Die weiße und schwarze Magie - Dr. Franz Hartmann - E-Book

Die weiße und schwarze Magie E-Book

Dr. Franz Hartmann

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Beschreibung

Der Unterricht in der praktischen Kunst der Magie unterscheidet sich deshalb gänzlich von dem Unterricht in einer Wissenschaft, die nur aus Theorien besteht. Der erstere ist gleichbedeutend mit dem Fortschritte in der geistigen Evolution, wodurch der Mensch näher zur Erkenntnis seines eigenen göttlichen Wesens oder, mit anderen Worten, der Erkenntnis Gottes, und hierdurch in den Besitz geistiger und göttlicher Kräfte gelangt. Der Letztere dagegen besteht in Mitteilungen gewisser Theorien, die dieser oder jener Mensch entdeckt oder erfunden hat und die so lange gültig sind, bis etwas Besseres gefunden wird, wobei sich dann die Wahrheit jenes Ausspruchs des Theophrastus Paracelsus erweist, dass oft das, was in einem Zeitalter als der Gipfelpunkt alles menschenmöglichen Wissens betrachtet wird, vom darauffolgenden Zeitalter, als ein Aberglaube verworfen wird und was in einem Jahrhundert als Unsinn verlacht und verspottet wird, die Grundlage alles Wissens des nächsten Jahrhunderts bildet.

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Seitenzahl: 428

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Die weiße und schwarze Magie

 

oder

 

Das Gesetz des Geistes in der Natur

 

Dr. Franz Hartmann

 

 

 

Verlag Heliakon

 

Umschlaggestaltung: Verlag Heliakon

Titelbild: Pixabay ()

 

©2023 Verlag Heliakon

www.verlag-heliakon.de

[email protected]

 

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über-setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Gedanken

Vorrede zur zweiten Auflage

Erläuterung der Abbildung

Einleitung

Das Ideal und die Wirklichkeit

Wahrheit und Täuschung

Wesen und Erscheinung

Das Leben in der Natur

Harmonie

Der Zauber der Illusion

Das Selbstbewusstsein

Der Tod

Verwandlungen

Die Schöpfung aus Nichts

Mehr Licht

Die Vollkommenheit

Evolution und Involution

Der Verkehr mit der Geisterwelt

I. Geistiger Verkehr zwischen lebenden Menschen

II. Geistiger Verkehr mit Verstorbenen

III. Der Verkehr mit den Geistern der Natur

Die Religion der Zukunft

Das innere Wort

Fußnoten

 

 

In unserem Werden finden alle Wünsche ihre Erfüllung, und wir erlangen den Sieg über alle Welten.

Chandogya-Upanishad

 

 

Alles, was auf Erden vorhanden ist, hat sein ätherisches (geistiges) Vorbild im Überirdischen; und es gibt nichts so Kleines oder Unbedeutendes in der Welt, dass es nicht von etwas ihm vorgesetztem Höheren abhängig wäre; sodass, wenn das Untere sich regt, das ihm vorgesetzte Obere sich ihm entgegenregt.

Sohar Wojeace, Fol. 15b, 6

 

 

Vorrede zur zweiten Auflage

Das Erscheinen einer neuen Auflage der Magie bietet dem Verfasser eine vollkommene Gelegenheit, das Buch zu revidieren und den Inhalt zu vermehren. Zu der Zeit, als die erste Auflage erschien, waren die theosophischen Lehren in Deutschland noch wenig bekannt und es genügte eine kurze Skizze, um auf sie aufmerksam zu machen. Jetzt, nachdem sie in die weitesten Kreise gedrungen sind, macht sich das Bedürfnis für ein Handbuch geltend, das als ein Leitfaden zu einem tieferen Eindringen in die höheren Naturgeheimnisse dienen kann. Die neue Auflage soll diesem Zwecke entsprechen.

Es mag hier angemerkt werden, dass „Die weiße und schwarze Magie“ nicht geschrieben wurde, um jedermann magische Künste zu lehren, sondern vielmehr, um den Missbrauch, der allgemein mit diesen Dingen getrieben wird, beseitigen zu helfen und der Ausbreitung eines krankhaften Mystizismus eine Schranke zu setzen. Ein Erfassen der heiligen Religionsgeheimnisse in Bezug auf das Wirken des Gottesgeistes in der Natur ist nicht jedermanns Sache, weil noch nicht jeder reif dazu ist. Es gehört hierzu weniger ein wissbegieriges Forschen in der Eigenheit, als vielmehr eine Erhebung über das Persönliche zum Göttlichen, das heißt, ein geistiges Erwachen zu einem höheren Selbstbewusstsein. Um das herbeizuführen, muss ein solcher Leitfaden nicht nur wissenschaftlich klar geschrieben, sondern auch ein Erbauungsbuch sein. Er muss geeignet sein, nicht nur den geistigen Gesichtskreis zu erweitern, sondern auch die Seele zu erheben, weil nur durch eine Erhöhung des Standpunktes, den ein Mensch einnimmt, sein Horizont sich erweitern kann.

Ein halbes Wissen ist ein gefährliches Ding. Wer das Glück gehabt hat, einen Blick hinter den Schleier zu werfen, der die Wahrheit verhüllt, und die Gefahren kennt, die aus dem Unfug entspringen, der heutzutage mit Spiritismus, Hypnotismus und dergleichen stattfindet, der wird überzeugt sein, dass eine Aufklärung hierüber mehr als vieles andere eine dringende Notwendigkeit unseres Zeitalters geworden ist.

 

Erläuterung der Abbildung

 

Wie alle okkulten Figuren hat auch diese den Zweck, den Beschauer zum eigenen Nachdenken anzuregen, damit er das, was darin enthalten ist, selber findet und weiß. Die folgenden Andeutungen sollen daher nur dazu dienen, seiner Intuition behilflich zu sein.

Das Zentrum und die Peripherie stellen das A und Ω, den Anfang und das Ende aller Evolution dar. Sie sind das Wort (Vach), welches in Ewigkeit in Gott, dem Absoluten (Parabrahm) war, ist und sein wird01 und in dem die ganze Schöpfung enthalten ist.

Der Tierkreis stellt die sieben Prinzipien des Weltalls dar. Da es zwölf Zeichen sind, bleibt es der Intuition des Studierenden anheimgestellt zu suchen, wie sich aus den sieben die Zwölfzahl entwickelt. Die großen doppelten, sich durchschneidenden Dreiecke symbolisieren den Makrokosmos, das Herabsteigen des Geistes in die Materie und das Emporsteigen der Materie zum Geiste. Oben ist die Wirklichkeit (Parabrahm), das absolute Sein, das alles in sich begreift; unten ist das Reich der Illusion (Maya). Die kleineren Dreiecke in der Mitte stehen für den Mikrokosmos und das Pentagramm im Zentrum für den Menschen mit seinen fünf Sinnen, fünf Kräften usw. Die Entfaltung seines geistigen Selbstbewusstseins ist durch die fünfblättrige Blume angedeutet.

Brahma, Vishnu und Shiva sind keine „mythologischen Persönlichkeiten“, sondern mystische Kräfte. Brahma ist die schöpferische Kraft im Weltall, die Ideenwelt, deren ins sichtbare Dasein getretene Erscheinung unsere Körperwelt ist. Vishnu ist das Licht oder vielmehr die Energie der (geistigen) Sonne des Weltalls, der Erlöser der Welt. Shiva ist das auflösende Prinzip, das man auch gewissermaßen als Wärme oder Liebe bezeichnen könnte. Dabei handelt es sich selbstverständlich nicht um drei voneinander geschiedene Dinge, sondern um drei Anschauungsformen der ewigen Einheit, die Alles in Allem ist und außer der es nichts gibt. Ihr entspricht die Idee der christlichen Dreieinigkeit, und zwar Brahma als Vater (Gedächtnis), Vishnu als Sohn (Wille oder Liebe) und Shiva als der Geist der Erkenntnis (Vernunft) — alles dies in einem viel höheren Sinne, als nur der gewöhnlichen Bedeutung dieser Worte. Dies gehört zum Reiche des Geistes.

