Lore-Roman 168 - Helga Winter - E-Book

Lore-Roman 168 E-Book

Helga Winter

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Beschreibung

Gabrielle von Herrlingshausen und Wolfdietrich von Trutzenburg sind seit jeher füreinander bestimmt. Niemand hegt Zweifel daran, dass der junge Graf einmal die Jugendfreundin zu seiner Frau machen wird. Doch es soll sich alles ändern, als Wolfdietrich während eines Ausritts eine verletzte, leblose Frau findet, sie auf die Burg mitnimmt und dort pflegen lässt. In ihrer Handtasche findet er einen Ausweis, Lore Tamke heißt die Fremde von einzigartiger Schönheit. Sie hat ihr Gedächtnis verloren, weiß nicht, woher sie stammt und welches Leben sie geführt hat. Wolfdietrich stört das nicht. Er hat sich Hals über Kopf verliebt und will Lore zu seiner Gräfin machen. Die Eltern sind besorgt über sein Ansinnen. Misstrauisch belauern sie die junge Frau, haben Angst um den guten Ruf der Familie und machen doch gute Miene zum bösen Spiel. Als eines Nachmittags Gabrielles Bruder zu Besuch kommt, erstarrt er. Er erkennt die Braut des Grafen. Er weiß, wer sie ist. Aber darf ausgerechnet er ihm die schreckliche Wahrheit mitteilen? Baron Malte schweigt ...


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Inhalt

Cover

Die junge Gräfin Trutzenburg

Vorschau

Impressum

Die junge Gräfin Trutzenburg

Spannung und Dramatik um eine schöne Frau

Von Helga Winter

Gabrielle von Herrlingshausen und Wolfdietrich von Trutzenburg sind seit jeher füreinander bestimmt. Niemand hegt Zweifel daran, dass der junge Graf einmal die Jugendfreundin zu seiner Frau machen wird. Doch es soll sich alles ändern, als Wolfdietrich während eines Ausritts eine verletzte, leblose Frau findet, sie auf die Burg mitnimmt und dort pflegen lässt. In ihrer Handtasche findet er einen Ausweis, Lore Tamke heißt die Fremde von einzigartiger Schönheit. Sie hat ihr Gedächtnis verloren, weiß nicht, woher sie stammt und welches Leben sie geführt hat. Wolfdietrich stört das nicht. Er hat sich Hals über Kopf verliebt und will Lore zu seiner Gräfin machen. Die Eltern sind besorgt über sein Ansinnen. Misstrauisch belauern sie die junge Frau, haben Angst um den guten Ruf der Familie und machen doch gute Miene zum bösen Spiel. Als eines Nachmittags Gabrielles Bruder zu Besuch kommt, erstarrt er. Er erkennt die Braut des Grafen. Er weiß, wer sie ist. Aber darf ausgerechnet er ihm die schreckliche Wahrheit mitteilen? Baron Malte schweigt ...

Die Bohlen der kleinen Brücke klapperten dumpf unter den Hufen des Pferdes. Gabriele von Herrlingshausen warf nur einen kurzen Blick in die tiefe Schlucht, die die alte Holzbrücke überspannte, dann starrte sie, die Lippen fest zusammengepresst, über den Kopf ihres Pferdes nach vorn.

Unten plätscherte der Bach, der vor unendlichen Zeiten sein Bett so tief hineingegraben hatte. Im Mischwald, der hinter der Schlucht begann, atmete Gabriele wieder freier. Natürlich war es Unsinn, sich von den Erzählungen der Leute anstecken zu lassen, die behaupteten, in der Schlucht trieben böse Geister ihr Unwesen.

Man hatte einen herrlichen Blick über das ganze Land, das sich in flachen Hügeln vor ihr ausbreitete, aber nicht allein deshalb lenkte Gabriele ihr Pferd so gern hierher.

Man konnte von hier aus nämlich die Trutzenburg sehen, das alte, wehrhafte Gebäude, das auf der Kuppe des Berges lag. Auf der einen Seite fiel der Felsen schroff und steil mehr als hundert Meter ab, bevor der Hang sanfter wurde und mit Bäumen bestanden war.

