Romantische Bibliothek - Folge 47 - Charlotte Berg - E-Book

Romantische Bibliothek - Folge 47 E-Book

Charlotte Berg

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Beschreibung

Mit dem plötzlichen Tod des Vaters bricht für Christiane eine Welt zusammen. Ihr Leben wird fortan ein anderes sein. Von ihrer Mutter stets abgelehnt und ungeliebt, von ihren älteren Geschwistern unverstanden und gemieden, wusste das ruhige und bescheidene Mädchen doch immer den liebenden Vater beschützend an seiner Seite.

Aber nun ist Christiane gänzlich allein. Keiner ist mehr da, der sie vor der Bösartigkeit ihrer Mutter beschützt. Und die scheint nur noch von einem Gedanken besessen - Christiane endgültig loszuwerden ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Die vergessene Tochter

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Aleshyn_Andrei

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4263-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die vergessene Tochter

Ein Roman um Verblendung und Reue

Von Charlotte Berg

Mit dem plötzlichen Tod des Vaters bricht für Christiane eine Welt zusammen. Ihr Leben wird fortan ein anderes sein. Von ihrer Mutter stets abgelehnt und ungeliebt, von ihren älteren Geschwistern unverstanden und gemieden, wusste das ruhige und bescheidene Mädchen doch immer den liebenden Vater beschützend an seiner Seite.

Aber nun ist Christiane gänzlich allein. Keiner ist mehr da, der sie vor der Bösartigkeit ihrer Mutter beschützt. Und die scheint nur noch von einem Gedanken besessen – Christiane endgültig loszuwerden …

Christiane starrte fassungslos auf den Mahagonisarg, der sich langsam in die mit Tannengrün ausgeschlagene Grube senkte. Ihr Herz brannte vor Weh. Am liebsten hätte sie sich an dieses schimmernde, kostbare Holz geklammert, um das Liebste, das sie besessen hatte, dem Tod wieder zu entreißen.

Claus von Berge ahnte, was sich hinter Christianes klarer Mädchenstirn abspielte. Fest hielt er ihre kleine Hand umschlossen. Ein wenig war Christiane dankbar dafür, dass sie seine Stärke spüren konnte, denn sie fühlte sich in diesem Augenblick unendlich einsam und verlassen.

Noch konnte sie nicht begreifen, dass der Vater niemals mehr zurückkommen würde, dass er niemals mehr seine Hand auf ihr helles Haar legen würde, dass sie niemals mehr Schutz und Trost bei ihm suchen konnte, wenn jemand sie verletzt hatte.

Mechanisch wie ein Film lief das Geschehen vor ihren Augen ab. Der Geistliche sprach ein letztes Gebet. Ihre Mutter, gestützt von ihrem Bruder Andy, trat an das Grab.

Rosana Bachmann warf ein Bukett leuchtender Rosen auf den Sarg ihres Gatten. Ihr Gesicht sah hinter dem schwarzen Schleier sehr blass und fremd aus, und ihre Schönheit war durch die Trauer auf eine besondere Weise veredelt.

Claus von Berge führte Christiane und ihre um drei Jahre ältere Schwester Angelina zum Grab. Christiane warf ihre weißen Lilien hinein und wäre ihnen am liebsten nachgesprungen. Das Tannengrün, der Sarg und die Blumen verschwammen hinter ihren Tränen.

Claus von Berge legte ihr den Arm um die Schultern und drängte sie mit sanftem Nachdruck zurück auf ihren Platz. Viel zu rasch, fand Christiane. Sie hätte so gern noch ein wenig länger Abschied genommen. Doch danach fragte niemand.

Als die Trauerfeier vorüber war, bat Rosana Bachmann die Freunde der Familie zu einem kleinen Imbiss. Sie nannte es einen kleinen Imbiss – in Wirklichkeit waren im großen Speisezimmer der eleganten Villa Bachmann zwei lange Tische mit allen Köstlichkeiten beladen, die ein verwöhnter Gaumen von einem exklusiven kalten Büfett erwartet. Und der Sekt löschte nicht nur den Durst, er machte auch gesprächig.

Wenn man sich mit Rücksicht auf die Witwe zu Anfang noch in gedämpftem Ton unterhielt, so schweiften die Gespräche doch sehr bald von dem eigentlichen Grund des Zusammenseins ab, und man wandte sich – erleichtert, weil man nicht unmittelbar betroffen war – weniger deprimierenden Themen zu.