Im Reiche der Materie (Kraft und Stoff) finden wir alles aus den vier Elementen oder Prinzipien Feuer, Wasser, Luft und Erde zusammengesetzt (freilich in einem ganz anderen Sinne als dem der oberflächlichen Wissenschaft). Die drei Prinzipien Feuer, Wasser und Luft finden ihre Vereinigung im vierten, der Erde, welches im Zentrum der Figur zu suchen, aber nicht sichtbar dargestellt ist. Desgleichen sind auch nur sechs Planeten oder Prinzipien sichtbar angegeben. Das siebente ist das unsichtbare Zentrum, die Sonne, in welcher Mond, Merkur, Mars, Jupiter, Venus und Saturn enthalten sind und von der allgegenwärtigen Sonne (Prana) ihre Kräfte erhalten.

In ähnlicher Weise sind im Mikrokosmos Brahma, Vishnu und Shiva in B, C und D als der Erkenner, das Erkannte und die Erkenntnis dargestellt, und E, F und G stellen die Dreiheit des Menschen als Körper, Seele und Geist oder vielmehr deren Substanzen, den materiellen Menschen (Sthula Sarîra) und den geistigen Menschen (Karana Sarîra) dar. Im Zentrum aber ist wieder das Vierte, das A oder der Logos, durch den der Mensch erst zur Vollkommenheit gelangt.

Diese wenigen Andeutungen mögen genügen, den Leser anzuregen, sich bei der Betrachtung dieser Figur zu jener Anschauung zu erheben, in welcher es keine Zergliederung gibt, sondern wo man im einzelnen Teil das Ganze erkennt.

Willst du dich am Ganzen erquicken,

So musst du das Ganze im Kleinsten erblicken. (Goethe)

 

 

Einleitung

Es gibt keine höhere Wissenschaft, als die Erkenntnis der Wahrheit.

 

Das Wort Magie, von mag (persisch) Priester oder megas (griechisch) groß, bezeichnet in seiner wahren Bedeutung „die große, heilige Wissenschaft, die der geistigen Selbsterkenntnis des göttlichen Menschen entspringt“. Die praktische Magie besteht in der Kunst, diese Wissenschaft auszuüben, das heißt, gewisse geistige Kräfte in Bewegung zu setzen und zu bestimmten Zwecken zu verwenden, die zwar in jeder menschlichen Natur enthalten, aber nur in wenigen Menschen erwacht sind. Um diese in uns schlummernden Kräfte anzuwenden, müssen wir sie vor allem besitzen; um sie zu besitzen, müssen sie in uns erwachen; um sie in uns zum Erwachen zu bringen, müssen wir die Bedingungen kennenlernen, die zu ihrer Entfaltung nötig sind, und hierzu bedürfen wir einer Erkenntnis der menschlichen Konstitution. Dazu gehört nicht nur der sichtbare Körper des Menschen, sondern die ganze Zusammensetzung des Menschen aus Körper, Seele und Geist und deren Verbindungsgliedern, sowie die Beziehungen, durch die jedes der im menschlichen Organismus enthaltenen Prinzipien mit seinem korrespondierenden Prinzip im großen Organismus der Natur in Verbindung steht, der den Körper, die Seele und den Geist des Weltalls nebst den Verbindungsgliedern, die zwischen diesen drei Abteilungen liegen, darstellt. Es ist eine schon vor undenklichen Zeiten gekannte Wahrheit, deren Erkenntnis sich auch die moderne Wissenschaft zu nähern beginnt, dass der Mikrokosmos (der Mensch) ein genaues Ebenbild des Makrokosmos (des Weltalls in geistiger sowohl als auch materieller Beziehung) ist und dass sich weder in dem einen noch in dem anderen etwas findet, das nicht in beiden enthalten wäre. In den alten Schriften wird dieser Gedanke folgendermaßen ausgedrückt: „Alles, was auf Erden vorhanden ist, hat sein ätherisches Vorbild im Überirdischen (mit dem es aufs innigste zusammenhängt); und es gibt nichts so Kleines oder Unbedeutendes in der Welt, dass es nicht von etwas ihm vorgesetztem Höheren abhängig wäre; sodass, wenn das Untere sich regt, das ihm vorgesetzte Obere sich ihm entgegenregt.“

Dieses ist eine uralte Lehre, deren Wahrheit von jedem, der die hierzu nötige Einsicht hat, erkannt werden kann und die keines anderen Beweises bedarf, als dass man ihre Wahrheit erkennt. Was aber die Bestandteile der menschlichen Konstitution wie auch die des Weltalls betrifft, die miteinander in innigster Verbindung stehen und aufeinander wirken, so wurde die Lehre von diesen Prinzipien jahrtausendelang von den Meistern als Religionsgeheimnis bewahrt und nur denen mitgeteilt, die würdig befunden wurden, in diese und ähnliche Geheimnisse eingeweiht zu werden. Zwar befindet sich diese Lehre in den indischen Veden, besonders in den Upanishaden, in den Schriften der Mystiker, Alchemisten, Rosenkreuzer und Kabbalisten und auch in der Bibel; aber sie ist in allen diesen Werken nur allegorisch und im Gewände der Fabel dargestellt, sodass sie nur derjenige darin finden kann, der sie bereits erkannt hat. Für alle anderen sind diese Bücher, wenn ihr Inhalt für den Erkennenden auch noch so klar sein mag, ein verschlossenes Heiligtum, zu dessen Eröffnung es keinen anderen Schlüssel gibt, als die Erkenntnis selbst.

Was die Weisen des Ostens veranlasst hat, ihre bisherige Zurückhaltung aufzugeben und Geheimnisse der Menge preiszugeben, auf deren Veröffentlichung noch zur Zeit der griechischen Mysterien die Todesstrafe gesetzt war — ein Umstand, dem auch Sokrates zum Opfer fiel —, können wir nicht mit Bestimmtheit beurteilen. Tatsache aber st, dass innerhalb der letzten zehn Jahre02 uns von den Meistern, durch Vermittlung von H. P. Blavatsky03, Erklärungen zuteil wurden, die dazu geeignet sind, auf einmal Licht in das Dunkel zu bringen und uns den Schlüssel zur Erkenntnis dieser Dinge zu geben. Da zeigt sich nun, dass die von den Gelehrten so missverstandene Sprache der Veden, das "Kauderwelsch" der Alchemisten, Kabbalisten und Rosenkreuzer, die Allegorien, Fabeln und Parabeln des Alten und Neuen Testaments, die Mythologie der Ägypter, Griechen und Römer großenteils sinnbildliche Darstellungen von innerlichen Vorgängen im Makrokosmos und Mikrokosmos enthalten, die nicht nur in früheren Zeiten stattfanden, sondern die auch jetzt vor sich gehen und bis zum Ende der Zeiten stattfinden werden; Symbole von ewigen, unvergänglichen, sich ewig gleichbleibenden Offenbarungen des Gesetzes des Geistes in der Natur, von denen die auf die Sinnlichkeit beschränkte materielle Wissenschaft nichts wissen kann, die dem am Aberglauben hängenden Geiste unverständlich sind, die aber jedem Erleuchteten ebenso klar und fasslich sind, wie dem mit gesunden Sinnen Begabten die äußerliche Erscheinungswelt.

Diese von den Meistern gegebenen Enthüllungen, insofern von einer Enthüllung die Rede sein kann, da hierzu auch die Fähigkeit gehört, das Enthüllte zu erkennen, hat H. P. Blavatsky in verschiedenen Werken, besonders aber in der Geheimlehre, niedergelegt, erläutert und mit logischen Gründen und wissenschaftlich anerkannten Tatsachen ausführlich erklärt und belegt; und wir können uns daher damit begnügen, den nach Beweisen lechzenden Skeptiker auf jenes große Werk zu verweisen04. Der Vernünftige aber, dem es nicht nur um Rechthaberei und Bestätigung seiner Theorien, sondern um die Erkenntnis der Wahrheit zu tun ist, braucht, wenn er vor einem Gemälde steht, nicht erst einen Beweis, dass ein Baum einen Baum, ein Haus ein Haus, ein Schiff ein Schiff und so weiter darstellt. Indem er seine Augen offenhält und das Bild betrachtet, erkennt er die dargestellten Gegenstände, wenn sie gut gezeichnet sind, von selbst; und erst bei solchen, die jenseits seiner Erfahrungen liegen, wird eine Erklärung nötig sein. Wer vom Anfange an darauf besteht, das, was ihm gezeigt wird, für etwas anderes zu halten, als was es in Wirklichkeit ist, für den gibt es keine Enthüllungen.

