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Claudio Graf zu Auersbach kann den Verlust von Marana nicht verwinden. Sie war die Liebe seines Lebens, sein ganzes Glück. Seine Trauer ist unermesslich, und nichts vermag ihn aus der düsteren Starre zu lösen, die ihn umgibt. Am quälendsten ist der Gedanke, dass er fest davon überzeugt ist, Marana nach ihrem Tod zweimal in der Ferne gesehen zu haben - eine Begegnung, die er sich nicht erklären kann. Verliert er den Verstand?
Als er ein letztes Mal vor der Schlosskapelle Wache an ihrem Sarg hält, erfasst ihn plötzlich ein seltsames Gefühl. Im flackernden Licht glaubt er, neben einer Säule Maranas Gestalt zu erkennen. Atemlos tritt er näher, doch statt ihrer erblickt er nur ein zierliches Spitzentaschentuch - bestickt mit ihren Initialen ...
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Seitenzahl: 137
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Das Wunder von Schloss Wolfenried
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Impressum
Das Wunder von Schloss Wolfenried
Das fulminante Finale der Trilogie über Graf Claudio und Marana
Claudio Graf zu Auersbach kann den Verlust von Marana nicht verwinden. Sie war die Liebe seines Lebens, sein ganzes Glück. Seine Trauer ist unermesslich, und nichts vermag ihn aus der düsteren Starre zu lösen, die ihn umgibt. Am quälendsten ist der Gedanke, dass er fest davon überzeugt ist, Marana nach ihrem Tod zweimal in der Ferne gesehen zu haben – eine Begegnung, die er sich nicht erklären kann. Verliert er den Verstand?
Als er ein letztes Mal vor der Schlosskapelle Wache an ihrem Sarg hält, erfasst ihn plötzlich ein seltsames Gefühl. Im flackernden Licht glaubt er, neben einer Säule Maranas Gestalt zu erkennen. Atemlos tritt er näher, doch statt ihrer erblickt er nur ein zierliches Spitzentaschentuch – bestickt mit ihren Initialen ...
Fassungslos starrte Claudio auf das kostbare Spitzentuch in seinen Händen. Hatte ihm ein Zufall dieses Andenken an die tote Geliebte in die Hände gespielt? Oder hatte Marana wirklich soeben neben dieser Säule gestanden?
Claudios Gedanken verwirrten sich.
Marana ist doch tot, machte er sich bewusst. Sie ist in meinen Armen gestorben. Ich selbst habe sie hierhergebracht und seither Totenwache an ihrem Lager gehalten.
Wie kann sie dort drüben so starr und bleich liegen und zugleich hier neben der Säule gestanden haben?
Claudio lehnte seine heiße Stirn gegen den kühlen Marmor der Säule und schloss die Augen.
Meine Nerven sind völlig überreizt, dachte er. Seit drei Tagen habe ich keinen Schlaf mehr gefunden. Seit drei Tagen hadere ich mit dem Schicksal, das die Geliebte sterben ließ, als ich endlich wieder zu ihr gefunden hatte. Ist es da verwunderlich, wenn meine Augen zu sehen glauben, was sie sehen möchten?
Graf Claudio merkte nicht, wie die Zeit über seinen Grübeleien zerrann und dass der neue Tag längst angebrochen war. Erst als jemand die breite Tür der Schlosskapelle öffnete und das helle Licht von draußen hereinfiel, schreckte der junge Graf auf.
Zwei Männer in dunkelgrauen Kitteln waren eingetreten. Sie schauten sich kurz um und gingen mit großen Schritten auf den Sarg zu.
Augenblicklich begriff Claudio, was geschehen sollte. Die beiden Männer waren Angestellte des Bestattungsinstitutes. Sie kamen, um Maranas Sarg zu schließen.
»Nein!«, schrie er in wildem Schmerz auf. »Nein! Noch nicht!« Er stürzte auf den Sarg zu, kniete neben ihm nieder und warf die Arme schützend über die tote Geliebte. »Bitte noch nicht«, rief er mit erstickter Stimme.
Die beiden Männer waren betroffen stehen geblieben und sahen sich unschlüssig an. Dann näherte sich einer der beiden auf Zehenspitzen dem Sarg und räusperte sich.
»Es tut uns furchtbar leid«, sagte er. »Aber es muss sein.«
Claudio hob den Kopf und sah ihn unglücklich an.
»Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass Sie den Sarg jetzt schließen«, erklärte er aufstöhnend.
