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Das Wort Karma (Sanskrit) bedeutet Handlung oder Tätigkeit, und wenn vom Gesetze des Karma die Rede ist, so ist damit nichts anderes gemeint als das allgemeine Naturgesetz, dem zufolge jede Tätigkeit eine Ursache ist, welche bestimmte Folgen hat, und aus diesen Folgen entstehen neue Ursachen zu entsprechenden Tätigkeiten oder Handlungen; und so fort ins Unendliche, bis wieder die völlige Ruhe eintritt, in welcher alle Tätigkeit aufhört. Jedes individuelle Ding, sei es ein Atom, ein Mensch, ein Volk, eine Welt oder ein Sonnensystem, hat deshalb sein Karma, oder, mit anderen Worten, seine aus natürlichen Ursachen und Folgen zusammengesetzte Lebensgeschichte, deren Ereignisse nicht aus einer Reihe von Zufälligkeiten bestehen, sondern wobei das eine dem andern entspringt; und da nichts in der Welt vereinzelt dasteht, sondern jedes Einzelne mit dem Ganzen zusammenhängt, so ist auch das Karma des Einzelnen mit dem Karma des Ganzen verbunden, und das Karma des Ganzen hängt von den Handlungen der einzelnen Glieder ab; beide bedingen sich gegenseitig. Inhaltsverzeichnis Einleitung Täuschungen Das Dasein Der Gedanke Das Reich der Erscheinungen Selbstbewusstsein Verwirklichung Vollendung Das Ich und die Iche Die Wiederverkörperung Die mystischen Kräfte Harmonie
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Seitenzahl: 239
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Karma – Wissen, Wirken und Werden
Enthaltend praktische Anweisungen in Bezug auf die okkulte Wissenschaft
für diejenigen, welche nicht bloß wissen, sondern auch werden wollen.
Dr. Franz Hartmann
Verlag Heliakon
Titel: Karma – Wissen, Wirken und Werden
Umschlaggestaltung: 2025 © Copyright Verlag Heliakon
Titelbild: Fegefeuer( Gemälde aus „ Très Riches Heures du Duc de Berry “)
Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH,
Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Verlag Heliakon
Raidinger Straße 29
81377 München
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.de abrufbar.
Inhaltsverzeichnis
Titelseite
Einleitung
Täuschungen
Das Dasein
Der Gedanke
Das Reich der Erscheinungen
Selbstbewusstsein
Verwirklichung
Vollendung
Das Ich und die Iche
Die Wiederverkörperung
Die mystischen Kräfte
Harmonie
Das eben ist der Fluch der bösen Tat,
Dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.
Schiller, (Wallenstein)
Das Wort Karma (Sanskrit) bedeutet Handlung oder Tätigkeit, und wenn vom Gesetze des Karma die Rede ist, so ist damit nichts anderes gemeint als das allgemeine Naturgesetz, dem zufolge jede Tätigkeit eine Ursache ist, welche bestimmte Folgen hat, und aus diesen Folgen entstehen neue Ursachen zu entsprechenden Tätigkeiten oder Handlungen; und so fort ins Unendliche, bis wieder die völlige Ruhe eintritt, in welcher alle Tätigkeit aufhört. Jedes individuelle Ding, sei es ein Atom, ein Mensch, ein Volk, eine Welt oder ein Sonnensystem, hat deshalb sein Karma, oder, mit anderen Worten, seine aus natürlichen Ursachen und Folgen zusammengesetzte Lebensgeschichte, deren Ereignisse nicht aus einer Reihe von Zufälligkeiten bestehen, sondern wobei das eine dem andern entspringt; und da nichts in der Welt vereinzelt dasteht, sondern jedes Einzelne mit dem Ganzen zusammenhängt, so ist auch das Karma des Einzelnen mit dem Karma des Ganzen verbunden, und das Karma des Ganzen hängt von den Handlungen der einzelnen Glieder ab; beide bedingen sich gegenseitig. Jeder Organismus, sei es ein menschlicher, gesellschaftlicher, kirchlicher, staatlicher, oder die ganze Menschheit zusammengenommen, kann als ein Ich betrachtet werden, welches als solches will, denkt und handelt und dadurch Ursachen schafft, welche sein Wollen, Denken und Handeln für die nächste Zukunft und damit auch sein Schicksal bestimmen; nur das Selbstlose handelt nicht und hat daher auch kein eigenes Karma; da es keine eigene Individualität hat, so kann es auch nichts tun, das dieser nicht vorhandenen Individualität Eigenschaften verleihen oder ihm Glück oder Unglück bringen würde. Das Selbstlose aber ist Gott, d. h. der durch die wahre Erkenntnis vom Selbstwahne erlöste und freie Wille, in welchem kein Begriff der Getrenntheit von der Einheit des Ganzen mehr existiert. Ein Organismus schafft sich sein Karma, solange er in Tätigkeit ist; und desgleichen das Selbst, welches durch diesen Organismus wirkt. Wenn aber durch diesen Organismus nicht der eigene Wille, sondern die über alle Selbstheit erhabene Weisheit wirkt, so ist keine Eigenheit vorhanden, die sich Gutes oder Böses zuziehen könnte; sondern das Gute selbst, welches an keinen Selbstwahn gebunden ist, wirkt in ihm, und da kann von keiner Rückwirkung auf dieses nicht existierende Selbst die Rede sein.
