Die Weihnachtsausladung - Ruth Gogoll - E-Book

Die Weihnachtsausladung E-Book

Ruth Gogoll

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Beschreibung

Wenn die neue große Liebe ihre Nächte scheinbar lieber mit der (angeblichen) Ex verbringt, dann landet der gemeinsam gekaufte Weihnachtsbaum im Keller. Doch es wäre keine romantische Weihnachtsgeschichte, wenn am Ende nicht alle glücklich würden, oder? Und so ergeht es allen Verliebten im diesjährigen Geschichtenband, der unter keinem lesbischen Weihnachtsbaum fehlen sollte. Im Wohnzimmer. Festlich geschmückt. Um die Herzen zu erwärmen an trüben und kalten Dezembertagen ...

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Ruth GogollHaidee SirtakisToni Lucasu.a.

DIE WEIHNACHTSAUSLADUNG

Romantische Weihnachtsgeschichten

© 2017édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-233-6

Coverillustrationen: © aleksandrsb, Rogatnev, oksanaok – Fotolia.com

Haidee Sirtakis

Hüttenzauber

Carla verzog das Gesicht und atmete tief ein. »Oh nein!«, schrie sie, schloss die Augen und stieß die Luft aus. Dann hörte sie einen ohrenbetäubenden Knall. »Zu spät . . . Mist!« Zögerlich öffnete sie die Augen und war über den Anblick ihres alten Kombis gar nicht erfreut. Doch sie versuchte, Ruhe zu bewahren und wartete, bis die Fahrerin mit dem eleganten blonden Kurzhaarschnitt aus ihrem Sportwagen ausgestiegen war. Die Frau begutachtete die beiden Autos und fluchte lautstark vor sich hin.

Carla blieb ruhig stehen und strich sich eine braune Haarsträhne hinters Ohr. Geduldig wartete sie, wie sich die Dinge weiterentwickeln würden.

Die andere Frau zog ihren Mantel zurecht, stellte sich vor Carla hin und blitzte sie aus stahlblauen Augen an. »Muss Ihre Karre hier unbedingt im Weg rumstehen?«, fragte sie in giftigem Ton. »Mein Auto hat wegen Ihrer Schrottkarre jetzt eine Beule«, zischte sie und schaute Carla von oben herab an.

Carla versuchte die Ruhe zu bewahren. Dann starrte sie die Frau etwas ungläubig an. Oh . . . eine Begrüßung der etwas anderen Art. Mal schauen, wo das noch hinführt. Die gute Frau ist ja ganz schön geladen. »Carla«, sagte sie und reichte der Dame dennoch freundlich die Hand.

Ihr Gegenüber starrte sie entgeistert an. »Wie Carla?«, fragte sie verdattert.

Carla lächelte. Was für wunderschöne blaue Augen sie doch hat. Was für ein Blick. Was für ein Temperament. Sie schaute kurz zu den zwei verbeulten Autos hinüber. Innerlich musste sie schmunzeln. Bei aller Liebe, aber das war dann wohl doch ein bisschen zu viel Temperament, dachte sie und wandte sich wieder der Frau zu. »Carla. Ich heiße Carla.« Lächelnd reichte sie ihrem Gegenüber erneut die Hand. »Und Sie sind?«

Die Dame im eleganten Wintermantel strich sich durchs Haar. Dann nahm sie zögerlich Carlas Hand und hielt sie einen langen Moment fest. »K. . . Kim . . . Ich bin Kim«, stotterte sie schließlich etwas aus der Fassung. Abrupt zog sie die Hand zurück und straffte die Schultern. Dann zeigte sie auf die beiden Autos. »Sehen Sie sich das Malheur nur an . . . Carla.« Sie stieß einen schweren Seufzer aus. »Das wäre nicht passiert, wenn Ihre Karre hier nicht im Weg rumstehen würde«, fauchte sie und schaute sich das Desaster erneut an.

Auch Carla straffte nun entschlossen die Schultern und stellte sich Kim in voller Größe in den Weg. »Mach mal halblang«, meinte sie und blitzte Kim an. »Du bist in mein Auto geknallt, und nicht umgekehrt«, wies sie Kim in ihre Schranken.

»Tssss . . .« Aus Kims Augen sprühten Carla glühende Funken entgegen. »Und überhaupt . . . Ist mir da etwas entgangen? Seit wann sind wir per Du?«, zischte sie und strich mit der Hand über die demolierte Stoßstange ihres schicken Audis.

Carla stieß einen schweren Seufzer aus und tippte hektisch etwas in ihr Handy. »Oh . . . Entschuldigen Sie bitte. Dann halt Sie. Wie darf ich Sie denn ansprechen, gnädige Frau?«, fragte sie und konnte sich ein Grinsen gerade noch verkneifen.

Kim schüttelte müde den Kopf und winkte ab. »Ist ja schon gut.« Von oben bis unten musterte sie Carla. »Kim . . . das Du ist schon okay. Und du bist also Carla . . .« Im Zeitlupentempo ließ sie ihren Blick nochmals an Carla hoch- und runterwandern. Einen langen Moment tauchte sie in ihre wunderschönen grünen Augen ein.

Mein Gott . . . Was wird das denn jetzt? Zieht sie mich hier gerade mit den Augen nackt aus oder was? fragte sich Carla innerlich. Aber diese Kim hat die schönsten Augen, die ich je gesehen habe, das muss man ihr lassen, dachte sie und musste sich zusammenreißen, um ihre Gedanken nicht allzu sehr abschweifen zu lassen.

Kim räusperte sich ein paar Mal. Dann sah sie zu den beschädigten Autos hinüber. »Das hier . . .«, sie räusperte sich erneut, »müssen wir später klären«, meinte sie nun kurz angebunden. »Ich bin spät dran . . . zu spät«, sagte sie und marschierte in Richtung Tierheim.

Carla hüpfte in ihrer sportlichen, wettertauglichen Kleidung neben Kim her. »Kein Problem. Eilt ja nicht.« Sie lächelte. »Solange du dich nicht einfach aus dem Staub machst«, sagte sie und legte sich ihren Schal um. »Dein Autokennzeichen habe ich mir auf jeden Fall schon mal notiert«, sagte sie trocken und zwinkerte Kim zu. »Was für eine Kälte . . . brrrr.«

Kim blieb stehen und starrte Carla an. »Aha . . . Autokennzeichen also schon notiert«, sagte sie gereizt, während es in ihrem Gesicht nervös zu zucken begann. »Du willst wohl auf Nummer sicher gehen, hm?«

Carla legte den Kopf leicht schief. »Na ja . . . Man kann nie wissen«, antwortete sie gelassen.

In Kims Gesicht zeichnete sich ein Lächeln, wenn auch nur ein ganz kurzes. »Das stimmt allerdings«, sagte sie, während ihr Blick in die weite Ferne schweifte. Nach einer Weile wandte sie sich wieder Carla zu. »Weshalb bist du eigentlich hier?«, fragte sie nun in etwas netterem Ton.

