Lore-Roman 201 - Helga Winter - E-Book

Lore-Roman 201 E-Book

Helga Winter

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Beschreibung

Das Leben der jungen Baroness Maren gerät nach einem dramatischen Schicksalsschlag aus den Fugen: Statt sich nach ihrem Abitur in einem Schweizer Mädchenpensionat unbeschwert in der Heimat auf Gut Wohlau auf ihre Zukunft vorzubereiten, muss sie über Nacht nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters allein die Leitung des Gutes übernehmen. Niemand sonst ist da, der Maren unterstützen könnte. Im Gegenteil: Das junge Mädchen muss selbst die Stütze für die kranke Mutter und zwei jüngere Geschwister sein. Mit äußerster Anstrengung und Selbstbeherrschung gelingt es Maren, sich bei Angestellten und Geschäftspartnern Respekt zu verschaffen und Gut Wohlau zu erhalten - doch der Preis dafür ist hoch. Denn für mehr als die Arbeit ist in Marens Leben kein Platz - bis Henning Baron von Faller das Nachbargut übernimmt ...


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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Der Herr vom Nachbargut

Vorschau

Impressum

Der Herr vom Nachbargut

Warum er Baroness Maren zum Schicksal wurde

Von Helga Winter

Das Leben der jungen Baroness Maren gerät nach einem dramatischen Schicksalsschlag aus den Fugen: Statt sich nach ihrem Abitur in einem Schweizer Mädchenpensionat unbeschwert in der Heimat auf Gut Wohlau auf ihre Zukunft vorzubereiten, muss sie über Nacht nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters allein die Leitung des Gutes übernehmen. Niemand sonst ist da, der Maren unterstützen könnte.

Im Gegenteil: Das junge Mädchen muss selbst die Stütze für die kranke Mutter und zwei jüngere Geschwister sein. Mit äußerster Anstrengung und Selbstbeherrschung gelingt es Maren, sich bei Angestellten und Geschäftspartnern Respekt zu verschaffen und Gut Wohlau zu erhalten – doch der Preis dafür ist hoch. Denn für mehr als die Arbeit ist in Marens Leben kein Platz – bis Henning Baron von Faller das Nachbargut übernimmt ...

Maren musste sich eisern bezwingen, um nicht aufzuspringen, ungeduldig zum Abteilfenster zu stürzen und hinauszustarren. Sie fuhr heim! Sie näherte sich der Heimat! Welch einen zaubersüßen Klang das Wort besaß! Aber nur, wer wie sie zwei Jahre in der Fremde gelebt hatte, konnte das ermessen.

Sie freute sich auf ihre Familie, vor allem auf ihren stets fröhlichen Vater. Er lachte immer. Sie beneidete ihn darum. Sie beneidete heimlich auch ihre Schwester Irina, die das sonnige Temperament von ihm geerbt hatte.

Maren selbst war dagegen schwerfällig wie ihre Mutter. Aber auch sie lachte gern, nur musste dafür ein Anlass vorhanden sein. Der Unterschied zwischen der um zwei Jahre jüngeren Schwester und ihr war wohl der, dass Irina immer einen Anlass zum Lachen fand. Maren dagegen musste erst danach suchen.

Mutter war leidend und oft sehr schwach. Sie fror auch immer. Als Maren älter wurde, hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, wie wohl zwei Menschen, die so grundverschieden wie ihre Eltern waren, in Liebe zueinandergefunden hatten.

Die Baroness verscheuchte ihre Gedanken. Es gehörte sich einfach nicht, in dieser Form über die Eltern nachzudenken.

Sie kramte ihr Handgepäck zusammen, zog den Mantel an und setzte ihr Hütchen auf.

Endlich hielt der Zug. Maren musste sich beherrschen, um in der Tür beim Ausstieg nicht ungebührlich laut nach ihrem Bruder zu rufen, der neben dem alten Kutscher stand. Aber nun hatte Erik sie auch entdeckt. Sein Gesicht rötete sich vor Freude, als er auf sie zustürmte.