Gabriele beugte sich im Sattel vor und klopfte den Pferdehals.

»Nicht so ungeduldig«, murmelte sie zärtlich. »Deine Herrin ist dumm, Sausewind. Sie reitet doch nur hierher, weil sie hofft, ihm zu begegnen. Sie hat einfach nicht den Mut, direkt zur Burg zu reiten. Er denkt sonst vielleicht ...«

Ganz plötzlich blieb Sausewind stehen. Der Ruck warf die Reiterin nach vorn.

Das Pferd zog die Luft durch die Nüstern ein und schnaubte unruhig. Es war nicht zum Weitergehen zu bewegen.

»Vielleicht liegt hier ein Tier«, meinte Gabriele, sprang elastisch aus dem Sattel und warf Sausewind die Zügel über den Rücken. Sie wusste dass ihr treues Pferd nicht davonlaufen würde.

Nach wenigen Schritten sah sie, was das Pferd so erschreckt hatte. Hinter einem Gebüsch lag eine Frau. Sie trug einen dunklen Mantel, das Gesicht auf dem Waldboden.

Gabriele verfärbte sich. Mit solch einem Anblick hatte sie nicht gerechnet. Eine Tote, war der erste Gedanke.

»Sausewind« schnaubte und stieß ein helles, ungeduldiges Wiehern aus. Gabriele glaubte jetzt Hufschlag zu vernehmen.

Sie drehte den Kopf zurück. Ihre Augen leuchteten auf. Sie war nicht mehr allein, Gott sei Dank, Wolfdietrich stieg aus dem Sattel und kam mit ein paar schnellen Schritten auf sie zu. Ein herzliches Lächeln lag auf seinem gebräunten Gesicht.

»Wie schön, dich einmal wiederzusehen, Gabriele!« Er strahlte. »Was machst du hier?«

Gabriele wies stumm auf die regungslose Gestalt.

»Nanu?« Der Mann drehte die Frau behutsam herum. Er schaute in ein wachsbleiches Gesicht, das von einer Fülle schwarzen Haares umrahmt war.

»Ist sie tot?«, hauchte Gabriele. Sie war zwei Schritte zurückgetreten, sie spürte ihr Herz ängstlich gegen die Rippen pochen.

»Nein. Bleib du bei ihr, ich sorge für eine Bahre. Wie mag das geschehen sein?«

»Ihr Hinterkopf. Hast du die Wunde gesehen?«, flüsterte die junge Dame. »Ob es ein Unfall ist?«

»Ich glaube nicht. Ich werde gleich die Polizei benachrichtigen.«

Auf dem Weg zu seinem Pferd stieß Wolfdietrich von Trutzenberg gegen eine lederne Damenhandtasche.

Er bückte sich und öffnete sie. Sie enthielt das übliche, eine Puderdose, einen Lippenstift, Kamm, ein Taschentuch. Aber keinen Hinweis auf die Identität der Verletzten.

Gabriele lief ein Frösteln über den Rücken, als sie mit der Fremden allein war. Scheu trat sie näher und schaute lange in das Gesicht.

Sie war schön, diese fremde Frau.

Ihre Hände waren gepflegt. Sie trug ein paar kostbare Ringe, um ihren schlanken Hals lag eine breite goldene Kette.

Wie mochte sie hierhergekommen sein?

Die Fremde schlug die Augen auf. Sie tat es zögernd, als habe sie Angst, aus ihrer Bewusstlosigkeit in die Wirklichkeit zurückzukehren.

»Wo bin ich?«, fragte sie leise. Mit der Linken tastete sie nach ihrem Kopf und stöhnte, als sie die Wunde berührte.

»Sie befinden sich in der Nähe der Trutzenburg. Sie sind verletzt. Wie kommen Sie hierher?«

Die Fremde verzog den Mund zu einem schmerzlichen Lächeln.

»Mein Kopf tut mir so weh«, sagte sie heiser. »Ich kann nicht denken. Mir ist kalt.«

Ihre Zähne schlugen aufeinander.