Carla begann zu strahlen. »Heute darf ich endlich meinen Hund abholen«, sagte sie ganz begeistert. »Ich kann es kaum erwarten. Einfach wunderbar . . . so kurz vor Weihnachten. Ich bin ganz schön aufgeregt.« Ein warmes Gefühl durchströmte sie. »Und du? Weshalb bist du da?«

Kim lachte. »Witzig. Ich bin aus dem gleichen Grund hier wie du.«

Carla schenkte Kim ein Lächeln und fing ihren Blick ein.

Kim räusperte sich verlegen und errötete leicht. »Ich . . . ich hole heute auch meinen Hund ab. Meinen treuen Wegbegleiter für hoffentlich die nächsten Jahre«, sagte sie mit zittriger Stimme, wandte sich von Carla ab und marschierte weiter in Richtung Tierheim, das sich etwas außerhalb der Stadt St. Gallen befand.

Von weitem schon sahen Carla und Kim, wie ihnen eine Frau entgegenkam und das Eingangstor öffnete.

»Guten Tag. Ich bin Frau Koch, die Tierheimleiterin«, stellte sich die Frau um die fünfzig vor und reichte den beiden die Hand. Sie machten sich miteinander bekannt und wechselten ein paar freundliche Worte.

Kim wippte ungeduldig auf den Zehenspitzen vor und zurück. »Frau Koch . . . Ich bin etwas in Eile. Würden Sie mir bitte meinen Hund geben?«, fragte sie und schaute die Tierheimleiterin auffordernd an.

Frau Koch lachte laut. »Sie sind mir ja eine. Gute Frau . . . Sie sind fast zwei Stunden zu spät«, entgegnete sie ziemlich streng und schaute Kim schief an. »Im Gegensatz zu Ihnen, Carla. Sie sind pünktlich . . . so, wie vereinbart.« Tadelnd blitzte sie Kim an. »Also ich bin ja der Meinung, dass Carla zuerst ihren Hund bekommen sollte. Finden Sie nicht auch?« Ostentativ schaute sie auf die Uhr. Dann ließ sie ihren Blick aufmerksam zwischen den beiden Frauen hin- und herwandern.

Kim stieß einen schweren Seufzer aus. »Es . . . es tut mir ja auch sehr leid. Aber ich hatte einen wichtigen Geschäftstermin«, versuchte sie sich zu rechtfertigen.

Frau Koch runzelte die Stirn. »Aha . . . wichtiger Geschäftstermin. Und das hier ist etwa kein wichtiger Termin?«, fragte sie gereizt.

Oje! Das muss doch jetzt wirklich nicht sein. Carla stellte sich beschwichtigend zwischen die beiden Frauen. »Ach . . . Frau Koch. Kim hat das bestimmt nicht so gemeint«, sagte sie und lächelte. »Ich habe Zeit. Gern schaue ich mir solange in Ruhe das Tierheim an.« Fragend schaute sie die Leiterin an. »Wenn ich darf?«

Frau Koch lächelte angenehm überrascht und nickte. »Okay, wenn das für Sie stimmt . . . Carla. Schauen Sie sich ruhig um«, sagte sie und wandte sich nun wieder Kim zu. »Also, gute Frau . . . Dann gehen wir jetzt zu Max. Endlich darf Max in sein schönes Zuhause umziehen. Wunderbar. Ich freue mich sehr für ihn, so kurz vor Weihnachten«, sagte sie nun mit gefühlvoller Stimme und verschwand mit Kim zusammen hinter einer Tür.

Carla stand lange vor dem liebevoll eingerichteten Katzenzimmer und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Ach . . . ich freue mich so sehr auf meinen Vierbeiner. Endlich nicht mehr allein! Etwas wehmütig schaute sie in ein Katzenkörbchen, in welchem zwei Samtpfoten aneinander geschmiegt vor sich hin schnurrten. Mein vierbeiniger Liebling darf natürlich bei mir im Bett schlafen. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Aber eigentlich wäre es ja schon schön, wenn irgendwann mal wieder eine liebevolle, tierliebe Frau in meinem Leben auftauchen würde und wir dann eine richtige Familie wären. Aber so ist das eben . . . heutzutage ist es gar nicht mehr so einfach, jemandem zu finden, der zu einem passt . . . schon gar nicht fürs Leben, stöhnte sie innerlich, winkte den Katzen zum Abschied noch einmal zu und ging dann durch den langen Gang weiter. Ein paar Türen weiter stand sie nun ganz offensichtlich im Hundehaus.

Was sie dort zu hören bekam, gefiel ihr überhaupt nicht. Augenblicklich spürte sie einen Stich mitten ins Herz. Ein Hund jaulte, nein, es war mehr ein Weinen . . . und dieses Weinen hörte sich einfach herzerbarmend an und ging ihr durch Mark und Bein. Entschlossen marschierte sie weiter, um das Spektakel von nahem zu betrachten.

»So komm doch endlich mit mir, Max«, bat Kim ganz aufgelöst. »Max, du wirst es bei mir schön haben«, probierte sie es erneut und versuchte vergeblich, den braunen Labradormischling mit schon etwas grauem Schnäuzchen zu sich zu locken. Doch Max schien nur Augen für seinen Hundekumpel zu haben, der sich im gleichen Raum befand.

Die Tierheimleiterin beobachtete Kim und Max. »Irgendwie ist das doch ein wenig merkwürdig«, meinte sie achselzuckend und runzelte leicht irritiert die Stirn. »Am Anfang konnten sich die beiden Hunde kaum riechen und haben sich ständig angeknurrt.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Und jetzt machen sie so ein Theater.« Sie entdeckte Carla, die ein paar Meter hinter ihnen stand. »Übrigens . . . der schwarze Schäferhundmischling heißt Moritz. Ihr Hund, Carla«, sagte sie und lächelte. »Am besten spazieren Sie beide nun mit Ihren Hunden aus dem Heim, versorgen sie schnell in Ihren Autos und fahren sofort weg. In ein paar Stunden werden Max und Moritz das Schlimmste überstanden haben.«

Carla schaute Kim und Frau Koch entsetzt an. »Das ist ja schrecklich«, meinte sie und schluckte. »Das bricht mir das Herz, die beiden jetzt einfach so auseinanderzureißen«, sagte sie mit trauriger Stimme. »Sie gehören doch zusammen. Wir können sie doch jetzt nicht einfach so trennen.«

Frau Koch legte beschwichtigend eine Hand auf Carlas Arm. »Ach, Sie Gute. Glauben Sie mir. Das kommt öfters vor. Aber es ist wirklich halb so schlimm. Nach ein paar Stunden ist der ganze Spuk vorbei.«

Carla presste unglücklich die Lippen zusammen »Wenn Sie meinen«, seufzte sie. »Also, Ihr Job wäre sicher nichts für mich«, flüsterte sie und schluckte. »Ich würde daran zerbrechen.«

Kim schaute Carla kopfschüttelnd an. »Mein Gott . . . Bist du sentimental. In was für einer Welt lebst du eigentlich? Max und Moritz werden das hier schon überleben«, sagte sie mit unterkühlter Stimme. »So ist das nun mal im Leben. Es ist ein Kommen und Gehen.« Sie straffte die Schultern und schaute Carla eindringlich ein. »Menschen kommen und gehen. Und so kommen und gehen eben auch Hunde. Man kommt zusammen und trennt sich wieder. Und in den wenigsten Fällen sind Trennungen schön, aber man überlebt sie«, sagte sie, wobei eine Ader deutlich an ihrer Schläfe zu pochen begann.