»Maren ...!«

Erik schwankte offenbar, ob er es mit seiner zwölfjährigen Würde vereinbaren konnte, seine große Schwester noch zu umarmen. Dann unterließ er es lieber. Es sahen zu viele fremde Menschen zu.

»Du bist aber groß geworden«, staunte die Schwester.

Tatsächlich hatte der »kleine« Bruder Marens Länge erreicht. Auf seinem sommersprossigen Gesicht lag ein fröhliches Grinsen.

»Na ja, man wird eben älter«, meinte er gönnerhaft.

Maren lachte und legte ihre Hand auf seine noch so schmale Schulter.

»Mein Gott, wie freue ich mich, dass ich wieder zu Hause bin.«

»Was denkst du, wie sich Irina schon darauf freut, Ostern in die Schweiz reisen zu können! Ich verstehe das ja auch nicht. Es geht doch nichts über Wohlau, nicht wahr?«, meinte Erik nun.

Maren nickte. Richtig, sie hatte gar nicht daran gedacht, dass nun ihre Schwester das Elternhaus verlassen sollte, um den letzten gesellschaftlichen Schliff zu bekommen. Irina freute sich also auf die Fremde! Das hatte Maren selbst nie getan.

Erik nahm ihr die große Reisetasche ab.

»Wie geht es den Eltern?«, fragte Maren.

Eigentlich war sie ein wenig enttäuscht, dass ihr Vater nicht gekommen war. Aber er würde wohl zu beschäftigt sein.

Erik zuckte gleichmütig die Schultern und erklärte: »Wie immer, denke ich.«

»Weißt du es nicht?«

»Na ja, sicher. Mutter wartet auf den warmen Sommer, und Vater ...«

Er setzte sich in Bewegung.

Maren folgte ihm, stellte aber keine weitere Frage mehr. Offenbar hatte Erik wohl mit Papa Streit gehabt. Besonders gut hatten sich die beiden noch nie verstanden.

»Papa hält immer zu euch Mädchen«, hatte das jüngste der Kinder häufig geklagt.

Vielleicht hatte er sogar recht. Papa wurde mit seinen Töchtern besser fertig.

Der alte Diener Klaas grinste mit zahnlosem Mund, als er Maren seine schwielige Hand reichte.

»Nur gut, dass Sie endlich wieder zu Hause sind«, konstatierte er treuherzig.

»Guten Tag, Klaas. Ich bin darüber auch nicht traurig.«

Maren reichte ihm die Gepäckscheine, und er schritt langsam davon, um ihre Koffer zu holen. Die Baroness und Erik saßen bereits in der Kutsche, als sie sahen, wie der alte Diener sich mit den beiden schweren Gepäckstücken abplagte.

»Spring schnell hinzu und hilf Klaas«, forderte Maren Erik auf.

»Ich? Warum? Klaas wird ja dafür bezahlt, dass er uns dient«, kam es gelassen zurück.

»Klaas ist ein alter, gebrechlicher Mann und im Dienst auf Wohlau ergraut. Du solltest dich schämen!«

Erik verstand Maren nicht, aber weil sie gar so heftig wurde, stand er auf und ging dem alten Knecht entgegen.

Der stellte die Koffer ab und lächelte erleichtert.

»Nötig wäre es ja nicht gewesen, dass du mir hilfst«, brummelte er, überließ dem Jungen aber gern den etwas leichteren Koffer.

Erik trug ihn mit leicht missmutigem Gesicht. Er hatte sich so auf Maren gefreut. Soweit er sich erinnern konnte, war sie eigentlich immer prima gewesen. Nun sollte sie nur nicht neue Moden einführen! Aber auf der Fahrt wurde er wieder gesprächig und vergaß seinen Groll.

Die Schule war sein Hauptproblem.

»Die blöden Lehrer sind schuld«, verteidigte er seine schlechten Zensuren vor seiner großen Schwester.

»Wirst du denn versetzt?«, fragte Maren ahnungsvoll.

