Die Weisheit der Roulettekugel - Ulf Pillkahn - E-Book

Die Weisheit der Roulettekugel E-Book

Ulf Pillkahn

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Beschreibung

Innovationen sind der Garant für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen und Organisationen. Doch die übliche Vorgehensweise, nämlich Innovationen "effizient" zu generieren, führt zur Trivialisierung. Nicht selten werden banale Neuerungen als wichtige Innovationen gefeiert. Wirklich bedeutende Innovationen aber lassen sich weder erzwingen, noch passieren sie einfach so. Sie finden nur statt, wenn Organisationen die Komfortzone verlassen. Ulf Pillkahn deckt die Schwächen klassischen Innovationsmanagements auf. Er betrachtet die Logik von Unternehmen und beschreibt die wesentlichen Effekte, die aus dem Innovationsverhalten von Unternehmen resultieren (Dornröschen-Effekt, Red-Queen-Effekt, Pionier-Effekt), und verknüpft sie mit Fallstudien bekannter Unternehmen. Er betrachtet die Entscheidungsprozesse in Unternehmen und warum es radikale Ideen so schwer haben. Und er zeigt, warum mutigere, schnellere Wege zu deutlich besseren oder zumindest gleichen Ergebnissen führen können. Als Ausweg aus dem Dilemma der klassischen Innovation empfiehlt Pillkahn die "Irritation", den permanenten Zustand innerer Unruhe, die ständige Bewertung von Impulsen, die Kombination klassischer und disruptiver Methoden. Pillkahn bringt den Leser immer wieder zum Nachdenken, denn er macht deutlich, dass das Einhalten von Normen, Konventionen, Standards und Kennzahlen zwar aktuelle Marktchancen erhöhen, Kosten sparen oder die Anerkennung von Mitarbeitern steigern kann, aber kaum auf Dauer den Unternehmenserfolg sichert.

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Die Weisheit der Roulettekugel

Innovation durch Irritation

von Ulf Pillkahn

ISBN 978-3-89578-720-1 (EPUB)

Vollständige EPUB-Ausgabe von Ulf Pillkahn, Die Weisheit der Roulettekugel

ISBN 978-3-89578-393-7 (Printausgabe 2013)

Verlag: Publicis Publishing, Erlangen

www.publicis-books.de

© 2013 Publicis Erlangen, Zweigniederlassung der PWW GmbH

Dr. Ulf Pillkahn ist Experte für Zukunftsfragen und Innovationen bei der Siemens AG in München. Er hat Elektro- und Informationstechnik studiert, lebte und studierte in Norwegen und Großbritannien und erwarb einen MBA in London. Er promovierte an der LMU in Psychologie (Titel der Dissertation: „Innovationen zwischen Zufall und Planung“) und ist seit 2011 Gastforscher und Dozent am Lehrstuhl für Innovation und Entrepreneurship der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.

Danksagung

Viele Ideen und Gedanken werden beim Schreiben verarbeitet, nicht selten entstehen diese in Diskussionen oder werden in Gesprächen angeregt. Für die Unterstützung und Motivation möchte ich mich bei Inga Bachmann, Volkmar Döricht, Karsten Ehms, Heinz Mandl, Steffen Mayer, Renate Pillkahn, Katja-Maria Prexl, Silke Sasano, Gerhard Seitfudem, Markus Schättin, Steffi Schulz, Marco Walz und den Studenten und Dozenten des Seminars Foresight, Innovation & Design-Thinking der Zeppelin Universität bedanken. Darüber hinaus bedanke ich mich bei meiner Firma – der Siemens AG – für die Herausforderungen und Möglichkeiten gleichermaßen. Und: Ich bedanke mich bei allen, die mir die Gelegenheit zum Verstehen gaben und geben.