Carla blitzte Kim wütend an. »Du bist wohl eine von der ganz harten Sorte, hm?« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Hoffentlich hat es Max wenigstens gut bei dir«, sagte sie etwas spitz.

Kim erstarrte, musste kräftig schlucken und wischte sich schnell mit dem Ärmel über die Augen. Dann fixierte sie Carlas Blick. »Was erlaubst du dir eigentlich? Glaub mir, Max wird es bei mir sehr gut haben. Es wird ihm gewiss an nichts fehlen.« Sie stieß einen genervten Seufzer aus. »Wir müssen nur das hier, diese Trennung, endlich über die Bühne bringen«, stöhnte sie ungeduldig.

Carla wurde es bei Kims Worten heiß und kalt gleichzeitig. Huch, dieser vernichtende Blick! Jetzt habe ich sie wohl auf dem falschen Fuß erwischt. Kim . . . sie hat . . . sie wirkt auf mich fast so, als hätte sie in Wirklichkeit einen ganz weichen Kern . . . irgendwie wirkt sie so zerbrechlich. »Entschuldige bitte. Ich wollte nicht so barsch zu dir sein. Es tut mir leid«, kam es ihr sogleich über die Lippen. »Mir tut nur diese Situation hier, dieser Anblick gerade furchtbar weh«, flüsterte sie kaum hörbar und schluckte.

Kim schaute Carla mit glasigen Augen an. »Ist ja schon gut.« Einen langen Moment wollten sich die Blicke der beiden nicht mehr voneinander trennen. »Mir . . . mir gefällt das doch auch nicht. Ich bin ja schließlich nicht aus Beton. Ich habe mir nur . . .« Sie schluckte, blickte betreten zu Boden und begann, ihren Max zu streicheln, ja schon fast durchzukneten.

Nach einer Weile standen Carla und Kim mit Max und Moritz vor ihren Autos auf dem Parkplatz. Frau Koch hatte ihnen noch ein paar Tipps gegeben, sich von allen verabschiedet und war wieder im Haus verschwunden.

Carla und Kim befolgten die Anweisungen der Tierheimleiterin und versorgten, jede für sich, ihren Hund, ganz schnell im jeweiligen Auto. Kaum waren die beiden Seniorenhunde sicher untergebracht, begannen sie auch schon wieder, wie verrückt zu bellen und zu weinen. Ein Geräusch, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Kim drückte Carla schnell ihre Visitenkarte in die Hand. »Ruf mich bitte an . . . wegen des Blechschadens. Ich bezahle das natürlich«, meinte sie und lächelte kurz. »Aber du hörst ja die beiden.« Um ihre Mundwinkel zuckte es nervös. »Und du hast ja Frau Koch gehört. Ich fahre jetzt lieber weg. Je schneller wir die beiden voneinander trennen, desto besser wird es sein«, sagte sie und schluckte schwer. »Tschüss . . . und wir hören voneinander«, meinte sie und setzte sich rasch ins Auto.

Carla blieb nachdenklich stehen und schaute Kim zu, wie sie sich auf dem Fahrersitz einrichtete. Irgendwie schade . . . und für Max und Moritz ist das einfach die reinste Qual. Was sind wir nur für Unmenschen. Ich fühle mich wie ein Monster. Ein beklemmendes Gefühl beschlich sie. Sie schaute in die Ferne und hing gerade ihren Gedanken nach, als sie plötzlich zusammenzuckte, da wie aus dem Nichts eine fauchende Kim vor ihr stand.

»Mist! Mein Auto . . .« Kim fuhr sich verzweifelt durch die Haare. »Ein Rad hat sich verklemmt. Ich komme hier nicht weg«, stöhnte sie aufgebracht, während Max und Moritz – jeder für sich im jeweiligen Auto – ein Riesentheater aufführten, was Carlas Herz einen erneuten Stich verpasste und ihr augenblicklich Magenschmerzen bescherte.

Das hört sich so furchtbar an. Ich muss mir etwas einfallen lassen. So geht das doch nicht. Die armen Hunde. Es zerreißt mir das Herz. Aber was für eine Lösung gibt es? Ziemlich unzusammenhängend kam ihr deshalb über die Lippen: »Kim sag mal, wo wohnst du eigentlich?« Ihr Blick schweifte über die beiden zerbeulten Autos, dann zu ihrem Heckfenster. Moritz kratzte innen wie wild an der Scheibe und wollte raus – zu seinem Freund Max.

Kim verzog die Lippen und hielt sich bei dem Gebell die Ohren zu. »In Schlieren bei Zürich. Warum fragst du?«, fragte sie ziemlich laut, um sich bei dem Riesenkrach überhaupt Gehör zu verschaffen.

Carla schmunzelte. Sie sieht richtig süß aus, wenn sie so irritiert ist, dachte sie und öffnete an ihrem Wagen die Beifahrertür. »Ich fahre dich und Max eben nach Hause. Liegt für mich quasi auf dem Weg. Ich wohne auch im Raum Zürich.« Sie lächelte freundlich und machte eine einladende Geste.

Kim schaute Carla verdutzt an. »Echt jetzt? Du . . . du fährst uns nach Hause?«, fragte sie fast so, als hätte sie sich verhört.

Carla schenkte Kim einen fürsorglichen Blick. »Ja . . . echt jetzt«, sagte sie und zwinkerte Kim zu. »Jetzt hol endlich Max. Dann fahren wir.«

Kurze Zeit später saßen sie zu viert in Carlas Kombi, der zwar zerbeult, aber immerhin fahrtüchtig war. Carla war gerade in die Hauptstraße eingebogen, als Kim sich ärgerlich an die Stirn langte.

»Was ist denn?«, fragte Carla und konzentrierte sich weiterhin auf den dichten Straßenverkehr.

Kim verzog die Lippen. »Ich muss doch noch in den Tiershop. Ich brauche für Max ein passendes Geschirr mit Leine«, meinte sie und knabberte nervös an ihrer Unterlippe herum.

