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Lüder Ankermann ist mit der tüchtigen Fremdsprachenkorrespondentin Maren verheiratet, die als Vorzimmerdame in einem internationalen Konzern arbeitet. Lüder ist stolz auf sie, die weit überdurchschnittlich intelligent ist und die Dolmetscherschule als Beste der Klasse absolviert hat. Wenig später steigt Maren zur Chefsekretärin auf. Lüder, der als kleiner Angestellter weit weniger verdient als seine Frau und früher zu Hause ist, kümmert sich um den Haushalt, kauft ein und kocht. "Pantoffelheld" nennt ihn sein bester Freund, und auch manch andere Frau zerreißt sich das Maul über die Ehe der Ankermanns. Lüder sieht das gelassen. Schließlich lebe man doch im Zeitalter der Gleichberechtigung. Was sei denn schon dabei, wenn eine Frau mehr verdiene und erfolgreicher sei als ihr Ehemann?
Doch mit der Zeit kann der so selbstlose und genügsame Lüder das Gerede der Leute nicht mehr ignorieren. Sie haben ja recht, oder? Er opfert sich regelrecht auf für Maren. Und was ist mit seinem Traum von einer großen Familie? Da wird Maren ungeplant auf dem Höhepunkt ihrer Karriere schwanger ...
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Seitenzahl: 158
Cover
Die seltsame Ehe der Ankermanns
Vorschau
Impressum
Die seltsame Ehe der Ankermanns
Roman einer selbstlosen Liebe
Von Helga Winter
Lüder Ankermann ist mit der tüchtigen Fremdsprachenkorrespondentin Maren verheiratet, die als Vorzimmerdame in einem internationalen Konzern arbeitet. Lüder ist stolz auf sie, die weit überdurchschnittlich intelligent ist und die Dolmetscherschule als Beste der Klasse absolviert hat. Wenig später steigt Maren zur Chefsekretärin auf. Lüder, der als kleiner Angestellter weit weniger verdient als seine Frau und früher zu Hause ist, kümmert sich um den Haushalt, kauft ein und kocht. »Pantoffelheld« nennt ihn sein bester Freund, und auch manch andere Frau zerreißt sich das Maul über die Ehe der Ankermanns. Lüder sieht das gelassen. Schließlich lebe man doch im Zeitalter der Gleichberechtigung. Was sei denn schon dabei, wenn eine Frau mehr verdiene und erfolgreicher sei als ihr Ehemann?
Doch mit der Zeit kann der so selbstlose und genügsame Lüder das Gerede der Leute nicht mehr ignorieren. Sie haben ja recht, oder? Er opfert sich regelrecht auf für Maren. Und was ist mit seinem Traum von einer großen Familie? Da wird Maren ungeplant auf dem Höhepunkt ihrer Karriere schwanger ...
»Wollen wir nicht lieber gelbe Gardinen nehmen?«, fragte Maren Fastenau und zog die Stirn drollig in Falten. »Zu dem blauen Teppich würden Vorhänge in gelbem Ton gut passen. Was meinst du?«
»Ach, habe ich auch noch eine Stimme bei der Einrichtung unserer Wohnung?«, erwiderte der junge Mann lachend, zog Maren an sich und gab ihr einen Kuss.
Aber so gern Maren sich sonst von ihm küssen ließ, jetzt war ihrer Meinung nach nicht der passende Zeitpunkt dafür.
»Ich glaube, gelb ist besser«, wiederholte sie ernsthaft.
»Kaufe die, die du für richtig hältst. Du hast einen hervorragenden Geschmack«, meinte Lüder verliebt.
»Hoffentlich können sie die Gardinen noch rechtzeitig liefern. Wir hätten sie schon früher bestellen sollen.«
»Bis gestern waren noch die Handwerker in der Wohnung. Ware es denn wirklich so schlimm, wenn wir einziehen, und die Gardinen kommen ein paar Tage später?«
»Ich möchte, dass alles fix und fertig ist, wenn wir heiraten.«
»Du bist eine kleine Perfektionistin«, stellte Lüder Ankermann schmunzelnd fest. »Tüchtig, zuverlässig, und zu allem Überfluss noch hübsch und charmant. Eigentlich bist du viel zu gut für mich.«
»Ausnahmsweise muss ich dir von ganzem Herzen zustimmen.« Maren musste sich auf die Zehenspitzen recken, um ihm einen Kuss zu geben, denn sie war fast einen Kopf kleiner als der schlanke Mann, den sie in vierzehn Tagen heiraten wollte.