Das innerste Wesen des Menschen ist der Wille; derselbe kann gut oder schlecht oder nur unbewusst sein, und demgemäß werden seine Handlungen entweder der Erkenntnis, der Leidenschaft oder der Unwissenheit entspringen und diese für dieselben verantwortlich sein; er selbst ist nur den Folgen seiner Handlungen unterworfen, insofern diese Eigenschaften seine eigenen sind, oder, mit anderen Worten, solange er sich mit einer derselben identifiziert. Geht seine Handlungsweise aus seiner Unwissenheit hervor, so ist er dafür nicht verantwortlich, wenn auch sein Körper, das Werkzeug, wodurch er handelte, die Folgen seiner Handlungen büßen muss; denn die Unwissenheit ist ein negativer Begriff, ein Nichts, und hat keine Verantwortung. Geht seine Handlungsweise aus der Leidenschaft hervor, so hat er die Folgen davon zu tragen, insofern als diese Leidenschaft seine eigene ist und er sich mit derselben identifiziert. Geht dieselbe aus seiner eigenen Erkenntnis des Guten hervor, so werden ihm die Folgen seiner guten Handlungen zugutekommen. Handelt er aber in der Kraft der Erkenntnis in völligem Selbstvergessen und Selbstlosigkeit, so ist es die Kraft des göttlichen Geistes, welche sein Bewusstsein erfüllt und durch ihn handelt und wirkt, und nicht seine eigene Persönlichkeit, und seine Persönlichkeit hat dann an diesen Handlungen keinen Teil; wenn es auch dabei nicht ausgeschlossen ist, dass für die Persönlichkeit, durch welche aus reinem Pflichtgefühl selbstlose Taten geschehen, dadurch freudige oder schmerzliche Folgen entstehen. Der Mensch kann aus seinem dem Eigendünkel entspringenden Eigenwillen, welcher eine Täuschung und deshalb eine Verkehrtheit ist, nichts zur Ehre Gottes tun; lässt er aber seinen Selbstwahn fallen und das in ihm erwachte Gottesbewusstsein ihn führen und durch ihn handeln, so verherrlicht Gott sich selber in ihm ohne sein Zutun. Es ist nicht richtig zu sagen, dass ein solcher Mensch seine Pflicht erfüllt, denn er selber tut nichts dabei aus sich selbst, er ist nur das Werkzeug, durch welches das, was geschehen soll und muss, sich erfüllt. Deshalb heißt es in der Bhagavad Gita: „Tue, was getan werden soll, aber selbstlos und ohne persönliche Rücksicht. Wer völlig selbstlos handelt, der gelangt zum All-Einigen1.
Ein Beispiel mag Obiges erläutern: Nehmen wir einen Soldaten auf dem Schlachtfelde, so kann derselbe aus dreierlei Ursachen handeln; nämlich aus Unwissenheit, wobei er bloß ein blindes Werkzeug des Zwanges ist, aus Leidenschaftlichkeit oder aus Vaterlandsliebe. Kämpft er aber aus reinem selbstlosen Pflichtgefühl, so entspringt sein Tun nicht seinem eigenen Willen, sondern er handelt nach dem Gesetze der Pflicht.