Die Magie ist die Kunst, den Willen durch die schöpferische Kraft des selbstbewussten Geistes zu bewegen. Der Künstler übt sie aus und seine Hände dienen dazu, die Schöpfungen seines Geistes äußerlich sichtbar darzustellen. Aber die Schöpfungen selbst sind auch ohne die äußerliche Darstellung da. Erscheinungen sind nur Symbole. Die Idee, die durch eine äußerliche Form dargestellt wird, ist dauerhafter als die Form ihrer Darstellung. Die äußerliche Darstellung wirkt auf die Sinne und durch diese auf das Gemüt, aber der Geist kann direkt auf den Geist wirken. Deshalb kann auch der stärkere Wille eines selbstbewussten Menschen den schwächeren eines anderen überwältigen und seine Gedanken auf ihn übertragen, was heutzutage infolge des Studiums des Hypnotismus eine allgemein bekannte Tatsache ist.

Der richtige Gebrauch solcher Kräfte ist weiße, ihr Missbrauch schwarze Magie.

Der Unterricht in der praktischen Kunst der Magie unterscheidet sich deshalb gänzlich von dem Unterricht in einer Wissenschaft, die nur aus Theorien besteht. Der erstere ist gleichbedeutend mit dem Fortschritte in der geistigen Evolution, wodurch der Mensch näher zur Erkenntnis seines eigenen göttlichen Wesens oder, mit anderen Worten, der Erkenntnis Gottes, und hierdurch in den Besitz geistiger und göttlicher Kräfte gelangt. Der Letztere dagegen besteht in Mitteilungen gewisser Theorien, die dieser oder jener Mensch entdeckt oder erfunden hat und die so lange gültig sind, bis etwas Besseres gefunden wird, wobei sich dann die Wahrheit jenes Ausspruchs des Theophrastus Paracelsus erweist, dass oft das, was in einem Zeitalter als der Gipfelpunkt alles menschenmöglichen Wissens betrachtet wird, vom darauffolgenden Zeitalter, als ein Aberglaube verworfen wird und was in einem Jahrhundert als Unsinn verlacht und verspottet wird, die Grundlage alles Wissens des nächsten Jahrhunderts bildet.

In dem sich ewig drehenden Rade der Zeit, im Wechsel der Erscheinungen, findet kein dauerhafter Fortschritt statt; es gibt nur ein Hinauf und Hinab. Wenn es im Westen Tag wird, beginnt im Osten die Nacht. Was auf der einen Seite gelernt wird, wird auf der anderen wieder vergessen. Zivilisationen kommen und gehen und wechseln wie die Mode. Völker entstehen, wachsen, werden alt, erkranken und sterben. Unsere Zivilisation hat noch lange nicht den Höhepunkt der alten Ägypter noch unsere Kunst die der alten Griechen erreicht. Und das Gebiet der Magie, das den alten Atlantiern offen war (und zu deren Untergang führte), ist uns jetzt noch verschlossen.

Aber die moderne Wissenschaft ist wieder einmal auf einem Punkte angelangt, wo sie das Gebiet des Geistes berührt. Sie hat den Dampf und die Elektrizität zu ihren Sklaven gemacht; das Reich der festen Materie, des Wassers, der Luft und des Feuers (Energie) wird zumindest teilweise von ihr beherrscht. Sie nähert sich dem Gebiete des „fünften Elements“, des Weltäthers, und fängt an zu fragen, ob es magische Kräfte gebe.

Die Natur selbst beantwortet diese Frage. Sie ist die große Magierin, die vermittelst der ihr innewohnenden Lebenskraft überall Wunderwerke hervorbringt, über die wir uns nur deshalb nicht verwundern, weil sie für uns etwas Alltägliches sind. Das Wachstum eines Baumes mit Blättern, Blüten und Früchten ist eines der größten Wunder der Welt. Alle Lebenstätigkeit in den Formen, welche die Natur hervorbringt, sind Offenbarungen der ihr innewohnenden Lebenskraft, und diese selbst kann nichts anderes sein, als eine Wirkung des Geistes; denn wir finden in dem Leben der Natur Ordnung und Gesetz, Wille und Bewusstsein, folglich eine höhere Intelligenz, die sich auf den verschiedenen Stufen des Daseins, je nach den Bedingungen, die sie auf ihnen vorfindet, verschiedenartig äußert. Ist der Mensch einmal auf der höchsten Stufe der Intelligenz angelangt, so wird er auch die Herrschaft über den Willen oder das Leben in der Natur erlangen und durch seinen Willen auf magische Weise wirken können. Hierzu aber muss er über die Natur und Zeit zum Ewigen sich erheben.

Das Wort Natur bezeichnet das Geborene. Die Natur ist die Gebärerin der Formen. Aber über der Natur steht dasjenige, was in ihr diese Formen erzeugt, das schöpferische Prinzip, der Ursprung des Willens und Schaffens in der Natur. Damit ist aber nicht gemeint, dass dieses Übernatürliche etwas Außernatürliches sei. Der schaffende Geist ist in der Natur selbst, so wie das Leben des Menschen in seinem Körper. Der Geist ist das Wesen, die Natur die Erscheinung. Das Wesen steht höher als die Erscheinung, das Leben höher als die Formen, die es erzeugt; der Geist steht höher als der Körper, Gott höher als die Natur.

Dem Gesetz der Ordnung gemäß soll in der Natur stets das Höhere das Niedere beherrschen. Dadurch, dass das Pflanzenreich höher steht als das Erdreich, auf dem es wächst, ist es befähigt, aus ihm seine Nahrung zu wählen. Dadurch, dass das Tier höher steht als das Pflanzenreich, kann es sich dieses zunutze machen und sich davon ernähren. Dadurch, dass der Mensch auf einer höheren Stufe steht als das Tier, kann er die Tiere sowohl als auch die ihnen untergeordneten Naturkräfte sich dienstbar machen. Seine Intelligenz befähigt ihn, das Licht und die Wärme zu seinen Diensten zu zwingen, das Pferd, den Hund, das Kamel und den Elefanten als seine Sklaven zu verwenden, und der schlauere Teil der Menschheit hat Gewalt über den vielleicht viel stärkeren, aber weniger intelligenten Teil und beutet ihn zu seinem eigenen Vorteil aus.

Aber wie der tierische und mit irdischer Intelligenz begabte Mensch über den blinden Naturgewalten und über dem Vieh steht, so steht der göttliche Mensch — das heißt, der Mensch, in dem die göttliche Natur zum Selbstbewusstsein gekommen ist — über dem tierischen, wenngleich intellektuellen Menschen. Mit anderen Worten, der Mensch, der sich bewusst ist, ein Tempel des göttlichen Geistes zu sein, steht unendlich höher als derjenige, der nur eine Behausung des Erdgeistes ist; und wenn in ihn das göttliche Leben eintritt, so wird er sich dadurch auch des Besitzes göttlicher Kräfte bewusst, von denen der irdische Mensch nichts wissen kann, da diese Kräfte innerliche Offenbarungen des göttlichen Geistes und nicht der Geister der Erde sind.