»In einer halben Stunde ist die Beisetzung.« Der zweite Mann war herangekommen. »Und wenn Sie nicht mit diesem Bart zur Trauerfeier kommen wollen, sollten Sie sich schnell noch rasieren.«
Claudio fuhr sich verwirrt über die Wangen und erhob sich dann betreten. Er streifte die Geliebte mit einem letzten, unsagbar schmerzlichen Blick.
»Leb wohl«, flüsterte er tonlos. »In meinem Herzen wirst du weiterleben.« Dann wandte er sich ab und ging mit müden Schritten davon.
Als er die kleine Kapelle verließ, umfing ihn das Sonnenlicht so grell, dass er die Hand schützend über die Augen legen musste. Und jetzt spürte er auch, wie erschöpft er war.
♥♥♥
Für Wolf zu Wolfenried war dies ein wundervoller Tag. Marana von Meeden sollte beigesetzt werden! Und sechs Wochen nach ihrem Tod würde ihr Testament eröffnet werden, ein Testament, das ihn zum Alleinerben einsetzte, denn so hatte es der alte Graf von Meeden bestimmt.
Graf Wolf erinnerte sich noch sehr gut an jenen Morgen. Es war kurz vor dem Tod des Grafen von Meeden gewesen, da hatte er ihn zu sich an sein Krankenlager rufen lassen.
»Du bist der einzige männliche Verwandte, Wolf«, hatte er in Gegenwart des Notars gesagt. »Ich möchte daher, dass du, der Sohn meiner Schwester, Marana zur Frau nimmst, damit das Vermögen nicht in fremde Hände kommt. Und sollte Marana etwas zustoßen, wirst du ihr Erbe antreten.«
Dr. Consmann hatte damals neben dem Bett des Grafen gesessen und Notizen gemacht. Das Testament war erst anschließend angefertigt worden. Wolf hatte es nicht gelesen, dennoch konnte er ganz sicher sein, dass er – und niemand anderes – der Erbe Maranas sein würde. Denn Graf von Meeden war ein Mann mit Grundsätzen gewesen, der seine einmal gefasste Meinung nicht wieder zu ändern pflegte.
Nur um die Form zu wahren, kleidete Wolf sich an diesem Morgen in Trauerkleider und trug eine ernste Miene zur Schau, obgleich er vor Freude am liebsten immerzu gesungen und getanzt hätte.
Die Beerdigung wird ja vorbeigehen, tröstete er sich. Außerdem kann ich während der Trauerfeier Claudios Anblick genießen. Es ist schon eine große Genugtuung für mich, den immer siegreichen, immer erfolgreichen Helden so geknickt zu sehen!
An diesem Morgen traf Wolf schon sehr früh auf Schloss Meeden ein. Es wurden zwar nur wenige Trauergäste erwartet, doch die sollten höflich durch den neuen Schlossherrn begrüßt werden.
Julius war schon vor zwei Tagen mit einem Teil des wolfenriedschen Personals nach Meeden übergesiedelt, um hier alles vorzubereiten. Jetzt öffnete er seinem Herrn das Portal von Meeden und grüßte devot wie immer.
»Wie sieht es aus, Julius?«, erkundigte Graf Wolf sich. »Ist alles vorbereitet?«
»Alles.« Julius deutete eine kleine Verbeugung an.
»Besonderheiten?«, forschte Graf Wolf.
»Keine, wenn man davon absieht, dass Graf zu Auersbach seit drei Tagen ...« Er brach ab, denn Claudio hatte gerade in diesem Augenblick die Schlosshalle betreten.
Wolf folgte dem bedeutsamen Blick seines Dieners und entdeckte den Freund.
»Claudio? Ja, wie siehst du denn aus?« Er schüttelte den Kopf über ihn. »Seit wann läufst du so ungepflegt herum?« Er trat auf ihn zu und musterte ihn kritisch. »Willst du etwa so bei der Trauerfeier erscheinen?«
»Ach, lass mich!«, entgegnete Claudio apathisch. Äußerlichkeiten waren für ihn in diesem Augenblick gänzlich unwichtig. Die Vorstellung, dass man Maranas Sarg gleich in die Tiefe senken würde, quälte ihn unausgesetzt, seit man Marana in der Kapelle aufgebahrt hatte.