»Schade, dass wir uns kein eigenes Haus erlauben können«, sagte Lüder, als er sich umschaute. »Diese Wohnung ist zwar sehr hübsch, aber ein eigenes Haus wäre schöner.«
»Das werden wir bekommen, und es wird gar nicht so lange dauern. Wenn du dich erst selbstständig gemacht hast, werden wir es schaffen.«
»Hoffentlich bestehe ich die Prüfung. Und ob ich dann als Steuerberater gleich genügend gute Klienten bekomme?«
»Es wird sich schnell herumsprechen, wie tüchtig du bist«, beruhigte Maren ihn. »Und du die Prüfung nicht bestehen, darüber kann ich nur lachen. Für dich ist es doch eine Kleinigkeit, wo du so tüchtig und strebsam bist. Im Wohnzimmer wollen wir einen Kamin haben, und abends sitzen wir davor, trinken ein Gläschen Wein, und du erzählst mir von deiner Arbeit.«
»Und du mir, was die Kinder tagsüber angestellt haben.«
»Kinder?« Maren schüttelte den Kopf. »So schnell wird das mit Kindern nichts werden bei uns, Lüder. Wenn wir das Haus haben, dann muss ich noch eine ganze Weile mitarbeiten. Es ist ja nicht mit dem Haus allein getan. Es soll eingerichtet werden, und dann ... Ach, es fehlt noch so vieles.«
»Trotzdem, auf Kinder möchte ich nicht verzichten. Und am schönsten ist es, wenn man selbst noch jung ist. Meine Eltern waren zu alt, als ich auf die Welt kam. Sie waren zu besorgt um mich, hätten mich am liebsten in Watte gewickelt. Ich durfte nie das tun, was die anderen Kinder durften. Meine Mutter hat überall nur die Gefahren gesehen.«
»Sprechen wir noch nicht von Kindern, das Thema ist noch nicht spruchreif, und schließlich verdiene ich ja ganz gut.«
»Viel zu wenig für das, was du kannst«, widersprach Lüder, »als Fremdsprachenkorrespondentin, die drei Sprachen beherrscht. Du bist wirklich ein kluges Kind.«
»Deshalb habe ich dich auch eingefangen«, behauptete Maren. »Du bist ein Mann mit Zukunft. Aus dir wird noch einmal etwas. Steuerberater können einen Haufen Geld verdienen, wenn sie die richtigen Klienten haben.«
»Dafür müssen sie auch sehr viel arbeiten.«
»Geschenkt bekommt man nichts im Leben. Gefallen dir die Fliesen im Bad?«
»Ja.« Es klang etwas langgezogen.
»Ich finde sie scheußlich«, erklärte Maren heftig. »Manche Leute haben einen Geschmack! Was der Mann sich nur gedacht haben mag, der sie aussuchte. Waren bestimmt die billigsten, und für Mieter ist das Billigste gerade gut genug, wird er gedacht haben. Dabei gibt es so hübsche Fliesen. Ich habe da welche ausgestellt gesehen, du, wenn wir mal ein eigenes Badezimmer haben, dann sparen wir bestimmt nicht an den Fliesen.«
Entzückt betrachtete Lüder ihr vor Eifer gerötetes Gesicht mit den glänzenden Augen. Er konnte es manchmal kaum fassen, dass dieses bezaubernde Mädchen bereit war, ihn, den kleinen Angestellten eines Steuerberaters, zu heiraten. Sie hätte doch ganz andere Partien machen können.
Das glaubte er jedenfalls, denn wo Maren passende Männer kennenlernen sollte, fragte er sich nicht. Sie arbeitete in einem der großen Konzerne Deutschlands im Vorzimmer des technischen Direktors, eine von einem halben Dutzend, die mehr oder weniger Routinearbeit zu leisten hatten. Sie bekam dafür ganz gut bezahlt. Genau gesagt, sie verdiente sogar etwas mehr als Lüder, denn sein Chef war trotz seines hohen Einkommens recht knauserig. Aber er würde ja nicht ewig bei ihm bleiben, würde sich selbstständig machen und dann Maren das Leben bieten, auf das sie einen Anspruch hatte.