Auch Rosana Bachmann schien mehr und mehr zu vergessen, was dies für ein Tag war. Sie war wie immer eine brillante Gastgeberin. Sie trug ein elegantes Trauerkleid und wusste, dass sie darin gut aussah.

Sie trauerte zwar ehrlich um den Verlust ihres Gatten, denn er hatte sie zu Lebzeiten auf Händen getragen und ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen, aber sie hatte auch mit Befriedigung an ihrem Spiegelbild festgestellt, dass dieser Zug von Wehmut und Trauer ihrem Antlitz eine ganz neue reizvolle Note verleihen konnte. – Für eine Weile jedenfalls.

Christiane lehnte an einem der antiken Bücherschränke in der Bibliothek und blickte mit verweinten Augen hinüber zum Kamin. Sie bewunderte ihre schöne Mutter, doch sie begriff nicht, dass sie an einem Tag, an dem der Himmel einzustürzen schien, den Kopf so stolz heben und gar lächeln konnte! Christiane ertrug diesen Anblick nicht und flüchtete in den Wintergarten.

Der Wintergarten war ein fast saalartiger Raum mit vielen kostbaren Pflanzen, die der verstorbene Senator mit großer Liebe eigenhändig gepflegt hatte. An den Wintergarten waren für Christiane viele schöne Erinnerungen geknüpft, denn nicht selten hatte sie dem Vater bei der Blumenpflege helfen dürfen, und er hatte ihr dabei geheimnisvolle Dinge über die exotischen Gewächse erzählt.

Im Wintergarten hoffte Christiane die Stille zu finden, die diesem Tag angemessen war, doch kaum war sie eingetreten, fiel ihr Blick auf ein Liebespaar, das sich jenseits des sanft plätschernden Springbrunnens selbstvergessen in den Armen lag.

Christiane war darüber so verwirrt, dass sie an eine der kupfernen Gießkannen stieß und diese scheppernd zu Boden fiel. Das Liebespaar schreckte auf.

„Andy?“ Christiane starrte ihren Bruder fassungslos an.

„Christiane!“ Andy rückte an seiner Krawatte. Ein wenig war es ihm peinlich, dass seine kleine Schwester ihn in einer solchen Situation überraschte.

Die Fremde mit dem tizianroten Haar, von der niemand recht wusste, warum sie eigentlich zur Beerdigung gekommen war, lachte amüsiert.

„Die Kleine scheint dich für einen Heiligen zu halten!“

Beschämt und verstört floh Christiane. In der Halle stieß sie mit Frank Anderegg zusammen, den Angelina mit einiger Anstrengung endlich dazu gebracht hatte, dass er sich ihr widmete.

Frank war der einzige Sohn des Bankiers Anderegg und deshalb auch Alleinerbe eines unermesslichen Vermögens. Wer hätte es Angelina verdenken können, dass sie insgeheim davon träumte, an der Seite Franks ein Leben in Glanz und Reichtum zu führen?

Christiane murmelte errötend eine Entschuldigung. Anderegg verneigte sich stumm und zeigte ein gefrorenes Lächeln, das mehr als eine Rüge barg.

Angelina aber fuhr ihre Schwester ungehalten an:

„Kannst du nicht aufpassen? Wann wirst du endlich erwachsen? Und überhaupt, wie siehst du aus! Geh nach oben, und bring dein Gesicht in Ordnung. Man muss sich deiner ja schämen!“

Christianes Röte wurde noch intensiver. Tränen stürzten ihr aus den Augen, sie lief davon, die breite Treppe hinauf. In wildem Schmerz warf sie sich auf ihr Bett und barg ihr Gesicht schluchzend in einem der seidenen Kissen.

***

Es war später Abend geworden, als sich die letzten Trauergäste verabschiedet hatten.

„Das war ein anstrengender Tag!“ Rosana seufzte und zupfte sich vor dem goldgerahmten Spiegel über dem Kamin eine Locke zurecht. „Ich fürchte, ich habe Sie heute ein wenig vernachlässigt, Claus.“ Sie lächelte ihm im Spiegel zu. „Umso mehr freue ich mich, dass Sie sich nicht mit den anderen verabschiedet haben. Wir wollen uns noch auf ein halbes Stündchen zusammensetzen. Ich finde, wir sollten Christianes Geburtstag nicht ganz übergehen. – Angelina! Andy! Kommt! Wir werden im kleinen Salon ein paar Kerzen anzünden und noch eine Flasche Sekt zusammen trinken.“ Rosana wandte sich mit einem Lächeln Claus von Berge zu. „Christiane darf heute zum ersten Mal offiziell Sekt trinken, weil sie sechzehn wird.“ Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass Christiane gar nicht im Raum war. „Wo ist denn Christiane überhaupt?“

Angelina zuckte die Schultern.