»Haltung, mein Lieber!«, rügte Wolf ihn. »Ein bisschen mehr Haltung stünde auch einem Grafen zu Auersbach wohl an.«
Claudio streifte ihn mit einem verlorenen Blick. Was wusste Wolf schon von seinem Schmerz!
»Entschuldige mich, Wolf«, bat er matt. »Ich möchte mich für die Trauerfeier herrichten.« Er wandte sich an Julius. »Sagen Sie bitte meinem Diener, er möchte meinen Wagen bereithalten. Wir fahren zur Stadt.«
»Das wird nicht nötig sein, Herr Graf«, mischte Roland sich ein, der die Schlosshalle soeben durch die Tür des Dienerzimmers betreten hatte. »Außerdem würden Herr Graf kaum rechtzeitig zurück sein können.« Er wies auf den Koffer, den er in der Hand trug. »Ich habe mir erlaubt, alles Erforderliche herzuholen. Ich zweifele nicht, dass man Herrn Grafen passende Räumlichkeiten zuweisen wird.«
»Selbstverständlich.« Wolf lächelte verbindlich und gab seinem Diener den Auftrag, Claudio in eines der Gästezimmer zu geleiten.
♥♥♥
Roland umgab seinen Herrn an diesem Morgen mit besonderer Fürsorge. Er bereitete ihm ein Bad, rasierte ihn und stärkte ihn mit einem scharfen Getränk, das ihm die Müdigkeit aus den Gliedern trieb.
»Herr Graf sollten sich entschließen, auch eine Kleinigkeit zu essen«, bat er. »Es ist nicht gut, dem Körper jede Nahrung zu entziehen.«
»Ich kann nicht essen, Roland«, erklärte Claudio. »Mir ist die Kehle wie zugeschnürt.«
Roland nickte verständnisvoll. Gewohnheitsgemäß leerte er dann die Taschen des abgelegten Anzuges und fand dabei das kleine weiße Spitzentuch.
»Oh!«, entfuhr es ihm, und er schaute es verwundert an.
»Das Taschentuch!« Claudio streckte erschrocken die Hand danach aus. »Geben Sie es her!« Er riss es ihm förmlich aus der Hand.
»Verzeihung, Herr Graf«, murmelte Roland betreten. »Ich wollte nicht indiskret sein.«
»Schon gut, Roland.« Claudio wandte sich ab und presste das kleine Tuch an die Lippen. »Sie konnten ja nicht wissen, dass ...« Der Schmerz überwältigte ihn erneut und erstickte seine Worte.
Roland umfasste seinen Herrn mit einem unglücklichen Blick. Wenn ich ihm doch nur helfen könnte, dachte er und überließ seinen Herrn eine kleine Weile dem Schmerz.
»Ich fürchte, Herr Graf werden sich jetzt zur Trauerfeier begeben müssen«, erinnerte er ihn schließlich.
»Ja«, erwiderte Claudio ergeben. »Ja, ich werde gehen.«
»Möchten Herr Graf, dass ich Herrn Grafen zur Kapelle begleite?«, erkundigte Roland sich besorgt, weil sein Herr so blass und schmal aussah.
»Nein danke, Roland.« Claudio ging an ihm vorbei zur Tür. »Halten Sie sich bereit. Sobald die Trauerfeier vorüber ist, werden wir Schloss Meeden verlassen.«
»Gewiss, Herr Graf.« Roland öffnete ihm die Tür.
Claudio nickte ihm im Hinausgehen noch einmal zu.
»Danke, dass Sie so umsichtig waren, Roland.«
»Ich kann in dieser Situation ja wenig genug für den Herrn Grafen tun.«
Während Claudio die Treppe hinunterstieg, fuhr er mit der Linken in die Jackentasche und umschloss das kleine Taschentuch.
Es ist gut, dieses Andenken zu haben, dachte er. Gibt es vielleicht so etwas wie eine Seelenverbindung zu den Toten, und Marana hat mich durch die Erscheinung, die ich zu sehen glaubte, an jene Säule geführt, damit ich ihr Taschentuch finden sollte? Ja, so könnte es gewesen sein!
Claudios Hand spannte sich fester um das Spitzentuch. Ich werde es von nun an immer bei mir tragen, nahm er sich vor. Und wenn ich einmal seelischen Kontakt zu Marana hatte, warum sollte ich ihn nicht auch in Zukunft finden?
Mit diesen Gedanken durchquerte er die Schlosshalle.
»Ich nehme an, du bist auf dem Weg zur Kapelle«, sagte da Wolf dicht neben ihm.