»Wir haben gerade noch Zeit, die Gardinen auszusuchen. Komm gleich mit, Lüder.« Maren zeigte ihre Ungeduld nicht, sie verstand es, sich zu beherrschen. »Du bist manchmal so schwerfällig.«
»Dafür aber beständig«, gab der Mann ungekränkt zurück. »Es würde mir zum Beispiel nie in den Sinn kommen, dich zu betrügen.«
»Das wollte ich mir auch ausgebeten haben.«
Maren sah allerdings nicht so aus, als mache sie sich über die Möglichkeit, von ihm hintergangen zu werden, auch nur die geringsten Sorgen. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die man betrog. Sie gehörte zu den Frauen, auf die ihre Männer ein Leben lang stolz waren, die sie ihren Freunden und Bekannten gern vorzeigten, mit denen sie angaben.
Ohne direkt eingebildet zu sein, kannte Maren Fastenau durchaus ihren Wert. Und aus Lüder würde sie etwas machen. Machen müssen, denn von sich aus hätte er bestimmt nicht den nötigen Schwung entwickelt, den man braucht, um sich in der freien Wirtschaft durchzusetzen. Er wäre womöglich sein Leben lang Angestellter geblieben und dabei zufrieden gewesen.
Für Marens Geschmack war Lüder zu leicht zufrieden mit dem, was er hatte, nicht bereit, um mehr zu kämpfen. Allerdings, aber das gab Maren sich selbst kaum zu, beneidete sie ihn manchmal um seine innere Zufriedenheit, die nichts mit Resignation zu tun hatte. Lüder brauchte an und für sich kein eigenes Haus, um zufrieden zu sein. Aber sie, Maren Fastenau, sie brauchte es. Und ein besseres Auto. Und hübsche Kleidung. Und natürlich einen Pelzmantel, dem man ansah, dass er keine Gelegenheit im Ausverkauf gewesen war.
Und das alles würde sie bekommen. Für Maren gab es keinen Zweifel daran, dass sie ihre Ziele im Leben auch erreichen würde. Sie war weit überdurchschnittlich intelligent, hatte die Dolmetscherschule als Beste der Klasse absolviert, und ihre jetzige Stellung im Konzern war für sie nur der Anfang.
Alle mussten schließlich einmal klein anfangen. Sie konnte mehr als ihre Kolleginnen, und vor allem, das war das Entscheidende, wollte sie mehr als ihre Kolleginnen. Die arbeiteten, wie man es von ihnen verlangte, machten sich aber keinerlei Gedanken über das, was sie schrieben. In den Pausen sprachen sie über ihre Männer, über den Haushalt, über Urlaubsreisen.
Maren dachte mit, wenn sie ihre Briefe tippte, ärgerte sich manchmal über die unmöglichen Formulierungen, die der Chef gebrauchte. Der Mann konnte nicht richtig Deutsch, fand sie, und die Chefsekretärin anscheinend auch nicht, sonst hätte sie dafür gesorgt, dass seine Briefe in besserem Stil abgefasst wurden.
Sie schaute stirnrunzelnd auf Lüders altes Auto, bevor sie einstieg.
»Hoffentlich bekommen wir in der Innenstadt noch einen Parkplatz. Es wird Zeit, dass du dir ein anderes Auto kaufst. Ich wundere mich jedes Mal, dass dieser alte Kasten überhaupt noch fährt.«
»Du, mach das Auto nicht schlecht, ich liebe es, weil es so zuverlässig ist, und sein Alter – nun ja, wir alle werden einmal alt. Es wird noch manche Jahre seinen Dienst tun.«
Dir ist es tatsächlich egal, was für ein Auto du fährst, dachte Maren. Dabei beurteilte man Menschen doch nach ihren Autos, nach ihren Anzügen, nach ihrem Auftreten. Lüder musste noch einiges dazulernen. Für ihn ist es ein Glück, dass er an mich geraten ist, überlegte Maren. Er braucht eine Frau wie mich, um Karriere zu machen.