Carla lächelte. »Kein Problem. Es liegt doch ein Laden direkt auf dem Weg. Ich mache einfach einen kurzen Halt. Okay?«

Kim starrte Carla entgeistert von der Seite an. »Du . . . du bist echt unkompliziert, so natürlich und . . . und irgendwie richtig nett«, stotterte sie, räusperte sich verlegen und schaute zum Beifahrerfenster hinaus. »Aber am Anfang sind sie alle unkompliziert und nett . . . die Frauen und später . . . ja später kommt dann immer das böse Erwachen«, brummelte sie undeutlich und für Carla nicht ganz verständlich vor sich hin.

Carla schaute kurz zu Kim hinüber. »Was hast du gerade gesagt?«, fragte sie. »Ich habe nicht mal die Hälfte verstanden.«

Kim winkte müde ab. »Ach . . . vergiss es einfach«, entgegnete sie und schien schon wieder tief in Gedanken versunken zu sein.

»Schau mal . . . Kim«, sagte Carla. Ihre Blicke begegneten sich kurz. »Wie friedlich Max und Moritz aneinander gekuschelt vor sich hindösen. Ist es nicht schön, so zu zweit durchs Leben zu gehen?«

Kim amtete tief ein. »Ich gehe lieber allein durchs Leben. Allein geht’s mir besser«, antwortete sie etwas bissig.

»Warum denkst du . . .«

Kim fiel Carla ins Wort. »Bitte stell keine weiteren Fragen. Ich will nicht reden. Ich bin froh, dass ich allein bin. Es ist gut so, wie es ist. So kann ich mir einen Haufen Probleme ersparen. Für mich stimmt das so«, knurrte sie und starrte angestrengt zur Frontscheibe hinaus, wobei es um ihre Mundwinkel heftig zuckte.

»Oh . . . jetzt habe ich wohl wieder einmal das Falsche gesagt«, seufzte Carla.

Kim blitzte Carla von der Seite an. »Ja, hast du«, zischte sie, schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Und jetzt lass mich bitte in Ruhe. Ich mag nicht mehr diskutieren.«

Carla verzog die Lippen. Was auch immer es ist . . . ich lasse Kim jetzt besser in Ruhe und stelle keine weiteren Fragen mehr. Hoffentlich sind wir bald beim Tiershop . . . und dann zu Hause. Wobei . . . eigentlich finde ich Kim ja wirklich richtig süß, wenn sie nicht gerade aus einem für mich unerklärlichen Grund auf zickig oder unnahbar wechselt. Sie hat das süßeste Lächeln, das ich je gesehen habe, und sie gefällt mir total gut.

Immer wieder mal wagten beide einen kurzen Blick nach hinten zu Max und Moritz. Die beiden Fellnasen dösten zufrieden vor sich hin.

Nach einer zehnminütigen, relativ ruhigen Fahrt parkte Carla auf dem großen Parkplatz vor der Tierbedarfshandlung. Kim stieg aus dem Auto, öffnete die Heckklappe und verschwand kurz darauf mit Max im Laden. Moritz schaute Max hinterher, bis er ihn nicht mehr sehen konnte. Die gleiche Szene von vorhin wiederholte sich. Lautstark fing Moritz an zu bellen und kratzte mit den Pfoten an der Scheibe. Am liebsten wäre er wohl abgehauen, um seinem Kumpel Max zu folgen.

Das gleiche Trauerspiel. Das geht einfach nicht. Ich muss mit Kim reden. Ganz einfach . . . wir müssen ins Tierheim zurückfahren, zu Frau Koch und ihr klarmachen, dass Max und Moritz zusammenbleiben müssen. Das haben Kim und ich ja jetzt eindeutig festgestellt. Die beiden sind unzertrennlich. Das muss doch auch die gute Frau Koch verstehen! Carla war der festen Überzeugung, dass sie die Trennung der beiden nicht verantworten konnte. Nein, das ging einfach nicht. Es konnte doch nicht sein, dass die zwei Senioren für die Dauer ihrer verbleibenden Lebenszeit getrennt wurden.

Nach einer gefühlten Ewigkeit war Moritz fast heiser gebellt, und Carla dachte, sie müsste gleich einen Hörsturz erleiden. Aber endlich . . . endlich waren Kim und somit auch Max wieder in Sicht. Moritz freute sich riesig und begann, wie verrückt mit dem Schwanz zu wedeln, und sein Weinen verwandelte sich in ein freudiges Bellen.

Kim hatte ihre liebe Mühe, Max an der Leine überhaupt noch festhalten zu können. Vor lauter Freude machte der nämlich Luftsprünge in Richtung Auto, als er seinen Freund Moritz erblickt hatte.

Kim öffnete die Heckklappe, und es gab eine Riesenbegrüßung. Wenig später saß Kim wieder neben Carla im Wagen und stieß einen schweren Seufzer aus. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie unmöglich sich Max da drinnen aufgeführt hat.« Sie atmete tief durch. »Max wollte nur raus . . . einfach raus . . . wohl zu Moritz«, stöhnte sie erschöpft.

Carla drehte sich zu Kim um. »Hör mal . . . Kim. Wir müssen die beiden ins Tierheim zurückbringen. So geht das nicht. Sie gehören zusammen und müssen zusammenbleiben«, sagte sie fest entschlossen.

Kim starrte Carla mit großen Augen an. »Spinnst du? Ich gebe doch meinen Max nicht wieder her.« Sie wagte einen Blick nach hinten. »Aber zwei Hunde will ich auch nicht haben. Das ist mir einer zu viel. Schließlich bin ich alleinstehend«, meinte sie und verzog die Lippen.

»Leider kann ich auch keine zwei Hunde halten. Das lässt mein Vermieter nicht zu. Und zurzeit ist es so schwierig, eine bezahlbare Wohnung in Stadtnähe zu finden«, stöhnte Carla und verzog niedergeschlagen das Gesicht. »Aber siehst du denn nicht, dass die beiden zusammengehören. So wie zwei Menschen, die sich gefunden haben? So etwas gibt’s eben auch im Tierreich«, sagte sie mit einfühlsamer Stimme.

Kim verdrehte genervt die Augen. »Was für ein sentimentaler Quatsch.« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Frau Koch hat doch gesagt, dass sich das bald legen wird«, meinte sie unbeeindruckt und atmete tief durch. »Allein ist man besser dran als zu zweit. Glaub mir das! Ich spreche da aus Erfahrung.«

Carla blitzte Kim wütend an. »Das ist doch absoluter Blödsinn. Es gibt doch nichts Schöneres, als einen lieben Menschen an seiner Seite zu haben, mit dem man alles . . . jedenfalls vieles teilen kann«, hielt sie entschieden dagegen. »Ich wäre gern nicht mehr allein. Wünschst du dir denn nicht auch einen lieben Menschen an deiner Seite?«

Kim schüttelte vehement den Kopf. »Ich?«, krächzte sie äußerst skeptisch. Dann lachte sie höhnisch auf. »Ich?« Sie fixierte Carlas Blick. »Nein, ganz bestimmt nicht. Früher oder später gibt das immer Ärger«, zischte sie.

