Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 533 - Helga Winter - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 533 E-Book

Helga Winter

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Beschreibung

Mutterliebe ist es, was Heike und Frieder, dem elternlosen Geschwisterpaar, fehlt. Viel Kummer, Leid und Ungerechtigkeit müssen die beiden Waisen erfahren. Mutterliebe ist eben nicht zu ersetzen. Aber die Liebe, nach der sich die armen Kinderherzen sehnen, hält Gardy von Lautenbach für sie bereit. Doch als unverheiratete Frau ist eine Adoption unmöglich.

Da schaltet sich Daniel von Rutloff ein. Gardy hält ihn zwar für einen arroganten, hartherzigen, ja, brutalen Menschen, doch willigt sie nach reichlicher Überlegung, um der Geschwister willen, in eine Heirat ein. Was kümmert sie ihr eigenes Glück, wenn nur die traurigen Kinderaugen endlich strahlen?

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Leben liegt vor dir

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Olena Zaskochenko / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0717-6

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Das Leben liegt vor dir

Ein zu Herzen gehender Schicksalsroman

Mutterliebe ist es, was Heike und Frieder, dem elternlosen Geschwisterpaar, fehlt. Viel Kummer, Leid und Ungerechtigkeit müssen die beiden Waisen erfahren. Mutterliebe ist eben nicht zu ersetzen. Aber die Liebe, nach der sich die armen Kinderherzen sehnen, hält Gardy von Lautenbach für sie bereit. Doch als unverheiratete Frau ist eine Adoption unmöglich.

Da schaltet sich Daniel von Rutloff ein. Gardy hält ihn zwar für einen arroganten, hartherzigen, ja, brutalen Menschen, doch willigt sie nach reichlicher Überlegung, um der Geschwister willen, in eine Heirat ein. Was kümmert sie ihr eigenes Glück, wenn nur die traurigen Kinderaugen endlich strahlen?

Als man in der Umgebung hörte, dass Gut Sagehorn schon wieder den Besitzer gewechselt hatte, zuckte man gleichgültig die Schultern. Es war auch nicht anders zu erwarten gewesen, meinte man allgemein, denn alle paar Jahre stand das Gut zum Verkauf.

Immer kleiner war der ursprünglich große Besitz geworden, weil die Verwaltung nicht die beste war. Ein Stück Boden nach dem anderen musste verkauft werden, und dann blieb nur das Gutshaus mit wenigen Äckern übrig, deren Ertrag bei Weitem nicht ausreichte, um auch nur die Instandsetzung des Gebäudes zu gewährleisten.

Der neue Besitzer, Botho von Lautenbach, stand auf dem Vorplatz und ließ seinen Blick sinnend über die Fassade gleiten. Seine Schwester Gardy hatte, genau wie er, einen nachdenklichen Ausdruck im Gesicht.

»Eigentlich ein bisschen viel für uns. Was denkst du, Botho?«, meinte sie mutlos. »Mir scheint fast, als hätte man uns hereingelegt«, fuhr sie nachdenklich fort.

Botho, ein hochgewachsener braunhaariger Mann, holte tief Luft. Er sah in diesem Augenblick noch imposanter aus als sonst. Doch Gardy imponierte das nicht, sie stupste ihn mit ihrer kleinen Faust vor die Brust.

»Ich weiß ja, dass du eine prächtige Figur hast«, schmunzelte sie. »Was mich vielmehr interessiert, ist, zu wissen, wie du diesen Kasten unterhalten willst.«

Botho lächelte sie an. »Nicht dadurch, dass ich nach alter Väter Sitte Korn und Kartoffeln anbauen werde. Den größten Teil der Zimmer sperren wir einfach zu. Mögen die Möbel ruhig etwas verstauben, es wird ihnen nichts schaden. Für uns genügen drei oder vier Zimmer, die du mit Hilfe eines Mädchens schon sauber halten kannst.«

Gardy nickte. »Das ist kein Problem, liebes Bruderherz. Ich möchte nur wissen, wie du die Frau bezahlen willst? Du hast zwar wirklich schöne Augen, aber so schön, dass ein Mädchen umsonst für dich arbeitet, sind sie nun auch wieder nicht.«

»Wir werden Geld verdienen!«

»Mein lieber Botho, du besitzt eine Art, die mir manchmal etwas auf die Nerven fällt. Nun rück schon endlich mit dem heraus, was du mir anscheinend tropfenweise erzählen willst!«, forderte sie und fügte ahnungsvoll hinzu: »Wird schon eine schöne Dummheit sein.«

Botho machte ihre Ungeduld Spaß. Er legte seinen Arm um die Schultern des Mädchens und zog es ein wenig an sich.

