Die Weihnachtskrippe - Klaus Bergdolt - E-Book

Die Weihnachtskrippe E-Book

Klaus Bergdolt

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Beschreibung

Krippenausstellungen, Krippenvereine und Krippensammlungen in Museen bezeugen das Interesse an diesem Zugang zum Weihnachtsfest, auch wenn nicht mehr in jedem christlichen Haushalt eine Weihnachtskrippe aufgebaut wird. Klaus Bergdolt erkundet die kulturhistorischen Zusammenhänge der Weihnachtskrippe von der Frühzeit bis ins 19. und 20. Jahrhundert. Historische, philosophische, ästhetische und theologische Faktoren wirkten auf ihre Entwicklung ein. Zahlreiche Motive und Details sind heute erklärungsbedürftig, nicht nur die Geburt Jesu in einem Stall, sondern auch der Stern von Bethlehem, das Auftauchen der Magier, Ochs und Esel … Spannend sind die Entwicklungen und Varianten der europäischen Krippengeschichte, deren Blütezeit zwischen 1650 und 1850 lag. Italien und der südliche deutsche Sprachraum bilden einen besonderen Schwerpunkt.

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Klaus Bergdolt

Die Weihnachtskrippe

Theologie, Kunst, Anthropologie

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2021 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg

Tel. 09 41/920 220 | [email protected]

ISBN 978-3-7917-3285-5

Umschlaggestaltung: Heike Jörss, Regensburg

Umschlagbild: © 2015 KNA, www.kna-bild.de – Nutzungsrechte vorbehalten

Foto: KNA/Adelaide Di Nunzio

Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau

Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany 2021

eISBN 978-3-7917-6212-8 (epub)

Unser gesamtes Programm finden Sie im Webshop unter www.verlag-pustet.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einführung

Theologische Herausforderungen

Die Magier aus dem Morgenland

Ikonen statt Krippen?

Der Stern von Betlehem

Christus als Logos – Jüdische und heidnische Einflüsse

Die „Geburtsszene“

Die Botschaft von Freude und Frieden

Der Anfang der Krippenkultur

Von Rom nach Nordafrika – Weihnachten als globales Fest

Ursprünge in Neapel

Mission und kulturelle Anpassung

Neue Konzepte, neue Visionen

Franziskus und das geistliche Schauspiel

Tirol

Effekte der Mystik

Der Triumph der Neapolitanischen Krippe

Krippen-Soziologie

Der bayrisch-österreichische Raum – die Krippen der Orden und Bruderschaften

Verdikte der Aufklärung

Die Profanisierung

Bildnachweis

Literatur

Anmerkungen

Vorwort

Von einer „Kultur der Weihnachtskrippe“ kann in den westlichen Ländern kaum noch gesprochen werden. Das Fest der Geburt Christi ist, unter dem Siegel von Toleranz und Nächstenliebe, längst zum Fest der Geschenke degradiert, das nicht nur vom Kommerz bestimmt wird, sondern ganze Wirtschaftszweige am Leben erhält. „Ostern ist das neue Weihnachten“, titelte eine deutsche Zeitung im April 2020, nachdem die Anzahl der Paketzusendungen, bedingt durch die Corona-Krise, jene von Weihnachten übertroffen hatte. Das subtile, mystisch angehauchte, theologisch komplizierte Geschehen von Betlehem und seine einzigartige Akzeptanz in der christlichen Lebenswelt bis ins 20. Jahrhundert hinein findet in säkularen, gerade zur Weihnachtszeit optisch überfrachteten Gesellschaften, von einigen Orten in Süditalien, Altbayern oder Österreich abgesehen, kaum mehr wirkliches Interesse. Die Entwicklung könnte, wird sie überhaupt noch wahrgenommen, zu Ironie und Sarkasmus reizen. „Jedes Jahr ziehen drei exotisch gekleidete Gestalten auf Kamelen durch die deutschen Wohnzimmer, treiben Hirten ihre Schafe über Tisch und Kommode, bis sie schließlich zu einem Stall gelangen, in dem ein Baby friedlich im Stroh schlummert. Mutter, Vater, Ochs und Esel stehen drum herum, während draußen ein Komet vorbeifliegt. Wer hat sich das eigentlich ausgedacht?“, umschrieb ein Journalist in der FAZ zu Weihnachten 2020 den weit verbreiteten, kühl-säkularen Zugang zum Weihnachtsgeschehen.1 Das Ende der Krippenkultur scheint eingeläutet, das „postchristliche“ Zeitalter fordert, wen könnte es wundern, selbstverständlich auch bezüglich der religiösen Volkskunst seinen Tribut.

