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Kerstin Cornelsen wohnt mit ihrer Mutter und ihrem halbwüchsigen Sohn Jochen zusammen und betreibt seit dem frühen Tod ihres Mannes eine Nähstube. Die Arbeit und ihr Sohn bedeuten ihr alles auf der Welt.
"Du brauchst einmal Urlaub, Kerstin", bestimmt ihre Mutter eines Tages. Widerspruch lässt sie nicht gelten, sie hat den Urlaub für ihre Tochter auf Teneriffa schon gebucht. Und tatsächlich fliegt diese ohne ihren Sohn in den Süden, "um einmal so richtig auszuspannen". Jochen gefällt das gar nicht. Er liebt seine Mutter über alles, wenn der schlaksige Vierzehnjährige seine Gefühle auch nicht gerne zeigt.
Und wenn sie nun im Urlaub jemanden kennenlernt?, fragt er sich ängstlich. Niemals würde er seine Mutter mit einem Mann teilen. Niemals! Und wie ernst es ihm damit ist, das bekommt Kerstin nach ihrer Rückkehr bitter zu spüren ...
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Seitenzahl: 138
Cover
Unerfüllte Träume
Vorschau
Impressum
Unerfüllte Träume
Schicksalsroman einer einsamen Witwe
Von Helga Winter
Kerstin Cornelsen wohnt mit ihrer Mutter und ihrem halbwüchsigen Sohn Jochen zusammen und betreibt seit dem frühen Tod ihres Mannes eine Nähstube. Die Arbeit und ihr Sohn bedeuten ihr alles auf der Welt.
»Du brauchst einmal Urlaub, Kerstin«, bestimmt ihre Mutter eines Tages. Widerspruch lässt sie nicht gelten, sie hat den Urlaub für ihre Tochter auf Teneriffa schon gebucht. Und tatsächlich fliegt diese ohne ihren Sohn in den Süden, »um einmal so richtig auszuspannen«. Jochen gefällt das gar nicht. Er liebt seine Mutter über alles, wenn der schlaksige Vierzehnjährige seine Gefühle auch nicht gerne zeigt.
Und wenn sie nun im Urlaub jemanden kennenlernt?, fragt er sich ängstlich. Niemals würde er seine Mutter mit einem Mann teilen. Niemals! Und wie ernst es ihm damit ist, das bekommt Kerstin nach ihrer Rückkehr bitter zu spüren ...
»Schau nicht immer auf die Uhr«, mahnte Ursula Schenk ihre Tochter. »Jochen wird schon nichts passiert sein.«
Kerstin Cornelsen lächelte verkrampft.
»Er hatte um zwölf Uhr Schluss, eigentlich müsste er schon da sein.«
»Du bist eine richtige Glucke.« Dabei machte Ursula sich ebenfalls Sorgen um ihren Enkelsohn, wenn der sich auf seinem Schulweg verspätete. Er musste nämlich zwei viel befahrene Straßen überqueren, und man wusste ja, wie unachtsam Kinder sein konnten. »Vielleicht hat er auch eine kleine Freundin, die er erst nach Hause bringen will«, meinte sie.
»Jochen?« Geradezu empört schüttelte Kerstin den Kopf. »Er ist doch noch ein Kind.«
»Er ist vierzehn. Ich finde, er hat große Ähnlichkeit mit Robert.«
»Zum Glück hat er von seinem Vater nicht viel geerbt. Sein Aussehen, sicherlich, mehr aber auch nicht.«
»Ja, er ist ein hübscher Junge.« Ursula seufzte unwillkürlich, als sie an Kerstins verstorbenen Mann dachte. Er war ein sehr gut aussehender Mann gewesen, ein Mann, der den Frauen gefallen hatte und dem sie es allzu leicht gemacht hatten. Und er hatte nie die Kraft gehabt, Nein zu sagen.
Kerstin schaltete die Nähmaschine ab und stand auf.
»Ich gehe mal auf die Straße, ob ich ihn schon sehen kann.«
»Und ich werde die Kartoffeln aufsetzen. Der Junge steht ja immer kurz davor zu verhungern, wenn er nach Hause kommt. Wo der nur immer alles lässt, was er isst! Dabei sieht er aus, als bekäme er bei uns nicht genug zu essen.«
Marion Witte, die hübsche Nähhilfe, hatte Mühe, die Bemerkung zu unterdrücken, die ihr auf der Zunge lag. Wie die sich mit dem Jungen anstellten, einfach lächerlich! Hier drehte sich alles nur um Jochen. Jochen hier, Jochen dort, und der Junge nahm es hin, als sei er ein Prinz.