Weihnachten hatte Vater einen blauen Brief erwähnt, aber sie hatte ihn nicht so tragisch genommen. Sie wusste ja, wie faul Erik war. Aber wenn er sich anstrengte, holte er in jedem Jahr in wenigen Wochen manches auf.

»Keine Ahnung.«

»Was sagt Vater?«, fragte sie sofort.

»Ach der ...!« Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Erik, ich möchte nicht, dass du in solch einem Ton von Papa sprichst«, mahnte Maren streng. »Das gehört sich nicht. Wenn er dich ins Gebet genommen hat, so darfst du ihm das nicht nachtragen. Er hatte sicherlich allen Grund dafür.«

»Das hat er ja gar nicht«, murmelte der Junge.

Nun begriff Maren überhaupt nichts mehr. Aber sie brach das unerfreuliche Thema lieber ab.

Klaas ließ die beiden prächtigen Schimmel vor der Kutsche munter traben. Die Baroness lehnte sich entspannt gegen die Polster. Sie war froh, dass Papa selbst in dieser modernen Zeit die Pferde nicht abgeschafft hatte, obwohl er natürlich auch ein Auto besaß.

Dann tauchten das lang gestreckte Gutsgebäude, die Scheunen und die Stallungen auf. Die Wetterfahne saß wie eh und je auf dem Dachfirst.

Heimat!, dachte Maren wieder und hatte Mühe, Tränen der Rührung zurückzudrängen.

***

Maren fand, dass ihre Mutter noch müder und elender aussah als bei ihrem letzten Besuch.

»Kind, willkommen daheim!«, murmelte Baronin Hildegard und hob ihre Hand.

Maren hatte das Gefühl, selbst diese Geste falle ihr schwer.

»Wo ist Papa?«, fragte die Baroness sofort.

Sie war tief enttäuscht, dass ihr Vater nicht daheim war, um sie zu begrüßen.

Die Gutsherrin wandte den Kopf.

»Er hatte in der Stadt zu tun. Es tut ihm furchtbar leid, dass er dich nicht gleich begrüßen kann.«

Maren zwang sich zu einem Lächeln, als sie erwiderte: »Nun, ich werde es verkraften, ich sehe ihn ja beim Abendbrot.«

»Vielleicht ... kann er dann auch noch nicht da sein«, erwiderte die Mutter leise.

Maren wurde stutzig: »Aber die Geschäfte und Ämter in der Stadt sind um diese Zeit doch längst geschlossen!«

Sie bekam keine Antwort. Der Kopf der Mutter sank gegen die hohe Sessellehne. Offenbar war sie von einer Schwäche befallen.

»Mama!« Maren sprang sofort hinzu und hielt den Kopf der Mutter.

Doch da öffnete die Baronin bereits wieder die Augen und lächelte.

»Sieh mich nicht so erschrocken an, Maren. Ich leide im Moment ein wenig unter Kreislaufstörungen. Das hat jedoch nichts weiter zu bedeuten.«

»Nimm die Krankheit nicht zu leicht«, beschwor das junge Mädchen sie und umklammerte ihren Unterarm. »Es gibt Bäder, in denen du dich auskurieren kannst. Ich werde mit Papa gleich alles Nötige besprechen.«

Ihre Mutter antwortete nicht. Aber sie lächelte ein seltsam wehmütiges Lächeln, das Maren ins Herz schnitt.

Irina tauchte erst eine Stunde später auf.

»Maren, wie schön, dass du da bist!«, begrüßte sie die Schwester erfreut.

»Ich bin darüber auch glücklich«, versicherte Maren, und die beiden Schwestern hielten sich bei den Händen.

***

Beim Abendessen war der Baron immer noch nicht anwesend. Die Mutter und die Geschwister schienen damit gerechnet zu haben.

»Wo nur Papa bleibt!«, wunderte sich Maren.

Sie empfand die Stimmung als frostig und spürte die seltsame, gespannte Atmosphäre, die sie bedrückte.