Dabei gehörte die Begeisterung für Krippen, ob in Kirchen oder im privaten Umfeld, einst zum zentralen Bestandteil weihnachtlichen Brauchtums und trug vor allem im katholisch-deutschen Sprachraum zur vielzitierten Innerlichkeit des Festes bei. Doch wurde ihre Bedeutung – möglicherweise eine Sekundärfolge liturgischer Traditionsbrüche, wie sie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil üblich wurden – in den letzten Jahren gerade auch in katholischen Regionen abgewertet. Die Verkürzung der Weihnachtszeit bis zum „Sonntag nach Dreikönig“ (jahrhundertelang dauerte sie, begleitet von zahlreichen Festen und volkstümlichen Ritualen, bis zum 2. Februar, dem Fest Mariä Lichtmess) ließ die noch vor 100 Jahren vielerorts unvorstellbare Frage aufkommen, ob es sich überhaupt lohne, Krippen aufzubauen. Wie uralte, seit dem frühen Christentum gewachsene Liturgien oder seit Menschengedenken verehrte sakrale Kunstwerke, die ihre endgültige Heimat zunehmend in Museen finden und deren Schönheit meist nur noch im Rahmen von Block-Buster-Ausstellungen wahrgenommen wird, verdächtigt man die Krippentradition zunehmend – katholische Geistliche sind hier keineswegs ausgenommen – mit geradezu neoreformatorischem Impetus, einer oberflächlichen, eher formal-äußerlichen Glaubenskultur Vorschub zu leisten, die vom Wesentlichen ablenke.

Die Weichen hierzu wurden, wie so oft in der westlichen Kulturgeschichte, im 19. Jahrhundert gestellt. Für Jakob Burckhardt (1818–1897), den wohl einflussreichsten Kunsthistoriker seiner Zeit, stand hier die gesamte „alte Kunst“ unter Generalverdacht. Ihr eigentlicher – für Burckhardt kunsthistorischer – Wert ließ sich, folgte man dem Schweizer Gelehrten, nur durch eine radikale Loslösung von ihrem ursprünglich religiösen Kontext erfassen, der bestenfalls zur soziologischen Analyse, etwa des Umfelds der Auftraggeber taugte.2 Diese Haltung beeinflusste nachhaltig die mittel- und nordeuropäische Kunst- und Mentalitätsgeschichte, die nicht nur im akademischen Bereich bürgerlich-protestantisch geprägt blieb. Ein vertiefter religiöser Glaube war für Burckhardt nur ohne die aus seiner Sicht ablenkende, ja vernebelnde Rolle kirchlicher Kunst möglich, deren wissenschaftlich-ästhetischer Reiz – der Autor des Bestsellers „Die Kunst der Renaissance in Italien“ (1860) hatte hier besonders den katholisch-italienischen Süden vor Augen – seiner Meinung nach jede religiöse Faszination zweitrangig erscheinen ließ. Die Welt der „Andachtsbilder“ (Goethe) wurde belächelt. Gläubigen, die vor Altarbildern oder Kruzifixen beteten, wurde intellektuelle Dürftigkeit unterstellt. Auf dem Feld der Musik hat jüngst Jan Assmann am Beispiel der Missa solemnis Beethovens eine vergleichbare Autonomisierung des „Kunstwerks“ postuliert: Spitzenwerke „emanzipieren“ sich demnach, so die klassisch-kulturprotestantische These, „durch ihre innere Größe“ aus dem ursprünglich liturgisch-katholischen Rahmen. Dass Beethoven, was dokumentiert ist, gerade mit der Missa solemnis – er hielt sie für bedeutender als die Neunte Symphonie! – zweifellos auch „religiöse Gefühle“ wecken wollte, erschien Forschern, die sich in der Tradition Adornos sahen und sehen, mehr als irritierend.3 Weihnachtskrippen (ital. Presepi), nach Burckhardts Theorie eine Ablenkung vom Wesentlichen par excellence, waren hier natürlich besonders verdächtig. Derartige Produkte katholischer „Volksfrömmigkeit“ ließen die aufgeklärten protestantischen und agnostischen Eliten an ihrem teleologisch-rationalistischen Weltbild [geradezu] verzweifeln“.4 Seriös erschien hier bestenfalls noch eine politisch-historische oder volkskundliche Analyse, die lange Zeit, besonders was Italien betraf, eine moralisierende Betrachtung des eher verachteten südlichen Umfelds einschloss, das als natürlicher Gegensatz zum aufgeklärten Norden galt. Römer und Neapolitaner, in deren Wohnstuben und Hinterhöfen man den Ursprung der Krippen vermutete (in Wirklichkeit spielten hier eher Kirchen, Klöster und Palazzi die entscheidende Rolle, vgl. S. 105 f.), galten nun einmal als „halbkriminell“, faul und gewohnt, von Almosen zu leben. Nicht nur die deutschsprachige Reiseliteratur des 18. und 19. Jahrhundert liefert hier zahllose Beispiele.5