„Vielleicht ist sie schon zu Bett gegangen.“

„Dann werde ich nach ihr sehen. Andy und Angelina, ihr werdet inzwischen die Kerzen anzünden. Und Sie, Rocco“, wandte sie sich an den Butler, „bringen uns noch eine Flasche Sekt.“

Rosana fand das Zimmer ihrer Jüngsten leer. Das Bett war zerwühlt. Kein Zweifel, sie war hier gewesen und wieder fortgegangen. Aber wohin? Beunruhigt kehrte sie zu den anderen zurück.

„Christiane ist nicht in ihrem Zimmer. Wo kann sie nur sein?“

Der Butler Rocco brachte den Sekt.

„Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich sah vorhin zufällig, dass Fräulein Christiane das Haus verließ – durch den Lieferanteneingang.“

„Aber Rocco!“ Rosana sah ihn vorwurfsvoll an. „Durch den Lieferanteneingang? Wollen Sie damit sagen, meine Tochter hat sich aus dem Haus geschlichen?“

„Ich würde mir niemals gestatten, eine persönliche Ansicht zu haben“, erwiderte Rocco demütig. „Vielleicht habe ich mich geirrt, als ich das gnädige Fräulein fortgehen sah.“

Claus von Berge erhob sich.

„Ich glaube, ich weiß, wohin Christiane gelaufen ist“, gestand er. „Ich werde sie zurückholen.“

„Ich komme mit“, bestimmte Rosana. „Rocco, meinen Mantel.“

„Vielleicht sollte ich doch lieber allein …?“, meinte Claus.

„Nein, nein! Auf gar keinen Fall! Habe ich nicht ein Recht darauf, zu erfahren, wo mein Kind sich mitten in der Nacht herumtreibt?“

„Ich vermute, dass Christiane zum Friedhof gegangen ist“, erwiderte Claus. „Der Tod ihres Vaters hat sie hart getroffen. Sie kann …“

„Der Tod Christians hat uns alle hart getroffen“, unterbrach Rosana ihn heftig. „Ist das ein Grund, so unkontrolliert zu handeln?“

Claus von Berge schwieg betroffen. Er schätzte es ganz und gar nicht, wenn sich jemand gehenließ, aber konnte man Christianes Verzweiflung einfach als Unbeherrschtheit abtun?

„Ist es Ihnen recht, wenn wir meinen Wagen nehmen?“, erkundigte er sich reserviert.

„Natürlich.“ Rosana ließ sich von ihm den Nerzmantel um die Schultern legen.

Der Eingang zum Friedhof war längst verschlossen, und Claus hatte einige Mühe, den Friedhofsgärtner aus den Federn zu treiben. Erst als Claus ihm einen größeren Geldschein zusteckte, wurde er hilfsbereit.

Rosana duckte sich fröstelnd in ihren kostbaren Pelzmantel. Es nieselte, und man konnte kaum die Hand vor den Augen sehen. Wie unheimlich es nachts auf einem Friedhof war!

Der Friedhofsgärtner eilte mit einer Taschenlampe voraus zum Grab des Senators. Er blieb in einiger Entfernung stehen und leuchtete den Hügel der Kränze ab.

„Nichts!“, äußerte er ärgerlich.

Claus von Berge aber gab sich mit dieser flüchtigen Inspektion nicht zufrieden. Er verließ den Hauptweg und ging hinunter zum Grab des Senators. Und da sah er Christiane. Sie hockte am Fußende des Hügels, ganz in sich zusammengekauert.

„Christiane!“ Er beugte sich zu ihr hinunter und strich ihr sanft über das Haar. Sie musste vor Kummer und Erschöpfung eingeschlafen sein, denn erst als Claus sie bei den Schultern fasste und sie hochzog, zuckte sie empor.

„Herr von Berge?“, stammelte sie und sah ihn fassungslos an.

„Kommen Sie, Christiane. Der Friedhofsgärtner möchte abschließen.“ Claus führte sie zum Hauptweg. Ihr Haar war nass und ihre Kleider feucht vom Nieselregen. Claus zog seinen Mantel aus und legte ihn Christiane um die Schultern. „Hoffentlich erkälten Sie sich nicht. Sie müssen ja durchfroren sein.“

Christiane ging mit gesenktem Haupt neben ihm her.