»Pelzmäntel werden jetzt wieder modern, Gardy, und da habe ich mir gedacht ...«

Ein gefährliches Funkeln trat in die Augen Gardys.

»Wenn du mir jetzt nicht sofort sagst ...!«

»Du bist ein phantasieloses Weib!«, stellte Botho in brüderlicher Offenheit fest. »Pass auf, Kleines: Pelzmäntel werden aus den Fellen von Tieren hergestellt ...«

»Du willst Pelztiere züchten!«, zündete es endlich bei Gardy. Mit großen Augen blickte sie auf den Bruder, der sie stolz anlachte. »Verstehst du denn überhaupt etwas davon?«

»Ich habe mich in den letzten Wochen eingehend nach allem erkundigt. Es ist gar nicht schwer. Die Zuchtpaare sind zwar teuer, vermehren sich aber schnell, und in einem Jahr wird der Betrieb schon einen Überschuss abwerfen. Das Futter kann ich selbst anbauen, dafür reichen die Äcker, die Pflege übernehme ich persönlich. Außerdem habe ich für die erste Zeit einen zuverlässigen Mann eingestellt, der mir bei der Errichtung der Ställe helfen wird.«

»Hm«, war der ganze Kommentar der Schwester.

Der neue Besitz, den sie für ein Spottgeld erworben hatten, gefiel ihr ausnehmend gut. Um hier leben zu können, würde es sich also lohnen, Bothos verwegenen Plan zu unterstützen.

♥♥♥

In seinem ältesten Anzug stand er auf dem Hof und sägte Bretter, als Hufgetrappel seine Aufmerksamkeit erweckte. Gelassen erhob er sich aus seiner gebückten Stellung und wandte den Kopf.

Auf einem Rassepferd von seltener Schönheit näherte sich eine junge Frau seinem Arbeitsplatz.

Linde von Rutloff war es gewohnt, die Aufmerksamkeit von Männern zu erregen, und schaute kühl über den Mann in einfacher Arbeitskleidung hinweg.

Ihr Näschen war steil in die Luft gereckt, als sie ihr Pferd dicht vor Botho zügelte.

»Was machen Sie denn da?«

Der Mann schmunzelte. Die Dame machte ihm Spaß. Sie hielt ihn offenbar für einen Arbeiter des Gutes. Er hatte keine Lust, sie eines Besseren zu belehren. Ein zu betontes Selbstbewusstsein bei jungen Damen war ihm zuwider.

»Ich lese einen Roman«, behauptete er deshalb kühn und schmunzelte, als er ihre Reaktion sah. Der blonde Kopf fuhr noch weiter in den Nacken.

»Werden Sie nicht unverschämt, Mann. Sie wissen wohl nicht, wen Sie vor sich haben?«

Botho beteuerte, dass sie mit ihrer Vermutung den Nagel auf den Kopf getroffen habe.

»Ich werde Ihrer Herrschaft berichten, wie unverschämt Sie sich mir gegenüber benommen haben.«

Bothos Augen funkelten belustigt, doch er zwang sich zu einer betrübten Miene.

»Tun Sie es nicht, gnädiges Fräulein. Der Herr ist sehr streng und wird mich sicher wieder prügeln.«

Linde von Rutloff runzelte die Stirn und blickte ihn nachdenklich an. Ihr Kopf sank unwillkürlich tiefer, sie war gar nicht mehr so hochmütig und abweisend wie am Anfang.

»Er ist grausam«, stöhnte Botho mit verzogenem Gesicht. »Haben Sie deshalb Erbarmen, gnädiges Fräulein, ich bin bereit, jetzt auch die Wahrheit zu sagen. Ich lese nämlich tatsächlich keinen Roman, sondern säge Holz. In der nahen Kreisstadt wohnt übrigens ein Optiker, den ich Ihnen sehr empfehlen kann.«

»Wieso?«, fragte Linde verblüfft, bereute aber sofort ihre vorschnelle Frage, als sie das Schmunzeln sah, das über sein Gesicht glitt.