Der Erstere ist ein Dummkopf, welcher bloß dem Gesetze der Notwendigkeit folgt; er schießt blindlings darauf los und hat dabei weder einen Nachteil noch ein moralisches Verdienst zu beanspruchen; er handelt nicht aus eigenem Antriebe, sondern als blindes Werkzeug des Willens seiner Vorgesetzten, und auf diese fällt die Verantwortlichkeit je nach dem Grade ihrer Erkenntnis und ihrer Beweggründe. Der Zweite ist ein Werkzeug der Leidenschaft, die entweder aus eigenem nationalen Hass entsprungen ist oder sich infolge der ihn umgebenden Stimmung seiner bemächtigt hat. Er sucht nicht bloß seine Pflicht zu tun, sondern auch seinen eigenen Ehrgeiz oder seine eigene Mordlust zu befriedigen, und je mehr er sich seiner Leidenschaft hingibt und sich mit ihr identifiziert, um so mehr handelt er aus seinem Eigenwillen und macht die Leidenschaft zu seinem Ich. Wie der zweite aus eigenem Willen Böses zu tun sucht, so sucht der dritte aus eigenem Willen Gutes zu tun. Ihn treibt die Vaterlandsliebe an, und indem er sich mit derselben identifiziert, eignet er sie sich an und macht sie zu seinem Ich. Dabei handelt er denn aus eigenem Willen und schafft sich sein eigenes Karma, sei es gut oder schlecht. Der Soldat aber, welcher ohne an sich selbst zu denken und ohne selbstsüchtige Begierde nur darnach trachtet, seine Pflicht zu erfüllen, handelt selbstlos; die moralischen und geistigen Folgen seiner Handlungen betreffen ihn nicht persönlich; dies aber schützt ihn weder davor, an dem aus dem Kriege entspringenden Karma seiner Nation teilnehmen zu müssen, noch auch vor persönlichen Leiden durch Verwundung, Gefangenschaft usw. Der Selbstlose kann ebenso gut verwundet, gefangen oder getötet werden als der Dumme oder der Leidenschaftliche; denn die Person eines jeden ist ein äußerliches Ding und hängt mit äußerlichen Umständen zusammen. Dagegen wird die Rückwirkung auf den inneren Menschen, in Bezug auf dessen Moral und Denkweise, eine verschiedene sein, je nach dem Beweggrunde der Handlung; d. h. je nach der Quelle, der sein Wollen, Denken und Tun entsprang. Das Wollen, Denken und Tun eines Menschen ist aber gerade dasjenige, was ihn von anderen Menschen unterscheidet. Darin besteht seine Individualität und daraus folgt sein individuelles Handeln, folglich sein eigenes Karma. Damit ist aber auch gesagt, dass jeder Mensch selber sein eigenes Karma ist. Er ist die Summe der Eigenschaften, die er sich durch sein Wollen, Denken und Tun erworben hat, und aus dieser Summe werden Ursachen geboren, welche sein Wollen, Denken und Tun bestimmen; sie besteht aus seinen Talenten und Fähigkeiten, welche, wenn sich die Gelegenheit bietet, zum äußerlichen Ausdruck kommen, bei einem anderen aber, welcher dieselben nicht besitzt, sich nicht geltend machen können; denn der Mensch kann nichts tun, das über seine Kräfte geht; seine Handlungen sind ein Ausdruck seiner geistigen Kraft; er kann dasjenige nicht äußern, was er nicht in sich hat, er handelt so, wie er ist.
Ehe wir zu einer Betrachtung der okkulten Kräfte, welche an den Wirkungen des Karma beteiligt sind, schreiten, wird es geeignet sein, uns darüber klar zu werden, dass diese Wirkungen in nichts Fremdartigem ihre Ursache haben, sondern dass ihr Ursprung im Menschen selber zu finden ist:
Die bewegende Kraft im Menschen, in welcher sein Wollen, Denken und Können zusammengefasst ist, und welche sein Tun und Lassen bestimmt, wird sein Charakter genannt. Emerson sagt in Bezug darauf: „Es gibt Leute, in deren Gegenwart man stets das Gefühl hat, wenn man sie sprechen hört, es müsse in ihnen etwas Feineres, Höheres sein als alles, was sie aussprechen. Es gibt Menschen von großer Bedeutung und wenig Taten. Wir können kaum den kleinsten Teil vom Gewichte Washingtons in der Geschichte seiner Leistungen finden, und die Autorität, die der Name Schillers besitzt, ist größer als seine Schriften. Der größte Teil der Kraft in solchen Personen ist latent. Dies ist es, was man ihren Charakter nennt, eine aufgespeicherte Kraft, die unmittelbar und durch ihre bloße Gegenwart wirkt. Das reinste literarische Talent z. B. erscheint manchmal größer, manchmal geringer; aber der Charakter besitzt eine sternenhafte, unveränderliche Größe; er erficht seine Siege durch die bloße Demonstration seiner Überlegenheit, nicht durch das Kreuzen der Bajonette; er gewinnt, weil durch seine Ankunft die ganze Sachlage überhaupt eine andere wird. So brauchen Volksvertreter, die ihren Standpunkt zu behaupten wissen, nicht erst ihre Wähler zu fragen, was sie sprechen sollen, sondern sind selbst das Land, das sie vertreten.