Mürrisch schnitt sie den Faden ab und warf das fertige Hemd auf den Stapel zu den anderen. Dann nahm sie seufzend das nächste Hemd zur Hand.
***
Eine Viertelstunde später saßen sie alle gemeinsam am Mittagstisch. Auch Jochen war inzwischen eingetroffen.
»Schmeckt es dir nicht, Marion?«, fragte Kerstin freundlich, als sie sah, dass Marion ihren geleerten Teller nicht wieder füllte.
»Ich darf nicht mehr essen«, erklärte das Mädchen seufzend. »Kartoffeln gehen mir immer gleich auf die Hüften.«
Jochen warf ihr einen missbilligenden Blick zu. Er mochte sie nicht, ein Gefühl, das vollkommen auf Gegenseitigkeit beruhte. Ihm schmeckte es jedenfalls, und er hörte erst auf zu essen, als nichts mehr in den Schüsseln war.
»Bist du satt geworden?«, fragte seine Mutter besorgt.
»Ich möchte nur mal wissen, wo der alles lässt«, meinte Marion neidisch. Sie hätte gern noch mehr gegessen, denn Frau Schenk kochte ausgezeichnet, aber sie hatte nun einmal eine panische Angst davor, dick zu werden.
»Geht so«, erwiderte Jochen. Das war seine übliche Antwort, auch wenn er keinen Bissen mehr hinunterbekam.
»Zum Nachtisch gibt es noch Eis für euch«, sagte Ursula und ging an den Kühlschrank, um den Becher herauszunehmen.
»Mensch, prima! Ist bei uns der Reichtum ausgebrochen?« Meistens war Jochen ziemlich mürrisch, aber jetzt, bei der Aussicht auf Eis, begann er zu strahlen. »Hat der alte Adolaid endlich bezahlt?«
»Nein, er wartet auf seine Rentennachzahlung.«
»Wie lange schon? Dass du ihm immer wieder was pumpst, Mutti! Du bist ein richtiges Schaf, ehrlich.«
»Wie redest du denn mit deiner Mutter?«, empörte sich Marion.
»Ich sage nur, was ist«, verteidigte Jochen seine nicht gerade liebenswürdige Kritik. »Immer diese Pumperei! Und wir müssen uns dann einschränken. Warum machst du nicht eine schicke Boutique auf, Mutti? Das klingt nach was, und du würdest bestimmt auch einen Haufen Geld verdienen. Für eine alte Frau hast du dich eigentlich ganz gut gehalten«, setzte er hinzu.
Kerstin lachte. Sie fühlte sich nicht getroffen, denn sie war keine alte Frau, mochte sie ihrem Sohn auch so vorkommen. Sie hatte sehr jung geheiratet, viel zu jung, wie sie heute wusste, bis über beide Ohren in den eleganten Robert Cornelsen verliebt.
Ihre Gedanken wanderten in die Vergangenheit. Von Anfang an war ihre Ehe nicht glücklich gewesen, auch wenn sie lange versucht hatte, sich einzureden, glücklich zu sein.
Robert konnte nicht treu sein, und als Vertreter hatte er zwar viel Geld verdient, aber noch mehr Geld ausgegeben. Kerstin hatte bald begriffen, dass sie bei ihm keinen Halt fand, und ihre ganze Liebe dann auf Jochen übertragen.
Ihr Sohn legte den Kopf schief.
»Was ich schon immer mal fragen wollte, Mutti ...«
Alle schauten ihn gespannt und ein wenig verwundert an, denn normalerweise hatte er keine Scheu, das zu sagen, was er sagen wollte. Seine Offenheit war manchmal sogar höchst schockierend.
»Ja?«, forderte Kerstin ihn zum Weitersprechen auf.
Jochen grinste verlegen.
»War ich eigentlich euer Heiratsgrund? Ich meine, ich habe mal nachgerechnet, wann ihr geheiratet habt und ... na ja ...«
Im ersten Moment war Marion schockiert, doch dann prustete sie vor Lachen.
Jochens Mutter war peinlich berührt und sogar ein bisschen rot geworden.
»Das verstehst du noch nicht, Jochen«, antwortete seine Großmutter. Sie versuchte, gelassen und würdig zu wirken, aber die Frage des Jungen war auch ihr sichtlich peinlich.
»Man kann doch mal darüber sprechen, Oma, ist doch nichts dabei.« Es machte dem kleinen Spitzbuben Spaß, die Weiber in diesem Haus so in Verlegenheit zu bringen. Sie waren ja so weit nicht übel, aber in mancher Beziehung schrecklich altmodisch.