Selbstverständlich überließ Lüder ihr die Auswahl der Gardinen allein. Sie hatte einen besseren Geschmack als er, und was für Gardinen vor den Fenstern hingen, war ihm im Grunde genommen gleichgültig. Wie eifrig sie aussah, als sie wählte. Lüder konnte den Blick einfach nicht von ihrem Gesicht abwenden, und am liebsten hätte er sie hier im Geschäft in den Arm genommen und sie geküsst. Noch vierzehn Tage ...
Er konnte schon gar nicht mehr abwarten, dass sie ihm endlich ganz gehörte, dass sie jede freie Minute zusammen waren. So glücklich, wie wir sein werden, war bestimmt noch kein Paar auf der Welt vor uns, dachte er. Gedanken eines jeden Verliebten, aber das machte Lüder sich nicht klar.
Maren hätte es ihm gesagt. Sie wusste, dass Flitterwochen vorübergehen und der Alltag beginnt, genau wie sie wusste, dass der Alltag viel wichtiger ist als die flüchtige Zeit der Verliebtheit. Und zum Alltag gehörte in dieser Welt ein bisschen Luxus. Und Luxus kostete Geld, und Geld musste man sich durch Tüchtigkeit und Fleiß verdienen.
Tüchtigkeit und Fleiß, ja, das war es, worauf es ankam. Und sie würde dafür sorgen, dass Lüder sowohl tüchtig als auch fleißig war, dass er mehr leistete als andere, bis er alles hatte, was man heutzutage brauchte, um glücklich leben zu können.
***
Isa Deicke bog die sowieso schon hängenden Mundwinkel noch weiter herab, als Maren Fastenau mit fröhlichem Gruß das große Büro betrat. Ihr, der ältlichen Jungfer, tat es direkt weh, dieses frische, fröhliche, fast strahlende Gesicht anzuschauen.
Warum hatten die einen alles und die anderen nichts? Sie gehörte zu den unglücklichen Geschöpfen, für die Männer sich nicht interessierten, und dabei war sie doch nur zu bereit, einen soliden Mann glücklich zu machen und ihm alles zu geben, was er sich wünschte. Aber die dummen Männer schauten ja nur auf hübsche Gesichter und gutgewachsene Busen, und mit beidem konnte sie nicht aufwarten.
Fräulein Deicke war vorn recht flach, und ihr Gesicht – nun ja, es war kein Gesicht, in das man sich verlieben konnte. Diese Fastenau dagegen wirkte auf Männer wie Honig auf Bienen. Wenn jemand hereinkam, dann schaute er unbedingt auf die Fastenau, als wäre sie die einzige Frau im Büro.
Kein Wunder, dass Isa Deicke ihren Magen spürte, als sie Marens Gruß mürrisch erwiderte. Sie wollte bald heiraten, natürlich, Mädchen wie sie wurden immer geheiratet, und Isa Deicke konnte nur den Mann bedauern, der auf so eine hereinfiel.
»Wann wollten Sie noch heiraten?«, fragte sie.
»Dienstag in vierzehn Tagen.«
»Noch knapp zwei Wochen.« Die Lippen des alten Fräuleins wurden noch verkniffener. »Eine große Hochzeit?«
»Nein, wir sparen unser Geld lieber. Wir feiern nur im engsten Kreis. Eigentlich nur mein Verlobter und ich.«
»Wenn er damit einverstanden ist? Früher hätte sich kein Mann so etwas bieten lassen.«
»Mein Verlobter ist zu vernünftig, um Spaß daran zu finden, sein sauerverdientes Geld für eine völlig unnötige Feier auszugeben.«
»So, vernünftig nennen Sie das. Das haben Sie ihm natürlich eingeredet.«
»Allerdings, die Idee stammt von mir«, gab Maren zu. Sie dachte nicht daran, sich über ihre Kollegin zu ärgern. »Er wollte lieber eine größere Hochzeit, seine Kollegen und Freunde einladen, aber dann haben wir ausgerechnet, wie viel Personen da zusammenkommen, und daraufhin haben wir es lieber gelassen.«
»Man kann auch am falschen Ende sparen. Eine große Hochzeit gehört doch zu den schönsten Erinnerungen im Leben.«
»Sie müssen es ja wissen, Fräulein Deicke«, erwiderte Maren freundlich.