Inzwischen dürfte das Desinteresse an christlich-weihnachtlicher Kunst, begünstigt von einem zeitgeistgesteuerten Unverständnis für mittelalterliche und spätgotische, aber auch barocke Gemälde und Skulpturen, die Entfremdung von der Krippe weiter beschleunigt haben. Man kann sich sogar fragen, ob selbst die ironisch-distanzierte Darstellung der FAZ, was die zeitliche und lokale Verallgemeinerung angeht, nicht bereits Wunschdenken widerspiegelt. Die Erfahrung, dass das entsprechende „Basiswissen“, sehen wir von der Kernszene im Stall von Betlehem ab, aus dem religiösen Bildungskanon selbst von Kirchgängerinnen und Kirchgängern verschwunden ist, scheint in den Führungsgremien der deutschsprachigen Kirche – Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel – dazu geführt zu haben, sich hier anzupassen, d. h. zu überkommenen Weihnachts- und Krippenbräuchen im Zweifelsfall auf Distanz zu gehen.6

Angesichts dieser innerkirchlichen Vorbehalte, die einer überaus kritischen Betrachtung ästhetisch-liturgischer Traditionen Vorschub leisten, kann es kaum überraschen, wenn unsere säkular bestimmte Gesellschaft Krippen eher Verwunderung als Bewunderung entgegenbringt. Wer eine größere Krippe besitzt und zeigt (seit alters handelte es sich auch um Orte weihnachtlicher Kommunikation!), gerät für Außenstehende, d. h. die Mehrheit der Bevölkerung, rasch in den Verdacht, einem kindlich-naiven Spieltrieb zu frönen. Nicht wenige Zeitgenossen sehen sich hier mit einem exotisch erscheinenden Kunstobjekt konfrontiert, dem die meisten Menschen – Ausnahmen bestätigen die Regel – eher hilflos gegenübertreten. Kindern erklärt man die Szenerien wie antike Mythologien oder arabische Märchen, d. h. aus der Sicht distanzierter Dilettanten, die über den Dingen, aber keinesfalls für den Inhalt stehen. Auch infolge des religiös unmusikalisch, weitgehend ahistorisch und eher anti-ästhetisch geprägten Mainstreams der Gegenwartskunst ist ein kulturhistorisches oder gar religiöses Verständnis von Krippen in Westeuropa, speziell in Deutschland, schwierig geworden. Moralismus und Ästhetizismus gelten im Zweifelsfall, wie schon Thomas Mann herausgestellt hat, als fast inkompatible Gegensätze, Moralisten sehen die südliche Schwäche fürs Schöne in der Regel mit Argwohn. Thomas Mann brachte sie – zweifellos eine tendenziöse Provokation – in den „Aufzeichnungen eines Unpolitischen“ exemplarisch mit dem schwülstig-erhitzten Kunststil des expressionistischen Dichters Gabriele d’Annunzio in Verbindung, dem er die eigene, nordisch-nüchtern Variante des Begriffs „bellezza“ entgegenstellte.7 Auch die Kirchen schlagen sich hier längst ins Lager der Moralisten. Fragen wie jene nach der Epiphanie Gottes, dem großen Thema aller Weihnachtskrippen, geraten, wie es scheint, gerade dann ins Hintertreffen, wenn ästhetische Fragen berührt werden. Nietzsches kaum noch bekannte Erfahrung, dass die Schönheit von Kunstwerken selbst in einem philosophischen „Freigeist“ ein „Mitklingen der lange verstummten, ja zerrissenen metaphysischen Saite“ bewirken kann, wird verdrängt.8 Zumindest nach strenger Burckhardt’scher Observanz gilt ein solcher Kunstgenuss in der Tat als naiv.