Carla stieß einen Seufzer aus. »Offensichtlich hast du wohl wirklich schlechte Erfahrungen gemacht«, murmelte sie leise.

Kim schnallte sich energisch an. »Ja, verdammt. Ich habe von Frauen die Nase gestrichen voll«, fauchte sie.

Carla wurde hellhörig. Aha . . . Kim hat also von Frauen genug. Dann war meine Vermutung ja richtig. Sie steht tatsächlich auf Frauen. Und . . . sie ist so süß, auch wenn sie sich gerade fürchterlich aufregt. »Das tut mir sehr leid«, sagte sie schließlich und sah Kim tief in die Augen. »Irgendwo da draußen wartet bestimmt die richtige Frau auf dich«, meinte sie mit einem zuversichtlichen Lächeln.

Kim zog tief Luft ein. »Tssss . . . ich frage mich nur wo?« Entschlossen winkte sie ab. »Und überhaupt . . . Ich will von Frauen nichts mehr wissen«, knurrte sie. Es folgte ein Blick nach hinten und sie sah, wie Max und Moritz erneut eng aneinander gekuschelt vor sich hindösten.

Was hat Kim bloß erlebt, dass sie so denkt? Aber trotzdem: Nur weil Kim schlechte Erfahrungen gemacht hat, heißt das noch lange nicht, dass Max und Moritz jetzt darunter leiden sollen. Die beiden Schätzchen müssen zusammenbleiben! Das hat für mich jetzt oberste Priorität. Carla räusperte sich. »Mensch Kim . . . Jetzt ist aber Schluss. Ich fahre ins Tierheim zurück und rede mit Frau Koch. So geht das doch nicht«, sagte sie fest entschlossen.

Kim vergrub für eine gefühlte Ewigkeit ihr Gesicht in den Händen. Dann wandte sie sich endlich wieder Carla zu. »Du . . . du hast ja recht«, sagte sie mit zaghafter Stimme und wischte sich über die Augen. »Vielleicht finden wir beide ja je einen Hund, der gut allein sein kann und nicht so leidet, wie die beiden hier, wenn sie getrennt sind«, flüsterte sie und schluckte. »Weißt du . . . Ich wünsche mir so sehr einen treuen, vierbeinigen Weggefährten«, meinte sie und schluckte erneut. Zögerlich fing sie Carlas Blick ein. »Ach . . . Du bist eine gute Seele und hast ein großes Herz. Ich habe schon verstanden. Max und Moritz gehören wirklich zusammen.« Man sah ihr genau an, wie große Überwindung sie das hier kostete. Dann straffte sie entschlossen die Schultern und setzte sich im Beifahrersitz gerade hin. »Also . . . lass uns ins Tierheim fahren. Bringen wir es hinter uns.«

Seit zehn Minuten war es im Wagen nun schon ganz still. Es schien, als würde jede ihren eigenen Gedanken nachhängen. Carla hatte gerade die Autobahnauffahrt passiert und geriet sogleich in einen Verkehrsstau. Dreißig Minuten lang kamen sie, wenn überhaupt, nur im Schneckentempo voran. Immer größere Schneeflocken schwebten jetzt unaufhörlich vom Himmel und bedeckten die Fahrbahn mit einem weißen Teppich. Weiter vorn hatte es einen Auffahrunfall gegeben. Vier Autos hatten sich ineinander verkeilt. Jetzt herrschte erst recht absolutes Verkehrschaos. Ständig hupte es, und einzelne Fahrer marschierten entnervt auf der Fahrbahn herum, telefonierten oder unterhielten sich miteinander. Es ging so gut wie gar nichts mehr.

Doch in Carlas Auto herrschte nach wie vor Stillschweigen. Kim war besonders ruhig. Fast wie in Trance schaute sie den Schneeflocken zu, wie sie sanft zu Boden schwebten. Max und Moritz schienen von dem Chaos da draußen gar nichts mitzubekommen. Sie waren ganz fest aneinander gekuschelt und dösten friedlich vor sich hin. Carla blickte zur Frontscheibe heraus und hing ebenfalls ihren Gedanken nach. Ab und zu wagte sie einen unauffälligen Blick zu Kim hinüber, die irgendwie in ihrer eigenen Welt versunken schien. Sie ist so süß. Und sie ist bestimmt auch sehr gefühlvoll und nett, wenn sie erst einmal ihren Schutzpanzer ablegt. Das eine oder andere Mal hat sie ja bereits gelächelt und ein nettes Wort über die Lippen gebracht.

Carla stieß einen tiefen Seufzer aus. Ihre Haut kribbelte eigenartig, und in ihrem Herzen verspürte sie eine wohlige Wärme. Konnte es sein, dass sie auf dem besten Weg war, sich in Kim zu verlieben? Und das, obwohl sie sie doch eigentlich überhaupt nicht kannte? Erneut stieß sie einen Seufzer aus. Diesmal wohl einen etwas lauteren als zuvor, der Kim unvermittelt aus ihrem Gedankenkarussell herausriss und in die Realität zurückholte.

Kim strich sich über die Lippen und wandte sich Carla zu. »Was . . . was ist denn?«, fragte sie noch etwas benommen.

Carla sah Kim tief in die Augen und räusperte sich. »Nichts . . . außer . . .« Sie schaute nach vorn ins Verkehrschaos. »Vielleicht sollten wir die Autobahn bei der nächstbesten Gelegenheit wieder verlassen. Wir kommen so doch kaum vom Fleck«, meinte sie. Warum . . . warum nur wird mir so eigenartig warm, wenn ich Kim anschaue? Fahrig strich sie sich durchs Haar. »Wie findest du die Idee?«

Kim hob gleichmütig die Schultern. »Gute Frage. Wahrscheinlich hast du recht. Es ist wohl besser, wenn wir über Land fahren«, entgegnete sie, lächelte und schaute Carla nun ebenfalls intensiv an.

Carla wurde es ganz anders. Ein elektrisierendes Kribbeln durchströmte sie. Kim hat die schönsten Augen, die ich je gesehen habe, begann sie innerlich schon wieder zu schwärmen.

Endlich hatten sie es geschafft. Sie hatten die Autobahn verlassen und standen nun auf einem Parkplatz, um gemeinsam das weitere Vorgehen zu besprechen.

Kim schaute sich ziemlich ratlos um. »Ich kenne mich hier nicht aus. Du?«

Carla schüttelte den Kopf. »Leider nein.«

Kim atmete tief durch. »Hast du ein Navi?«

Carla schüttelte erneut den Kopf. »Nein, leider nicht«, meinte sie leise.