Dieser göttliche Geist ist aber nur ein einziger, wenn er sich auch in unzähligen menschlichen Erscheinungen auf dieser Erde und anderen Planeten widerspiegelt und offenbart. Will der Mensch in den Besitz magischer, das heißt, göttlicher oder sogenannter übernatürlicher Kräfte kommen, so muss er selber noch mehr als ein bloßer Mensch werden. Er muss über seine irdische Natur hinauswachsen und die Herrschaft über sich selbst erlangen; er muss alle Selbstsucht, Selbstbespiegelung, Selbstwollen, Selbstwissen, Selbstempfinden, Selbstbetrügerei aufgeben und für das Ganze im Ganzen leben. Nur so kann er sich eins mit dem Ganzen fühlen, eins mit dem Ganzen sein und sich selbst als das Ganze erkennen. „Wer sich selber erkennt, der ist überall.“ Dadurch, dass der Mensch aus seiner Selbstheit heraustritt, nichts mehr für sich selbst will, wünscht oder verlangt, gelangt die Kraft, das Bewusstsein Gottes, in ihm in Tätigkeit. Er wird selbst eins und identisch mit jener Wesenheit, die über alle Begriffe von Raum und Zeit, die ja nur menschliche Vorstellungen sind, erhaben und unabhängig von ihnen ist. Er wird selbst zum Geiste, der wohl seinen physischen Körper als ein Werkzeug benutzen kann, aber nicht von dem Dasein dieses Körpers abhängig ist. Er ist geistig überall und versetzt seine Seele, wohin er will; und wohin er sein Gefühl und sein Denken versetzt, dort ist er auch selbstbewusst mit aller seiner Wahrnehmungsfähigkeit, seinem Empfinden und Denken.

Eine solche Lehre mag allerdings für manchen höchst unwahrscheinlich klingen; aber sie stimmt mit den Lehren der Mystiker aller Völker und Zeiten überein, und wer sich von deren Wahrscheinlichkeit überzeugen will, wird mit Leichtigkeit in der Menge bereits existierender Literatur Beweise dazu finden. Dafür aber, dass diese Lehre nicht bloß wahrscheinlich, sondern wahr ist, gibt es keinen anderen Beweis, als indem der Mensch selber seiner Selbstheit entsagt und ins geistige Leben eingeht, wodurch dann das geistige Leben mit seinen Kräften in ihm erwacht. Diesen Versuch jedoch wird schwerlich jemand unternehmen, dem es nur um die Befriedigung seiner wissenschaftlichen Neugierde zu tun ist — dies um so mehr, als zu seinem Gelingen wohl viele aufeinanderfolgende Reinkarnationen oder wiederholte Existenzen auf Erden nötig sein werden, da ein einziges Erdenleben ohne die nötige vorhergehende Vorbereitung zum Erlangen dieser göttlichen Wissenschaft viel zu kurz ist. Ohne diese aber gibt es keine weiße Magie.

Da aber, wie wir auf den folgenden Seiten darzulegen versuchen werden, die in einem persönlichen Dasein erlangten geistigen Kräfte die Grundlage zur Entfaltung weiterer geistiger Kräfte im nächsten Dasein auf Erden bilden — das heißt, wenn der Mensch aus dem subjektiven Zustande wieder in den objektiven, in die Erscheinung, tritt —, so hindert uns nichts, in diesem Augenblicke den Anfang damit zu machen, ohne deshalb auf ein künftiges Leben zu warten, in dem vielleicht die Umstände hierzu weniger günstig sind, als gerade jetzt. Dass aber jeder Mensch einmal den Anfang damit machen muss, aus dem menschlich-tierischen in den menschlich-göttlichen Zustand zu kommen, steht fest; denn ohne diesen Fortschritt käme er nie zur wahren Erkenntnis und würde deshalb auch kein vollkommener Mensch, sondern nur ein Scheinwesen, das sich einbildet, ein Mensch zu sein, es aber nicht in Wirklichkeit ist.

Das Universalleben ist bedingt durch das Aufgeben der Täuschung des Sonderseins. Nur aus der Liebe zum Wahren entspringt die Erkenntnis der ewigen Wahrheit, und aus dieser deren Anwendung, die weißeMagie. Die selbstlose Liebe betätigt sich durch selbstlose Werke; sie wird nur durch diese zur Tat und nur durch die Tat zur Wirklichkeit.

Wer sich deshalb dem Studium der okkulten Wissenschaften widmen will, der sollte vor allem darauf bedacht sein, sich aus den Regionen der Selbstsucht in die der Selbstlosigkeit zu erheben. Er sollte nichts wollen, denken oder tun, um sich einen persönlichen Vorteil weder auf Erden noch im Himmel dadurch zu verschaffen, sondern er sollte die Wahrheit um ihrer selbst willen lieben und das Gute nur deshalb tun, weil es gut ist. Wer aber die Geheimwissenschaft (geheim, weil sie nicht jeder begreifen kann) deshalb erlernen will, um sich dadurch in seiner Selbstheit zu erheben, dem kann es geschehen, dass er dadurch in sich selbst Kräfte ins Leben ruft, die er nicht beherrschen kann und die ihn am Ende physisch, moralisch und intellektuell zugrunde richten. Deshalb sagt auch der deutsche Mystiker Jakob Böhme in der Vorrede zu seinem „Weg zu Christo“ wie folgt:

„Gottliebender Leser. — Wirst du dieses Büchlein recht gebrauchen und dir lassen ernst sein, so wirst du seinen Nutzen wohl erfahren. Ich will dich aber gewarnt haben: ist dir's nicht ernst, so lass die teuren Namen Gottes, in denen die höchste Heiligkeit genannt, gerüget und mächtig begehret wird, stehen, dass sie dir nicht den Zorn Gottes (die Hölle) in deiner Seele entzünden. Denn man soll den heiligen Namen Gottes nicht missbrauchen.“

Wie es eine weiße Magie gibt — das heißt, eine Erweckung und Ausübung geistiger Kräfte zum Guten, die durch Vereinigung mit dem Guten, durch das Eingehen ins göttliche Sein erlangt werden —, so gibt es auch eine schwarze Magie — eine durch gewisse Übungen erlangte Anziehung gewisser Kräfte, die zu persönlichen und daher selbstsüchtigen Zwecken verwendet werden. Die Erklärung dieser Tatsache besteht darin, dass, wie bereits oben gesagt, der menschliche Organismus dieselben Kräfte besitzt, die im Makrokosmos walten, und dass jede Kraft mit der ihr korrespondierenden höheren in Verbindung steht. Wie bei einem menschlichen oder tierischen Geschöpfe das Kind im Mutterleibe gerade diejenigen Elemente aus seiner Umgebung anzieht, die es zur Bildung seiner Organe, zu Haut, Knochen und so weiter nötig hat, so kann der geistige, aber nichtsdestoweniger substanzielle Mensch gewisse Kräfte aus dem Kosmos anziehen, welche die korrespondierenden in ihm schlummernden Kräfte zum Erwachen und zur Entfaltung bringen.