Claudio war so sehr in seine Gedanken eingesponnen gewesen, dass er erst jetzt auf ihn aufmerksam wurde.
»Gewiss.« Er nickte verstört.
»Dann gehen wir doch zusammen. Es macht schon einen besseren Eindruck, weißt du?« Wolf schob seine Hand unter Claudios Arm. »Die Leute halten dich ja für meinen Freund. Und von mir aus könnten wir jetzt, da Marana tot ist, wieder Freunde sein.«
Graf Claudio streifte ihn nur mit einem stummen, anklagenden Blick und zog seinen Arm zurück.
»Bist du immer so nachtragend?«, fragte Wolf spöttisch.
Claudio blieb ihm die Antwort darauf schuldig.
»Dann gehen wir eben wie Feinde zu ihrer Beerdigung«, sagte Wolf ungerührt.
»Wenn du schon so viel reden musst, möchte ich gern von dir wissen, mit welchen Gefühlen du gleich an ihrem Sarg stehen wirst«, stieß Claudio wütend hervor. »Du hast sie wie eine Gefangene gehalten und ihr Glück zerstört. Vielleicht hast du sie sogar in den Tod getrieben!«
»Das geht zu weit!«, begehrte Wolf auf. »Mit welchem Recht stellst du so unglaubliche Behauptungen auf?«
»Behauptungen, die ich aus eigener Anschauung auch beweisen kann«, erwiderte Claudio erregt.
Sicher wäre es zwischen den einstigen Freunden zu einem heftigen Streit gekommen, wenn nicht Dr. Consmann in diesem Augenblick ihren Weg gekreuzt hätte. Auch er wollte zur Schlosskapelle.
»Guten Morgen«, grüßte er höflich.
Wolf hatte sich gleich wieder in der Gewalt.
»Darf ich Sie mit meinem Freund bekannt machen, Doktor? Graf Verra zu Auersbach – Doktor Consmann, der Notar des Grafen von Meeden.«
Claudio deutete eine knappe Verbeugung an. Ob dieser Dr. Consmann eine Ahnung hatte, wie Marana hier gelebt hat?, dachte er und streifte das rundliche Gesicht des Notars mit einem forschenden Blick.
Wolf wusste es so einzurichten, dass er zwischen Claudio und Dr. Consmann ging. Claudios Blick hatte ihm verraten, was er dachte, und Wolf wusste, dass er auf der Hut sein musste.
Dr. Consmann hatte sich zwar niemals um Marana gekümmert, doch wenn er erfahren würde, was während der vergangenen Wochen hier auf Schloss Meeden geschehen war, konnte es leicht sein, dass ihm Bedenken kamen.
♥♥♥
Die Männer hatten die Schlosskapelle erreicht. Der Organist aus dem nächsten Dorf spielte auf der kleinen Orgel. Der Dorfpfarrer kam ihnen entgegen.
»Graf zu Wolfenried!« Er schüttelte Wolf herzlich die Hand. »Ich bin so unendlich froh, dass der schreckliche Bann gebrochen ist und endlich wieder ein Priester auf Meeden predigen darf. Seit Graf von Meeden darauf bestand, in Sünde zu sterben, lag ein ungeheurer Fluch auf diesem Schloss. Was für ein Glück, dass wenigstens Komtess Marana im Tod ihren Frieden mit Gott machen kann und ihr Sarg nicht ungesegnet in die Erde gesenkt werden muss!«
Claudio entnahm diesen Worten, dass Wolf nicht einmal einen Priester zu Marana gelassen hatte.
Arme, geliebte Marana, dachte er. Wie einsam muss dein Leben gewesen sein!
Der Dorfpfarrer war sich seiner Mission bewusst und nutzte die Gelegenheit, von Sünde und Vergebung zu sprechen, obgleich nur wenige Trauergäste in den Bänken der Schlosskapelle saßen.
Claudio vermochte seinen Ausführungen nicht zu folgen. Seine Gedanken befassten sich zu intensiv mit Marana. Immer wieder fuhr seine Hand in die Jackentasche, um das kleine Spitzentuch zu spüren.
Es scheint beinahe so, als habe wirklich ein böser Fluch auf Schloss Meeden gelegen, überlegte er. Wie tragisch doch Maranas Geschick war. Ihre Eltern tot, ihre Dienerschaft einem Tyrannen ergeben, und ihr eigener Vater hatte diesen Tyrannen zu ihrem Vormund bestellt.