»Weil der Ihnen sicherlich eine gute Brille verpassen kann. Es muss ja furchtbar sein, wenn man so kurzsichtig ist.«

»Sie sind ein unverschämter Patron!«, fuhr sie auf und spielte mit dem Griff ihrer Reitpeitsche. Am liebsten hätte sie diesem frechen Burschen eines damit übergezogen, aber die Zeiten, wo man so etwas ungestraft tun durfte, waren ja leider vorbei.

Dabei sah dieser Arbeiter einfach unverschämt gut aus. Sein braunes Haar hing ihm gelöst in die Stirn, das Hemd war am Hals geöffnet und ließ seine prächtig entwickelte Muskulatur sehen.

»Ich werde noch einmal davon absehen, Ihrem Herrn Ihre Unverschämtheit zu berichten. In Zukunft, mein Lieber, reißen Sie sich aber zusammen, wenn Sie mit Damen sprechen.«

»Sie machen mich zum glücklichsten Menschen«, behauptete Botho und verbeugte sich übertrieben tief. »So viel Schönheit und Güte in einer Person vereint ... Es ist fast sagenhaft.«

Linde von Rutloff drückte die Sporen in die Weichen des Tieres. Aber noch während das Tier mit empörtem Wiehern davonschoss, klang in ihren Ohren das helle, übermütige Lachen des Mannes.

In ihren Augen loderte heißer Zorn, als sie die Hecke am Rande des Gutes mit elegantem Sprung überquerte. Sie war es nicht gewohnt, von Männern spöttisch behandelt zu werden. Man riss sich um sie, lag ihr zu Füßen und schmachtete sie an.

Botho schaute ihr schmunzelnd nach. So schnell würde sie nicht wieder auftauchen, und wenn ... Er freute sich schon auf den Moment, wo sie erkannte, dass der vermeintliche Arbeiter der neue Besitzer Sagehorns war. Was würde sie dann wohl sagen? Vielleicht etwas rot werden?

»Unsinn«, murmelte er und beugte sich dann wieder über den Stapel Holz, um mit seiner Arbeit fortzufahren.

♥♥♥

»Unsinn«, sagte auch Baron Daniel von Rutloff, als seine Schwester Linde ihm von ihrer Begegnung erzählte. »Was lässt du dich auch mit solchem Menschen ein! Es ist deine eigene Schuld!«

»Sie hat schon immer einen Hang zum Gewöhnlichen gehabt«, sekundierte ihm Vera, seine Frau, und warf ihrer Schwägerin einen nicht gerade freundlichen Blick zu.

Linde brummte etwas, das die Schwägerin zum Glück nicht verstand, und drehte ihr den Rücken zu. Das Verhältnis zwischen den beiden Frauen war nicht gut. Linde meinte, dass eine ehemalige Tänzerin nicht in die Familie passe, und die ehemalige Tänzerin war der gegenteiligen Meinung.

Vera betrachtete interessiert ihre Fingernägel.

»Wer mag das Anwesen da gekauft haben? Ob er jung ist?«

Baron Daniel von Rutloff warf seiner Frau einen schiefen Blick zu.

»Weiß ich nicht, ist mir auch egal. Wird schon ein schöner Dummkopf sein! Welcher normal begabte Mensch kauft solch einen Riesenkasten!«

Vera interessierte sich noch immer für ihre Fingernägel, die eine ungewöhnliche Länge aufwiesen.

»Man kann doch mal fragen«, sagte sie und verzog gelangweilt den Mund.

»Ob der neue Nachbar bald seine Karte bei uns abgeben wird?«, fragte Linde ihren Bruder.

»Wollen wir überhaupt den Verkehr mit ihm aufnehmen?« Daniel zündete sich eine Zigarette an. »Wer weiß, was für ein Mensch er ist.«

»Angucken kostet ja nichts«, entschied Linde und ging im Raum auf und ab.

»Nur gut, dass du nicht neugierig bist«, stichelte Vera und griff nach der Zigarettenschachtel.

Linde hielt es nicht für nötig, sie einer Antwort zu würdigen.

»Wann geben wir denn mal wieder einen Ball? Es ist ja ein eintöniges Leben hier. Man verbauert vollkommen.«

Ihr Vorschlag fand, sie wagte kaum ihren Ohren zu trauen, beifällige Aufnahme. Daniel war nämlich der Meinung, dass es Zeit wurde, Linde zu verheiraten. Ihre Gegenwart störte sein Familienleben ganz erheblich. Wenn die beiden Frauen zusammen waren, dann schien es ihm immer, als säße er auf einem Pulverfass. Stets flogen spitze Reden hin und her, bei denen Vera allerdings den Kürzeren zog. Sie war seiner schlagfertigen Schwester bei Weitem nicht gewachsen.