„Dieselbe bewegende Kraft zeigt sich im Handel. Es gibt kaufmännische Genies, so gut wie kriegerische, staatsmännische oder wissenschaftliche; und über den Grund, weshalb der eine Glück hat und der andere nicht, lässt sich nichts anderes sagen als: Es liegt in ihm. Sehet ihn an, und ihr werdet seinen Erfolg begreiflich finden.“
Von der Natur selbst scheint der Handel autorisiert, sobald wir den natürlichen Kaufmann erblicken, der kaum mehr als ein privater Geschäftsmann, sondern als ihr Agent und Handelsminister erscheint. Ich sehe ihm an, wie viel feste sichere Akte er heute schon vollzogen hat, wie viel tapfere Nein an diesem Tage ausgesprochen wurden, wo andere ein verderbliches Ja gesprochen hätten. Auch ist er überzeugt, dass niemand ihn ersetzen kann, und dass ein Mensch für den kaufmännischen Beruf geboren sein muss oder ihn nie erlernen kann.
„Die größte physische Kraft wird durch diese geistige Kraft paralysiert. Höhere Naturen überwältigen niedrigere, indem sie sie in einen gewissen Schlaf versetzen. Die Fähigkeiten werden gleichsam abgesperrt und leisten keinen Widerstand mehr. Charakter ist eine Naturkraft, wie Licht und Wärme, und die ganze Natur arbeitet mit ihr. Der Grund, weshalb wir die Gegenwart eines Menschen empfinden und die eines anderen nicht, ist so einfach wie die Schwerkraft. Wahrheit ist der Gipfel des Seins; Gerechtigkeit ihre Anwendung auf die Lebensverhältnisse; alle individuellen Naturen stehen in einer Stufenleiter, geordnet nach der Reinheit, in der dieses Element sich in ihnen findet. Der Wille reiner Menschen strömt von ihnen herab auf Geringere, wie Wasser aus einem höheren Gefäß in ein tieferes herabfließt. Dieser Naturkraft lässt sich so wenig Widerstand entgegensetzen wie einer andern. Es ist das Vorrecht der Wahrheit, sich selbst Glauben zu verschaffen. Der Charakter ist dieses moralische Gesetz durch das Medium individueller Naturen gesehen. Jedes Individuum ist ein Gefäß. Zeit, Raum, Freiheit, Notwendigkeit, Wahrheit und Ideen sind da nicht mehr im Freien. Die Welt wird ein Gehege, ein Pfandhaus. Das Universum steckt in dem Menschen, individuell gefärbt, je nach der eigentümlichen Art seiner Seele. Er schließt die Welt ein, wie ein Patriot sein Vaterland, als die materielle Basis seines Charakters, als den Schauplatz seines Tuns. Eine gesunde Seele verbindet sich mit dem Gerechten und Wahren, wie der Magnet sich nach dem Pole richtet, sodass er für alle Beschauer gleich einem transparenten Gegenstand zwischen ihnen und der Sonne steht, und wer immer sich auf die Sonne zu bewegt, sich auch zu ihm bewegen muss. So wird er das Medium des höchsten Einflusses für alle, die nicht auf derselben Höhe stehen. Unreine Menschen können eine Handlung nicht sehen, solange sie nicht vollzogen ist, und dennoch existierte das geistige Element der Handlung längst schon im Täter, und die Qualität derselben als recht oder unrecht war leicht vorauszusagen. Alles in der Natur ist zweipolig, alles hat einen positiven und einen negativen Pol. Der Geist ist das positive, das Ereignis das negative Bild. Der Wille stellt den Nordpol, die Handlung den Südpol dar. Vom Charakter kann man sagen, dass er seine natürliche Stelle im Norden habe; er nimmt an den magnetischen Strömungen des ganzen Systems