Vorbemerkungen

In diesem Buch werden die folgenden Informationselemente verwendet:

Proposition

Einige der für die Ausführungen und Untersuchungen im Buch relevanten Begriffe und Konzepte werden in der Literatur unterschiedlich definiert und verwendet. Mit der Proposition wird die Art der Verwendung des jeweiligen Begriffes im Rahmen dieses Buches definiert, außerdem werden Ausgangspunkte für die weitere Darstellung und persönliche Positionen dargelegt.

Hypothese

Im Laufe der Ausführungen und aus dem Gang der Untersuchungen ergeben sich eine Reihe von Indizien, Argumenten, Zusammenhängen, Vermutungen und Aussagen. Diese werden als Hypothesen formuliert und soweit möglich im weiteren Verlauf auch erhärtet.

Erkenntnis

Aus Beobachtungen und ihrer inhaltlichen Verarbeitung werden Schlussfolgerungen gezogen und Einsichten formuliert. Diese werden als „Erkenntnis“ hervorgehoben.

Alle Abbildungen sind handgezeichnet. Das macht zum einen Spaß und man kommt beim Zeichnen schnell in den „Innovation-Mode“. Darüber hinaus symbolisiert diese Vorgehensweise, dass Innovationen immer etwas mit einem „Nicht-Perfekt-Sein-Anspruch“ und mit viel Improvisation zu tun haben. Sie inspirieren, so hoffe ich, zum Selberzeichnen und Kreativwerden und zeigen auch, dass man kein Powerpoint braucht, um innovativ zu sein.

Weitere Informationen zum Buch und aktuelle Entwicklungen bezüglich Innovationen kann man unter www.innovation-roulette.de weiter verfolgen.

Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Die Logik von Unternehmen (und warum sie scheitern)

2.1 Die Wertschöpfung im Mittelpunkt allen Tuns

2.2 Wissensschöpfung ist Hoffnung

2.3 Verknüpfung von Wert- und Wissensschöpfung

2.4 Und ewig lockt der Messwert

2.5 Die Schwierigkeit, Wissensschöpfung zu (re)animieren

3 Innovationen: Vom Mythos und dem Versuch der Bändigung

3.1 Das Spiel beginnt

3.2 Moderne Unternehmen managen vieles – aber nicht alles

3.2.1 Die Dialektik der Bürokratie

3.2.2 Management als bürokratische Disziplin

3.2.3 Intelligente Freiheit: Schwärme und Netzwerke

3.2.4 „Wir sind gut aufgestellt.“ Wirklich?