»Er wird schon kommen«, gab Erik lapidar zurück und ließ sich den leckeren Salat der neuen französischen Köchin schmecken.

»Aber es ist doch beunruhigend...«

Maren blickte auf die alte Kaminuhr, die zu den Kostbarkeiten des Gutshauses gehörte.

»Ich hatte dir ja gesagt, Liebes, dass er sich verspäten könnte.«

Die Baronin lächelte gequält.

Maren nickte, aber irgendetwas krampfte ihr den Hals zusammen.

»Entschuldigt mich, Kinder, aber ich möchte mich doch lieber zurückziehen«, bat die Baronin gleich nach der Mahlzeit.

Maren nickte, aber sie war erstaunt. So hatte sie sich den ersten Abend in ihrem Elternhaus nicht vorgestellt.

»Ihr bleibt sicher noch ein wenig zusammen, nicht wahr? Wenn ihr wollt, holt euch eine Flasche Wein herauf und stoß auf Marens Heimkehr an.«

Damit verließ sie den Raum.

»Das ist eine fabelhafte Idee! Ich steige sofort in Papas Weinkeller.« Erik sprang auf.

»Ich weiß nicht recht«, murmelte Maren unschlüssig.

Sie hatte wahrhaftig keine Lust, mit ihren Geschwistern ein Glas Wein zu trinken.

»Warum sollen wir es uns nicht gemütlich machen? Mama hat es uns doch erlaubt.«

»Ihr müsst morgen früh wieder in die Schule!«

»Und wenn ...« Irina zuckte die Schultern. »Ich bin ja schließlich kein Kleinkind mehr, das zeitig ins Bett muss.«

»Aber Erik ...«

»Spiel dich nur nicht so auf, Maren!«, protestierte der sofort. »Ich werde bald dreizehn und bin auch kein Säugling mehr.«

Damit ging er aus dem Esszimmer.

»Wo nur Papa bleibt?«, murmelte Maren erneut besorgt.

Irina wollte gerade antworten, als es klingelte. Lange und anhaltend. Maren stand auf und war schreckensbleich.

»Es ist etwas passiert«, äußerte sie verstört. »Ich spüre es...«

»Reg dich bloß nicht auf. Papa war in letzter Zeit selten zu Hause.«

Aber Maren hörte gar nicht mehr, was Irina sagte. Sie stürzte zur Haustür, die eine Angestellte bereits geöffnet hatte.

Drei Männer brachten den Baron Wohlau. Er lag auf einer primitiven Trage. Die linke Seite seiner Jacke war blutdurchtränkt. Schweigend standen sie neben dem Toten.

Maren wollte nicht glauben, was sie sah. Abwehrend hob sie die Hände.

»Nein«, flüsterte sie mit zuckendem Mund. »Nein!«

Es konnte nicht sein, dass ihr allzeit fröhlicher Vater nicht mehr lebte. Sie liebte ihn, sie brauchte ihn so nötig. Immer, wenn sie in der Ferne an Wohlau gedacht hatte, war vor allem auch ihres Vaters Bild vor ihr entstanden ...

Die Schreckensszene lähmte sie. Das Mädchen, das die Tür geöffnet hatte, stand wie versteinert da, die Männer rührten sich nicht – und vor ihr lag ihr Vater, blutüberströmt.

Sie wollte ihre Füße bewegen, aber sie schaffte es nicht. Erst ein gellender Schrei riss sie aus der Erstarrung.

»Gerd!«, rief die Baronin verzweifelt.

Offenbar wollte sie sich noch am Geländer festhalten, bevor sie stürzte. Aber sie schaffte es nicht mehr und fiel mit dumpfem Poltern die Treppe herab.

In Maren kam plötzlich wieder Bewegung. Sie lief auf die Treppe zu, wollte ihrer Mutter helfen, den Sturz aufhalten. Aber das gelang ihr nicht. Als sie die Treppe erreichte, lag die Baronin bewusstlos vor ihren Füßen.

»Mama, Papa!« Irina stieß einen hysterischen Schrei aus, schlug beide Hände vor ihr Gesicht und weinte.