teil. Die schwachen Seelen werden vom südlichen, negativen Pol angezogen; sie fragen nach dem Nutzen oder Schaden, den eine Handlung bringt. Sie können ein Prinzip nicht wahrnehmen, solange es nicht in einer Person verkörpert ist; sie wünschen nicht, liebenswürdig zu sein, sondern geliebt zu werden. Der Held aber erkennt, dass der Erfolg etwas Knechtisches ist und ihm folgen muss. Aus jeder noch so glücklichen Lage kann der Geist des Guten fliehen; aber an manche Geister heftet sich das Glück und bringt Macht und Sieg als ihre natürlichen Früchte, welchen Lauf die Dinge auch nehmen mögen. Kein Wechsel der Verhältnisse kann einen Mangel im Charakter ersetzen. Charakter bedeutet Zentralität; die Unmöglichkeit, aus seiner Stelle gerückt oder gestürzt zu werden. All unser Tun muss mit mathematischer Genauigkeit auf unserem Wesen beruhen. Tatkräftiges Tun basiert nur auf Realität. Wir werden unsere Existenz stets hinausschieben müssen und den Boden, auf den wir ein Anrecht haben, nicht betreten, solange es nur ein Gedanke ist, der uns treibt, und nicht der Geist.“
Alles, was sich durch einen Menschen äußern soll, muss in ihm erst selber enthalten sein, und es kann nichts aus ihm herauskommen, das nicht bereits in ihm steckt. Es kann aber auch nichts in ihm stecken, als was vorher in ihn hineingekommen ist und sich in ihm entwickelt hat. Die Geister, welche in ihm Fleisch und Blut geworden sind, stellen die Summe seiner individuellen Eigenschaften dar; sie sind sein Charakter, sein natürliches Selbst. Ein bloßer Gedanke ist noch kein Geist, ein bloßes Spiel der Fantasie ist noch kein tatkräftiger Wille; gute Vorsätze allein sind noch nicht genügend. Damit der Gedanke zum Geiste werde, muss er vom Willen durchdrungen sein; dann erst kann der Geist den Körper beherrschen und der Gedanke zur Tat werden. Durch die Einwirkung des Geistes auf die Materie wird die Materie zur Kraft, und somit stellt jeder einzelne Mensch nicht bloß eine Summe von passiven Eigenschaften, sondern von aktiven physischen, seelischen und geistigen Kräften dar, durch welche er befähigt wird, gewisse Handlungen, sei es bewusst oder unbewusst, zu vollbringen, welche ein anderer, nicht so beschaffener Mensch, nicht ebenso auszuführen befähigt ist.
Somit können wir den natürlichen Menschen als ein ganzes Königreich von Geistern betrachten. Jede individuelle Kraft in ihm stellt einen Bewohner dieses Königreichs dar, der seinen eigenen Wirkungskreis hat; die physischen Kräfte wirken auf der physischen Ebene und stehen zu ihr in Beziehungen; die psychischen haben es mit der psychischen, die geistigen mit der geistigen Welt zu tun. Über allen aber steht der göttliche Geist, welcher, wenn er im Menschen zu dessen Selbstbewusstsein gekommen ist, alle diese Kräfte zu seinen Diensten verwenden kann, ohne deshalb selbst aus seiner Ruhe zu kommen2; wie ja auch die Sonne im Mittelpunkt unseres Sonnensystems durch ihre Kraft alles Leben in unserer Welt in Bewegung setzt, ohne selbst am Spiele der Schatten teilzunehmen. Unbewegt steht sie am Himmel und verfolgt ihren eigenen Lauf, und dennoch entfaltet sie durch ihr Licht ihre Herrlichkeit auf der Erde. In jeder Blume wird ihre Schönheit offenbar, und sie freut sich der Pracht, die durch sie zur Entfaltung kommt.