»Hast du denn schon eine Freundin?«, wollte Marion wissen.
»So fragt man Leute aus.«
»Müsste schon verdammt kurzsichtig sein so ein Mädchen, das sich mit dir einlässt«, stichelte Marion. »An dir ist ja nichts dran.«
»Hast du eine Ahnung!«, brauste Jochen auf. »Wenn ich wollte ...«
»Hört auf, euch zu zanken«, mischte sich Ursula Schenk ein. »Über so etwas spricht man nicht, Marion. Jochen ist noch ein Kind.«
»Das würde ich nicht auf meinen Eid nehmen, Frau Schenk«, gab Marion grinsend zurück. »Mein Bruder ist auch vierzehn, und wenn der so erzählt, was er mit Mädchen alles anstellt ...«
»Iss lieber dein Eis, anstatt so viel zu reden«, schnitt Jochens Großmutter ihr das Wort ab.
»Ich muss gleich noch mal weg«, verkündete Jochen, als er das letzte Eis vom Teller gekratzt hatte.
»Wohin?«
Schrecklich, diese Fragen! Konnten sie einen denn nicht mal in Ruhe lassen. Jochen log nicht gern, aber blieb ihm denn etwas anderes übrig?
»Schularbeiten machen. Bei Uli.«
»Grüß sie unbekannterweise von mir«, sagte Marion und lachte hämisch.
»Ziege!«
»Jochen, du wirst dich sofort bei Marion entschuldigen!«, schalt Kerstin. »Er hat es nicht so gemeint, Marion.«
»Hab ich doch. Nur weil sie keinen Freund hat, ist sie so sauer. Aber wer wird sich auch schon mit der abgeben wollen.«
»Ich könnte an jedem Finger einen haben«, kreischte Marion.
»Du wärst froh, wenn du auch nur einen hättest. Und der könnte mir leidtun. – Hat mal wieder gut geschmeckt, Oma. Bis nachher dann.« Jochen machte, dass er hinauskam, bevor sie noch weitere Fragen stellen konnten.
Sein Ziel war das Zuhause von Monika. Dort wollte er warten, bis sie vielleicht zufällig herauskam. Monika war seine erste große Liebe, und er konnte an nichts anderes mehr denken als an sie.
***
Als sie das Geschirr abwuschen, hingen Mutter und Tochter beide ihren Gedanken nach.
Marion war ins Nähzimmer zurückgegangen und hatte sich in den dort stehenden Sessel gesetzt, um den Rest der Mittagspause zu verdösen. Sie träumte von ihrem zukünftigen Mann, der nett und höflich war und ein schönes Auto fuhr.
Als sie mit dem Abwasch fertig waren, kochte Kerstin eine Kanne Kaffee. Sie brauchte Kaffee, um für den Nachmittag wieder in Schwung zu kommen. So manches Mal saßen sie abends noch lange an den Maschinen, wenn die Arbeit drängte. Kerstin war eigentlich ständig müde.
»Du lebst nicht richtig«, sagte ihre Mutter. »Du bist eine junge Frau, Kerstin, und was hast du von deinem Leben? Nur Arbeit.«
»Lass nur, Mutter«, wehrte Kerstin erschöpft ab. »Ich bin ganz zufrieden. Und ich habe ja Jochen.«
»Wie lange noch? Die Zeit vergeht so schnell. Du solltest einmal Urlaub machen.«
»Und das Geschäft?«
»Schließen wir einfach so lange. Alle machen Urlaub, warum nicht auch du einmal? Und vielleicht lernst du einen netten Mann kennen.«
»Ich habe keine Lust. Und das Geschäft einfach schließen, ich weiß nicht.«
»Unsere Kunden bleiben schon nicht weg. Wir haben praktisch keine Konkurrenz.«
Das stimmte. Nähstuben, in denen Leute ihre Flickarbeiten ausführen lassen konnten, gab es nicht allzu viele. Sie hatten ihre Stammkundschaft, häufig Junggesellen oder Witwer, die nicht mit Nadel und Faden umgehen konnten. Aber es gab auch genug Frauen, die keine Lust hatten, sich mit der Wäsche zu beschäftigen. Und wenn ihre Männer genug verdienten, konnten sie die Sachen weggeben.
»Hast du eigentlich einmal daran gedacht, wieder zu heiraten?«, fragte Ursula halblaut.