3.3 Zwei Welten prallen aufeinander

3.3.1 Die Quellen von Innovationen

3.3.2 Innovationsmanagement als Managementdisziplin

3.3.3 Einflussmöglichkeiten des Managements

3.3.4 Der Innovationsprozess als strukturgebende Größe

3.3.5 Über Risiko und Unsicherheiten

3.3.6 Innovation zwischen Zufall und Planung

3.4 Tendenzen im Innovationsmanagement

3.5 Innovation als unordentliche Wissenschaft

3.5.1 Innovation als Wissenschaft zwischen den Disziplinen

3.5.2 Modelle und Theorien erklären die Welt

3.5.3 Wie interpretiert man ein sprechendes Schwein?

3.5.4 Verwissenschaftlichungstendenzen

3.6 Raum für Reflektionen

4 Anamnese: 100 Jahre Innovationsmanagement

4.1 Innovationsfähigkeit, Industriedynamik und Unternehmenserfolg

4.2 Der Lebenszyklus von Industrien

4.3 Fallstudien als Grundlage der Theoriebildung

4.4 Zuordnung der Fallstudien und Identifikation von Mustern

4.5 Der Dornröschen-Effekt

4.6 Der Red-Queen-Effekt

4.7 Der Pionier-Effekt

4.8 Diskussion der Fallstudien und Effekte

5 Diagnose: Der Trend geht zum Bohren immer dünnerer Bretter

5.1 Alles beginnt mit einer Idee

5.2 Die Idee auf dem Weg durch die Organisation

5.2.1 Wenn Kleingeister über große Ideen entscheiden

5.2.2 Entscheidungen im Innovationsmanagement

5.2.3 Die Krawatten-Theorie

5.2.4 Je größer und je älter Organisationen sind, desto schwerer haben es Innovationen

5.2.5 Standardisierungen und Routinisierung

5.2.6 Zur nachlassenden Innovationsfähigkeit durch Routinen

5.3 Innovationsfähigkeit – eine Ad-hoc-Befragung

5.3.1 Versuchsanordnung

5.3.2 Auswertung und Ergebnisse

5.4 Die Evolution bohrt keine Bretter

5.5 Zwischenfazit

6 Therapie: Stimulierung durch Irritation

6.1 Irritation: Begriffsklärung

6.1.1 Irritation als Impuls für Veränderung

6.1.2 Störung, bewusste und unbewusste Irritationen

6.1.3 Zur Dosierung von Irritationen

6.2 Bausteine der Theorie der bewussten Irritation

6.3 Anregung durch Irritationen

6.3.1 Irritation zur Vermeidung des Tunnelblicks (Red-Queen-Effekt)

6.3.2 Irritationen zur Vermeidung des Dornröschen-Effekts: endogene Stimulierung

6.3.3 Stimulierung radikaler Innovationen (Pionier-Effekt) durch Irritation des Systems

6.4 Zur Irritierbarkeit von Organisationen

6.5 Endogene Irritation der Organisation

6.5.1 Innovationstrigger

6.5.2 Innovation Labs

6.5.3 Design-Thinking

6.5.4 Interne Märkte

6.6 Erhöhen der Innovationsvielfalt

6.6.1 Trennung von Routine- und Nicht-Routine-Funktionen

6.6.2 Experiment: Innovations-Roulette

6.6.3 Interpretation der Ergebnisse

6.6.4 Zufall bei der Personalauswahl

6.7 Systematische Beobachtung der Unternehmensumwelt

6.7.1 Vorbereitung auf mögliche Veränderungen

6.7.2 Foresight: Der Blick in die Zukunft

6.8 Diskussion der vorgestellten Ansätze

6.9 Prognose: Anwendung der Theorie

6.10 Irritation als Chance oder Bedrohung

7 Kritischer Ausblick

7.1 Kernaussagen zur Innovation – die Nuggets der Irritation

7.1.1 Wie belastbar ist die „Theorie der bewussten Irritation“?

7.1.2 Der Nutzen von Umwegen

7.1.3 Die Kultivierung des Zufalls

7.2 Das Dilemma der Balance

7.3 Und wie geht es weiter?

7.4 Axiome für erfolgreiches Innovieren

7.5 Machen wir es konkret

7.6 Schlussgedanken

8 Fallstudien

8.1 Fallstudie 1: Texas Instruments (TI)

8.2 Fallstudie 2: Polaroid

8.3 Fallstudie 3: Semco

8.4 Fallstudie 4: Siemens Mobile Phones

8.5 Fallstudie 5: Microsoft

8.6 Fallstudie 6: Google

8.7 Fallstudie 7: PARC Xerox

8.8 Fallstudie 8: 3M (Minnesota Mining and Manufacturing Company)

8.9 Fallstudie 9: Edison und GE

8.10 Fallstudie 10: Firestone Tire & Rubber

9 Verzeichnisse

9.1 Bilder und Tabellen

9.2 Propositions, Hypothesen und Erkenntnisse im Überblick

Endnoten

Literatur

1 Einführung

„Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall.“

Friedrich Dürrenmatt1

Anstoß und Grundlage für dieses Buch ist meine Dissertation mit dem Titel „Innovationen zwischen Planung und Zufall – Bausteine einer Theorie der bewussten Irritation“.