Damit ist nicht gesagt, dass diese Magie geradezu teuflischer Natur sei und nur dazu diene, um anderen Schaden zuzufügen. Tatsächlich unterscheidet sich die weiße von der schwarzen Magie nur durch den Zweck, zu dem die magischen Kräfte verwendet werden. Diese Kräfte gehören dem göttlich-geistigen Menschen an und sollten nicht missbraucht werden. Der Weise, der in den Besitz solcher Kräfte gelangt ist, verwendet sie im Dienste des Guten und in Übereinstimmung mit dem Gesetze Gottes. Der Tor wendet sie zu niedrigen und selbstsüchtigen Zwecken an. Der eine sucht dem Höchsten zu dienen, der andere das Höchste sich dienstbar zu machen. Der eine schwingt sich zum Göttlichen empor, der andere sucht es ins Gemeine herunterzuziehen. Der eine lässt sich von Gott bewegen, der andere sucht Ihn zu bewegen. Ein großer Teil des Kirchentums nähert sich der schwarzen Magie. Sie wird von Fakiren, Derwischen, Priestern und Gläubigen geübt, ohne dass sie es wissen — sei es zu dem Zwecke, staunenerregende Phänomene zuwege zu bringen, oder um sich einen persönlichen Vorteil auf Erden oder im Himmel zu erringen. Wenn man zum Beispiel die Gottheit durch Bitten oder Zeremonien zu bestimmen sucht, dieses oder jenes zu gewähren, so hat man dabei nicht Gott, sondern das eigene Selbst im Auge, und das ist bereits der Anfang zur schwarzen Magie. Während der Weise Gott dadurch zu dienen versucht, dass er sich in das göttliche Wesen ergibt und in seinem Geiste, im Geiste der Liebe, für Gott, das heißt, für das allgemeine Beste, zu sorgen bestrebt ist, strebt der Abergläubige nur danach, irgendeinen Vorteil oder eine Gunstbezeugung von Gott für sich selbst zu erhaschen. Er sucht Gott zu betrügen und zu bewegen, menschliche Wünsche zu erfüllen; statt den Willen Gottes zu vollbringen, will er, dass Gott ihm zu Diensten sei. Das ist eine verkehrte Religion. Während deshalb die weiße Magie der Weisen aller Zeitalter darauf beruht, dass sie sich in Gott ergeben und dadurch Gott in ihnen will, denkt, handelt und wirkt, suchen andere von Gott ferne zu bleiben, ihre Eigenheit beizubehalten und in ihrer Selbstheit gottähnlich zu werden. Dadurch aber, dass sie sich vom Ganzen, vom Wesen trennen, fallen sie am Ende der Vernichtung anheim. Solche Magier können auch nach dem Tode des Körpers in Astralleibern fortexistieren, sich wieder inkarnieren und so ihr Leben auf Jahrtausende verlängern. Aber was ist diese Verlängerung im Vergleiche mit der Unsterblichkeit, die durch ein Eingehen in das Wesen der Gottheit erlangt wird? Was nicht dem wahren Wesen angehört, ist bloße Erscheinung; und die Erscheinung hört auf, wenn am Ende das Licht erlischt.05

Es wird nun dem Leser klar sein, dass es bei der Wahl des Titels „Weiße und schwarze Magie“ nicht unsere Absicht war, ein Werk über irgendeinen Hokuspokus zu schreiben, seltsame Geschichten zu erzählen oder zu beschreiben, wie man diese oder jene Kräfte anwenden könnte, wenn man sie hätte. Es ist vielmehr unsere Absicht, jedem, der die Wahrheit liebt, den Weg zu zeigen, wie er selbst diese geistigen Kräfte, von denen die Welt kaum vom Hörensagen weiß, erlangen und sie richtig verwenden kann. Hat er sie einmal erkannt, so hat er für deren Dasein weiter keinen Beweis nötig. Der Weg zu dieser Erlangung ist die Vereinigung mit dem Göttlichen. Das ist auch das Endziel aller Religion und die Aufgabe jeder Kirche besteht darin, die Menschen auf diesen Weg zu führen. Solange aber Gott als ein dem Menschen fernstehendes, mit menschlichen Schwächen behaftetes Wesen betrachtet wird, das die Welt von außen regiert und sich von den Menschen beeinflussen lässt, seinen Willen zu ändern, wird man diesen Weg schwerlich finden. Gottes Wille ist das Gesetz der Natur und keiner Laune oder Veränderung unterworfen. Der einzige Weg zu Gott ist die Erkenntnis seines Gesetzes und dessen Erfüllung. Das ist die wahre Religion.

Wir leben in einem Zeitalter, in dem man gern alles Mögliche wissen möchte, ohne sich die Mühe zu nehmen, es selbst zu erfahren. Aber ohne die eigene Erfahrung gibt es keine wahre Erkenntnis; was man nur vom Hörensagen kennt, ist nur ein Scheinwissen, und selbst wenn die betreffende Theorie richtig ist, ist sie doch nichts weiter als Theorie für den, der ihre Wahrheit selber nicht erfahren hat. Ich kann mir wohl die Meinung eines anderen Menschen zu eigen machen, aber seine Erkenntnis kann nie meine eigene sein. Wenn ich eine Beschreibung von Peking lese, so kann ich wohl überzeugt sein, dass eine solche Stadt existiert, aber diese Überzeugung ist noch keine Erkenntnis. Ich weiß dann wohl, dass es wahr ist, dass dieses oder jenes in dem betreffenden Buche steht, und kann mir einbilden, diese Stadt genau aus der Beschreibung zu kennen; ich kenne dann aber doch nur ihre Beschreibung und nicht die Stadt selbst. Mein Eindruck von ihr ist nur dann der echte, wenn er von ihrem Anblicke und meinem Aufenthalte darin und nicht von der bloßen Beschreibung kommt. So ist es auch im Leben des Geistes. Wir können dieses erst dann in Wahrheit erkennen, wenn es in uns selber erwacht. Die geistig Blinden kennen es nicht und wollen auch nicht zugeben, dass es ein anderer kennt.

Dieses Erwachen des göttlichen Lebens im Menschen ist das Große Werk, von dem die alten Rosenkreuzer schreiben, dass Jahrtausende nötig sein können, um es zu vollbringen, dass es aber auch in einem Augenblicke vollbracht werden könne, ohne Ansehen der Person, ja sogar von einer Frau, während sie am Rocken sitzt und spinnt. Damit ist gemeint, dass das geistige Leben keines Menschen Erzeugnis ist, sondern aus eigener Kraft in dem erwacht, in dessen Seele es keinen Widerstand findet, wie ja auch kein Mensch mit allen seinen Bestrebungen sich das Sonnenlicht machen kann, wohl aber hat er das Sonnenlicht in reicher Fülle, sobald er sich hineinstellt.06

So ist auch alles selbst gemachte Wissen mit allen seinen Meinungen, Hypothesen, Schlussfolgerungen und Beweisen nichts anderes als ein Stückwerk, solange es an der Erkenntnis der Einheit des Ganzen fehlt. Wer in der Erscheinung sucht, findet nichts als das, was zu sein scheint. Nur wer sich selbst der Wahrheit ergibt, in dem wird die Wahrheit zum Leben. In demselben Grade, wie er in der Wirklichkeit lebt, lebt auch die Wirklichkeit in ihm. Die Erkenntnis der Wahrheit aber ist Weisheit (Theosophie); und sie befähigt den Menschen, das größte aller magischen Wunder zu vollbringen, nämlich die Verwandlung eines Tieres in einen Menschen und eines Menschen in Gott auf dem Wege der geistigen Wiedergeburt, die sich nicht im geräuschvollen Babylon (in dem von sinnlichen Lüsten erfüllten und in Wahnvorstellungen befangenen Menschen), sondern im stillen Bethlehem (in der Tiefe des Selbstbewusstseins) vollzieht.

Diese Selbsterkenntnis ist nicht ferne von uns, in der Luft, im weiten Himmelsraume zu suchen. Tief im eigenen Innern eines jeden Menschen ist sein eigenes höheres Selbst gefangen, gebunden, gekreuzigt und begraben und wartet darauf, dass der Mensch zum wahren Bewusstsein kommt, um in ihm seine Auferstehung zu feiern; aber nur von wenigen wird dies erkannt. In jedes Menschen Brust ist das gelobte Land, wo der Friede herrscht; aber nur wenige denken daran, darin einzugehen. Die Vielen ziehen es vor, in der Wüste zu bleiben und sich von fremden Theorien zu nähren. Sie suchen beständig im Äußeren nach dem, was niemand im Äußeren finden kann, solange er es nicht in seinem Inneren erkennt.

Woher aber kommen alle Misshelligkeiten unter den Menschen? Woher die falsche Philosophie, die Selbstsucht, die Tyrannei sowohl als auch der Anarchismus und die menschliche Bestialität, als gerade daher, dass der Mensch die ihm innewohnende höhere Menschennatur, das ihm bei seiner Geburt verliehene göttliche Ich, nicht kennt und dass von Schule und Kirche nichts getan wird, um ihn anzuregen, danach zu suchen? Würde nur ein ganz geringer Teil der Mittel, die heutzutage nötig sind, um Staat und Kirche zu schützen, dazu verwendet, die Menschen anzuleiten, sich selber zu suchen, so gäbe es keinen Anarchismus mehr; denn der Mensch, der sich selber gefunden hat, erkennt seine höhere Natur und die Bande, die ihn mit der ganzen Menschheit verbinden.