»Nein. Nach meinen Erfahrungen mit Robert ...«
»Es sind nicht alle so wie Robert. Es gibt genug Männer, auf die man sich verlassen kann. Eines Tages braucht Jochen uns nicht mehr, und dann stehst du allein da. Und je älter du wirst, desto schwieriger wird es für dich, noch einen Mann zu finden.«
»Ich will ja keinen.«
»Wir werden im September das Geschäft schließen. Ich kümmere mich dann um Jochen, und du spannst einmal richtig aus. Ich habe mir Prospekte besorgt, die Reisen sind gar nicht so teuer. Wenigstens drei Wochen im Jahr sollst du es einmal gut haben.«
»Und du?«
Frau Schenk schüttelte den Kopf.
»Ich bin alt und brauche keinen Urlaub mehr. Und einer muss ja auch bei Jochen bleiben. In den Schulferien ist es überall so voll. Und es ist auch besser, wenn du allein fährst, ohne den Jungen. Mit Jochen zusammen kommst du doch nicht zur Ruhe. Teneriffa soll sehr schön sein.«
»Nein«, sagte Kerstin, aber ein verträumter Glanz trat in ihre Augen. Wie gern hätte sie Ja gesagt, nur ihr Pflichtbewusstsein hinderte sie daran, den Vorschlag der Mutter sofort zu akzeptieren. »Es täte mir leid ums Geld.«
»Das Geld dafür habe ich.«
Kerstin richtete sich auf und starrte ihre Mutter verwundert an.
Ursula lächelte verschmitzt.
»Gespart! Schmugeld nannte man das früher. Ich habe immer ein bisschen was vom Haushaltsgeld zur Seite gelegt. Über tausend Mark sind es inzwischen!«
»Davon könnten wir Jochen ein neues Fahrrad kaufen und einen Anorak.«
»Nein, er hat ein Fahrrad, und das ist noch gut genug. Ich habe das Geld für dich gespart, Kerstin, und ich habe die Reise auch schon gebucht. Du fliegst am zweiten September.«
Kerstin schluckte, und dann drehte sie hastig den Kopf zur Seite, damit ihre Mutter nicht die Tränen sah, die ihr über das Gesicht liefen.
***
Die Aussicht, drei Wochen Urlaub im sonnigen Süden machen zu können, belebte Kerstin, auch wenn ein Rest schlechten Gewissens blieb. Sie hatte das Gefühl, ihre Familie im Stich zu lassen, andererseits wusste sie Jochen bei seiner Großmutter in guter Obhut.
Ihre Mutter hatte sogar Stoff für zwei Sommerkleider gekauft, obwohl Kerstin gegen diese Verschwendung protestiert hatte. Im Grunde genommen freute sie sich aber darüber, denn sie war jung genug, um sich gern hübsch anzuziehen.
Nur hier im Geschäft lohnte es sich nicht. Sie trug meistens einen braunen Kittel, das Haar schlicht frisiert, um Geld für den Friseur zu sparen, und hinaus kam sie ja kaum.
»Guten Tag«, erwiderte sie freundlich den Gruß des Kunden, der eingetreten war und vor dem Tresen stehen blieb. »Was ist es denn diesmal, Herr Hennewald?«
»Zwei Oberhemden. Ich weiß nicht, ob es sich noch lohnt, die Manschetten zu wenden. Schauen Sie sich die Dinger doch bitte einmal an, Frau Cornelsen.«
Kerstin betrachtete aufmerksam die Hemden.
»Eigentlich ...«
»Verstehe. Ich dachte nur, zum Wegwerfen sind sie zu schade. Aber ich kann sie ja noch bei der Gartenarbeit anziehen oder wenn ich im Keller bastele. Ich habe nämlich eine richtige Hobbywerkstatt mit allen Werkzeugen, die man als Heimhandwerker so braucht. Wenn Sie mal einen Handwerker benötigen und keinen finden ...«
Kerstin, die noch immer die Oberhemden angeschaut hatte, hob den Kopf und lächelte ihm flüchtig zu.
»Vielen Dank für Ihr Angebot, Herr Hennewald.« Sie dachte allerdings nicht daran, jemals darauf zurückzukommen.
»Ja, wenn man allein lebt, dann ... Ich habe keine Lust, abends auszugehen, und wohin sollte ich auch gehen? Für Diskotheken bin ich zu alt, und sonst ... Bevor ich in Kneipen herumsitze, bleibe ich lieber zu Hause und trinke mein Bier daheim. Aber manchmal, wenn es nichts im Fernsehen gibt ....«
Kerstin schob die Hemden wieder in die Tragetasche zurück, nachdem sie sie sorgfältig zusammengelegt hatte.
»Sie sollten heiraten, Herr Hennewald«, meinte sie freundlich.