Allerdings tat Fräulein Deicke ihr leid. Maren besaß genug Fantasie, um sich vorstellen zu können, wie leer und öde das Leben dieser alleingebliebenen Frau aussehen musste. Sie verstand nur nicht, dass Fräulein Deicke sich damit abfand. Sie sollte sich doch etwas mehr bemühen, einen Mann zu finden. Bestimmt gab es einen, der froh sein würde, sie heiraten zu dürfen.
»Fräulein Kessler ist heute noch nicht gekommen«, wechselte Isa Deicke das Thema. »Hoffentlich ist nichts mit ihrem Auto.«
»Ja, eine Frau am Steuer!«
Isa Deicke bedachte ihre vorlaute hübsche Kollegin mit einem vernichtenden Blick. Sie hielt tatsächlich nichts von autofahrenden Frauen und versäumte nicht, das auch häufig zu verkünden. Und dieses Fräulein Kessler mochte sie ganz und gar nicht. Die war nämlich auch sehr hübsch, sehr elegant – bei ihrem Gehalt konnte sie sich auch entsprechende Garderobe erlauben –, und sie war fast zwanzig Jahre jünger als Fräulein Deicke.
Und trotzdem ihre Vorgesetzte! An und für sich hatte Fräulein Deicke erwartet, Chefsekretärin zu werden, denn sie erfüllte ihre Pflichten tadellos, war immer pünktlich, immer bereit, Überstunden zu leisten, aber nein, Dr. Stamer hatte sich solch ein junges Ding in sein Vorzimmer geholt, hübsch anzusehen, aber sonst?
»Es ist bestimmt was mit ihrem Auto, sonst hätte sie nämlich angerufen und gesagt, dass sie krank ist«, fuhr Isa Deicke fort. »Wundern würde es mich nicht, wenn sie schon im Krankenhaus läge. Ich bin mal mit ihr gefahren, also das vergesse ich mein Leben lang nicht. Sie fährt wie eine Verrückte, immer den Fuß voll auf dem Gaspedal, dann wieder tüchtig gebremst.«
Maren schmunzelte nur. Die Kessler könnte tun, was sie wollte, die Deicke würde nie mit ihr zufrieden sein, dachte sie.
Dr. Stamer öffnete die Tür und nickte den Vorzimmerdamen flüchtig zu. Dann glitt sein Blick über die Gesichter hinweg, blieb naturgemäß auf Maren hängen, und die Falten auf seiner Stirn vertieften sich.
»Ich brauche jemanden, der für mich schreibt. Fräulein, Sie da, bitte, kommen Sie herein.«
Isa Deicke verfärbte sich, als Maren aufstand. Natürlich, ausgerechnet die musste Stamer wählen. Und warum? Weil sie hübsch aussah.
»Wie heißen Sie?«, fragte Dr. Stamer die junge Dame, als er die Tür geschlossen hatte.
»Fastenau.«
Dr. Stamer musterte sie von oben bis unten.
»Fräulein Kessler hatte einen Autounfall. Man hat gerade aus dem Krankenhaus angerufen. Nichts Lebensgefährliches, aber ein paar Wochen wird es dauern, bis sie wieder arbeitsfähig ist. Trauen Sie sich zu, Fräulein Kessler zu vertreten?«
»Ja.«
Kein Wort mehr, und einen Augenblick wirkte Ehrenfried Stamer erstaunt. Er hatte mit wortreichen Beteuerungen gerechnet, und die Kürze der Antwort überraschte ihn.
»Nun, wir werden sehen.« Er rieb sich das Kinn. »Die Post habe ich schon geöffnet. Das macht sonst Fräulein Kessler.«
»Ab morgen kann ich es machen, wenn es Ihnen recht ist.«
»Ja. Ihnen fehlt nur der notwendige Überblick. Zu dumm, dass das passieren musste. Ich fliege übermorgen nach Amerika, Fräulein Kessler sollte mitkommen.«
Marens Herz begann zu rasen.
»Ist Ihr Pass in Ordnung?«, fragte Dr. Stamer. »Sie haben doch Zeit, mitzukommen? Es ist nur für zwei Tage. Ich habe in New York zu tun, die Flugkarten und Zimmer sind schon bestellt. Sie müssen das Protokoll führen und die Verträge ins Reine tippen. Sie sprechen doch Englisch?«
»Selbstverständlich.«
»Also gut, setzen Sie sich dorthin, ich diktiere Ihnen jetzt die vertrauliche Post. Vertraulich heißt, dass Sie mit niemandem darüber sprechen, Fräulein ... äh ... mit niemandem«, wiederholte er nachdrücklich.