So ist auch der in Wahrheit seiner selbst bewusste, sich selbst erkennende Mensch Herr seiner Kräfte; er sendet sie aus, um für ihn Dienste zu verrichten, nimmt aber selbst keinen Anteil daran und geht nicht in ihnen auf; aber der Mensch, in welchem dieser über alles Karma, d. h. über alles Handeln erhabene Zustand dieses Selbstbewusstseins noch nicht eingetreten ist, der sich noch nicht in dem Zustande der ewigen Ruhe befindet, sondern von Lust und Schmerz bewegt wird, er nimmt an dem Spiele seiner Kräfte teil und identifiziert sich mit ihnen. Er wird dadurch identisch mit seiner Natur und teilt deren Schicksal, er wird selbst das Opfer der Kräfte und Eigenschaften, die er besitzt, und hat mit ihnen die Folgen der Ursachen zu tragen, welche durch sie erzeugt worden sind, seien nun dieselben angenehmer oder unangenehmer Natur. Der vom Wahn der Eigenheit befangene Mensch wird von den in ihm wirkenden Naturkräften getrieben; er ist mit seinen Empfindungen und Vorstellungen identifiziert und glaubt aus freiem Willen zu handeln, während er doch nur der Knecht der in ihm fleischgewordenen Willensformen ist; der über die Naturkräfte erhabene göttliche Mensch handelt nicht „selbst“; er steht in seinem Selbstbewusstsein über seiner Natur, wie die Sonne über der Erde, dass er selbst der unbeteiligte Zuschauer ist, und sagt sich: „Diese Kräfte folgen ihrem Gesetz“3.
Er erkennt Gott in allem; d. h., er erkennt sein eigenes innerstes Wesen in sich selbst und in allen Geschöpfen und nimmt deshalb am Leben, an den Leiden und Freuden aller dieser Erscheinungen teil, ohne deshalb davon berührt zu werden; so wie die Sonne nicht davon berührt wird, ob ihr Licht in einem Diamanten funkelt oder in eine Schmutzlache scheint. Er bleibt ewig unbewegt, und doch bewegt er alles in seiner Natur4.
Der Geist Gottes im Menschen, welcher des Menschen wahres Selbst ist, handelt nicht selbst und ist über alles Karma erhaben; aber der irdische Mensch ist an sein Scheinselbst gebunden; er lebt mit und in den Geistern, aus denen seine Natur zusammengesetzt ist, und teilt deren Schicksal. Jede dieser Kräfte kehrt, wie alles in der Welt, schließlich zu dem Ursprünge, aus dem sie geboren wurde, zurück, und so kommt es, dass das ausgeübte Gute dem Menschen gute Eigenschaften verleiht und ihm dadurch Gutes bringt, während die ausgeübten bösen Taten ihn mit schlimmen Eigenschaften versehen und ihm Böses bringen. Das Gute sowie das Böse, welches der Mensch ausübt, wird, wenn es häufig wiederholt wird, zu seiner zweiten Natur. Was er zuerst vorsätzlich tat, geschieht später instinktmäßig und ohne bewusstes Wollen. Wer von Natur freigebig ist, braucht sich nicht bei jedem Akte der Wohltätigkeit erst zu entschließen und sich dazu aufzuraffen; er tut das Gute, ohne dass er es selbst weiß. Wer Böses ausübt, dem wird es am Ende zur Gewohnheit, die er nicht lassen kann; seine Gegenwart stößt jedermann ab, er findet überall Hindernisse und Schwierigkeiten, wo ein edler Charakter immer erfolgreich ist. Die Summe der Eigenschaften, welche ein Mensch sich während seines Daseins auf der Erde erworben hat, bildet die Summe der Kräfte, mit welcher er sein neues Dasein beginnt; seine Talente und Fähigkeiten, sein Glück oder sein Unglück. So kommt es, dass das Gute sich selber belohnt und das Schlechte sich selber bestraft.
Betrachten wir die Bewohner der kleinen Welt, welche der Mensch genannt wird, so finden wir, dass sie aus drei verschiedenen Kategorien bestehen, nämlich die körperlichen, die psychischen und die geistigen Kräfte. Stirbt der Körper des Menschen, so zerfällt er in seine physischen Elemente, aus denen er zusammengesetzt war. Der psychische Organismus ist aber nicht aus den fünf Elementen zusammengesetzt5 und zerfällt deshalb nicht; wohl aber stellen die unteren Seelentätigkeiten früher oder später (Kama loka), je nach dem Impulse, den sie während des Lebens erhalten haben, ihre Tätigkeit ein, der Geist (das Bewusstsein) zieht sich in die obersten Regionen zurück, und genießt der Ruhe im himmlischen Zustande (Devachan). Wir können uns symbolisch den Vorgang anschaulich machen, wenn wir uns die Seele als einen vom Geiste belebten Lichtstrahl denken, der von der Sonne zur Erde geht. Während des Lebens findet infolge der durch die Sinne gegebenen Anregung die größte Tätigkeit darin im untersten Teile statt. Hört diese Anregung nach dem Tode des Körpers, der die Bekleidung des untersten Teiles dieses Lichtstrahles ist, auf, so erlöschen auch nach und nach die Schwingungen im mittleren Teile, nehmen nach oben zu immer mehr ab, der Geist (das geistige Leben) zieht sich in die höchsten Regionen zurück, und damit tritt auf der ganzen Linie Ruhe ein. Naht sich die durch das Gesetz seiner Natur bestimmte Zeit der Reinkarnation, so steigt der Geist ins irdische Dasein herunter, die mittleren und unteren Seelenkräfte erwachen und suchen ein neues Feld für ihre Tätigkeit, einen für die Entfaltung der Eigenschaften der betreffenden Seele geeigneten Boden. So entsteht eine neue menschliche Erscheinung, mit den Eigenschaften des Dahingeschiedenen versehen; es ist der alte Mensch in einer neuen Form; das Haus, welches er früher bewohnte, ist zerfallen; er baut sich ein neues auf, und mit ihm ziehen auch die Geister, die er in seinem früheren Dasein ins Leben rief, in die neue Behausung ein.