Gestehen wir uns deshalb, wenn wir uns mit der Weihnachtskrippe beschäftigen, bei allem theologischen und kunsthistorischen Interesse, bei aller kulturhistorischen Neugier einfach einmal das Recht auf jene Unbefangenheit zu, die der Basler Gelehrte Burckhardt infrage stellte. Ohne sie wäre die Beschäftigung mit diesem Thema Stückwerk. Fest steht, dass Krippen Generationen von Westeuropäern und Südamerikanern auf einfache Weise den Zugang zum Geschehen von Betlehem vermittelt haben. Sie waren dabei nicht nur religiös-pädagogisch von Bedeutung, sondern sensibilisierten selbst einfache Menschen für künstlerische Fragen. Fast spielerisch lernte man, Volkskunst von Meisterwerken zu unterscheiden. Schon im 17. Jahrhundert sahen Kinder in Krippenfiguren aber auch eine Art geistliches Spielzeug, das sich anfassen ließ und das Geheimnis der Heiligen Nacht auf geradezu haptische Weise vermittelte. Religionspädagogisch war das keineswegs unerwünscht. Die hiermit verbundene Chance, Biblisches en miniature zu begreifen, hatten bereits die Jesuiten und andere Ordensgemeinschaften des 16. Jahrhunderts erkannt (vgl. S. 120–123). Spätestens seit dem 19. Jahrhundert wurden und werden private Krippen, zumeist ältere Sammlerstücke italienischer Herkunft, auch im protestantisch-bürgerlichen Umfeld, nicht zuletzt im Adel wegen ihrer besonderen ästhetischen und emotionalen Wirkung geschätzt. Die von Burckhardt geforderte Transformation zum musealen Objekt wurde hier früh vollzogen. Dabei standen keineswegs nur großflächige Krippenszenarien im Mittelpunkt. Auch Einzelfiguren, nicht selten von bekannten Künstlern der Renaissance und der Barockzeit hergestellt, übten dank ihrer besonderen Schönheit eine beachtliche Faszination aus. Nicht zufällig entstanden gerade gegen 1900 zahlreiche bedeutende Sammlungen, allen voran jene des Bayerischen Nationalmuseums in München, des Diözesanmuseums in der Hofburg in Brixen und des Museo di San Martino in Neapel. Wenn hier auch in der Weihnachtszeit Schulklassen oder Eltern mit ihren Kindern häufiger zu sehen sind, kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Wissen um die Tradition der Krippen rapide schwindet. „Weihnachtsmänner“ und „Wintermärkte“ stellen eine beachtliche Konkurrenz dar und reflektieren vordergründig sogar die in der Öffentlichkeit eingeforderte religiöse und weltanschauliche Neutralität.

Dabei müsste nachdenklich stimmen, dass – wie zahlreiche Sonderausstellungen, etwa 2015 im Museum Schnütgen in Köln oder 2016/17 im Diözesanmuseum Hildesheim, aber auch persönliche Erfahrungen vieler Krippenfreunde zeigen – das Interesse an dieser Kunstgattung entgegen allen Vorurteilen durchaus erfolgreich vermittelt werden kann. Nicht nur künstlerische Spitzenwerke verfügen immer noch, auch unter jungen Menschen, über eine beachtliche Faszination. Eine Minderheit von Kunstfreunden, Sammlern oder im christlichen Brauchtum erzogenen Menschen fühlt sich hier Jahr für Jahr immer noch auf geheimnisvolle Weise angezogen. Viele engagieren sich in Krippenvereinen, Kirchengemeinden und Heimatmuseen, so dass alte und neu geschaffene Weihnachtskrippen vom Ende der Adventszeit an auch in zahlreichen Kinder- und Altenheimen, Kirchen, Klöstern und Krankenhäusern bewundert werden können. Was stilistische Fragen oder den Ankauf alter Figuren angeht, tauscht man sich wie selbstverständlich mit Hilfe der Neuen Medien aus. Per Internet lassen sich, wenn auch unter Verzicht auf die berühmte Aura, die nur das Original vermitteln kann, fast alle berühmten Krippen der Welt betrachten. Die Krippenkultur überlebte, so gesehen, zunächst einmal als Sparte der Volkskunst, der lokale Museen oft erstaunlichen Raum einräumen. Wer wüsste nicht gerne, was da auf kleinster Bühne im Detail dargestellt ist und warum diese kleine Theaterwelt (vgl. auch S. 90–93), die eine besondere Wärme und Menschlichkeit ausstrahlt, in der Vergangenheit eine so einzigartige Bedeutung besaß!