Zur Illustration des Erkenntnisfortschritts und der praktischen Relevanz werden Fallstudien verwendet. Die Auswahl von zehn Fallstudien aus einer Liste zahlreicher dokumentierter Fälle in der Literatur richtete sich im Wesentlichen nach dem beobachteten Innovationsverhalten und der verfügbaren Dokumentation.

Seit mehr als 20 Jahren arbeite ich bei der Firma Siemens, ich kenne mich ziemlich gut damit aus, was sogenannte „große“ Unternehmen bewegt und umtreibt. Nicht nur bei Siemens, auch bei anderen Unternehmen (darunter Coca-Cola, Danone, Deutsche Telekom, Volkswagen, B/S/H (Bosch Siemens Hausgeräte GmbH), BMW, Kärcher, IBM, Intel, Deutsche Bank, Samsung, HP, Amazon, aber auch Firmen wie Google oder LinkedIn) konnte ich beobachten, warum größere Organisationen sich häufig selber im Weg stehen, warum gerne und viel über Innovationen gesprochen wird, aber nur in Ausnahmefällen wirkliche Innovationen entstehen können, warum so zahlreich Gründe dagegen hervorgebracht werden und nur so Wenige sich dafür einsetzen – und warum es karrieretechnisch und politisch oft besser ist, gegen Innovationen zu sein. Ich mag meine Firma, aber natürlich wünschte ich mir, sie wäre innovativer und visionärer. Warum das nicht so einfach ist, wird im Buch geschildert.

Ich habe mich theoretisch-akademisch intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt, eine Menge praktische Erfahrung gesammelt und mich oft unbeliebt gemacht. Meine Meinung ist gereift und unterscheidet sich deutlich von der Lehrbuchmeinung. Aus meiner Sicht hat sich gezeigt, dass Innovation weniger mit Prozessen, Instrumenten und Indikatoren zu tun hat. Es ist vielmehr eine Kunst!

Wer an Innovation denkt, denkt nicht selten an Steve Jobs und an Apple. Lassen Sie uns daher mit einer der erfolgreichsten Innovationen der letzten Jahre beginnen: dem iPad (Bild 1). (Anmerkung: Nach Lehrbuchmeinung bezeichnet man eine Erfindung als (erfolgreiche) Innovation genau dann, wenn es gelingt, sie zu vermarkten.)

Bild 1Mit dem iPad entstand der Markt für Tablet Computer

Seit der Vorstellung des iPad am 27. Januar 2010 hat Apple bereits mehr als 100 Millionen Geräte – inzwischen in der 4. Generation – verkauft. Die Firma hat damit erfolgreich einen neuen Markt geschaffen: den der Tablet-Computer. Wachstumsraten von über 400 Prozent im Vergleich zum Markt für Laptops mit weniger als 5 Prozent signalisieren genau das, wovon Topmanager und Innovationsmanager aller Branchen träumen: ungesättigte Märkte mit riesiger Nachfrage. Tatsächlich gibt es (wenige) Firmen, die neue Märkte und damit neue Wachstumsfelder erschaffen, und es gibt (viele) Firmen, die möglichst schnell im Windschatten folgen wollen.

Der Traditionskonzern Siemens ist nun nicht gerade für aggressives Vorpreschen in neue Märkte bekannt. Umso erstaunlicher ist es, dass das Unternehmen bereits im Jahre 2001 den Versuch unternahm, mit dem SIMPad (Bild 2) einen neuen Markt für Tablet-Computer zu erschaffen. Etwa 2005 wurde jedoch die Produktion eingestellt (mit weniger als 100.000 produzierten Stück) und Geräte wurden als Restposten verramscht.