Daraus folgt, dass die Folgen von Ursachen, welche in einem Dasein geschaffen werden, auch auf das nächste und vielleicht auf viele aufeinanderfolgende Reinkarnationen übergehen6 oder auf dieselben einen Einfluss ausüben können; denn jede dieser Folgen ist eine Kraft, welche dem Menschen eine gewisse Eigenschaft verleiht, und die Eigenschaften eines Menschen bestimmen sein Wollen, Denken und Tun. Die Talente und Eigenschaften aber, welche ein Mensch mit auf die Welt bringt, sind vielerlei, aus diesen entstehen seine Tugenden und Laster, und wie in der Chemie aus vielleicht sechzig chemischen Elementen7 durch die Verbindung derselben eine Unzahl von chemischen Körpern entstehen können, so können auch durch die Wahlverwandtschaften und das Ineinanderwirken psychischer und geistiger Kräfte eine Menge von Kombinationen entstehen, denen die verschiedenartigsten Handlungen entspringen. Durch jede neue Geburt wird von neuem der Wahn der persönlichen Selbstheit geboren, in welchem der Eigenwille und die Selbstliebe tätig sind, aus deren Verbindung Instinkte, Begierden und Leidenschaften verschiedener Art entspringen, die sich schließlich zu Handlungen kristallisieren.
Somit ist jeder Mensch der Sohn dessen, der er selbst in der Vergangenheit war, und der Vater seines Sohnes, der er selbst in der Zukunft sein wird, und der Sohn hat nicht bloß die Folgen seiner eigenen persönlichen Handlungen, sondern auch diejenigen der Person seines Vaters zu tragen. Wer aber zur wahren Gotteserkenntnis gelangt, dem sind seine Sünden vergeben; er ist weder der Vater noch der Sohn, sondern der ewige Geist, der auf alles Geborenwerden und Sterben in der Welt der Formen herabsieht, ohne davon berührt zu werden, und deshalb ist diese Erkenntnis der Erlöser der Welt. „Wer in ihm bleibet, der sündigt nicht8. „Durch das Erwachen der Selbsterkenntnis, dass ich in Wirklichkeit Brahma bin, wird mein angesammeltes Karma zerstört9. Durch das Eingehen in das Ewige verschwindet das Zeitliche; durch die Erkenntnis der Wahrheit verschwindet der Schein.