Das vorliegende kleine Buch präsentiert die komplexen kulturhistorischen Zusammenhänge vor allem der Frühzeit der Weihnachtskrippe. Kulturhistorische, philosophische, ästhetische und theologische Faktoren prägten ihre Entwicklung. Unter den Kirchenvätern und frühen Theologen entbrannte in der Tat eine heftige Diskussion um die Deutung der im Neuen Testament beschriebenen Ereignisse. Man darf spekulieren: Hätten die frühen Konzilien in grundlegenden Fragen der Epiphanie Christi anders geurteilt, hätten sich etwa die Bilderfeinde und Ikonoklasten durchgesetzt, gäbe es heute keine Krippen, ja wahrscheinlich nicht einmal das Weihnachtsfest. Anschließend werden die Hauptlinien bzw. wichtigsten Varianten der europäischen Krippengeschichte skizziert, deren Blütezeit, mit lokalen Unterschieden, zwischen 1650 und 1850 lag. Italien und der südliche deutsche Sprachraum bilden naturgemäß aufgrund ihrer zutiefst katholischen Prägung einen besonderen Schwerpunkt.

Einführung

Die Umstände der Geburt Christi im heidnisch-antiken Umfeld, eines der zentralen Ereignisse der christlichen Heilsgeschichte, legten schon früh grundsätzliche Überlegungen nahe. Religiöse Narrative versuchte man samt ihrer in der Regel beachtlichen Symbolik bereits vor den antiken Hochkulturen, die zugleich Schriftkulturen waren, bildlich darzustellen. Es war offensichtlich ein menschliches Urbedürfnis, um eine von den Neuplatonikern entwickelte Vorstellung aufzugreifen, das Vorstellbare der an sich verborgenen Gottheiten anschaulich zu machen, ein Phänomen, das entscheidend zum Aufkommen der bildenden Kunst überhaupt beitrug. Mochten die Natur, das Wesen und der Einfluss der Numina letztlich unbegreiflich erscheinen, ihre Existenz blieb seit Urzeiten unbestritten. Nur im Kontrast zum Göttlichen ließ sich die Bestimmung des Menschen erahnen. Erhaltene Reliefbilder oder (meist sehr kleine) Figuren aus der Steinzeit lassen früheste kultische Funktionen vermuten. Später entstanden im ägyptischen, dann auch im assyrischen und babylonischen Umfeld erste künstlerische Meisterwerke, deren Sinn sich allein aus dem religiösen Kontext erschloss. Eine Ausnahme bildete dabei das Judentum, wo die Darstellung Gottes streng verboten war. Niemand durfte Jahwe mit dem Auge erblicken, weshalb seine Darstellung im Kunstwerk als Anmaßung, ja schwerer Gesetzesverstoß erschienen wäre. Gott sprach zu Auserwählten, er zeigte sich aber nicht. Es gab unter kunstbegeisterten Griechen sogar den Vorwurf, dass die Juden nicht wie andere Völker „bewundernswerte Männer“ (θαυμαστούϛ ἄνδρας) hervorgebracht hätten, die „in irgendwelchen Künsten kreativ“ wurden, was der jüdische Historiker Flavius Josephus mit guten Argumenten, etwa dem Hinweis auf den Tempelbau in Jerusalem, zu widerlegen suchte (Flavius Josephus, Contra Apionem 2, 135).

