben Sie die?«, schnauzt der Staatsanwalt mich an.
»Das geht Sie gar nichts an«, erwidere ich trotzig. Die 15 Scheine hatte ich mir in den Kleiderschrank gelegt als Anzahlung für ein neues Auto. Und nun stolziert dieser Fuzzi mit meiner Kohle durch meine Wohnung.
»Das Geld beschlagnahmen wir auch. Böttcher, wir drehen hier alles um. Gestehen Sie lieber jetzt und machen Sie es nicht noch schlimmer«, stiert er mich mit seinen giftigen Augen an. Ich weiß immer noch nicht, was die Truppe hier eigentlich von mir will. Ich bin mir keiner Schuld bewusst.
Die blonde Kommissarin kommt herein: »Herr Böttcher, Sie dürfen die Arme herunternehmen. Bitte bleiben Sie im Raum und fassen Sie nichts an. Das ist eine Hausdurchsuchung.« Nichts anfassen ist gut. Die Durchsuchungsbrigade hat ganze Arbeit geleistet und nahezu alles in meiner Bude zerlegt.
Ich möchte endlich meinen Anwalt sprechen und muss jetzt dringend pinkeln. Ich spüre weiterhin die Hitze des Zettels in meiner Hosentasche.
»Kann ich meinen Anwalt anrufen?«
Ich schaue halb flehend, halb fordernd ins Gesicht der Kommissarin. Sie sieht mich an:
»Ja, das dürfen Sie selbstverständlich, Herr Böttcher.«
»Danke. Ich habe nur ein Problem, mein Handy wurde bereits beschlagnahmt.«
Das blonde Girl weist einen SEK-Beamten an, mir dessen Handy auszuhändigen. Dieser kommt emotionslos auf mich zu und verfolgt jeden Tastenklick, den ich in sein veraltetes Smartphone eingebe. »Keine Angst, Alter, ich rufe nicht gleich die Polizei an«, denke ich mir so und verdrehe kopfschüttelnd die Augen. Ich höre das Wählgeräusch. Mein Anwalt geht ran:
»Baumgart, guten Tag.«
»Hallo Andreas? Dirk hier.«
»Hey Dirk, altes Haus, auch mal wieder im Lande?«, höre ich ihn am anderen Ende.
»Ja, bin aktuell in meiner Wohnung im Royal. Sind noch mehr Leute hier. Kann’ste bitte mal dringend rumkommen?«
»Was ’n los?«
»Erzähl‘ ich dir später. Ich brauche deine Hilfe, lass alles stehen und liegen und komm sofort ins Royal. Wie lange brauchst du? Stunde? So lange? OK, bis gleich.«
Nachdem ich aufgelegt habe, reißt mir der Beamte das Phone sofort aus der Hand. Er deutet auf einen Stuhl im Wohnzimmer hin.
»Setzen Sie sich dorthin. Und keine Bewegung, verstanden?«
Ich gehe langsam zum Stuhl und setze mich. Das stundenlange Stehen und Arme Hochhalten strengt tierisch an. Für einen Moment erhole ich mich etwas und sacke auf dem Stuhl in mich. Ich hoffe nur, dass sich mein Anwalt dieses Mal ein bisschen beeilt und einmal pünktlich erscheint. So ein klein wenig fehlen mir bekannte Gesichter im Raum.
Um mich herum stehen weiterhin ein halbes Dutzend schwerbewaffnete Mumien, die anscheinend nur auf eine Bewegung von mir lauern, um mich über den Haufen zu ballern. Gut, dass ich mein Testament schon vor ein paar Monaten gemacht habe.
Mir wird langsam heiß, ähnlich wie in der Sauna. Apropos: Vor ein paar Wochen klingelte eine angebliche Klempnerfirma an unserer Wohnungstür und will die Wartung unserer Sauna durchführen. So ’ne heiße Ecke wäre sicher ’ne super Abwechslung gewesen, vor allem mit dem Kindermädchen daheim. Das Kuriose ist nur, dass im Grundriss des Penthouses zwar eine Sauna eingezeichnet ist, die aber nie eingebaut wurde!
Susi lässt den Typen mit der Bemerkung »Wir haben hier keine Sauna!« auf der Türschwelle abtreten. Dass dies bereits der erste verdeckte Angriff des LKA ist, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Doch die Jungs des staatlichen Kriminalamtes lassen nicht locker und senden zwei Tage später den nächsten Maulwurf an unsere Wohnungstür. Dieses Mal als Elektrofirma getarnt, die angeblich die Steckdosen in der Wohnung überprüfen soll. Von der Hausverwaltung beauftragt natürlich.
Ich weiß nicht, wie oft Steckdosen in einer Wohnung überprüft werden müssen, dennoch ahnt meine Freundin beim zweiten Versuch nichts und lässt den »Elektriker« in die Wohnung. Ich bin nicht da. Der Typ verbringt ’ne gute Stunde unbeaufsichtigt in unseren Gemächern und baut seelenruhig Wanzen und Kameras ein. Die sind so raffiniert verbaut, dass selbst ich keinen Verdacht schöpfe. Was die über die nächsten Tage und Wochen alles aufgenommen haben, wissen vermutlich nur Meyer & Co. Meine Kirsche und ich gehen der Sache nicht weiter nach. Wenn es von der Hausverwaltung angeordnet ist, wird es schon passen. Hauptsache, wir haben ein wenig Spaß auf unserer Spielwiese, dem 2,50 x 2,50 m großen Wasserbett.
Aus dem Zimmer nebenan nehme ich Baugeräusche wahr. Das Geräusch kommt von einem Akkuschrauber.