In der Welt der Erscheinungen dauert die Bildung von Karma fort, solange darin Ursachen tätig sind, denn aus jeder Tätigkeit entspringt eine Tat und aus jeder Tat entstehen neue Ursachen, welche auf einer oder der anderen der drei Daseinsebenen Folgen erzeugen, und da diese drei Ebenen aufs Innigste miteinander verbunden sind, so geht daraus eine Kette von Ursachen und Folgen hervor, deren einzelne Fäden sich nicht entwirren lassen und von welchen kein Ende zu finden ist. Physische Übel können moralische Wirkungen verursachen, psychische Zustände körperliche Veränderungen herbeiführen; das Lassen sowohl als das Tun hat seine Folgen und es gibt keinen anderen Ausweg aus dem Netze des Karma als die Erlösung vom „Selbst.10
Wer seine Hand ins Feuer steckt, der spürt den Schmerz, je nach dem Grade, in dem sein Bewusstsein an den Empfindungen seines Körpers teilnimmt, und es ist gleichgültig, ob es freiwillig oder unfreiwillig, absichtlich oder unabsichtlich geschieht. Ist seine ganze Aufmerksamkeit auf den empfindenden Teil gerichtet, so wird der Schmerz heftig sein, ist sie von etwas anderem in Anspruch genommen, so wird der Schmerz weniger heftig empfunden, und wenn das Bewusstsein vollständig vom Körper abwesend ist, wie z. B. in dem Zustande der Entzückung (Samadhi), so kann der Körper lebendig zu Asche verbrannt werden, ohne dass der Mensch etwas davon empfindet. So nimmt auch der Mensch an den Schicksalen seiner Persönlichkeit teil, einerlei, ob seine Reinkarnation eine freiwillige oder unfreiwillige war, und er teilt deren Leiden und Freuden in dem Grade, als sein Bewusstsein nur ein persönliches oder ein geistiges, im Ewigen ruhendes ist. Wer ganz im Vergänglichen lebt, dessen Schicksal ist das des Vergänglichen; wer im Ewigen seine Zufluchtsstätte hat und darin bleibt, kümmert sich wenig um die Schicksale seiner Persönlichkeit. „Wem die Zeit ist wie die Ewigkeit und die Ewigkeit wie die Zeit, der ist befreit von allem Streit11. Wer im Ewigen lebt, der übersieht auch die Ursachen, welche das Schicksal seiner Persönlichkeit leiten; er erkennt das Gesetz der Notwendigkeit, welches die blinde Materie leitet, und das über diesem stehende Gesetz der Vorsehung, welches der Weisheit entspringt, dessen Dienerin die Notwendigkeit ist, und welches alles am Ende zum Besten führt.
Die menschliche Eitelkeit schiebt gerne die Schuld allen Übels auf etwas anderes als auf sich selbst. Man spricht von Glück und von Unglück oder vom Gesetze des Karma, als ob dies außer uns selbst gelegene Dinge wären, die ihr Spiel mit uns treiben; dennoch hängt unser Glück und Unglück nur von unserer eigenen Tauglichkeit und Geschicklichkeit, und diese von der Art der in uns angesammelten Kräfte ab, wenn dies auch für den oberflächlichen Beobachter nicht leicht zu erkennen ist, da man erst die Beschaffenheit der Kräfte, die den Menschen bilden, kennen muss, ehe man sich ein klares Bild über deren Wirkungen machen kann. Eine Auseinandersetzung derselben würde ein wiederholtes Eingehen in die Lehren über die Zusammensetzung der siebenfachen Natur des Menschen und der vier Daseinsebenen, nebst den Beziehungen, welche zwischen dem Mikrokosmos und Makrokosmos bestehen, erfordern, wie es bereits an anderen Orten geschehen ist.12
Lange, ehe man in Europa von der indischen Lehre vom Karma etwas wußte, schrieb Theophrastus Paracelsus über die Ursachen von Glück und Unglück13 seine Ansichten nieder, welche mit denen der indischen Weisen identisch sind, wenn auch die Form, in der er es tat, infolge der heutzutage herrschenden babylonischen Begriffsverwirrungen nicht so klar wie diejenige der Bhagavad Gita und Shankaracharyas erscheint. In modernes Deutsch übertragen, sagt er ungefähr folgendes:
„Glück und Unglück entspringen demselben Grunde, sie sind wie der Wind und die Luft, die ja auch unsichtbar sind. Wer auf dem rechten Wege geht, dem geht sein Handel besser vonstatten, als wer auf dem unrechten Wege ist. Daran ist nicht ein (außer ihm liegendes) Glück schuld, es ist ein Anschicken (Tauglichkeit). Wer in Dornen geht, kommt zerkratzt heraus, und wer in der Ebene bleibt, wird vom Bergsteigen nicht ermüdet; wer sich vorsieht, wohin er tritt, der wird nicht fallen.
Was der Mensch Unglück nennt, fügt er sich selber zu. So haben wir auch in unserm Leben auf Erden im Glück und im Unglück nach keiner anderen Ursache zu suchen, als die in uns selber liegt. Wie wir es anrichten und fügen, so haben wir es. Ein fauler Baum kann keine guten Früchte tragen. Daran ist nicht sein Unglück, sondern seine Faulheit schuld; ist doch nichts in ihm, was eine gute Frucht bringen kann. Ein jeglicher danach er wandelt, danach er handelt, danach muss er warten und empfängt seinen Lohn.