Auf der Erkenntnis der Einheit der Menschheit in allen Menschen, in allen Nationen, und der Einheit Gottes in allen seinen Erscheinungen beruht nicht nur alles, was man heutzutage Theosophie nennt, sondern auch alle wahre Wissenschaft, Religion, Zivilisation und Kultur. Die Wahrheit dieser Behauptung ist so selbstverständlich, dass sie jeder wahrheitsliebende Mensch, sobald er ernstlich darüber nachdenkt, begreifen wird. Sie wurde seit undenklichen Zeiten von den Weisen aller Völker gepredigt, und dennoch wird sie auch heute noch nur von wenigen begriffen und die wenigsten handeln nach diesem Gesetz.

Ehe der Mensch ein Gott werden und sich über die Menschheit erheben kann, muss er zuerst Herr über seine eigene Tiernatur und dadurch ein wahrer Mensch werden. Ehe er seine Hand nach göttlichen Kräften ausstrecken kann, muss er zuerst diejenige Vollkommenheit erlangen, die ihm zu eigen sein wird, sobald er sich selbst in seiner wahren Menschheit gefunden hat. Erst wenn er seine eigene Natur erkennt und dadurch natürlich geworden ist, kann er in das Reich des Übernatürlichen, das heißt, in das, was über der rein menschlichen Natur liegt, eintreten. Alle Versuche, das Göttliche zu sich herunterzuziehen, anstatt sich zu ihm zu erheben, führen zur Trennung vom Höchsten und zum Verderben.

Wer ein wahrer Mensch geworden ist, fühlt und erkennt sich als eins mit der ganzen Menschheit und weiß, dass das Wohl des Ganzen sein eigenes ist. Darin besteht seine große Individualität, dass sein Selbstbewusstsein das Ganze in sich umfasst und dass vor dessen Majestät alle kleinlichen Rücksichten auf seine eigene Persönlichkeit verschwinden, während bei einem Egoisten sich alles um seine Persönlichkeit dreht und er sich wenig darum bekümmern würde, wenn alles zugrunde ginge, vorausgesetzt, er fände dabei seinen Vorteil. Ein Mensch, der seine Einheit mit dem Ganzen erkennt, das Wohl und Wehe der ganzen Menschheit als sein eigenes erfasst, der lebt im Ganzen und das Ganze in ihm; er wird mit Recht ein großer Geist (Mahatma) genannt.

Darin besteht die wahre Selbsterkenntnis, dass der geistig erwachte und wiedergeborene Mensch sich dieser Einheit bewusst wird; aber um auf diese Stufe zu gelangen, dazugehört als Vorbereitung eine richtige Weltanschauung; denn die irrigen und kleinlichen Vorstellungen, die sich die Menschen von der Wahrheit machen, sind es, die sie fortwährend daran hindern, die Wahrheit selbst zu erkennen. Wo aber könnten wir eine bessere Weltanschauung finden, als unter den Weisen des Altertums und den Meistern, deren Wissenschaft nicht auf Hörensagen, auf Meinungen und Theorien, sondern auf der eigenen Selbsterkenntnis beruht, die sie dadurch erlangt haben, dass, nachdem sie wahre Menschen wurden, das Licht der Gotteserkenntnis in ihnen selbst aufgegangen ist? Nicht darum handelt es sich, dass wir ihre Lehren blindlings glauben und uns dann schlafen legen sollen mit der Beruhigung, dass diese Lehren richtig seien, sondern darum, dass wir nicht nur die Worte, sondern den Geist erfassen und uns dadurch fähig machen, die einzig wahre Offenbarung, nämlich das Aufgehen des Lichtes der Wahrheit in uns selbst, zu empfangen.

 

Das Ideal und die Wirklichkeit

Das höchste Ideal des Menschen ist die Vollkommenheit.

 

Das Ideal eines jeden Geschöpfes ist das, worin sein Wollen und Streben, Empfinden und Denken gipfelt. Jedes Wesen hat ein Ideal, das seiner eigenen Natur entspricht. Jedes hat in sich selbst den Drang nach Vervollkommnung seines eigenen Wesens; und das Ideal des Höchsten sowohl als des Niedrigsten, des Guten sowohl als des Bösen besteht in deren Erlangung. Jedes Wesen liebt deshalb, sei es instinktiv oder selbstbewusst, die Mittel, die zur Verwirklichung seines Ideals führen — die Blume den Sonnenschein, der Vogel die Luft, der Hund den Knochen, die Katze die Maus, der Geizhals den Geldsack, mit dem er ein Herz und eine Seele ist, und so weiter. Diese Dinge sind aber nicht das Ideal selbst, sondern nur die Mittel zu dessen Erlangung. In Wirklichkeit ist das Ideal der Blume die durch den Sonnenschein bedingte Entfaltung ihrer Pracht, das Ideal des Vogels die Freiheit, das Ideal des Hundes und der Katze die Befriedigung der Begierde, das Ideal des Geizhalses das Bewusstsein des Reichtums — alles lauter unsichtbare und unbegreifliche Dinge oder vielmehr Zustände. Das wirkliche Ideal eines jeden Wesens besteht in dem Genuss und nicht in dem äußerlichen Besitz des zur Verwirklichung dieses Ideals tauglichen Mittels. Was man im Grunde genommen an einem Dinge liebt, ist — wenn man sich dessen auch nicht bewusst ist — nicht das Ding an sich selbst, sondern dessen Eigenschaften; und wir können nur dadurch in den vollen Genuss der Eigenschaften, die wir lieben und bewundern, kommen, dass sie uns selber zu eigen, in uns selber zur Wesenheit werden und in uns ihren Ausdruck finden. Nur dasjenige, was wir selber sind, können wir im wahren Sinne des Wortes unser eigen nennen. Nicht die Form selbst ist es, die uns gefällt, sondern die Schönheit der Form; und sie gefällt uns deshalb, weil wir in uns selbst das Schönheitsgefühl besitzen, das durch den Anblick der schönen Form gestärkt und gekräftigt wird. Nicht die schönen Worte sind es, die uns in einem Buche ansprechen, sondern die Wahrheit, die in ihnen enthalten ist und die, in schönen Worten ausgedrückt, in unserem eigenen Herzen, wo der Sinn für das Wahre wohnt, einen Widerhall findet.

Der Genuss eines Ideals besteht in dessen Verwirklichung. Wenig würde es uns nützen zu glauben, dass irgendwo in der Welt Sonnenschein und Licht existierten, wenn wir blind wären. Wenig würde es uns helfen, die Theorie für wahr zu halten, dass irgendwo im Universum ein Gott existiere, wenn nicht der Geist Gottes in uns selber zu unserem Bewusstsein kommt. Solange ich das Dasein eines Ideals nicht selber erkenne, sondern nur vom Hörensagen davon weiß, existiert es für mich auch nur in meiner Fantasie. Es ist, als ob ich gehört hätte, dass irgendwo irgendjemand, den ich nicht kenne, mir einen Schatz hinterlassen hätte, von dem ich nichts weiß. Nur das, was in unseren Besitz kommt, ist unser eigen, und wir können es genießen. Nur das, was in unser Bewusstsein tritt, ist für uns da. Währen wir unter Bergen von Gold begraben und wüssten nicht, dass es Gold ist, so hätten wir doch nichts davon. Die Verwirklichung unserer Ideale ist somit nicht in dem bloßen Besitze, sondern in dem Bewusstsein desselben und folglich in uns selbst zu finden. Alle wirklichen Güter sind deshalb geistiger Natur und werden nur durch die selbstbewusste Vereinigung mit dem Ideal, das sie darstellen, erlangt. Das Ideal, mit dem wir vereinigt sind, wird ein Bestandteil unseres Selbst. Nur in uns selbst können wir die Verwirklichung unserer Ideale finden.