»Mein Gott, mein Gott ...« Mehr konnte Erik nicht sagen.

Die Nerven des Buben versagten genauso wie Irinas. Er lehnte an der Holztäfelung der Wand. Die Weinflasche entglitt seinem Arm. Er merkte nicht, dass das Glas zerschellte und der Inhalt sich auf den Boden ergoss.

Die Szene hatte etwas Gespenstisches. Die Menschen, die sie erlebten, waren noch immer wie gelähmt.

Maren raffte sich als Erste auf. Sie beugte sich zu ihrer Mutter hinab, ergriff ihr Handgelenk und fühlte ihren Puls. Er schlug noch.

»Leute, kommt her und tragt meine Mutter vorsichtig in ihr Schlafzimmer«, bat sie.

Die drei Männer blickten sich an. Sie waren offenbar unschlüssig, ob sie dem Befehl nachkommen sollten.

»Irina, telefoniere sofort mit dem Arzt!«, rief Maren ihrer Schwester zu.

Sie bekam ein verzweifeltes Weinen zur Antwort. Irina rührte sich nicht vom Fleck.

»Wir haben jetzt keine Zeit für unseren Schmerz, Irina. Bitte tu, was ich dir sage«, herrschte sie die jüngere Schwester an.

Irina fuhr heftig zusammen, schien zu erwachen und sah sie böse an. Dann setzte sie sich aber in Bewegung.

Einer der Männer kratzte sich hinter dem Ohr und kam langsam auf Maren zugeschlurft, die noch immer bei ihrer Mutter kniete.

»Wohin sollen wir denn den Herrn Baron legen, wenn wir für die Frau Baronin die Trage benutzen?«, fragte er zögernd.

Maren strich ihrer Mutter über die schöne weiße Stirn. Sekundenlang war auch sie in Schmerz und Verzweiflung versunken. Die Stimme des Mannes brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Alles in ihr sträubte sich dagegen, weitere Befehle zu geben. Sie war doch nur die Tochter des Hauses und heute nach Hause gekommen, um hier glücklich zu sein. Sie wollte glücklich bleiben ...

Der Mann stand vor ihr und warf einen schnellen Blick über seine Schulter zurück.

Maren stand auf und strich mit einer müden Bewegung ihr Haar aus der Stirn.

»Bringt ihn zuerst nach oben«, ordnete sie an.

Der Mann nickte, und Maren eilte voraus. Ihre Eltern schliefen in getrennten Schlafzimmern. Die Baroness nahm die Daunendecke von ihres Vaters Bett und legte sie fein säuberlich über den Sessel, der am Fußende stand. Dann breitete sie noch einige Laken über die Matratze. Sie tat es mit starrem, unbewegtem Gesicht.

»Legt meinen Vater auf das Bett«, befahl sie.

Man kam ihrer Weisung nach. Der Körper des Barons von Wohlau war bereits kalt und steif. Sein Gesicht sah jedoch selbst noch im Tod heiter aus.

Maren hätte sich so gewünscht, jetzt allein mit dem geliebten Toten sein zu können. Sie wollte weinen, ihrem Schmerz freien Lauf lassen. Vielleicht würde es ihr dann ja ein wenig leichter ums Herz werden.

Aber die Männer standen starr wie Säulen am Bett.

»Kommt«, sagte sie hart.

Sie nahmen die Trage und folgten Maren. Die Baronin lag noch immer am Fuß der Treppe. Irina und Erik klammerten sich wie verängstigte Kinder aneinander und schluchzten leise vor sich hin. Sie überließen es Maren, anzuordnen, was geschehen sollte.

»Sollen wir tatsächlich die Baronin ...«

Einer der Männer deutete auf die blutdurchtränkte Trage.