»Man wird Sie gleich abholen. Graf Trutzenburg besorgt eine Bahre.«

Plötzlich sank der Kopf der Fremden zurück. Sie war wieder ohnmächtig geworden. Gabriele riss sich die Reitjacke vom Körper, faltete sie zusammen und schob sie behutsam unter den Kopf der Bewusstlosen.

»Gut, dass du wieder da bist.« Gabriele atmete erleichtert auf, als Wolfdietrich, von zwei Männern in Arbeitskleidung gefolgt, eilig herankam.

Der Mann lächelte. Er hielt sich nicht mit Reden auf, sondern bettete mit Hilfe eines Knechtes die Ohnmächtige auf die Bahre.

»Seid vorsichtig beim Tragen«, schärfte er den Leuten ein. »Bei einer Gehirnerschütterung muss jede heftige Bewegung vermieden werden.« Mit einem Kopfnicken schickte er sie fort. »Der Arzt erwartet sie schon auf Trutzenburg. Ich habe ihn sofort angerufen.«

»Auch die Polizei?«, fragte Gabriele.

»Nein, noch nicht. Vielleicht handelt es sich um einen Unfall. Wer mag sie sein? Ich habe sie hier noch nie gesehen.«

Eine halbe Stunde später erreichten sie die Trutzenburg.

In der Halle wartete schon der Arzt.

»Können Sie die Dame bei sich aufnehmen, Graf?«, fragte er Wolfdietrich knapp.

»Selbstverständlich. Besteht Lebensgefahr, Doktor?«

»Wahrscheinlich nicht. Aber ein Transport muss auf jeden Fall vermieden werden.«

Wolfdietrich gab der Mamsell Anweisungen, eines der Zimmer schnellstens herzurichten. Es war das schönste Gastzimmer des Hauses. Es lag an der Südseite der Burg, wo der Felsen steil nach unten fiel.

Man konnte weit über das Land schauen. In dieses Zimmer kam die fremde Frau, die Gabriele bewusstlos im Wald gefunden hatte.

***

Endlich kam Wolfdietrich zurück und als er eintrat, sah Gabriele auf den ersten Blick, dass seine Augen leuchteten.

»Sie wird leben«, strahlte er, als sei diese Tatsache für Gabriele das Wichtigste. »Der Arzt hat mir versichert, dass ich mir keine Sorgen machen muss.«

Wolfdietrich achtete nicht auf ihre Zurückhaltung.

»Wie mag sie dorthin gekommen sein?«, fragte er mehr sich selbst als Gabriele.

»Du kannst sie ja danach fragen, wenn sie wieder zu sich kommt«, schlug die Baronesse spöttisch vor. »Oder vielleicht behauptet sie, es nicht zu wissen.«

»Sie weiß es wirklich nicht.« Graf von Trutzenburg runzelte die Stirn. »Sie ist bei Bewusstsein. Dr. Morton behauptet übrigens, dass die Platzwunde an ihrem Hinterkopf durch einen schweren Schlag verursacht sein muss.«

»Äußerst interessant«, bemerkte Gabriele.

»Aber sie weiß nicht, wer sie geschlagen hat, und auch nicht, wie sie in den Wald gekommen ist. Es ist schrecklich. Das arme Mädchen leidet unter Bewusstseinsstörungen.«

»So«, äußerste Gabriele trocken.

»Sie hat sogar ihren Namen vergessen. Dr. Morton meinte, mit der Zeit würde sie den Schreck überwinden und sich erinnern. Weißt du, so etwas kommt bei derartigen Unfällen häufig vor.«

»Dann brauchst du dir ja keine Sorgen zu machen«, bemerkte Gabriele. Es war kein Zufall, dass sie die Worte des Arztes wiederholte. Sie hatte nicht gewusst, dass ein Herz so wehtun konnte.