In der christlichen Kunst war die enge Verbindung von sakraler und künstlerischer Welt dagegen – wie auch in den meisten heidnischen Kulturen – von Anfang an von zentraler Bedeutung. Allerdings stritt man früh darüber, ob auch Christen das jüdische Bilderverbot zu respektieren hätten – endgültig wurde diese Frage erst im 9. Jahrhundert mit der Niederlage der Ikonoklasten beendet, die der bilderfeindlichen Tradition Altisraels zuneigten. Es handelte sich um eine höchst politische Entscheidung, die letztlich zwar zum Sieg der Bilderfreunde (Ikonodulen) im Osten, aber auch zu einer nachhaltigen Schwächung des Byzantinischen Reiches führte.9 Motive des Alten und Neuen Testaments wurden in der Malerei der Katakomben, auf frühchristlichen Sarkophagen und Epitaphien, auf Amuletten, Ringen, Reliquienbehältern, Pilgerampullen und liturgischen Geräten (Kelch, Pyxis, Kanne) sowie Bronze-, Stein- und Elfenbeinreliefs dargestellt, die Altäre, Ambonen, Säulen oder Throne von Trier bis Nordafrika und von Syrien bis Spanien verzierten. An einzelnen Orten hatte der Traditionalismus der Judenchristen bildliche Darstellungen zunächst verhindert, wie auch die Verfolgungen in den ersten Jahrhunderten die Abbildung verräterischer christlicher Sujets gebremst haben dürften (inwieweit Symbole wie der Fisch oder die Taube unter Gemeindemitgliedern als kryptische Erkennungszeichen dienten, bleibt in der Forschung umstritten). Motive der Rettung wie die Geschichte von Jonas und dem Walfisch oder Daniel in der Löwengrube, dazu die Wunder Christi, vor allem seine Krankenheilungen und Totenerweckungen, wurden in Kulträumen und Katakomben durch meist einfach strukturierte, aber höchst expressive Bilder popularisiert. Zunächst stand dabei dessen Rolle als Retter (griech. σωτήρ, lat. salvator) im Vordergrund. Aber auch Abendmahlszenen und erste Abbreviaturen der Passion wurden dargestellt. In der Sarkophagkunst und auf Mosaiken vom 4.–6. Jahrhundert, vor allem aber in der frühen Buchmalerei, die zu einem herausragenden christlichen Kulturträger werden sollte, finden sich bereits höchst differenzierte biblische Darstellungen.

Früh wurde auch klargestellt, dass Abbildungen von Christus und der Muttergottes, wie etwa in der Geburtsszene von Betlehem, sowie weiterer Heiliger, was ihre materielle Substanz betraf (Stein, Ton, Marmor usw.), wie am Ende noch einmal das zweite Konzil von Nikaia 787 betont hat, nur verehrt werden durften. Angebetet werden konnte, selbst im schönsten bildergeschmückten Umfeld, Gott allein, der nur vorübergehend, nämlich 33 Jahre in Christus, als Mensch unter Menschen sichtbar war. Durch die demonstrative Unterscheidung von Verehrung und Anbetung wurde der Vorwurf des Götzendienstes entkräftet, der von den Ikonoklasten vorgebracht worden war. Selbst Burckhardt sah im katholischen Christentum bis zur Frühen Neuzeit eine unerschöpfliche Quelle an Kunstmotiven, die Künstlern über Jahrhunderte durchaus Freiräume schufen.10 Die für diese Religion so charakteristische Reflexion über eigene Widersprüche und Aporien führte immer wieder zu gewaltigen künstlerischen Impulsen, die ihrerseits den theologischen Diskurs beflügelten.