Bild 2Das SIMPad als Beispiel dafür, wie es nicht funktioniert (hat)

Gerade im Hinblick auf den Erfolg des iPad stellt sich die Frage: Warum entwickelten sich die beiden Geschichten so unterschiedlich? Wieso wurde das iPad so eine Erfolgsgeschichte und wieso kann sich heute kaum mehr jemand an das SIMPad erinnern? Oberflächlich betrachtet könnte man zur Beantwortung technische Details anbringen oder konstatieren, dass der Markt einfach noch nicht reif war für Innovationen wie das SIMPad. Doch hier ist zu beachten: Ein Markt ist immer reif. Gern wird das Argument des noch nicht reifen Markts als Entschuldigung hervorgebracht, was aber Unsinn ist. Ähnlich wie in der Kommunikationstheorie ist immer der Sender verantwortlich für Missverständnisse, nie der Empfänger.

Die obige Frage wird uns im Laufe des Buches beschäftigen. Sie ist auch insofern brisant, als Apple inzwischen mit dem iPad im Quartal mehr Gewinn erwirtschaftet als etwa die Medizintechnik-Sparte von Siemens im gesamten Geschäftsjahr. Spätestens jetzt sollte sich so etwas wie Wehmut einstellen, ob der entgangenen Gewinne. Aber es ist eine verdammte Tücke im Management großer Unternehmen: Wegen entgangener Gewinne wird kaum jemand gefeuert (auch wäre die Schuldfrage in der Regel nicht so leicht zu klären), nur für realisierte Verluste. Das ist tragisch, da sich die Zauderer durchsetzen können. Doch dazu später mehr.

Soviel ich weiß, hat sich bei Siemens inzwischen noch niemand um eine Aufarbeitung des SIMPad-Malheurs beschäftigt, und das trotz der entgangenen Gewinne in zweistelliger Milliardenhöhe und obwohl klar ist, dass man gerade aus solchen Missgeschicken sehr viel lernen kann oder könnte. Und was mich persönlich sehr beunruhigt, ist die Tatsache, dass solche Fälle wie das SIMPad jederzeit – nicht nur bei Siemens, auch in anderen Organisationen – wieder genauso, und zwar tatsächlich exakt so, passieren könnten und auch passieren. Schülern bescheinigt man bei derartigem Verhalten in der Regel Lernresistenz; Lehrer empfehlen dann die Wiederholung der Klassenstufe. So etwas könnte und sollte es im Innovationsmanagement auch geben, es wäre durchaus wünschenswert!

Im Buch geht es jedoch nicht darum, eine (vor)schnelle Antwort auf die aufgeworfene Frage zu finden (oder die berühmte Stellschraube, die dann Magie-gleich nach einer Justage durch das Management alles zum Besten wendet), sondern vielmehr sollen anhand des beschriebenen Falls eine Reihe von Indizien gesammelt und Erklärungsversuche angestellt werden.

Schauen wir uns zunächst die beiden Geräte etwas genauer an (Tabelle 1 und Tabelle 2).

Tabelle 1 SIMPad versus iPad – Vergleich der Hardware

SIMPad

iPad (1. Generation)

Prozessor

Intel StrongArm 206 MHz

Apple A4 1 GHz

Display

Touchscreen 8,6 Zoll

Touchscreen 9,7 Zoll

Speicher

64 MByte RAM/ 32 MByte Flash

256 MByte RAM/ 16, 32, 64 GByte Flash

Netzanbindung

WLAN (Slot)/DECT

WLAN/3G

Laufzeit

Max. 7 h

10 h

Gewicht

Ca. 1000 g

Ca. 700 g

Größe

180 × 263 × 28 mm

242,8 × 189,7 × 13,4 mm

Bedenkt man die Zeitdauer von etwa 10 Jahren zwischen den beiden Entwicklungen, die Technologiesprünge und den Preisverfall, verwundern die Unterschiede wenig. Im Gegenteil, die beiden Tablets sind durchaus vergleichbar, und von technischer Überlegenheit des iPad kann nicht die Rede sein.