Kim runzelte die Stirn. »Was? Du hast kein Navi? Heute verfügt doch jedes Auto über eins«, sagte sie in gereiztem Ton.

Carla lächelte. »Das hier ist eben eine alte Kiste«, entgegnete sie unbeeindruckt.

Kim verzog die Lippen. »Ach so . . . ja klar. Stimmt. Habe ich glatt vergessen.« Sie atmete tief durch. »Und was machen wir jetzt? Ich habe keine Ahnung, wie wir ohne Navi ins Tierheim zurückfinden«, murmelte sie vor sich hin und schüttelte dabei ungläubig den Kopf. Dann stieß sie einen schweren Seufzer aus. »Das Zusammentreffen mit dir nimmt ja immer eigenartigere Züge an«, stöhnte sie. »Eigentlich wollte ich nur Max abholen und danach meine Ruhe haben. Friedliche und ruhige Weihnachten haben . . . nur Max und ich«, meinte sie und blitzte Carla gereizt an. »Und was ist jetzt?«, knurrte sie und verschränkte verärgert die Arme vor der Brust.

Carla hob beschwichtigend die Hände. »Stopp. Nicht in diesem Ton, meine Liebe. Mich trifft hier doch gar keine Schuld, genauso wenig wie dich eben«, wies sie Kim zurecht.

»Ich bin nicht ‚deine Liebe‘. Merk dir das. Nenn mich nie wieder ‚meine Liebe‘«, wies Kim Carla energisch in ihre Schranken.

»Ach Mensch, Kim . . . das sagt man doch einfach so. Da ist doch nichts dabei«, meinte Carla in beschwichtigendem Tonfall. Na ja, so ganz stimmen tut das ja nicht. Ein bisschen hat sie mir wohl schon den Kopf verdreht, gestand sie sich innerlich.

Eine gefühlte Ewigkeit war es wieder still.

»Ah . . . ich hab's. Mein Routenplaner auf dem Handy.« Kim atmete tief aus und nahm ihr Mobiltelefon aus der Tasche. »Das sollte eigentlich funktionieren.«

Und siehe da: Kurze Zeit später erschien auf dem Display die Wegbeschreibung ins Tierheim. Streng den Anweisungen folgend lotste Kim Carla mit dem Handy durch die Gegend.

Beiden war diese Fahrstrecke nach wie vor völlig fremd. Während Kims Handy weiterhin brav die Richtung vorgab, tobte da draußen ein richtiger Schneesturm. Und die Route auf dem Display führte sie immer weiter in die verschneite und verlassene Einöde. . .

Nun tuckerten sie schon seit längerer Zeit mühsam auf einem Feldweg vor sich hin, als plötzlich ein Knall ertönte. Darauf folgte ein nichts Gutes verheißendes Zischgeräusch. Beide saßen nun stocksteif da und starrten sich mit aufgerissenen Augen an. Ein paar Sekunden später sahen sie, wie aus der Motorhaube Rauch aufstieg. Carlas Kombi hatte ganz offensichtlich den Geist aufgegeben.

Kim schlug entsetzt die Hände vor dem Gesicht zusammen. »Mist. Das darf doch jetzt nicht wahr sein«, sagte sie entnervt. »So eine alte Schrottkarre . . . echt jetzt«, knurrte sie.

Carla warf Kim einen tadelnden Blick zu. »Hallo . . . Die alte ‚Schrottkarre’ war . . . bis jetzt . . ., « um ihre Mundwinkel zuckte es verdächtig, »immer zuverlässig. Würdest du also bitte nicht so abwertend über mein Auto sprechen.«

Kim starrte Carla verblüfft an. »Ach wie süß. Du bist ja richtig vernarrt in das alte Ding«, sagte sie und grinste.

Carla blitzte Kim an. »Wenn du das so sagen möchtest. Ja, ich hänge an meinem Wagen.« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Ich bin eben keine Wegwerftante. Das gilt für Autos genauso wie für . . .« Sie räusperte sich bedeutungsvoll, stieg aus und begutachtete das Malheur. Doch in ihrem Kopf ratterte es weiter. Genauso wie für Frauen . . . Ach wär das schön, wieder eine liebe Frau an meiner Seite zu haben, auf die Verlass ist . . . in schlechten wie in guten Zeiten. Sie schaute um sich. Weit und breit kein Haus und auch keine Straße. Einfach nichts, außer diesem Feldweg, verschneiten Wiesen und Wald, soweit das Auge reichte. Was machen wir denn jetzt? Sie griff in ihre Jackentasche und nahm ihr Handy hervor. Mist? Kein Empfang . . . Oh nein! schoss es ihr durch den Kopf. Frustriert stampfte sie in den Schnee.

Inzwischen war auch Kim ausgestiegen. »Was ist denn?«, fragte sie ungeduldig und starrte Carla an.

Carla verzog das Gesicht, hob ihr Mobiltelefon in die Höhe, drehte sich im Kreis und suchte immer noch verzweifelt nach einem Mobilfunknetz. »Mist! Mein Handy bekommt einfach keine Verbindung«, stöhnte sie und schaute Kim ratlos an.

Kim knabberte nachdenklich an ihrer Unterlippe, murmelte etwas vor sich und holte nun schnell auch ihr Handy aus dem Wagen. »Mist aber auch.« Nun war sie es, die frustriert in den Schnee stampfte. »Mein Akku ist leer«, stöhnte sie händeringend und schaute Carla niedergeschlagen an.

Einen langen Moment verharrten die beiden an Ort und Stelle und schauten sich nur noch ungläubig und hilflos an.

»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Kim ganz aufgeregt.

Carla verzog nachdenklich das Gesicht. »Hm . . . Losmarschieren und Hilfe suchen.« Sie blickte um sich und stieß einen tiefen Seufzer aus. »So wie es aussieht, werden wir ganz schön lange unterwegs sein.«

»Mist! Das hat mir gerade noch gefehlt«, schimpfte Kim wie ein Rohrspatz. »Für eine Wanderung im Schnee habe ich nun wirklich die falschen Schuhe an«, brummte sie.

Carla konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen. »Ach ja? Was du nicht sagst«, entgegnete sie anzüglich. »Hatte dein Auto etwa auch die falschen Schuhe?« Sie räusperte sich. »Bitte verzeih«, sagte sie neckend und zwinkerte Kim verschmitzt zu. »Ich meine natürlich Reifen. Du kamst beim Tierheim ja dermaßen um die Ecke gerast. Ich wette, du warst mit Sommerreifen unterwegs«, sagte sie mit Humor in der Stimme.

»Ach du . . .«, zischte Kim unwirsch und winkte ab. Es schien, als müsste sie erst nach der passenden Antwort suchen. Wütend stampfte sie in den Schnee. »Also, dann lass uns Hilfe suchen«, murmelte sie und rümpfte die Nase.