Wäre der Mensch nicht ein zusammengesetztes, sondern ein einfaches Wesen, so hätte er auch nur einen einzigen Willen, einen einzigen Gedanken, ein einziges Ideal. Sein materieller Körper verlangt nach Ruhe, seine Lebenskraft nach Bewegung; die ihm innewohnende Tiernatur sucht nach Befriedigung ihrer Begierden und Leidenschaften, der ihm innewohnende Intellekt sucht nach Vermehrung und Erweiterung seines Wissens, aber seine Seele sehnt sich nach der Selbsterkenntnis der Wahrheit, nach Vereinigung mit den höchsten Idealen. Das Vergängliche im Menschen sucht sein Glück im Vergänglichen; das Unsterbliche in ihm findet nirgends Ruhe als in der Unsterblichkeit selbst.

Was ist Unsterblichkeit? — Die Bibel sagt: „Es ist niemand unsterblich als Gott.“07 Gott ist kein Jemand, sondern das Wesen von allem. Auch die Wissenschaft lehrt die Unsterblichkeit des ganzen Weltalls. Es findet überall Veränderung der Formen, aber nirgends eine Vernichtung des Wesens statt. Formen verschwinden, aber es geht kein Atom vom Stoff aus dem Weltall verloren. Kräfte werden in andere umgesetzt, aber die Kraft bleibt im Grunde genommen dieselbe. Eine Form des Bewusstseins verschwindet, aber es tritt in anderer Form wieder auf. Die Lebenstätigkeit hört an dem einen Orte auf, aber das Lebensprinzip bleibt dasselbe und offenbart sich überall, wo die dazu nötigen Bedingungen vorhanden sind.

Alles ist unsterblich und kann nicht vernichtet werden. Es findet keine Zerstörung des Ewigen statt08, aber eine Form oder Lebenserscheinung kann dieses ewige Leben nicht genießen, solange es nicht in ihm zu seinem Bewusstsein gekommen ist. Ein Mensch, als Individuum betrachtet, ist erst dann unsterblich, wenn das Unsterblichkeitsbewusstsein in seinem Innern erwacht.

In jedem Menschen ist ein Funke des ewigen, geistigen Lebens enthalten, und aus ihm entspringt das Gefühl der Unsterblichkeit von irgendetwas in ihm, das er nicht kennt. Das Tier fürchtet den Tod nicht, weil es das geistige Leben nicht hat. Das Sterbliche im Menschen scheut sich vor dem Tode, weil es instinktiv fühlt, dass in ihm Unsterbliches gesät ist und dass es nicht selbst dieses Unverwesliche ist. Das Ideal eines jeden ist, ein unsterbliches Dasein im Vollgenuss des höchsten Glücks zu erlangen, und viele geben sich der Erwartung hin, dies nach dem Tode des Körpers zu erreichen. Aber woher sollte das Bewusstsein eines höheren Lebens nach dem Verlassen des Körpers kommen, wenn es nicht schon vor diesem Verlassen vorhanden ist?

Welches ist das höchste Ideal, das der Mensch ahnen und denken kann? — Die allgemeine Vollkommenheit, alles in allem zu sein, alles zu besitzen, alles zu können, von allen geliebt zu werden und alleiniger Herr über alles zu sein, darüber hinaus ist kein Ideal denkbar. Eine Vollkommenheit ist undenkbar ohne Wesenheit; eine Eigenschaft ist nicht vorhanden, wenn nichts da ist, das sie besitzt. Das Wesen des Ideals, dem diese allgemeine Vollkommenheit zukommt oder zukommen würde, wenn es verwirklicht wäre, wird Gott genannt. Deshalb ist Gott das höchste Ideal der Menschheit und dieses Ideal kann sich im Menschen nur dadurch verwirklichen, dass er selber Gott wird. Wenn aber das Wesen in allen Dingen Gott ist, dann ist auch der Mensch seinem wahren Wesen nach Gott und braucht es nicht erst zu werden. Es handelt sich für ihn nur darum, dass er das, was in ihm göttlicher Natur ist, nämlich sein wahres Wesen, wirklich erkennt; so erkennt er dadurch auch Gott und die ganze Natur. Durch diese Selbsterkenntnis wird ihm das Ideale zum Realen, das göttliche Sein in ihm selber zur Wirklichkeit. Er erkennt die Wahrheit in sich als sein eigenes Wesen und dieses Wesen als Gott, denn die göttliche Selbsterkenntnis des Menschen in Gott und die Gotteserkenntnis im Menschen ist ein und dasselbe.

Es kann nur ein einziges allumfassendes und alles durchdringendes höchstes Ideal geben, das selbst das Wesen von allem ist; und wenn sich dieses Ideal im Menschen dadurch verwirklicht, dass er sich in ihm erkennt und es in ihm zum Selbstbewusstsein gelangt, dann erkennt er auch alles, besitzt alles, ist Herr über alles und ist selber die Wahrheit und das Wesen in allem. Aber nicht das, was man gewöhnlich als den Menschen zu betrachten gewohnt ist, weder sein Körper, noch sein Verstand, hat diese Erkenntnisfähigkeit. Sie sind nicht Gott und können sich deshalb auch nicht als Gott erkennen. Sie sind nur zurückgeworfene Strahlen und Schatten des ewigen Lichts. Nur der Sohn kann den Vater erkennen. Nur der göttliche Funke im Menschen, der selber ein Ausfluss der wahren Wesenheit ist, kann sich als das wahre Wesen erkennen, das er tatsächlich ist. Dieses wahre Wesen im Menschen und in allem ist sein eigenes wahres Ich; alles andere ist vergänglicher Schein. Wollen wir daher die göttlichen oder magischen Kräfte kennenlernen, die in unserer Natur verborgen sind, so handelt es sich vor allem darum, das, was in unserem Wesen göttlicher Natur ist, zu finden und sich über allen Egoismus und alle Täuschung des Sonderseins zu jener Stufe zu erheben, auf der dasjenige existiert, dem diese göttlichen Kräfte angehören. Nur auf diese Art kann uns die Magie von Nutzen sein, denn was nützen uns alle Vorschriften zur Anwendung von Kräften, wenn wir diese Kräfte nicht besitzen oder erkennen und sie deshalb nicht anwenden können?

Magie bedeutet jene große und erhabene Wissenschaft, die nur dem Geistmenschen zugänglich ist und dem Tiermenschen sowohl als auch dem sogenannten Verstandesmenschen, der sich nur auf der intellektuellen, nicht aber auf der geistigen Ebene bewegt, für immer geheim bleiben muss, weil er nicht fähig ist, sie zu begreifen. Deshalb ist auch das Wort Magie für die moderne materielle Wissenschaft ein leerer Schall und die höhere Geheimwissenschaft existiert für sie nicht. Wohl ist sie aber den Weisen unter denjenigen Völkern bekannt, die vielleicht weniger Erfahrung als wir in der Wissenschaft der oberflächlichen Erscheinungen in der Natur besitzen, in denen aber das geistige Leben weit mehr zur Entfaltung gekommen ist, als bei uns.

Betrachten wir unsere hochgepriesene europäische Zivilisation genau, so sehen wir, dass das meiste, was wir als wirkliches Wissen betrachten, nichts als ein Gewebe von Meinungen, Theorien und Schwärmereien, aber ohne wirkliche Erkenntnis der Wahrheit ist, weil die Wahrheit nicht in der Fantasie und in Träumen und Meinungen, sondern in sich selbst zu finden ist. Goethe sagt:

Was man nicht weiß, das eben brauchte man,

und was man weiß, kann man nicht brauchen.09

Allerdings hat die exakte Naturwissenschaft große Fortschritte gemacht. Da aber die ganze Natur selbst nur eine Erscheinung (Maya), ein Abbild im Spiegel des Ewigen ist, bezieht sich auch diese ganze Wissenschaft nur auf den Schein und nicht auf das ihm zugrunde liegende wahre und wirkliche Wesen. Sie befasst sich mit den Verhältnissen, die zwischen diesen Erscheinungen herrschen, und ihre Exaktheit besteht darin, dass sie diese Verhältnisse und deren Gesetze genau beschreibt. Da sie aber nur mit Erscheinungen zu tun hat, so ist sie auch trotz ihrer zeitlichen Nützlichkeit nur eine Schein Wissenschaft und hat für die Selbsterkenntnis des Ewigen und Unveränderlichen keinen positiven Wert. Um das Göttliche und ewig Wahre kennenzulernen, müssen wir über alle Erscheinungen und Vorstellungen in der Natur hinausgehen, dorthin, wo der Geist Gottes in unserem Selbstbewusstsein lebt und die Wahrheit sich in uns in ihrer eigenen Kraft offenbart. Wo der Mensch der Erde aufhört, da fängt der Mensch des Himmels mit seinen göttlichen Kräften zu wirken an. Wenn der "Gebildete" diese Wahrheit nicht begreifen kann, so ist das nicht schlimm für die Wahrheit, wohl aber schlimm für den Gebildeten selbst.