»Vielleicht hat sie Grund, ihre Vergangenheit zu vergessen«, meinte Gabriele finster. »Oder glaubst du, ein Engel wie sie sei über jeden Verdacht erhaben? Ein anständiges Mädchen findet man nicht mit einer Platzwunde am Kopf in einem abgelegenen Wald. Man muss sie dorthin getragen haben. Man wollte sie aus dem Weg räumen. Hast du schon die Polizei benachrichtigt?«

»Das hat noch Zeit. Ich will erst einmal abwarten, was sie zu sagen hat.«

»Tu das nur, und lass dir die Zeit nicht lang werden, Wolfdietrich. Du brauchst mich nicht hinauszubegleiten, ich finde den Weg allein. Wahrscheinlich möchtest du sofort zu deinem Engel zurück.«

Erst jetzt fiel Wolfdietrich ihre Gereiztheit auf. Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie leicht an sich.

»Ich bringe dich selbstverständlich nach Hause«, bot er ihr an, und ihm fiel nicht auf, dass Gabriele von Herrlingshausen unter seinem Blick errötete.

»Hast du wirklich Zeit, mich ein Stückchen heimzubegleiten?« Gabrieles Augen leuchteten.

»Selbstverständlich, Kleines. Ich glaube, dein Vater würde mir schön auf den Kopf steigen, wenn er von dem Zwischenfall hört und erfährt, dass ich dich ohne Schutz habe fortreiten lassen.«

»Ach so, deshalb. Danke, du brauchst dich nicht zu bemühen, ich habe keine Angst. Leb wohl. Wolfdietrich. Vielleicht findest du ja einmal Zeit, uns zu besuchen. Du weißt, dass du uns jederzeit willkommen bist.«

***

Als das Mädchen die Augen aufschlug, schaute es in ein Männergesicht.

Lange ruhten ihre Blicke ineinander. Es war, als wage keiner von beiden, die Stille zu brechen. Ob sein Herz genauso schnell schlägt wie meins?, fragte sie sich.

»Wie geht es Ihnen!«, hörte sie die Stimme des Mannes. Das Mädchen schloss die Augen und lauschte den verklungenen Worten noch einen Moment nach. Was für eine Wärme und Anteilnahme hatte in dieser kurzen Frage gelegen.

»Meine Kopfschmerzen haben nachgelassen. Wo bin ich hier?«

»Auf der Trutzenburg. Sie können hierbleiben bis Sie wieder gesund sind.«

Wolfdietrich beugte sich vor, als müsse er ihr beim Sprechen näher sein. Er sah, wie eine leichte Röte in ihr vorher so unnatürlich blasses Gesicht stieg.

Sie senkte langsam die langbewimperten Lider.

»Ich möchte Ihre Angehörigen benachrichtigen. Teilen Sie mir die notwendigen Adressen mit.«

»Die Adressen ...« Das Mädchen krauste die Stirn. »Ich versuche, mich an etwas zu erinnern. Aber es gelingt mir nicht. Ich weiß nicht, was war. Ich weiß nicht, wie ich in den Wald gekommen bin. Glauben Sie mir?«

»Ich glaube Ihnen«, sagte er schlicht, und dieser Satz rührte das Mädchen so, dass ihm unwillkürlich Tränen in die Augen schossen.

»Vielleicht, wenn ich die Nacht gut schlafe, vielleicht fällt mir wieder alles ein. Hatte ich denn keine Papiere bei mir, eine Tasche oder so etwas Ähnliches?«

Er nahm die Tasche, die er in ihr Zimmer mitgebracht hatte, und hob sie empor. Würde sie ihre Tasche erkennen?

»Ja, das ist sie.«

Aber sie war leer.

»Meine Ausweise ... sie müssen darinnen sein. Wo sind sie?«

»Beruhigen Sie sich. Ich bin sicher, dass Sie sich morgen an alles erinnern werden. Sie dürfen sich auf gar keinen Fall aufregen. Schlafen Sie jetzt. Wenn Sie einen Wunsch haben, brauchen Sie nur den Knopf dieser Klingel zu drücken.«

»Was war nur?«, murmelte das Mädchen. Ihr Atem ging kurz und hastig. »Ich war noch nicht in dieser Gegend. Trutzenburg? Ja, den Namen habe ich einmal gehört, aber ich weiß, dass ich noch nicht hier gewesen bin.«

»Wo haben Sie denn gelebt?« Sein gespannter Blick verriet, wie sehr er auf ihre Antwort wartete.