Carla öffnete die Heckklappe. Max und Moritz sprangen voller Begeisterung aus dem Auto. Die beiden Senioren waren für ihr Alter, neun und zehn Jahre alt, noch richtig fit . . . sozusagen rüstige Rentner. Sie freuten sich riesig, im Neuschnee herumzutoben. Ab und zu versuchten sie, einzelne Schneeflocken aufzufangen. Fröhlich bellend rannten sie über die weißen Wiesen und wälzten sich ausgiebig im Schnee.

Carla lachte vergnügt. »Schau mal . . . Kim. Max und Moritz haben einen Riesenspaß«, sagte sie und versank sogleich in Kims wunderschönen Augen. »Ach . . . der Anblick der beiden erwärmt doch gleich mein Herz«, flüsterte sie. Und erst dein Anblick . . . Kim. Wenn du wüsstest . . .

Kim lächelte verhalten und verharrte mehrere Momente in Carlas Blick. Dann ging sie ein paar Schritte weiter. »Hm . . . Erfreuen wir uns doch an den beiden, solange wir noch können. Bald werden wir sie ja nicht mehr um uns haben. Bald werden sie aus unserem Leben verschwunden sein«, meinte sie und schaute Carla traurig an. »Du willst sie ja unbedingt ins Tierheim zurückbringen.« Ihrem Augenwinkel entwich eine Träne, die sie sofort wegwischte. »Weißt du . . . dieser Gang ins Tierheim wird mir sehr schwer fallen, denn eigentlich möchte ich Max ja behalten«, seufzte sie. »Aber du . . . du Moralapostel musstest mir ja dermaßen ins Gewissen reden.« Sie holte tief Luft. »Aber natürlich will auch ich nur das Beste für die beiden, genauso wie du«, meinte sie nun mit weicherer Stimme. »Deshalb.« Sie straffte die Schultern. »Lass uns diesen Anblick genießen«, sagte sie tonlos und marschierte weiter durch den Schnee. »Und . . . und wir müssen endlich Hilfe finden, bevor es dunkel wird«, meinte sie und kämpfte sich weiter durch den Schneesturm.

Ja, Hilfe suchen . . . Wie recht du doch hast, Kim. Nur, das wird gar nicht so einfach werden. Hier ist weit und breit nichts, einfach nichts, schoss es Carla durch den Kopf. Mist, hoffentlich kommen wir einigermaßen heil aus dieser Misere heraus, stöhnte sie innerlich und hielt ihr Mobiltelefon immer wieder mal in die Höhe, um zu kontrollieren, ob das Glück nicht vielleicht doch noch auf ihrer Seite stand und sie endlich Netzempfang hatten. Doch da war nichts. Fehlanzeige. Den beiden blieb nichts anderes übrig, als Schritt für Schritt weiter durch den Schnee zu marschieren, ohne zu wissen, wo der Weg eigentlich hinführte.

Nun waren sie schon über eine Stunde unterwegs, in stetem Trott marschierten sie immer weiter durch den dichten Schnee. Plötzlich riss Carla erfreut die Augen auf. «Eine Hütte! Eine Hütte!«, rief sie und begann nun, durch den Schnee zu joggen.

Kim drehte sich ein paar Mal im Kreis. »Wie? Was? Wo?«, fragte sie ganz aufgeregt. »Eine Hütte? Wo denn?«

Carla zeigte an den Waldrand hoch. »Dort . . . dort oben«, antwortete sie und lief weiter durch den Schnee.

Kim rannte eilig hinter Carla her. Aber eben . . . das liebe Schuhwerk. Es machte plumps, und Kim landete auf ihrem Hintern. »Autsch«, stöhnte sie und blieb liegen.

Carlas Kopf schnellte nach hinten. »Oje! Kim! Hast du dir wehgetan?«, fragte sie ganz besorgt und joggte eilig zu ihr zurück.

Kim winkte ab. »Nein, nein. Scheint alles noch am richtigen Ort zu sein«, meinte sie und verzog entnervt das Gesicht.

Carla reichte Kim die Hand. »Gib mir deine Hand. Ich helfe dir hoch«, sagte sie und lächelte ihr aufmunternd zu.

Kim nahm Carlas Hand. Nur, ob das so eine gute Idee war? Nun machte es nämlich ein zweites Mal plumps . . . und na ja . . . Jetzt stand auch Carla nicht mehr, sondern lag oben auf Kim drauf. Was für eine missliche Situation aber auch . . .

Einen langen Moment versanken ihre Blicke ineinander. Doch dann erstarrte Kim. »Ähm . . . wie wär’s? Würdest du bitte . . . Ich möchte gern aufstehen«, sagte sie recht unfreundlich. »Und überhaupt . . . tolle Hilfe . . . echt«, zischte sie und versuchte sich unter Carla aufzurappeln.

Ihr eigenes Verhalten jagte Carla einen mächtigen Schrecken ein, und sie riss sich augenblicklich von Kims wunderschönen Augen los. »Oh . . . ach . . . bitte entschuldige. Es tut mir leid. Wie peinlich«, kam es ihr unzusammenhängend über die Lippen, und sie errötete bis unter die Haarwurzeln. Schnell erhob sie sich und reichte Kim erneut die Hand.

Kim schaute Carla skeptisch an. »Nein, danke«, wehrte sie lächelnd ab. »Das hatten wir doch eben schon einmal.«

Als sie sich endlich aufgerappelt hatten, standen sie sich wieder gegenüber. Beide schienen nicht so ganz zu wissen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten. Vorsichtig klopften sie sich gegenseitig den Schnee von den Kleidern und marschierten schließlich stumm und in Gedanken versunken in Richtung Hütte.

Endlich waren sie bei der Waldhütte angekommen. Von außen glich sie eher einem Hexenhäuschen, inmitten von mächtigen Tannen, die jetzt allerdings nicht mehr grün, sondern strahlend weiß waren. Um dieses Knusperhäuschen herum herrschte eine geheimnisvolle Stimmung. Es wirkte fast schon ein bisschen unheimlich. Die Abenddämmerung hatte gerade begonnen, und ein eisiger Wind pfiff den vier Schutzsuchenden um die Ohren.

Kim hielt die Türklinke in der Hand und wollte in die Hütte. Doch die war, wie zu erwarten, verschlossen, und so schaute sie als nächstes durch ein Fenster ins Innere des Häuschens.

Carla blieb erstmal ruhig stehen und tippte sich nachdenklich mit dem Zeigefinger an die Lippen. Dann ging sie entschlossen zur Tür und tastete den Rahmen um den Eingangsbereich ab. Und siehe da, aus einer Holzritze kam tatsächlich ein kleiner Schlüssel zum Vorschein. Es war zu schön, um wahr zu sein. Simsalabim und die Tür öffnete sich.