Auch Vera wusste, was er beabsichtigte, und war bereit, seinen Wunsch zu unterstützen. Linde musste aus dem Haus, das war ganz klar.

Bisher hatte sie übrigens alle Bewerber abgewiesen oder ihnen vorher schon zu verstehen gegeben, dass sie noch warten wollte. Ihr war anscheinend keiner gut genug.

Daniel nahm sich vor, einmal ein ernstes Wörtchen mit ihr zu reden. Sie wartete anscheinend auf einen Märchenprinzen, und wenn sie den haben wollte, musste sie sich ihn schon aus dem Bilderbuch schneiden. In Wirklichkeit waren diese Idealgestalten ausgestorben.

Linde sollte möglichst einen soliden und ruhigen Nachbarn heiraten, dessen Position gewährleistete, dass es ihr immer gut gehen würde. Dann konnte sie schon glücklich sein.

Als er seine Gedanken in ähnlicher Fassung abends seiner Frau vortrug, nickte Vera beifällig.

»Gib es ihr nur ordentlich«, unterstrich sie seine Worte. »Es ist eine Affenschande, dass sie noch immer unverlobt herumläuft.«

Ihre kräftige Ausdrucksweise tat Daniel ordentlich weh. Er verzog das Gesicht, als habe er unversehens in eine Zitrone gebissen.

»Mäßige dich, bitte, meine Liebe. Du bist hier nicht am Theater.«

Vera krauste ihre Stirn, stemmte die Arme in die Hüften und begann sogleich, empört auf ihn einzureden.

Ihr Mann wandte sich resigniert ab. Während ihr Redestrom an seinem Ohr vorüberfloss, stand er am Fenster des Schlafzimmers und schaute in die sternenhelle Nacht hinaus.

Gegen den Willen seiner Familie war Vera, die bezaubernde Tänzerin, seine Frau geworden. Einige Monate eines traumhaften, jedes Maß übersteigenden Glücks waren gefolgt.

Und dann war die Ernüchterung gekommen. Die Flitterwochen waren vorüber gewesen, er hatte plötzlich alles in einem anderen Licht gesehen. Vera stammte aus kleinen Verhältnissen, ihre Ausdrucksweise war gewöhnlich, und ihre Denkungsart ...

Der einsame Mann am Fenster seufzte auf.

Dieses bezaubernde Geschöpf, das ihn einst so betörte, besaß eine verhärtete Seele. Sie war nicht schlecht, das konnte man keineswegs sagen, aber sie passte nicht zu ihm.

Vergeblich hatte er einen Ausweg gesucht. Vor einer Scheidung schreckte er jedoch zurück, und Kinder ...

Der Mann drückte seinen Kopf gegen die kühlen Scheiben des Fensters. Vielleicht wäre alles anders geworden, wenn sie Kinder gehabt hätten. Vera wollte anfangs keine, sie verdarben die Figur, behauptete sie, und später, als sein Drängen stärker wurde, hatte sie ihm gestanden, dass er niemals auf Kindersegen hoffen durfte.

Während Vera weitersprach, suchte er nach einem Mittel, um den Knacks seiner Ehe zu heilen. Es gab an sich nur eines: Seine Frau hatte zu viel Zeit. Er musste dafür sorgen, dass sie eine Beschäftigung fand. Eine Beschäftigung, die sie ganz ausfüllte.

Ein Kind wäre solch eine Beschäftigung. Auch ein angenommenes Kind. Es gab genug in Jugendheimen und Waisenhäusern, es wäre keine Schwierigkeit, eines zu bekommen.

»Möchtest du lieber einen Jungen oder ein Mädchen haben?«, fragte er mitten in ihre Worte hinein. Seine unvermutete Anrede brachte es auch tatsächlich fertig, dass sie verblüfft schwieg.

»Einen Jungen oder ein Mädchen? Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«

Daniel lächelte sie an. »Du sollst mir nur ganz einfach die Frage beantworten, es soll eine Überraschung werden.«

Misstrauisch blickte Vera ihn an. »Am liebsten keins von beiden. Kinder machen nur Arbeit, und überhaupt ...«

Mit gerunzelter Stirn blickte Daniel auf sie hinab. Nicht gerade ermutigend, was sie da sagte, aber trotzdem, es war der letzte Versuch, seine Ehe zu retten.