»Ich habe verstanden, Herr Doktor.«
Dann musste Maren sich allerdings sehr zusammennehmen, um dem Tempo gewachsen zu sein, das Dr. Stamer beim Diktieren vorlegte. Er ging dabei in seinem riesigen Büro auf und ab, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, die Stirn in Falten.
Was für ein Deutsch! Bei manchen Formulierungen zuckte Maren innerlich zusammen. Muss ich das wirklich so schreiben, oder darf ich sein Deutsch ein bisschen verbessern?, fragte sie sich. Diese umständliche Ausdrucksweise! So redete man heutzutage nicht mehr, und vernünftige Menschen schreiben auch nicht mehr so.
»Das war es fürs Erste. Tippen Sie die Post gleich, und wenn Sie fertig sind, legen Sie mir die Briefe zur Unterschrift vor.«
Maren nickte nur. Sie konnte sehr gut tippen, ihre Briefe enthielten keinen Fehler – waren dafür aber in einem flüssigeren Deutsch geschrieben. Was wird er sagen, wenn er das merkt?, dachte sie, als sie ihm die Unterschriftenmappe auf den Schreibtisch legte.
Die Falten auf der Stirn des Mannes vertieften sich beim Lesen.
»Gut«, stellte er dann fest. »Sie haben keine Fehler gemacht.«
Er schien nicht bemerkt zu haben, dass sie eigenmächtig seine Ausdrucksweise geändert hatte. Umso besser, dachte Maren. Die Arbeit hier machte ihr Spaß, auch wenn sie, wie sie bald merkte, sehr anstrengend war.
Alle Augenblicke klingelte das Telefon, und sie musste entscheiden, ob der Herr Direktor zu sprechen oder gerade in einer Konferenz war und nicht gestört werden durfte. Wie gut, dachte sie mehr als einmal, dass ich mich hier im Betrieb recht gut auskenne.
»Ich werde nachsehen, ob der Herr Direktor noch im Vorzimmer ist. Er ist gerade hinausgegangen«, sagte sie einmal, als sie nicht wusste, ob sie den Anrufer verbinden musste oder nicht. Sie nannte den Namen, Dr. Stamer schüttelte den Kopf, und sie bedauerte, den Herrn Direktor nicht mehr erreichen zu können. »Ich habe Ihren Anruf notiert, der Herr Direktor wird gegebenenfalls zurückrufen.«
»Um siebzehn Uhr ist heute Vorstandssitzung. Sie müssen natürlich dabei sein. Ich möchte mein eigenes Protokoll haben. Bis die das immer vorlegen, vergehen Tage.«
Maren schluckte. Um siebzehn Uhr hatte sie Feierabend. Sie war, wie immer, mit Lüder verabredet.
»Wie lange wird die Sitzung dauern, Herr Doktor?«
Stamer zuckte die Schultern.
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich bis zweiundzwanzig Uhr. Ist wieder eine lange Tagesordnung.«
Auf den Gedanken, sie zu fragen, ob sie Zeit habe, kam er offenbar nicht. Seine Sekretärin hatte ihn in der Beziehung verwöhnt.
Als er zum Essen gegangen war, rief Maren Lüder an.
»Du, wir können uns heute nicht treffen, ich muss Überstunden machen. Stell dir vor, ich schreibe für den Chef. Fräulein Kessler hatte einen Autounfall, und wenn ich mich bewähre, darf ich sie vertreten, bis sie wiederkommt. Das ist meine große Chance.«
»So, du musst arbeiten – na ja, das lässt sich wohl nicht ändern. Dann bis morgen.«
»Du, es tut mir selbst wahnsinnig leid, aber der Dienst geht vor, das siehst du ein. Oder sollte ich dem Chef einen Korb geben, als er mich bat, die Kessler zu vertreten? Vielleicht empfiehlt er mich einem Kollegen, wenn er mit mir zufrieden ist. In unserem Laden sind immer wieder gute Positionen zu besetzen, aber man muss aufgefallen sein, wenn man sie bekommen will.«
»Ja, ja, schon gut, ich verstehe. Ein langer Tag für dich.«