„Woher wussten Sie …?“

„Ich dachte es mir“, erwiderte er und legte den Arm wieder um sie, um ihr ein bisschen das Gefühl von Geborgenheit zu geben. „Vielleicht hätte ich an Ihrer Stelle ebenso gehandelt.“

„Sie?“ Christiane blickte überrascht zu ihm auf.

Claus konnte nichts mehr erwidern, denn Rosana trat auf sie zu.

„Kannst du mir bitte sagen, welche Entschuldigung du für dein unglaubliches Benehmen vorzubringen hast?“, fuhr sie Christiane an.

„Sie muss vor Erschöpfung eingeschlafen sein“, antwortete Claus statt ihrer. „Tragen wir es ihr nicht nach. Es ist doch ihr Geburtstag!“

Die Fahrt zurück verlief schweigend. Claus geleitete die Mutter und Tochter ins Haus, verabschiedete sich dann jedoch sogleich.

Rosanas Unwille war inzwischen verraucht, doch aus der kleinen Geburtstagsfeier wurde nichts mehr. Die alte Nana bereitete für Christiane ein heißes Bad und brachte ihr Fliedertee ans Bett.

„Morgen geht es schon besser“, sagte sie tröstend. „Sie dürfen nicht so viel weinen, Fräulein Christiane, sonst findet der Herr Senator keine Ruhe.“

Die alte Nana war eine treue Seele, die es sicher gut meinte. Sie hatte auch heimlich ein Schlafpulver in den Tee geschüttet, sodass Christiane bald einschlief.

***

Nach außen hin änderte sich das Leben im Hause Bachmann nur wenig. Man vermisste ihn kaum, denn er war ein stiller, bescheidener Mann gewesen, der sich stets im Hintergrund gehalten hatte. Nur Christiane saß oft stundenlang im Wintergarten und dachte voller Wehmut an ihn. Der wundervolle Wintergarten verlor von Woche zu Woche an Schönheit, weil niemand mehr mit den kostbaren Pflanzen umzugehen verstand.

Frau Rosana verzichtete in den nächsten Monaten selbstverständlich darauf, ihre stadtbekannten Gesellschaften zu geben, und die Theaterloge der Bachmanns blieb verwaist.

Doch als das nächste Frühjahr ins Land zog und die Bäume in leuchtender Blüte standen, regte sich in Rosana die Lebenslust ihrer italienischen Vorfahren. Sie legte die Trauerkleider ab und erschien eines Abends in einem zitronengelben Spitzenkleid zum Diner. Ihr schweres blauschwarzes Haar war zu einer neuen Frisur aufgesteckt. Ihr Gesicht zeigte ein sorgfältiges Make-up.

Andy sah sie fassungslos an. „Bist du schön, Mama!“ Er eilte ihr entgegen und küsste ihr die Hand.

Rosana lächelte stolz. Andys Worte bestätigten, was der Spiegel ihr soeben verraten hatte.

„Ich habe beschlossen, unser Haus aus seinem Dornröschenschlaf aufzuwecken“, verkündete sie. Sie wandte sich Claus von Berge zu. „Ich freue mich, dass Sie uns heute Abend Gesellschaft leisten werden, Claus.“ Sie reichte ihm die Hand zum Kuss.

Er beugte sich artig darüber und äußerte galant: „Sie sehen bezaubernd aus, gnädige Frau. Als wäre mit Ihnen der Frühling ins Zimmer getreten.“

„Ja, wirklich wundervoll!“, rief Rosanas Tochter Angelina begeistert. „Das Schwarz ist auf die Dauer doch recht trist. Erlaubst du, dass wir morgen auch unserer Trauerkleider ablegen, Mama?“

„Gewiss doch“, lächelte Rosana. „Und morgen Abend werden wir in die Oper gehen.“

„Dann hast du auch nichts dagegen, wenn ich zu meinem Geburtstag in der nächsten Woche ein paar Freunde einlade?“, fragte Andy.

„Nein, das habe ich nicht. Wir werden deinen Geburtstag zum Anlass nehmen, eine wundervolle Party zu arrangieren“, versicherte Rosana.

„Du bist großartig, Mama!“ Angelina küsste sie im Überschwang ihrer Freude auf die Wange. „Und vergiss nicht, Frank einzuladen“, flüsterte sie ihr zu.