Theologische Herausforderungen

Spätestens im frühen 4. Jahrhundert war auch Christi Geburt ein zentrales Motiv christlicher Kunst. Nicht nur seine symbolgetragenen Wunder und seine Auferstehung beschäftigten die Theologen, sondern auch die Menschwerdung des Erlösers, der zugleich Gott blieb. Dieses Faktum, für viele eine provokante These, die aller tradierter Logik widersprach, wurde jahrhundertelang in aller Schärfe diskutiert. Gott sollte Mensch geworden sein – war dieses für Anhänger wie Gegner des Christentums absurde Paradoxon überhaupt denkbar? Nie in der Geschichte der antiken Völker hatte es Vergleichbares gegeben, nie war Gott bzw. ein göttliches Wesen wie in Betlehem als hilfloses Wesen mit menschlichen Eigenschaften sichtbar geworden. Es kann nicht verwundern, dass es hier zu Disputen kam, die vorübergehend sogar zur Spaltung der noch jungen Kirche führten. Es wurde auf schmerzliche Weise klar, dass eine Interpretation gewisser Passagen des Alten und Neuen Testaments, selbst wenn sie, wie man später sagte, „historisch-kritisch“ intendiert war, auf unterschiedliche Weise möglich war (ein Phänomen, auf das im 18. Jahrhundert der französische Geistliche Richard Simon hinwies!).11 Der Kirchenvater Johannes Chrysostomos (um 400) forderte sogar – eine ungeheure Provokation des intellektuellen Umfelds! – die meditative Versenkung in den Stall von Betlehem, „damit wir unseren Herrn in Windeln in der Krippe liegen sehen“. Auch dies war eine Zumutung, ging es doch scheinbar darum, rationales Denken – wenn auch nur exklusiv in dieser Sache – zumindest zu relativieren. Man darf hier daran erinnern, dass bekannte Stoiker wie Seneca und Kaiser Mark Aurel ihre ganze Kraft darangesetzt hatten, dem Leib – verächtlich nannte man ihn „Fleisch“ (σαρκίδιον) oder „Körperchen“ (σωμάτιον) – geistig zu entfliehen. Dasselbe Ziel verfochten auch zahlreiche zeitgenössische Mysterienreligionen, die auf die „Befreiung“ vom „Gefängnis“ des Körpers setzten. Und nun sollte sich in Betlehem der höchste Logos, also Gott, umgekehrt vom Geistigen ins Körperliche „inkarniert“ haben? Im Westen ermahnte auch Hieronymus, ein Zeitgenosse des Johannes Chrysostomos, die Gläubigen, sich das Weihnachtsgeschehen zunächst einmal sinnlich zu vergegenwärtigen. Beide Kirchenväter, der östliche wie der westliche, betonten damit, dass der Sohn Gottes, ungeachtet seiner göttlichen Natur ganz und gar Mensch geworden sei. Gerade deshalb erschien die Vorstellung des kleinen, hilflosen „Christkinds“ emotional so berührend. Ungeachtet ihrer Bekanntheit, die in der westlichen Gesellschaft allerdings, wie Umfragen im studentischen Umfeld ergaben, rasant abnimmt, sei die berühmte Passage aus dem Lukasevangelium (Lk 2,1–20) hier noch einmal wiedergegeben:

In jener Zeit erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reichs in Steuerlisten einzutragen. Dies geschah zum ersten Mal. Damals war Quirinus Statthalter in Syrien. Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. So zog auch Josef aus der Stadt Nazareth in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt. Denn er war aus dem Hause und Geschlechte Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie fürchteten sich sehr. Der Engel aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll. Heute ist euch in der Stadt Davidas der Retter geboren, er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt. Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Ehre sei Gott in der Höhe, und Frieden auf Erden den Menschen, die guten Willens sind. Als die Engel sie verlassen hatten und in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Lasst uns nach Betlehem gehen und sehen, was uns der Herr verkünden ließ: So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag. Als sie es sahen, erzählten sie, was ihnen über das Kind gesagt worden war. Und alle, die zuhörten, staunten über die Worte der Hirten. Maria aber bewahrt alles, was geschehen war, in ihrem Herzen auf und dachte darüber nach. Die Hirten aber kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gesehen hatten.

So vertraut diese Geschichte Generationen von Christen später erschien – in einer Zeit, wo die meisten Gläubigen, gerade auch im Judentum, das Göttliche mit der Vorstellung grenzenloser Allmacht verbanden, der man Zorn und Rache, freilich auch Gerechtigkeit und Weisheit zuordnete, musste sie im wahrsten Sinn des Wortes unglaublich erscheinen. Nicht nur dem Gott des Alten Bundes, auch den griechisch-römischen Gottheiten war man über Jahrhunderte zitternd und furchtsam entgegengetreten. Der reaktive Tremor, das „furchtsame Zittern“ – es blieb im Christentum, wie auch Blitz und Donner, für das Jüngste Gericht reserviert –, stellte eine angemessene Reaktion auf das Unbegreifliche dar, die Begegnung mit dem göttlichen Numen ließ jede Alltagserfahrung versagen. So scheinbar menschlich es in der homerischen Götterwelt zugegangen war, so dreist sich etwa Zeus seinen Geliebten genähert hatte, es war allein schon der Rahmen der Mythologie, der die geziemende Distanz garantierte. Auch Osiris war, um ein in der Antike bekanntes Beispiel anzuführen, als Sohn der Isis eine haptisch wie optisch unfassbare Gottheit geblieben, nur seinen Priestern auf mystisch-geheimnisvolle Weise zugänglich. Ebenso blieb die altbabylonische bzw. assyrische Heilige Hochzeit