»Ja, bloß wen? Wüssten Sie nicht eine Frau für mich, Frau Cornelsen?«
»Wie müsste sie denn sein?«
»Wie Sie«, platzte Herr Hennewald heraus. Als er Kerstins betroffenes Gesicht sah, wurde er verlegen. »Das dürfen Sie nicht falsch verstehen. Ich finde Sie nämlich schrecklich sympathisch, müssen Sie wissen. Sie sind immer freundlich und machen solch einen ausgeglichenen Eindruck. Die meisten jungen Frauen haben bloß ihre Vergnügungen im Kopf und neue Kleider. Aber Sie ...«
»Vielleicht ist unter meinen Kundinnen eine geeignete Ehekandidatin für Sie, Herr Hennewald. Ich denke mal darüber nach. Wie viel Geld muss Ihre Zukünftige denn haben?«
»Geld braucht sie nicht mitzubringen.« Bekräftigend schüttelte Holger Hennewald den Kopf. »Ich habe ja das Haus, und ich verdiene nicht schlecht. Wenn Sie ... Haben Sie ... Ich meine, wenn Sie einmal abends Zeit und Lust hätten, vielleicht mit mir ins Kino zu gehen?«
»Ich arbeite abends meistens noch. Trotzdem, vielen Dank für Ihre Einladung.«
»Ja, ich verstehe. Ich habe oft noch Licht in der Nähstube gesehen, wenn ich hier abends mal vorbeigekommen bin. Dass Sie so fleißig sind! Eigentlich ....« Er wusste nicht weiter.
Kerstin legte ihm die Tragetasche hin.
»Ja, dann ...« Er war ein netter, sympathischer Kunde, der noch nie gemeckert hatte.
»Was wollte Herr Hennewald von dir?«, fragte die Mutter, als Kerstin wieder ins Nähzimmer gekommen war.
»Nichts Besonderes. Es lohnt sich nicht mehr, seine Hemden zu flicken.« Kerstin spürte den forschenden Blick ihrer Mutter und beeilte sich, ihre Nähmaschine in Gang zu setzen.
»Ich glaube, Herr Hennewald mag dich.« Heute konnten sie offen miteinander sprechen, Marion war in der Berufsschule. »Ein netter Mann. Sehr solide, scheint nicht schlecht zu verdienen, und dann hat er das hübsche Haus. Ich habe mich immer gewundert, dass er nicht verheiratet ist. Jetzt weiß ich den Grund.«
»Und was ist der Grund?«, fragte Kerstin, auch wenn sie das nur am Rande interessierte.
»Er war mal verlobt. Das ist jetzt vier Jahre her. Ein sehr hübsches Mädchen, habe ich mir sagen lassen. Er soll wahnsinnig in sie verliebt gewesen sein. Und drei Tage vor der Hochzeit ist seine Braut gestorben. Ganz plötzlich und unerwartet. Sie soll wohl irgendetwas mit dem Herzen gehabt haben. Man muss sich das einmal vorstellen, drei Tage vor der Hochzeit! Es soll ihn sehr mitgenommen haben.«
»Das kann ich mir gut vorstellen, Mutter.«
»Ja, und seitdem lebt er nun allein. Es gibt doch noch Männer, die eine Frau richtig lieben können. Viele trösten sich ja schnell. Herr Hennewald ist in Ordnung. Ein bisschen still vielleicht, aber das sind nicht die schlechtesten Männer, Kerstin.«
»Ich bin ein gebranntes Kind, Mutter.«
»Du bist nur an den falschen Mann geraten. Hättest du damals auf mich gehört ... Aber da war ja schon Jochen unterwegs, und ich hab dann nichts mehr gesagt. Ich habe gleich gesehen, dass man sich auf Robert nicht verlassen konnte. Manche Männer schauen ihr ganzes Leben hinter anderen Frauen her. – Hat Herr Hennewald denn gar nichts gesagt?«
»Nur, ob es sich lohnt, die Manschetten zu wenden.«
»Wenn du ein bisschen freundlicher und entgegenkommender wärst ... Ich hab schon gedacht, ob wir ihn nicht mal sonntags zum Mittagessen einladen.«
»Untersteh dich, Mutter!«, stieß Kerstin entsetzt hervor. »Was soll Herr Hennewald denn von uns denken?«
»Er würde sich freuen«, erklärte Ursula Schenk im Brustton der Überzeugung. »Denk mal über das nach, was ich dir gesagt habe. Du bist jetzt dreiunddreißig, eine hübsche junge Frau. Und eine Frau braucht einen Mann. Bei Hennewald könntest du dich ins gemachte Nest setzen.«