„Wie könnte ich das vergessen, Angelina!“ Rosana kniff ihrer Ältesten verschmitzt ein Auge zu. „Und Sie, Claus?“ Sie wandte sich ihrem Besucher zu. „Darf ich hoffen, dass Sie unseren ersten Abend ohne Traurigkeit mit uns teilen werden?“

Sie lächelte kokett wie ein junges Mädchen. In der Tat sah man ihr nicht an, dass ihr Ältester bereits einundzwanzig wurde. Sie hatte sich trotz der drei Kinder eine zierliche Figur bewahrt, und ihr Antlitz war noch immer von makelloser Schönheit. Man hätte sie sehr gut für die ältere Schwester ihrer drei Kinder halten können.

„Ich komme sehr gern, gnädige Frau.“ Claus verneigte sich.

„Sie werden es nicht zu bereuen haben“, versicherte Rosana gut gelaunt. „Und nun führen Sie mich bitte zu Tisch.“ Damit schob sie ihre Hand auf seinen Arm.

Claus streifte Christiane mit einem forschenden Blick. Sie hatte während des ganzen Gesprächs verständnislos von einem zum anderen gesehen. Ihre Gedanken waren unschwer zu erraten. Stumm und mit gesenktem Haupt saß sie auch an der Tafel und kostete kaum von den Speisen.

Sie ist die Einzige, die den Senator noch nicht vergessen hat, dachte Claus. Sie ist so ganz anders als die anderen. Sie schlägt im Wesen ihrem Vater nach. Weder ihre Mutter noch die Geschwister werden sie jemals verstehen.

„Claus?“ Rosana legte ihm die Hand auf den Arm. „Sie sind nicht sehr aufmerksam. Ich habe Sie etwas gefragt.“

Er schreckte aus seinen Gedanken.

„Verzeihen Sie, gnädige Frau. Ich bin untröstlich …“

Seine Verwirrung ließ Rosana aufmerken. Warum hatte er Christiane so lange angesehen? Ob er etwa …? Ach, Unsinn!, schalt sie sich. Christiane ist noch ein dummes Kind. Außerdem ist sie blass und fade. Wie sollte er ausgerechnet an ihr Gefallen finden!

Aber eine gewisse Eifersucht blieb. Sie war es gewöhnt, dass sich stets alles um sie drehte. Sie empfand es als Beleidigung, dass ihr Tischherr seine Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf sie konzentrierte.

„Wie sitzt du denn da, Christiane?“, fuhr sie ihre Jüngste ungehalten an. „Findest du nicht, dass es eine Zumutung ist, uns während der Mahlzeit ein solches Gesicht zu zeigen? Ich wünschte, du würdest deine Launen etwas besser unter Kontrolle halten.“

Christiane schoss eine glühende Röte bis unter die Haarspitzen.

„Verzeih, Mama“, stammelte sie verstört. „Ich fühle mich nicht gut. Würdest du mir gestatten, mich zurückzuziehen?“

Rosana sah ihre Tochter strafend an.

„Wenn du dich mir zuliebe nicht beherrschen magst, hättest du wenigstens unserem Gast diese peinliche Szene ersparen sollen. Du bist eben trotz deiner sechzehn Jahre noch ein Kind. – Also, geh auf dein Zimmer.“

Claus sah ihr mitleidig nach. Armes Ding, dachte er. Du wirst es nicht leicht haben in dieser Familie.

„Vielleicht sollten Sie nicht ganz so streng mit ihr sein, gnädige Frau“, meinte Claus. „Christiane leidet sehr unter der Trennung von ihrem Vater. Sie hing mit herzlicher Liebe an ihm.“

Rosana zog die Augenbrauen hoch.

„Wir alle haben den Senator sehr geliebt“, erwiderte sie nachdrücklich. „Das gibt uns nicht das Recht, andere Menschen vor den Kopf zu stoßen.“

Rosana war wütend. Wie viel hatte sie sich von diesem Abend erhofft! Sollte sie sich durch Christianes Launen alles verderben lassen? Sie legte ihre Serviette entschlossen neben das Gedeck.

„Ich schlage vor, Rocco serviert den Nachtisch auf der Terrasse. Der Abend ist herrlich.“

Claus hätte sich am liebsten zurückgezogen, doch mochte er seine Meinungsverschiedenheit mit Rosana nicht auf die Spitze treiben. Der sterbende Senator hatte ihm das Versprechen abgenommen, sich um seine Familie zu kümmern. Dieses Versprechen war ihm heilig, und er wollte es unter allen Umständen halten.