Tabelle 2 SIMPad versus iPad – Software und Handling im Vergleich

SIMPad

iPad (1. Generation)

Betriebssystem

Microsoft Windows CE 3.0

Apple iOS 5.1.1

Software

Office Paket

Apps (AppStore)

Entwicklung

Keith & Koep GmbH

Apple

Fertigung

Siemens Schweiz

Foxconn

Vertrieb

Einzelhandel

Apple Shops

Marketing

Siemens

Apple

Beide Geräte waren bzw. sind für ihre Verhältnisse recht teuer. Die größten Unterschiede sind insofern im Design und der Bedienung festzustellen. Während das SIMPad zahlreiche Hardware-Schnittstellen besitzt und damit komplex wirkt, und das Gehäuse zwar funktional ist, aber keine designerische Offenbarung, kann man dem iPad hier Perfektion bescheinigen. Einfaches, aber edles Design und edle Materialien, verbunden mit einer kompromisslosen, auf den Anwender ausgerichteten Bedienbarkeit ohne Schnickschnack machen wohl den Unterschied.

Man ahnt schon jetzt, dass erfolgreiche Innovationen wenig mit Fakten und auch nicht viel mehr mit technischen Leistungsmerkmalen zu tun haben. Es geht um Leidenschaft und die Besessenheit, etwas Einzigartiges zu erschaffen. Es geht um das Gespür und die Intuition, Dinge zu tun, für die es keine der populären „Blueprints“ – Mustervorlagen – gibt.

Aber es ist verrückt. Noch nie wurde so viel über Innovationen geschrieben und publiziert wie derzeit. Der Mythos der Innovationen lebt. Sie gelten als Grundlage für zukünftige Geschäfte von Unternehmen und genießen seit Schumpeters Beiträgen zur „schöpferischen Zerstörung“ auch wissenschaftlich eine hohe Aufmerksamkeit.

Inzwischen hat das Feld eine gewisse Unübersichtlichkeit erreicht. Etliche Themen haben einen Einfluss auf den Untersuchungsgegenstand „Innovation“: Wissensmanagement, Kreativität, Strategieentwicklung, Technologiemanagement und viele weitere. Neue Konzepte wie beispielsweise „Open Innovation“, „Lean Innovation“ oder „Fast Innovation“ werden in immer kürzeren Abständen medienwirksam veröffentlicht und vom ausgehungerten Heer der Innovationsmanager und Strategen aufgesogen, in der Hoffnung, für die unendliche Aufgabe endlich ein Rezept an die Hand zu bekommen.

Es läuft eine Menge schief – sowohl in der Praxis als auch in der Theorie. Ich habe die Vermutung, dass das Verständnis von Innovationen und der Entstehung selbiger nicht unwesentlich zur unbefriedigenden Situation beiträgt: Viel zu oft wird die Rolle und die Entstehung von Innovationen unterschätzt.

Den direkten Vergleich zwischen SIMPad und iPad kann das Apple-Gerät ziemlich klar für sich entscheiden. Die Gründe für die Überlegenheit wird man nicht eindeutig bestimmen können. Aber man kann spekulieren und Indizien sammeln. Und dabei fällt insbesondere der Unterschied im Antrieb der Innovation auf. Einerseits die Besessenheit – im Wesentlichen repräsentiert durch Steve Jobs – und andererseits die großen Unternehmen ganz eigene Systematik, bei der Innovationen oft als unangenehme Nebensache verhandelt werden. Da ist der Tablet-PC sicher kein Einzelfall. Im Gegenteil, jede Form der Eneuerung lässt sich auf eine der drei folgenden Antriebe zurückführen:

1. Besessenheit: Sie fußt auf den Gedanken, der Überzeugung, der Leidenschaft und der Genialität von Individuen. Die „Besessenen“ treiben ihre Ideen mit einer Energie voran, die sowohl Ehrfurcht und Bewunderung, aber auch Staunen und Skepsis hervorrufen. Die Biografie von Steve Jobs spricht eine deutliche Sprache.2 Aber auch die Wurzeln von Siemens sind in gewisser Weise das Werk eines Besessenen: Werner von Siemens.