Man gefällt sich darin zu behaupten, dass es keine Magie und nichts Übernatürliches gäbe. Dennoch ist die ganze Welt, in der wir leben, ein Produkt des in der Natur wirkenden Geistes und die Natur selbst ist nicht aus sich selbst, sondern durch die Kraft des qualitativ höher als die Natur stehenden Geistes entstanden. In der Bhagavad Gita heißt es: „Durch den Zauber meiner Schöpfungskraft habe Ich das Weltall aus mir selber hervorgebracht.“10 Und die Bibel bestätigt es, wo es heißt: „Alles ist durch das Wort gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“11 Den Beweis, dass diese Worte nicht wahr sind, hat noch kein Gelehrter erbracht; wohl aber gehört zu ihrem Begreifen, dass man das Ich, von dem dabei die Rede ist, und die Kraft des geistigen Wortes in sich selber fühlt und erkennt. Schopenhauer scheint eine Ahnung davon gehabt zu haben, als er „Die Welt als Wille und Vorstellung“ schrieb. „Ich“, (OM) sagt Brahma, „bin die Quelle, aus der das ganze Weltall entspringt, und in die es zurückkehrt.“12 „Ich bin in allen Dingen der unsterbliche Same.“13 „Am Anfange eines jeden Schöpfungstages (Manvantara) geht das Offenbare aus dem Nichtoffenbaren hervor, und es verschwindet in ihm, welcher der Nichtoffenbare genannt wird, beim Anbruch der Nacht (Pralaya).“14 — „Über meiner sichtbaren Natur gibt es eine unsichtbare, die nicht untergeht, wenn auch alle geschaffenen Dinge verschwinden.“15 — „Das ganze Weltall ist durch mich entfaltet worden, vermittels meiner materiellen Natur (Mulaprakriti); alle Dinge wohnen in mir, nicht aber ich (in meinem Selbstbewusstsein) in ihnen.“16 „Ich bin der Ursprung von allem. Das ganze Weltall entspringt aus mir. Die Weisen, die mein Ebenbild sind, erkennen das und verehren mich.“17 „Ich bin die Seele, die im Herzen eines jeden Geschöpfes ihren Sitz hat. Ich bin der Anfang, das Ende und die Mitte von allem.“18

Alle diese und ähnliche Weisheitslehren bedürfen keines äußerlichen, wissenschaftlichen Beweises für den, der die Gegenwart der schöpferischen Kraft in seinem eigenen Herzen empfindet. Wer aber geistig blind ist und von der Gegenwart Gottes in seiner Seele nichts fühlt, der hat dafür keine Befähigung. Es steht geschrieben: „Durch meinen mystischen Zauber verhüllt, bin ich nicht jedermann offenbar. Die betörte Welt kennt mich, den Ewigen, Unerschaffenen, nicht.“19

Auch die Bibel lehrt: „Der natürliche Mensch weiß nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm eine Torheit.“20 Wie viele Menschen mühen sich ihr Leben lang ab, mit ihrem irdischen Menschenverstand das Ewige und Unsterbliche zu begreifen und in dessen Geheimnisse einzudringen; und dennoch wird ein solches Mühen immer vergeblich sein, solange der Mensch nicht seiner Selbstheit entflieht und seine Zuflucht im Ewigen findet, denn der menschliche Scharfsinn ist beschränkt und kann das Ewige nicht in sich fassen. Nur das Ganze kann sich selber im Ganzen als das Ganze erkennen; das Intellektuelle kann nur das Intellektuelle kennen. Nur der Geist Gottes im Menschen, jenes Bewusstsein, welches das Ganze umfasst und durchdringt, erforscht die Tiefen der Gottheit.21 Der menschliche Geist beherrscht nur die Oberfläche des Erschaffenen; der Geist Gottes im Menschen dringt in das Wesen des Schöpfers ein.

Alles, was in der Natur vor sich geht, wird durch die Natur hervorgebracht; aber wie der Wille unfruchtbar bliebe ohne den zeugenden Gedanken, so würde auch die Natur aus eigener Kraft nichts hervorbringen können ohne den in ihr wirkenden Geist. Der Geist aber, der in der Natur unbewusst tätig ist, wird im geistig erwachten Menschen /um Selbstbewusstsein, das ihn über die materielle Natur erhebt. Ohne dieses gäbe es keine Kunst, keine Idealisierung des Natürlichen. Dieses geistige Selbstbewusstsein, das nicht der Spekulation, sondern dem Genie zugehört, erhebt den Menschen über die Natur, stellt ihn aber nicht außerhalb von ihr.

Um daher zu einer höheren Wissenschaft zu gelangen als der alltäglichen, müssen wir die im Menschen und in der Natur enthaltenen geistigen Kräfte und vor allem den Menschen selbst kennenlernen. Dieses ist aber nicht möglich, solange wir nichts von seiner Zusammensetzung oder Organisation kennen wollen, als was uns die moderne Anatomie und Physiologie darüber zu sagen wissen, denn diese Wissenschaften behandeln nicht den Menschen, sondern nur dessen körperliche Erscheinung, nicht den Bewohner des Hauses, sondern das Haus, in dem er wohnt. Auch in dem Studium der alten Philosophen, Theologen, Mystiker und Alchemisten werden wir wenig Aufklärung finden; sie sind zum großen Teile in einer rätselhaften Sprache geschrieben, die nur dem verständlich ist, der die Sache, um die es sich handelt, bereits kennt. In neuerer Zeit wurde uns durch die aus dem fernen Osten kommenden Eröffnungen wieder ein Schlüssel zu einem tieferen Verständnis der Geheimnisse des Seelenlebens in der Natur in die Hand gegeben, und die Mitteilung der Lehre von den sieben Grundkräften in der Konstitution des Menschen und der Natur hat plötzlich in vieles Licht gebracht, das vorher unbegreiflich und fabelhaft schien. Jetzt werden uns die geheimnisvollen Dinge klar, von denen die Weltweisen und Erleuchteten aller Zeiten und Völker schrieben und die Poeten sangen, die uns aber als Träume von ewig unerreichbaren Idealen erschienen. Jetzt finden wir, dass der Gott, nach dem Wissenschaft und Theologie über den Wolken gesucht haben, ohne ihn finden zu können, in der Menschheit selbst offenbar werden kann und nicht in den Kirchen, sondern im Menschenherzen selbst seine Wohnung hat; dass der Mensch selbst einen göttlichen Ursprung hat und ein Bürger des Himmels ist, wenn er auch während seines periodischen Erscheinens auf Erden an einen dem Tierreiche verwandten Körper gebunden und an den Erdgeist gefesselt ist. Jetzt erkennen wir auch, dass das, was man Glück oder Unglück nennt, kein Spiel des blinden Zufalls ist, sondern dass jeder die Folgen von dem tragen muss, was er selber geschaffen hat. Auch sehen wir, dass die für uns sichtbaren Geschöpfe in dieser Welt nicht die einzigen lebendigen Wesen sind, sondern dass es außer diesen noch eine unzählige Menge anderer und sogar intelligenter Wesen gibt, von denen unsere moderne Wissenschaft nichts weiß, deren Dasein aber auf das Leben des Einzelnen sowohl als des Ganzen von außerordentlich großem Einfluss ist.