Es gab einen Notar, der sich sicher gewissenhaft um die Verwaltung ihres Vermögens gekümmert hatte, dem aber ihre menschlichen Belange völlig gleichgültig gewesen sein mussten. Anderenfalls hätte er schon mit einem einzigen Besuch auf Schloss Meeden herausgefunden, unter welch unglücklichen Umständen Marana zu leben gezwungen gewesen war.
Und dann gab es noch den Dorfpfarrer, der gewiss viel von Nächstenliebe sprach, der aber in all den vergangenen Jahren keinen Weg gefunden hatte, Marana aus ihrer Isolierung zu befreien oder ihr auch nur die Möglichkeit zu verschaffen, einen Gottesdienst zu besuchen.
Und als dann endlich ein Mensch gekommen war, der alles darangesetzt hatte, um sie aus diesem Gefängnis zu befreien, hatte sie den Tod gefunden!
Der Pfarrer hatte seine Predigt beendet. Die Orgel begann erneut zu spielen. Träger nahmen den Sarg auf und trugen ihn durch den Mittelgang der Kapelle hinaus.
Claudio hätte sich ihnen am liebsten vor die Füße geworfen, um sie aufzuhalten, doch er stand da wie gelähmt. Er folgte dem Sarg nicht einmal. Erst als die übrigen Trauergäste die Kapelle schon längst verlassen hatten, ging auch er.
Die Grafen von Meeden wurden seit vielen Generationen auf einem kleinen Privatfriedhof beigesetzt. Dort sollte auch Marana ihre letzte Ruhestätte finden.
Die übrigen Trauergäste hatten Maranas Grab bereits erreicht. Claudio blieb außerhalb der Einfriedung stehen. Niemand sollte sehen, dass er Tränen in den Augen hatte. Und niemand sollte seine Andacht stören.
Als er sah, dass der Sarg in die Erde gesenkt wurde, zog er das Spitzentuch aus der Tasche und presste es an die Lippen, um seinen Schmerzensschrei zu ersticken.
Seine Gedanken hätten Marana nicht intensiver verbunden sein können als in diesem Augenblick, dennoch spürte Claudio gerade jetzt ein unerklärliches Verlangen, sich umzudrehen.
Und was er sah, als er es tat, ließ ihn fast an seinem Verstand zweifeln.
Gleich hinter dem Park, dort, wo das dichte Unterholz begann, stand neben einer Birke eine Gestalt in Trauerkleider gehüllt. Sie hatte den Schleier gehoben, und ihr Gesicht wurde von der Sonne überflutet.
Es war niemand anderes als Marana!
»Marana!«, murmelte Claudio. Er taumelte. »Marana!«
Hatte er im mystischen Halbdunkel der Schlosskapelle geglaubt, vielleicht eine Erscheinung gesehen zu haben, so war jetzt im hellen Sonnenlicht eine Täuschung völlig unmöglich! Oder doch? Waren seine Sinne so überreizt, dass er schon am helllichten Tage Erscheinungen sah?
Habe ich vielleicht über Maranas Tod den Verstand verloren?, fragte Claudio sich.
Als die Schockstarre endlich von ihm abfiel und er einen erneuten Blick riskierte, war von Marana nichts mehr zu sehen. Trotzdem ging Claudio auf die Stelle zu. Er musste Gewissheit haben!
Von den Trauergästen achtete niemand auf ihn. Er verließ den Park, aber als er die Birke erreichte, an der er Marana zu sehen geglaubt hatte, sprang nur ein kleiner Hase auf, der hier im Gras gelegen und sich gesonnt hatte.
Claudio ging ein Stück in den Wald hinein, fand jedoch keine Spur, keinen Anhaltspunkt, der auf die Anwesenheit eines Menschen hingedeutet hätte.
Als er zurückkehrte, lag der kleine Friedhof verwaist da. Lange stand Claudio an dem offenen Grab der geliebten Frau und hielt stumme Zwiesprache mit ihr, bis er endlich die Kraft fand, sich abzuwenden.
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Nach der Trauerfeier servierte man auf Schloss Meeden einen kleinen Imbiss. Wolf kehrte seine charmanteste Art hervor und unterhielt die Trauergäste mit weltmännischem Geschick. Nicht eine Sekunde lang kam ihm der Gedanke, dass er die junge Komtess von Meeden unbarmherzig in den Tod getrieben hatte, um ihr Vermögen an sich zu bringen.