Als er sich später von Rosana und ihren Kindern verabschiedete, erinnerte nichts in seinem Verhalten an den unerquicklichen Disput. Er hauchte einen Kuss auf Rosanas Hand und hielt sie – wie Rosana glaubte – einen Augenblick länger als üblich in der seinen.

„Ach, war das ein herrlicher Abend!“ Sie seufzte, als sie die Tür ihres Schlafzimmers hinter sich geschlossen hatte. Sie breitete die Arme aus. „Und es werden noch viele wundervolle Abende folgen!“

Sie trat vor den Spiegel und betrachtete sich kritisch. Man sieht mir nicht an, dass ich schon neununddreißig bin, dachte sie befriedigt. Sie begab sich zu Bett. Doch sie schlief noch lange nicht ein, sondern dachte über ihr Leben nach.

Sechzehn Jahre alt war sie gewesen, als Christian Bachmann ihr begegnete – der Prinzessin di Merlini. Es war in einer Gasse von Verona gewesen, und Christian hatte sich auf den ersten Blick in die zierliche Italienerin mit den feurigen dunklen Augen verliebt. Nur zehn Tage waren ihm geblieben, Rosana kennenzulernen, trotzdem hatte er ihr beim Abschied einen Verlobungsring an den Finger gesteckt.

Im folgenden Sommer hatte Christian Bachmann seine schöne junge Braut nach Deutschland geholt und sie zu seiner Frau gemacht. Es war eine prächtige Hochzeit in einem alten ehrwürdigen Dom gewesen, und die Fahrt durch die Stadt hatten sie in einer weißen Hochzeitskutsche zurückgelegt, die von sechs Rappen gezogen wurde.

In den ersten Tagen hatte Rosana das Gefühl gehabt, in einem Märchenland zu leben, so wundervoll erschien ihr das neue Zuhause und so sehr wurde sie von Christian mit Aufmerksamkeiten überschüttet. Doch noch bevor ein halbes Jahr vergangen war, hatte sie sich daran gewöhnt, in Luxus zu leben. Nun hatte sie den exklusiven Rahmen als selbstverständlichen Tribut an ihre Schönheit gefordert.

Christian Bachmann war sich dieser Veränderung zunächst gar nicht bewusst geworden. Er hatte seine schöne Frau vergöttert, und als sie ihm ein Jahr nach der Hochzeit einen Sohn geboren hatte, hatte er sie schier in den Himmel heben wollen. Erst als Rosana achtzehn Monate später ihre Tochter Angelina zur Welt gebracht hatte und ihrem Gatten danach zu verstehen gab, dass sie nicht gewillt war, ein Kind nach dem anderen zu gebären, war Christian Bachmann aus seinem Liebestraum aufgeschreckt.

Nach außen hin hatte sich nichts geändert. Die Ehe der Bachmanns hatte nach wie vor als äußerst glücklich gegolten. Christian aber war sehr still geworden. In diesen Wochen hatte er begonnen, in der neuen Villa am Wallgraben den Wintergarten einzurichten.

Rosana hingegen hatte die Villa zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt der Stadt gemacht. In ihrem Haus hatte sich bald alles versammelt, was Rang und Namen hatte, und für Fremde hatte es als besondere Auszeichnung gegolten, von der schönen Frau Bachmann eingeladen zu werden.

Christian Bachmann hatte seine schöne junge Frau noch immer geliebt. Geduldig hatte er die Rolle des großzügigen Hausherrn gespielt. Es hatte ihn stolz gemacht, sich um seine schöne Frau beneidet zu wissen. Doch dann hatte Rosana eines Tages gemerkt, dass sie wieder ein Kind erwartete. Sie war außer sich gewesen, aber Christiane war geboren worden. Sie war blond, hatte blaue Augen und eine helle Haut wie ihr Vater.

Rosana hatte sich kaum um dieses ungewollte Kind gekümmert, doch Christian hatte es mehr noch als seine beiden anderen Kinder geliebt.

Die kleine Christiane war, im Gegensatz zu ihren beiden Geschwistern, ein stilles, in sich gekehrtes Kind gewesen, das für jede Zärtlichkeit unsagbar dankbar war. Nie hatte sie es aufgegeben, um die Liebe der Mutter zu werben.