2. Zufall: Viele Erfindungen, Entdeckungen und Innovationen finden ihren Ursprung in zufälligen Begebenheiten. Das bekannteste Beispiel hierfür ist sicher die Entdeckung Amerikas durch Columbus im Jahre 1492, obwohl eigentlich Indien das Ziel war. Wie noch zu zeigen sein wird, gibt es unzählige ähnliche Beispiele. Aufmerksamkeit, um das Neue überhaupt zu bemerken und die Bedeutung erkennen zu können, ist zwingend notwendig.

3. Systematik: Planbarkeit verträgt sich weder mit Besessenheit noch mit Zufall, und so verwundert es nicht, dass gerade Menschen mit einer sehr eigenwilligen systematischen Vorgehensweise diejenigen sind, die Innovationen vorantreiben. Der Aspekt dieser Systematik verträgt sich – praktischer- oder unpraktischerweise – mit den modernen Vorstellungen von Management und insbesondere mit der Auffassung von rationalen Entscheidungen im Unternehmensumfeld.

In der Regel überlagern sich diese drei Treiber, insbesondere der letzte Punkt hat mit dem Innovationsmanagement enorm an Popularität gewonnen. Das Verblüffende daran ist jedoch, dass sich keine Belege dafür finden lassen, dass die durch Systematik entstandenen Innovationen erfolgreicher oder in irgendeiner anderen Form besser waren als andere. Im Gegenteil, die Systematik bringt jede Menge (ungewollter) Nebenwirkungen hervor. Zum Beispiel ist der Neuigkeitsgrad derart entstandener Innovationen überwiegend sehr gering. Damit lässt sich folgende Anfangshypothese formulieren:

Systematik ist gut fürs Management, aber Besessenheit und Zufall sind besser für Innovationen.

Für innovative Organisationen wäre es ideal, alle drei Treiber zu verfolgen. Dieses Buch versucht insbesondere, den Zufall salonfähig zu machen und dessen Nutzen für das Innovationsmanagement zu zeigen. Besessenheit gestaltet sich noch um einiges komplexer als Zufall, besonders in Bezug auf die Kontrollierbarkeit, doch dafür ist Platz im nächsten Buch. In diesem geht es um den Zufall und um die Systematik. Schon das gestaltet sich einigermaßen schwierig.

Wie ist dieses Buch aufgebaut? Nach der Einführung geht es im Kapitel 2 um den Grundzusammenhang zwischen Wert- und Wissenschöpfung und deren Bedeutung für Innovationen. Im Kapitel 3 geht es um die Innovationen selbst, die Grundlagen und die Hoffnungen, die auf der Systematik ruhen. Aus hundert Jahren Innovationsbemühungen lässt sich viel lernen – Kapitel 4 stellt anhand von Fallbeispielen bedeutende Erkenntnisse zusammen. Die Abläufe innerhalb von Organisationen – warum sie sich so verhalten, wie sie sich verhalten – wird im fünften Kapitel untersucht. Kapitel 6 widmet sich der Bedeutung des Zufalls für das Innovationsmanagement und Möglichkeiten seiner Einbindung. Kapitel 7 ist einer Zusammenfassung und dem Ausblick vorbehalten und im Anhang (Kapitel 8 und Kapitel 9) werden die Fallstudien und Erkenntnisse im Überblick vorgestellt.