Kim starrte Carla verblüfft an. »Wow . . . alle Achtung. Ich ziehe den Hut vor dir«, meinte sie, lächelte und zog nun wirklich symbolisch vor Carla den Hut. »Wie konntest du wissen, dass in der Ritze ein Schlüssel versteckt ist?«, fragte sie.

Carla lachte. »Eine Waldfee hat es mir soeben ins Ohr geflüstert«, witzelte sie hinter vorgehaltener Hand. Dann räusperte sie sich. »Nein . . . Reiner Zufallstreffer. Habe ich schon oft in Filmen so gesehen«, flüsterte sie und zwinkerte Kim verschwörerisch zu.

Kim verdrehte die Augen. »Nicht schlecht.« Sie rief Max und Moritz zu sich. Zu viert spazierten sie in die schützende Hütte, während draußen gerade ein Jahrhundert-Schneesturm zu toben begann. Kim schloss von innen die Tür ab. In der Hütte war es gerade noch hell genug, um sich einen vagen Überblick zu verschaffen. Schnell entdeckte Kim Kerzen und Streichhölzer. Erleichtertet atmeten sie einmal tief durch, und Kim zündete rasch ein paar Kerzen an, was die Hütte sogleich in eine romantische Oase verwandelte.

Die Einrichtung war spärlich. Ein Bett, ein Tisch und vier Stühle. In einer Ecke gab es eine kleine Feuerstelle, Brennholz, Zeitungen, ein paar Töpfe, Teller, etwas Besteck und ein paar Gläser. Auf dem Brennholz lag ein Jutesack mit Kartoffeln. Und dann kam noch etwas ganz anderes zum Vorschein. Kräuterlikör. Und davon gleich drei Flaschen. Carla und Kim schauten sich kurz an, räusperten sich und versuchten, sich ein Grinsen zu verkneifen. Max und Moritz schnupperten kurz alles ab und legten sich schließlich entspannt und einmal mehr aneinander gekuschelt in eine Ecke, wobei sie Carla und Kim interessiert beobachteten. Offenbar war ihnen noch nicht nach schlafen. Carla ging zu ihnen hin und breitete eine Wolldecke, die sie soeben in einer Ecke entdeckt hatte, für die beiden auf dem Boden aus. Max und Moritz machten es sich nun so richtig gemütlich.

Carla rieb sich die Arme. »Brrrr . . . was für eine Kälte«, seufzte sie und blickte sich in der Hütte um.

Kim ging eilig zur Feuerstelle hinüber, zeigte aufs Holz und die Zeitungen. Zielstrebig griff sie nach den Streichhölzern. »Ich mache uns erst einmal ein wärmendes Feuer«, sagte sie fest entschlossen.

Carla lächelte. »Gute Idee. Aber ich brauche jetzt unbedingt einen Likör. Meine Großmutter hat immer gesagt, dass so ein Likör wunderbar von innen wärmt.« Sie griff nach einer Flasche und zwei Schnapsgläsern. »Auch einen?«, fragte sie und zwinkerte Kim zu. »So eine doppelte Wärme kann jetzt bestimmt nicht schaden«, meinte sie und füllte beide Gläschen, ohne erst Kims Antwort abzuwarten. »Wärme . . . von innen und Wärme von außen«, witzelte sie.

»Oje . . . das kann ja heiter werden«, seufzte Kim und hatte ihre liebe Mühe, ein anständiges Feuer zu entfachen. Als es endlich loderte, entspannte sie sich ein wenig. »So, das wäre geschafft. Jetzt kann ich einen Likör wirklich gut vertragen . . . so für die doppelte Wärme«, knüpfte sie an Carlas Scherz an, nahm ein Glas und prostete Carla mit einem tiefen Blick zu. Eine gefühlte Ewigkeit verweilten ihre Blicke ineinander, während für einen Moment die Zeit stehenzubleiben schien.

Die beiden lächelten sich an und setzten sich schließlich ganz nah ans Feuer, wo sie beide tief in Gedanken versunken dem Spiel der Flammen zuschauten.

»Wir könnten Pellkartoffeln machen«, sagte Carla wie aus heiterem Himmel. »Irgendwie habe ich nämlich Hunger, aber was anderes, außer Kartoffeln, gibt es hier wohl nicht«, sagte sie geknickt.

Kim verzog das Gesicht. »Gute Idee . . . wobei . . . das wohl ganz schön lange dauern wird, bis die gut sind«, meinte sie und zeigte aufs Feuer.

Carla lächelte. »Macht doch nichts. Vor morgen früh kommen wir hier eh nicht weg.« Erneut schaute sie Kim tief in die Augen. »Und bis dann sollten die Kartoffeln doch gut sein. Meinst du nicht auch?«, fragte sie reichlich geistesabwesend.

Kim schüttelte den Kopf. »Du und dein Humor«, murmelte sie vor sich hin und schenkte Carla ein warmes Lächeln.

Carla runzelte die Stirn. »Ja, was ist damit?«, fragte sie ziemlich keck.

Um Kims Mundwinkel zuckte es amüsiert. »Süß. Irgendwie richtig süß«, antwortete sie, räusperte sich verlegen und errötete. Um der peinlichen Situation zu entkommen, blickte sie sich hastig um und griff fast panikartig nach einem großen Topf. »Ich bin dann mal weg . . . ähm draußen . . . Schnee holen, da . . . damit wir Wasser zum Ko . . . Kochen haben«, stotterte sie, raufte sich die Haare und marschierte in die Dunkelheit hinaus.

»Oookay«, entgegnete Carla etwas verdutzt, starrte einen langen Moment auf die soeben zugeflogene Tür und blickte erneut ins Flammenspiel. Um Himmels willen . . . was ist das denn? Etwa der Likör? Mir ist auf einmal ganz warm. Nachdenklich strich sie sich über die Stirn. Wobei . . . ich habe doch erst ein Gläschen davon getrunken. Aber diese Kim . . . irgendetwas ist da. Ich fühle mich wie von Zauberhand zu ihr hingezogen. Kann es sein . . . Mit einem verschleierten Blick schaute sie zu Max und Moritz hinüber. Nein, nein, nein. Ich werde mich nicht in Kim verlieben. Die Frau wird mir das Herz brechen. Kim will allein durchs Leben gehen. Das hat sie mir heute mehr als einmal unmissverständlich zu verstehen gegeben.

Carla kam es so vor, als wäre Kim schon eine halbe Ewigkeit mit Schnee einsammeln beschäftigt. Langsam aber sicher machte sie sich Sorgen um sie, stand auf und wollte gerade nach ihr schauen. Doch kurz bevor sie die Tür erreicht hatte, öffnete sie sich von außen, und Kim stand irgendwie verwirrt vor ihr.

Carla schaute Kim eindringlich an. »Geht’s dir nicht gut?«, fragte sie besorgt.