»Ja«, erwiderte Maren nach kurzem Zögern. »Meine Mutter muss so vorsichtig wie möglich transportiert werden. Man weiß nicht, was sie für Verletzungen davongetragen hat.«

Die Männer nickten und sahen Maren scheu von der Seite an. Die junge Baroness war in diesem Moment allen dreien unheimlich. Eigentlich wäre es doch natürlich gewesen, dass sie genau wie ihre Geschwister gejammert und geweint hätte. Stattdessen zeigte sie sich so überlegen, als ginge sie das schreckliche Geschehen überhaupt nichts an. Sie musste wohl kein Gefühl haben!

»Seid vorsichtig«, mahnte sie, als man ihre Mutter auf die Trage bettete, auf der kurze Zeit vorher ihr toter Vater gelegen hatte.

Sie ging den Männern voraus und war ihnen behilflich, als sie ihre Mutter auf das breite Bett legten. Da ruhte die Verletzte – wie eine Tote. Ab und zu kam ein verhaltenes Stöhnen über die blassen Lippen.

»Können wir jetzt noch irgendetwas tun?«, fragte einer der Männer zögernd.

Maren hatte wie eine Statue dagestanden und auf ihre Mutter geblickt. Sie schrak zusammen.

»Nein«, erwiderte sie kurz. Dann wandte sie sich ihnen zu. »Wie ... wie ist das mit meinem Vater geschehen?«

Sie musste sich jetzt eisern zusammennehmen, um den Fremden nicht zu zeigen, wie schmerzlich getroffen sie war.

»Tja ...«, sagte einer und drehte in schwieligen Händen einen alten Hut.

»Es war so ...«, murmelte der nächste und blickte verlegen zu Boden.

»Warum antwortet ihr mir nicht?«, herrschte Maren die Männer an.

Alle drei hoben den Kopf. Sie hatten die junge Baroness schonen wollen, aber offensichtlich wollte sie gar nicht geschont werden. Sie war noch jung, die Älteste der Wohlau-Kinder, aber sie benahm sich wie ein Mensch ohne Gefühl, der durch nichts zu erschüttern war.

»Der Baron war bei ... der jungen Frau des Generals. Der General kam früher nach Hause, als es seine Frau und der Herr Baron vorausgesehen hatten. Und ... und dann ist es wohl geschehen.«

Einer der Männer deutete auf die blutbefleckte Trage.

Maren verarbeitete diese Nachricht nicht so schnell. Sie merkte noch nicht einmal, dass sich die drei Männer nun schleunigst zurückzogen und sie allein war.

Die Baronin stöhnte wieder schmerzlich und qualvoll. Maren kniete neben dem Bett und streichelte die zarte, durchsichtig wirkende Hand ihrer Mutter.

»Mama, werde wieder gesund, bitte«, flüsterte sie mit zuckenden Lippen.

Sie hatte sich noch niemals so allein, so grenzenlos einsam gefühlt wie jetzt.

Da ging hinter ihr die Tür auf. Dr. Boldt war gekommen.

»Gott sei Dank!« Maren stand auf und eilte dem Arzt entgegen. »Meine Mutter, mein Vater ...«

Sie brach ab. Über das Grauenvolle zu sprechen, gelang ihr einfach nicht.

Der alte Dorfarzt winkte ab.

»Ich habe bereits gehört, was geschehen ist«, erklärte er. Schon packte er die Instrumente aus seiner Tasche, um die Verletzte zu untersuchen. »Sie müssen mir beim Auskleiden helfen«, bat er dann.

Maren nickte mit zusammengepressten Lippen. Mit angstvoll angespanntem Gesicht stand sie anschließend neben dem Arzt, als er ihre Mutter untersuchte. Sie befolgte seine Anweisungen, obwohl ihre Hände zitterten.

»Sie muss umgehend ins Krankenhaus gebracht werden«, entschied Dr. Boldt.

»Nein«, flüsterte Maren. »Nein! Papa ... liegt nebenan. Er ist tot, Doktor! Tot!«

Sie schrie das letzte Wort, und plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen.

»Ich weiß.« Der Arzt nickte schwer und legte dann seine Hand auf Marens Schulter. »Sie müssen jetzt sehr stark sein, Kind!«



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