Auch Vera war jetzt schweigsam und dachte über seine Worte nach, als sie sich entkleidete. Kinder ... Daniel wollte ihr doch nicht etwa Kinder ins Haus holen?

Sie nahm sich vor, mit Händen und Füßen dagegen anzugehen. Als ehemals gefeierte Tänzerin hatte sie ja schließlich auch ein Recht darauf, ein Leben ganz nach ihrem Geschmack zu führen.

Als Vera die Bettdecke über sich zog, warf sie ihm, der schon an ihrer Seite lag, einen bösen Blick zu. Ihre Ehe war ein Irrtum gewesen, das erkannte sie jetzt ganz klar. Andererseits war dieser Irrtum eine sehr gute Versorgung, denn es war kaum möglich, ein noch besseres und sorgenfreieres Leben zu führen, als sie es jetzt hatte. Keinen Ärger mit Theaterdirektoren, keinen Verdruss über Kritiken, keinen Zank mit neidischen Kolleginnen ...

Aber dafür musste sie Daniel in Kauf nehmen. Er war langweilig, hatte viel zu tun und wusste gar nicht, was er einer Frau, wie sie eine war, schuldete.

♥♥♥

Schon am nächsten Tag fuhr Daniel in die Kreisstadt. Auf dem Jugendamt versicherte man ihm, dass es überhaupt keine Schwierigkeiten machen würde, ihm ein Kind zu vermitteln.

Die Waisenhäuser waren überfüllt, und es gab, Gott sei's geklagt, mehr als genug elternlose Geschöpfe, die sich vergeblich danach sehnten, einmal die Geborgenheit eines wahren Heims kennenzulernen.

»Sehen Sie sich einmal die Geschwister Jansen an. Die Eltern sind durch einen Unfall ums Leben gekommen, sie sind fünf und sechs Jahre alt. Sehr aufgeweckte Kinder, die mir besonders leidtun. Die Erinnerung an die Verstorbenen ist doch sehr stark in ihnen, sie brauchten vielleicht am nötigsten Liebe und Verständnis.«

Als der Baron nickte, erhob sich der Beamte und führte ihn über den Flur in sein Zimmer. Dem Jugendamt war auch ein Heim angegliedert, in dem Kinder eine Zeit lang weilten, bis sie entweder adoptiert wurden oder in ein Waisenhaus zum dauernden Aufenthalt eingewiesen wurden.

Beim Eintritt des Beamten erhoben sich zwei bleiche, verängstigte Kinder und schauten mit starren Augen auf ihn, der sie freundlich anlächelte.

Daniel wagte kaum, in den Raum einzutreten. Er war düster und grau, von den Wänden blätterte die Farbe ab, der Fußboden bedurfte dringend eines Anstriches. Und hier lebten die beiden Kinder.

Auf den ersten Blick schon konnte man erkennen, dass es sich um Geschwister handelte, denn obwohl sie im Alter ein Jahr auseinander waren, besaßen sie eine große Ähnlichkeit. Der Junge war der Ältere und schaute fast zornig auf den Baron, als der über sein dunkles Haar strich.

»Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, mein Kind.«

Aber der trotzige Ausdruck verschwand nicht aus dem Gesicht. Die kindlichen Lippen blieben fest zusammengepresst. Die rechte Hand hielt den Arm der Schwester, vor die er sich gestellt hatte, als wolle er sie schützen.

Liebevoll schaute der Beamte auf ihn hinunter.

»Der Herr will ein Kind adoptieren, Frieder. Er meint es gut mit euch.«

Der Blick des Knaben, der sich ihm zugewandt hatte, ging zu Daniel zurück.

»Ich will nicht von Heike getrennt werden. Wir wollen zusammenbleiben!«

Der Beamte schüttelte den Kopf. »Das geht nicht, mein Kind, niemand wird zwei Kinder gleichzeitig nehmen wollen. Sieh doch ein, dass es zu deinem Besten ist, wenn ihr bei anderen Leuten ein Unterkommen findet.«

Energisch schüttelte der Kleine seinen dunklen Kopf.

»Wir beide wollen zusammenbleiben«, wiederholte er fest.