2 Die Logik von Unternehmen (und warum sie scheitern)

Existenzberechtigung jeden Unternehmens ist eine Sinnerfüllung. Ohne diese hören Organisationen auf zu existieren. Dabei ist die Lebensdauer der meisten Unternehmen weitaus kürzer als die durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen. Firmen, die älter als hundert Jahre alt sind, gehören zur Ausnahme. Dass Unternehmen ihre Tätigkeit einstellen, ist demzufolge das Normalste auf der Welt – genauso wie das Neugründen ein wichtiger Bestandteil des Wirtschaftslebens ist. Edward Deming sagte dazu: „It is not necessary to change. Survival is not mandatory.“ Für alle Beteiligten ist es zwar in der Regel recht schmerzhaft, wenn Betrieb und Arbeitsplatz verschwinden, aber der Sinn der Unternehmung ist dann offensichtlich nicht mehr gegeben. Die Gründe dafür können zwar vielfältig sein, lassen sich jedoch letztlich immer auf eine fehlende Anpassung an Veränderungen im Unternehmensumfeld zurückführen.

Idealtypisch gesehen verfolgt jede Organisation zwei Schöpfungsprozesse. Zum einen gibt es einen Wertschöpfungsprozess und zum anderen einen Wissensschöpfungsprozess. Beide sind miteinander verbunden, wie es im Bild 3 durch die Pfeile symbolisch dargestellt ist.

Bild 3Idealtypische Schöpfungsprozesse innerhalb von Unternehmen

Erst durch die Wertschöpfung ist eine Wissensschöpfung möglich, letztere treibt die Veränderung der ersteren. Im Idealfall stellt dieser Kreislauf die Sinnhaftigkeit und das Überleben der Organisation in der Gegenwart und der Zukunft sicher. Nicht nur der kurzfristige Erfolg im Rahmen der Wertschöpfung ist von Bedeutung, auch die Anpassungsfähigkeit, gewährleistet durch die Wissensschöpfung, ist auf diese Art und Weise Bestandteil des Gesamtsystems.

2.1 Die Wertschöpfung im Mittelpunkt allen Tuns

Betrachten wir zunächst die Wertschöpfung. Diesen Prozess beherrschen Unternehmen in der Regel sehr gut. Viele Konzerne und Unternehmungen verschiedener Größe zeichnen sich durch operative Exzellenz aus. Der Prozess steht im Zentrum der Organisation und prägt deren Geschicke. Unternehmen streben nach Effizienz. Dieses – auch als Nutzenkalkül bezeichnete – Bemühen stellt die Grundlage des betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Verständnisses in der Führung von Unternehmen dar. Dementsprechend sind Unternehmen und Organisationen auch aufgebaut. Seit Taylor Anfang des letzten Jahrhunderts versucht hat, das Management von Betrieben wissenschaftlich zu begründen, hat sich an diesem Prinzip kaum etwas geändert.

Proposition 1

Die in Unternehmen oder Organisationen angestrebten und erbrachten Leistungen dienen der Schaffung von Werten, die Abnehmer finden, wodurch sich ein Gewinn erzielen lässt. Diese als Wertschöpfung bezeichnete Schaffung von Mehrwerten ist ein Grundbaustein des technischen Fortschritts und des menschlichen Gestaltungsanspruchs.

Wertschöpfungsketten sind sehr effizient organisiert, das Kunden- und Lieferantenmanagement ist optimal gestaltet, die Entwicklung, Fertigung und der Vertrieb sind gut aufeinander abgestimmt (Bild 4). Alles läuft wie ein Uhrwerk. Im Bestreben, alles noch etwas effizienter zu gestalten, werden kaum Möglichkeiten ausgelassen. Aus- und Verlagerung von Produktionen in Regionen mit geringeren Fertigungskosten, Versuche der Automatisierung und Rationalisierung laufen in der Regel auch auf eine Reduzierung der Belegschaft hinaus. Durch die durchgängige Messbarkeit haben sich sogenannte Scorecard-Modelle zur Steuerung durchgesetzt; auf einen Blick lassen sich damit wichtige Kenngrößen aus dem Maschinenraum der Organisation ablesen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Justierung ergreifen. Das ist gängige Managementpraxis, mit einer mehr oder weniger ausgeprägten Kennzahlenfixierung.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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