»Ich weiß es nicht. Welche Städte liegen hier in der Nähe?«

Wolfdietrich sagte es ihr. »Aber nun müssen Sie unbedingt ruhen.«

»Ich danke Ihnen. Sie haben so viel für mich getan, und dabei wissen Sie nicht einmal, wen Sie aufgenommen haben.«

Dieses Mädchen hatte etwas an sich, was ihn eigen berührte. Es war nicht allein ihre Schönheit, es war etwas anderes, für das er keine Worte fand.

Sie ist die Frau, die mir vom Schicksal bestimmt ist, schoss es ihm plötzlich durch den Sinn. Er merkte, dass er bleich wurde.

»Sie sind ein seltsamer Mensch«, murmelte das Mädchen. Ihr Blick lag voll auf seinem Gesicht. »Es ist mir, als wären wir uns schon oft begegnet, als kennten wir uns schon ganz genau. Sind wir uns früher schon einmal begegnet?«

»Nein«, sagte der junge Graf leise. »Begegnet sind wir uns noch nicht, aber wir kennen uns. Wir gehören zusammen. Es war kein Zufall, der Sie nach Trutzenburg verschlagen hat.«

»Was denn?«

»Schicksal. Wir mussten uns finden.«

»Wie seltsam, dass Sie das aussprechen, was ich fühle. Sind Sie ein Graf von Trutzenburg?«

»Ja.«

»Und wer bin ich?« Das Mädchen hob die Hände und schaute auf seine Finger. »Könnten die Hände doch reden«, stieß sie erregt hervor. »Könnten sie mir doch sagen, was sie bisher getan haben. Habe ich gearbeitet? Ich weiß es nicht. Ich glaube, ich werde wahnsinnig. Es ist mir, als renne ich mit meinem Kopf gegen eine finstere Mauer, die mitten auf meinem Weg in die Vergangenheit steht und ihn versperrt. Was war ich? Was bin ich? Jeder Mensch muss doch von irgendwoher kommen. Wer vermisst mich? Ich weiß nicht einmal, ob ich Eltern habe.«

»Wir werden es feststellen. Machen Sie sich keine Sorgen. Erst einmal bleiben Sie bei uns. Später werden wir weitersehen.«

Dann bleibst du als meine Frau hier, dachte er. Es war zu früh, diesen Wunsch auszusprechen. Sie kannten sich nicht, aber für ihn würde das keine Rolle spielen.

Widerstrebend stand er auf. Er nahm ihre Rechte behutsam in beide Hände.

»Sie müssen jetzt schlafen«, sagte er weich. Seine Stimme war wie das Streicheln zärtlicher Hände.

Er strich ihr leicht über das schwarze Haar. Und dann noch einmal kurz über die Wange. Er ging so schnell hinaus, dass es aussah, als fliehe er vor etwas.

Er läuft vor mir davon, wusste das Mädchen mit beglückender Gewissheit. Er fürchtet sich vor mir, weil er mich liebt. Er fürchtet sich, seine Liebe zu verraten. Er ist dumm, er hätte mich ruhig in den Arm nehmen und küssen können, ich hätte mich nicht gesträubt.

Ein Stöhnen brach über ihre Lippen. Ich – wer war das? Was für ein Leben hatte das Mädchen gelebt, das hier im Bett lag, aufwachte und nichts mehr von sich wusste?

»Lieber Gott, gib, dass ich ein untadeliges Leben geführt habe. Lass mich aus gutem Hause sein. Und mach, dass er mich immer liebt. Ich werde dir mein ganzes Leben lang dankbar sein, Herrgott, wenn du das für mich tust.«

Der Mann stand auf dem Flur und lauschte zurück. Es war ihm, als habe er eine schwere körperliche Arbeit verrichtet, so erschöpft fühlte er sich. Hinter der Tür blieb alles still.